Teamtheater Tankstelle Maß für Maß von William Shakespeare



 

Shakespeare – Opfer einer überambitionierten Regie

„Maß für Maß“, ein Lehrstück in Sachen Macht, Justiz und Gnade, war von Shakespeare an Jakob I. gerichtet, der 1603 Elisabeth I. auf den englischen Thron nachgefolgt war. Tatsächlich fand die Uraufführung 1604 in Whitehall, der Residenz Jakobs statt. Shakespeare verlegte das Stück, das stets am Rande des Todes spielt, in ein märchenhaftes Wien. Dessen Oberhaupt, der Herzog Vincencio, hat seinen Vertrauten Angelo zum Statthalter ernannt, um ihn zu prüfen. Vincentio bleibt in unterschiedlichsten Verkleidungen präsent, um das Ergebnis seines Experiments in Augenschein zu nehmen und, gegebenenfalls und notwendigerweise, wie sich herausstellt, eingreifen zu können. Angelo ist, ganz ähnlich wie Sigismund in Calderons „Das Leben ein Traum“, ein Herrscher auf Probe. Als solcher ist er festen Willens, aus dem verwahrlosten Wien mit drakonischer Härte einen Musterstaat zu machen. Doch er ist selbst ein sündhafter Mensch, hat der nichtstandesgemäßen jungen Mariana die Ehe versprochen und sie dann verstoßen. Der junge Edelmann Claudio liebt Julia, die ein Kind von ihm erwartet. Für diesen außerehelichen Geschlechtsakt mit Folgen wird er zum Tode verurteilt. Claudios Schwester, eine Klosternovizin, erbittet bei Angelo Gnade für den Bruder. Angelo verlangt für den Gnadenakt die Jungfräulichkeit der Bittstellerin. In der entscheidenden Nacht schiebt man ihm jedoch die Exverlobte Mariana unter. Angelo befiehlt nach vollzogener „Liebesnacht“ dennoch die Hinrichtung. An dieser Stelle greift Herzog Vincencio ein und beendet die rechtsstaatliche Tyrannei.  

Das Theater ImPuls, hat diese Komödie Shakespeares nun in einer sehr zeitgenössischen Inszenierung auf die Bühne des Teamtheaters Tankstelle gebracht. Dabei ging Regisseur Andreas Wiedermann sehr frei mit der Shakespeareschen Vorlage um, transponierte den Stoff ins Jetzt und Heute, um die Moral der gegenwärtigen Gesellschaft, insbesondere die der Politiker, auf den Prüfstand zu stellen. Und da in der heutigen Zeit die Medien eine herausragende Stellung einnehmen, bediente er sich einer Vielzahl ihrer Möglichkeiten.
Udo Ebenbecks Bühne hielt als Spielstätte auf der Spielstätte einen Teppich, zwei Stühle und ein Tischchen bereit, zumeist den Topos der Macht demonstrierend. Hier saß der aalglatte Angelo, durchaus glaubhaft von Matthias Wagner gegeben, und entfaltete eine Aura der auf scheinbarer Moralität aufbauenden Macht. Im Hintergrund befanden sich zwei LCD-Bildschirme, auf denen die Außenwelt ablief.

Das Anliegen von Regisseur Andreas Wiedermann war überdeutlich, allerdings bleib es bei der Ahnung, denn wirklich funktioniert hat es nicht. Am linken Bühnenrand befand sich ein PC-Tisch mit Laptop über dessen Webcam unterschiedliche Schauspieler ihre Texte in den medialen Kreislauf einspeisten. Wirtshauszenen, Pressekonferenzen u.ä. wurden in die hinterste rechte Ecke der Bühne verbannt und ebenfalls nur über die Screens sichtbar. Spätestens hier wurde ein Grundkonflikt der Inszenierung deutlich. Wer sich auf so viel Technik einlässt, sollte sicherstellen, dass sie auch funktioniert. In der Premiere, versagte sie mehr als einmal. Doch das nur nebenbei, denn es stellt sich eigentlich die Frage, warum ein Zuschauer ins Theater geht und nicht ins Kino. Er möchte vermittels eines Schauspielers oder einer Schauspielerin die Illusion von Menschen aus Fleisch und Blut erleben. Diesen Totalitätsanspruch aufgeben heißt, Theater infrage zu stellen.

