Theater Viel Lärm un Nichts  Das letzte Band von Samuel Beckett


 

Theater total

1958 traf Samuel Beckett in der BBC anlässlich der Erstausstrahlung von „All that fall“ den irischstämmigen Schauspieler Patrick Magee. Magee war ein Mann von ungestümem Wesen, der einem guten Whiskey, wie auch Beckett, nie abhold war. Beckett steckte zu dieser Zeit in einer tiefen Depression, schlug sich mit Krankheiten herum und wurde von Verlegern bedrängt, die auf einen neuen Roman warteten. Beckett zweifelte indes, ob ihm je wieder eine Prosaarbeit gelingen würde. Magee in seiner energiegeladenen Quirligkeit machte auf Beckett einen so mitreißenden Eindruck, dass er seine Antriebslosigkeit augenblicklich vergaß und ein weiteres Hörspiel plante. Heraus kam „Krapp’s last tape“, ein Theaterstück. Tatsächlich spielte Patrick Magee den Krapp in der Uraufführung und Beckett konstatierte erstaunt, dass es genau die Stimme war, die er im Innern beim Schreiben immer gehört hatte.


Vielleicht ist es der Entstehungsgeschichte zu danken, den menschlichen Anstößen, die dazu führte, dass der am meisten autobiografische Text, fern vom Intellektualismus von „Fin de Partie“ (Endspiel), entstand. Beckett stellte sich in diesem Text seiner eigenen Person. Doch dabei nicht mehr so erbarmungslos verloren in Schmerz und seelischer Erschöpfung wie in seinen Romanen. Jede Erwähnung, jeder Satzteil findet seine Entsprechung im Leben Becketts. Einen Großteil der Energien beim Schreiben des elfseitigen Textes (Suhrkamp Taschenbuchausgabe) verwandte der Autor immerhin darauf, das Autobiografische zu verklausulieren. Krapp, knapp siebzig Jahre alt, ein von äußerer Verwahrlosung und innerer Versandung gezeichneter Schriftsteller mit unbezähmbarem Appetit auf Bananen holt aus seinem Archiv eine Tonbandaufnahme (Schachtel drei, Spule 5), ein Tontagebuch gewissermaßen, um in seine Vergangenheit hinein zu lauschen. Das Tondokument wurde an seinem 39. Geburtstag aufgezeichnet. Das Register gibt Auskunft über den Inhalt: „Mutter endlich in Frieden (…) Das dunkle Dienstmädchen (…) Denkwürdiges Äquinoktium (Tagundnachtgleiche – Anm. W.B.) (…) Abschied von der Liebe.“ Das letzte Ereignis wird sich im Verlauf der Geschichte als das schicksalhafteste entpuppen.


Darin beschreibt Krapp seinen gemeinsamen Urlaub mit einem Mädchen am Meer und einer Bootsfahrt, bei der sich beide körperlich nahe kommen. Krapp verliert sich in der Unendlichkeit ihrer Augen und erlebt den großen Moment seines Lebens. Zugleich beschwört er den endgültigen Abschied: „Ich sagte noch einmal, ich fände es hoffnungslos und verfehlt weiterzumachen, und sie nickte, ohne ihre Augen zu öffnen.“ Die Größe des Augenblicks der Versenkung in ihre Augen beschreibt Krapp rückblickend mit den Worten: „Was für Augen sie hatte! (…) Da lag alles drin, der ganze alte Dreckball, alles Licht und Dunkel, alle Hungersnot und Völlerei der Jahrhunderte!“ Die junge Frau hieß im realen Leben Peggy Sinclair, eine Cousine mütterlicherseits, mit deren Familie Beckett 1929 einen Sommerurlaub an der Ostsee verbrachte. Peggy ermutigte den jungen Samuel Beckett, desgleichen aber auch einige Nebenbuhler. Angestachelt und gleichermaßen verwirrt wurde sie dabei von der tränenreichen Lektüre der „Effie Briest“, die zuletzt wegen ihrer gescheiterten Ehe und einer ausgebrochenen Tuberkulose in den Freitod ging. Ironischer Weise verstarb Peggy selbst nach nicht einmal zwei Jahren an Tuberkulose.


Nach dieser Episode war Becketts Verhältnis zu Frauen eher praktischer Natur. Er betrachtete ihre Notwendigkeit in den physischen Bedürfnissen begründet, weigerte sich aber weitestgehend, Frauen entscheidend an seinem Leben teilhaben zu lassen. Dairdre Bair schrieb in der einzigen von Beckett autorisierten Biografie: „Er glaubte, dass die Liebe, falls es so etwas überhaupt gab, bald der Gleichgültigkeit wich und dass für ihn deshalb Passivität die beste Haltung war. Das verminderte Komplikationen und Gefühlsaufwand.“ Das bezog sich auch auf seine Ehefrau. Nach der schleichenden emotionalen Trennung von ihr bevorzugte er den unproblematischen Umgang mit Prostituierten. Dennoch formulierte er mit sehnsüchtigem Unterton: „Vielleicht sind meine besten Jahre dahin. Da noch eine Aussicht auf Glück bestand. Aber ich wünsche sie nicht zurück. Jetzt nicht mehr, wo dieses Feuer in mir brennt. Nein, ich wünsche sie nicht zurück.“

  Das letzte Band  
 

Andreas Seyferth

 

Mit diesen Worten aus dem Mund von Andreas Seyferth endete die einstündige Inszenierung von „Das letzte Band“ im Theater Viel Lärm um Nichts und es brauchte einige tiefe Atemzüge, um die Faszination abzuschütteln. Es war allerdings keine Premiere im üblichen Sinn, denn diese Inszenierung kam bereits 2001 auf die Bühne. Dass sich die Macher nun dazu entschlossen, diese Inszenierung wieder aus der Versenkung zu holen, kann nur Zuspruch finden. Diese Arbeit ist alterslos und frei von Moden.


