Werkraum Späte Nachbarn nach Isaac B. Singer


 
 
Übertragung stockend

Mit den Worten „Zwei Seancen von Alvis Hermanis nach Geschichten von Isaac B. Singer“  kündigen die Münchner Kammerspiele den Abend im Werkraum an. Die Rituale um die Beschwörung von Geistern oder Weisen sind so alt wie die Menschheit. Vom Ahnenkult über religiöse Zeremonien bis zu den spiritistischen Zirkeln in der Neuzeit reicht das Spektrum. Jetzt fand die „Direktübertragung aus dem Jenseits“ den Weg auf die Bühne. Nun, der Verfasser der Geschichten „Späte Liebe“ und „Seance“ verweilt bereits seit 1991 im Elysium, doch seine Erzählungen existieren in gedruckter und gesprochener Form millionenfach im Diesseits. Er beschrieb das Leben seiner jüdischen Mitmenschen, ihre Schicksale durch Vertreibung, Flucht und die Stationen in der Neuen Welt Amerika.

Der lettische Regisseur Alvis Hermanis beschwor den Geist Isaac Bashevis Singers und bat diesen, die Geschichte von Harry Bendiner und seiner Späten Liebe zu Ethel Brokeles erneut durchzugeben. Der Schauspieler André Jung spielte das mit dem toten Schriftsteller verbundene „Medium“. Harry, ein alter Mann lebt in einem geräumigen Appartement in Florida, macht einsame Spaziergänge, isst Cornflakes und beobachtet die Kursbewegungen an der Börse in seiner Bank. Vielfältig stellte Jung Harry vor, korpulent und ungelenkig, schwerfällig und entkräftet schritt und wankte er über die Bühne, seine Bewegungen und sein Habitus waren der eines alten müden Mannes. Dazu sprach er: „Harry, öffnet jeden Morgen die Briefe … Er kauft im Supermarkt Obst, Dosengemüse und Hackfleisch mit Zwiebeln.“ Da die Verbindungen zwischen Medium und Meister erfahrungsgemäß immer wieder unterbrochen werden, erklärt sich, wie die langen Pausen zwischen den Sätzen zustande kamen. Was in einer halben Stunde gelesen, in einer Stunde anschaulich dargestellt werden kann, wurde in einer Stunde und fünfzig Minuten wohl „direkt eingesprochen“. Harry Bendiner, alias André Jung, führte in der Leerzeit mit ausgefeilter Körperarbeit die Beschwerlichkeit und Einsamkeit des Lebens im Alter durch Gestik und Mimik und auch einfaches Ausharren vor dem Fernsehgerät, vor Augen. Die Geduld des Zuschauers wurde dabei auf die Probe gestellt. Doch gespannt saß das Publikum und wartete auf die nächsten Worte. Seance. Sind die „Durchsagen“ tatsächlich derart, dass die Wartezeit von drei bis gelegentlich vier Minuten gerechtfertigt ist? Erst als Barbara Nüsse als Nachbarin Ethel Brokeles, blond jugendlich und in amerikanischem Stil gekleidet vor seiner Türe stand, kam Bewegung in das Bühnengeschehen. Zügig kamen die Beiden einander näher, und sinnbildlich wurde die Mauer zwischen den Appartements abgebaut. (Aufwändiges und geschickt konstruiertes Bühnenbild von Monika Pormale, die auch für die Kostüme verantwortlich zeichnete.) Doch dies geschah nur für kurze Zeit, da das Alter seinen Tribut forderte nach dem Aufflammen kindisch überzogener Verliebtheit. Roswitha Dierck brachte überzeugend als vom Leben gebeugte Nachbarin im Morgenrock die letzten Zeilen.
 
seance

André Jung, Barbara Nüsse

© Andreas Pohlmann

 

