TamS Die Affengruppe ist gar nicht vorgekommen von Philip Arp


 

Wichtig ist …!

Von der Erklärung zur Aufklärung und der Tatsache, dass Alles Nichts nützt. So kann der Tenor der Inszenierung im TamS kurz und prägnant beschrieben werden. Damit könnte diese Besprechung auch schon zu Ende sein, was dennoch nicht ist.

Die Welt des Philip Arp war geprägt durch seinen Münchner Humor, der ein sehr eigener, geradezu weltweit einmaliger ist. Als echtes Münchner Kind der Kriegs- und Nachkriegsjahre erlebte er unmittelbar die Ideologie- und Systemgläubigkeit seiner Mitlebenden. Mitmachen war ihm oft nur am Rande möglich, von wo der Blick stets ein anderer ist. Er gründete das TamS, schrieb einmalige Texte und Dialoge und entwarf, baute Bühnenbilder. Wie wenig sich tatsächlich in den vergangenen dreißig Jahren, seit seinem Tod, geändert hat, und wie sehr doch die Absurdität mancher Idee und manchen Tuns zugenommen hat, verdiente wiederum den Weg vor Publikum.

„Der Beruf des Zuschauers …das ist auch eine Arbeit.“, so erklang es nach dem Applaus zum Beginn der Vorstellung. Philip Arps Stimme schallte vom Band. Er erklärte die Bretter der Bühne zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und begann bei Null, sozusagen. Vom Brett per se über den Auftritt des Schauspielers bis zur Aufforderung zu Applaus und eine Pause, führte der Einstieg. Nach der Pause ging es technisch aufgerüstet weiter mit der Darstellung der Funktion einer Drehbühne, und schon lief alles rund. Die Schauspieler in fantasievollen Charakteren und ebensolchen schillernd plüschigen Kostümen trugen die Sprach- und Gestaltungsspiele auf und, durch eine extra platzierte Türe, wieder von der Bühne. Beweglichkeit, Einfallsreichtum, kunstvolle Umsetzung und dazu ein wichtiges Maß an Ernsthaftigkeit in den Gesichtern wurde erspielt, oder war alles einfach der Realität abgeschaut?

Aus dem Off hinter dem Publikum brachten Aurelio Ferrara und Zoltan Sloboda, in gewohnter Straßenkleidung und sprachlich klar, den Text von „Die Affengruppe ist gar nicht vorgekommen …“ ins Spiel. Ein Extraauftritt, sozusagen.

„Wozu der ganze Aufwand …“- „Für nix und wieder nix.“ Ganz so isst es nun nicht, denn immerhin schwebte eine überdimensionale Weißwurst auf die Bühne, ein Geschenk des Himmels. In der richtigen Welt, ergeben sich immer wieder Wunder, wie das Stück, die Inszenierung, die künstlerische Ensembleleistung in einem bewährten und eingespielten Theaterkosmos.

  AffengruppeHilda Lobinger  
 

Burchard Dabinnus, Maria Peschek, Charlotte von Bombard,  Helmut Dauner, Axel Röhrle, Ines Honsel

© Hilda Lobinger

 

In einer Zeit, in der die Absurdität vielen Tuns, wie das alltägliche Wetterleuchten anmutet mit dem man Wichtigkeit vorgaukelt und erklärt, ist das Stück von hoher Aktualität. Allein das Bühnenbild, welches im  Laufe des Stücks zusammengestellt wurde, machte dies erkennbar, stellte das Abstrakte in den Mittelpunkt. Die Zukunft findet in weißen, von grau durchbrochenen Flächen, dominiert von einem schwarzen Balken statt. Von Lebendigkeit keine Spur, nachdem auch noch die Darsteller, diese Bretter die die Welt bedeuten, verlassen hatten.

Wer die Liebe zu den Münchner Besonderheiten pflegt und Doppeldeutigkeit zu erkennen vermag, dem wurde in der Aufführung hinreichend Hintergründiges aufgetan. Skurril, geschäftig, bisweilen leicht und heiter bot das Ensemble einen unterhaltsamen Abend. Und darum geht es doch in dieser Welt, oder?

