Teamtheater Comedy Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen von Thomas Bernhard




Theater ist naturgemäß hassenswert

„Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen“ ist nur ein Drittel der Wahrheit, denn gegeben werden zudem die Dramolette: „Claus Peymann verlässt Bochum und geht als Burgtheaterdirektor nach Wien“ und „Claus Peymann und Hermann Beil auf der Sulzwiese“. Es war eher ein Abend für Insider, obgleich einige wenige Informationen genügen würden, um das Spektakel um die großen Künstler richtig genießen zu können. Claus Peymann, einer der wichtigsten deutschen Regisseure der letzten vierzig Jahre, ging nach erfolgreichen Spielzeiten (1979-1986) von Bochum nach Wien, um die Leitung des Wiener Burgtheaters zu übernehmen. Peymann war schon früh in die politischen Schlagzeilen geraten, als er in seiner Stuttgarter Intendanzzeit (1974-1979) eine Sammlung für einen Zahnersatz für die inhaftierte RAF-Terroristin Gudrun Ensslin veranstaltete und vom Ministerpräsident Hans Filbinger angefeindet wurde. (Der fällte als Marinerichter zwischen 1943 und 1945 vier Todesurteile und ließ diese vollstrecken.)

Neben Stücken von Autoren wie Peter Handke, Peter Turrini und später auch Elfriede Jelinek, brachte Peymann viele Werke von Thomas Bernhard zur Uraufführung. Beide verband eine künstlerische „Ehe“. Peymann bezeichnet sich noch heute als „Bernhard-Witwe“. Am Burgtheater in Wien führte diese Zusammenarbeit zu einem gewaltigen Eklat, als Peymann zum 200jährigen Bestehen des Burgtheaters das Stück „Heldenplatz“ von Bernhard, geschrieben zum 50. Jahrestag des „Anschlusses“ Österreichs ans Deutsche Reich, uraufführen wollte. In den Augen vieler Österreicher war dieses Stück die Krönung des, als nestbeschmutzend bezeichnete, Treibens Bernhards. Der Olymp wurde durch diesen Akt entweiht. Selbst das österreichische Parlament beschäftigte sich mit diesem Affront. Die Uraufführung wurde um einige Tage verschoben. Peymann nutzte diese geradezu mythische Bühne in einem bis dahin nicht gekanntem Maße stets auch für politische Kontroversen.

Thomas Bernhard verband zum eigenen Vaterland eine Hassliebe, wobei er soweit ging zu fordern, das Burgtheater zu schließen und einzubetonieren. (Das verlangte er mehrfach öffentlich und auch in seinen Dramoletten.) Bernhard war ein literarischer Griesgram, stets umstritten im eigenen Land, dessen Wirkung auf seine erbarmungslose Konsequenz zurückzuführen war. Er ging in seinen defätistischen Analysen und offenen Beschimpfungen soweit, dass es schon wieder komisch wurde. Darin folgte er wohl der Beckettschen Vorgabe, der meinte, man müsse es bis zum Äußersten treiben, „dann würde Lachen entstehen“. Bernhard starb am 12. Februar 1989 als ein vielgeschmähter, aber auch als ganz großer Dichter Österreichs. „Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen“ war eine sehr späte Arbeit und wurde erst nach seinem Tod 1990 veröffentlicht.

clauspeymann

ludo vici, Claus Joachim Zey

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Zwei charakteristische Eigenschaften verbanden beide Männer: Sie waren beide auf Erfolg erpicht und sie waren beide zutiefst politisch. Eine dritte Eigenschaft mag, wenn man sie äußert, ketzerisch sein: Beide waren/sind hypertroph! Sowohl Peymann als auch Bernhard haben die Kunst immer als ihren ureigenen Spielplatz verstanden. So war es auch nicht verwunderlich, dass man sich letztlich gegenseitig Elogen schrieb und bescherte. Und das war gut und richtig so, denn in der heutigen medialen Welt findet manche große Leistung „naturgemäß“, um ein geliebtes Wort Bernhards zu benutzen, erst Anerkennung über den Skandal, insbesondere dann, wenn sie inhaltlich nicht sonderlich populär ist. Aber genau diese Aussage wird in den Dramoletten ad absurdum geführt, denn beide, Peymann und Bernhard geben sich selbst oder werden der Lächerlichkeit preisgegeben.

