Metropol Theater Nach der Hochzeit nach einem Film von Susanne Bier


 

 
Mehr als nur eine Familiengeschichte

Jacob, vor gut zwei Jahrzehnten vermutlich im Drogenrausch in Indien gestrandet, hat sein Leben in den Dienst karitativer Arbeit gestellt. Er betreibt ein Waisenhaus und sucht Finanziers. Jörgen, ein reicher Geschäftsmann, sucht seinerseits nach förderungswürdigen Projekten und bittet Jacob, nach Europa zu kommen, um die Formalitäten zu besprechen. Jacob staunt nicht schlecht, als er in Helene, der Ehefrau Jörgens, seine Jugendliebe wiedererkennt. Sie hatte ihn in Indien verlassen, nachdem Jacob mit ihrer besten Freundin geschlafen hatte. Die Überraschungen reißen nicht ab, als Jacob zur Hochzeit von Anna, Helenes Tochter, eingeladen wird und erkennen muss, dass er ihr leiblicher Vater ist. Der frischgebackene Ehemann der Tochter Anna erweist sich nicht als Glücksfall. Schnell wird deutlich, dass es sich um eine Mesalliance handelt, mit der Christian seinen Aufstieg in die Reihen der Reichen und Schönen forcieren will. Alle Mitwirkenden versichern, dass es sich bei dem Zusammentreffen um einen unglaublichen Zufall handelt. Doch spätestens als alle Beteiligten erfahren, dass Jörgen todkrank ist und seine Tage gezählt sind, kommen Zweifel an der Zufälligkeit auf. Hat Jörgen, der erfolgreiche und dominante Geschäftsmann, die Fäden gezogen?

Die Geschichte beschreibt das Leben in seiner Unerfindlichkeit. Auch wenn das Sujet konstruiert erscheint, ist es doch möglich und glaubhaft. Die Auseinandersetzung mit dem scheinbar unglaublichen Geschehen ist zwingend, denn es werden Fragen aufgeworfen, die sich alltäglich einstellen können. Den wichtigsten Vorwurf artikuliert Helene, wenn sie Jörgen empört zur Rede stellt: "Du kannst uns nicht alle in deinem kranken Zirkus herumtanzen lassen!"

Die Inszenierung der gut einstündigen Familiengeschichte von Felix Bärwald ist minimalistisch, stark verkürzt und sehr direkt. In einem Rondell, das einer Festung glich, gab es kein Entrinnen. Die Szenenwechsel mussten nicht einmal wahrgenommen werden, denn die Verstrickungen der Personen waren so eng, dass man in diesem dramatischen Konflikt keine Person von der anderen trennen konnte. Für das ansehnliche und gut funktionierende Bühnenbild, das einen sehr intimen Charakter hatte, zeichnete Claudia Walter verantwortlich.
 
  nach_der_hochzei  
 

Steffen Nowak, Thomas Meinhardt, Axel Meinhardt, Christiane Bärwald

© Hilda Lobinger

 
 
Die fünf Darsteller waren nur mit dem nötigsten Text ausgestattet. Der Rest, und der hatte gehörige Dimensionen, hing vom Spielgestus ab. Thomas Meinhardts Jacob war mit der Situation, in die er ohne Vorwarnung geworfen wurde, völlig überfordert. Meinhardt spielt sehr intensiv, gab einen emotional vibrierenden, gehetzten Entwicklungshelfer, der aber dennoch von Zärtlichkeit für seine gerade empfangene Tochter erfüllt war. Lilly Forgách gestaltet ihre Helene unterkühlt. Diese Frau war ebenso wie jeder andere mit den neu errungenen Wahrheiten überfordert. Sie igelte sich verzweifelt ein, um die errungenen emotionalen Heimaten nicht zu verlieren. Axel Meinhardt gab einen beeindruckenden Jörgen, jovial, großzügig und keineswegs kopflos oder gar larmoyant im Angesicht seines eigenen bevorstehenden Todes. Am Ende steht das schlichte Bekenntnis: „Ich will nicht sterben.“ Doch so lakonisch, wie diese Geschichte erzählt wurde, so emotional aufgeladen wirkten die einfachen Sätze.