 

C.M.Meier

 


Die Affengruppe ist gar nicht vorgekommen

von Philip Arp

Charlotte von Bombard, Burchard Dabinnus, Helmut Dauner, Ines Honsel, Maria Peschek, Axel Röhrle und Aurelio Ferrara, Zoltan Sloboda

Regie: Anette Spola, Lorenz Seib

TamS Valantin in Halifax von Anton Prestele, Barbara Altmann & Ensemble Apropos frei nach Karl Valentin


 

Valentin: Zu gesund ist auch schon wieder krank

Theater als Therapie ist längst fester Bestandteil in der Gesellschaft. Theater als Raum für die gesellschaftliche Bestätigung im Sinn von „mehr Akzeptanz“ psychisch kranker Menschen durch künstlerisches Schaffen geht einen deutlichen Schritt darüber hinaus – oder zumindest in eine andere Richtung. Die Arbeit des Theaters APROPOS ist ausdrücklich nicht therapeutisch. (Wobei, heutzutage eine gute Arbeit tun ist unbedingt therapeutisch.) Initiiert wurde diese Unternehmung bereits im Jahr 1998 vom gemeinnützigen Verein zur Hilfe für Alterskranke und seelisch Kranke mit Namen „Ariadne e.V.“ Im Zeitraum von 1998 bis 2012 wurden unter der künstlerischen Leitung von Anette Spola und Rudolf Vogel insgesamt sieben Stücke erarbeitet und erfolgreich zur Aufführung gebracht. Seit 2013 steht der Komponist und Theatermacher Anton Prestele dem Projekt vor. 2014 präsentierte das Theater APROPOS mit „Sinds net bös“ die erste Arbeit unter ihrem neuen Impresario, „Valentin in Halifax“ ist die zweite.

Auf der cremefarbenen Bühne von Claudia Karpfinger standen einige Wandsegmente, die das Äußere/Innere einer Passagiermaschine beschrieben. Das Spiel begann und eine illustere Reisegesellschaft (Kostüme Katharina Schmidt) ging an Bord, Nachzügler inklusive. Die Stimmung war prächtig. Der Stewardess, die eifrig und wild gestikulierend die Notausgänge und das Verhalten im Notfall erklärte, schenkte niemand Aufmerksamkeit. Bis hierher war es wie im normalen Leben. Doch schon die Begrüßung durch den Flugkapitän ließ einige Ahnungen aufkommen, dass es sich nicht um eine normale Reise handeln würde.

Und bald schon spielten sich seltsame Szenen ab. Don Quichote traf auf Carmen, die lustvoll trällerte. Eine Diskussion entbrannte, warum es im Gebet nicht heißt: „Herr, unsere täglich Kartoffel gib uns heute!“ Die Vorzüge altbackenen Brotes wurden gepriesen, was eigentlich zur Folge haben sollte, dass das Gebet „Herr, unser täglich Brot gib uns morgen!“ lauten müsste. Man versuchte sich an dem Mysterium, als Mensch Lust auf einen Wurm zu bekommen unter der Voraussetzung, dass man eine Ente sei oder dies zumindest träumte. Eine echte Perle darstellerischer Kunst war der nicht realisierte Mord, der in einer Eisdiele endete, und die Diskussion darüber, dass das Publikum es aushalten muss, dass die Darsteller (Roswitha Teschner und Anton Prestele) das Eis aufessen, da es sonst schmelze. Wäre halt schade drum. 

  Valentin in Halifax  
 

© Benjamin Schmidt

 