Eine Wand aus edlen Holzschränken erwartete den Zuschauer zu Beginn der zweiten Seance. Tür für Tür wurde von den Bühnenarbeitern geöffnet und der Blick fiel auf das schmale Appartement von Lothe Kopitzky in New York. Buddhas, religiöse Darstellungen und eigene in Trance geschaffene „automatische“ Bilder schmückten die Wände. Lothe Kopitzky hält Seancen, da ihre karge Pension unzureichend ist und sie zudem Dr. Zorach Kalisher unterstützt. Kalisher, Schriftsteller und Philosoph ohne Einkommen trinkt ihren Tee, knabbert ihre Kekse. André Jung zelebrierte dies in skurriler, auf Effekt bedachte Weise, während Barbara Nüsse, dick und mütterlich, zu Trommelklang in Trance verfiel, oder ihn fütterte und von angenässten Hosen befreite. Dazwischen wurde die Geschichte erzählt. Sie handelt von der Flucht aus Polen, der von Kalisher zurückgelassenen Familie und von seiner Geliebten und seinem Leben in Amerika. Die „Direktübertragung“ ging dabei schneller vonstatten, und am Ende stand die „Erscheinung“ seiner Geliebten (wortlos dargestellt von Roswitha Dierck) im Brautkleid. Die Umsetzung auf die Bühne beschwor die Zeit Mitte des letzten Jahrhunderts herauf und bestätigte: Nichts Neues auf Erden!

Wäre es nicht erfüllender, die Geschichten zu lesen und dabei kontinuierlich mit dem feinen jüdischen Witz und der Mischung aus Mystik und rationaler Vernunft die Bilder der eigenen Fantasie zu beleben, statt auf die Schauspieler und das ausgefeilte, doch realitätsnahe Bühnenbild zu schauen und der Worte zu harren? Ein Abend - zwei Seancen, ansehnlich doch ohne Überraschungen und die Beantwortung der Frage „lesen oder ansehen“ blieb auf Grund der realistischen und doch gelegentlich überzeichnenden Gestaltung  André Jungs bestenfalls unentschieden.

C.M.Meier

 

 


Späte Nachbarn

nach Isaac B. Singer

André Jung, Barbara Nüsse, Roswitha Dierck

Regie: Alvis Hermanis

Werkraum Familienbande von Lola Arias


 

 

 
Alltag tun

im Werkraum der Münchner Kammerspiele: Welch grandiose künstlerische Idee, jede Figur sich selbst sein zu lassen. Die Aktion, eine „real Fiktion“, Realität zu Bühnengeschehen gestaltet, gab den Blick frei auf ein bestimmtes Haus in dem süddeutschen Dorf Schmieden und das Zusammenleben von seinen Bewohnern und zwei Hasen. Eine große Rasenfläche, eingegrenzt von zwei Baumreihen, erstreckte sich vor einer Holzfassade. Durch Tür und Fenster gab diese den Blick in das Innere des Hauses frei, und diente auch als Projektionsfläche für die darin mit der Kamera aufgenommenen Bilder. Hier agierten Tochter und Vater neben Kleinkind, der Erbin des Hauses, und ihrer Country Musik singenden Lebensgefährtin. Die besondere Konstellation von Zusammenleben wird scheinbar besprochen, wobei die Mutter und die Frau der Mutter den Dreh- und Angelpunkt bilden.

Die Regisseurin und Verfasserin Lola Arias sammelte, dekorierte und arrangierte aus der Realität in eine gefällige Bühnenhandlung. Ihr definiertes Anliegen war das Aufzeigen von persönlichen Bindungen.
Der zusammengestellte Text bestand unter anderem aus einem persönlichen Traum und Wahrnehmungen in einem Supermarkt, sowie immer wieder aus Frage- und Antwortspielen: „Was wäre wenn ... ich ein Mann wäre?“ „Dann würde ich Motorrad fahren ... einen Bart tragen ... Cowboy werden“ oder ein anderes „Mein Vater hat ...“ „Mein Vater hatte einen Bart ... Mein Vater fuhr einen Käfer und einen VW-Bus.“ Dazwischen liefen Mutter Katja Bürkle und Tochter Lena Huber in gleichen roten Kleidern über den Rasen vor dem Haus und posierten im Fenster oder auf der Schaukel, während die andere Mutter, Silja Bächli, einen Song zum Besten gab. Vater Florian Huber spielte mit seiner Tochter oder saß mit ihr auf dem Motorrad und der Ventilator erzeugte dazu mächtig Fahrtwind, der die Haare fliegen ließ. Das Kleinkind Moses wurde von Arm zu Arm gereicht, alle und keiner beschäftigten sich tatsächlich mit ihm, der Frucht wissenschaftlicher Befruchtung. Samenspender Florian Huber trat an die Rampe, äußerte glaubhaft seine Bedenken zu dem Vorgang, sein Zögern, gab aber zu letztlich doch mitgemacht zu haben. Während des Aufhängens von Wäsche auf die Leine erklang eine Überfülle von Klischees, Volksweisheiten und Zitaten: „Der Hund ist der beste Freund des Menschen. – Sterben ist wie Schlafen, aber für immer.“ Daraufhin gruppierten sich die Personen auf dem Sofa, wie für das Familienalbum – Vater, Mutter, Tochter oder Mutter, Mutter, Sohn oder Mutter, Mutter, Vater, und und und. Mit Puppenspiel im Puppenhaus wurde Familiengeschichte erzählt ... Schließlich galt es eine und eine halbe Stunde Aktionszeit zu füllen.