Ein Highlight im szenischen Ablauf  war die Entlarvung des Schwiegersohns Christian (Steffen Nowak), der im Flagranti ertappt lediglich anzudeuten weiß: „Es ist nicht so wie es ...“ Hier ist männliches Versagen auf den Punkt gebracht. Etwas zu linkisch, gelegentlich auch zu ungenau agierte leider Christiane Bärwald als Tochter Anna.

Die unspektakuläre, auf das Nötigste reduzierte und hochverdichtete Einrichtung des Dramas, das einem Film der dänischen Regisseurin Susanne Bier entlehnt ist, vermittelte ein großes Thema. Felix Bärwalds Umsetzung schaffte es, diese Überdimensionalität im Betrachter zu verankern. Man war beeindruckt vom Plot der Geschichte, gleichsam aber in eine Unruhe versetzt, die signalisierte: Hinter diesem Stoff verbergen sich existenzielle Fragen, die den Rahmen einer Familiengeschichte sprengt. Es ist ein anregendes Stück, das in bester Theatermanier vermittelt wurde. Das Denken wird, den Machern sei Dank, dem Betrachter überlassen. So sollte Theater wirken.


 
Wolf Banitzki

 

 


Nach der Hochzeit

nach einem Film von Susanne Bier / für das Theater eingerichtet von Felix Bärwald und Sven Hasselberg

Thomas Meinhardt, Axel Meinhardt, Lilly Forgách, Christiane Bärwald, Steffen Nowak

Regie: Felix Bärwald

Metropol Theater Woyzeck nach Georg Büchner von Tom Waits/Kathleen Brennan/Robert Wilson


 

 

Das Tier

Ein großer, mit weißem Stoff verhängter Würfel nahm die Bühne des Metropol Theaters ein. Sound. Der Ausrufer erschien im Scheinwerferlicht. Zylinder, weißes Gesicht, schwarze Brauen und grauer Frack, „The higher the monkey can climb …“, sang sie. Licht fiel auf den Würfel, eine Mücke, die sie geschickt mit dem Hut fing, dann der Schatten eines Esels, er wackelt mit den Ohren, dem Schwanz. „…nothing kind about mankind…“. Der Ausrufer schwang den Stock, bewegte den Vorhang, zog ihn auf den mit schwarzen Plastiksäcken ausgelegten Bühnenboden. Ein großer wandelbarer Stahlkäfig mit Öffnungen, Klappen und einer Querstange als Sitzplatz beherrschte das Bild. In ihm standen nun Franz, Marie, der Hauptmann, der Doktor, der Tambourmajor und Andres – ihre Körper hatten den Schatten geworfen.

Woyzeck, ein einfacher Soldat, muss Geld verdienen für Marie und für das gemeinsame Kind. Er tut dies im Rahmen seiner Möglichkeiten, rasiert den Hauptmann, dient dem Doktor als Versuchs“tier“, frisst nur Erbsen. Marie begegnet in der Zwischenzeit dem Tambourmajor, der ihr goldene Ohrringe schenkt und laut darüber nachdenkt mit ihr weitere Tambourmajore zu zeugen. Woyzeck macht sich Gedanken über das Leben und das Tun der Menschen, kommt dem Wahn nahe, dem eigenen und dem der anderen. Als er von Maries Untreue erfährt, bleibt nur eine Konsequenz.

Die Armee, die Wissenschaft, die Fortpflanzung und das Vergnügen daran bilden die äußeren Schwerpunkte für das, die Abgründe der armen geknechteten Kreatur ausleuchtende Werk. „Langsam, Woyzeck, langsam; eins nach dem andern! …“, stellt der Hauptmann fest, der sich den Tag zu füllen sucht.  Franz kann sich derlei nicht leisten: „… Sehn Sie: wir gemeine Leut, das hat keine Tugend, es kommt nur so die Natur; …“ Jochen Schölch betonte in seiner Inszenierung die tierische Natur des Menschen und seine verzweifelten Versuche, mit dieser zu leben. In einer Gesellschaft, deren Menschen um Gleichgewicht ringen, zumindest vorgeben dies zu tun, und in der diese tierischen Verhaltensweisen von einer starren scheinbar allgewaltigen Vernunft drangsaliert werden, ist dies ein zweifelsohne sinnfälliger Ansatz.

