Teamtheater Tankstelle Gefährliche Liebschaften nach Choderlos de Laclos




Adel im Untergang oder
Die letzten Schlachten werden in den Betten geschlagen


Am Ende geht doch alles den Weg des Irdischen. Mensch sein heißt darum, den Tag zuvor zu nutzen. Was aber, wenn alle Inhalte verloren gegangen sind und Überdruss regiert? Dann neigt sich zumeist eine Epoche ihrem Ende entgegen. Die Kulturgeschichte nennt diesen Zustand Dekadenz. Kaum ein künstlerisches Werk hat den Niedergang einer Klasse so prickelnd, so emotionsgeladen, so farbenfroh und sensibel geschildert wie der Roman "Gefährliche Liebschaften" (1782). Den Autor Chodelos de Laclos mag die Wirkung seines Werkes gerade in der nieder gehenden Klasse noch verwundert haben. Der heutige Bildungsbürger weiß, dass diese Klasse sieben Jahre später vom Sturm der revolutionären Masse hinweg gefegt wurde. Was kann erregender für dekadentes Denken sein, als dem eigenen Untergang ins Antlitz zu schauen.

Das Zeitalter des Barocks war eine Epoche der Form. So tut es nicht Wunder, dass die gähnende Leere unter der Form nicht wahrgenommen wurde, bis dieses Gebilde schließlich implodierte. Der Vicomte de Valmont ist ein Meister der Form. Diese Meisterschaft versetzt ihn in den Stand, Menschen, und insbesondere die Damen der Gesellschaft, nach Gutdünken zu manipulieren, zu verführen und sie schließlich vor dem Spiegel der Gesellschaft zu ruinieren. Gemeinsam mit der Marquise de Merteuil hat er diesen Vernichtungsfeldzug zu einem Gesellschaftsspiel kultiviert. Die Bosheit regiert. Der Vicomte hat inzwischen einen (wirklich schlechten) Ruf zu verlieren und so kann ihn die Marquise, übrigens die einzige Frau, die dem Vicomte etwas bedeutet, zu jeder nur erdenklichen Missetat überreden. So defloriert er beiläufig eine junge Dame der Gesellschaft, damit die Marquise ihre späte Rache an einen Mann nehmen kann, der sie einstmals verschmähte. Der Ehrgeiz des Vicomte wurde allerdings durch eine andere Dame der Gesellschaft angestachelt, die als tugendhaft, wahrhaft gläubig und uneinnehmbar gilt, die Präsidentin. Seine Strategien sind derart ausgeklügelt, dass niemand mehr zu unterscheiden vermag, wann es sich um Lügen und wann um Wahrheiten handelt. Und genau in diesem Punkt wird das Drama hochaktuell. Wenn jedes Mittel zur Erlangung eines Zieles erlaubt ist, dann ist das gänzliche Fehlen von Moral erwiesen. Diese Feststellung soll allerdings nicht Glauben machen, es handele sich um ein moralisierendes Werk. Vielmehr ist es gelungene und über die Zeiten gültige Bestandsaufnahme des menschlichen Wesens in Endzeitsituationen.

 


Marie-Therese Futterknecht, Claus-Peter Damitz, Claudia Schmidt

© Stefan Rumpf


Und so behandelt Regisseurin Iris Spaeing das Werk denn auch. Sie nimmt es komödiantisch und verkauft eine bittere Pille mit einem süßen Beigeschmack. Die Kostüme von Kati Kolb versetzen den Zuschauer nur scheinbar in die Zeit des späten Barocks. Wichtigstes Merkmal der derzeit modischen Versatzstücke ist letztlich ihr Zustand der Verwahrlosung. So kommt Valmont recht abgerissen daher. Die Marquise spreizt sich im fadenscheinigen Stützgestell. Die innere Verkommenheit der Protagonisten spiegelt sich auch auf den Gesichtern wieder, die einen morbiden Anstrich haben. (Maske: Anne-Charlotte Viriot). Das Bühnenbild, verschiebbare Wände, eine Lagerstatt, einige Stühle, ist gänzlich in Schwarz gehalten und erinnert an die Gruft von "Untoten".