Es ist fraglos immer ein Risiko, ein Beckett-Stück auf die Bühne zu bringen, denn diese existenzialistischen Dramen des Absurden, schwer oder manchmal auch kaum verständlich, sind keineswegs abonnementfördernd. Es braucht häufig erst eines Schlüsselerlebnisses, um die Großartigkeit dieser Dramatik zu erkennen und sich von ihr einnehmen zu lassen. Die Inszenierung von Matthias Grundig hat diese Qualität und Andreas Seyferth ist noch einmal wunderbar nachgereift in der Rolle des Krapps. Auch an ihm sind die Jahre nicht ganz spurlos vorüber gegangen (Er mag mir diesen Satz verzeihen.) und so passte er noch perfekter in die Rolle, die Physiognomie eines beinahe Siebzigjährigen vorzustellen.


Doch nicht genug mit der vorzüglichen Äußerlichkeit; kein Dramenautor fordert so strikt Werktreue ein, wie Samuel Beckett. Jeder Versuch, Becketts Dramen umzudeuten, eine neue, von Becketts vorgegebener Ästhetik abweichende zu wählen, ist fast immer zum Scheitern verurteilt. Becketts Vorlagen sind bereits gerahmt und so kompliziert und vielschichtig durchdacht, dass jedes Abweichen das Bild zerstört. Bei Beckett hat man es nicht mit einem Ismus oder einer ästhetischen Strömung zu tun, sondern mit einem vollkommenen Individualstil. Er selbst formulierte es 1973 so: „Mit diesen Grotowskis und Methoden hab ich nichts am Hut. Das bestmögliche Stück ist eines in dem es keine Schauspieler gibt, nur Text. Ich bemühe mich darum, eins zu schreiben.“ Mit „Atem“ (Breath) und „Nicht ich“ (Not I) ist ihm das gänzlich gelungen. In letztgenanntem Stück ist nur noch ein Mund auf der Bühne.


Matthias Grundig hielt sich an (fast) alle Regieanweisungen peinlich genau und Andreas Seyferth sponn langsam und sehr komisch seine Schicksalsfäden. Jeder Ton, jede noch so winzige Geste, jede Mimik hatte Bedeutung und die verschmolzen in- und miteinander. Alle Beckettschen Figuren haben stets auch etwas Clowneskes. So auch Krapp, der über sich selbst sagt: „Hörte mir soeben den albernen Idioten an, für den ich mich vor dreißig Jahren hielt, kaum zu glauben, dass ich je so blöde war.“ Er zelebrierte das Wort „Spuuule“ und verlor sich dabei fast wie ein komplett Debiler. Er wurde immer wieder von seiner Gier nach Bananen übermannt und es war nicht unbedingt sicher, ob es eine höhere Einsicht war, dass er sie nicht aß oder vielleicht nur Vergesslichkeit. Krapp ist ein Mensch, ein erbarmungswürdiges Geschöpf, das sich in seinem Scheitern selbst noch schlüssig erklärt. Krapp ist ein Leben, gelebt, unumkehrbar und randvoll mit absurden Wendungen. Dabei keinesfalls lebensfremd. Wenn überhaupt negative Kritik an der Inszenierung geübt werden kann, dann vielleicht daran, dass Krapps Kostüm die von Beckett geforderte Patina fehlte: „Speckige schwarze Hose, die ihm zu eng und zu kurz ist. Speckige schwarze ärmellose Weste (…) Schmieriges weißes Hemd, am Hals offen, ohne Kragen.“


Die Inszenierung kam dem sehr nahe, was Alec Reid als Definition Beckettschen Theaters formulierte: „Es sind nicht die Worte, die Bewegungen, das visuelle Schauspiel, die einzeln eine solche Wirkung erzielen; es ist die neue Erfahrung, die erst durch ihre Kombination auf der Bühne entsteht. Diesen Vorgang, bei dem Auge, Ohr, Verstand und Gefühl alle gleichbedeutend beteiligt sind, wollen wir totales Theater nennen.“ So und nicht anders sollte Beckett inszeniert und rezipiert werden. Wenn das gelingt, hat der Vorgang Offenbarungscharakter. Der Inszenierung im Theater Viel Lärm um Nichts kann man diese Qualität freudig zugestehen. Grandios wie am ersten Tag vor sechzehn Jahren!


Wer keine Erfahrungen mit experimentellem Theater hat aber aufgeschlossen ist, dem sei diese Inszenierung als Einstiegsdroge wärmstens empfohlen. Für Beckettfans ist sie ein unbedingtes Muss. Sowas gibt es nur einmal im Jahrzehnt. Also, die Jahre nicht verstreichen lassen, denn: „Was ist schon ein Jahr, heutzutage? Bitteres Wiederkäuen und steinharter Stuhl.“ (Krapp)

Wolf Banitzki

 


Das letzte Band

von Samuel Beckett

 Andreas Seyferth

Regie: Matthias Grundig

Theater Viel Lärm um Nichts  Die Irre von Chaillot von Jean Giraudoux


 