 
  woyzeckmetro  
 

Georg Stephan, Fabian Stromberger, Agnes Kiyomi Decker, Sebastian Fritz, Benedikt Zimmermann, Evgenija A. Rykova

© Hilda Lobinger

 

 

Im dunklen Hintergrund saßen die Musiker und erfüllten mit ihrem virtuosen Spiel den Raum. Kräftig rockig, sentimental oder melodiös variierten sie und zogen den Zuschauer in den Bann brillant zu Hörgenuss erweckten Tom-Waits-Sounds. Der Ausrufer umschlich den Käfig wie ein Raubtier auf Beutesuche, sang, kommentierte, griff ein. Evgenija A. Rykova gab diese Figur herausfordernd, langbeinig, lebendig. Sie traf stets die richtige Tonart, die passende Geste. Präzise imitierte sie Marie, die im Spiegel ihr Gesicht und die neuen Ohrringe betrachtete, „… the face forgives the mirror …“.  Im Käfig: Woyzeck, gutmütig, leicht und leidensfähig gegeben von Fabian Stromberger, spiegelte er die Situationen durch seine Haltung, kletterte verzweifelt, schlug mit dem Kopf gegen das Gitter, klammerte sich an Marie oder den Käfig. Marie, Agnes Kiyomi Deckers Spiel glich dem einer Puppe, ein modernes Mädchen, dessen Augen Halt suchend durch den Raum streiften, das unmerklich kokett die Schaukel mit dem Tambourmajor teilte. Tambourmajor Sebastian Fritz ließ mit „Ich bin ein Mann“ und dem Griff zur Flasche „Ich wollte die Welt wär Schnaps…“ keinen Zweifel an seiner Rolle aufkommen. Dem Hauptmann, Georg Stephan, gelang die Veranschaulichung von Langsamkeit. Ruhig, behäbig füllte er den Käfig, kletterte er die Wand zur Sitzstange hoch, um sich mit dem Doktor zu unterhalten. Der Doktor, Benedikt Zimmermann, war ein pfiffiger, listiger und wendiger; rücksichtslos auf der Suche nach Anerkennung. Andres, Lilly Grooper, stellte den Gegenpart vor. Ruhig zurückhaltend brachte sie den treuen Begleiter und Freund Woyzecks in den Käfig. Ihr Stottern war meisterhaft und die abschließende Erzählung vom verlassenen weinenden Kind ergreifend. Die Inszenierung zeichnete eine äußerst lebhafte und körperlich aktive Darstellung aus. Die Charaktere waren sorgfältig umgelegt auf die Körpersprache, in der die Darsteller agierten, die Gitterwände hochkletterten, sprachen, sich bewegten. Die Bühnenkünstler aus der Münchner Theaterakademie spielten mit großer Freude und Einsatz. Die Gesangseinlagen gelangen bravourös und mitreißend.

 
 
Tom Waits Songs machen eine weitere Ebene des Fragmentes von Georg Büchner aus dem Jahre 1837 erfahrbar. Stand bislang (bis zur UA des >art-musical< 2002 in Kopenhagen) der Text im Vordergrund, die Bilder, so kommt durch die Musik zusätzlich Bewegung in die Gefühlswelt. Der unverkennbare Sound, die Mischung aus sensibler Romantik und aggressiven Rhythmen, die verbundenen Elemente von Country, Classics, Blues, Pop u.a. berühren, nimmt den Zuhörer ein. Die Lyrics von Kathleen Brennan und Tom Waits bringen neue Perspektiven ins Spiel. Die Situationen werden auch physisch erfahrbarer, was zweifelsohne eine Bereicherung darstellt. Die minimalistische Konzeption Robert Wilsons eröffnet die Tiefe einzelner Schlüsselszenen, ohne den Zusammenhang zu verlieren. Die Lebenswahrheiten und die lebendige Inszenierung von Jochen Schölch schufen zusätzlich Gewicht, das auf die eine oder andere Art von jedem Betrachter erfahren wurde. Wenn sich herausragende Künstler zu einem Werk zusammentun, so kann dies nur einen Höhepunkt bedeuten.


