Residenztheater Der Revisor von Nikolai Gogol
Auf dem zweiten Blick: Bedrohlichkeit
Dass „Der Revisor“, bereits 1835 von Nikolai Gogol nach einer Idee von Puschkin verfasst, ein außerordentliches Stück nicht nur im Kontext seiner Zeit, sondern auch im Kontext der russischen Literatur ist, beweist die Inszenierungstradition. Was allerdings ebenfalls sehr erstaunlich ist, verrät ein Blick in die russische Theatergeschichte, deren erste große Schöpferin und Erneuerin die Zarin Katharina die II. war. Kaum zu glauben, aber wahr: Sie überwand, das dem ersten ernstzunehmenden Bühnenautor Russlands, Alexander Sumarókow (1718-1777) und der „russischen Seele schlechthin“ eigene „bürgerliche Trauerspiel mit seinem relativen Realismus“. Katharina griff dabei auf die Vorlagen des französischen Theaters zurück und gestaltete ihre Komödien witziger, lebendiger und zeitbezogener. Wie schon der eigentliche Begründer des russischen Theaters, Zar Peter I. (1689-1725), erkannte Katharina die didaktischen Möglichkeiten der Dramatik. Sie war darum, das sei unbedingt angemerkt, keine Philanthropin und vom unsäglichen Leid des Volkes gänzlich unberührt. In ihren drei, von Kotzebue ins Deutsche übersetzten Komödien, „Der sibirische Schamane“, „Der Betrüger“ und „Der Verführte“, zog sie gegen Aberglaube, Klatsch und die Furcht vor Bildung und Freidenkertum zu Felde. Die Geschichte des russischen Theaters unter Katharina birgt allemal guten Stoff für eine große Komödie. Im Jahr ihres Machtantritts 1762 durchbrach die russische Aristokratie den zaristischen Absolutismus. Fortan durfte (Hört! Hört!) kein Adliger mehr mittels Prügel in den Staatsdienst gezwungen werden. Die Blaublütigen zogen sich auf ihre Güter zurück und huldigten einer von Frankreich importierten, virulent grassierenden Leidenschaft, dem Theater. Die gegründeten Ensembles bestanden durchweg aus Leibeigenen. Das muss man sich einmal vor Augen führen, der freieste Beruf der Welt wurde von Sklaven ausgeübt und Fehler auf der Bühne wurde mit Prügel bestraft. Mehr als einhundert Leibeigenentheatern existierten zu Beginn des 19. Jahrhunderts, gut fünfzig allein in Moskau, also zu jener Zeit, als Gogol seinen Revisor verfasste.
Nun fragt man sich, was das wohl mit der Inszenierung im Residenztheater zu tun hat? Auf den ersten Blick gar nichts, doch es ist interessant zu wissen, dass hinter so einer vermeintlichen Komödie mehr steht, als bloße Belustigung. Und das war die Inszenierung von Herbert Fritsch, der sowohl für die Regie, als auch für die Bühne verantwortlich zeichnete, auf den ersten Blick allemal. Fritsch ist für seine aufregenden ästhetischen Lösungen berühmt und berüchtigt (Siehe auch „Die (s)panische Fliege“, Schwank von Franz Arnold und Ernst Bach an der Berliner Volksbühne.) Fritsch ist in erster Linie Schauspieler, und zwar ein sehr agiler, der die Mechanik der Komödie meisterlich beherrscht. So glich die Inszenierung denn auch einem komödiantischen Rennen um die Trophäe für den dümmsten, hässlichsten und eitelsten Bürger. Gogol stellte der Komödie das russische Sprichwort voran: „Den Spiegel soll nicht schelten, wer eine Fratze hat!“
Es geht um die Bevölkerung einer Kleinstadt, die einander in Verlogenheit, Faulheit, Geilheit und Gier zu überbieten sucht. Die städtischen Angelegenheiten sind der völligen Verwahrlosung anheim gefallen. In diese Situation hinein schleicht sich das Gerücht, ein Revisor sei auf dem Weg in die Stadt, um die Zustände zu prüfen. Panik kommt auf. Zur selben Zeit logiert ein junger Taugenichts nebst Diener im Gasthaus. Schnell setzt sich die Meinung durch, es handele sich unzweifelhaft um den Revisor, der wacker sein Inkognito zu wahren weiß. Sofort überbietet man sich in Gunstbezeugungen und Chlestakow, so der Name des verschwenderischen Mannes, erkennt sehr schnell den Irrtum und beginnt ihn für sich auszubeuten. Die Bürgerschaft hingegen ist sehr glücklich, dass sie auf einen ebenso korrupten Revisor gestoßen sind, wie sie selbst. Und Chlestakow nimmt, was sich ihm darbietet, neben Geld auch die Frau und die Tochter des Bürgermeisters.
Stefan Konarske, Robert Niemann, Sebastian Blomberg, Aurel Manthei, Johannes Zirner, Studierende der Otto-Falckenberg-Schule © Thomas Aurin |
Der Betrug fliegt auf, nachdem der falsche Revisor abgereist ist. Erneut wurde unrechtmäßig ein Brief geöffnet. Dabei handelt es sich um eine detaillierte Beschreibung der Bürger durch Chlestakow, verfasst für einen Freund und Zeitungsschreiber. Als wäre die Niederlage nicht schon demütigend genug, liest man sich die beschämenden Charakteristiken auch noch gegenseitig vor. Ausgelöst wurde die existenzielle Panik eingangs in der Bürgerschaft durch den Satz: „Ein Revisor kommt zu uns.“ Am Ende heißt es: „Der auf Allerhöchsten Befehl aus Petersburg eingetroffene Beamte beordert Sie alle unverzüglich zu sich. Er ist im Gasthof abgestiegen.“ Die Geschichte hat kein Ende und so zieht sich, das kann Jedermann erkennen, diese Geschichte durch die ganze Historie.