Vor dem Hintergrund dieses Wissens wird das Treiben beider Protagonisten, das wie künstlerischer Wahnsinn anmutet, verständlich. Bernhard/Peymann finden mittels ihrer ureigenen Logik heraus: „Entsetzlich“ sind nicht nur die Schauspieler (die Wiener Burg hat derer 160), Dramaturgen und das Publikum, „entsetzlich“ ist das ganze Theater an sich. Dabei ist das größte Theater in Europa Österreich. Nicht das Theater in Österreich. Österreich ist das große Theater. Und das große Theater ist „naturgemäß hassenswert“!
Bei näherer Betrachtung kommt man zu dem Schluss, dass, findet man nur den geeigneten Blickwinkel, Bernhards absurde Behauptungen durchaus der Wahrheit entsprechen könnten. Ob die Errettung des Theaters darin bestehen kann, den gesamten Shakespeare, mit den besten Schauspielern dieser Welt in einem einzigen gewaltigen Bühnenbild, das sich aus allen herausragenden Bühnenbildern der Shakespearestücke zusammensetzen sollte, in nur fünf Stunden aufzuführen, weiß nur Gott allein. Der, also Peymann, sagt ja. Hermann Beil, langjähriger Dramaturg Peymanns, meint auf der Sulzwiese: Natürlich.

Sebastian Linz, er zeichnete für die szenische Einrichtung verantwortlich, überließ den beiden Darstellern ludo vici (Claus Peymann) und Claus Joachim Zey (Fräulein Schneider, Thomas Bernhard, Hermann Beil) den gesamten Theaterraum. ludo vici parlierte, permanent die Szene dominierend, als der Regiegott Peymann auf- und abschreitend, jeden und jedermann zur Zuschauer- und Zuhörerschaft degradierend, selbst seinen Mitspieler in dessen Rollen. Der Darsteller lief in einer Sparte zur Höchstform auf, die man bösartig als Kantinenschauspielerei bezeichnet. Um nicht missverstanden zu werden, die Selbstspiegelung, die Selbstbeweihräucherung war wunderbar anzuschauen. Immerhin war es Theater auf dem Theater und darüber wissen Schauspieler doch ein Menge zu erzählen. ludo vici gestaltete seine Texte mit bestem Handwerk, einer wunderbaren Ausstrahlung und in einer Lesart, die viel erkennbar machte, nie aber denunzierend wirkte. Ihm gelang es auch, die verschrobene Schönheit der Bernharschen Sprache zu leuchten zu bringen. Der Spaß am Spiel und an dieser außergewöhnlichen Rolle war unverkennbar. Immerhin handelte es sich um einen lebenden Zeitgenossen, den jeder Theaterschaffende kennt, den die meisten von ihnen zu Recht zutiefst verehren. Claus Joachim Zey hatte nicht nur die „sprachlosen“ Rollen, er musste sich im Spiel auch über die Maßen unterordnen. Das mag ihn gelegentlich zu hyperaktivem, physisch zu aufwendigem Spiel verführt haben. Am besten schlug er sich in der Rolle Hermann Beils. Da musste er agonisch anwesend sein und als Dramaturgengott gut aussehen.

Der Abend im Teamtheater Comedy war zweifellos Liebhabertheater und sprach am ehesten Bernhardfans an. Dabei darf allerdings nicht übersehen werden, dass es sich hier nicht um die clowneske Vorstellung zweier großer Theaterleute handelte, sondern um ein echtes Stück Theatergeschichte. Es ist wohl kein Geheimnis, das sich beinahe jeder für Theaterklatsch interessiert. (Am Theater wird, wie im richtigen Leben, in jeder Tonart übereinander geredet.) Hier kann er pur und unverfälscht auf künstlerischem Niveau genossen werden. Man nehme es einfach als eine literarische Realität, die im Kern durchaus wahr ist und zum besseren Verständnis zweier Persönlichkeiten führen kann.