 
C.M.Meier

 

 


Woyzeck

nach dem Stück von Georg Büchner

Musik und Liedtexte von Tom Waits und Kathleen Brennan / Konzept Robert Wilson

Textfassung von Ann-Christin Rommen/Wolfgang Wiens

Fabian Stromberger, Agnes Kiyomi Decker, Georg Stephan, Benedikt Zimmermann, Sebastian Fritz, Lilly Gropper, Evgenija A. Rykova
Musik: F. Rauchbauer, Andreas Lenz v. Ungern-Sternberg, Maria Friedrich, Christoph Sauer, Steffen Schmitt, Christoph Delker

Regie: Jochen Schölch

Metropol Theater Kunst von Yasmina Reza


 

 

 
Männer

Serge kann es sich als Mediziner leisten, 200 000 für ein Bild auszugeben. Das heißt, er ist nicht reich, aber doch wohlhabend. Nein, eigentlich kann er es sich nicht leisten und er gesteht, dass er pleite ist. Nun gut, ein Bild ist eine Wertanlage und er könnte es für 220 000 sofort wieder an den Galeristen losschlagen, der es nur nicht selbst gekauft hat, weil er die Dynamik des Marktes nicht beeinflussen wollte. Was, wenn das Bild weiß ist, mit einigen weißen Streifen und einer weißen Linie. Marc ist entsetzt über die dümmliche Naivität des Freundes und nennt es „weiße Scheiße“, was Serge im tiefsten Innern verletzt. Er sieht deutlich die „starke Präsenz des Abwesenden“, erfühlt „die Vibrationen, zumindest bei Tageslicht“. Marc eilt zu Yvan, der in Hochzeitsvorbereitungen steckt, und erzählt ihm von Serge und seiner Anschaffung. Als Yvan das Bild betrachtet, er wusste ja was ihn erwartet, signalisiert er Zustimmung. Jetzt treffen allen drei aufeinander, sie hatten sich zum Kino verabredet, und die Männerfreundschaft schmilzt dahin wie ein Sorbet in der Sonne. Marc meint, das wäre nie passiert, hätte man, wie in der Vergangenheit erfolgreich praktiziert, seinem Urteil, selbstredend das einzig richtige, vertraut. Yvan versteht das alles nicht, hat eigentlich ganz andere Probleme, denn er ist in eine unselige Mesalliance geschlittert und weiß nicht, wie er sich retten kann. Marc nennt ihn wegen seiner Zustimmung zum Bild einen „servilen Speichellecker“. Serge jammert über die Ignoranz der Freunde, über ihre Unfähigkeit, in künstlerischen Kategorien zu denken und zu empfinden. Am Ende, und das ist eine wunderbare Eigenschaft des Stückes, bringt eben diese „weiße Sch...“ die Freunde über eine Schweizer Kuhgallenseife wieder zusammen.

Autorin Yasmina Reza bringt den Mythos Männerfreundschaft zwar ins Wanken, doch sie denunziert ihn nicht wirklich. Es gibt ein versöhnliches Ende. Ebenso wenig verrät die Autorin die Kunst. Man mag über das Bild denken, was man will, Frau Reza stellt es zur Diskussion und es kommen durchaus überzeugende Argumente dafür ans Licht, dass es sich tatsächlich um Kunst handelt. Natürlich geht es in dem Stück gleichen Namens gar nicht um Kunst. Im Grunde ist das Bild ja nur Katalysator für die Reaktionen, die zwischen den Männern ablaufen, Reaktionen, die längst überfällig sind und nur aufgestaut waren. Dennoch geht Frau Reza sehr sensibel mit dem Thema Kunst um.