Wie nicht anders zu erwarten, stürzte die Maschine naturgemäß ab und die Reise nach Halifax wurde schwimmend fortgesetzt. Selbst im Meer gab es eine Menge zu entdecken, vornehmlich Müll. Dezente Botschaften, denn schließlich sollte jedes Kunstwerk ein wenig zur moralischen Ertüchtigung der Zuschauer beitragen. Man schwamm und schwamm, bis man endlich realisierte, dass gar kein Wasser mehr da war. So setzte man sich ans Lagerfeuer, mutierte zu Indianern und lauschte der alten Weise, die da endete: „Und wenn Aafa und Ufa sich zürnend und tobend in die Augenmuscheln schreien, liegt Afuu auf dem satten Rasen und raucht die Friedenspfeife.“ Doch so versöhnlich kitschig endete der Abend denn doch nicht. In einem letzten Song wurde noch einmal eine heutige Realität beschworen, in denen Menschen in vielen Ländern Fremde seien, die auf ihrer Flucht vor Krieg, Tod, Hunger und Kälte auf freundliche Aufnahme hoffen. Immerhin Kanada, und damit wäre man auch in Halifax angekommen, verhält sich mustergültig. Ehre, wem Ehre gebührt!

Einem Programm mit Texten und Ideen von Karl Valentin eine mangelhafte Dramaturgie vorzuwerfen ist ebenso blödsinnig, wie der Versuch, folgendem Satz einen Sinn zu entnehmen oder einen hinein zu interpretieren: „Die Beiseitelegung des Handelsvertrages mit der sizilianischen Straßenreinigungsaktiengesellschaft, welche mit 120% des Grund- und Hausbesitzervereins im Kegelklub Alt-Heidelberg eine abermalige Verzinsung der Reichskassakontosteuer zu Allach (Bezirksamt Berlin) in Anrechnung brachte, konnte kraft seines 300jährigen Bestehens des afrikanischen Perlacher Knabenchores zur nochmaligen Submission herangezogen werden.“ (Valentin: Eine fidele Münchner Stadtratssitzung anno dazumal. - Keine Bange, der Text ist nicht in der Inszenierung!) Und dennoch glaubt man ehrfürchtig, einer ernsthaften Haushaltsdebatte eines bayerischen Landkreises beizuwohnen.

Egal, eine Reise sollte es sein und eine Reise war es auch, die in die Tiefen der Tiefsee, in die Tiefen der menschlichen oder tierischen Seelen, in die Gefilde der Mystik und ihren transzendentalen Wesen (Huhuuu!) oder in die Geschichte der Literatur und der Musik usw. führten. Singend (Musik Anton Prestele und Zoltan Sloboda) und schauspielernd bewiesen die Darsteller, dass sie Valentin nicht nur verstehen (Soweit das halt möglich ist!) und mögen, sondern ihn auch zu interpretieren vermochten. Es war ein besonderer und ein kurzweiliger Abend, der zu Recht vom Publikum mit viel Applaus bedacht wurde.

Wolf Banitzki


Valentin in  Halifax    

von Anton Prestele, Barbara Altmann & Ensemble Apropos frei nach Karl Valentin

Barbara Altmann, Maria Bauer, Babette Bühler, Laura Helle, Dagmar Koch, Javier Kormann, Anton Prestele, Kerstin Schultes, Zoltan Sloboda, Roswitha Teschner

Regie: Anton Prestele

TamS  Morgen geht‘s los, ich bring die Axt mit von Horst Hussel


 

Misstraue deinem Zeigefinger, wenn es um die Zähne geht!

„Formalistische Umtriebe“ – besser kann man die literarischen Abenteuer des 1934 in Greifswald geborenen und in Berlin lebenden Malers und Schriftstellers Horst Hussel kaum beschreiben. Im historischen Kontext betrachtet, war diese Stigmatisierung allerdings wenig schmeichelhaft und durchaus existenzbedrohlich. Verhängt war das Urteil gegen Hussel von den Kunstasthmatikern der DDR-SED, die in Hussels Darstellungen bloßes Formenspiel sahen, das vom „notwendigen Klassenkampf“ ablenkte und folglich eine „dekadente künstlerische Auffassung“ darstellte. Hussel wurde von der Hochschule für bildende und angewandte Kunst in Berlin-Weißensee gefeuert. Dass es ihm nicht um akademische Titel ging, beweist die Tatsache, dass er im August 1961, also zum Zeitpunkt des Berliner Mauerbaus, auch sein drittes Studium an der Hochschule für Bildende Künste in Berlin-Charlottenburg hinschmiss.