Wolf Banitzki

 

 


Claus Peymann kauft sich eine Hose und geht mit mir essen

von Thomas Bernhard

ludo vici, Claus Joachim Zey

Szenische Einrichtung: Sebastian Linz

Teamtheater Tankstelle Körpergewicht 17% von Ewald Palmetshofer




Schienen des Schicksals

Prädikat: Unbedingt erlebenswert – dieser Einblick in heutige Schicksale während dem kurzen Halt des Zuges der Zeit auf einer Theaterbühne

Mit Sekundengenauigkeit erfasst Ewald Palmetshofer die Gedanken zweier Figuren, die stellvertretend für viele stehen können. Satz für Satz enthüllen sich ihre Leben und ebenso baut sich der Zusammenhang mit der Gegenwart auf und der Moment in dem sie verschwinden. Es war ein kurzer, doch umso markanterer und einprägsamerer Aufenthalt auf einem Bahnsteig, einem Zuschauerraum. Es wurde ein krimihaft inspirierter Monolog entfaltet, dessen Kern aus Vereinsamung und Isolierung in einer sich verändernden Gesellschaft besteht. Palmetshofer verdeutlicht die Einsamkeit per se und nimmt immer wieder Bezug auf die Stille. Stille. Er führt eine Frau und einen Mann und zwei scheinbar gegensätzliche Lebenswege in eine DarstellerIn zusammen.

Linda Löbel gekleidet in weißen Trenchcoat, weiße Bluse und weiße Herrenhose betrat die Bühne. Die silbern glänzende Wand einer U-Bahnstation bildete die hell erleuchtete Kulisse, die dennoch Untergrund symbolisiert. Zwei metallene beleuchtete Schienen verliefen vor der Rampe, zwischen diesen entwickelt die Schauspielerin die beiden Figuren. Leicht vorgebeugt, die Nase spitz hervorgereckt, den Blick geschärft, wurde eine alte Frau erkennbar. „.... mach ich die Stille tot ...“, akzentuierte sie hart und doch wie in sich hinein - und das, indem sie im U-Bahnzug morgens zwischen den Feinkostfrauen und den Öffentlichendienstmännern in eine Waffel biss. Auf der anderen Seite der Erde, in Indien, vertrieb sich die Darstellerin als junger Mann in Resturlaub die Zeit, beobachtete Taxifahrer und freundete sich mit einem Liebespaar an, welches verschiedenen Kasten angehört, also unvereinbar ist. Den Mantel lässig geöffnet, die Hände in den Hosentaschen erstand ein hungernder, kraftlos werdender Weltenbummler mit einem deutlichen Fokus auf Preise. Unter der Regie von Sebastian Linz entwickelte Linda Löbel in jedem Bild, jeder Szene ausdrucksstark den Text, veranschaulichte Tragik und Komik gleichermaßen. Spannungsgeladen führten die Worte und die Darstellung aus der Stille der Vereinsamten in den Moment, in dem Bilder und das Geräusch des Zuges der Zeit, von welchem Menschen sich ohnmächtig überrollt fühlen, zum Höhepunkt.