Serge ist nach seiner Scheidung in einer Sinnkrise und kompensiert diese mit einer ästhetischen Neuausrichtung. Yvan wird zunehmend deutlicher, dass er sich um die Sicherheit im Alter schlichtweg verkauft hat, und Marc, ein Mann von naturwissenschaftlicher Nüchternheit, nimmt seit kurzem homöopathische Beruhungsmittel. Wenn das kein Zeichen ist!

 
  kunst-14  
 

© Hilda Lobinger

 

 

Thomas Flachs Bühne ist für Metropoltheaterverhältnisse geradezu elegant. Im Vordergrund befindet sich eine fixe, von innen beleuchtete Bank, im Hintergrund eine Rote Wand mit zwei Türöffnungen links und rechts und in der Mitte ein drehbarer Abschnitt. Je nach sichtbarer Fläche die entweder das weiße Bild, eine Ansicht einer französischen Landschaft im flämischen Stil trägt oder leer bleibt, verändert sich der Ort.
Es waren die Monologe, einen atemberaubenden über den Streit der Familienmütter hielt Werner Haindl als entnervter Yvan (Szenenapplaus!), und die Dialoge zwischen den Männern, die sich so facettenreich gestalteten, dass absolut keine Längen aufkommen konnten. Die Schauspieler brillierten in Wort und Gestus, wobei Regisseur Jochen Schölch ausschließlich der Psychologie der Vorgänge und der Personen folgte. Selbst wenn gelegentlich überzeichnet wurde, blieben die Argumente glaubhaft und lebensecht.

Weder Autorin Yasmina Reza noch Regisseur Jochen Schölch kommentierten die Figuren. Regisseur Schölch ließ sie sein und vertraute auf die darstellerische Kraft der Akteure. Matthias Grundig dominierte als Marc den Abend. Schließlich hatte er als Pragmatiker und Desillusionist auch die ‚unkultivierteste’ und damit aufdringlichste Rolle. Rüdiger Hacker und Werner Haindl hielten sich tapfer, denn es war ihre Rolle im Stück, sich gegen Marc zu behaupten. Rüdiger Hacker  als feinsinniger und hochkultivierter Ästhet tat das denn auch recht lautstark, als die Anfechtungen zu rüde wurde. Es wurde nicht mit Bösartigkeiten gespart. Auch Werner Haindl, der Opportunist, dessen Opportunismus eher aus Erschöpfung geboren war, kam irgendwann nicht um seine Selbstbehauptung herum. Und auf diesem zutiefst menschlichen Level trafen sie sich wieder und erneuerten ihre Freundschaft. Es war ein pointenreicher Abend, der unter Jochen Schölchs Regie zu einem geradezu perfekten komödiantischen Ereignis wurde.

Es war wohl kein Mann im Publikum, der sich nicht an der einen oder anderen Stelle ertappt fühlte und dem nicht seine eigenen Sünden einfielen. Vermutlich konnte das nur aus der Feder einer Frau kommen! Auch wenn man dabei recht wenig über Kunst erfuhr, über Männerfreundschaft wurde so ernsthaft nachgedacht, dass es erstaunlich komisch wurde. „Kunst“ ist eine weitere Erfolgsproduktion aus dem Hause „Metropol“, die sicherlich schon jetzt als heißer Tipp gehandelt wird.

 
Wolf Banitzki

 

 


Kunst

von Yasmina Reza

Matthias Grundig, Rüdiger Hacker, Werner Haindl

Regie: Jochen Schölch

Metropol Theater Das Bildnis des Dorian Gray von Oskar Wilde


 

 

Alle Kunst ist völlig nutzlos

Oder: „Kein Kunstwerk vertritt jemals eine Absicht. Absichten haben nur Leute, die keine Künstler sind.“ Diese Quintessenz filterte Vyvyan Holland, jüngster Sohn Oscar Wildes, in seiner Biografie über den Autor des „Dorian Gray“ aus dem Werk seines Vaters heraus. Das meint in Bezug auf die Theaterstücke des großen Dubliners, dass Gesellschaftskritik lediglich ein untergeordneter Teil des Amüsements ist. Wenn Oscar Wilde tatsächlich dieser Ansicht war, so hat er sich schon mit der Formulierung dieses Leitsatzes selbst widerlegt. Allein seine Hinwendung zu ästhetisierenden Form ist bereits ein Statement und charakterisiert eine Epoche der Dekadenz. Diese Dekadenz spiegelte sich bei Wilde in höchster künstlerischer Intelligenz wider, die so entlarvend war, dass sich seine Bonmots noch heute höchster Beliebtheit erfreuen. Man sollte davon ausgehen, dass es eher eine Schutzbehauptung, denn eine Maxime war, die ihm das viktorianische England abverlangte und die ihn dennoch nicht rettete.

