Kammerspiele Neues Haus Hamlet von William Shakespeare
Hamlet reloaded
Hamlet ist vielleicht das bedeutendste Drama in der europäischen Kulturlandschaft. Warum? Weil es seit 400 Jahre so oft „geliked“ wurde? Weil sich eine Menge Sätze im Sprachgebrauch als Sprichwörter festgesetzt haben? Weil es zum Bildungskanon gehört und man es gesehen haben muss? Nein, es ist so ein grandioses Werk, weil in ihm viele der existenziellen Menschheitsfragen gestellt werden, und zwar auf einer sehr individuellen Ebene, die eine philosophische Ebene deutlich in Aussicht stellt und damit die Erkenntnis und Definition von Werten nach sich zieht. „Sein oder Nichtsein?“ Vor dieser Frage erblasst die Welt ob ihrer Größe. In ihr geht es um Alles oder Nichts. Shakespeare stellte zwei Möglichkeiten in Aussicht: „Obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern / Des wütenden Geschicks erdulden, oder, / Sich wappnend gegen eine See von Plagen, / Durch Widerstand sie enden?“ Hier lauern die Fallstricke, denn Widerstand kann auch Tod bedeuten. Nicht Widerstand zu leisten, allerdings auch und dann ist da immer noch der Freitod. Aber um Tod, um Nichtsein geht es allemal. „ Sterben – schlafen - / Nichts weiter! – und zu wissen, dass ein Schlaf / Das Herzweh und die tausend Stöße endet, / Die unsers Fleisches Erbteil – `s ist ein Ziel, / Aufs innigste zu wünschen.“
Diese Zeilen machen Gänsehaut, lässt man sich auf ihren Inhalt ein. Dabei sind diese Verse zwar von Shakespeare, ihr Inhalt jedoch nicht. Der erschließt sich Hamlet aus einem Buch, während er ziellos die Gemächer von Helsingör durchstreift. Auf die Frage Polonius`, was er denn lese, antwortet dieser: „Worte, Worte. „ Es sind nicht irgendwelche Worte, sondern die des Mathematikers, Mediziners, Philosophen und Astrologen Girolamo Cardano (1501-1576). Dessen Buch „De Consolatione“ (Die Tröstung) wurde als „Hamlet`s Book“ identifiziert. Cardano war ein vom Schicksal schwer geprüfter Mann. Er musste die Hinrichtung seines Sohnes mit anschauen, war lebenslang Zielscheibe von Verleumdung und Neid. Als Kenner der Philosophen von Plato bis Boethius war er Stoiker mit christlichem Hintergrund. Als solcher hatte er auch eine ambivalente Haltung zum Tod und scheute sich nicht, über die Alten zu sagen: „Von den Jungen werden sie verachtet, von ihren Familien gehasst. Die Sinne dienen ihrem Körper nicht, die Körper gehorchen nicht ihrem Geist, die Nächte verbringen sie schlaflos und sie essen ohne Appetit. Sie sind sich selbst ein Graus, wie könnten sie für andere eine Freude sein? Wie viele alte Männer hat es gegeben, für die es besser gewesen wäre, jung zu sterben?“ Cardano sieht im Tod nichts schlechtes, vergleicht ihn mit einem tiefen Schlaf, mit einer langen Reise oder mit völliger Zerstörung. Er denkt an eine friedliche Reise seiner Seele ohne Wiederkehr. Doch Shakespeare, Cardano im Wesentlichen folgend, geht einen großen Schritt über diesen hinaus. „Sterben – schlafen - / Schlafen! Vielleicht auch träumen! – Ja, da liegt´s / Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen, / wenn wir den Drang des Ird´schen abgeschüttelt, / das zwingt uns still zu stehn.“ Nein, für Shakespeare gibt es kein Entrinnen, keinen jenseitigen Frieden. Das ist wahrer Pessimismus, der übrigens nicht aus der Feder des William Shakspere aus Stratford-upon-Avon stammte, in dessen Besitz sich bei seinem Tod kein einziges Buch fand, sondern aus der Edward de Vere´s, 17. Earl of Oxford.