Es ist eine hochartifizielle und künstlerisch in Darstellung, Bühnenbild und Konzeption überaus gelungene Inszenierung, damit anregender Kunstgenuss in allen Facetten.


koerpergewicht

Linda Löbel

© Aylin Kaip

Ewald Palmetshofer greift mit seinem Stück aktuelle, immer aktueller werdende Probleme in der Gesellschaft auf. Die Vereinsamung, die Stille und die scheinbare Unausweichlichkeit. Es sind dies auch Inhalte einer Religion, welche auf der anderen Seite der Erde beheimatet ist. „Die Welt steht Kopf.“ - unsere Welt in Europa und die der nördlichen Halbkugel. Verfolgte man die Wanderung des magnetischen Nordpols, welcher bereits viele Kilometer gen Sibirien zog und unaufhaltsam weiterzieht, so erkennt man die Unausweichlichkeit einer tatsächlichen materiellen Veränderung. Ist es das, was unsere Welt vom Kopf auf die Füße gestellt? Im geistigen, leitenden Sinn ist dies natürlich nur soweit möglich, wie der Einzelne in seinem Geist und die Gemeinschaft es zulassen. Also vorausgesetzt man lässt den Geist nicht in den großen Zeh rutschen und versucht sich an dieser Stelle im Denken. Soviel wäre zu Unausweichlichkeit und freiem Willen zu bemerken.

Das Interesse am Buddhismus und die Aufnahme buddhistischer und damit auch hinduistischer Lebensregeln in den Geist des Einzelnen und folglich die Gesellschaft bringt es mit sich, dass auch das Kastenwesen, als ordnendes Prinzip Einzug hält. Eine Parallelgesellschaft entstand: Die ... -  Die selbsternannte Elite mehr oder minder Befähigter. Die ... – Das selbstgerechte staatsverwaltende Bürgertum und die mittelständischen Unternehmensberater. Die ... – Fleißigen Handwerker und Arbeiter. Die ... – Die Ausgeschlossenen und Verleumdeten. Die ... - Die anderen. Es handelt sich um eine jahrtausende alte, und so im kollektiven Bewusstsein der Menschheit festgeschriebene, Klasseneinteilung. Im Gegensatz dazu verbreitete der christliche Geist der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts in erster Linie Nächstenliebe und Miteinander. Die gesellschaftliche Gliederung bestand aus: Einigen Reichen, einem breiten Mittelstand vom Universitätsprofessor über den Arbeiter, den Politiker, den Handwerker, der Putzfrau bis zum Unternehmer und wenigen sozial Benachteiligten. Und wer nun in Anbetracht laufender Diskussionen um kirchliche Machtausübung denkt, dass es in einer Kastengesellschaft keinen Missbrauch, keine Fehlleitungen  bzw. Fehlleistungen gibt, dessen Augen sind verblendet und dessen Ohren sind verschlossen. Die asiatischen Religionen sind geprägt von Duldsamkeit gegenüber der Obrigkeit und Vereinzelung. Dann hält die Stille Einzug und behauptet sich gegen die eigenen Gedanken.

Der Dramatiker Palmetshofer zeigt in diesem Doppelmonolog die Parallelen in der Stille, der Einsamkeit, zwischen einer älteren Frau und einem jungen Mann auf. Während sich die Frau vornehmlich in Selbstgesprächen ergeht, so schreibt der Mann in einen Blog im Internet ... auf den er keine Antwort erhält. Seine Worte stehen schwarz auf weiß in einer virtuellen Welt, einer kollektiven Austauschebene, die nur scheinbar anderen Regeln, als denen des menschlichen Gemeinwesens folgt. Die Ältere, eine in ihre Wohnung eingeschlossene Rentnerin, flüchtet vor der Lobhudelei die Jugend allerorts zuteil wird, folgt aber dennoch deren Spuren und entwickelt Feindbilder an ihren Vertretern. Der junge Mann trägt einen schweren Rucksack, flexibel und heimatlos, ein Investmentwanderarbeiter auf der Suche nach einem Platz, an dem zu verweilen ihm gestattet wird.

Wer der Stille huldigt, hat kein Interesse an der Vielfalt des Lebens. Wer in die Stille verbannt wird, wird aus der lebendigen Gemeinschaft ausgeschlossen. Wer die Stille sucht, grenzt sich mitunter auch nur von einer Mediengesellschaft ab in der permanent aus allen Lautsprechern und von allen Wänden, über die erträglichen Maße hinaus, aufdringlich geplappert, geschnattert, gequakt und geschulmeistert wird. Nun genug ...!