Regisseurin Iris Spaeing stellte Manierismen aus und legte gleichsam Seelenzustände bloß. Bei alledem agierten die Darsteller artifiziell, mit komödiantischen Einfällen, ausgefeilter Gestik und Mimik, ohne dabei barocke Stereotypen zu bedienen. Claus-Peter Damitz , auf den ersten Blick so gar kein Blender und Frauentyp, erspielte als Vicomte de Valmont Haltungen, die letztlich keinen Zweifel am Erfolg seiner Unternehmungen aufkommen ließen. Marie-Therese Futterknecht hatte es da nicht leicht mitzuhalten. Ihre Marquise de Merteuil geriet gelegentlich durchschaubar. Das Spiel der Verstellung verlangte jedoch durchgängig Maske. Ihre bekam das eine oder andere mal Risse. Claudia Schmidt hatte es da leichter. Ihre Rolle verlangte sichtbare emotionale Offenheit, die sie dann auch bis an die Grenzen ihres psychischen Schmerzes ausspielte. Konsequenterweise ließ Regisseurin Iris Spaeing am Ende nur einen Ausweg, den Weg alles Irdischen. Für einen kurzen Augenblick wurden die erbärmlichen Gesichter hinter den Masken sichtbar.

Einmal mehr zeichnete sich eine Produktion im Teamtheater durch ausgewogenes Ensemblespiel und innere Geschlossenheit aus. Die Inszenierung erzählte dem Publikum eine erstaunliche und schwer fassbare Geschichte, ohne, wie die Vorlage auch, moralisieren zu wollen. Dennoch vermittelte sie Wahrheiten, die zeitlos und als solche für ein Hinterfragen jeder Gesellschaft und ihren zwischenmenschlichen Beziehungen taugen.

Ohne Frage ist dieser Stoff mit Risiken behaftet. Vermutlich waren nur wenige Zuschauer im Publikum, die die cineastische Vorgabe von Stephen Frears nicht kannten. So fiel es per se nicht leicht, sich den übermächtigen Bildern zu entziehen, die John Malkovich und Glenn Close als intrigantes Paar so unvergesslich schufen. Die Regie vermied es klugerweise, sich daran zu orientieren und schuf eine Lesart, die eigenständig blieb und darum keinen Vergleich scheuen muss. Darüber hinaus haben Stoff und Inszenierung einen nicht zu verachtenden Unterhaltungswert.


Wolf Banitzki

 

 


Gefährliche Liebschaften

nach Choderlos de Laclos

Bühnenfassung von Manfred Wekwerth

Marie-Therese Futterknecht, Claus-Peter Damitz, Claudia Schmidt, Antoinette Wosien, Eva Kruijssen, Florian Fisch

Regie: Iris Spaeing

Teamtheater Tankstelle Michael Kohlhaas nach Heinrich v. Kleist




Kohlhaas - der erste Terrorist in der deutschen Literaturgeschichte

Der Ausgangspunkt des im 16. Jahrhunderts spielenden novellistischen Geschehens ist die schikanöse Behandlung des Pferdehändlers Kohlhaas auf der Tronkenburg, die Wegnahme und der Missbrauch seiner Rappen und die Misshandlung seines Knechts. Kohlhaas Rechtshandel mit dem Junker Tronka wird zum Testfall dafür, ob die Welt gerecht eingerichtet ist. Als er weder beim zuständigen Gericht in Dresden noch bei dem Kurfürsten von Brandenburg Rechtshilfe erhält, sieht er sich selbst moralisch in der Pflicht (!), durch gewaltsame Selbsthilfe das Recht wieder herzustellen. Aus einem der "rechtschaffensten" Männer seiner Zeit wird einer der "entsetzlichsten". Das Rechtsgefühl macht aus Kohlhaas einen "Räuber und Mörder". Interessant in der Geschichte ist das Auftauchen Luthers, den Kohlhaas um Hilfe angeht. Luther artikuliert in der Kleistschen Arbeit das immer noch gültige Credo eines bürgerlichen Rechtsstaates: Das Individuum ist erst dann aus der Rechtsgemeinschaft entlassen, wenn ihm die höchste Instanz (hier der Landesherr) sein Recht verweigert hat. Was aber, wenn dieser Fall eintritt und was, wenn der Kläger eine andere Rechtsauffassung vertritt?