Große Teile des Publikums, vor allem die jüngeren und älteren Frauen, lachten und freuten sich über das Kleinkind auf der Bühne, besonders, wenn dieses breit grinsend auf der Schaukel saß oder am Tisch kleine Gurken verzehrte. Ebenso entlockten die beiden Hasen interessierte Reaktionen. Das kann doch eine gelungene Aktion genannt werden! Auch wenn Lola Arias durch Katja Bürkle die Forderung nach neuem Vokabular für das Zusammenleben in den Raum stellen ließ und doch selbst kein einziges Wort dazu beitrug?

 

Lena Huber, Florian Huber

© Andreas Pohlmann

 

Ein Wort hätte Lola Arias einfallen bzw. begegnen müssen. Es ist das Wort Matriarchat, das es bereits seit Beginn der Kulturgeschichte gibt. Dieses beschreibt Formen des Zusammenlebens von Frauen, bei dem Männern untergeordnete oder gar beiläufige Rollen zukommen. Samenspenden könnte als solche beiläufige Rolle bezeichnet werden und auch das wird, dank der Wissenschaft und Gentechnik, bald nicht mehr nötig sein. Die Männer abschaffen also zum Wohl der Frauen und Schaden der Kinder? Könnte das die Botschaft sein?

Zyklisch kehren sie wieder, die Zeiten in denen in der Welt der Ruf nach Müttern laut erschallt, in denen ihnen Orden verliehen oder Prämien aussetzt werden. Zeiten in denen die Mütter die Geschicke in die Hand nehmen an den Werkbänken, den Schreibtischen, den ... Es sind auch die Zeiten, in denen die Männer im Krieg fallen oder in der Gesellschaft vom System, dessen Dienern und seiner Ideologie ohnmächtig beiseite geschoben werden. Doch wie bereits erwähnt geschieht dies zyklisch und damit ist das Ende, der Wandel absehbar und genau hier bedarf es des Menschen, des vollständigen Menschen.

Es ist die biblische Geschichte von Moses, die ebenso beifällig wie die Banalitäten auf der Bühne erzählt wurde. Sie gilt es wahrzunehmen bei dieser Schau-Aktion. Dem aus künstlicher Befruchtung hervorgegangenen Kleinkind, fehlt der Wesenskern, der ein Ergebnis des natürlichen Zeugungsaktes ist. Dieser macht den Menschen einzigartig und damit wechselseitig bezogen auf Vater und Mutter, auf Schwester und Gleichartige, macht ihn zum sozialen Wesen, gibt ihm Identität. Es ist also ein tragisches Beispiel, das Einzug in den Königspalast, die Kammerspiele gehalten hat. Wenn das Kleinkind nun tatsächlich den Namen Moses trüge, und damit „Führer“ aus einem „Land“ zurück, zurück zu „Urgründen“ wäre, stünden wir, die Menschen, bereits hinter einem Punkt der Entscheidung, da täglich vielfach künstlich befruchtet wird. Das Ende des Menschen im klassischen Bild wurde dadurch eingeleitet. Das sieht nach Irrweg, Verlust des gelobten Landes aus, auf den sich nach neuen Gebieten suchende Wissenschaftler begeben haben. Nicht alles was möglich ist, ist sinnvoll.