Melancholischer Abgesang zum Jahresende

Zu allen Zeiten, selbst in den schlimmsten, gab es Menschen, deren Vernunft so rein war wie Diamanten, deren Moral so unerschütterlich wie ein Fels und deren Intelligenz so scharf wie ein Rasiermesser war. Diese Menschen waren immer die Samen für eine gute Welt, die dereinst kommen wird! Und wer da sagt, das stimmt nicht, ist kleinmütig und verzagt. … Cut! Schluss mit Pathos. Zurück zur Realität. Zurück zur ruchlosen Denkungsart, wie Schopenhauer den Optimismus nennt. Seinen Argumenten kann man sich nur schwer entziehen: „Und dieser Welt, diesem Tummelplatz gequälter und geängstigter Wesen, welche nur dadurch bestehen können, dass eines das andere verzehrt, wo daher jedes reißende Tier das lebendige Grab tausend anderer und seine Selbsterhaltung eine Kette von Martertoden ist, ... dieser Welt hat man das System des Optimismus anpassen und sie uns als die beste unter den möglichen andemonstrieren wollen. Die Absurdität ist schreiend.“

In einer wohl ähnlichen Situation befand sich Jean Giraudoux (1882 - 1944), ein Mann von höchsten Tugenden, den eingangs beschriebenen Menschen durchaus ähnlich, der die Franzosen die Poesie und die Deutschen die Vernunft lehren wollte, als er sein Stück „Die Irre von Chaillot“ (La Folle de Chaillot) schrieb. Durch die deutschen Besatzer, keinem Volk fühlte er sich mehr verbunden als dem deutschen, in die innere Immigration genötigt, musste er erleben, wie Kriegsgewinnler, Spekulanten und Verbrecher aller Couleur an die Oberfläche gespült in einer Ochlokratie, den Ausverkauf aller Werte, der materiellen und der kulturellen, betrieben.

Zuerst verschwindet neben der Wahrheit auch die Schönheit. Letztere zurück zu erobern, ist das Anliegen der in die Jahre gekommenen „Gräfin“ Aurélie, genannt die Irre von Chaillot. Wenn Margit Carls als Aurélie die ganze Mischpoke aus Börsenspekulanten, Schiebern und Politikern auf eine todbringende Reise in die Pariser Kloake schickt und Paris auf diese Weise von einer wahren Seuche befreit, geschieht das nicht unter Jubel, sondern ist begleitet von einer majestätischen Melancholie, etwas, was Frau Carls meisterlich zu gestalten vermag. Diese Haltung ist durchaus angemessen, denn Menschen in den Tod zu schicken, verbietet sich für jedes zivilisierte Wesen. Der Tod ist wegen seiner Irreversibilität keine zivilisatorische Strafe, denn sie setzt die Unfehlbarkeit der Rechtsprechung voraus und ist somit eine Anmaßung.

Vermutlich hat sich Jean Giraudoux sehr schwer getan mit dem Schluss. Schließlich stellte er dem Urteil eine Gerichtsverhandlung voran, in der der Lumpensammler (Timo Alexander Wenzel) den Angeklagten gab. Er war sich seiner gesellschaftlichen Berechtigung mehr als sicher und legte in seiner Argumentation die Perfidie, die Menschen- und Kulturverachtung der Ritter des Geldes bloß. Das Gericht, neben Aurélie, der Irren von Chaillot, aus drei ebenso irrwitzigen Freundinnen bestehend, Constance (Claudia Schmidt), Gabrielle (Sven Schöcker) und Joséphine (Arno Friedrich), die „Irren“ von Passy, St-Sulpice de Paris und La Concorde, kommt am Ende zu dem Todesurteil. Dabei kann man dieses Urteil durchaus als Notwehr ansehen, denn die Verurteilten hatten nichts Geringeres vor, als ganze Stadtteile von Paris wegzubomben, um an Erdölvorkommen zu gelangen, die angeblich unter der Stadt lagerten. Die Kostprobe in der Kloake unter dem Haus von Aurélie wurde zur Vollstreckung des Urteils.

Es ist wieder einmal ein brandaktuelles Stück, von Margit Carls übersetzt und in eine, dem Spielort angepasste Fassung gebracht, das Regisseur Andreas Seyferth im Theater Viel Lärm um Nichts in der Pasinger Fabrik auf die Bühne brachte und sich dabei aller erdenklicher Theatermittel bediente. Immerhin mussten von acht Darstellern zweiundzwanzig Rollen realisiert werden. Eine wahre Revue an fantastischen Kostümen von Johannes Schrödl zog am Auge des Betrachters vorüber. Der Raum von Peter Schultze bot schier endlose Möglichkeiten, auf die Szene zu gelangen. Gespielt wurde selbst aus dem Publikum heraus und der finale Abstieg in die Unterwelt, höllisch rot illuminiert von Jo Hübner, war eine perfekte Illusion. Diese Inszenierung bewies einmal mehr, wie Theater Räume entgrenzen kann durch Licht und auch durch Klang (Kai Taschner).

Geboten wurde bestes Ensembletheater, in dem jeder auch seinen „großen Auftritt“ hatte, denn schließlich handelte es sich um eine Vorlage von Jean Giraudoux, dem Großmeister der Sprachpoesie, dem Dompteur des Surrealen, dem vorzüglichen Menschenkenner. Und jeder nutzte sie auf unverwechselbare Weise. Claudia Schmidt gab einen clownesken Taubstummen ebenso beredt wie die verrückte Constance mit praller Körperlichkeit und osteuropäischem Akzent. Arno Friedrichs Präsident hatte in seiner Anbetung des Goldenen Kalbes schon fast transzendentale Züge, ganz im Gegensatz zu seinem überaus menschlichen 2. Polizisten. Melda Hazirci fiel der Part der Irma zu, Geschirrwäscherin im Café „Chez Francis“. Ihre Philosophie: Man lasse die Küsse, die Berührungen, die … über sich ergehen, sage allerdings die berühmten drei Worte nur zu dem einzig Richtigen. Der hieß Pierre und wurde von Mario Linder gespielt, der zudem ein beinahe pantomisches Blumenmädchen als Sonnenblume mit pakistanischem Akzent verkörperte. (Der Einfachheit halber: Alle Blumenverkäufer kommen aus Pakistan! Oder Umgebung. – W.B.)