C.M.Meier

 

 


Körpergewicht 17%

von Ewald Palmetshofer

Linda Löbel

Regie: Sebastian Linz

Teamtheater Tankstelle Homo Faber nach Max Frisch



 

Gelungene Hommage an Max Frisch

Homo faber kommt aus dem Lateinischen und bedeutet der schaffende Mensch. Walter Faber versteht sich als ein solcher. Er ist Techniker, glaubt nicht an Zufälle oder gar Schicksal, bis er selbst von diesen schicksalhaften Zufällen eingeholt wird. Im Gegensatz zum homo ludens, dem spielenden Menschen, glaubt er an Statistiken, physikalische Gesetze und an Material. Dabei gelangt er zu der Erkenntnis: „Fleisch ist kein Material. Fleisch ist ein Fluch.“

Noch nie hat er eine geschäftliche Verabredung wissentlich oder vorsätzlich versäumt, und so macht er sich von New York aus, seine Geliebte endgültig zurücklassend, auf den Weg nach Venezuela. Sein Flugzeug muss in der Wüste von Mexiko notlanden. Von nun an gerät alles aus den Fugen. Im mittelamerikanischen Dschungel findet er einen alten Freund, der sich erhenkt hat. Er kehrt in die Zivilisation zurück, um sich erneut auf die Flucht vor seiner Geliebten, vor unberechenbarem Leben zu begeben.

Auf der Überfahrt von Amerika nach Europa lernt er ein junges Mädchen kennen und macht ihr, ganz gegen seine Prinzipien, einen Heiratsantrag. Gemeinsam fahren sie durch Italien. In Griechenland wird das junge Mädchen, Elisabeth, von ihm Sabeth genannt, von einer Schlange gebissen. Die Mutter Hanna wird gerufen und Faber muss erkennen, dass das Mädchen seine Tochter ist. Er hat ihr Leben zerstört. Ihm bleibt, an Krebs in fortgeschrittenem Stadium erkrankt, nur wenig Zeit, sein Leben zu hinterfragen. Er entdeckt das wirkliche Leben, dem er immer ausgewichen ist, und beginnt es zu lieben.

Das Theater Pro brachte in Kooperation mit dem Teamtheater Tankstelle unter der Leitung von Ralf Buron eine „multimediale Film-Tanz-Theater-Adaption“ des vielleicht erfolgreichsten Romans von Max Frisch zu dessen 100. Geburtstag auf die Bühne Am Einlaß 2. Das Bühnenbild (Matthias Bringmann) war beschränkt auf einige Gazevorhänge, gleichsam Fläche für die Videoprojektionen, und ein Krankenhausbett. Soviel vorab: Es war ein überaus gelungene Hommage an den Schweitzer Dichter.

Die Produktion war dreigeteilt. Eingangs erlebte der Zuschauer die rasante filmische Fahrt des Protagonisten Faber, großartig raumgreifend und wechselvoll sensibel gestaltet von Herbert Schäfer, durch die Stationen der Geschichte bis hin zur Schiffspassage nach Europa. Schäfer spielte die Geschichte mit großer Eindringlichkeit in der Retrospektive, bereits auf dem Kranken-, oder besser, auf dem Sterbebett. Vor der letzten Szene hatte Faber einen viertägigen Aufenthalt in Havanna eingelegt, wo er erstmals das Leben sah, wie es ist: Prall, prickelnd, saft- und kraftvoll und unberechenbar.

Während der Begegnung Fabers mit Elisabeth im zweiten Teil quecksilberte die Tänzerin Stephanie Scheubeck mit Verve durch das wohlgeordnete Leben des Technokraten und wirbelte es mit großem körperlichen Aufwand durcheinander (Choreographie: Gary Joplin). Anstelle des Wortes trat die Geste und der tänzerische Ausdruck. Deutlich wurde allemal, wie überfordert und fasziniert zugleich Faber mit und von der Lebenswut des Mädchens war, das sich ganz augenscheinlich in ihn verliebt hatte.

