Theater Viel Lärm um Nichts Henry IV von William Shakespeare


 

 

 
Falstaff oder von den Vorzügen der Wollust und der Völlerei

Margit Carls hat sich des Stückes „King Henry IV“, von Shakespeare in der Zeit zwischen 1596 und 1598 verfasst, angenommen und eine Spielfassung erarbeitet, die sprachlich ins Hier und Heute hineinreicht. Shakespeare hätte es vermutlich gefallen, denn er war stets dafür aufgeschlossen, in Nebenszenen über Tagespolitik zu extemporieren. Allein, es ging Frau Carls nicht nur darum, den Shakespeare-Text verständlicher und übersichtlicher zu gestalten, sondern auf dezente Weise darauf hinzuweisen, dass die Literaturfiguren auch die heutige Realität bevölkern. Das Stück spielt in Kriegs- und Bürgerkriegszeiten, in Zeiten der Neuverteilung von Pfründen. Wer einen unverstellten Blick auf die Realität hat, der wird eingestehen müssen, dass wir ebenfalls in Kriegszeiten leben, wenngleich auch sichtbar keine Klingen gekreuzt werden. Der heutige Krieg ist ein ökonomischer und ein psychologischer. Gewaltige Unternehmen werden in unblutigen Schlachten an der Börse erobert, zerschlagen und verscherbelt. Die heutigen Menschen leben in einem Klima, das geprägt ist von Taktiken und Strategien, Begriffe aus dem Wortschatz des Militärs. Die modernen Heerführer sitzen in Vorstandetagen und Aufsichtsräten, und sie denken und handeln wie warlords. Der militärische Einsatz ist dabei nicht mehr ultima ratio, wenn er nur Effizienz verspricht.

Henry IV, einst Henry Bolingbroke geheißen, hatte Richard II. ermordet und sich selbst inthronisiert. Nicht nur, dass der Usurpator von Gewissensbissen geplagt wurde, er musste sich gegen die Rebellion des einstigen Verbündeten und jetzigen Todfeindes Percy Heißsporn verteidigen. Henrys Sohn, ebenfalls Henry mit Namen (genannt Hal oder Harry), hatte wenig Interesse an der Macht seines Vaters, und zog es vor, mit Sir John Falstaff durch die Kneipen und Hurenhäuser zu ziehen und seinen Lebenswandel durch kriminelle Handlungen zu finanzieren. Der Schutz durch die Obrigkeit war ihm gewiss. Mehr noch profitierte Falstaff von dieser unheiligen Allianz, denn sein (im übelsten und konsequentestes Sinn) epikureisches Wesen bedurfte des Schutzes einer hochgestellten Persönlichkeit. Sein Weg war gepflastert mit Lügen, Betrügereien und Schurkenstreichen aller Couleur. Bei näherer Betrachtung erkennt der Zuschauer oder Leser, dass Falstaff eine durchaus zentrale Figur im ungeheuerlichen Treiben der Mächtigen war. Als sich Hal auf die Seite seines Vaters schlug und eine wesentliche Rolle bei der Niederschlagung der Rebellion spielte, begann der gesellschaftliche Aufstieg Falstaffs im Fahrwasser des Prinzen of Wales. Gegen Ende war er ein hochdekorierter Mann, obgleich sein Ruhm erstunken, erlogen und erschlichen war. Als Hal die Krone von seinem Vater erbte und legitimer König wurde, wandelte sich sein Wesen schlagartig. Er ließ die einstigen Zech- und Waffenkumpanen fallen. Falstaff stürzte.

Der Reiz des Stückes besteht vornehmlich in dem Gegensatz staatsmännischen Denkens und der realen Überleberlebensstrategie Falstaffs. Eigentlich gibt es zwischen beiden Arten des Denkens keinen allzu großen Unterschied. Doch durch das Handeln Falstaffs nehmen die Vorgänge menschliche, allzumenschliche Dimensionen an. Obgleich das Stück vergleichsweise selten gespielt wird, hat es seinen unleugbaren Reiz, denn die Figur des Falstaffs ist auf ihre Weise ein ähnliches Schwergewicht wie Hamlet oder Macbeth.