Im Teamtheater geriet der Zuschauer schnell in den Konflikt, die dilettantischen Bilder auf dem Screen zu schauen, oder ins Dunkel zu starren, um die Schauspieler direkt zu erfühlen. Keine der beiden Möglichkeiten war wirklich befriedigend. Diese überambitionierte Ästhetik wies mehr Naschteile als Vorteile auf. Hinzu kam, dass die Darsteller sämtlich in unterschiedlichste Rollen schlüpften, so dass visuelle und inhaltliche Irritationen aufkamen. Insofern ist es sehr schwer möglich, die Leistungen der einzelnen Schauspieler zu besprechen.

Vom Shakespeareschen Text blieb ohnehin wenig übrig. Wenn er gesprochen wurde, blitzte kurzzeitig Schönheit auf, die Schauspieler wurden kurzzeitig über diesen Text diszipliniert und der unselige Kontrast zum adaptierten oder implantierten alltagssprachlichen Text wurde auf peinliche Weise deutlich. Angefüllt waren die von der Regie/Dramaturgie eingearbeiteten Adaptionen mit überaus schalen Witzen, die (hoffentlich!) dazu dienen sollten, den jeweiligen Erzähler in seiner seelischen/moralischen Verkommenheit zu definieren. Hoffentlich, weil, nichts ist gefährlicher, als einen schlechten Witz auf der Bühne zu erzählen. Wenn der nicht greift, wird es peinlich.

Wenn man einen Shakespearetext adaptiert, ihn heutig und bei Benennung aktueller Konflikte spielen lässt, sollte man sich zumindest bemühen, nicht allzu deutlich unter das Niveau Shakespeares zu geraten. Sowohl inhaltlich, wie auch ästhetisch wurde diese Inszenierung der Vorlage nicht gerecht. Wenn Respekt dem großen Engländer gegenüber eingefordert wird, riskiert man hoffentlich nicht, als „Angelo“ ausgemacht zu werden. Ich wage es dennoch!


Wolf Banitzki

 

 

 


Maß für Maß

von William Shakespeare

Franz Brandhuber, Lisa Erdmann, Urs Klebe, Matthias Lettner, Christina Matschoss, Susanne Meyer, Clemens Nicol, Matthias Wagner

Regie: Andreas Wiedermann
Eine Produktion von Theater ImPuls

Teamtheater Tankstelle Mala und Edek von Mark O'Connor




Erinnern kann nicht alles sein

Eine junge Darstellerin und drei junge Darsteller empfingen das hereinströmende Publikum mit Lockerungs- und Sprechübungen. Die Theatergänger sollten darauf eingestimmt werden, dass es sich um eine Theatervorstellung handeln wird. Dieser Vorgang war sinnfällig, denn die Geschichte, die erzählt werden sollte, geht eigentlich über das hinaus, was ein halbwegs sensibles Publikum ertragen kann.

Das Stück von Mark O’ Connor handelte von der Liebe zwischen der polnischen Jüdin Mala Zimetbaum und dem Häftling Edek Galinski im Jahr 1942. Ort der nicht fiktiven Handlung war das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Beide Gefangenen waren Privilegierte, Mala, weil sie als Dolmetscherin Verwendung in der Verwaltung fand und Edek, weil die Kapos, in der Regel Kriminelle, seine Deutsch- und Englischkenntnisse brauchten, um selbst zu überleben und um sich auf die Zeit nach dem Krieg vorzubereiten. Beide konnten sich im Lager vergleichsweise frei bewegen und lernten sich scheinbar zufällig kennen. Mala hatte, wie sich bald herausstellte, die Begegnung gesucht, denn sie hatte von dem mutigen Mann gehört. Beide verliebten sich ineinander und konnten ihre Liebe unter diesen unmenschlichen Bedingungen auch leben. Während sie tagsüber ohnmächtig zuschauen mussten, wie Tausende jüdische Leidensgenossen ins Gas geschickt wurden, lebten sie nachts ihre flüchtigen Umarmungen. Bald fassten sie den Entschluss, die Flucht zu wagen, um ihre Liebe in Freiheit zu leben und um der Welt mitzuteilen, was im Lager vor sich ging. Man konnte sich unmöglich vorstellen, dass diese grauenhaften Vorgänge außerhalb der Lagerzäune bekannt waren und niemand dagegen aufbegehrte. Die deutsche Geschichte belehrte jeden Zweifler. Beiden war bewusst, dass, wenn die Flucht nicht gelang, sie mit ihrem Leben bezahlen würden. So kam es denn am Ende auch. Allerdings starben sie mit dem Bewusstsein der „ewigen“ Liebe zum jeweils anderen aufrecht und heroisch, unbeugsam und aufbegehrend noch im Augenblick des Todes.