Sven Schöckers Prospektor war ein echter Bluthund, seine Gabrielle, die Irre von St-Sulpice de Paris, hingegen ließ das Bild von Conchita Wurst verblassen. Denis Fink war der Mann für die Szenen dazwischen, den Sänger, der keinen Text hatte, den Retter, der den zu Rettenden durch einen Knock out versehentlich von einem Bombenattentat abhielt, den Kloakenmann, der wie eine seltsam fremde Lebensform anmutete und mit einigen Klischees über die Unterwelt, also die Kloake aufräumte. Es gab durchaus Lehrreiches, wenngleich die errungenen Wissensinhalte kaum praxistauglich waren.

Vor allem aber gab es Momente der Besinnung darüber, in welchem Zustand sich die Welt befindet und damit schließt sich der Kreis zu Schopenhauer wieder. Der Untergang unserer Welt, zumindest einiger Inseln, ist bereits sichtbar geworden und wir würden gern gegenlenken. Allein der Wachstumsgott donnert uns vom Börsenparkett entgegen: „Änderungen bringen uns den Untergang! Seid optimistisch, wir werden es für Euch richten.“ Und die Welt glaubt ihm, dem tönernen Gott, dem die Zukunft schlichtweg egal zu sein scheint, noch immer seinen Optimismus. Warum? Schopenhauers Antwort: „Der Optimismus darf, als obligat, in keinem philosophischen System fehlen; denn die Welt will hören, dass sie löblich und vortrefflich sei.“

Gänzlich frei von billiger Ideologie und banalen Erziehungsversuchen, war der Premierenabend ein melancholischer Abgesang zum Jahresende. Er war keine Feierlichkeit zu einem großartigen Jahr, aber er war voller praller, lebensbejahender Komik und auch voller märchenhafter Schönheit. Er war das Lächeln Giraudoux´ über das André Gide sagte: „Keine Macht der Welt, außer der Barbarei, vermag dem Lächeln Giraudoux´ zu widerstehen.“

Wolf Banitzki

 


Die Irre von Chaillot

Eine romantische Satire von Jean Giraudoux

Arno Friedrich, Claudia Schmidt, Sven Schöcker, Melda Hazirci, Denis Fink, Mario Linder, Timo Alexander Wenzel, Margrit Carls

Regie: Andreas Seyferth

Theater Viel Lärm um Nichts Der Weltverbesserer von Thomas Bernhard


 

Absurd realistisch

„Naturgemäß“ war eines der Lieblingsworte von Thomas Bernhard. Es beschreibt die Gesetzmäßigkeit der Dinge, ihre Unausweichlichkeit, doch bei Bernhard ist dieses „naturgemäß“ immer auch Ausdruck tiefer Lebensverdrossenheit und Misanthropie. „Der Weltverbesserer“ beschreibt einen halben Tag im Leben eines Privatgelehrten, beginnend um 5.00 Uhr, dem um 11.00 Uhr die langersehnte Ehrendoktorwürde verliehen werden soll. Die Ehrung mit der Ehrenkette, verliehen von der Stadt Frankfurt, wurde ihm bereits zuteil und der Altbundeskanzler nannte ihn bei dieser Gelegenheit ein Genie. Er selbst hat daran nie gezweifelt, wohl aber daran, dass der Rest der Welt dies nie erkennen würde.

Auch würde die Welt den Wert seines „Traktats zur Verbesserung der Welt“ nicht wirklich begreifen: „Das Traurige ist / dass kein Mensch meinen Traktat verstanden hat“. Und das ist vermutlich auch gut so, zumindest für den Weltverbesserer, dem die mehr als zwanzig Übersetzungen, sogar in die chinesische Sprache, ökonomische Unabhängigkeit gebracht hatte. Die Quintessenz des Traktates lautet wie folgt: „Mein Traktat will nichts anderes / als die totale Abschaffung / nur hat das niemand begriffen / Ich will sie abschaffen / und sie zeichnen mich dafür aus / (…) / Die Opfer verhelfen ihrem Mörder zum / Ehrendoktor“.

Was für eine Welt! „Alle Wege führen unweigerlich / in die Perversität / und in die Absurdität / Wir können die Welt nur verbessern / wenn wir sie abschaffen“. Das mag auf den ersten Blick recht schräg anmuten, doch abwegig ist diese Logik nicht. 10.000 Jahre Entwicklung des Menschen als gesellschaftliches Wesen hat bislang nur eine Einsicht gebracht: Der Mensch arbeitet unbeirrt am Untergang des Planeten und an seinem eigenen.
Erträglich sind derartige Überlegungen und Auslassung nur, weil es sich im Bernhardschen Drama, das er explizit für Bernhard Minetti geschrieben hatte, um eine hemmungslose künstlerische Überzeichnung handelt, bei der die Komik wahrlich nicht zu kurz kommt. Also: lachen, um nicht zu weinen.