Kleist hinterfragt mit seiner Novelle die Anforderungen an das Individuum, wenn die Rechtsstaatlichkeit nicht mehr gewährleistet ist (und sie wird es nie sein, da es sich um einen Idealfall handelt, der allzu oft mit der Realität kollidiert). Der Preis des Aufbegehrens des Individuums ist der Untergang desselben. Das ist die Realität seit Anbeginn menschlichen Handelns.

 

Gabriele Graf, Hardy Hoosmann

© Stephan Rumpf


Wie schwer das Thema auf Kleist (der in juristischen Fragen kein Laie war) lastete, beweist die Entstehungsgeschichte des Werkes, die sehr langwierig und kompliziert war. Wir verfügen heute noch immer nicht über die entscheidenden Antworten, lediglich über Gesetze, die uns diese Fragen vom Halse halten sollen. Wenn im Presseblatt des Teamtheaters formuliert wird: "Erst auf den zweiten Blick wird das eigentliche Thema sichtbar: der Zusammenbruch der bürgerlichen Identität angesichts der Erkenntnis der eigenen gesellschaftlich Bedeutungslosigkeit", so ist der Nagel damit auf den Kopf getroffen. Kohlhaas wird zum ersten Terroristen in der deutschsprachigen Literatur. Die nennt es fachbegrifflich "Selbsthelferproblematik" und umschreibt damit ein überaus brisantes Problem.

Täglich werden Skandale ruchbar, in denen sich Menschen in gehobenen Positionen unrechtmäßig ihrer Macht bedienen. Und wo sich einer einen Vorteil verschafft, zahlen einer oder viele drauf. Warum also wundert es uns, wenn immer wieder Menschen auf den Plan treten, die ihr Recht oder das, was sie als ihr Recht verstehen, gewaltsam einfordern. Folglich muss uneingeschränkt zugestimmt werden, wenn es in der Ankündigung heißt: "Gerade in der Radikalität, in der der Text diese Identitätskrise vor Augen führt, liegt seine zeitlose Modernität begründet."

Petra Maria Grün erarbeitete eine Bühnenfassung, die, Abweichungen von der Kleistschen Geschichte eingeschlossen, einen exemplarischen Fall stringent und mit überzeugender innerer Logik erzählt. Alle Personen sind glaubhaft und die Darstellung von Filz, Ignoranz und Dummheit von Macht kann heutiger kaum sein.

Das Bühnenbild von Michele Lorenzini verwirrte auf den ersten Blick. Eine Vielzahl von Teppichen waren ausgebreitet. Eine spießige kleine Sitzgruppe in der hinteren rechten Ecke und eine Furnierwand mit Reichs- oder Bundesadler, davor ein Tisch, rundum geschlossen, komplettierten den hinteren Bühnenbereich. Die Bühne wurde schließlich durch eine Gardine halbiert, wahlweise geöffnet oder geschlossen. Sie diente gleichsam als Projektionsfläche für einen Overheadprojektor. Alles machte einen etwas muffigen Eindruck. Wenn man sich aber einmal die Mühe machte und die Geschichte hinzu zog, machten die Teppiche einen metaphorischen Sinn. Deutschland war im 16. Jahrhundert ein "Flickenteppich aus etwa 300 Kleinstaaten" und beginnt es nach den Beschlüssen Föderalismusreform wieder zu werden. Dieser Einfall, wenn er denn so gemeint war, überzeugte. Ansonsten hielten sich die Ideen für das Bühnenbild eher in Grenzen.