Zu Beginn des Stückes traten die Darsteller an die Rampe und zitierten Zeitgenossen, Opfer wie auch Täter, deren Namen an die schieferschwarzen Wände der Bühne auf der Bühne geschrieben wurden, für die Michael Stacheder (Regie, Kostüme, Bühnenbild) verantwortlich zeichnete. Es folgte, was auch im Konzentrationslager nach der Ankunft geschah: Ausziehen! Dann wurde Häftlingskleidung angelegt und die Darsteller schminkten sich. Die Handlung begann, als die kleine weiße Spielfläche betreten wurde. Die jeweils inaktiven Darsteller saßen auf Hockern daneben und beobachteten. Regisseur Stacheder hatte die Darsteller durch diesen Verfremdungseffekt davor geschützt, sich bedingungslos der Szene ausliefern zu müssen. Das hätte vermutlich Scheitern oder den Untergang in Peinlichkeit bedeutet. So verblieben die Darsteller und auch die Zuschauer in der notwendigen Distanz.


mala

Theresa Hanich, Robert Ludewig


Als erzählt war, dass und wie die beiden Liebenden den Tod gefunden hatten, erschienen die Darsteller, wieder gekleidet wie am Anfang, um den Rahmen der Handlung mit wenigen Worten zu schließen. Ohne Frage war der Abend berührend und ohne Frage auch voll des Sinns, den die Schirmherrin Frau Dr. h. c. Charlotte Knobloch, Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland und Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern einforderte, als sie meinte: „ (…) Um auch der Nachwelt das Gedenken an die Opfer der Shoa zu bewahren, sind neue Formen der Erinnerung gefragt.“

An dieser Stelle muss die Frage erlaubt sein, ob das Erinnern tatsächlich reicht? Dem Erinnern in Deutschland auszuweichen ist schwer, und das ist auch gut so. Doch bloßes Erinnern schafft Schuldbewusstsein selbst bei den Nachgeborenen. Eine große Liebesgeschichte in Zeiten der höllischen Zustände schafft ebenso starkes Mitgefühl. Eines allerdings hat der Abend nicht geleistet: Eine Antwort auf die Frage - warum? Erinnern und Mitfühlen ist gut, Überwinden wäre besser gewesen, denn dann wäre das Gefühl nicht so diffus geblieben.

Der Text von Mark O’ Connor war zudem kein wirklich großer dramatischer Wurf. Einige Dialoge waren eigentlich Monologe, auch wenn zwei Personen miteinander sprachen. Einer war dabei kaum mehr als Stichwortgeber, stellte artig die notwendigen Fragen, damit der andere weitererzählen konnte. Sprachlich wurde es peinlich, als die Darstellerin der Mala, wohlgemerkt 1942, von sich gab, dass sie „schier ausflippte“. Vielleicht war es eine Übersetzungsschwäche. Vermutlich jedoch nicht, denn das Drama von O’ Connor lebt vornehmlich von der Geschichte und gewiss nicht von der Sprache.

Man muss die Darsteller für ihre Leistungen und auch den Regisseur für seine guten szenischen Lösungen und das durchdachte Konzept loben. Das engagierte Spiel, das starken physischen Einsatz nicht aussparte, zeugte von dem festen Willen, die Botschaft von der Macht der Liebe auch in düsteren Zeiten zu transportieren. Die Zuschauer waren berührt, zumal jeder, der einigermaßen aufgeschlossen war und über ein Basisgeschichtswissen verfügte, schon einen gewaltigen Subtext zum Thema mit ins Teamtheater Tankstelle brachte. An diesen wurde er folglich erinnert. Das Erinnern schuf starke Befindlichkeiten, doch machte es handlungsfähiger? Wohl kaum. Zur Forderung von Frau Knobloch nach neuen Formen des Erinnerns: Die Annäherung an das Thema war nicht befreiend. Es waren künstlerisch, intellektuell und emotional ausgetretene Pfade, die das Publikum, das schlechte Geschichtsgewissen auf dem Buckel, artig mittrabte.