Im griechischen Krankenhaus traf Faber schließlich auf seine frühe Liebe, die Halbjüdin Hanna, der er zur Emigration aus Nazideutschland verholfen, sie aber dennoch nicht geheiratet hatte. Ulla Wagener spielte ihren Part  nüchtern und ohne alle Sentimentalität, ganz dem Wort vertrauend. Die literarische Gestalt hatte schon bei Frisch menschliche Größe: Sie ist Archäologin geworden, hat ihre Tochter großgezogen und sich auch vom Ehemann Joachim (Faber fand den einstigen Freund im Dschungel erhenkt) getrennt. Sie ist eigenständig, hat ihr Leben gemeistert und ist gleichsam vom Leben desillusioniert. Ulla Wagener verlieh der Figur auch auf der Bühne Glaubhaftigkeit.

Als Herbert Schäfer den letzten großen Monolog sprach, den todkranken Faber von seinem weltanschaulichen Korsett entblätterte, wurde die existenzielle Dimension des Romans und der Figur Fabers bedrückend deutlich. Faber nahm Abschied von einem Leben, das er nicht gelebt hatte. Das Publikum kam an dieser Einsicht nicht ohne emotionale Teilnahme vorbei. Die Leistung Herbert Schäfers kann dabei kaum überbetont werden.

Ralf Buron, der für Regie, Film und Musik verantwortlich zeichnete, gelang eine Mischung aus allen künstlerischen Zutaten. Der in sich geschlossene Abend erzählte die Geschichte Walter Fabers weitestgehend ohne emotionale Verluste und erreichte eine hohe dramatische Dichte.
Prädikat: unbedingt sehenswert!

Wolf Banitzki

 

 

 


Homo Faber

nach Max Frisch

Eine Produktion von THEATER PRO in Kooperation mit der Teamtheater Tankstelle e.V.

mit: Stephanie Scheubeck, Ulla Wagener, Herbert Schäfer

Regie/Film/Musik: Ralf Buron

Teamtheater Tankstelle Eine Sommernacht von David Greig und Gordon McIntyre



 

Indie indeed

„Love is the only engine of survival“, singt Leonhard Cohen seit den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts. Und das Überleben rückt in Zeiten, in denen die Nächte länger werden und die Finsternis in Form von menschlicher Unzulänglichkeit und gescheiterten Lebensansätzen zunimmt, in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und also auf die Bühne. Am Scheitelpunkt, an Mittsommer, dem längsten Tag im Jahr, spielt das Stück von David Greig (geb. 1970) und Gordon McIntyre (geb. 1969). Natürlich eine Liebesgeschichte. „Liebe bricht dein Herz entzwei … kann sein, es geht dir gut dabei.“

Es beginnt an einem tristen Freitagabend in einem Weinlokal in Edinburgh. Helena, Mitte Dreißig und erfolgreiche Scheidungsanwältin, spricht Robert, nein, Bob, Bob Middlehope einen Kleinkriminellen mit einem unerfüllten Lebenstraum an. Der Wein und die Gelegenheit führen zu einer intensiven körperlichen Begegnung. In den Köpfen „spukt“ es dabei. Doch damit beginnt das Wochenende erst und die Ereignisse nehmen den Lauf der Dinge in ihre Hände, spielen Schicksal. „Denn die Entscheidungen in den Menschen fallen erst Sekundenbruchteile nachdem eine äußere Reaktion erfolgte“, wie Helena durch einen wissenschaftlichen Versuch erfahren hatte. Man sucht danach nur noch nach Plausibilität, um sich das eigene Handeln zu erklären. Das Werk ist eine Erzählung, keine Monologe und keine Dialoge. In zwei parallelen Strängen erzählen Helena und Bob die Erlebnisse, legen Gefühle offen, kommentieren das Geschehen mit wissenschaftlich anmutenden Erklärungen und geben die Worte des anderen wieder - das was in Erinnerung blieb, oder das was jener hören wollte. Theater Indie indeed.

