Residenz Theater Liliom von Franz Molnár
Philosophisch und wirkungslos
Die Geschichte von Andreas Zavoczki, genannt Liliom, und dem Dienstmädchen Julie ist in erster Linie eine Liebesgeschichte. Sie handelt davon, dass zwei Menschen sich einander unausgesprochen versprechen und dabei ihren Untergang in Kauf nehmen. Zu keinem Zeitpunkt werden die Worte „Ich liebe dich!“ hörbar. Und dennoch ist es ein Pakt bis in den Tod. Liliom, Rummelplatzzampano und Held aller Dienstmädchen, ist ein animalischer und skrupelloser Macho aus Freiheitsliebe. Niemandem zu gehören ist oberstes Prinzip. Auch der Arbeitgeberin, Frau Muskat, die ihn mit 5 Mark allabendlich zu kaufen glaubte, erteilt er eine Abfuhr. Eine ganz andere Wirkung hat Julie auf ihn, die sich ihm vorbehaltlos hingibt, sich schwängern lässt und zu ihm hält, selbst als sie auf der untersten Stufe menschlicher Existenz angelangt sind. Über den Selbstmord Lilioms, das Ende seiner kriminelle Karriere, hinaus hält sie an der unausgesprochenen Liebe fest und verweigert sich Drechsler, einem Mann „mit zwei Kindern und gesichertem Sozialstatus“. Der Plot der Geschichte ist ein fantastischer, denn nach sechszehn Jahren Fegefeuer darf Liliom noch einmal auf die Erde hinab (oder besser hinauf?), um seine Läuterung unter Beweis zu stellen. Er versagt erneut und diesmal ist es die eigene Tochter, der er aus väterlich liebender Ungeduld Gewalt antut.
Franz Molnárs Sozialdrama, das 1909 bei der Uraufführung scheiterte, ist wahrlich kein gewaltiger dramatischer Wurf und dennoch hält sich das Stück zäh in den Spielplänen der Theater weltweit. Der Grund dafür ist zum Einen dessen großes Gefühlsspektrum, das von animalisch-brutal bis traurig-sentimental reicht, und zum Anderen die Sprache, die sehr stark sozial determiniert und trotzdem eine gelungene Kunstsprache ist. Es ist ein Drama, oder eine Legende, wie Molnár es nennt, das jeden angreift. Zudem sind Molnár wunderbar echte, auch witzige Figuren gelungen, die Atmosphäre erzeugen. Dieses Stück ist bestens geeignet, das Theater zumindest für den Augenblick ganz unbestritten in eine moralische Anstalt zu verwandeln, denn es wird menschliches Elend verhandelt, wie wir es hier und heute in jeder Vorstadt finden können.
Regisseur Florian Bösch ließ vorab verlauten, dass er kein Harz IV-Drama auf die Bühne bringen wollte. So konnte man gespannt sein, wenn denn das Naheliegendste ausgeschlagen wurde, mit welcher Lesart der junge Regisseur überraschen würde. Überraschend war die Lesart denn auch, allerdings nicht im positiven Sinne, denn Bösch verhandelte die Geschichte Lilioms nicht für sich, sondern an sich. Er versuchte das Gefühlsdrama, ein solches ist es ohne Frage, auf eine philosophische Ebene zu heben, ... und verhob sich. Heraus kam ein theoretischer Exkurs zum Thema bürgerliche Existenz. Dabei schien er den antagonistischen Widerspruch, dass Liliom der Gegenentwurf zu einem gesellschaftlichen (also bürgerlichen) Wesen ist, bereits vorab aus dem Auge verloren zu haben. Also dozierte er mit theatralischen Mitteln über die Nebenrollen, Marie und Wolf, denen der Einstieg ins „bürgerliche“ Leben gelang. Bei allen vermeintlichen Wahrheiten, die über Spielgestus und Ausstattung vermittelt werden sollten, unterlief ein gravierender definitorischer Fehler. Bürgerlichkeit war bei Florian Bösch eine Frage des Besitzstandes, nicht aber der Denkungsart und der kulturellen und geistigen Substanz, die einem „Klassenwesen“ eigen ist. Aus diesem Grund konnten weder Liliom noch Fiscur, beide klassenlose Wesen, weil Outlaws, sichtbare Strukturen annehmen. Der Mensch kann seine Klassenschranken durch Besitzstand nur scheinbar überwinden, jedoch nicht tatsächlich. Geistig und kulturell bleibt er, was er war.