Die akademischen Ehren wurden ihm dennoch zuteil, als die ehemalige DDR-Malerschmiede in Berlin-Weißensee ihm das Abschlusszeugnis im Jahr 1990 nachträglich zuerkannte. Kaum anzunehmen, dass Hussel dieses Diplom mehr bedeutete, als eine verspätete Genugtuung. Viel wichtiger war ihm vermutlich die Ehrenpräsidentschaft der Schwitters-Gesellschaft. Denn die ist wohl mehr als jede akademische Einrichtung Hussels künstlerische Heimat.

Hussel war mit seinen „Umtrieben“ allemal dichter am Menschen dran als die Klassenkampffantasien der DDR-Stalinisten, denen jede künstlerische Form jenseits des „sozialistischen Realismus“ suspekt war, weil sie sie in ihrer Fantasielosigkeit ohnehin nicht verstanden. Die verbissenen Hüter der sozialistischen Kunstdoktrin sind längst perdu, geblieben sind uns die literarischen Perlen von Horst Hussel, dessen faszinierende Dramolette in der Regie von Burchard Dabinnus im TamS zu sehen sind. Ort aller Handlungen ist eine Bank auf einem Friedhof mit Meerblick und einzelnem Baum, der, wie einige Charaktere bei Samuel Beckett ausgeliehen sein könnte.

Hier treffen sich Damen und, auch wenn der Untertitel „Damengespräche“ ist, einige Herren, um die Welt zu reflektieren. Sie entstammen vornehmlich der Kukident-Society, was die Themen schon mal deutlich eingrenzt. Wahrnehmung ist eines, denn die leidet ja bekanntlich im Alter und so stellt man sich des Öfteren die Frage, ob da wohl was ist, oder war, oder nicht und warum nicht. Antworten bleiben aus. Wozu auch, hat man doch beinahe alles hinter sich. „Es gibt keine Überraschungen.“ Das stimmt nicht ganz, denn gelegentlich gerät man schon in Rage. Beispielsweise über die Nachbarin, die einfach nicht sterben will, oder über den Hund einer anderen Dame, dessen Hässlichkeit radikale Taten fordert. Eine Axt kommt auch vor, wie im Titel versprochen, doch letztlich, und das stimmt versöhnlich, enden alle Wege immer wieder an der Bank auf dem Friedhof, das einzig Sichere im Leben aller Beteiligten. Überhaupt, man sollte sich nicht mehr allzu weit entfernen vom Friedhof… Und wenn es um den Sinn der zahlreichen Szenen geht, mögen jüngere Besucher diesen vielleicht hier und da vermissen, die älteren indes haben deutliche Ahnungen und Gewissheiten.

Burchard Dabinnus inszenierte die Miniaturdramen mit viel Feingefühl für Details und großem Verständnis für das Theater des Absurden. Die durchweg komischen Szenen entfesselten weniger Gelächter, als vielmehr unausweichliches Schmunzeln. Hussels elegant-skurrilen Ideen sind fernab von Plattitüden und Klischees angesiedelt; jede für sich ist eine Entdeckung, die selbst philosophischen Ansprüchen stand hält. Regisseur Dabinnus ist es gelungen, sie in ebenso hochkarätiges Schauspiel umzusetzen. Dabei konnte er auf drei Erzkomödianten zurückgreifen. Allen voran Anne-Isabelle Zils, deren Naturell schon eine Menge Komik parat hält, die aber zudem erstaunlich wandlungsfähig ist. Astrid Polak, die zumeist eine bezaubernde alte Dame gab, ließ es ebenso weder an Vorder- noch an Hintersinn und auch nicht an Boshaftigkeiten mangeln. Selbst einen Stalin- oder vielleicht auch Nietzscheschnurrbart trug sie mannhaft. Christian Buse wandelte in beiderlei Geschlechtern auf den Kriegspfaden gesellschaftlicher Umgangsformen mit einem sehr eigenen Verständnis von Mitmenschlichkeit. Er stand in seiner emotionalen Ekstase auch schon mal ohne Hosen da.

