Residenz Theater Das Käthchen von Heilbronn von Heinrich von Kleist


 

 

Ein fulminanter und unvergesslicher Abschied

Jedem Kleist-Kenner und Theatergänger würde der Schreck in die Glieder fahren, wenn ihm in Aussicht gestellt würde, „Das Käthchen von Heilbronn“ in ungekürzter Fassung zu erleben. Auf stolze vierdreiviertel Stunden inklusive zweier Pausen bringt es die Residenz Theater – Inszenierung von der Hand Dieter Dorns schließlich. Doch der Leser kann sich getrost auf diesen Theatermarathon einlassen, denn selten war ein Theaterabend von der Länge so kurzweilig, unterhaltsam und auch amüsant.

Das Stück zeitgemäß nennen, hieße, einer romantischen Verblendung anheim gefallen zu sein. Als das Stück am 17. März 1810 auf der Bühne des Theaters an der Wien das Licht der Welt erblickte, erntete es miese Kritiken, war aber dennoch ein großer Publikumserfolg. Dass es auch heute noch ein großer, ja, überragender Publikumserfolg sein kann, bewies Dieter Dorn mit seiner Inszenierung, mit der er sich gleichsam aus dem Amt des Intendanten des Residenz Theaters verabschiedete. Dabei ist das Stück ein theatralisches Monstrum, denn der Dramatiker Kleist hatte nie Gelegenheit, Theatererfahrungen zu sammeln. So schrieb er mehr oder weniger drauf los und bewies zumindest sein überragendes Sprachtalent.

In „Das Käthchen von Heilbronn“ (Ein großes historisches Ritterschauspiel) wird die Geschichte einer Jungfrau erzählt, der ein Cherubin die Ehe mit Friedrich Wetter, Graf vom Strahl, verheißt. Ebenso erfährt der Ritter vom Cherubin, dass er eine Dame aus dem kaiserlichen Geschlecht ehelichen wird. Käthchen, die dem Ritter wie in Trance überall hin folgt, ist jedoch nicht adelig und kommt so als Gattin gar nicht in Betracht. So wendet sich der Graf vom Strahl Kunigunde zu, die kaiserlichen Geblüts ist, und die er aus den Händen von Maximilian, Burggraf von Freiburg, ihres früheren Verlobten, rettete. Eigentlich wäre damit alles gut bestellt, doch Friedrich Wetter trägt Zweifel in sich und ein übermächtiges Gefühl für Käthchen. Im Verlauf der Geschichte gibt es unheilschaffende Briefe, einen Überfall auf die Burg Friedrichs, eine Feuersbrunst, Verfolgungsjagden zu Pferde, viele Schwerter und Rüstungen, einen Giftmord, der allerdings nicht stattfindet und eine recht unappetitliche Enthüllung über den Körper Kunigundes: „Sie ist eine mosaische Arbeit, aus allen drei Reichen der Natur zusammengesetzt. Ihre Zähne gehören einem Mädchen aus München, ihre Haare sind aus Frankreich verschrieben, ihrer Wangen Gesundheit komme aus den Bergwerken in Ungarn, und den Wuchs, den ihr (Friedrich Wetter – Anm. W.B.) an ihr bewundert, hat sie einem Hemde zu danken, das ihr der Schmied, aus schwedischem Eisen, verfertigt hat.“ Das ist vielleicht die erstaunlichste Enthüllung im ganzen Stück, das immerhin 200 Jahre alt ist. Die Geschichte folgt, große Gefühle erzeugend, den Pfaden beschaulichster Romantik und bediente umfassend den Geschmack seiner, Kleists Zeit. Er war damit durchaus ein Vorreiter, denn die Romantik stand noch bevor.  

Der Plot würde heute von jedem Rezensenten verrissen werden, dann am Ende stellt sich heraus, dass Käthchen das Resultat einer Ruhestunde des Kaisers im unbelebten Teil des Bürgergartens zu Heilbronn war. Nun ist alles wie es sein soll und das Paar kann ein großes Geschlecht zukünftiger Herrscher zeugen. Schöne heile Welt, möchte man sagen.

 
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Dieter Dorn

© Thomas Dashuber

 

Wie kann man dieses Stück heute noch spielen, ohne das Publikum zu langweilen oder verärgern? Dieter Dorn machte es vor. Er hielt sich an den Text und vertraute auf die Sprache. Er bediente den dramatischen Entwurf Kleists mit aller ihm zur Verfügung stehenden Bühnentechnik und kitzelte aus seinen Darstellern Höchstleistungen heraus. Und siehe da, es funktionierte. Es war rasant und atmosphärisch zugleich. Die großen Gefühle schreckten nicht, sondern rührten an. Kitsch wurde komisch und die Natur donnerte zu alledem. Romantisch (oder auch kitschig) waren nur Teile der Vorlage. Das Menschliche, der Lobgesang auf die wahre Liebe blieben davon unangetastet und das Publikum zog nach donnerndem Applaus und zahlreichen wohlverdienten Bravos für die exzellenten Darsteller heiteren Gemüts von dannen. Vergessen war die Selbstkritik des Autors, der meinte: „Nur die Absicht, es für die Bühne passend zu machen, hat mich zu Missgriffen verführt, die ich jetzt beweinen möchte.“ Georg Hensel erteilte Kleist die Absolution, in dem er schrieb: „Doch an den entscheidenden Stellen sind seine Bühnen-Effekte mehr als ein aufgesetzter Theatercoup: es sind romantische Sinnbilder für die wachsende Kraft des Irrationalen, die die Widerstände der Realität aufsaugt und verwandelt.“