   Der Weltverbesserer  
   Evelyn Plank und Titus Horst  

Das Stück ist beinahe ein Monolog, der für jeden Schauspieler eine immense Herausforderung bedeutet, denn der Geist des Weltverbesserers ist derart konfus, dass es kaum einen „roten Faden“ gibt, an dem sich der Darsteller entlang hangeln könnte. Brüche über Brüche, Gliederschmerzen gehen in kulinarische Fantasien über, drohender Wahnsinn durch Vogelgezwitscher werden von bitterbösen Auslassungen gegen die Stadt Trier, in der der Geist nicht zuhause ist und in der man sich nur seinen Anzug verdirbt, abgelöst. Titus Horst meisterte diesen Hindernisparcours souverän und führte mit seinem differenzierten und wechselvollen Spiel die Absurditäten und Widersprüchlichkeiten zu einem Ganzen, zu einer monolithischen misogynen Figur zusammen.

Regisseur Andreas Wiedermann, Jahrgang 1978, einer der produktivsten und begabtesten Regisseure, lieferte in den letzten Jahren mit erstaunlicher künstlerischer Konstanz und einer bemerkenswerten Sensualität für aktuelle und wichtige Themen höchst sehenswerte Inszenierungen ab. Es verwundert schon, dass sich die großen Häuser Münchens dieses Talents nicht bemächtigen.

Wiedermann hat eine wunderbare Strichfassung für seine Inszenierung erstellt, die die breite, teilweise sinnfreie und darum umso schönere Geschwätzigkeit Bernhards auf das Wesentlichste eindämmte. Der tyrannische Charakter des alten Mannes blieb dabei unbestritten. Doch Wiedermann gelang es, mit der Figur der polnischen Haushälterin, bei ihm ist sie eine an geistigen Belangen kaum interessierte Frau, die aber eine große Klaviatur weiblicher Einflussnahme beherrscht, einen mächtigen Gegenpol geschaffen zu haben, der so vermutlich nicht in der Intention Bernhards lag, der allerdings angesichts des Textes durchaus möglich und glaubhaft war. Der Weltverbesserer gestand, dass, sollte sie ihn jemals verlassen, er aufhören würde zu existieren. Dasselbe galt ebenso für die Frau. Beide Existenzen waren unauflösbar mit einander verwoben. Beider Leben war ein gut geölter Mikrokosmos voller Abscheu, Verletzungen, Erniedrigungen und Beleidigungen.

Evelyn Planck bot eine große Bandbreite weiblicher Manipulationsinstrumente. Sie spielte mit ihren weiblichen Reizen, die zwar längst verblasst waren, beim Weltverbesserer aber immer noch Fantasien beflügelten. Sie heulte mechanisch, wenn es die Situation gebot und sie erschien stets in wechselndem Outfit, von Jogginganzug bis lächerlich veraltetem Festtagskleid. Der Weltverbesserer nannte sie „notwendiges Übel“. Evelyn Plancks Spiel stellte diese Behauptung auf den Kopf. Auch sie sah ihn nur als notwendiges Übel in ihrem Leben.

Als Bernhard dieses Stück 1980 schrieb, hatte er vermutlich keine konkreten Figuren vor Augen. Umso beängstigender ist die Tatsache, dass wir heutzutage durchaus Parallelen sehen zwischen dem Weltverbesserer und Protagonisten des gesellschaftlichen Lebens, die vollkommen weltfremd agieren, einen unbeschreiblichen und lächerlichen Narzissmus leben und ihre Entscheidungen mit den hanebüchensten und absurdesten Argumenten zu Wahrheiten erklären. Wiedermanns Inszenierung spielte in dem gänzlich schwarzen Raum des Theaters Viel Lärm um Nichts, an dessen Rückseite eine Vielzahl von Fotos bedeutende, aber auch nur populäre Menschen zeigte. Neben Kant und Voltaire konnte man auch Conchita Wurst sehen. Das ist natürlich auch ein Statement. Wenn wir heute wieder realistisches Theater manchen wollen, müssen wir unbedingt auch wieder das Theater des Absurden aus der Versenkung holen, denn die Realität ist hochgradig absurd und der Weltverbesserer eine sehr reale Figur. Unbedingt sehenswert, dieses grantelnde Paar!

Wolf Banitzki


Der Weltverbesserer

von Thomas Bernhard

Evelyn Plank und Titus Horst

Regie: Andreas Wiedermann

Theater Viel Lärm um Nichts   Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran  von Eric-Emmanuel Schmitt


 

Religion vs. Religion

Monsieur Ibrahim ist kein Araber, obgleich er dafür gehalten wird in der Pariser Rue Bleue der 60er Jahre. Araber sein bedeutet von 8 bis 24 Uhr seinen Laden geöffnet zu haben, auch am Sonntag. Monsieur Ibrahim stammt vom goldenen Halbmond. Der erstreckt sich von Persien bis Anatolien und war schon zu Zeiten von Monsieur Ibrahim eines der größten Anbaugebiete von Opium. Um es auf den Punkt zu bringen, Monsieur Ibrahim ist Türke. Aber was für seine Identität viel bedeutsamer ist, er ist Moslem. Er trinkt gelegentlich Alkohol und geht ebenfalls zu den Dirnen. Doch das ist von untergeordneter Bedeutung, denn er ist ein Sufi. Spätestens hier bedarf es einiger Erklärungen. Im Stück kam ein bedeutender Sufi zu Wort, in dem eines seiner Gedichte rezitiert wurde: Maulana Dschalal ad-Din, genannt Rumi (1207-1273). Rumi entstammte einem Geschlecht von berühmten Theologen, das bis auf den Kalifen Abu Bakr zurückreicht, den Schwiegervater des Propheten Mohammed. Diese Genealogie hat nicht nur im Islam Tradition, begründet man doch mit ihr stets eine größere und magische Nähe zu Gott.