Wolf Banitzki

 

 


Mala und Edek

von Mark O'Connor

Theresa Hanich, Robert Ludewig, Ferdinand Schmidt-Modrow, Thomas Trüschler

Regie, Bühne, Kostüme: Michael Stacheder

Teamtheater Tankstelle Eurydike von Sarah Ruhl




Poesie vs. Dramatik

Kaum ein antiker griechischer Mythos wurde so häufig und erfolgreich adaptiert, wie der von Orpheus und Eurydike. Das liegt sicherlich daran, dass es eine Liebesgeschichte ist, die in ihrer Konsequenz weiter geht als alle anderen. Eurydike kommt, jung verheiratet mit Orpheus, zu Tode. Der Sänger Orpheus betört mit seinem Gesang den Herrscher der Unterwelt, steigt ins Totenreich hinab und bekommt die Chance, Eurydike mit sich zu nehmen. Bedingung ist: Er darf sich nicht nach ihr umschauen. Orpheus schaut sich um und verliert das geliebte Wesen ein zweites Mal. Daraufhin wird er zum Misogyn, wendet sich von den Frauen ab und wird schließlich von einer Rotte Mänaden bei lebendigem Leib zerfetzt. Es ist eine Geschichte über die andere Seite der Liebe, die tödliche.

Die griechischen Mythen, sie bilden den Hintergrund der europäischen Kultur, sind Folien menschlicher Verhaltensweisen. In ihnen sind alle Grundkonflikte niedergelegt, mit denen sich der Mensch seit Anbeginn seiner Geschichte auseinander zu setzen hatte. Nur eines leisten die Mythen in ihrer archaischen Gestalt nicht; sie verraten nichts über die wirklichen Motive oder über die Psyche der handelnden Personen. Der Mythos erzählt lediglich die Handlung. Und genau das ist der Ansatz, der ihn für Dichter aller Zeiten so interessant machte. Die Mythologie ist ein wahrer Steinbruch von Geschichten.

Die amerikanische Dichterin Sarah Ruhl (Jahrgang 1974) erzählt ihre ureigene Fassung der Geschichte des vielleicht bekanntesten Liebespaares, märchenhaft und realistisch zugleich. Sie Dichterin zu nennen ist keinesfalls übertrieben, denn sie erzählt den Mythos in modernem Gewand auf sehr lyrische Weise. Dabei geht sie sehr großzügig und locker mit den Personen und den mythologischen Sachverhalten um.

Als Eurydike zu Beginn der Geschichte von einem „Mann“ in ein Penthaus in luftiger Höhe gelockt wurde, hatte man das Gefühl, es handle sich um einen pathologisch veranlagten Vergewaltiger. Im Mythos ist dieser Mann kein geringerer als Aristạịos, Sohn der Nymphe Kyrene und des Apollon. Später, wenn Orpheus die brünstige Mutter des Königs des Totenreiches befriedigen muss, handelt es sich bei der Dame um Rhea, die Mutter des Zeus. Des weiteren wurde viel über einen Fluss gesprochen, der das Erinnerungsvermögen manipulieren konnte. Gemeint war Lẹthe (griechisch: Vergessen). Im Mythos war der „Fluss des Vergessens“ fester Bestandteil der Unterwelt. Aus ihm mussten die ins Totenreich kommenden Verstorbenen trinken, um die Erinnerung an ihr früheres Leben zu vergessen.

Über die Herkunft Eurydikes erfuhr nur der Betrachter etwas, der, dank einer guten humanistischen Bildung, schon eingeweiht war. Als Orpheus in Sarah Ruhls poetischem Drama in Erinnerungen schwelgte, beschrieb er, dass Wasser aus dem Kopf, den Haaren der Geliebten floss. Eurydike dazu: „Schwerkraft ist sehr zwingend.“ Sie war eine Wassernymphe und dieses Bild war eine sehr gelungene Metapher für die Menschwerdung des Feenwesens. Für den Unkundigen blieben solche Bilder, so schön sie auch sein mochten, kryptisch.

Aber sei es drum, entscheidend war letztlich, was diese Fassung uns über uns sagen konnte. Sarah Ruhl lieferte in poetischen Bildern eine nachvollziehbare Liebesgeschichte, die vornehmlich durch eines bestach, durch die gelegentliche Banalität des Seins. Nichts an der ganzen Geschichte ist spannender als der Grund, warum sich Orpheus wider die Abmachung mit Hades nach der Toten umschaut. Der Grund sei hier allerdings verschweigen. Nur soviel, er war glaubhaft.