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Anne Schäfer, Michael von Au
© Thomas Dashuber
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So blieb die Inszenierung ein intellektuell geschwätziger Beitrag zum allgemeinen und fruchtlosen Geschwätz über den Zustand des Menschen und der Gesellschaft. Heraus kam dabei nicht, dass sich die Gesellschaft in der vielleicht tiefsten Krise seit Anbeginn ihrer Geschichte befindet, weil diese Gesellschaft, die täglich ihre eigene Unzulänglichkeit beweist, sich für die letzte und höchstentwickelte hält. Dieser Irrtum ist in Molnárs Drama ansatzweise benannt, deutlich wurde er allerdings in der Residenz-Theater-Inszenierung nicht.
Die Bühne von Dorothee Curio war nicht nur einfallslos, sie verriet nicht einmal einen ernstzunehmenden ästhetischen Ansatz. Da das Leben, und insbesondere das von Liliom einem Rummelplatz gleicht, griff die Bühnenbildnerin zum naheliegendsten und zugleich zum verschlissensten Bild, einer mit Partylampen bekränzten Karussellbühne. Monika Rovans Karussellbühnenbild am Volkstheater in der Spielzeit 2006/07 war zwar nicht origineller, dafür aber ästhetisch wesentlich schlüssiger. Dorothee Curio konnte sich zu keiner eindeutigen Ästhetik durchringen, die darin hätte bestehen können, dass sie sich deutlich zu einer deren Kategorien bekennt. Ein bunter Mischmasch von Möbeln, zumeist von ausgesuchter Hässlichkeit, ohne dabei den Rang des Hässlichen zu erringen, bevölkerte das Rondell. Kaum ein Requisit blieb als unverzichtbar in Erinnerung. Diese Unverbindlichkeit war auch den Kostümen Dorothee Curios eigen. Billige Glitzerkleider, glänzende Anzüge und leuchtendes Orange erinnerten an Disco (eine Discokugel war obligat) und die Siebziger Jahre. Warum? Wer weiß!
Text und Ausstattung bildeten allein schon einen Anachronismus, der sich dann auch im Spiel der Darsteller niederschlug. Michael von Au, der Wunschdarsteller des Regisseurs für die Rolle des Liliom, war nicht der animalisch Handelnde, sondern über weite Strecken scheinbar der sensibel Grübelnde. Seine Machohaftigkeit geriet nicht selten zu heutiger Coolness. Das nahm der Figur, die anderes sprach, die Bedrohlichkeit. Anne Schäfers Julie sprühte gelegentlich vor Selbstbewusstsein. Im Stück ist sie eine sehr schlicht gestrickte Figur, die einzig von der Liebe zu Liliom angetrieben wird und darum ohnmächtig und widerspruchslos den sozialen Abstieg mitmacht. Dirk Ossig als Ficsur schien einem Berliner „Tatort“ entsprungen zu sein. Die Verkörperung des reinen Verbrechers blieb marginal. Dennis Herrmann, ein Schauspieler mit unübersehbarer darstellerischer Präsenz, wurde zum Manierismus verführt, sowohl in der Rolle des Wolf, als auch in der des Linzmann. Florian Bösch war es nicht gelungen (Vielleicht waren es auch gar nicht seine Intentionen!), die Darsteller zu einem Spiel zu verleiten, das emotional berührte und darum nachhaltig in Erinnerung blieb.
Der Übervater der Nachkriegskritiker Friedrich Luft gestand nach der Inszenierung des Liliom von Karl Heinz Martin am Hebbel-Theater 1945/46 mit Hans Albers in der Titelrolle: „Ich habe mich – gebe ich offen zu – amüsiert wie Bolle, um im Jargon zu bleiben. Ich habe gelacht. Und ein paar mal, auch das gebe ich zu, drang mir Feuchtigkeit unter die Brille. Das ist blankes Theater.“ Von all dem war in der wenig sinnlichen Inszenierung am Residenz Theater nichts zu spüren. Das Publikum blieb weitestgehend unberührt und bedachte die Premiere nur mit artigem Applaus.