Es waren vornehmlich seine Gedichte, die ihm ein Überleben im Bewusstsein der Gläubigen sicherte und die Erfindung des bekannten Sufitanzes, der noch heute von Derwischen getanzt wird, indem sie sich unablässig im Kreis drehen. Rumi wurde Sufi, nachdem er im Jahr 1244 in der Stadt Konya, 200 km südlich von Ankara gelegen, den Derwisch Schams-e Tabrizi traf, der mit einer großen Überzeugungskraft ausgestattet war. Ihm verdankte Rumi das tiefe Eindringen in die mystische Welt des Sufismus. Schams-e Tabrizi wurde vermutlich von neidischen und missgünstigen Mitbürgern umgebracht, was Rumi in tiefste Trauer stürzte. Diese Trauer fand Niederschlag in dem bis heute praktizierten Reigentanz und in seinen Gedichten. Rumis Todestag, der 17. Dezember, wird bis heute als „Hochzeitstag“ gefeiert, da Rumi sich durch seinen Tod mit Gott vermählte.

Der Kern seiner Theologie ist der Glaube daran, dass das Universum als harmonisches Ganzes von einer universalen Liebe durchdrungen ist, die alles miteinander verbindet. Wer diese Liebe praktiziert, ist von Gott in den Stand versetzt, seine Mitbürger ebenso zu lieben, wie alles von Gott Geschaffene. Dabei geht es nicht um Verstehen, sondern vielmehr um Versenken, um Gott näher zu sein. Rumi beschrieb das in folgenden Zeilen: „Glaubst du, ich weiß, was ich tue? / Dass ich einen Atemzug lang oder einen halben mir selber angehöre? / Nicht mehr, als eine Feder weiß, was sie schreibt, / oder der Ball vermuten kann, wohin er gleich fliegt.“ Sich Gott durch Liebe zu nähern ist der Weg zur Erfüllung des eigenen Daseins. Das sollte man wissen, um zu verstehen, was es bedeutet, wenn Monsieur Ibrahim sagt: „Ich weiß, was in meinem Koran steht.“ Die Betonung liegt dabei auf „meinem Koran“. Tatsächlich wird aus dem Buch weder zitiert, noch wird es zur Beweisführung herangezogen. Es tut nichts zur Sache.

  Monsieur Ibrahim  
 

Ariya Robat Mili und Titus Horst

 

Als eigentliche „Sache“ des Werkes von Eric-Emmanuel Schmitt aus dem Jahr 2001 ist ein Ausschnitt aus dem Lebensweg des jüdischen Jungen Moses anzusehen, der täglich in Monsieur Ibrahims kleinem Laden einkauft und auch stiehlt, um zu Geld zu kommen, mit dem er zu den Dirnen der Straße geht. Als Moses´ Vater, nachdem ihm der Job gekündigt wurde, verschwindet, findet der Junge in Monsieur Ibrahim nicht nur einen Freund, sondern auch einen Adoptivvater. Moses Mutter verschwand gleich nach der Geburt des Jungen, kehrt aber nach dem Tod des Vaters zurück, um sich um den Jungen zu kümmern. Moses lässt sich allerdings nur noch bedingt auf sie ein. Monsieur Ibrahim steht Moses nun in allen Angelegenheiten des Lebens zur Seite und bringt ihn auf den Pfad der Liebe, mit der sich die Dinge des Lebens leichter und problemloser bewältigen lassen. Als Monsieur Ibrahim auf einer Reise nach Anatolien verunglückt, tritt Moses sein Erbe an, das in allem irdischen Besitz, aber auch in dem Koran Monsieur Ibrahims besteht. Moses tritt an die Stelle des „Arabers“ und wird selbst zum „Araber“, täglich von 8 Uhr bis 24 Uhr geöffnet, auch am Sonntag.

Andreas Wiedermann brachte das Stück mit nicht mehr als drei Darstellern auf die Bühne. Ihm gelang dabei eine schlüssigere Erzählung als beispielsweise der Film, der vornehmlich von der trefflichen Präsenz Omar Sharifs lebt. Die Titelrolle übernahm Titus Horst, zuletzt als „Weltverbesserer“ im gleichnamigen Stück von Thomas Bernhard auf der Bühne des Theaters Viel Lärm um Nichts zu sehen. Titus Horst gab einen knorrigen, in sich gekehrten Monsieur Ibrahim, dem man seine grundgütige und liebevolle Einstellung zum Leben erst auf den zweiten Blick abnahm, diese dann aber auch vorbehaltlos annehmen konnte. Er vermittelte so ein realistischeres Bild vom Leben als der Film, der bisweilen ein wenig märchenhaft und auch kitschig daherkommt. Evelyn Plank fiel die Aufgabe zu, sämtliche Nebenrollen darzustellen. Diese Rollen waren denkbar unterschiedlich, z.B. Brigitte Bardot, ein Polizist oder ein Autohändler. Die naturgemäßen Unterschiede wurden von Evelyn Plank weniger durch kostümische Verwandlung als vielmehr durch Haltung und Habitus realisiert. Es gab daran absolut nichts auszusetzen. Die Rolle des Moses war mit dem jungen Ariya Robat Mili, er ist gebürtiger Iraner und kommt somit aus dem goldenen Halbmond, perfekt besetzt. Man kaufte ihm den Knaben eher ab, als dem Text. Letzterer wurde allerdings auch im Rückblick von dem bereits erwachsenen Moses erzählt.