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Walter Hess, Katja Bürkle
© Thomas Aurin
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Diese wunderbare, tiefgründige, viele große Fragen der Menschheit aufwerfende, tragische Geschichte des Prinzen „Hamlet“ kam nun in der Inszenierung von Christopher Rüping auf die Bühne des Neuen Hauses der Münchner Kammerspiele. Diese war gänzlich mit einem durchlässigen Gitterrost auf etwa einen halben Meter erhöht. Links ein großes LED Laufband, im Hintergrund drei riesige Plastikbehälter, vermutlich 1000 Liter Fassungsvermögen jeder. Dieses Bühnenbild, das sich alsbald als Spielraum mit Schlachthofcharakter entpuppte, stammte von Ramona Rauchbach und erwies sich schnell als sehr praktisch. Die drei Darsteller kamen mit den ohrenbetäubend aggressiven Fanfarenstößen Christoph Harts, der, ständig mit seinem Keyboard präsent, für die Musik verantwortlich zeichnete. Sie zapften aus den Plastikbehältern eimerweise Blut, vergossen es auf dem durchlässigen Bühnenboden und übergossen sich schließlich selbst oder gegenseitig. Das meinte: Die Schlachten sind geschlagen, alle bis auf Horatio, Hamlets einziger Freund, sind tot. Hamlet, immer noch als Hamletmaschine - gemeint ist das LED Laufband - weigert Horatio dessen Tod und beauftragt ihn, der Welt von Hamlet zu berichten. Alle, Katja Bürkle, Walter Hess und Nils Kahnwald, schlüpfen nun in die Rolle des Horatio, um die Geschichte Hamlets zu erzählen. Dabei schlüpfen sie auch in alle anderen Rollen. Jeder Tod indes wird mit eimerweise Blut begossen, während die Hamletmaschine, ein von Heiner Müller in Anlehnung an Hamlets Brief an Ophelia („Der Deinige auf ewig, teuerstes Fräulein, solange die Maschine ihm zugehört. Hamlet.“) kreiertes Prinzip, beinahe buchhalterisch die Namen der Gefallenen streicht.
Hamlet war bei Christopher Rüping nicht der grüblerische, verzweifelte junge Mann, dem als Intellektuellen nur die Intrige bleibt. „Es ist nicht die Geschichte eines Zweiflers und Zögerers, sondern die Geschichte eines Radikalen, der fanatisch zur gewaltvollen Veränderung der Welt aufruft.“ (Programmheft) So wurde die Szene von Gewalt dominiert. Besonders Katja Bürkle lief in ihrer maskulinen Haltung lautstark zum Gewalttäter auf. Eine Schlüsselszene war die Zurückweisung Ophelias durch Hamlet, in der Frau Bürkle eine schier endlose und ermüdende Kanonade, ein Textgemisch aus Shakespeare und heutigen coolen Sprüchen, abließ, bei der ihr auch schon mal Schaum vor den Mund trat. Überraschend und nicht minder unverständlich war denn auch der Auftritt von Walter Hess als Königin Gertrud in elisabethanischer Prachtrobe. Bis dahin und auch darüber hinaus war das schwarze, wenig artifizielle, aber bei Jugendlichen hippe Kapuzensweatshirt das dominierende Kostüm. (Kostüme Anna Maria Schories) Man begreift zusehends, was Matthias Lilienthal mit „Kunstkacke“ meint.
Es ging um Gewalt, und um dahin zu gelangen, wurde dem Shakespeare-Text kräftig Gewalt angetan. Das scheint legitim, wenn man sich in einer Welt befindet, die sich zusehends radikalisiert und in der Gewalt zum Alltag wird. Allerding ist die Lösung, wie sie sich in Rüpings Lesart offenbart, nichts anderes als stupide Gewalt. Rüpings Hamlet verkörpert „einen radikalen Zweifler, der zu klug ist für die Hoffnungslosigkeit und seinen Zorn in die totale Auslöschung überführt.“ Nach Katharsis klingt das nicht, vielmehr erscheint hier Gewalt als probates Mittel, um Gewalt zu begegnen. Damit wären wir in der Realität angekommen. Realismus, also?