Bereits im Vorfeld der Premiere war klar, dass diese Arbeit Dieter Dorns ein fulminanter und unvergesslicher Abschied werden würde. Es wurde zu einem Theaterfest, in das sich alle Beteiligten in großer Einhelligkeit einbrachten. Jürgen Rose, ein langjähriger Wegbegleiter Dorns, schien exemplarisch aufzeigen zu wollen, wozu Theater im Stande sein kann. Er ließ ganze Hütten, Burgen, Flüsse, Berge und Brücken auffahren und brannte die Burg Thurneck donnernd und tosend nieder. Er zeichnet ebenso für die Kostüme verantwortlich, mit dem Effekt, dass endlich einmal handfeste und glaubhafte Männer auf der Bühne standen. Allen voran Felix Rech, dessen Ritter Friedrich Wetter die Bühne physisch wie auch darstellerisch dominieren konnte. Leise Töne wurden dabei nicht ausgespart und seine Befragung der schlafenden Käthchen unter dem Holunderbusch war ein lyrisches Kabinettstück. Schon die erste Szene, das Femegericht gegen Friedrich war Dank Oliver Nägele als Vater von Käthchen ein Bravourstück, das die Zuschauer in den Bann schlug. Marcus Calvin (Ritter Flammberg) stand seinem Lehnsherrn Friedrich dynamisch und agil zur Seite. Shenja Lacher (Maximilian, Burggraf von Freiburg) hatte einen wesentlichen Anteil daran, dass Heros und Todesverachtung menschliches Format behielten und kein schwachsinniges Pathos aufkam. Michael von Au (Rheingraf vom Stein) gab einen neurotischen und fahrigen Ritter, dessen Irrtümer ganz wesentlichen Einfluss auf den guten Ausgang der Geschichte hatten. Unter den weiblichen Darstellern dominierte Sunnyi Melles als Kunigunde. Ihr kapriziöses Spiel wurde der Rolle mehr als gerecht. Lucy Wirths Käthchen war berührend kindlich. Auch wenn ihr gestischer Aufwand gelegentlich ein klein wenig aufgesetzt wirkte, kaufte man ihr die naive, knospende Jungfrau gern ab.

Weitere Einzelleistungen zu besprechen oder auch nur zu erwähnen, würde den Rahmen unbedingt sprengen. Nur soviel, es waren durchweg hervorragende schauspielerische Leistungen. Es schien, als wollten die Darsteller ihren scheidenden Intendanten noch einmal ihre Gunst erweisen. Besser kann man seinen Respekt und seine Hochachtung nicht artikulieren. Und so packte Dieter Dorn die Gelegenheit beim Schopfe und ging gemeinsam mit seinen Darstellern auf die Bühne. Er trat zwar als Kaiser auf, gab aber mehr noch den Spielleiter, ein gelungener dramaturgischer Kniff, der dem Publikum nicht zuletzt signalisierte, dass es sich um Theater handelte. So unterstrich er einmal mehr, wer das Sagen (und zwar über einige gute Jahre) am Haus hatte.

Zum Schlussapplaus, Dieter Dorn hatte das letzte und überraschende Wort, erschien nur ein Teil der Darsteller, denn die Bühne hätte alle Beteiligten nicht fassen können. Mit dieser Inszenierung geht eine Ära zu Ende. Bleibt zu hoffen, dass der „Neue“ und sein Ensemble an diese Arbeit anknüpfen können. Mit „Das Käthchen von Heilbronn“ hat Dieter Dorn die Latte noch einmal ganz hoch gesteckt.

Was es mit dem Untertitel „… oder die Feuerprobe“ auf sich hat, sollte der verehrte Leser selbst in Erfahrung bringen. Es lohnt sich!

 

Wolf Banitzki

 

 


Das Käthchen von Heilbronn

von Heinrich von Kleist

Cornelia Froboess, Gabi Geist, Sunnyi Melles, Jennifer Minetti, Franziska Rieck, Anna Riedl, Heide von Strombeck, Lucy Wirth, Peter Albers, Michael von Au, Ulrich Beseler, Marcus Calvin, Burchard Dabinnus, Matthias Eberth, Thomas Gräßle, Dennis Herrmann, Alfred Kleinheinz, Shenja Lacher, Hannes Liebmann, Wolfgang Menardi, Oliver Möller, Oliver Nägele, Dirk Ossig, Felix Rech, Arnulf Schumacher, Helmut Stange, Fred Stillkrauth, Markus Wasner, Rudolf Wessely, Marcus Widmann

Regie: Dieter Dorn

Residenz Theater Der einsame Weg von Arthur Schnitzler


 

 