In intimen Szenen wird die Welt der „kleinen oder normalen Menschen“ beschrieben, deren alltägliches Dasein nicht von den Grundfragen der Philosophie oder der Religion bestimmt werden, sondern vom kleinen Streben nach persönlichem, vielleicht auch nachhaltigem Glück geprägt ist. Und dennoch ist das Anliegen der gelungenen Inszenierung ein größeres. Der Werbetext zum Stück erklärte: „Ein skizzenhafter Gegenentwurf zur hasserfüllten, rachsüchtigen Gedankenwelt islamistischer Fundamentalisten, ein mit zivilisationskritischen Spitzen gespickter Aufruf zur Entdeckung der Langsamkeit, zu Nonkonformismus und Antirassismus, zur Toleranz gegenüber Andersdenkenden, anderen Religionen, anderen Generationen, voller Ernsthaftigkeit, Melancholie und feinem Humor.“ Das Anliegen kann getrost als erreicht gesehen werden, doch bedeutet das nicht, dass das Ergebnis auch von Jedermann als akzeptabel betrachtet werden muss. Der Sufismus, für den das Stück eine Lanze bricht, ist eine zutiefst mystische und der rationalen Vernunft zuwider laufende Religion. Sie erfüllt wie kaum eine andere Religion den Tatbestand, eine Droge, „Opium für das Volk“ zu sein. (Möglicherweise gibt es da ja auch Parallelen zur enormen Drogenproduktion in ihrer Herkunftsregion.)

Eric-Emmanuel Schmitt treibt in seinem Text, wenn es um den Streit der Religionen geht, den Teufel mit dem Belzebub aus. Zugegeben, durchaus mit Witz, wenn er den Religionen Gerüche zuweist. (Weihrauch der Ostkirche, Kerzentalg der katholischen und Fußschweiß dem Islam.) Wo aber bleibt die Vernunft? Der Betrachter wird, auch Dank der überzeugenden Inszenierung, mit einer Existenz des Verzichtes, der Bescheidung, der Demut versöhnt. Soll das wirklich gesellschaftlicher Konsens sein? Oder sollte es nicht ernsthaft darum gehen, das geistige Mittelalter zu überwinden, auf das selbstgeschaffene höhere Wesen zu verzichten und langsam selbst die Verantwortung für unsere Existenz und die Gestaltung derselben zu übernehmen. Den Fundamentalisten wird im öffentlichen Diskurs nicht grundsätzlich ihre wahnhafte Sicht auf die Welt vorgeworfen, sondern es werden viele Energien darauf verwendet, dem Wahnhaften einen guten, einen menschenfreundlichen Hintergrund zu verleihen.

Um es mit Konstantin Wecker zu sagen: „Nur die Götter gehen zu Grunde, wenn wir gottlos sind.“ Oder mit dem Kabarettisten Jochen Malmsheimer, der bemerkte: „Ich bin für Religionsfreiheit, obwohl mir frei von Religionen lieber wäre.“ Religionen waren zu allen Zeiten gut, um vermeintliche Wahrheiten, die selten wahr waren, zu schöpfen, die dem Menschen implantiert wurden und an denen sie geistig und emotional verkrüppelten. Wie wäre es einmal mit Verzicht auf Religion und die direkte Besinnung auf Vernunftgründe. „Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran“ von Eric-Emmanuel Schmitt gäbe es dann vielleicht nicht, was schade wäre, denn der Verzicht auf Gott bedeutet ja nicht Verzicht auf Spiritualität, auf geistige Atmung, und davon gab es genug an diesem Abend.

Wolf Banitzki

 


Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran

von Eric-Emmanuel Schmitt

Evelyn Plank, Titus Horst und Ariya Robat Mili

Regie: Andreas Wiedermann

Theater Viel Lärm Um Nichts  Der Widerspenstigen Zähmung von William Shakespeare


 

Komödiantisch und klug

Es ist wohl nicht das bedeutendste Stück Shakespeares, aber es ist ganz sicher eine der umstrittensten Komödien, zumindest in heutiger Zeit, denn es ruft stets aufs Neue geballte Frauenpower auf den Plan. Man stelle sich das einmal vor: Shakespeare entwickelt eine sehr maskuline Taktik, dessen Strategie es ist, eine Widerspenstige zu beugen, zu brechen, zu unterwerfen. Diese Taktik ruft, wir lieben drastische Verweise und Zitate, den Skandal von Abu-Ghuraib wach, denn die Widerspenstige wird mit Schlafentzug, Nahrungsverweigerung und entsetzlicher Demütigung bestraft. Waterboarding gab’s zwar schon, kam aber in diesem Fall nicht zur Anwendung und die Elektrizität für Elektroschockbehandlung war noch nicht erfunden. Die Widerspenstige, im heutigen Sprachgebrauch ist das Wort durchaus positiv besetzt, denn widerspenstige Frauen sind in einer männerdominierten Welt ohnehin stets im Recht, wird am Ende „einsichtig“ und Mann ist glücklich und stolz auf sein vorzeigbares Eigentum. „Zicke“ ist ja laut Umfragen längst kein Schimpfwort mehr, sondern ein ideologischer Ritterschlag. Also, wie kann man nur…