Mit „Dorian Gray“ schuf er ein der Ästhetik seiner Zeit verhaftetes, zugleich aber inhaltlich zeitloses Werk. Dorian Gray ist ein narzisstischer Mensch, den die Vorstellung des Alterns beinahe in den Wahnsinn treibt. Geliebt und begehrt zu werden ist sein höchstes Ziel. Wem das nicht bekannt vorkommt, der lebt vermutlich nicht in dieser Welt. Grays Malerfreund Basil Hallward hat ein Porträt geschaffen, das an Schönheit nicht zu überbieten ist. Gray, der die meisten seiner Konterfeis erstanden hat, und in das besagte Bildnis hingebungsvoll verliebt ist, muss erkennen, dass das Abbild den Alterungsprozess verschweigen kann, er selbst aber vergehen wird. Angestachelt von der zynischen Weltsicht seines epikureischen Freundes und Verehrers Lord Henry Wotton wird seine Sehnsucht nach ewiger Jugend übermächtig. Dann verkehren sich die Dinge. An Stelle Dorians altert sein Porträt. Seine Schönheit bleibt makellos und eröffnet ihm ein Leben, das seine Gier danach immer wieder anstachelt. Leichen pflastern schließlich seinen Weg. Er bleibt unentdeckt bis zum Ende ...

Regisseur Gil Mehmert setzte die Parabel um das Thema „ewige Jugend“ im Metropol Theater weitestgehend schnörkellos in Szene. Er vertraute durchaus auf die dramatische Fassung John von Düffels, die sich deutlich an der Romanvorlage orientiert, und tat gut daran. Heike Meixners Spielraum war ein glattpoliertes Terrain mit einem breiten Steg in den Zuschauerraum, wie man es aus Revuefilmen kennt. Einziger konkreter  Hinweis auf das Heute waren die Vorhänge aus Zelluloid und Magnetbändern, Stofflichkeiten, die zur Konservierung von Augenblicken dienen. Es war ein gelungener Entwurf, der den Raum auf erstaunliche Weise veränderte und erweiterte.
 
  doriangray  
 

Judith Toth, Thorsten Krohn

© Hilda Lobinger

 

Gil Memert besetzte die Rolle des Dorian Gray mit Judith Toth, die wieder einmal souverän agierte. Allerdings war ihrer Darstellung eine (faustische) Schwere eigen, die das auf Genuss zielende und darum leichte Spiel, als solches sollte das tödliche Treiben laut Oskar Wilde verstanden werden, beinahe durchgängig als emotionale Mühsal erscheinen ließ. Diese Besetzung förderte immerhin die Entgrenzung aller Geschlechtlichkeit, denn wie im Roman, flackert auch in von Düffels Bühnenfassung ein homoerotisches Hintergrundlicht durch den Raum. Thorsten Krohn, der seine Qualitäten in der Rolle Lord Henry Wottons erst im zweiten Teil des Stückes unter Beweis stellen konnte, hatte ein deutliches Handicap. Er war mit einer Perücke ausgestattet, die von so ausgesuchter Hässlichkeit war, dass man den Blick nicht davon wenden konnte. Ähnlich, wenngleich nicht ganz so drastisch, erging es Konstantin Moreth als Malerfreund Basil Hallward, ein Schauspieler, der in etlichen Rollen am Metropoltheater überzeugen konnte. Als beide, zur Erklärung ihres Alterungsprozesses ihre „Fifis“ endlich absetzten konnten, trat ihre ansehnliche Natürlichkeit zutage. Wenn diese Perücken Insignien sein sollten, die Unnatürlichkeit der snobistischen Ästhetik zu definieren, ging das gründlich daneben. Uneingeschränkt überzeugend waren die Darsteller immerhin in den Nebenrollen.