Der einsame Weg oder vom Weg in die Einsamkeit

„Ich habe Sie gemieden aus einer Art Doppelgängerscheu“, gestand Sigmund Freud dem Freund Arthur Schnitzler in späteren Jahren. Beide waren Ärzte, beide folgten den Ideen des französischen Neurologen Charcot und beide bewegten sie sich lebenslang in dem „weiten Land“, mit dem Schnitzler die Seele umschrieb. Zu Schnitzlers 60. Geburtstag schrieb der Vater der Psychoanalyse: „Ihr Ergriffensein von den Wahrheiten des Unterbewussten, von der Triebnatur des Menschen, ihre Zersetzung der kulturell-konventionellen Sicherheiten, das Haften Ihrer Gedanken an der Polarität Liebe und Sterben, das alles berührte mich mit einer unheimlichen Vertrautheit.“ Diese Aussage beschreibt nicht nur das Fundament einer Freundschaft, sondern auch den Kern der Werke Arthur Schnitzlers.

„Der einsame Weg“ beginnt mit dem Sterben Gabriele Wegrats, Ehefrau des Direktors der Akademie der bildenden Künste, Mutter von Felix, einem frischgebackenen Offizier, und der sich selbst suchenden Tochter Johanna. Wenige Tage nach ihrem Tod kehrt der einst gefeierte Maler und Freund Professor Wegrats, Julian Fichtner, zurück und mit ihm ein langgehütetes Geheimnis. Felix ist Fichtners Sohn, der letzte Mensch zu dem er ein Verbundenheitsgefühl entwickeln kann, die letzte Insel, auf die er sich, der aus der menschlichen Welt Gefallene, zu retten sucht. Nebenher fällt Schwester Johanna in eine schwärmerische Liebe zum dem todkranken und zynischen Stephan von Sala. Die sich bahnbrechende Wahrheit über die Vaterschaft führt nicht zu neuer menschlicher Verbundenheit, sondern zur Zerstörung der alten. Ein Happy end sucht man vergebens, davor sind die Konventionen und die Lügen, die Halbherzigkeiten und die Egoismen.  

Dem sehr funktionalen Bühnenbild von Mathis Neidhardt, bestehend aus raumtrennenden weißen Wänden auf einer Drehbühne, war nichts eigen, was Atmosphäre erzeugte. Falsche oder auch richtige Fährten waren nicht gelegt worden, einzig Hängeeinrichtungen, wie man sie aus Galerien kennt, verwiesen darauf, dass es sich um Künstlerexistenzen handelte. Für Professor Wegrat, von Rainer Bock ausgewogen und den Habitus der Figur genau treffend gespielt, ist die Kunst Broterwerb geworden. Als „Kunstbeamter“ hat er längst die Leidenschaft eingebüßt, die ihn einst der Kunst in die Arme trieb. Er lieferte artig Bilder, wenn es denn für eine Ausstellung vonnöten war. Darüber hinaus war er ganz Familienoberhaupt, versuchte das kleine, mühsam geschaffene Idyll vor allen Wettern zu schützen. Erfolgreich, bis sein Freund Fichtner auftauchte. Regisseur Jens-Daniel Herzog besetzte die Hauptfigur Julian Fichtner ideal mit Götz Schubert. Sowohl in seiner physischen Erscheinung, als auch in seinem Spielgestus brachte er einen sehr heutigen Menschen auf die Bühne, dessen „Künstlerego“ zum Maßstab allen Handelns geworden war. Christian Nickel schuf mit seiner Figur des Stephan von Sala den gesellschaftlich etablierten Gegenentwurf zum gescheiterten Künstler. Sein Scheitern bestand nicht in seiner noblen Lebensweise als darüber stehender Beobachter, sondern in seinem frühen Tod. In dieser Figur könnte man auch den damaligen gesellschaftlichen Verfall erkennen, als einen deutlichen Zeitbezug zur Welt Schnitzlers.
 
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Götz Schubert, Oliver Möller, Rainer Bock

© Thomas Dashuber

 

Voran getrieben wurde das Drama durch das Aufeinanderprallen der etablierten Gesellschaft, also der Generation der Väter und Mütter, mit den Anschauungen der Jugend und der verschmähten Liebenden. Barbara Melzel stand in der Rolle der Schauspielerin Irene Herms für letztere. Sie wurde zum destruktiven Element, als sie begreifen musste, dass Fichtner sie nicht lieben kann. Radikal und vielleicht ein wenig zu einfarbig steuerte sie auf den unausweichlichen Bruch zu. Zurück blieben im wahrsten Sinn des Wortes Scherben. Oliver Möller spielte den Sohn Felix als einen dynamischen jungen Mann, der zum Sprung in das erträumte Leben bereit war. Er ging tatsächlich in dieses Leben, doch als ein desillusionierter und verbitterter Mensch, von den Vorgaben der Vätergeneration Enttäuschter. Lügen und Halbwahrheiten waren seine Mitgift. In all dem Treiben übersahen die Figuren des Stückes das Abgleiten der von Stephanie Leue gespielten Tochter Johanna in die Unfassbarkeit. Ihre Hingabe an eine Liebe ohne Zukunft endete tödlich.

