Theater im Marstall Tänzerinnen + Drücker von Franz Xaver Kroetz
Statische Massenbewegung
oder Deutschland live. Fauteuil, Stehlampe, Bierkasten, Fauteuil, Stehlampe, Bierkasten, Fauteuil, Stehlampe, Tisch, Sofa, Stuhl, Tisch, Rollstuhl, ein Mops, sieben Personen - sieben Fernseher. Das Bühnenbild signalisiert - Singlegesellschaft, Vereinsamung - nein - denn es herrscht eine alles vereinnahmende und damit verbindende mediale Wirklichkeit, in die man sich längst bedingungslos ein- oder untergeordnet hat.
Vier Männer unterschiedlicher Ausprägung, doch alle TV-Zapper und Wechselwähler, sind verbunden über das Eine, das Fernsehen mit seinen verschiedenen Programmen - 10.30 Reich und schön 11.15 kurz & rund 11.30 Hit Giganten (Wiederholung) 12.00 Heute aktuell ... Marcus Calvin, Robert Joseph Bartel, Christian Lerch und Peter Albers traten als geballte Kraft auf. Mit einer Stimme, einig, oder abwechselnd auf Zuruf reagierend, spulten sie das Repertoire möglicher Reaktionen männlicher Fernsehkonsumenten ab, die sich unbeobachtet fühlen. Die Hand hoben sie nur noch, um nach der Fernbedienung zu greifen oder sich zu vergewissern, dass sie doch noch Männer sind. Sex, Gewalt, Politik bestimmten den medialen Pool in dem sie sich tummelten.
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© Thomas Dashuber
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Die ungenießbaren Krautwickerl des Heimes waren die Verbindung zwischen Eva Schuckardt, Jennifer Minetti und Sibylle Canonica. Sie, die Frauen, waren beständiger in ihren Fernsehgewohnheiten, hielten Pfarrer Fliege oder James Dean die Treue. Sie waren vormals Pornostar oder Tänzerin in einem echten Leben und ihre letzte Chance auf Aufmerksamkeit wäre ein grandios inszenierter Tod. Sie suchten ihn, suchten ihn mit poetischen Bildern. Das Blut lief bereits aus den Adern, doch die Nachtschwester mit dem Putzlappen kam nicht, um es aufzuwischen.
Franz Xaver Kroetz warf einen kritischen Blick auf die Mediengesellschaft, die in den 70zigern propagiert wurde und heute von Mogulen wie R. Murdoch, R. Mohn, S. Berlusconi u.u.u. gesteuert und benutzt wird. Gelungen ist ihm in seinem TV-Massaker neben satirischer Betrachtung und Unterhaltung, eine entlarvende psychologische Skizze sowohl exemplarisch über die einzelnen Figuren, als auch das System an sich. Was oberflächlich betrachtet als reine Reflektion herrschender Zustände daherkommt und sich offensichtlich provokant gibt, entdeckt auch die Abgründe und die damit verbundene Tragik. Kroetz bringt in seiner Inszenierung den übriggebliebenen ungenießbaren Extrakt von vormals Menschlichem auf die Bühne und setzt diesen in Bezug zum Apparat.
Doch das typisch deutsche Fernsehpublikum dürfte im Marstall der Residenz allerdings wohl weniger unter den Zuschauern vertreten sein, als die Medienmacher per se, sowie andere Drahtzieher und Systembediener. Also Gaudium auf Kosten der Quotenbringer? Da ist Kroetz vor: "Es kann nicht sein, dass wir als Zuschauer geboren werden und als Wegschauer unsere maximale Entwicklung nehmen!" Während Wissenschaftler darüber konferieren, dass mediale und nichtmediale Wirklichkeit verschmelzen, "amüsieren wir uns zu Tode", wie der bekannte amerikanische Medienkritiker Neil Postman schon vor Jahren feststellte. Sein Appell verhallte und der von Kroetz?
Der Zug ist, so scheint es nicht nur, längst abgefahren und es sangen die Männer beim Abgehen von "Einigkeit und R... undfunk und F... ernsehen (Variation des Kritikers) für das deu...", wie eine Kampagne des wirklichen Diktators dies derzeit vorgibt - die Macher und ihre Marionetten.
Die anregende Inszenierung ist im Gegensatz zur Fernsehrealität keinesfalls statisch, sondern gehört zu den bewegenden Ereignissen. Die durchweg brillianten Leistungen der Schauspieler machten jede der Aktionen zu einem sinnlich erfahrbaren Genuss. Im Gegensatz zur Mattscheibe entstehen hier noch echte Emotionen, können Erkenntnisse resultieren.