Zurück zum ersten Blick auf die Inszenierung. Bühnenbildner Fritsch schuf sich eine Bühne, die aus hintereinander aufgehängten Haussilhouetten aus Plastikfolie bestanden. Die zwischen diesen „Häusern“ wandelnden Figuren wurden trotz der unscheinbaren Farben ihrer Kostüme immer wieder wahrnehmbar, wenn sie durch die Straßen streiften. Die Kostüme von Victoria Behr waren aufwendig stilisierte Überzeichnungen russischen Biedermeiers und wundervoll anzuschauen. Außer Chlestakow (Sebastian Blomberg), der in einem pinkfarbenen, geckenhaften Anzug steckte und sein Diener Ossip (Stefan Konarske) in einem kurzhosigen Bubenanzug in dunklem Orange, brachten nur noch Barbara Melzl als Frau des Bürgermeister in Rosa und deren Tochter, gespielt von Britta Hammelstein in Gelb, Farbe auf die Bühne. Die Bürger agierten mit wächsernen Gesichtern, weißen oder blonden Haaren in blassen Kostümen. Es war ein Haufen von buckelndem Gewürm, dass sich unter den eigenen Lügen wand wie auf einer heißen Herdplatte. Uniform kamen sie daher, gemeinschaftlich in Geist und Moral.
Aurel Mantheis Bürgermeister hatte großen Wiedererkennungswert. Über diese sehr heutige Figur hinaus, wurde mancher überdrehter Manierismus zum Markenzeichen. Michele Cuciuffo, der den Kreisarzt Dr. Hübner spielte, war derart neben der Geschichte, dass er nie zur rechten Zeit auch nur ein Wort fand. So hinkte er jeder Situation in blödsinnig-erstaunter Gebärde hinterher. Sierk Radzei konnte in der Rolle als Polizeichef Korruptkin seine propere Körperfülle, nicht unbedingt Synonym für Agilität und Tatendrang, ins Feld führen, und Jörg Lichtesteins Pagenfrisur hebelte die normalerweise respektable Figur des Schulmeisters auf lächerlichste Weise gänzlich aus. Paul Wolff- Plottegg spielte einen Postmeister, dessen Kaldaunen von all der Lügerei zu bersten drohten. Robert Niemann und Johannes Zirner gaben wie eineiige Zwillinge die Gutsbesitzer Bobtschinskij und Dobtschinski, denen eine Großteil der Schuld am Irrtum zugeschrieben wurde. Sie mussten sich redlich verteidigen gegen das sündige Bürgervolk. Nicht der ist der Böse, der die Wahrheit verkündet, sondern der, der die Entdeckung möglich macht, was den Stellenwert der Lüge definiert. Sie ist der Kitt, der die ganze Gesellschaft zusammenhält. Sebastian Blomberg führte diese Gesellschaft am Nasenring ihrer eigenen Verstrickungen selbstverliebt, gespreizt und in jedem Fall grandios durch die Manege.
Der Regisseur Fritsch inszenierte ein aufgedrehtes Panoptikum, marktschreierisch und um keinen Kalauer verlegen, mochte er sich auch noch so tief in Gogols Gedankenwelt verbergen. Schrill ging es zu, für manchen Geschmack zu schrill, und so muss man einwenden, dass hier und da die Komik in Albernheit kippte und peinlich oder gar penetrant wurde. Verblüffend waren die szenischen Lösungen und auch das Spiel der Darsteller allemal.
Und nun zum zweiten Blick auf die Geschichte. Bei diesem erspähte man zehn Figuren (gespielt von Studenten der Otto-Falckenberg-Schule), deren hässliche Masken und grobe Kaufmannskostüme daran erinnerten, dass die Geschichte in einer Stadt spielte, in der Menschen unter der Misswirtschaft der Altvorderen litten. Sie waren permanent anwesend, lauernd, beobachtend, die Brosamen einsammelnd. Hier nimmt Fritschs Gogolinterpretation vorweg, was Tschechow gut sechzig Jahre später ausformulierte. Die Krämer kaufen das Land auf und übernehmen mittels Geld die Macht. Ihr Anwesenheit war stets bedrohlich. Als sich gegen Ende ein Gruppenbild mit Revisor formierte, lange in der Pose verharrte und schließlich im Gleichschritt donnernd an die Rampe marschierte, war klar, dass es sich hier nicht nur um eine Komödie handelte. Für den Erhalt der Klasse war jede Lüge recht. Da war man selbst mit dem ein Herz und eine Seele, der einen gerade geschröpft hat. An diesem Punkt sprang die Geschichte über die Rampe hinaus ins Hier und Heute.
Der Revisor
von Nikolai Gogol
Sebastian Blomberg, Stefan Konarske, Aurel Manthei, Barbara Melzl, Britta Hammelstein, Hanna Scheibe, Gunther Eckes, Jörg Lichtenstein, Miguel Abrantes Ostrowski, Sierk Radzei, Michele Cuciuffo, Paul Wolff-Plottegg, Robert Niemann, Johannes Zirner, Lena Eikenbusch, Jonas Grundner-Culemann, Thomas Hauser, Lukas Hupfeld, Johanna Küsters, Josef Mattes, Klara Pfeiffer, Philipp Reinhardt, Anna Sophie Schindler, Benjamin Schroeder, Jeff Wilbusch Regie/Bühne: Herbert Fritsch |