Man kann und sollte auch! Frauenfeindlichkeit in einem Theaterstück auszumachen, ist heute völlig unproblematisch, denn in Bezug auf Gleichberechtigung scheint (für den Otto-Normal-Mann) political correctness inzwischen beinahe unerreichbar zu sein. Dafür ist Mann in seiner simplen Strickart einfach nicht mehr gemacht. Dabei sitzen wir heute zuallererst einem Irrtum in Bezug auf „The Taming of the Shrew“ auf, denn Shrew ist in der ersten Bedeutung nicht die Widerspenstige, sondern die Keiferin. Es hieße also richtiger: „Die Zähmung der Keiferin“. Hinzu kommt, dass Shakespeare in der zweiten Fassung eine Rahmenhandlung für die Geschichte schuf. Darin findet ein Lord den Kesselflicker Sly sturzbetrunken auf der Straße. Sie schaffen das schlichte Gemüt in das Schloss des Lords, staffieren ihn reich aus und suggerieren ihm, er sei ein hochherrschaftlicher Adliger. Dann erlebt Sly in einer Theateraufführung die „Die Zähmung der Keiferin“. Nach einem weiteren Besäufnis im Anschluss des Theaterabends legen ihn die Diener des Lord in seiner Kesselflickermontur vor einer Schenke ab. Der verwirrte Sly muss sich vom (Dünnbier-)Zapfer erklären lassen, wer er ist und dass sein „keifendes Weib“ bereits daheim die Haare auf den Zähnen bürstet. Sly erinnert sich an das Theaterstück, das er nun für einen Traum hält: (…) „Ich weiß jetzt, wie man Drachen zähmt, / Ich hab davon geträumt die ganze Nacht/ (…) Doch ich will / Zu meinem Weib und will sie zähmen auch, / Wenn sie mich plagt.“

Im Übrigen stammt der Plot zum Stück von Ariost, der sich seinerseits durch Motive von Plautus und Terenz inspirieren ließ. Lässt man nun den Ernst beiseite (Sollte man, wenn man eine Komödie schaut!), hält es sich mit der Frauenfeindlichkeit in den Grenzen der stinknormalen bürgerlichen Gesellschaft. Die Existenz zänkischer Weiber ist ebenso unbestritten wie die der machohaften Männer, deren Primatendenken überall in der Gesellschaft spürbar ist. Man sollte die deutsche Tugend, alles auf ein philosophisches Niveau zu heben, gelegentlich beiseitelassen und sich einfach nur dem Vergnügen hingeben. In Andreas Seyferths Inszenierung der spritzigen und sehr heutigen Spielfassung von Margit Carls gelang das umfänglich. Regisseur Seyferth setzte auf Komödiantik und konnte sich auf seine Darsteller zu Recht verlassen. Maria Magdalena Rabls Katharina war durchaus eine widerspenstige Frau, aber sie war auch die donnernde Keiferin. Rabls beeindruckende physische Präsenz erlaubte es ihr, schrill und ungebärdig zu sein. Dem Selbstverständnis als Frau tat das keinen Abbruch. Da bedurfte es schließlich eines darstellerischen Formates wie das von Rainer Haustein, um als Petruchio eine gnadenlose Unterwerfung glaubhaft zu gestalten. Haustein verlor bis zum Ende niemals ernstlich die Oberhoheit, wobei sein geschicktes psychologisches Spiel die Spannung des Stücks durchgängig befeuerte.

 
  Widerspenstigen Zaehmung  
 

Rainer Haustein, Maria Magdalena Rabl

© Hilda Lobinger

 

Timo Alexander Wenzel hatte zwar keine Hauptrolle zu bewältigen, doch wohl die Hauptarbeit auf der Bühne zu leisten. Als Tranio, Grumio, Pope, Curtis, Couturier und Witwe brachte er eine nicht unerhebliche Menge Fleisch auf das dramatische Skelett. Dabei wurde sichtbar, dass Wenzel über mehr als ein Gesicht verfügt. Im Gegensatz zur durchgängigen Getragenheit Sebastian Kalhammers in der Rolle Baptistas, des integeren Vaters der beiden so unterschiedlichen Töchter Katharina und Bianca (Elisabeth Grünebach), brillierte Alexander Wagner als Hortensio mit vielfältigen, das Zwerchfell reizende figürlichen Posen. Und last but not least überzeugte Mario Linder als ein ungestüm auf den Pfaden der Minne wandelnder junger Student, der von der Liebe einfach nur überwältigt wurde.

Für Andreas Seyferths gradlinige, klare und witzige Inszenierung hatte Peter Schultze einen kongenialen Raum geschaffen, bestehend aus zwei unterschiedlichen quadratischen, leicht geneigten Spielflächen, deren Böden mit Renaissancemustern bedeckt waren. Unterschiedliche Beleuchtung rückte die topografischen Orte mehr oder weniger zusammen oder auseinander. Zwei weiße Tische und vier Stühle zwischen den Spielflächen erfüllten sämtliche Anforderungen an Innenräume. Es war schön zu sehen, wie wenig es bedarf, wenn die Räume wirklich erspielt und nicht nur behauptet werden.   

Es war eine überaus kurzweilige und spannende Inszenierung, deren zwei Stunden Dauer wie im Flug vergingen. Doch kehren wir zum Schluss noch einmal auf das Thema Frauenfeindlichkeit des Stückes zurück. Selbst bei größter Toleranz oder auch Ignoranz dieses orakelhaften Urteils über dieses Werk Shakespeares, könnte wohl kein Regisseur diesem Dilemma einfach durch Nichtbeachtung entkommen. Und so hatte auch Andreas Seyferth das letzte, sehr deutliche Wort. Doch wie sich dieser kluge Schachzug ausnimmt, das muss der Leser dieser Kritik schon selbst ergründen. Dass es sich lohnt, kann jedenfalls garantiert werden.

Wolf Banitzki

 


Der Widerspenstigen Zähmung     
(The Taming of the Shrew)

von William Shakespeare

Maria Magdalena Rabl, Rainer Haustein, Timo Alexander Wenzel, Elisabeth Grünebach, Sebastian Kalhammer, Alexander Wagner, Mario Linder

Regie: Andreas Seyferth

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