 
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Hubert Bail, Hannes Berg

© Hilda Lobinger

Shakespeare war es gelungen, eine Lebensphilosophie auf sehr logische und zugleich lebensnahe Weise zu definieren. Tatsächlich entfaltete Falstaff die Philosophie der Faulheit und des Genusses aber erst in „Die lustigen Weiber von Windsor“ zu exemplarischer Größe. In „King Henry IV“ gerät die Geschichte um den Fresser, Säufer und Hurenbock zu einer Eulenspiegelei mit tiefen Einblicken in das menschliche Wesen. Hal: „Siehe, die Weisheit brüllt auf der Straße und keiner hört hin.“

Auch wenn es heute schwer vorstellbar ist, so war das Theater Shakespeares immer auch Volkstheater, in dem es derb und deftig zuging. Sowohl Margit Carls als Autorin, als auch Andreas Seyferth als Regisseur folgten dieser Tradition. So wurden Deftigkeiten, wie sie in Shakespeares Stück häufig vorkommen, in eine heutige Sprache übersetzt, gelegentlich auch durch zeitgenössische Vulgarismen ergänzt. Die Obszönitäten als Bestandteil der Handlung oder des Denkens verletzten den „guten Geschmack“ nicht wirklich. Andreas Seyferth vermied jegliche Manierismen und ließ direkt und ungeschönt in sprachlichem und gestischem Duktus spielen. Das belebte die z.T. trockenen Passagen des historischen Verlaufs der Dramengeschichte. Nebenbei bemerkt hielt Shakespeare nicht allzu viel von historischer Genauigkeit. Viele Denkmäler, die er historischen Figuren durch seine Stücke errichtete, erwiesen sich als literarische Chimären.

Stephan Joachims Bühne war zweigeteilt. Links der Sitz des Königs mit Ehrfurcht gebietendem Tisch und Fauteuil, rechts ein Ledersofa als Ort des Lasters. An den Wänden Stimmung schaffende abstrakte Bilder, die sich im von Stephan geschaffenen Licht permanent wandelten. Kongenial zu szenischen Situation und den raumverändernden Lichtstimmungen sprengte das Klangkonzept von Kai Taschner den Spielraum und entrückte den Zuschauer in die Welten kriegerischer Auseinandersetzungen, in denen Heros und Tod das Wort angaben. Die Tatsache, dass sieben Darsteller vierundzwanzig Rollen spielten, muss als konzeptionelle Meisterleistung gewertet werden. Dabei kam weder ein Verwirrspiel, noch eine darstellerische Dopplung heraus. Alles blieb übersichtlich und verständlich. Die Darsteller agierten in jeder Rolle durchweg differenziert, einfallsreich und mit großer physischer Präsenz. Dabei ging es richtig zur Sache. Sie einzeln zu beschreiben würde den Rahmen sprengen. Einzig Joachim Bauer soll genannt werden. Seine Besetzung als Fallstaff  war eine hervorragende Wahl. Ausgestattet mit einem „fatsuite“ entsprach er ganz und gar nicht dem Klischee des saufenden, fressenden und hurenden, zumeist grobschlächtig und tumb angelegten Falstaff. Bauers Spiel war überaus sensibel und schlitzohrig zugleich. Dieser Falstaff war keine lächerliche Figur, wenngleich  er sich einige Male lächerlich machte.

Die Tatsache, dass die Inszenierung drei Stunden dauert, sollte nicht schrecken. Längen wies der lange Theaterabend nicht auf und obgleich die Eingriffe in den Shakespeareschen Text durch Margit Carls nicht unerheblich waren, blieb die Schönheit der Sprache des großen Briten nicht auf der Strecke. Die lebendige und sinnesfreudige Inszenierung ist eine gute Gelegenheit, sich mit einem Shakespearestück auseinander zu setzen, das über Substanz verfügt, in der Umsetzung im Theater Viel Lärm um Nichts Spaß macht und dennoch nur selten in den Spielplänen zu finden ist. Zu einem Besuch wird darum geraten.