Ein wichtiger Grund für das Gelingen der Inszenierung war das wunderbare Bühnenbild und die ausschweifenden Kostüme von Claudia Karpfinger. Das Bühnenbild beschrieb keinen realen Topos, sondern einen nüchtern-abstrakten Lebensraum, in dem auch die zahllosen Kostüme vornehmlich artifiziell und dabei doch wundervoll kleidsam waren. Dieses Ambiente lenkte nicht ab und fokussierte die zum Teil surrealen oder absurden Vorgänge. Die Darsteller spielten in den vielen unterschiedlichen Figuren eine immens große Palette darstellerischer Farben. Unter der Spielleitung von Burchard Dabinnus wurde nichts verschenkt und ein reicher Strauß figürlicher Blüten machten den Abend zu einer Ohren- und Augenweide, dessen Textur vermutlich auch mit einem zweiten Besuch nicht endgültig entschlüsselt werden kann.

Es war unbedingt ein wunderbarer Abend, der einmal mehr die Stärken des TamS zutage förderte. Das TamS ist eine Institution, die im Umgang mit anspruchsvollsten Absurditäten oder mit hochklassigem Nonsens überzeugt. Niemand sollte nun glauben, dass sich keine nachhaltigen, für das Leben bedeutsame Wahrheiten in „Morgen geht‘s los, ich bring die Axt mit“ finden. Allein, manche kann man erst erkennen, wenn man die entsprechenden Lebenserfahrungen persönlich gemacht hat. Eine wäre: Misstraue deinem Zeigefinger, wenn es um die Zähne geht!

Prädikat: Erkenntnistheoretisch wertvoll, zumindest bei nahender Demenz!

Wolf Banitzki

 


Morgen geht‘s los, ich bring die Axt mit

Damengespräche von Horst Hussel

Astrid Polak, Anne-Isabelle Zils, Christian Buse

Regie: Burchard Dabinnus

TamS Seekrank im Schwimmbad von Judith Herzberg


 

Ein Abend – Zwei Leichtwerke

Die Ernsthaftigkeit und die Komik bedingen einander. Und wer wagt es heute verbindlich die Grenzen zwischen den Beiden festzulegen? In einer Zeit in der viele Beschränkungen aufgehoben werden oder einfach im Nichts verschwimmen obliegt es dem Einzelnen, wo für ihn die Wahrnehmung sich wendet oder endet.

Zwei Stücke der bekannten niederländischen Autorin Judith Herzberg fanden den Weg auf die Bühne des TamS. „Wie echt ist echt echt“ und „Seekrank im Schwimmbad“ inszenierte Lorenz Seib. Die Unterscheidung zwischen echt und doch nur nachgeechtet stand im Mittelpunkt der Handlungen um den Agenten Piet, der Schauspieler vermittelt für den scheinbar täglichen Bedarf. Gilt es doch permanent Lücken zu füllen im Miteinander, für die Familienfeier oder auch nur für eine absurde Einbildung. Und Hamlet, Hamlet trifft im Warteraum auf Ophelia um ihr seine Meinung über die Bedeutung und die alltägliche Abnutzung des Kusses darzulegen. Eine bedeutungsvolle Ausführung, voll heiter dramatisch gestalteter Momente um Wahrhaftigkeit. Während im Stück „Seekrank im Schwimmbad“ sich alles um den Hunger, den gewollten Hunger in einem Lebensangebotskurs drehte. Das Gewicht des Körpers und des Lebens abzulegen, wurde in vielen verschiedenen Aspekten in Wort und Bild gesetzt, um am Ende gleich einem Ballon in die Sphäre „Goldener Zeiten“ aufzusteigen. Die poetischen Momente des Emotionalen tragen die Stücke von Judith Herzberg, deren Texte sprachlich bisweilen sehr allgemein gestaltet sind, wohl um den Interpretationsraum universell wirken zu lassen. So bleibt es dem Zuschauer überlassen, welche Aussage er hören mochte im … „…Streit um Nichts …“

  seekrankimschwimmbad  

 

 

Sophie Wendt, Arno Friedrich, Helmut Dauner

 © Hilda Lobinger

 