Die Darsteller fühlten sich in der Geschichte ganz augenscheinlich wohl. Es wurde munter drauflos gespielt, mit großem körperlichen und stimmlichen Einsatz. Katharina Friedl gab eine bodenständige Eurydike, mädchenhaft und ausgelassen, was die traurigen Momente, und derer gab es viele, deutlich kontrastierte. David Scholzs Orpheus war eine Künstlernatur, den Blick zumeist nach Innen gerichtet, und unentwegt seiner Arbeit als Musiker zugetan. Darüber hinaus zeigte er einige artistische Einlagen, die Orpheus als gesunden jungen Mann charakterisierten. (Im Mythos war er zeitweise Argonaut!) Oliver Scheffel hatte wohl den anspruchsvollsten Part. Er spielte den „Mann“, der den Tod Eurydikes verursachte, wie bereits erwähnt mit pathologischen Zügen. Später stolzierte er in Herrscherpose überlebensgroß als Hades einher. Zwischendrin verwandelte er sich gemeinsam mit Antoinette Wosien und Walter von Hauff zu Steinen, sprechenden weisen Steinen. Walter Hauff gab den Vater Eurydikes, selbstquälerisch - aber plausibel in seiner Liebe zur Tochter. Er schlug, wenn er aus der Vergangenheit sprach, Töne an, die an das Amerika von John Ernst Steinbeck erinnerten. Antoinette Wosien, erinnerungslose Großmutter Eurydikes und brünstige Mutter von Hades, fiel besonders in der zweiten Rolle auf. Dies nicht zuletzt wegen des fantasievollen Kostüms von Kati Kolb.

Regisseurin Corinna D’Angelo ließ in diese mühelos anmutende Inszenierung ihre Erfahrungen als Tänzerin einfließen. So waren einige Szenen mehr choreographiert als eingerichtet. Dieser Ansatz unterstützte die zahlreichen poetischen Momente. Ohne Zweifel muss man der Regie gute und überzeugende Einfälle attestieren, auch ließ die Inszenierung in punkto künstlerischer Geschlossenheit und Schauspielerführung wenig zu wünschen übrig. Die sehr gute Lichtregie von Hans Peter Boden und nahezu perfekte Musik waren unüberseh- und hörbar. Bodens Bühnenbild war in seiner Kargheit mehr dem Tanztheater verpflichtet, was die Enge des Teamtheaters überwinden half.

Dennoch gipfelten die Bemühungen aller Beteiligten nicht in der Begeisterung der Zuschauer, die sie verdient hätten. Der Text wies über weite Strecken zuviel Lyrik und zu wenig Dramatik auf, was die unmittelbaren Gefühle beim Betrachter ausbremste oder in andere Bahnen lenkte. Es war eine sehenswerte Arbeit, die jedoch unterm Strich in ihrer sprachlichen Dramatik dem Gegenstand der Geschichte nicht gerecht wurde – nicht gerecht werden konnte.


Wolf Banitzki

 

 


Eurydike

von Sarah Ruhl

Katharina Friedl, Antoinette Wosien, Walter von Hauff, Oliver Scheffel, David Scholz


Regie: Corinna D’Angelo

Teamtheater Tankstelle Das Jagdgewehr von Yasushi Inoue




Feuer am Meer oder Die Ausgrenzung

Eine weiße Fläche, Bühne und Rückwand empfing die Zuschauer des Interaktionsprojektes von bggnung. Die Erzählung „Das Jagdgewehr“ des japanischen Schriftstellers Yasushi Inoue, oder genauer, die darin enthaltenen Briefe wurden umgesetzt. Aus der Sicht dreier Frauen, der Tochter der Geliebten, der Ehefrau und der Geliebten ersteht die Geschichte einer verbotenen Liebe.