Wolf Banitzki

 

 

 


Henry IV

von William Shakespeare  
Eine Tragikomödie, in welcher der ehrenwerte Sir John Falstaff eine gewichtige Rolle spielt. Spielfassung Margit Carls

Hubert Bail, Joachim Bauer, Hannes Berg, Manuel Renken, Sven Schöcker, Joachim Vollrath,  Dave Wilcox

Regie: Andreas Seyferth

Theater Viel Lärm um Nichts Die Goldspinner


 

 

 
Glanz und Elend des Theaters

Im Rahmen „Paarlaufmarathon“ präsentiert das Theater Viel Lärm um Nichts in der Pasinger Fabrik ein wenig amüsantes Kapitel zum Thema Glanz und Elend des Theaters. Eine Premiere wird abgesagt, „der Stecker wurde gezogen“. Zurück auf der Bühne bleiben ein altes Clownspaar und ein jungdynamisches Paar aus der Entertainmentbranche. Es ist der letzte Tag im Dasein des Theaterbaus. Der Abbruch ist beschlossene Sache. Eine letzte Show soll den „Alten“ des Unterhaltungsgeschäftes gelten, die, wie das Vinyl nur noch Museumswert haben. Abgeschrieben und vergessen sind die, die davon lebten, dass sie sich die Torten ins Gesicht schleudern ließen. Es ist wenig übrig vom einstiegen Glanz, der möglicherweise nur Einbildung war. Ein neuer Wind weht und wer sich ihm aus künstlerischen Gründen entgegenstellt, wird weggeblasen. Alternde Komödianten: es gibt kaum ein traurigeres Kapitel.

Die Klage, und als solche kann das menschliche Drama um die „Beschäftigen“ des Kulturbetriebes durchaus genannt werden, ist eine Mischung aus Robert Altmans „Last Radio Show“, Neil Simons „Sonnyboys“ und Federico Fellinis „Ginger und Fred“. Die Witze sind abgegriffen, die Pointen peinlich und das Bemühen der Protagonisten lächerlich. Bedauerlicherweise hat diese Inszenierung einen traurigen Hintergrund. Es ist eine Reaktion auf einen Akt von Kunstverhinderung. Das Theater Viel Lärm Um Nichts beabsichtigte die Aufführung einer Bühnenfassung des Films „Ginger und Fred“ zum Ende der Spielzeit 2009/10. Nur wenige Tage vor der Premiere verhinderte der Verlag Fellinis die Aufführung. Schon Fritz Kortner sprach angewidert vom Kulturbetrieb, einer Blase aus künstlerisch inkompetenten Kunstverhinderern und ignoranten Geschäftsleuten. Das Theater in der Pasinger Fabrik, ein Theater mit Tradition und zugleich ein Theater, dessen Überleben von Subventionen abhängt, traf es hart. Darum beschlossen Margrit Carls und Andreas Seyferth auf diesen Willkürakt zu reagieren.
 
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Margrit Carls, Andreas Seyferth

© Hilda Lobinger

 
Die Goldspinner sind Künstler, die aus Dreck Gold machen müssen, da sie nicht anderes zur Verfügung haben. Nur wer dazu fähig ist, kann überleben. Gute Kunst ist es in den seltensten Fällen, schlechte Kunst ist chancenlos, weil nicht selten noch schlechtere Kunst Mainstream ist. Allein das Bemühen der Künstler, sich der Welt auf besondere Weise mitzuteilen, führt sie immer wieder in die düstere Sackgasse, an deren Ende immer ein großes ökonomisches Fragezeichen steht. Nur selten nimmt der „Konsument“ wahr, dass es sich um existenzielle Problem der Kunst handelt. Kultur war leider noch nie ein Selbstverständnis.

So darf es nicht verwundern, dass Lebenswege durch die Labyrinthe der Kunst nicht selten im Elend endet. Dem alten Clownspaar steht der Niedergang ins Antlitz geschrieben. Auguste (Margrit Carls) musste nach fünfzehn Jahren erkennen, das ihre Traurigkeit, denn die schönen Kleider trugen immer nur die anderen, nur den Glanz ihres Partners Rudolfo beförderte. Nach der Trennung suchte sie sich in bescheidener Bürgerlichkeit einzurichten. Allein, die Sehnsucht nach dem Rampenlicht wollte nicht weichen. Rudolfo knatterte sich durch Tiefen des geschmähten Künstlerdaseins und ließ dabei keine Niederung des Lebens aus. Das junge Paar, Deborah Müller und Emre Akal, gläubig den Botschaften des hippen, coolen und eitlen Kulturmanagements verfallen, waren stets bemüht, Witterung aufzunehmen, um überhaupt erst einmal ins Geschäft zu kommen. Der „Kulturbetrieb“ und sein Management, für den Außenstehenden auf mystische Weise unsichtbar wie ein kafkaesker Vollstreckungsmechanismus, benutzte sie nach Gutdünken und spie sie wieder aus, wenn kein Bedarf mehr an ihnen bestand. Ihr Leben spiegelte gleichsam das Chaos, welches der Beruf für sie bereit hielt.