Nicht viel anders verhielt es sich mit der Leistung der Regisseurin Alexia Hermann. Zwar berührte der eine oder andere szenische Einfall wie beispielsweise der Akt der Zerstörung von Kohlhaas Hand, der die Wand und den darauf befindlichen Reichs- oder Bundesadler - sie erinnerte doch sehr an die Täfelung des Verfassungsgerichts in Karlsruhe - mit Torferde bis zur Unkenntlichkeit verschmierte. Doch was die Führung der Darsteller anbelangte, hielt sich die Regisseurin vielleicht zu sehr zurück. So wirkten die Schauspieler, einschließlich Hardy Hoosmann als Kohlhaas, nicht selten unbeholfen und linkisch. Hatte man die Künstler etwa aus "ihren künstlerischen Zwängen befreit" oder hatte die Regie sie einfach nur hängen lassen? Wenn ja, dann geschah es zu Ungunsten der theatralischen Wirkung. Einzig Bernhard Ulrich gelang eine durchgängig deutliche Figurengestaltung, egal, ob er Luther, den Zöllner oder den Kurfürsten spielte. Ihm verdankte der Abend, dass es allemal eine spannende und hochaktuelle Geschichte wurde. Schade um den verschenkten (nicht unbedeutenden) Rest, denn die Textvorlage, sehr dicht an Kleist, war prächtig und das Publikum offen. Es fehlte der Hauch, der den Geist spürbar macht.

Immerhin hat der Text und die Inszenierung an einen Mann, einen Säulenheiligen erinnert, dem man sich auch nach fünfhundert Jahren durchaus einmal kritisch nähern sollte. Gemeint ist der Antisemit, Befürworter von Hexenverbrennungen und Verächter des Schwachen Martin Luther.


Wolf Banitzki

 

 


Michael Kohlhaas

nach Heinrich v. Kleist

Bühnenfassung von Petra Maria Grün

Hardy Hoosmann, Gabriele Graf, Kai Reinke, Bernd Dechamps, Bernhard Ulrich, Michael Schaller

Regie: Alexia Hermann

Teamtheater Tankstelle Kolostrum von Peer Wittenbols




Von Göttern, die wir so gern wären …

Der niederländische Autor Peer Wittenbols, Jahrgang 1965, ist seit Herbst 2000 als Hausautor für die Toneelgroep Oostpool tätig. Der flämische Autor begeisterte und begeistert Regisseure und Dramaturgen mit Familiengeschichten, die in ihrer Komplexität und in ihren Aussagen Schlaglichter auf tradiertes menschliches Verhalten an sich und auf die heutige Gesellschaft im besonderen werfen. Mit "Kolostrum" bemühte er ein antikes Thema und schuf damit nicht nur ein komödiantisches Werk mit tief schürfenden Einsichten, sondern er erbrachte wieder einmal einen unschlagbaren Beweis für die Tauglichkeit dieser archaischen Stoffe.

Hades, Gott der Unterwelt, gesteht seinem Bruder Zeus, seines Zeichens Oberhaupt der Götterwelt, dass er ein bestimmtes Weib zu seiner Lustbefriedigung begehrt. Zeus will einen Namen und Hades verweigert ihm diesen aus Angst vor dem Zorn des großen "Blitzeschleuderers". Der kann seine Neugierde nicht bezwingen und gibt Hades allzu leichtfertig ein Versprechen. Die Auserwählte ist Kore, Tochter von Zeus und Demeter, und noch ein Kind. Zeus, durch sein Versprechen gebunden, segnet den Raub des Kindes ab. Demeter, Göttin der Fruchtbarkeit und bis zum Schmerz liebende Mutter, beginnt die Welt zu verwüsten. Alles erstirbt, fault, löst sich auf. Zeus will Demeters Zerstörungsfeldzug stoppen. Die Frau lässt sich aber von ihrem einstigen Ehemann, der sich auf schmählichste Weise von ihr abgewandt hat, nicht einschüchtern. Am Ende bekommt Demeter ihr Kind, das inzwischen zur Frau gereift ist, zurück. Doch im göttlichen Ehekrieg ist alle Moral, aller Respekt für das andere Geschlecht auf dem Weg geblieben. Zurück bleibt eine düstere Ahnung vom tieferen Wesen des Verhältnisses zwischen Frau und Mann.