Mit bestechend eindrucksvollen Bildern setzte Lorenz Seib die Absurdität um Sinn und Beschäftigung in der Gesellschaft ins Licht der Bühne. Die wenigen Requisiten wie Perücke, Stofftier oder Plastikpalme unterstützen vor allem das wundervolle Schau-Spiel der Darsteller. In Mimik und Haltung einander gleichwertig, stellten sie doch ihre unterschiedlichen Eigenheiten in den Fokus. Also jede und jeder - Ruth Geiersberger, Julia Loibl, Sophie Wendt, Helmut Dauner,  Christian Lex - für sich „echt“ schauspielend. Auch hier wieder ein in sich geschlossener Kreis.

Arno Friedrich, verkörperte einen knochenschlanken Mann und spielte dabei einen Übergewichtigen auf Abnehm-Trip. Das Spiel gelang ihm auf künstlerisch ausgezeichnete Weise und steht sinnbildlich für so manchen Wahn, dem einer folgt und der doch jeglicher realer Grundlage entbehrt. Längst scheint die Gesellschaft an diese Bilder gewöhnt und höchstens im Theater ist man bereit zu einem Lächeln. Das Zelebrieren von menschlichen Marotten ist eine der Stärken des Regisseurs Lorenz Seib. In den beiden Stücken von Judith Herzberg verband er dies mit einer abgehoben wirkenden Leichtigkeit, die für das allgemeine aktuelle Lebensgefühl steht. Hauptsache man macht aufmerksam und wahrlich ernsthaft mit.

Garantiert ein Abend erfreulich unbeschwerter Unterhaltung, der zudem für Zuschauer mit feinem subtilem Humor ein echt echter Genuss war.

C.M.Meier




Seekrank im Schwimmbad

von Judith Herzberg

Ruth Geiersberger, Julia Loibl, Sophie Wendt, Helmut Dauner, Arno Friedrich, Christian Lex

Regie: Lorenz Seib

TamS Schad um die Hasen. Obwohl. von Beate Faßnacht


 

Alles Gewohnheit

Der Brauch trägt eine Vorstellung des Behagens für die Menschen über die Zeit, wie es etwa der Frühschoppen nach dem sonntäglichen Kirchgang tut. Mit ihm werden ethisch religiöse Grundbegriffe weitergegeben, Gesellschaftsrecht als zweite Natur dem Menschen antrainiert. Mittlerweile scheint die erste Natur, das Entstandene vergessen ... Schad um die Hasen. Obwohl ... Leben wider die erste Natur ist ziemlich ungesund. Zudem offenbart sich Absurdität, setzt man eine Natur über die andere.