Eos Schopohls Inszenierung basierte auf Abwesenheit von Chancen, auf  Traurigkeit und auch auf Erbärmlichkeit von aus der (Kunst-) Welt gefallenen Künstlern. Ein Bühnebild gab es nicht. Warum auch, war doch das Schicksal des Varietes längst besiegelt. Die Abrissbirne ersetzte das Damoklesschwert. Beinahe der ganze Bühnenraum wurde bespielt. Als erwartete man das auf der Bühne gespielte Schicksal, war die Bestuhlung äußerst dürftig. Die Textvorlage war tatsächlich nicht mehr als Improvisationsbemühungen, durchsetzt mit Gags, Plots und Geschichtchen, die den Zuschauer nur sehr selten erreichten. Wenige, sehr schöne Sentenzen zum Thema an sich und im besonderen gingen unter. Übrig blieb das krampfhaft anmutende Bemühen, im Publikum mit allen erdenklichen Mitteln Anteilnahme zu wecken.

Diese Inszenierung war gewiss keine Sternstunde in der Geschichte des Theaters Viel Lärm Um Nichts. Bei Kenntnis des Hintergrundes dieser Arbeit befiel den Betrachter  allerdings eine große Traurigkeit. Das existenzielle Bemühen wurde augenscheinlich, gilt es doch immer wieder aufs Neue, den Bestand des Theaters zu sichern. Dass Kultur in Deutschland dies nicht aus sich selbst heraus und selbstbestimmt tun kann, verweist nicht zuletzt auf eine Gesetzeslücke. Kultur ist im Land der Dichter und Denker noch immer keine staatliche Pflicht. Mit der Inszenierung von „Goldspinner“ können die Macher kaum auf euphorische Theaterbegeisterung hoffen, höchstens auf Solidarität. Wenn nicht, kann der letzte Tanz von Ginger und Fred bald in Vergessenheit geraten. Immerhin verriet diese Tanzeinlage, was das Publikum erwartet hätte, wenn Fellinis Geschichte auf die Bühne gekommen wäre. Schade.

 
Wolf Banitzki

 

 


Die Goldspinner

EIN LETZTER TANZ? ... !

Margrit Carls, Andreas Seyferth, Deborah Müller, Emre Akal

Regie: Eos Schopohl

Theater Viel Lärm um Nichts Fröhliches Scheitern! von Margrit Carls


 

 

 
„Da ist der Wurm drin.“

Das Universum ist ein großer Spielplatz. Der Schöpfer streut seine Gedanken und Gelüste darein, die Weltenmutter brütet Eier zwischen ihren Brüsten und die Wissenschaftler der Menschheit zählen die erkennbaren Wurmlöcher. Natürlich forschen sie auch nach den Bewohnern derselben, doch dies wäre nicht nötig, denn der Wurm steckt in allem auf Erden, und ihn zu erkennen, muss man noch nicht einmal genau hinsehen. Er drängt sich auf, unweigerlich und, wie wir alle wohl aus Erfahrung wissen, meist im falschen Augenblick. Wenn der Wurm erscheint, hat man nur selten die Kraft darüber zu lachen.

Margrit Carls entwarf Idee und Texte für eine Revue, die eben diesem Wurm und dem Scheitern des Menschen gewidmet war und die es ermöglichte sich einmal darüber zu amüsieren, in aller Unbetroffenheit, als Zuschauer. Der heitere Blick auf die Geschichte des Scheitern an sich selbst und den Möglichkeiten für die Lebewesen dieser Erde, ließ für zwei Stunden die eigenen Erfahrungen zurücktreten und in eine solidarische Gemeinsamkeit eintauchen. Margrit Carls schöpfte aus dem Alltag, der Volksweisheit mit ihren Zitaten und Metaphern, der modernen Wissenschaft und der umfassenden Kunst. Es entstand ein „Spiel von Absicht und Zufall“, die mit „Intuition und Improvisation“ das Leben simulierten. Auf der Bühne war die Improvisation wohl mehr Manier, denn tatsächlich.
 