Zwei Stunden dauerte die Inszenierung im Münchner Residenztheater und leider fühlte sie sich auch ebenso lange an. Jens-Daniel Herzog lieferte eine handwerklich saubere und in sich auch klare Arbeit ab. Allein, die „seelischen“ Tiefen (und darum geht es in Schnitzler-Stücken ausschließlich) wurden nur mangelhaft ausgelotet. Die Konflikte und ihre Austragungen blieben vornehmlich äußerlich. Einige Striche wären angebracht gewesen, denn dadurch hätte man Raum gewonnen, um psychische Vorgänge sichtbarer und wirkungsvoller zu gestalten. Die entstandenen Längen waren eben diesem Manko geschuldet, da streckenweise nur die Geschichte und nicht ihr Subtext oder die emotionale Dimension der Figuren transportiert wurden. Es geht im Stück um Liebe und Tod, die beiden wichtigsten und größten Themen in der Kunst. Wirklich fühlbar wurde diese Dimension für das Publikum nicht. Man könnte meinen, Jens-Daniel Herzog hätte vor den großen Gefühlen gescheut. Zudem wurde die Haltung der Regie in Bezug auf die wichtigsten Personen nicht deutlich. Dem Zuschauer oblag es beinahe uneingeschränkt, sich eine Meinung über die Personen zu bilden. So läuft die Inszenierung Gefahr, dass der Professor Wegrat als das Klischee des Kunstbeamten verstanden wurde, Fichtner (klischeehaft) als der charakterlose Egoist und von Sala (klischeehaft) als der zynische Drübersteher. Das wird den Figuren nicht gerecht, denn schon der Titel des Stücks „Der einsame Weg“ verweist darauf, dass Fichtner nicht nur ein moralischer Schwächling war.  

Der Sinn, dieses Stück hier und heute auf die Bühne zu bringen, ist unbestritten, wie der Beitrag „Vernunft und Biedermeier -  Idyll – die erwachsene Jugend“ im Programmheft zeigt. In diesem aufschlussreichen Text ist eine Analyse der Lebensumstände der heutigen Jugend niedergelegt. Daraus geht hervor, dass sich die jungen Menschen in der spätbürgerlichen Gesellschaft eben genau diesen Lebenslügen, wie sie Schnitzler entlarvte, gegenüber sieht. Verunsicherung, eine vage Zukunft und ein Aufwachsen ohne Ideale lässt den Ruf nach der intakten Idylle wieder laut werden. Sie wünschen sich eine sichere Ordnung, Verlässlichkeiten, und sehen sich doch einer brutalen, chaotischen, unberechenbaren und planlosen Welt gegenüber, in der sie zumeist einsam umherirren. Diese Einsichten vermitteln sowohl das Stück, als auch die Inszenierung. Allein die notwendige Spannung, um den Betrachter in den Bann zu schlagen,  bleibt insbesondere am Anfang aus.

 
Wolf Banitzki

 

 


Der einsame Weg

von Arthur Schnitzler

Stephanie Leue, Barbara Melzl, Ulrike Willenbacher, Peter Albers, Rainer Bock, Oliver Möller, Christian Nickel, Götz Schubert

Regie: Jens-Daniel Herzog

Residenz Theater Rose Bernd von Gerhart Hauptmann


 

 

Die Welt ist ein Dorf

Zeiten drastischer Umbrüche und gesellschaftlichen Wandels sind auch Zeiten, in denen in der Kunst Realismus und Naturalismus zu Blüte gelangen. Der Rückgriff auf die letzten verbindlichen oder klar erkennbaren Beweggründe und Werte mutet wie eine Sicherstellung einer Basis an. Den Beginn des vergangenen Jahrhunderts prägten nachhaltig die aufkommenden sozialistischen Bewegungen, welche das gesellschaftliche Gleichgewicht zum Wanken brachten. Gerhart Hauptmann, dem bürgerlichen deutschen Humanismus verpflichtet, schrieb im Jahre 1903 das naturalistische Drama Rose Bernd. Dieses, auf einer wahren Begebenheit beruhende Werk, berührt besonders durch die Fähigkeit Hauptmanns, menschliches Leid sichtbar zu machen und über die Darstellung Mitleid erstehen zu lassen. Das Mitleid und die menschlichen Triebe, Wünsche, Schwächen und Fehler sind es, die das Trauerspiel auch heute aktuell erscheinen lassen. Schon in der Ankündigung des Stückes wird deutlich auf diese Bezug genommen. Allein in dieser Zeit wird ein wenig anders damit umgegangen. Blickt man heute in die Medien, so nehmen Sensationsberichte über Fehltritte, Erpressung, Betrug und Gerichtsverfahren einen breiten Raum ein und werden von einer Vielzahl von Sensationshungrigen wahrgenommen. Sie sind die moderne „Dorfgemeinschaft“, die die Geschehnisse weiterträgt. Den Beginn dieses Jahrhunderts prägt die Globalisierung und die damit verbundenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen. Doch Mensch ist Mensch.