Florian Marschall, ganz in Weiß gekleidet, betrat aus dem Zuschauerraum die Bühne, der Scheinwerfer folgte ihm, bis er zur schwarzen Kreide griff. Karen Breece trug als Shoko San, Midori San und Saiko San nacheinander die Briefe in freier Rede und vom Blatt gelesen vor. Ebenfalls ganz in Weiß gekleidet,  wechselte sie geschickt mit wenigen Handgriffen und Utensilien die Figur und wurde zur über die Form der Liebe erschrockenen Heranwachsenden, wurde zur enttäuschten jungen Ehefrau und wurde zur im Sterben liegenden Geliebten. Ihre Darstellungen wirkten überzeugend, vielseitig und glaubhaft nicht zuletzt durch ein großes Repertoire von Körpersprache und Mimik. Die Seiten der Briefe bedeckten mehr und mehr den Bühnenboden. Die Einfälle der Regisseure waren sparsam, doch sehr sinnfällig gesetzt und unterstützten den Vortrag und die darstellende Aktion.


jagdgewehr


Die herausragende Erzählung lebt auch von den sprachlichen Bildern welche Inoue immer wieder einflicht. In ihnen wird das Wesen der formlosen Emotionen wie Liebe und Einsamkeit anschaulich. „… und da entdeckten wir auf hoher See ein Fischerboot, das so hell brannte, als hätte man eine Fackel entzündet. … Das Boot war jedoch wohl schon verbrannt, ich entdeckte keine Spur mehr von ihm auf den Wellen, es breitete sich eine ungeheure, trübe Ruhe auf der dunklen Wasserfläche.“ Linien, Kurven, dicke und dünne Striche waren gegen diese Bilder nur ein kraftloser Versuch auf weißer Fläche. Sie muteten an wie die Kurven von Messgeräten, die emotionale Schwingungen in begrenztem Rahmen zu Papier bringen. In den Skizzen des Haori-Umhanges mit den eingewebten Disteln und der Fackel steckte dagegen mehr Kunst und Leben. Florian Marschall agierte jedoch hauptsächlich im formlosen Bereich und so erstand auf der weißen Wand eine abstrakte Zeichnung, das Chaos der Gefühle, unterbrochen durch deutliche und weniger deutlich erkennbare Buchstaben V E R B R E  und den Schatten der Geliebten.

Es war ein Versuch, der auf die Bühne kam – die Verbindung von Zeichnung und Schauspiel, und als solcher sollte es auch gewertet werden.

Ohne Kenntnis der gesamten Erzählung blieb der Zuschauer am Ende in einem einseitigen Erlebnis zurück. Es waren allein die Erfahrungen und Bilder der Frauen, die den Weg auf die Bühne und die Wand fanden. Das Buch jedoch enthüllt in der Rahmenhandlung auch die andere Seite, die des Erzählers und die des Mannes. Erst im Zusammenwirken der Elemente erfasst man das Bild der Einsamkeit, welche sich hinter dem Jäger ausbreitet „… ein verödetes, weißes Flussbett.“ in der menschlichen Dimension.


C.M.Meier

 

 


Das Jagdgewehr

von Yasushi Inoue

Karen Breece, Florian Marschall (Zeichner)

Regie: Claudia Seigmann, Nicholas Hohmann

Teamtheater Tankstelle Fasten Seat Belts von Jaan Tätte




Keine Angst vor Jaan Tätte

Der estnische Dramatiker Jaan Tätte, international mit seinem Stück "Bungee Jumping" bekannt geworden, setzt neue Maßstäbe im Komödientheater. Mit "Fasten Seat Belt", zu sehen im Teamtheater Tankstelle, schuf er einen Text, der unterhaltsam ist, auf äußerst unkonventionelle Weise Konventionen hinterfragt und sich dabei der ästhetischen Mitteln des Grotesken, z.T. sogar des Absurden bedient. Es gibt in der modernen Dramenliteratur kaum etwas Vergleichbares.

Erzählt wird die Geschichte eines Paares, das seit siebzehn Jahren glücklich verheiratet ist. Das bedeutet: sie leben nur noch einhellig nebeneinander her. Eingeleitet wird das Stück mit einer kleinen Parabel. Anna, Freundin und seit vielen, zu vielen Jahren Nachbarin von Fred und Anett, wird von Fantasien geplagt. Was ist, wenn Außerirdische auf der Erde landen und Anna erwählen, um sie mit ins All zu nehmen. Sie würde mit ihnen sprechen, keinesfalls aber mitreisen. Doch was ist, wenn sie auf magische Weise mit den Fingern locken? Sie weiß, dass ihr Wille dieser Geste nicht standhalten wird. Am Ende wird dem Zuschauer bewusst, dass diese Parabel eine Metapher für die magische, alles überwindende (ideale) Liebe ist, der letztlich niemand widerstehen kann, weil jeder sich nach ihr sehnt. Im Fall Anna ist Fred Objekt ihrer Begierden, der Freund und Nachbar, der sie nicht erhört, ja nicht einmal wahrnimmt, wie sie sich ihm darbietet.