Unauffällig mit Theke, Tisch und Bank und damit unverkennbar als Kneipe, war die Bühne gestaltet. Das Bühnenbild wirkte irgendwie „originalgetreu“ und konnte doch überall stehen. Vier Männer, zwischen ihnen die Wirtin und Anni, die Kellnerin standen um einen Fernseher, in welchem die Nachrichten liefen. Die neuesten Sensationen sollten Gesprächsstoff liefern in die kahle gewohnte Umgebung. Man kannte sich, kannte Schwächen und Stärken, bestätigte sich in den geübten Verhaltensmustern, suchte Anreiz. Dann betrat eine fremde Frau die lokale Szene. Neugier und Skepsis brachen hervor, als sich die auffallend Schöne mehr und mehr in den Mittelpunkt des Interesses rückte. Was wollte sie hier? Catalina Navarro Kriner stand alsbald in Unterwäsche vor den Gästen und forderte selbstbewusst Begleitung ein. Doch die Männer ließen sich die Gläser füllen. Selbst der vitale weltgewandte Axel Röhrle blieb in sich gefangen, ließ sich nicht überzeugen. Dabei ist alles nur ein Prozess der Anpassung an Reize, die bisher als Tabu galten und nun als Leitbild stehen. Wird die Bereitschaft zu einem Verhalten durch zu häufige Wiederholung überstrapaziert, so erfordert es immer stärkere Reize um eine Reaktion zu erfahren. Obwohl ... die Sinne sich längst abgestumpft verhalten. Die Wirtin führte das Kommando, während die Männer nur wie unnütz in der Kneipe herumstanden, dazu verdammt den, als heilsbringend bzw. erlösend deklarierten Stoff zu konsumieren. Reden ja, ein wenig reden wurde ihnen gestattet, nur nicht zu viel, oder gar zu auffällig. Denn sonst zückte die Wirtin (Helmut Dauner) resolut die Bratpfanne und die Androhung zuzuschlagen. Ein anderes Bild der Frau, als das der in kurzem schwarzem Lederkleid sich in Pose setzenden Fremden. Klischees und damit Gewohntes. Unbeeindruckt davon schien der Naive, Burchard Dabinnus, der zwar die nette brave Kellnerin Anni (Judith Huber) liebte, doch dem der Mut zur Konsequenz abhanden gekommen war. Obwohl ... die Rede ist auch schon ein Handeln. Und für das „Obwohl“ war im Stück der abseits sitzende ruhige Maria Peschek zuständig. Stets auf der Suche nach einem plausiblen Gegenargument, blieb er ohne weitere Äußerungen auf der Suche. Allein das gefüllte Glas bot ihm Ausflucht. Der Junge mit dem Spitznamen „Shakespeare“  zeigte Interesse an der schönen Fremden, ließ sich aber unaufwändig von den anderen in die Schranken weisen. Aufmerksamkeit suchend produzierte sich Christoph Theussl. Die Sprache in dieser Gesellschaft ist mittlerweile auf den Endreim reduziert, wie die Dichter in den Kneipen angekommen sind und als Anhänger der Flasche entlarvt. Klischees und damit Gewohntes. Regisseur Lorenz Seib gelang in der Inszenierung bravourös die Wanderung auf dem schmalen Grat zwischen Klischee und Kunst und Doppeldeutigkeit. Immer wieder hielten die Schauspieler die Zeit an, verharrten starr in eindringlichen Bildern, den Reiz des Augenblickes voll auszudrücken. Obwohl ... die Zeit nicht angehalten werden kann.

     
 

G

© Hilda Lobinger

 

Biederkeit regiert. Eine Biederkeit, die eine nach außen gestülpte Intimität als vermeintliche Weltoffenheit propagiert und die doch nur in Voyeurismus und Exhibitionismus gleichzeitig gefangen ist – sich selbst in ihrer Unzulänglichkeit über die Medien narzistisch in den Mittelpunkt stellt. „.Einen Scheißdreck bringen die heutzutage.“  (Dazu das Bild einer Sanitäranlage aus der Überwachungskamera.) Auch daran hat man mittlerweile die Gesellschaft gewöhnt. „Schalt aus. Ich mag das nicht mehr sehen.“  Es wäre zum Heulen, doch dann hörte auch der Regen vor dem Fenster auf. „Mir fällt nichts mehr ein.“ ... „Draußen gibt es nicht mehr.“

Die Zerstörung der ersten Natur geht weiter, und dazu erklang traurig lakonisch von der Kellnerin Anni: „Schad um die Hasen.“  ... Obwohl ... es dient der Bequemlichkeit und ist somit legitim. Wie paralysierte Marionetten führten die Darsteller das Stück dem Publikum vor Augen, ganz so, wie das aktuelle gesellschaftliche Programm durchgezogen wird. Die Phrasen aus dem Lautsprecher des Fernsehers beschränken sich auf die kleinen Katastrophen, einen Flugzeugabsturz, während die eigentliche unaufhörlich voranschreitet und es längst rot, feuerrot vor den Fenstern brennt. Beate Faßnacht und das Ensemble des TamS holten den Brand ins Haus, auf die Bühne und boten außergewöhnliches Theater mit den Mitteln des scheinbar Gewöhnlichen. Dafür erhielten sie anerkennenden anhaltenden Applaus!

C.M.Meier

 


Schad um die Hasen. Obwohl

von Beate Faßnacht

Judith Huber, Catalina Navarro Kirner, Maria Peschek, Burchard Dabinnus, Helmut Dauner, Axel Röhrle, Christoph Theussl

Regie: Lorenz Seib