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Hannes Berg, Sven Schöcker, Joachim Vollrath, Klaus-Peter Bülz, Claudia Schmidt

© Hilda Lobinger

 

Eine weiße schiefe Ebene beherrschte die Bühne, der gegenüber die Weltenmutter saß und aus Ton Menschlein und Würmer formte. Äußerlich ein Mädchen in weißem Spitzenkleid mit grauem Haar und rosa Strähnen verkörperte Astrid Polak sie, in Habitus und Sprache fein wechselnd zwischen den Gegensätzen von weise und verspielt. Dann trafen die Darsteller zur Probe ein: Einer unausgeschlafen, da über Nacht mit neuen Texten konfrontiert; eine nach Irrfahrten mit der S-Bahn und ein Radfahrer, der mit dem Gegenwind enorm zu kämpfen hatte, verspätet. Die Stimme des Regisseurs Andreas Seyferth kam, wie die des Schöpfers, aus dem Off und die Darsteller sammelten sich. Ein bunter Reigen von Szenen aus der Geschichte folgte. Den Höhepunkt bildete der Auftritt des Wurms in Gestalt von Hannes Berg, der in einem Song sein Schicksal beklagte und überdeutlich vor Augen führte: Das Leben als Wurm ist keinesfalls vom Scheitern befreit. Für diese Einlage erntete Hannes Berg spontanen begeisterten Szenenapplaus. Weitaus schwerer hatte es Joachim Vollrath, der als ewiger Freier unbeachtet seiner Viktoria harrte und dabei vom Jüngling zum alten Mann verfiel. Claudia Schmidt scheiterte in innerer Verzweiflung, die aus Beziehungen und vergeblichem Versuch der Aufzucht eines Kaktus resultierte. Klaus-Peter Bülz trug glaubwürdig gezeichnet nicht nur als hungernder Advokat der Benachteiligten und am Versagen vorbeischlitternder Mann sein Schicksal. Einzig Sven Schöcker als Dichter stand es zu, sein Scheitern lautstark und wohlartikuliert in die Welt zu tragen. Seine Darstellung von der Mühsal des Sisyphos, der es bis zur Hälfte der Anhöhe schaffte, war absolut sehenswert. Der Einlagen gab es viele in dieser dichten Inszenierung, die musikalisch sinnfällig von Marcus Tronsberg auf der Gitarre untermalt wurde.

Der Abend war vergleichbar mit dem allzubekannten Bild des glänzenden Apfels aus dem der Wurm hervorgrinst und in den man dennoch zu gerne beißt, denn es ist ein gelungener knackig bunter unterhaltsamer Apfel.

 
C.M.Meier

 

 


Fröhliches Scheitern!

von Margrit Carls

Astrid Polak, Claudia Schmidt, Hannes Berg, Klaus-Peter Bülz, Sven Schöcker, Joachim Vollrath und Marcus Tronsberg (Guitarre und Komposition)

Regie: Andreas Seyferth

Theater Viel Lärm um Nichts Othello-Projekt von Heike Anna Koch


 

 

 

Der Stich ins Herz der Realität

Zu Shakespeares „Othello“: Jago träufelt dem Kriegsherrn Othello das Gift des Misstrauens ein und weckt so eine unstillbare Eifersucht wider seine Ehefrau. Der Erzintrigant neidet dem „Neger“ seinen Erfolg, sein Ansehen und seine Stellung. Desdemona liebt Othello, versteht bis zum bitteren Ende nicht, dass sie argloses Opfer einer Intrige wurde. Sie musste sterben. Tod, Tötung und die vermeintlich unzähligen Gründe dafür sind auch Gegenstand der Betrachtungen von Heike Anna Koch, die sowohl den Text schrieb, als auch die szenische Einrichtung besorgte.

Ihr Konzept ließe sich metaphorisch umschreiben mit einem Spiegel, der zerschossen auseinander splitterte und dessen Bruchstücke in scheinbar unzusammenhängenden Szenen wieder zusammengesetzt werden sollten. Das reflektierende Glas blieb zerstört, doch auf den einzelnen Scherben spiegelten sich andere exemplarische Geschichten, wie sie hier und heute immer wieder geschehen und in denen der Tod immer die Hauptrolle spielt. Die Schlüsselszene, quasi den Schuss in die Mitte des Spiegels, bildete die (archaische) Geschichte von Eifersucht, wie sie Shakespeare in seiner Tragödie niedergelegt hatte.
Das Zentrum allen menschlichen Zusammenlebens sind die Liebe, die Freundschaft, die Verwandtschaft, die Hinwendung – schlicht: die positive menschliche Bindung. Der gewaltsame Tod, aus welchen Gründen auch immer vollstreckt, ist ein Stich ins Herz der Realität und zerstört jedes Mal einen Organismus, der das liebende Paar sein kann, aber auch die Familie, die den Grundstein der Gesellschaft bildet.