Eine Eindringlichkeit der Vorgänge wurde durch die fabelhafte Musik von „elektra volksbad“ erreicht. (Jakob Haas und Adrian Sieber)  Sabrina Khalil, die auch in verschiedenen Frauenrollen agierte, brachte mit ihrem Gesang einen melancholischen Unterton zum Klingen. Allerdings verwies diese Inszenierung damit auch auf einen Trend im Schauspiel. Immer häufiger gelangt Livemusik zur Aufführung, was die Inszenierungen gefälliger macht, das gesprochene Wort aber nicht selten überdeckt und dessen Sinn verblassen lässt.

Leider gelang es den Darstellern eher selten, den brillierenden Geist Oskar Wildes zum Strahlen zu bringen. Den Schlüsselsätzen, den Bonmots, dem sophistischen Witz wurde zu wenig Raum gegeben. Ein gelegentliches Innehalten hätte vielleicht Wunder gewirkt und so war das intellektuelle, sprachliche und ein daraus möglicherweise resultierendes komödiantisches Feuerwerk eher ein Schwelbrand, den man durch Bespielen des Zuschauerraumes unter die Anwesenden zu tragen suchte. Einige Längen konnten nicht vermieden werden.

Diesen großartigen Stoff auf die Bühne zu bringen, war ein lobenswerter Versuch. Die Inszenierung anzuschauen hatte durchaus den einen oder anderen Reiz. Allerdings wird sie wohl kaum in der Erinnerung ankern.

Wolf Banitzki

 

 


Das Bildnis des Dorian Gray

von Oskar Wilde

Übersetzung und Bühnenfassung von John von Düffel

Judith Toth, Thorsten Krohn, Konstantin Moreth
Musik: elektra volksbad - Sabrina Khalil, Jakob Haas und Adrian Sieber


Regie: Gil Mehmert

Metropol Theater Dschungelbuch von Rudyrd Kipling


 

 
Dschungel ist immer und überall

... meinen die Autoren Ingo Lechner und Thomas Flach, die für die dramatische Fassung des bekannten Romans verantwortlich sind, wenn sie von die Dschungel und der Dschungel sprechen lassen. Wechselweise verwenden die Protagonisten auf der Bühne des Metropol Theaters die Artikel für Einzahl und Mehrzahl des Wortes Dschungel, einem Kollektivum. Da ist der Zuschauer gefordert genau hinzuhören, ob nun der natürliche Dschungel, der Urwald und/oder das dschungelhafte in der Menschenwelt angesprochen sind. Und da es von allfälligem Wildwuchs in der Welt der Menschen wuchert, sind diese Parallelen auch wirklich betonenswert. Da wäre beispielsweise der Dschungel der Naturgesetze, der u.a. das Verhalten der Tiere regelt. Davon gelten noch viele im und zwischen den Menschen, entstammt der doch der Tierwelt, und so schuf er ebenfalls einen Dschungel, einen Dschungel von Paragrafen, der mittlerweile so dicht ist, dass selbst die Schlange Kaa Probleme hätte hindurch zu schlüpfen.

Rudyard Kiplings Roman Dschungelbuch ist Weltliteratur. Wer kennt sie nicht, Akela den alten Wolf, Balu den Bär, Bagheera den Panther, die Schlange Kaa und den Tiger Shere Kahn. Die Geschichte vom ausgesetzen Jungen, der zwischen Wölfen aufwächst, ihre Lebensweise annimmt und zumindest partiell zu verinnerlichen vermag, berührt. Mowgli sammelt aber nicht nur Erfahrung in der Tier-, sondern auch in der Menschenwelt und ringt mit der Verbindung dieser beiden. Doch da sich daraus allein noch keine Spannung ergibt, und Mowgli sich mit starken Kräften messen muss, um erwachsen zu werden, darf, einer alten Schuld zur Folge, der Tiger Shere Kahn in einer Nacht des Jahres aus Vergnügen töten, einen Menschen, dem er direkt ins Auge sieht. "Kipling verknüpft eine Abenteuergeschichte in naturgetreuer Darstellung mit archetypischer Schilderung ursprünglicher Menschheitssituationen.", so das Programmheft. Auge um Auge, Zahn um Zahn findet der Ausgleich statt, geregelt durch Gesetz. Die Inszenierung stellte diesen Aspekt immer wieder deutlich in den Vordergrund.
 