Rose Bernd, eine junge Frau, steht im Mittelpunkt einer kleinen Gemeinschaft, in der Bigotterie, Vorstellungen und Erwartungen die Szene beherrschen. Der Vater möchte sie mit August Keil, einem ordentlichen Buchbinder, verheiraten. Der Dorfvorsteher Flamm, dessen Frau bisweilen Mutterstelle bei Rose vertritt, hat ein Verhältnis mir ihr. Der Vorarbeiter Streckmann sucht sein Heil in Erpressung, um ebenfalls in den Genuss von Roses Aufmerksamkeit zu kommen. Doch auch der brave Keil macht seinen Anspruch geltend, erwartet Lohn.

Das Dorf, die Welt, war eine schmucklose braune schiefe Ebene, auf der das Spiel ausgetragen wurde (Bühne Hugo Gretler). Silbern glänzende verzinkte Eimer standen auf ihr, gefüllt mit Wasser, gefüllt mit den Kirschen des Baumes, in dessen hohlem Stamm Rose und Flamm sich begegnen. Ein Schrei. Rose betrat die Bühne, einige Eimer kippten, das Wasser ergoss sich über die Fläche und sie rutschte hinab. Ihr helles Sommerkleid wurde dunkel am Saum.

Regisseur Enrico Lübbe setzte auf einen stringent gekürzten, doch dem Original verbundenen Text und gestaltete mit sensibler Hand eine auf das Wesentliche beschränkte Inszenierung. Der niederschlesische Dialekt, in dem das Stück geschrieben ist, ließ vor dem Auge des Zuschauers Land erstehen. Doch die Inszenierung ging über Land und Bevölkerungsschicht hinaus, könnte überall spielen und in jeder Gesellschaftsschicht. Die große Intensität, die die Schauspieler in die Darstellung legten, wirkte bewegend und angemessen. Lucy Wirth gab eine leidgeprüfte Rose Bernd, die still duldete in Gestik und Haltung, deren Schrei das einzige Aufbegehren kundtat. Ihre Bekenntnis der Kindstötung wirkte wie eine wohlüberlegte Konsequenz. Nur ihr Verlobter August Keil (Thomas Gräßle) vollzog als einziger im Stück eine Katharsis, wandelte sich erkennbar vom kleingläubigen Moraldogmatiker zum bekennenden gereiften Christen. Diese Wandlung blieb dem bigotten Bernd, konsequent dargestellt von Ulrich Beseler, versagt. Markus Calvin als skrupelloser Streckmann, verstand es überzeugend mitleidlos, aus seinem Wissen um das Verhältnis von Rose und Flamm persönlichen Profit zu schlagen, sein Ego zu nähren damit. Dirk Ossig und Juliane Köhler brachten das Ehepaar Flamm auf die Bühne. Durch Jahre und Leid verbunden, bestimmte beruhigende Langeweile ihr Leben. Von verständnisvoll und Rose scheinbar wohlwollend zugetan, bis in Lüge und Sprachlosigkeit verfangen reichte ihre Palette. Gabi Geist, Alfred Kleinheinz und Franziska Rieck spielten die beobachtenden Dorfbewohner, und kommentierten auf ihre Weise.
 
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Lucy Wirth, Franziska Rieck, Marcus Calvin, Alfred Kleinheinz, Gabi Geist

© Thomas Dashuber

 

Enrico Lübbe ließ auch die Pausen spielen in denen die einzelnen Figuren deutlich erkennbar hervortraten, einen Striptease der Psyche vollführten. In den Pausen erreichte auch Text das Publikum, bisweilen bekannte Volksweisheiten, die jedoch nichts an Gültigkeit verloren haben. Allein die metaphorische Sprache, in der sie verfasst sind, weist auf die Vergangenheit hin. Ihre Inhalte sind nach wie vor gültig, berühren nach wie vor. Auch wurden die Charaktere dadurch fassbarer und somit befördert.


Wie wenig die Menschen sich in ihrem Verhalten, ihren Lebensrollen verändert haben in der Zeit seit der Entstehung von Hauptmanns Werk bis heute, konnte man in dieser Inszenierung erkennen. Sie bot einen unverstellten Blick auf Urgründe und verdient schon deshalb Aufmerksamkeit.


C.M.Meier

 

 


Rose Bernd

von Gerhart Hauptmann

Gabi Geist, Juliane Köhler, Franziska Rieck, Lucy Wirth, Ulrich Beseler, Marcus Calvin, Thomas Gräßle, Alfred Kleinheinz, Dirk Ossig und Ines Hollinger

Regie: Enrico Lübbe

Residenz Theater Penthesilea von Heinrich v. Kleist


 

 
Es ist Krieg

Kleist, dessen Stück 1876 in Berlin uraufgeführt wurde, stellt die Unvereinbarkeit und doch ausweglose Verbindung von zwischen Liebe und Krieg, Krieg und Liebe in den Mittelpunkt. Er bediente sich, seiner Zeit gemäß, klassisch antiker Figuren, klassischer Hochsprache und zeigt durch ihre Haltung und Handlungsweise die dem Menschen zugrunde liegenden Triebe auf. Es ist ein psychologisches Seelendrama, welches Beweggründe verdeutlicht. Wurden bislang in den verschiedensten Inszenierungen zumeist die gesellschaftlichen Gegebenheiten des Umfeldes, der Frauenstaat oder der Trojanische Krieg hervorgehoben, so beherrschte im Residenz Theater die Erzählung der Geschichte die Bühne.