Der Ansatz klingt verlockend, könnte man doch erhellende Gründe finden, warum die Tötungen geschehen. Allein, dafür bedarf es eines analytischen Verstandes, der sich über die Realitäten erheben kann und dem es gegeben ist, eine komplexe weltanschauliche Sicht zu entwickeln. Doch das wäre dann Philosophie. Eigentlich sollte Theater, sei es durch eine Katharsis oder durch die Ratio, eben dies leisten können. Das „Othello-Projekt“ vermochte es leider nicht in dieser Konsequenz.

Es wurden Geschichten in karger Sprache und mit geringem theatralischen Aufwand (was in dieser Inszenierung eine Tugend war) erzählt. Ein junges Mädchen (Erna Ibrahimagic), von ihrem Freund erst geschwängert und dann verlassen, tötet die Frucht ihres Leibes, weil sie das Kind vor der „Welt“ schützen will. Ein älteres Paar (Rosmarie Kurmann/Lanre Bakare) zieht den Freitod dem Leben in einem Heim vor, um von ihren wunderbaren Erinnerungen, in deren „Besitz“ sie sind, nicht abgeschnitten zu werden. Ein Bruder (Betim Bojaxhiu) hat seine Schwester getötet, weil er ihren Lebenswillen für sündhaft und ehrlos hielt. Sie hatte sich aus einer fragwürdigen Kultur und damit aus der familiären Bindung verabschiedet. Und so geht es weiter im Totentanz. Vermutlich würde eine einmonatige Lektüre der „Bild“-Zeitung genügen, um alle möglichen Varianten aufzulisten.

Das Warum, das hinter jeder dieser Taten steht, scheint so vielfältig zu sein, wie die Taten selbst. Doch dieser Schein trügt. Es geht dabei immer um Verlustangst, eine Angst, die sich in einer Gesellschaft, die beinahe ausschließlich auf Besitz, auch auf emotionalen Besitz eines anderen Menschen, orientiert, in allen Poren festgesetzt hat. Diese Gesellschaft atmet Angst. Doch zu dieser Einsicht kann sich das „Othello-Projekt“ nicht aufschwingen und verbleibt weitestgehend in der Beschreibung. Dabei ist doch der Mensch in erster Linie ein Produkt seiner Umwelt, also einer Gesellschaft, die schon auf Angst gründet. Die Apologeten dieser Gesellschaft wurden und werden nicht müde Ängste zu schüren, weil Adrenalin leistungssteigernd wirkt. Wo ist da der Unterschied zum Höhlenmenschen?

Dennoch war es ein gutes Projekt, denn es schuf Verunsicherung und die ist aller Veränderungen Anfang. Wenngleich die Gesellschaft in dieser Theaterproduktion auch nicht radikal infrage gestellt wurde, blieb doch der Eindruck zurück, dass etwas gewaltig „faul“ ist in dieser „besten“ aller Gesellschaften.

Heike Anna Kochs Arbeit hatte einen gewissen Werkstattcharakter und wies einige erstaunliche Ansätze auf. In der Schlüsselszene aus Shakespeares Othello, verkehrte sie die Geschlechterrollen, was bei eifrigen Shakespearefreunden einige Verwirrung stiftete. Wer den originalen Othello kannte, sah sich schnell mit seinen eigenen begrenzten Vorstellungen von der Rolle des Mohren konfrontiert. Elisabeth Englmüller spielte den Othello, wurde von Jago als Herrin angesprochen, und machte schnell deutlich, dass alle denkbaren Varianten längst in der Praxis Einzug gehalten haben. Betim Bojaxhiu oblag es, die Desdemona zu verkörpern und das gelang sehr einleuchtend. Alexander Adlers Jago entsprach schon eher den tradierten Vorstellungen. Sein äußerlicher Spielgestus ließ die emotionale Verkrüppelung des Intriganten deutlich ahnen.