Es war ein überaus unterhaltender Abend in dem mit der Komik, die den Situationen moderner menschlicher Begegnung innewohnt, gekonnt gespielt wurde. Regisseur Dieter Nelle griff tief in die Kiste der Theatertricks und zauberte mit geschickter Hand die adäquatesten hervor. Britta Scheerer verkörperte Helena – zeitgemäß, brillant.  Sie war frustriert, verzweifelt, beglückt, hoffnungsvoll, entsagend, hübsch und zerzaust, verloren und zielstrebig, kurz – vom Leben gezeichnet. Es gelang der Schauspielerin jeden Moment überzeugend zu gestalten, die Bühne zu füllen. Dazwischen griff sie zu Harmonika und Akkordeon, trug die Songs von Liebe und Leid vor. Robert Atzlinger als Bob kam der überlegendere Part zu. Immerhin war es auch Bobs fünfunddreißigster Geburtstag an dem er Helena begegnete - ein guter Zeitpunkt zu resümieren. Hatte er sich doch auch, bildlich und tatsächlich, seinem zweiten Ich zu stellen – eine Szene wundervollster Possenhaftigkeit. Sein Griff zur Gitarre, das Anschlagen der Akkorde und die tiefe männliche Stimme zeugten von der Präsenz einer anderen Kraft. Souverän gestaltete der Schauspieler die Rolle. Lässig und bisweilen cool bewegte Bob sich im dichten Regen Edinburghs, der auf der Bühne sinnfällig durch Glasperlen veranschaulicht worden war. „We go down to the Old Town … and fall in love my love again.“

Der Kitsch der Romantik. Lächeln und Lachen wechselten in den Gesichtern der Zuschauer ab. Amüsiert und locker verließ das Premierenpublikum das Theater.



C.M.Meier


 

 


Eine Sommernacht

von David Greig und Gordon McIntyre

Deutsch von Barbara Christ

Britta Scheerer, Robert Atzlinger

Regie: Dieter Nelle

Teamtheater Tankstelle Drei Nächte mit Madox von Matéï Visniec




Madox oder wie man sich selbst begegnet

Das Leben ist ausgeblendet in dem kleinen Ort am Meer. Seit Jahren schon ist kein Gast mehr in Brunos Pension/Cafe abgestiegen. Grubi verbringt seit Jahren seine Nächte einsam, nur an die Flasche gelehnt, in seinem Leuchtturm, und Caesar hat seit Jahren schon keine Fahrgäste mehr. Straßenkehrer Hjiami verrichtete seine Arbeit ohne jegliche Hoffnung auf menschliche Begegnung und Clara hat ihrerseits nur Klagen über die Vernachlässigung ihrer Selbst und ihres Etablissements für die Männer des Ortes. Agonie und Apathie allenthalben.

Doch seit drei Tagen ist alles anders. Wie die Männer und auch Clara berichten, ist ihnen ein Herr begegnet, ein toller Kerl mit einer Narbe unter einem Auge und einer Taschenuhr mit berückendem Spiel. Sie haben die Nächte miteinander verbracht beim Spiel und der Liebe. Wie? Was? Jeder zur gleichen Zeit mit dem selben Herrn? Ja, und jetzt wird es spannend. Herr Madox besitzt die Fähigkeit, an unterschiedlichen Orten zur gleichen Zeit zu sein. Mehr noch, der genaue Beobachter kann bemerken, dass Herr Madox sich selbst begegnen kann. Die schlichten Provinzgemüter sind verstört und überfordert. Die erste Reaktion ist, diesen Gauner muss man dingfest machen, besser, gleich töten, denn so einer ist zu allem fähig. Immerhin hat er an die Totenruhe der Lebenden gerührt mit seinen Geschichten vom ertrunkenen Bruder und der kleinen Brücke, über die er nicht zu gehen vermochte. Andererseits sollte man ihn nicht gehen lassen, denn das plötzlich aufgekommene Leben fühlt sich nicht schlecht an. Die Verheißungen, die seine Person mit sich brachte, sind zu verlockend. Da ist dieses Spiel, das Herr Madox entwickelt, in dem es keinen Sieger oder Verlierer gibt. Was für ein Spiel mag das wohl sein, das alle Regeln auf den Kopf zu stellen scheint. Schließlich will man Herrn Madox gemeinschaftlich zur Rede stellen. Die Überraschung, die sie erleben, ist gewaltig und stellt alles in Frage.