Wenn auch die von den Männern unter Beihilfe starker und/oder willfähriger Frauen geschaffene Kultur und Zivilisation in der Form, in der wir sie heute kennen, keineswegs der „Weisheit letzter Schluss“ sein darf, so ist diese doch allemal spannender als pures natürliches Rudelverhalten und Arterhaltung als entscheidender Lebenszweck. Letzteres führte die Unternehmung von Lola Arias genauso deutlich vor Augen. Die Lösung kann nur im Menschen, in beiden Gestalten, im Gleichgewicht und Austausch in adäquater Form liegen. Dies wäre für mich die einzig sinnvolle Botschaft des Schau-Spiels.

 
C.M.Meier

 

 

 


Familienbande

von Lola Arias

Silja Bächli, Katja Bürkle, Florian Huber, Lena Huber, ein Kleinkind, 2 Hasen

Regie: Lola Arias

Werkraum Draußen tobt die Dunkelziffer von Kathrin Röggla


 

 

 
Dunkelzifferer hört die Signale ...

Der Wald, eine raumgreifende Großbild-Metapher, steht für die geläufige Phrase "wir stehen im Wald", was soviel bedeutet wie "wir haben den Weg verloren", finden keinen Ausweg, weder im Geist noch in der Handlung. Mit einem naturgetreuen Bild des Waldes, eines verwilderten verwahrlosten Teils, führte die Bühnenbildnerin Nadia Fistarol dem Publikum unübersehbar die katastrophale Lage der "Dunkelzifferer" vor Augen. Und verwildert mutet auch das Stück der österreichischen Erfolgsautorin Kathrin Röggla an. Nur für den Beginn gibt es Regieanweisungen, danach sind die Teile der Bühnenperformance den Intentionen des Regisseurs gemäß beliebig einsetzbar, genau wie es dem Dilemma entspricht. Es ist letztlich ohne Bedeutung, ob die Schuldenfalle wegen offener Handyrechnungen oder unbezahlter Stromkosten zuschnappt, ob am Anfang der Konsumwahn oder schon die ererbte Suchtkrankheit Kaufrausch steht.

Die Regisseurin Felicitas Brucker hat gleich an den Anfang, wohl wegen der stärkeren Dramatik, die Selbstmorde einiger mutmaßlich hoch verschuldeter Paare gesetzt. Man bewirft sich mit altbekannten Unfähigkeitszuweisungen, um schnell und kurzerhand zu Pistole und Tablette zu greifen. Wieder zwei Tote! Das heißt in der Inszenierung sind es dann immer gleich vier. Das geschieht wohl der besseren Anschaulichkeit wegen.

 

Martin Butzke, Caroline Ebner, Daphne Wagner, Walter Hess, Anna Böger, René Dumont

© Andreas Pohlmann

 

Also, worum geht es eigentlich? Es geht um die Staatsschulden, die privaten Insolvenzen und die Konsequenzen für die Betroffenen. Das vergaß ich zu Beginn anzuführen. Doch ich habe auch erst aus dem Begleitmaterial nachträglich näheres erfahren. Der Text besteht über weite Strecken aus Phrasen, beliebig einsetzbar.

Die Autorin hat zu diesem Thema weit ausgeholt, gründlich und umfassend recherchiert und eine abstrakte Essenz wiedergegeben. Dies geschieht im einem, wie die Ankündigung verlauten lässt, poetischen Sprachspiel. Aufgehen mag dies wohl für jene Zuschauer, denen die Wiederholung des Wortes "Geld" Poesie bedeutet.

Für die Darsteller war es sicherlich eine besondere Herausforderung, da der dramatische Entwurf keine Figurencharakteristiken enthält, sondern aus scheinbar wahllos sprudelnden Satzkaskasden besteht. Unter diesen Umständen gelang es René Dumont am ehesten, eine menschliche Figur dauerhaft sichtbar zu machen. Der Text weist weder eine Geschichte, noch einen gedanklichen Faden auf, ist mit zahllosen Brüchen angereichert und besteht zudem auch noch aus abstraktem Wortmaterial. Demzufolge hatten die Schauspieler wiederholt Probleme diesen sprachlich zu bewältigen.