Bei den Darstellern handelte es sich überwiegend um junge Absolventen, die sich sehr engagiert einbrachten, neben denen aber auch Laien agierten. Heike Anna Koch ging es dabei um die Internationalität als Indiz dafür, dass sich die Problematik auf alle Kulturkreise erstreckt und dass die Grenzen der unterschiedlichen Kulturen durchlässig werden. Dieser Ansatz erwies sich als zwingend, unterstrich den Charakter der Unternehmung und qualifizierte das „Othello-Projekt“ als sinnfälliges Diskussionsangebot.

 
Wolf Banitzki

 

 

 


Othello-Projekt

von Heike Anna Koch

Alexander Adler, Lanre Bakare, Betim Bojaxhiu, Elisabeth Englmüller, Maryan Said, Erna Ibrahimagic, Rosmarie Kurmann, Ela Zengin

Text/Regie: Heike Anna Koch

Theater Viel Lärm um Nichts Franziskus - Gaukler Gottes von Dario Fo


 

 

 
Der unheilige Heilige

Franz von Assisi (1182-1226) war der Sohn eines reichen Tuchhändlers und er benahm sich auch so. Ausgelassene Feste bestimmten seinen Alltag. Er warf das Geld, das er nicht selbst verdient hatte, zum Fenster hinaus. Doch dann kam es zu Unruhen in Assisi, denn der plötzliche Tod des Kaiser Heinrich VI. (1197) hat ein Machtvakuum geschaffen, in das hinein das Volk rebellierte. Die Türme der verhassten Adeligen wurden geschleift und der 15jährige erlebte seine erste politische Demonstration, war an vorderster Front dabei. Es kam zu einem Unfall. Franz geriet zwischen die Glocken der Kirche; er wurde, mehr tot als lebendig, geborgen und in die Stille des väterlichen Weinkellers verbracht, wo er eine Woche lang vor sich hindämmerte. Danach war er ein anderer. Er benahm sich seltsam, entkleidete sich in der Kirche, beschenkte die Bettler großzügig und umarmte die Leprakranken. Laut Geschichtsschreibung soll er während einer Messe 1208 eine Stimme vernommen haben, die ihn im Wortlaut des Matthäusevangeliums 10, 5-14 aufforderte, in die Welt zu gehen, allem Besitz zu entsagen und Gutes zu tun.

Narr oder Heiliger? Die Kirche entschloss sich zu letzterem, obgleich ein hoher Würdenträger vierzig Jahre nach seinem Tod sämtliche Aufzeichnungen über das Tun des Ordenstifters vernichten ließ. Von nun an strickte die Kirche die Legende, ganz nach ihrem Gustos.

Trotz des verlogenen Treibens der katholischen Kirche verblieben Überlieferungen in der Welt. Eine der wichtigsten war der Auftritt von Franz in Bologna, einer Stadt, die von Kriegen außerhalb der Mauern und von Bruderzwist innerhalb der Markungen gezeichnet war. Man pflanzte große Hoffnungen in den Mann, dass er Frieden stiften würde. Doch der trat auf und sang ein Loblied auf Krieg, Zerstörung und Gemetzel. Die Bürgerschaft geriet in einen Schockzustand, rang sich aber schließlich durch, einen Friedenvertrag zu schließen. Was war geschehen? Ein heiliger Mann, ein Gaukler, wie er sich selbst nannte, hatte ihnen mit komödiantischen Mittel die Absurdität ihres Tuns vor Augen geführt.

Später baute Franz Kirchen, sprach mit den Vögeln, bekehrte mit der Macht des Wortes und der eigenen Unerschrockenheit, die an Narretei grenzte, Bestien. Schließlich gelangte er vor den Thron von Innozenz III., Stellvertreter Gottes, um von ihm die Genehmigung zu erwirken, das Evangelium verkünden zu dürfen. Das war nur der Kirchenkaste vorbehalten und ansonsten ein strafwürdiger Akt. Innozenz riet ihm, vor den Schweinen zu predigen. Franz predigte vor den Schweinen und war ein glücklicher Mann, denn er hatte begriffen, dass es nicht darum ging, die Tiere zu guten Christenmenschen zu erziehen, sondern die Menschen zu guten Tieren. Die Wirkung war geradezu messianisch und wenn man den Quellen Glauben schenken darf, brach der Papst angesichts dieser christlichen Reinheit und Menschlichkeit in Tränen aus. Das ist allerdings sehr unglaubhaft, denn Innozenz III. rief 1208 zum Kreuzzug gegen die Albigenser auf und war verantwortlich für den 4. Kreuzzug gegen das Heilige Land in dem zahllose Menschen starben oder verstümmelt wurden.