Wolf Banitzki
Liliom
von Franz Molnár
Deutsch von Alfred Polgar Beatrix Doderer, Katharina Hauter, Anne Schäfer, Peter Albers, Michael von Au, Dennis Herrmann, Dirk Ossig, Sophie Köster und Martin Laue
Regie: Florian Boesch |
Residenz Theater Von morgens bis mitternachts von Georg Kaiser
Geld oder Leben
„Das Geld verschlechtert den Wert. Geld verhüllt das Echte - das Geld ist der armseligste Schwindel unter allem Betrug!“ So formuliert der Kassierer seine letzte Einsicht, nach dem er einen Tag lang mit 60.000 Mark in der Tasche durch das Leben getaumelt war. Und weil die Einsicht so nüchtern ist, führt er Klagen gegen das Mädchen, dass gleichsam seinen Tod symbolisiert: „Ein Fünkchen Erleuchtung hätte mir geholfen und mir die Strapazen erspart.“ Dann erschießt er sich.
Angefangen hat alles in einem Geldinstitut mit dem Erscheinen einer feinen Dame in Pelz und Seide, die augenblicklich die Begehrlichkeiten aller Männer entfachte. Sie fordert eine Auszahlung, die ihr verweigert wird, da man sie für ein „Monte-Carlo-Wesen“ hält, eine Betrügerin aus dem Sumpf des Rausches. Der Kassierer greift in die Kasse, eilt in das Hotel der Dame und bietet ihr das gewünschte Geld an. Er will nicht die Frau erobern, sondern direkt und ohne Umschweife das Eingeständnis der Zusammengehörigkeit, denn auch er ist nun ein Betrüger. Warum auch nicht, hatte der Kassierer doch tagtäglich vom Leben gelernt, dass Geld alles regelt, dass Geld die Allmacht ist. Zurückgestoßen taumelt er flüchtend in die „asphaltene Stadt“, um zu kaufen. Doch er will keinen Besitz, sondern Gefühle. Es sucht genau das, was er in der bürgerliche Idylle seines spießigen Heims mit Frau, Kindern, Mutter und Koteletts am meisten vermisst. Sein Dasein ist ein Hölle ohne Ausweg. So setzt er für einen Tag alles auf eine Karte und kommt, wie oben zitiert zu einer tödlich ernüchternden Erkenntnis. Geld zerstört!
Georg Kaiser verfasste das Stationendrama im Jahr 1912. Es ist ein solches, weil es im idyllischen Weimar beginnt und im „asphaltenen“ Berlin endet. 1917 erlebte das Drama seine Uraufführung in München und 1920 wurde das Bühnenstück von Karlheinz Martin stumm verfilmt. Er gilt in Fachkreisen neben den expressionistischen Filmen Robert Wienes als ein innerhalb dieses Ismus’ vollkommenes Werk. Wer diesen Film jemals gesehen hat, wird die rasanten, rauschhaften Bilder nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Allerdings käme das einem Wunder gleich, denn der Film fand seinerzeit keinen Verleiher für Deutschland und wurde nach Japan verkauft, wo er ein großer Erfolg war. In Deutschland blieb der Film weitestgehend unbekannt.
Die Schwierigkeit im Umgang mit dem Drama resultiert zum einen aus der Sprache, die meisterhaft (expressionistisch) ist und die eine verblüffende Denkungsart verrät. Selbst die Regieanweisungen Kaisers haben hohen literarischen Wert. Zum anderen wird in diesem Drama über ein Thema philosophiert, das eigentlich eine heilige Kuh ist. Es geht um den Fetischcharakter des Geldes (Karl Marx) und seiner zerstörerische Wirkung.
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Wolfgang Menardi, Lambert Hamel, Anne Schäfer, Juliane Köhler
© Thomas Dashuber
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Tina Lanik inszenierte das durchaus aktuelle Stück am Residenz Theater nicht als atemlose Hatz, wie im Film, sondern sehr gemessen, sich auf die Inhalte konzentrierend. Dabei sparte sie Komödiantisches nicht aus. Die Inszenierung war nicht nur visuell sehenswert, sondern brachte ein Thema so deutlich zur Sprache, wie man es in den Medien und der Kunst heute weitestgehend vermisst. Dabei gelang ihr ein hochartifizielles Werk, das seinen expressionistischen Charakter bewahrt hat und den Brückenschlag in die heutige Zeit mühelos schafft.