Ist es das, was Theater leisten sollte? Wohl kaum. Es ist legitim, Dramen aus anderen, auch aus radikalen Perspektiven zu betrachten. Dabei können sich erstaunliche Wahrheiten auftun, die auch (!) im Stück stecken. Allein, das was Christopher Rüping in seiner Blut- und Schreiorgie auf die Bühne brachte, hatte mit dem Stück nur noch das narrative Gerüst gemein, wenngleich es eher einem unaufgeräumten Puzzle glich. Die Figur des Hamlets, die in vierhundert Jahren Rezeptionsgeschichte gewaltige Dimensionen erlangt hat, wurde in seiner plakativen Zweidimensionalität vom Blut schlichtweg davon gespült. Das Blut war jedenfalls dicker als die Essenz aus dieser Inszenierung. Der große, eingangs auf seine Tiefe und auf seinen Gehalt befragte Monolog kam auch vor. Die Hamletmaschine forderte ihn ein. Musiker Christoph Hart spielte ihn aus der Konserve ein und gleichsam mit ihm. Der Monolog wurde, weitestgehend seines Inhaltes entkleidet, zur bloßen Klanginstallation, bei der zumindest die Stimme Oskar Werners erkennbar war. „Sein oder Nichtsein?“ Das ewige Theaterblalabla … Lauschen wir doch lieber dem Zwitschern im Netz und freuen wir uns auf den nächsten Hamlet reloaded. Oder auch nicht.
Wolf Banitzki
Hamlet
von William Shakespeare
Katja Bürkle, Walter Hess, Nils Kahnwald
Inszenierung: Christopher Rüping
Kammerspiele Spielhalle Das Leiden anderer betrachten von Susan Sontag
Wenn alles auch Geschäft ist
Zwischen Kommentaren zu Sitzungen der Polit- und Wirtschaftsräte, Börsenberichten und Sportnachrichten hat die Kriegsberichterstattung ihren gleichwertigen Platz. Die Mischungen der Nachrichten im Heute sind nach unterschiedlichen Prämissen sortiert und doch gleichen sie sich in einem Punkt: Es gilt möglichst viele Themen anzusprechen um möglichst viele unterschiedliche Interessen zu befriedigen. Also eine höchstmögliche Zuschauer-Quote zu erreichen. Nach eben dieser Anzahl der Zuschauer werden die Preise für die Werbung festgelegt, die zwischen den Nachrichten, den Kriegsbildern, den Gesundheitshinweisen und Kochtipps die Blätter und die Bildschirme gleichermaßen füllen. Dieser Mix hat längst die Sinne desorientiert, abgestumpft, zerstreut. Markennamen, Ländernamen, Städtenamen, Menschennamen … alles auch benutzt für Propaganda.
Susan Sontag, ihr Leben und Schaffen, von der begnadeten Essayistin bis zur kreativen Autorin kann sinnbildlich für den gesellschaftlichen Wandel in einem Jahrhundert stehen. Schrieb sie ursprünglich in den Siebzigern von der Abstumpfung durch die Bilder des Leidens, so äußerte sie viele Jahre später diese als einen Aufruf zu Aktion wahrzunehmen. Fraglos ein Wandel von einer auf die andere Seite des Problems, das Wenden einer Medaille.