Ausgangs trugen die Deklamierenden T-Shirts mit den Bildnissen von Che Guevara, Karl Marx, Joschka Fischer und dem RAF-Stern, galt es doch, dem Zuschauer eine Lösung, den Aufbruch aus der neoliberalen Zeit zu signalisieren. Dies ist umso erstaunlicher, als die Autorin ihren Text nicht als Kapitalismuskritik verstanden wissen will, oder diesen gar grundsätzlich in Frage stellt. "Ich will niemanden abhalten, Schulden zu machen." Worum geht es eigentlich? Ist das Ganze vielleicht gar nur die Mimikry einer Intellektuellen?

Was mir im Ohr geblieben ist, das sind die desillusionierenden Worte eines Zuschauers im Werkraum der Münchner Kammerspiele: "Ob hier wohl das geeignete Publikum für so ein Stück sitzt?"
 
 
C.M.Meier

 

 


Draußen tobt die Dunkelziffer

von Kathrin Röggla

Anna Böger, Martin Butzke, René Dumont, Caroline Ebner, Walter Hess, Daphne Wagner

Regie: Felicitas Brucker

Werkraum Engel von Anja Hilling


 

 

 
Am Rande des Meers ...

sitzt der Zuschauer im Werkraum der Kammerspiele, um dem Spiel von "Engeln" beizuwohnen. Vor seinen Augen wölbt sich eine Welle, eine Düne, das von Frauke Löffel höchst sinnfällig gestaltete Bühnenbild. Sie dient auch als Projektionsfläche für überdimensionale Tattoos, die Brandzeichen für beliebige Figuren, die auch zu Denk- und Verhaltensmustern in Bezug gesetzt werden können. Zeige mir dein Tattoo und ich sage dir ...

Als Gott noch sein Auge auf seine Schöpfung, die Wellen, die Dünen warf, waren Engel die Mittler zwischen ihm und den Menschen. Unter Platonischem Einfluss wurden sie die Geisteskräfte und Ideen Gottes genannt und Thomas v. Aquino und Dante sahen in ihnen die bewegenden Kräfte der Welten. Ob sie der Auflösung der Einheit von Raum, Zeit und Handlung zum Opfer gefallen sind?
"Die cartesianische Gewissheit des ‚Ich denke', die als notwendige Bedingung eine gemeinsame Erfahrungswelt einmal sichern sollte, hat sich aufgelöst in die innere Gewissheit des ‚Ich fühle'. Nicht umsonst hat sich Anja Hilling durch die Lektüre des Buches ‚Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte' von dem Neuropsychologen Oliver Sacks inspirieren lassen.", so Marion Tiedtke nach einem Gespräch mit der Autorin.
 

Julika Jenkins

© Andreas Pohlmann

 

Von Gott ist jedenfalls keine Spur mehr in einer von Neuropsychologen erklärten Welt. So ging es vielmehr um die modernen esoterischen Engel, die in ihrer psychologischen Befindlichkeit gefangen sind. Da trieben Figuren verloren auf der und über die Welle, lagen blutend im Sand der Düne, weinten herzzerreißend vom Schmerz der Trennung zu Boden gestreckt, trafen einander eher Gespenstern gleich, um im kleinen Hickhack aufeinander loszugehen. "Wie sehr liebst du mich? Wie sehr liebst du mich? Wie sehr liebst du mich? Liebst du mich auch noch, wenn von mir nur noch ein Geruch und eine Erinnerung geblieben ist?"
Sehnsucht, Liebe, Angst, Erwartungen sind die Themen an denen sie "in einem mysteriösen Kaleidoskop der Begegnungen" (so das Programm) scheitern. Die Enge des Bewusstseins einer jeden Figur wurde überdeutlich. Angst und Aggression sind die letzten Beweggründe die noch Reaktion hervor rufen.

Der Autorin Anja Hilling gelang es, trotz kurzer Szenen und harter Schnitte, wie sie gerne beim Film verwendet werden, nicht die Fäden der Handlungen völlig zu kappen. Puzzleartig fügen sich die Szenen gegen Ende doch zusammen und lassen eine Logik erkennen, die Logik der Dekonstrukion und des Erzeugens von Brüchen. Die Figuren wechseln zwischen Prosa und dramatischen Dialog und nicht selten klang "Engel" Astas Erläuterung belehrend. Immerhin versuchte sie eine "Botschaft" an das Publikum zu bringen.