Für den Erfolg zeichnen dabei ganz wesentlich Bühnenbildner Stefan Hageneier und Kostümbildnerin Su Sigmund verantwortlich. Hagenmeier schuf eine farbige, aber doch nüchterne Bühne, die nicht vorgab, einen tatsächlichen Ort zu definieren. Er erinnerte mit der klarlinigen Architektur an den pseudosakralen Charakter der Bauten des gesichts- und seelenlosen Mammons, - der Banken, Geschäftshäuser und Konzernsitze, die nach außen hin Festungen gleichen und die die Menschen immer kleiner erscheinen lassen, als sie tatsächlich sind. Über allem war stets der Satz zu lesen: „Das Geld verschlechtert den Wert.“ Konkrete Orte wurden genannt oder durch die Kostüme definiert. Die sechs grasgrünen Radfahrer beim Sechstagerennen erzielten einen verblüffenden visuellen Effekt, ebenso die Huren in expressionistischer Aufmachung, wie man sie von Bildern George Grosz’ kennt. Ansammlungen von Männern erinnerten in ihren schwarzen Anzügen, Mänteln und Hüten stets an die Josef K.s von Kafka.
Tina Lanik kontrastierte die nicht selten nüchtern-selbstreflektorisch vorgetragenen Einsichten Lambert Hamels als Kassierer mit komödiantischen Spitzfindigkeiten. Als Juliane Köhler in atemberaubender Aufmachung in der Bank erschien, entlarvte Oliver Nägele die Provinzialität und das Animalische eines Kleinstadtbankdirektors mit einem einzigen Griff in seinen Schritt. Wolfgang Menardi parodierte das Bemühen der Tochter (Anne Schäfer), die Tannhäuserouvertüre auf dem winzigen mechanischen Flügel herunter zu hämmern, was an sich schon reichlich absurd war, mit dem „hemmungslos gefühlvoll“ vorgetragenen „Im weißen Rössl am Wolfgangssee“. In Kaisers Drama ist es das ebenso kitschige Lied „Die weißen Dame“. Doch diese Walze war nicht abonniert. Die Kleinbürgerlichkeit ließ alles, außer die Koteletts, schrumpfen und spießigen „Kunstanspruch“ nur lächerlich erscheinen.
Lambert Hamel stellte einen weitestgehend emotionslosen Kassierer dar, bei dem die menschlichen Regungen schon lange zuvor verschüttet waren. In seltenen Momenten, beispielsweise wenn er durch ein Preisgeld die Menschen bis zur Besinnungslosigkeit toben ließ, durchzuckte es ihn. Juliane Köhler erschien nach der Darstellung der feinen Dame als holzbeinige Hure, und wirkte wie der Gegenentwurf zu dieser. Oliver Nägele kolportierte als Moderator einer Büßerveranstaltung heutige Selbsthilfegruppen und therapeutische Talkshows.
Tina Laniks Inszenierung, so nüchtern sie auch angelegt war, hielt immer wieder Überraschungen bereit. Zudem verzichtete sie dankenswerter Weise auf das bombastische Ende, wie Kaiser es entworfen hatte. Dort heißt es nach dem Selbstmord in der Regieanweisung: „Kassierer ist mit ausgebreiteten Armen gegen das aufgenähte Kreuz des Vorhangs gesunken. Sein Ächzen hüstelt wie ein Ecce – sein Hauchen surrt wie ein Homo.“
Georg Kaiser untersuchte in seinem grandiosen Drama die psychologische Wirkung des Geldes auf den Menschen, ohne sich in den Gefilden der Sprache der Ökonomie zu verirren und schuf ein Meisterwerkt über die Geißel Geld und die daraus resultierende, mehr oder weniger freiwillige Sklaverei. Tina Lanik brachte es in ihrer Inszenierung mit der Alternativfrage „Geld oder Leben?“ auf den zwar überzeichneten, aber doch sinnvollen Punkt.
Wolf Banitzki
Von morgens bis mitternachts
von Georg Kaiser
Gabi Geist, Juliane Köhler, Anne Schäfer, Lambert Hamel, Dennis Herrmann, Wolfgang Menardi, Oliver Nägele
Regie: Tina Lanik |