 


Andrea Seitz, Erika Ceh, Joachim Bauer, Stefan Rihl, Anno Koehler


Es ist ein großes Thema, das einiger Anstrengungen bedarf, um auf so kleiner intimer Bühne wie der des Teamtheater gestaltet zu werden. Bühnenbildner Michele Lorenzini machte das Beste daraus. Wie in einer Reihenhaussiedlung liegen die Wohnsitze von Demeter, Zeus und Hades nebeneinander. Jalousien, nach Bedarf geöffnet oder geschlossen, bestimmen den Handlungsort. Vor der Fassade das Erdenrund im Vorgartenformat, das mit stetiger Regelmäßigkeit von Helios, dem Sonnengott, durchmessen wird. Stefan Rihl gab einen kauzigen Gott, der eher als Entertainer verstanden werden konnte, denn als Weltenerheller. Und warum auch nicht, unterschieden sich die griechischen Götter in ihrer Menschlichkeit (oder Unmenschlichkeit) doch kaum von heutigen Zeitgenossen. Joachim Bauer spielte den Zeus in Kniebundhosen und Korsett dandyhaft und selbstverliebt, seine eigenen altersbedingten Unzulänglichkeiten nicht wahrnehmend. Anno Koehlers Hades war eine bedauernswerte Kreatur. Hin und her gerissen zwischen der eigenen Begierde und seiner Angst vor dem übergroßen Bruder, bot er ein Bild der Erbärmlichkeit, die um so sichtbarer wurde, als er bei der großen Verhöhnung Demeters (und der Frauen an sich) Zeus kriechtierhaft das Wort redete. Andrea Seitz verkörperte die Demeter so standhaft, das ein Glaube an ihren Fall gar nicht in Betracht kam. Erika Ceh, mädchenhaft in ihrer Erscheinung, gelang glaubhaft die Wandlung vom verstörten Kind zur begehrenden Frau.

Regisseur Dirk Arlt lieferte eine makellose Inszenierung ab. Sie ist ganz am wunderbaren poetischen, bisweilen auch derben, aber immer anspruchsvollen Text ausgerichtet. Er verzichtete auf jegliche Schnörkel oder billige Effekte. Heraus kam ein sehenswerter Theaterabend, der voller Witz steckte, bei dem man allerdings nicht recht lachen konnte, weil eine unbarmherzige Wirklichkeit dahinter steckte. Nicht hemmungslos lachen zu können war hier kein Mangel, sondern vielmehr ein Verdienst, denn so hat die Inszenierung Nachhaltigkeit.


Wolf Banitzki

 

 


Kolostrum

von Peer Wittenbols

Stefan Rihl, Joachim Bauer, Anno Koehler, Andrea Seitz, Erika Ceh

Regie: Dirk Arlt

Teamtheater Tankstelle Hedda Gabler von Henrik Ibsen




Hier und jetzt

Ein klassisches Bühnenwerk zeichnet sich durch zeitlose Aktualität aus. Wenn es dann nuanciert zeitbezogen inszeniert wird, entsteht zeitgemäßer Theatergenuss. Regisseur Thomas Luft gelang mit Henrik Ibsens "Hedda Gabler" ein solcher Wurf.

Heutig an der Inszenierung sind die heraus gearbeiteten Aspekte wie Langweile und Inhaltslosigkeit, Machtspiele, Selbstsucht und Betrug. Es sind Pfeiler der Fassade, auf die sich die bürgerliche Gesellschaft stützt. Ibsen sieht sie aus der Natur des Menschen, in diesem Fall der Frau, erwachsen. Hedda Gabler, eine verwöhnte junge Frau aus gutbürgerlichem Haus, treibt durch die Tage. Aus Langeweile hat sie Tesman, einen ihrer zahlreichen Verehrer, geheiratet. Tesman ist Hedda nicht gewachsen. Nachdem sie von einer langen Hochzeitsreise zurückgekehrt sind, beginnen die gesellschaftlichen Fäden wieder in ihrem Hause zusammenzulaufen. Hedda weiß dies für sich zu nutzen und greift auf ihre Weise in die Geschicke ein. Sie versteht es ihre Macht auszuspielen und doch bleibt ihr am Ende nur ein Weg, um nicht selbst zur Marionette zu werden. Beispielgebend konsequent in Person und Handlung ist sie.