Die Aufführung verlangte den Darstellern vor allem körperlichen Einsatz ab, galt es doch für alle immer wieder die steil ansteigende Welle zu bewältigen. Im Laufschritt, im Tanzschritt, wutentbrannt oder verzweifelt auf allen Vieren wurde der Text durch Gefühl und Bewegung unterschützt. DJ-Pult, Musikeinlagen, Mediashow und ein Fernseher im Hintergrund rundeten die zeitgenössische Inszenierung von Felicitas Brucker ab.

 
C.M.Meier

 

 


Engel

von Anja Hilling

Arvild Baud, Julika Jenkins, Sylvana Krappatsch, Stefan Merki, Lasse Myhr, Susanne Schroeder, Anna Maria Sturm, Sven Walser, Sebastian Weber

Regie: Felicitas Brucker

Werkraum Monsun von Anja Hilling


 

 

 
Kein Wort über Monsun

Die Geschichte der Anja Hilling ist eine Geschichte der Ehrungen und Auszeichnungen. Zu einem "Gottesgeschenk" - der Vergleich mit William Shakespeare wird nicht gescheut - wird die 1975 geborene Autorin in "Theater heute" erklärt. Wann werden derartige Superlative endlich den Realitäten weichen? "Superlative taugen lediglich für Polemik." (Jorge Luis Borges)

Bemerkenswert und aufschlussreich sind die medialen Kommentare zum Werk Anja Hillings: "Es geht um nichts und um alles. Es geht um die Einsicht, nichts zu wissen, es geht um die Freiheit, die immer vor allem Verlust ist. Von Strukturen, von Leben, von Sinn." (Simone Meier in Theater heute Jahrbuch 2005)
Aber auch zu formalen Aspekten des Textes "Monsun" finden sich einige erstaunliche Unverbindlichkeiten wie: "Monsun (sollte) ein ‚klassisches Stück' werden, eins mit fünf Akten und Regieanweisungen und echten Dialogen. Das ist es geworden und auch wieder nicht. … Filmisch ist der Text, aber überhaupt kein Drehbuch." (Marion Hirte in Theater heute Jahrbuch 2006)

Alles klar? Nein? Aber wir müssen doch immerhin zugeben, dass es gut klingt! Innovativ, kreativ und allemal preisverdächtig. Nein, neue Theaterformen werden nicht entwickelt und die Geschichte ist "melodramatisch wie eine Vorabendserie". Da diese Ästhetik denn auch sicherheitshalber zur Methode erklärt wird, avanciert Künstlichkeit zur Kunst.
 

Tanja Schleiff, Anna Böger, Paul Herwig, Caroline Ebner

© Arno Declair

 

Nein, das Ganze ist nur eine weitere Facette des Erosionsprozesses von tradiertem Theater und seinen Formen. Daran ändert auch die Schönrederei der Kritik nichts. Gegen die Zerstörung von Formen ist grundsätzlich nichts einzuwenden, hat dieser Prozess doch nicht selten neue Formen hervorgebracht. In der heutigen Theaterlandschaft ist diese Zerstörung allerdings kein zielgerichteter Vorgang mit Erkenntnisanspruch, sondern Symptom für einen Sinnverlust. Theater wird heute, weg von einer sinnstiftenden oder zumindest sinnerhellenden Einrichtung, hin zu einem Unterhaltungsmedium mit intellektuellem (auch elitärem) Anspruch entwickelt. Es wirken inzwischen dieselben Mechanismen wie bei einer Soap-Opera, nur auf höherem ästhetischen Niveau. Dabei bedient sich der Autor auf seine Weise, denn er muss seine Geschichten nicht mehr durchleiden und eine Kindstötung hat die gleiche Beiläufigkeit wie ein One-Night-Stand. Das Publikum reagiert seinerseits dankbar, entgeht es doch der Gefahr schmerzhafter Einbezogenheit. Meist ist es dann auch noch lustig. Was will man mehr!