Wie im Krieg Gegner, so beißen sich Liebende aneinander fest, und sei es durch Küsse. Was zart beginnt, vorsichtig, wird immer fester und unnachgiebiger, um zu einer Einheit zu werden. Denn dies zu erreichen, werden alle Mittel, alle List eingesetzt. Da kann es mitunter auch verbissen zugehen. „Der Sieg nur ist das Ziel, im Krieg wie in der Liebe.“, John Dryden im Jahre 1691.

Kleists Ansatz: Während der Belagerung Trojas überrennen Amazonen die Schlachtfelder auf der Suche nach zeugungsfähigen Kriegern. Sie suchen diese zu entführen, um durch Heirat und wenige Tage der Gemeinsamkeit, den Fortbestand ihres Staates zu sicher. Die individuelle Auswahl des Paarungspartners findet auf dem Schlachtfeld statt. Ein pragmatisches Dogma dient der Verhinderung von persönlicher Neigung. Die Königin Penthesilea trifft im Kampf auf Achilles. Sie sind einander von den Göttern bestimmt. Doch da sie konträren Systemen entstammen, deren selbst auferlegte, gesellschaftliche Regeln dies verhindern, greift Achilles zur List.

Um die Liebe vollziehen zu können, auch körperlich, ist Achilles bereit seine Heldenhaltung aufzugeben. Er ist bereit sich dem Gemeinschaftssystem der Amazonen zu beugen. An dieser Stelle verliert er seine männliche Unabhängigkeit und ist damit dem Tode geweiht. Dies kann durchaus auf die psychische Haltung und das geschlechtstypische Verhalten übertragen werden. Blickt man sich in der Gesellschaft um, so erkennt man, wie weit bereits die Emanzipationsbewegung die „Männer“ gefügig machte. Schon vielen ist die männliche Haltung deutlich abhanden gekommen und ihre Schultern hängen wie der Wille zu Boden. Shenja Lacher stellte ihren Prototyp vor.
 
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Jennifer Minetti, Stephanie Leue, Lisa Wagner, Anna Riedl, Katharina Hauter, Rudolf Wessely

© Thomas Dashuber

 
 
Die Amazonen folgen zuerst ihrer Aufgabe, der Erhaltung ihrer Art, der Spezies. Penthesilea zwischen Liebe und Pflichterfüllung, die hauptsächlich in der Einhaltung von Ritualen besteht, ist hin und her gerissen, kämpft tollwütig und übersieht alle Zeichen, die eine in ihrer Haltung sichere Frau wahrnehmen würde. Lisa Wagner verdeutlichte die Königin emphatisch, kämpferisch über die Maßen. Zu sehr ist sie dem System verpflichtet, ohne das ihre Gemeinschaft, die der Frauen zerfallen würde. Allen modernen Amazonen voran gab Stephanie Leue Prothoe, die immerhin bemüht versuchte das Spiel voran zu bringen. Und, zwischen den Frauen posierte Anna Riedel, hübsch anzusehen, als Priesterin der Diana und hauchte die verbindenden Lehren in die Luft. Militaristisch, doktrinär geben sie sich und sind doch nur fragil und hysterisch. Auch die Männer verbinden untereinander die drei Erscheinungsformen des Massenegos, und sie rüsten zum Kampf um … ja, um Macht und Einfluss, ein Stück Land, eine Frau … und landen so vor den Toren Trojas, kämpfen die größte Schlacht der Antike oder heute die Schlacht gegen die Erde. Odysseus, Tobias Langhoff intellektuell mit Brille, agierte bisweilen ohne Zusammenhang, entfaltete hilflos und willkürlich eine Landkarte, den Plan. Denn trotz allem, der Kampf  der Männer folgt ihren Regeln. So unterhalten sich bei Kleist zu Beginn, nach humanistischem Vorbild die Heerführer der beiden Kriegsparteien über die, durch das Eindringen der Frauen unübersichtlich gewordene Situation auf dem Schlachtfeld. Dieser Vorgang fiel dem Rotstift zum Opfer, wurde in der Inszenierung gestrichen, was ein allzu bekannter Vorgang ist heute.