Ein steril weißer Raum nahm das Publikum in der Spielhalle auf. Bettina Pommer hatte, durchaus sinnfällig, einen viereckiger Hörsaal, in dessen Mitte eine Wasserfläche glänzte, entworfen. Sieben Ebenen bildeten die Bühne, von denen die untersten mit Treppen verbunden waren. Gleich dem Leben, welches aus dem Wasser aufgestanden, Stufe für Stufe den Weg von Entwicklung und Erkenntnis offengelegt hatte. In dieser Versuchsanordnung inszenierte Regisseur Zino Wey den, von Reinhard Kaiser ins Deutsche übertragenen, Essay „Das Leiden anderer betrachten“. Gleich einem Vortrag gestaltete er den Text. Annette Paulmann, scheinbar geschlechtsneutral in Hemd und Hosen gekleidet, benannte die vielen Aspekte, welche das Thema so komplex machen. Von der Empathie als Volksbewegung, über die Jagd nach Sensationen bis zu Voyeurismus und Selbstdarstellung, sowie die Aussagekraft von Bildern und von Fotos per se reichte das Spektrum. Das Foto ist immer nur eine Momentaufnahme aus der Realität, es unterliegt der Fülle von Einflüssen und ist ohne Untertitel, also erklärender Tatsachenbeschreibung, nur allzu leicht der Missinterpretation ausgesetzt. Dies geschieht vor allem dann sehr oft, wenn es über Medien verteilt, zu Agitationszwecken genutzt wird. Recht und Unrecht trennt eine dünne unsichtbare Grenze. Die „Ikonen des Leidens“ sind ein in der christlichen Welt angebetetes, ja geradezu verherrlichtes, Symbol. Es verspricht den Unterdrückten Befreiung, natürlich erst im Jenseits. Denn im Leben erheben sich einige, spielen die Unterdrücker und wollen diesen Platz keinesfalls preisgeben. Radikal setzen diese ihre Vorstellungen um, spielen mit Recht. Mit weltweit bekannten Kriegsbildern belegt, wurde der Essay anschaulich. Die Projektion dieser Bilder erfolgte an die rechte obere Wandecke im Vortragssaal und gleichzeitig auf die Wasserfläche in der Mitte. Verstand und Gefühl geben ein und dasselbe Bild in unterschiedlicher Qualität wieder, ergänzen einander im Leben. Das brachte einen durchaus interessanten Aspekt ein. Die Übertragung des Essays auf die Bühne ist ein interessanter Anstoß zu einer intellektuellen Auseinandersetzung mit einer Alltagserscheinung. Diese kann den Einzelnen anregen über die eigene Haltung im Thema nachzudenken. „Das Bild schockiert – und darum geht es. Die Jagd nach möglichst dramatischen Bildern treibt das fotografische Gewerbe an, und gehört zur Normalität einer Kultur, in der der Schock selbst zu einem maßgeblichen Konsumanreiz und einer bedeutenden ökonomischen Ressource geworden ist.“ S. Sonntag. Ein äußerst sinnfälliger theatraler Aufklärungsversuch. Denn, eine gefühlsschwangere unbewusste Gesellschaft treibt auf der Erde ihr Unwesen. Sie findet sich zwischen ihren Emotionen hin und hergeworfen, und längst ist die Anordnung des Versuchs „Leben“ auf vielen Ebenen erkannt, doch von einem sinnstiftenden Umgang mit diesen, scheint sie wohl noch einige Generationen entfernt.
Die Aktualität sich mit dem Thema – Kriegsberichterstattung – auch auf dem Theater auseinanderzusetzen ist zweifellos durch die vielen Kriegs- und Krisenherde gegeben. Doch was nützt es, sich mit den Auswirkungen zu beschäftigen, statt das Problem offenzulegen? Die industrielle Produktion von Waffen ist ein geldeinträgliches Geschäft, die Techniken werden immer ausgefeilter, immer zerstörender. Die Berichterstattung für die Medien beschäftigt Tausende weltweit. Beides folgt der Logik eines ideologisch systemischen Denkens. Die zahllosen Faktoren für Krieg sind bekannt und die Kitzel des Grauens und der Machtbesessenheit sind zwei urzeitliche Bewegungskräfte, die, bei aller modernen Aufgeklärtheit und allem Wissen, eine enorme Gefolgschaft erfahren. Dagegen steht allein: „Stell dir vor es ist Krieg und keiner kämpft mit.“
Eine Einsicht nach der Kriegsberichterstattung Sinn macht stammt von Christoph Reuter (Spiegel): „Unsere Recherchen sind keine Frontberichte, sondern eher forensische Erkundungen … Manchmal helfen so unscheinbare Details wie die Topographie eines Ortes, um zu klären was dort geschehen ist. … Wenn wir nicht mehr hingehen, können wir nur noch glauben.“ Dem Beobachter kommt also die Rolle des vermittelnden Aufklärers zu. Ohne diese blieben Mauern, Zäune, Gräben, Vorurteile und Dogmen für die Ewigkeit manifestiert.
C.M.Meier
Das Leiden anderer betrachten
von Susan Sontag
Aus dem Englischen übersetzt von Reinhard Kaiser
Annette Paulmann
Regie: Zino Wey
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