Anett kommt von einer Dienstreise nach Hause und erklärt ihrem Gemahl, dass sie auf eine Art und Weise verliebt ist, wie sie es nie zuvor im Leben erfahren hatte. Fred seinerseits braucht ein Weilchen, um zu kapieren, dass diese geradezu überirdische Liebe nicht ihm gilt. Manfred ist der Erwählte, mit dem sie seit einem Tag "eins im Geist ist". Körperlich ist da noch nichts gelaufen, doch die Vorfreude ist Anett ins Gesicht geschrieben. Und um gleich Nägel mit Köpfen zu machen, hat sie den neuen Mann gleich dabei. Mehr verraten wäre frevelhaft. Nur soviel, alle möglichen Varianten deuten sich an. Das Ende ist dann eher profan. Selbst der Papst würde es mögen. Die Frage: Wer hat Angst vor Jaan Tätte? stellt sich nicht.


Ulla Wagener, Heiko Dietz


Das Stück lebt in erster Linie von den ungewöhnlichen, sehr glaubhaft vorgetragenen Prämissen. In der Beantwortung der daraus resultierenden Fragen ergibt sich dann die Entlarvung aller Personen in ihrer sehr menschlichen Kleinbürgerlichkeit. Und trotzdem werden tradierte Werte wie Zusammengehörigkeitsgefühl und Verantwortung, beispielsweise für die Kinder, nicht in den Orkus geschüttet.

Die Inszenierung war eine Hatz durch unterschiedlichste Gefühlsebenen. Am brillantesten vermochte Cécile Bagieu als Anna dabei bestehen, obgleich ihr Part umfänglich am geringsten ausfiel. Regisseur Oliver Zimmer hatte die Rolle mit einer zauberhaften und selbstvergessenen Naivität angelegt. Im Innern der bis über beide Ohren verliebten Frau tobte ein Vulkan, der sie äußerlich in berückend zwanghaftes Verhalten trieb. Ulla Wageners Anett war hingegen viel facettenreicher angelegt. Im Beginn die euphorisch Liebende, zu artistischen Kapriolen fähig, wandelte sie sich im Bedarfsfall schnell zur kalkulierenden Megäre, die am Ende dann doch zur "Vernunft" (im spießigsten Verständnis) zurückkehren konnte. Notgedrungen, versteht sich, denn der Supermann war längst auf einem anderen Trip. Dieser wurde von Johannes Haag gegeben. Es war vielleicht die interessanteste Rolle, weil voller Überraschungen. Leider gelang es Johannes Haag nicht in jeder Situation, das komische Vermögen der Rolle auszuschöpfen. Ganz anders Heiko Dietz, der durchgängig als der gebeutelte, bevormundete und vernunftverhaftete Ehemann agierte. Seine Rolle war in Fragen Komik vom Autor nicht unbedingt gesegnet. Doch Darsteller Dietz verstand es, das Spiel der KollegInnen kongenial zu unterstützen und sich selbst komische Momente zu erspielen, wo sie nicht zwingend vorgegeben waren.

Claudia Weinhart, die für Bühne und Kostüme verantwortlich zeichnete, hatte einen Theaterraum geschaffen, der funktional und unverbindlich war. Die Bühne war nicht mehr und nicht weniger als ein Tableau, Ausstellungsraum für komödiantisches Ereignis und genügte vollauf. Die Bühnenbildnerin konnte ihre Herkunft aus der Architektur mit diesem Bild nicht verleugnen. Auf diesem Tableau wurde dem Publikum ein Abend voller Heiterkeit mit sehr nachdenklichen Momenten geboten, der überraschte und weitestgehend unvorhersehbar geriet. Sehenswert! "Fasten Seat Belt" - Doch keine Bange, Jaan Tätte ist kein Außerirdischer.


Wolf Banitzki

 

 


Fasten Seat Belts

von Jaan Tätte

Cécile Bagieu, Ulla Wagener, Heiko Dietz, Johannes Haag

Regie: Oliver Zimmer
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