Literaturnobelpreisträger Dario Fo, der wohl wichtigste Vertreter des europäische Volkstheaters, ist im Alter keineswegs einer christlichen Verklärung anheim gefallen. Vielmehr sah er in der Geschichte des ungewöhnlichen Heiligen die Geschichte des Dilemmas, in dem sich der europäische Geist und insbesondere seine Utopien seit zweitausend Jahren befindet. Im Geiste zur letzten Befreiung fähig, wandte sich der Europäer immer wieder seiner erbärmlichen fleischlichen Sündhaftigkeit zu, und begrub die emanzipatorischen Bestrebung für eine lichtere Zukunft immer wieder unter den menschlichen Schlacken aus Gier, Machtlüsternheit und Eitelkeit.

 
franziskus

 

Fo lässt die Geschichte des heiligen Mannes erzählen, durchsetzt sie immer wieder mit komödiantischen Szenen, und schafft so einen Torso, der eine Ahnung von der gewaltigen Dimension von dessen Lebenswerk beschreibt. Das Bild von Franz ähnelt dem Bild von einem närrischen Jesus. Dabei wird das theatralische Element zu einem großen Wirkungsprinzip.

Furios gespielt wurde die Rolle des Franz vom italienischen Theatervollblut Alberto Fortuzzi, einem Darsteller der ganz augenscheinlich in Mimik und körperlicher Gestik der Commedia dell arte verpflichtet ist. Regisseurin Winni Victor verzichtete völlig auf ein Bühnenbild. Im schwarzen Theaterraum fanden sich lediglich zwei Hocker und ein geflochtener Weidenkorb. Fortuzzi, gelegentlich auch in den klassischen Halbmasken, tauchte ein in die Rolle des Harlekin, schepperte drauf los, kreischte, schrie, lachte, überzeichnete grotesk, und immer wieder wurden Posen sichtbar, wie man sie von historischen Darstellungen des Harlekin kennt. Das am wohltemperierten deutschen Theater geschulte Auge konnte sich anfangs eines erschreckten Blinzelns nicht erwehren.

Auch war es nicht immer ganz leicht, dem Inhalt genau zu folgen, denn Fortuzzi sprach Deutsch mit starkem italienischen Akzent, Italienisch und Latein. Für diese Multilingualität liefert Fo im Text die Begründung. Im 13. Jahrhundert gab es noch keine einheitliche italienische Sprache. Jede Stadt sprach ihren eigenen, keineswegs allgemein verständlichen Dialekt. Allein die lateinische Sprache herrschte städteübergreifend, allerdings nur in der Oberschicht. Schließlich entpuppte sich dieser Wechsel der Sprache als ein atmosphärischer theatralischer Effekt. Der italienische Singsang und das Sakrale des Lateins wurden Musik.

Die Sprachmusik Fortuzzis echote wider im sparsamen, ganz dem Schönen verpflichteten Spiel von Klaus Wuckelt auf der Lyra und im lieblichen, dem zum Teil zotige und derbe Spiel kontrastierenden Gesang des Countertenors Johannes Reichert. Die Inszenierung brauchte den ersten Teil des Theaterabends, um das Publikum an die ungewohnte Theatralik zu gewöhnen. Im zweiten Teil war die „vierte Wand“ dann gefallen und der Betrachter verschmolz mit der Geschichte und der Figur des unheiligen Heiligen. Am Ende, das Theater verharrte nach dem letzten verklungenen Ton der Lyra lange im völligen Dunkel, war die Vereinnahmung des Publikums vollkommen.

Auch mit diesem Text erbrachte Fo einmal mehr die Rechtfertigung dafür, dass er in den Olymp der Weltliteratur aufgenommen wurde. Auf menschlichste Weise führt der Text und führte die Inszenierung des „Theaters Rotwelsch“ vor Augen, wie erbärmlich das allgemein menschliche Verhalten denen gegenüber ist, die auserwählt sind, die Wahrheiten wie eine schwere Last zu tragen. Es war ein Abend, der berührte und nachdenklich machte.

 
Wolf Banitzki

 

 


Franziskus - Gaukler Gottes

von Dario Fo

Alberto Fortuzzi, Johannes Reichert (Countertenor), Klaus Wuckelt (Lyra)

Regie: Winni Victor
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