Irene Rovan spielte eine moderne unterkühlte Hedda, die sich nur in wenigen Augenblicken hinter ihrer Fassade zu erkennen gab. Ihr Zeitvertreib war das Spiel mit der Fernbedienung (gelungene Lichtregie von Stefan Bettinger) oder den Pistolen ihres Vaters. Löcher in den Tag schießen, welch eine wundervolle Metapher, war eine ihrer Lieblingsbeschäftigungen. Tesman, brillant gegeben von Bernhard Ulrich, wirkte wie ein aufmerksamer großer Junge, der sich einzurichten suchte in seinem neuen Eheleben mit all den überkommenen Klischees.
Die Bühne, gestaltet von Christian Baumgärtel, zeigte einen modernen Wohnraum mit Treppenabsatz und Leuchtpodest, mit automatischen Jalousien, sparsamer Einrichtung und dem Blick in den Garten. Durch diesen Garteneingang pflegte Gerichtsrat Brack zu erscheinen. Hubert Bail gab dieser Figur kraftvoll Gestalt und vor allem einen facettenreichen Charakter. Jochen Strodthoffs Eilert Loevborg hatte Mühe hier mitzuhalten. Thea Elvstedt, gut brav und naiv dargestellt von Anja Klawun, darf sich am Ende Siegerin wähnen. Sie ist anpassungsfähig und findet in den Nischen der Fassade den Platz, in dem sie ihr Leben einrichtet und "glänzen" kann.

Die bürgerliche Gesellschaft im Wandel der Zeit, in der Wandlungslosigkeit, der Starre ihrer Vorgaben, sind die Inhalte dieser absolut sehenswerten Aufführung.


C.M.Meier

 

 


Hedda Gabler

von Henrik Ibsen

Irene Rovan, Bernhard Ulrich, Jochen Strodthoff, Anja Klawun, Hubert Bail

Regie: Thomas Luft

Teamtheater Tankstelle Die gesammelten verloren geglaubten Werke von Samuel Beckett von Greg Allen, Ben Schneider und Danny Thompson



An Stelle einer Kritik

Verehrte Leser!
Im Juli des Jahres 1961 wurde im kleinen Bauernhaus in Ussy nahe bei Paris, einem Refugium, in das sich der Dichter Samuel Beckett immer wieder zum literarischen Schaffen zurückzog, eingebrochen. In dem Haus befanden sich für einen gemeinen Dieb keinerlei Wertgegenstände. Dieser Umstand veranlasste die enttäuschten Einbrecher zu wüstem Vandalismus, dem viele Schriftstücke, wie Notizen, Anmerkungen und vor allem Briefe zum Opfer fielen. Eines der Schriftstücke, ein Brief von der Hand des Dichters an einen unbekannten Adressaten, wurde in der Nähe des Hauses von einem Gendarmen gefunden und fand auf ungeklärte Weise Eingang in eine Untersuchungsakte zum Verschwinden zweier älterer Herren namens Camier und Mercier, welche an diesem Tag ohne Aufklärung des Falls geschlossen wurde.

Wie das Schriftstück in meine Hände gelangte, ist ohne Belang und tut auch nichts zur Sache. Aber da gerade von verschollen geglaubten Werken des Dichters Samuel Beckett die Rede ist, halte ich den Zeitpunkt für gekommen, dieses außergewöhnliche Dokument, das vor allem wegen seines persönlichen, geradezu intimen Tons so gar nicht in das Werk Becketts passt, öffentlich zu machen.
Der Brief ist in französisch verfasst. Beckett schrieb fast ausschließlich französisch, was sehr unglaubhaft macht, dass die aufgefundenen Werke in englischer Sprache von der Hand Samuel Becketts stammen. Leider ist das Dokument in schlechtem Zustand und einige Passagen, einschließlich der Anrede, sind unleserlich. Die Anrede lautet Verehrter El… Man kann wohl mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass er an den deutschsprachigen Übersetzer Elmar Tophoven gerichtet war, zumal es einige inhaltliche Bezüge zu Deutschland gibt. Hier nun der Inhalt:


Ulrich Zentner, Antony Connor, Peter Bamler

© Stephan Rumpf


Verehrter El …
sie wissen, wie ich es mit dem Erwachen halte: Die Sonne scheint, da sie keine andere Wahl hat, auf das Nichts des Neuen … Aber, ich gestehe frei, heute war mir sogar das Nichts des Neuen recht. Ich hatte einen Alptraum, der mich den Tod, den dichterischen Tod fühlen ließ.