Die Inszenierung von Hans-Joachim Ruckhäberle bot ein Spiegelbild, ein überdeutliches Spiegelbild der aktuellen gesellschaftlichen Situation. Aus diesem Blickwinkel ist die Aufführung als unbedingt gelungen zu betrachten. Vielleicht ist es gerade diese weitgehend deklamierende Inszenierung, die als Halbherzigkeit empfunden werden könnte, die jedoch die Verirrungen in Ritualen und „Götterlehren“, sowie das Verkehren des natürlichen Ablaufes überdeutlich macht und somit als überdimensionales Spiegelbild dient. Die Kleist’sche Sprache forderte alle Darsteller und nur Lisa Wagner, Shenja Lacher und Stephanie Leue gelang es Akzente zu setzen. Jennifer Minetti, als ältere Amazone in weißem Kleid, wirkte auf ihrem Stuhl ebenso müde, wie Rudolf Wessely als kampfesmüder Grieche. Selbst der klassische Beginn, die Einführung in die Geschichte durch einen Chor, war monoton, wirkte langatmig und geschichtsschwanger. Doch wer die Geschichte nicht kennt, kennt auch sich nicht, kann keinen Wandel herbeiführen. Klassische humanistische Formen ermöglichen den verständigen Umgang der Geschlechter miteinander und der Menschen in einer Gemeinschaft.
Das Bühnenbild (Helmut Staubach und Uwe Kuckertz) wirkte übermächtig, die bizarren Berge leuchteten rostrot, rostrot wurde erklommen, bot Ausblick und Versteck. Und nur von den Körpern der Liebenden leuchtete blutrot. Es ist Krieg.

Die Liebe bleibt was sie ist, immer war und sein wird – verbindendes Element bis in den Tod. Nur wer wahrhaft liebt, weiß um die Kraft und Macht dieses umfassenden Gefühls. Ihre Eskalation bedeutet stets: Die Kreatur ist bei sich angekommen.

Da sei doch Pragmatismus vor, der das Zusammenleben regelt, so weit regelt, dass kein Platz mehr für das Individuum bleibt. Fazit: Alle doktrinären Systeme fordern ein hohes Maß an Selbstverleugnung vom Menschen. Dies vermittelte unter anderem die zeitgemäße Aufführung. Sie konfrontierte den Zuschauer mit Wissen, minimierte die Spannung und die Bilder zwischen den Darstellern und trachtete diese durch Erzählungen in die Zuschauer zu übertragen. In klassischer Form brachte sie realistische Bilder auf die Bühne.


 
C.M.Meier

 

 


Penthesilea

von Heinrich v. Kleist

Katharina Hauter, Stephanie Leue, Jennifer Minetti, Anna Riedl, Lisa Wagner, Dennis Herrmann, Shenja Lacher, Tobias Langhoff, Rudolf Wessely

Regie: Hans-Joachim Ruckhäberle

Residenz Theater Die Geburtstagsfeier von Harold Pinter


 

 

Pinter oder kein Ausweg

Alles scheint im Lot, in der kleinen Pension eines englischen Seebades. Familiär geht es zu, denn neben Meg, Frau des Hauses, und Ehemann Petey, Liegestuhlwächter des Urlaubsortes, lebt lediglich ein Gast seit einem Jahr in der Pension: Stanley. Der Kostgänger ist sagenumwittert, soll ein berühmter Pianist sein, der nach eigenen Angaben schon ein Konzert gegeben hat. Ein einziges, wohlgemerkt! Danach haben finstere Mächte, er selbst hat nur eine vage Ahnung davon, der Karriere ein abruptes Ende bereitet. Also hat sich Stanley in die Pension zurückgezogen, wo er in den Tag hineindämmert, rauchend, trinkend und auf dem besten Weg zur völligen Verwahrlosung.

Eines Tages ziehen zwei neue Gäste ein, Goldberg und McCann. Das ist für alle überraschend, denn eigentlich ist diese Pension keine Pension, gleichwohl die Einrichtung in einem Verzeichnis als solche gelistet ist, und tatsächlich ist man bislang recht zufrieden gewesen mit dem einzigen Gast. Zumindest Meg genießt die Anwesenheit des jungen Mannes, der sie durch sein bloßes Dasein daran erinnert, dass sie auch ein sexuelles Wesen ist. Komplettiert wird das kleine Universum durch die junge Nachbarin Lulu, einer sexuell aufreizenden Person.

Beim Eintreffen von Goldberg und McCann wird offenkundig, dass Stanley Geburtstag hat. Goldberg erbietet sich sogleich, eine Geburtstagsparty auszurichten. Konkret bedeutet dies, dass große Mengen Whiskey herbeigeschafft werden. Es kommt vor der abendlichen Party zu einem verhörähnlichen Gespräch zwischen Goldberg, McCann und Stanley, das bedrückende Ahnungen freisetzt. Sind die beiden Neuankömmlinge seinetwegen da? Wer sind sie überhaupt? Steht hinter allem eine Organisation? Sind es Mörder oder Polizisten, Geheimbündler oder ideologische Partisanen? Die Antworten darauf bleiben im Dunkeln, ebenso die wahre Identität Stanleys. Am Morgen nach der Party erscheint Stanley geschniegelt und gebügelt, gibt nur noch unartikulierte Laute von sich und wird von Goldberg und McCann schließlich mitgenommen. Wohin? Auch das bleibt ein Rätsel.

Dass dieses Stück bereits ein Jahr nach seiner Entstehung (1957) das Bühnenlicht des Art Theatre Cambrigde erblickten konnte, verdankte Pinter wohl dem Schaffen Becketts, der mit „Warten auf Godot“ derartige Theaterstücke auf der Bühne erst möglich machte. Doch ein zweiter Name drängt sich unmittelbar auf: Franz Kafka. Parallelen zu dessen „Prozess“ drängen sich förmlich auf, denn wie Josef K. ist auch Stanley in den Sog von Mächten geraten, die sich nicht packen lassen.