   
 

Dascha Poisel, Sven Hussock, Felix Kuhn

© Hilda Lobinger

 

 

Die Geräusche des Urwalds, der Vögel drangen aus dem Dunkel der Bühne. Sie zwitscherten in den unterschiedlichsten Tonarten und als das Licht kam, der Tag begann, erzählten sie die Geschichte von Shere Khan, dem Tiger. Die Darsteller saßen in Reih und Glied wie auf einem Ast und ihr Spiel nahm den Zuschauer vom ersten Moment an mit in die Welt der Tiere. Thomas Flachs Inszenierung baute auf Körpersprache und erzeugte damit lebendige Bildhaftigkeit. Toni Gruber, der Choreograf, hatte mit den Schauspielern unterschiedlichsten tierischen Habitus erarbeitet, der durchgehend überzeugte. Der geschmeidige Bagheera (Dascha Poisel), der behäbige Balu (Klaus Meile), der mächtige Tiger (Felix Kuhn), die heulenden Wolfseltern (Silvia Andersen, Georgios Tzitzikos), der kleine Mowgli und der alte Wolf (Bernhard Letizky), sie alle erstanden vor dem Auge des Betrachters. Die Schlange Kaa (Felix Kuhn, Bernhard Letizky, Georgios Tzitzikos) stellte den Höhepunkt dar. Allein dieses Aspektes wegen, ist der Besuch der Inszenierung empfehlenswert. Die Schauspieler brillierten, fast alle in verschiedenen Rollen, uneingeschränkt und die Anerkennung gebührt allen gleichermaßen.

Die dramaturgische Bearbeitung des Prosawerkes gelang den beiden eingangs genannten Autoren im Bereich der Tierwelt, dem ersten Teil, hervorragend. Das kann man vom zweiten Teil, der in der Menschenwelt spielte, nicht sagen. Der inszenatorische Kunstgriff die Sprache zu wechseln ins Englisch, um den Unterschied zwischen beiden zu verdeutlichen, mißlang. Denn, allein der Satz "Give him his will!", ist schlichtweg nur heavy. Es fragt sich, warum man nicht auf den Originaltext von Kipling zurückgriff. Der Autor war Meister der Worte.
Thomas Flach, der Regisseur, gestaltete auch die Bühne. Diese bestand aus Tischen, die sowohl eine Zwischenbühne bildeten, als auch Kulissen wie beispielsweise Häuser vorstellten und die die endlosen Schreibtischreihen der Bürokratie andeuteten. Eine erprobte Idee, und doch, ein wenig weniger Tischerücken hätte dem Bühnengeschehen nach der Pause gut getan. In der Tierwelt gelang die Gestaltung der Figuren, während die Szenen unter den Menschen im Gegensatz dazu hölzern wirkten, steif und kaum ausgefeilt. Nimmt man diesen Umstand als gewollt an, so verweist er deutlich auf die Zustände in der Gesellschaft. Die Entwicklung der menschlichen Charaktere lag allein bei den Schauspielern. Nur Mowgli (Sven Hussock) bildete zum Abschluss eine Ausnahme.

Da rief er aus: "Lasst die Dschungel ein!", über die Schwellen in die Häuser, bis die Natur die Menschenwelt übernimmt. Schnee von gestern, ist das doch längst geschehen. Ein Hoch der Natur also? Zurück zu tierischen Zeiten? Ist das wirklich so gemeint, oder wäre es nicht besser genau zu artikulieren, welches Gesetz in der Natur, aus der Tierwelt wieder ins Bewusstsein der Menschen zurück gebracht werden sollte? Kein Tier tötet aus einem anderen Grund als Hunger, also unmittelbarem Lebens- und Arterhalt. Anders der Mensch. Und Vater Wolf bringt es auf den Punkt: "Der Mensch ist das schwächste aller Tiere, ihn fressen macht räudig."



C.M.Meier

 

 


Dschungelbuch

von Rudyard Kipling

Silvia Andersen, Dascha Poisel, Sven Hussock, Felix Kuhn, Bernhard Letizky, Klaus Meile, Georgios Tzitzikos

Regie: Thomas Flach