Ich wandelte durch München. Über der Stadt dümpelte ein dezenter aber wahrnehmbarer Geruch von Fäkalien, was mich zu dem Schluss verleitete, dass das Oktoberfest in vollem Gange war. Ich geriet in eine Bar, wo ich hoffte, meinen Freund F. Grouse zu treffen. Im Nachbarraum hörte ich Stimmen. "Ein Mops kam in die Küche …" Sie wissen, wie sehr ich den Vers wegen seiner Tiefsinnigkeit und seiner Metrik schätze. Allein, ich konnte ihn nicht in einen Zusammenhang mit dem Treiben auf der kleinen Bühne bringen. Es mangelt mir wahrlich nicht an Fantasie …

Was mich über alle Maßen erstaunte, war jedoch, dass ich ein Stück erlebte, dass ich erst noch zu schreiben gedachte und das ich jetzt in aller Deutlichkeit vor Augen habe. Drei vermummte Männer marschierten in einem Quadrat auf und ab. In der Mitte stand eine Mülltonne. Einer der Männer stieg von der Bühne herab und zwang mich in die Tonne zu steigen. Das Publikum lachte und ich wusste nicht worüber. Dann schlug der Deckel über mir zu und ich hörte nur noch endloses Lachen, Schlurfen und "Ein Mops kam in die Küche …
Dieses Stück, ich werde es "Square" nennen, und es wird keiner Sprache mehr bedürfen, wird so etwas wie ein Abschluss sein. "Das Letzte wär' das Höchsterrungene." Was ich sah, war als Persiflage gedacht und war zugleich der Beweis für die Richtigkeit meine Aussage, welche ich ins Auge fasse. Ich werde damit meine Weltformel gefunden haben…

Ich kenne Ihre Einwände. Aber, was scheren mich die Gazetten. Einstein hat die Welt verändert, in dem er drei Buchstaben ins Verhältnis gesetzt hat und niemand deutet die Kürze als Impotenz. D.h. anfangs haben sie das sehr wohl getan …

Die Schreiberlinge verstehen bedauerlicher Weise nicht, dass ich von ihnen rede, von denen, die immer noch glauben, dass es einen Sinn hat, was sie tun. Dabei sind sie doch ohnehin nur auf mich erpicht und nicht auf mein Werk. Und diese Tendenz wird schlimmer werden, glauben sie mir. Die Welt wird eine Welt von Aasfressern werden! Was diese Herren an meiner Literatur feiern, ohne sie wohlgemerkt verstanden zu haben, war nur der Weg zu diesem Quadrat. Denn das Quadrat ist das letzte Gefängnis, in dem sie alle ihren Weg gehen, unentrinnbar…

Doch in diesem Traum habe ich noch etwas begriffen. Das Publikum, das sich so amüsierte, ohne eigentlich zu wissen worüber, - nur lachte, weil sie es für komisch hielten, belachte seine eigene Lächerlichkeit. Denn sie alle marschierten dort um mich herum… Das Nichts ist unausweichlich und die Tatsache, dass sich niemand dieses Nichts eingestehen will, dass Sie es mit der eigenen Lächerlichkeit zu füllen suchen, ist der letzte Beweis.

Wenn Sie meinem Gedankengang folgen können, so werden Sie verstehen, wie sehr mich diese Einsicht in die Endgültigkeit erschreckte. Wird der Blödsinn kommen, weil ich ihn vorausgesagt habe? Bin ich schuldig? Immerhin, eines ist gewiss: Nur zu Lebzeiten kann ich mich und mein Werk verteidigen. Danach … ach, was geht's mich an …

Übrigens, glauben Sie, dass man in Farbe träumt? Ich weiß nicht, ob das Stück in Farbe oder in Schwarz-Weiß über die Bühne gehen sollte. Ich glaube, in Schwarz-Weiß ist es besser…



An dieser Stelle ist das Blatt zu Ende. Ob es ein Fortsetzung des Briefes gibt, vermag ich nicht zu sagen. Ich vermute aber, es gibt keine, denn eigentlich ist alles gesagt.

Wolf Banitzki

 

 


Die gesammelten verloren geglaubten Werke von Samuel Beckett

von Greg Allen, Ben Schneider und Danny Thompson

Peter Bamler, Ulrich Zentner, Antony Connor

Regie: Helga Feig
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