Harold Pinter zeichnete sich anderen Autoren gegenüber dadurch aus, dass in seinen Stücken eigentlich keine wirklichen Dialoge stattfinden, sondern jeder aufs Geratewohl vor sich hinschwätzt, und zwar in einer sozial determinierten Sprache. Also, so möchte man meinen, kann es nicht das Ziel der Protagonisten sein, irgendwo anzukommen. Allein diese Auffassung macht deutlich, wie aktuell das Stück eigentlich ist. Wichtig ist nur, dass es irgendwie weitergeht. Das Wohin wird geflissentlich, auch Dank einer umfassenden Einfallslosigkeit, verdrängt. Utopien fehlen und Verschwörungstheorien sind allgegenwärtig.
 
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Dieter Mann, Cornelia Froboess, Robert Joseph Bartl

© Thomas Dashuber

 

 

Thomas Langhoff zielte mit seiner Inszenierung am Residenz Theater vornehmlich auf eine Aussage, die Petey an Stanley richtet: „Stan, lass dir von denen nicht sagen, was du tun sollst!“ Das impliziert: Wenn du dich darauf einlässt, bist du verloren. Darin liegt immerhin eine Aufforderung zum Widerstand.

Thomas Langhoff ist ein Regisseur, der sich gern auf den künstlerischen und intellektuellen Gehalt eines Dramas verlässt und keine ästhetischen Experimente bevorzugt. So kommen seine Arbeiten gelegentlich konventionell und auch altbacken daher. Wer auf visuelle Effekte oder verblüffende szenische Lösungen hofft, wird leer ausgehen. Bühnenbildner Stefan Hageneier schuf einen gut einsehbaren Schnitt durch das Wohnzimmer von Meg und Petey, das naturalistisch eingerichtet war und den maroden Charme der fünfziger Jahren verströmte.

Darin wuselte Cornelia Froboess sehr überzeugend hausfraulich und geschäftig herum. Sie war zweifelsohne eine gute Besetzung für diese Rolle. Küchenarbeit schien ihr nicht fremd zu sein. Gelegentlich hielt sie in ihrer Geschäftigkeit innen und sonderte durchaus komisch wirkende Einsichten über das Leben und die Welt, die Meg gar nicht kannte, ab. Helmut Stange war als Petey aufgrund seiner Arbeit der Einzige, der Kontakt zur Außenwelt hielt. Ihm schien die Häuslichkeit (gut überspielten) Verdruss zu bereiten und so kommentierte er die Vorgänge nur, wenn das Wort an ihn gerichtet war und dann stets aus einer deutlichen geistigen Abwesenheit heraus. Robert Gallinowski gab einen gehetzten, sich bedrängt fühlenden Stanley, der durch diese Haltung das kommende Grauen, und als solches konnte die Anwesenheit von Goldberg und McCann gesehen werden, vortrefflich vorbereitete. Nadine Germann fiel der Part einer sexuell anziehenden Provinzschönheit zu. Ihre Lulu war ein Marilyn Monroe-Verschnitt, der dieser Aufgabe durchaus gerecht wurde.

Für die Rolle des Goldberg hatte sich Thomas Langhoff den Berliner Granden Dieter Mann mitgebracht. Der spielte den Part des undurchsichtigen Vorgesetzten von McCann auf diabolische Weise. Die unterschwellige Brutalität wurde immer wieder von oberflächlicher freundlicher Zuneigung gegen jeden Mitspieler aufgehoben und dadurch deutlich verstärkt. Robert Josef Bartl gab als McCann den treuen Famulus und Vollzugsbeamten, hörig und gleichsam wie ein gezähmte Bestie, zu jeder, auch der undenkbarsten Tat fähig. Bartls physische Präsenz war wohl das Sehenswerteste des Abends. Massig, skurril, verschroben und unberechenbar agierte er wie ein Pitbull im Streifenanzug. Dabei kam es im ganzen Stück eher selten zu physischer Expression. Die pure Anwesenheit beider Figuren und deren geheimnisvolle Hatz gegen Stanley sollte das verstörende Element sein.

Das Unsichtbare, das Unbekannte verbreitet Angst und Schrecken. Und der devote Kniefall vor dem Unsichtbaren führt in die Katastrophe. Das könnte eine mögliche Interpretation des Abends sein. Die Inszenierung am Residenz Theater vermittelte in jedem Fall die Größe der Pinterschen Vorlage. Pinter schrieb Stücke für ein Startheater, in dem die Darsteller ihre Vorzüge ausstellen können. Das wurde in der Bühneneinrichtung durch Thomas Langhoff sichtbar. Dennoch verharrte die Gesamtansicht in Konventionen, durchaus unterhaltsam und gut gespielt, doch nicht wirklich verstörend.  

 
Wolf Banitzki

 

 


Die Geburtstagsfeier

von Harold Pinter

Aus dem Englischen von Michael Walter

Cornelia Froboess, Nadine Germann, Robert Joseph Bartl, Robert Gallinowski, Dieter Mann, Helmut Stange

Regie: Thomas Langhoff