Worüber wird hier eigentlich geredet? - Über eine recht dünnblütige Geschichte, die nicht selten klischeehaft ist und im Fortgang durchaus vorhersehbar. Bruno ist Drehbuchschreiber für eine Soap mit dem beziehungsreichen Namen "Tränenheim". Am Tag, als er mit seiner Assistentin das erste Mal Sex hat, wird sein Sohn Zippo (Ohne Kult geht es nicht!) von Melanie überfahren. Melanie reist verzweifelt nach Vietnam, um sich in Studien zu verlieren. Paula, Zippos Mutter, reist ins Haus von Melanie auf Rügen, um sich zu finden. Paul verliert seinen Job, treibt es weiter mit seiner Assistentin und sucht Erlösung im Schreiben eines "richtigen" Drehbuchs - Thema: Zippos Tod. Und Coco, die (zum neunten Mal) künstlich befruchtete lesbische Geliebte Melanies, avanciert zur Hoffnungsträgerin. Am Ende verliebt sich Paula in Coco, weil in dieser die vermeintliche Reinkarnation Zippos reift. Bevor der Vorhang fällt, freut sich Bruno auf Paula und kann doch nicht zu ihr kommen, denn irgend etwas ist zerstört.

Regisseur Roger Vontobel macht schließlich das Beste aus dem dramaturgischen Konstrukt, angefüllt mit Stimmungsbildern, hinter denen die angelernten Produktionsmechanismen des "szenischen Schreibens" allzu sichtbar werden. Seine Lösungen sind im Gegensatz zur Vorlage selten vorhersehbar und er nutzt von Videoprojektionen bis ausgefeilter Lichtregie so ziemlich alles, was Theaterzauber entfachen kann. Dennoch bleibt die Magie aus, da die Geschichte nicht wirklich greift. In einer Welt zwischen Medienbusiness und Pumuckel-Kinderland werden Leben gelebt, die fadenscheinig sind, da sie plakativ bleiben und im gefühlschwangeren Ton einer Mediensprache kommentiert werden.

So bleiben am Ende auch die Potenzen der exzellenten Schauspieler unausgeschöpft. Die Künstlichkeit des Textes überträgt sich nicht selten auf das Spiel der Darsteller. Anna Böger als Sybille bleibt über weite Strecken farblos und ohne stärkeren Einfluss auf das Geschehen. Caroline Ebner profitiert von ihrer eigenen, sehr berückenden Erscheinung, was das Leid der Mutter Paula glaubhaft macht. Die Geschichte hinter ihrer Darstellung könnte aber auch durchaus eine andere sein. Es ist der elementare Habitus Caroline Ebners der hier trägt. Auch Tanja Schleiff muss unter ihren Möglichkeiten bleiben, da ihre Rolle als Coco nur sehr wenig emotionale Doppelbödigkeit bereithält. Nicht selten erweckt diese eher filmisch angelegte Rolle den Anschein der Quotenfunktion. Paul Herwigs Bruno ist nervig, überbordend und die Zwischentöne klingen nicht selten so bemüht wie sein Text.

Die Inszenierung wird jenen Zuschauer erreichen, der Ansprüche ans Theater hat, jedoch nicht bereit ist zu einer Katharsis, - der unterhalten werden möchte, ohne auf einen intellektuellen (künstlerisch-darstellerischen) Anspruch zu verzichten, - der sich nicht schwer damit tut, Konflikte zu erleben, die letztlich keiner Lösung zugeführt werden.

Auch dieses Stück ist ein weiteres Indiz für die Sinnkrise der Gesellschaft, die in der Kunst nicht überwunden wird. Es ist übrigens in allen sinnkrisenhaften Zeiten zu beobachten, dass anstelle von künstlerischen Ereignissen die Lobpreisungen von Künstlern treten.Die täglichen Preisverleihungen sollen suggerieren, dass wir eine gute Kunst haben. Und der Künstler? Er kann sich immerhin damit trösten: Ich bin preisgekrönt, also bin ich.

 

Wolf Banitzki

 

 

 

 

Monsun

von Anja Hilling

Caroline Ebner, Paul Herwig, Anna Böger, Tanja Schleiff

Regie: Roger Vontobel