C.M.Meier
Tänzerinnen + Drücker
von Franz Xaver Kroetz
Marcus Calvin, Robert Joseph Bartel, Christian Lerch, Peter Albers, Eva Schuckardt, Jennifer Minetti, Sibylle Canonica, Daniel Reinhard (Souffleur)
Regie: Franz Xaver Kroetz |
Theater im Marstall Der Hässliche von Marius von Mayenburg
Schön. Schön.
Schön ist, was gefällt, hieß es früher im Volksmund. Ist im Zuge des allgemeinen Wandels heute nur noch schön, was dazu erklärt wurde? In einer Gesellschaft, in der das Selbstgefühl der Menschen extrem stark von ihrem Äußeren abhängt und es keine Probleme mehr verursacht, diese Oberflächen zu korrigieren, kann alles in perfekte Form gebracht werden. Ist das aber bezeichnete Perfekte nicht lediglich die Umsetzung einer Vorstellung, damit Reduktion des in sich individuell Vollkommenen? Die Perfektionierten gleichen sich, nur die Hässlichen unterscheiden sich deutlich.
Der Hässliche, Lette, ist ein begabter Ingenieur, welcher eine grandiose Erfindung gemacht hat. Dass er hässlich ist, erfährt er erst von Scheffler, seinem Chef, als es um die Vorstellung seines Produktes auf dem Markt geht. Seine schöne Frau Fanny hat ihm bislang immer ins linke Auge geblickt und daran ihre Liebe zu ihm festgemacht, oder an seiner Stimme. War ihre Beziehung zu ihm also bisher eine rein akustische? Da Lette nicht hinter seinen Assistenten Karlmann zurück treten möchte, bleibt ihm nur eine Schönheitsoperation. Chirurg Scheffler will aber erst überredet werden, denn die Aufgabe scheint übergroß.
"Aber ich finde, Narzissmus ist nichts, was man anprangern kann, nicht mit gutem Gewissen und nicht vernünftiger Weise, und so schlimm ist das alles nicht. Sondern in erster Linie lustig.", so Marius von Mayenburg. Wahrnehmungen und Vorstellungen bilden den Kern in seinem Stück "Der Hässliche". In dieser Komödie, die durchaus Tiefgang hat, geht es um den Umgang mit Schönheit und Individualität in der modernen Gesellschaft. Gewitzt, satirisch, mit trockenen Pointen geht der Autor heran. Seine Figuren hinterfragen sich auch, selbst wenn nichts dabei heraus kommt. Gerade das macht den Reiz des Werkes aus. Und das darzustellen, war die Kunst, die die Darsteller Jens Harzer, Thomas Loibl, Marina Galic und Peter Kampwirth mit Bravour meisterten. Sie stellten abwechselnd verschiedene Figuren dar und wechselten gekonnt mitten in der Szene Text und Charakter, ohne sich äußerlich zu verändern. Mit vollem Einsatz, sprachlich mimisch und körperlich, hatten Thomas Loibl und Jens Harzer die Komödie zum Laufen gebracht. Zwei große komödiantische Talente spielten sich zu, stockten schon mal, kaum merklich, da das Spielvergnügen auch ihr Zwerchfell reizte. Das übertrug sich auf die Zuschauer und beförderte die Dynamik dieser Inszenierung.
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Jan-Peter Kampwirth, Thomas Loibl, Marina Galic, Jens Harzer
© Thomas Dashuber
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Die Absurdität der Vorgänge fand nicht nur sprachlich Ausdruck, sondern wurde auch in drastisch komischen Situationsbildern vorgeführt. Chirurg Scheffler (Thomas Loibl) bearbeitete seine Patienten mit vollem Körpereinsatz, drang geradezu bis zu ihrem innersten Wesen vor. Stets begann er mit der Nase, "... denn die steht am weitesten vor im Gesicht". Jens Harzer vollzog die Wandlung vom unbedarften hässlichen, doch liebenswerten, bis zum selbstgefälligen Zeitgenossen, vor dessen Tür die Frauen um ein Autogramm Schlange standen. In Gestik und Mimik fein intensiv und unnachahmlich, forcierte er den Text. Marina Galic und Jan-Peter Kampwirth sprangen überzeugend von Figur zu Figur in einer Szene.
Die klare Inszenierung von Britta Schreiber, die karge Bühne (Halina Kratochwil), die wenigen Requisiten lenkten die Konzentration auf die Sprache und den Witz hinter Text und Darstellung. So sollten die Bilder in den Köpfen der Betrachter entstehen. Doch die Realität auf der Bühne fesselte die Aufmerksamkeit bisweilen weit mehr.
Perfekt ist das Werk nicht, vielmehr ist es sehenswertes Theater, das durch ausgezeichnete Inszenierung und hervorragende Darsteller besticht.
C.M.Meier
Der Hässliche
von Marius von Mayenburg
Jens Harzer, Marina Galic, Thomas Loibl, Jan-Peter Kampwirth
Regie: Britta Schreiber |