Matéï Visniec, in Frankreich lebender Rumäne, schuf mit diesem Stück eine poetische Hinterfragung des Seins. Er überschreitet dabei nur scheinbar physikalische Grenzen, denn das menschliche Unterbewusstsein besitzt diese Fähigkeit unbestritten. Sehnsüchte, Verzweifelungen und der menschliche Drang nach Aufhebung der unumstößlichen Vereinsamung gebiert Fantasien, die alles bewegen können. Visniec, dessen Leben von politischer Verfolgung geprägt war, sieht die Erlösung und die Überwindung politischer und gesellschaftlicher Unfreiheiten in der Poesie des Daseins. Die Fantasie ist ein übermächtiger Verbündeter. Man muss sie nur einzusetzen wissen. Seine sprachlich minimalistischen und auf das Wesentliche durchdeklinierten Figuren sind Kunstfiguren und zugleich dem Leben entlehnte, glaubhafte Figuren.


madox


Klaus-Peter Bülz, Katja Rupé, Lorenz Gutmann, Wilhelm Beck

© Stephan Rumpf



Clara (Katja Rupé), die Hure des Dorfes, ist eine selbstbewusste Frau, deren Sehnsucht nach Entrinnen aus der Tristesse sichtbare Körperlichkeit bekam. Raumfüllend griff sie nach der Sympathie der Männer, die sie schon so lange vernachlässigten. Immerhin, sie wird gehen, den Ort verlassen mit einem Zug, den es bekanntlich nicht gibt, denn der Ort ist eine Endstation, grenzt ans Meer. Aber sie hat bereits die Tickets, und ihr Zug wird fahren, wird das Meer durchqueren, die Berge und auch die Täler.  Bruno (Klaus-Peter Bülz) bekam die Vorgänge nicht so recht in seinen sturen Schädel, war darum sofort bereit, sich mit Aggression zu verteidigen. Es war ihm nicht gegeben, diesen ersten Impuls durch andere Gefühle oder gar durch Fantasie zu überwinden. Leuchtturmwärter Grubi (Lorenz Gutmann), der die drei schönsten Nächte seit langem verlebt hatte, war ebenso überfordert, gluckste in sich hinein, weil er nicht fassen konnte, was geschehen war, und fürchtete wohl, verrückt zu werden.  Auch Caesar (Wilhelm Beck) geriet in Verwirrung, suchte sein Heil in der spontanen Flucht, konnte aber letztlich der Situation nicht entrinnen und verharrte in erstaunter Lähmung. Nein, verdient hatten die sich generös gebenden Männer nichts an Herrn Madox. Doch ihr Leben und damit ihre alltäglich erprobten Haltungen waren perdu. Einzig Straßenkehrer Njiami (Ravi Rege) schien über alle diese Ungereimtheiten nicht den Kopf zu verlieren. Er quirlte sich durch die Situationen, um sich selbst nicht zu verlieren. Doch letztlich musste er sich dem kollektiven Wahn fügen, Herrn Madox und dessen Ungehörigkeiten zur Rechenschaft zu ziehen.

Es war ein unaufgeregter Theaterabend, ohne ästhetische Kapriolen. Philipp Jescheck inszenierte das „Traumspiel“ sehr selbstverständlich und realistisch. Warum auch nicht, war doch die Geschichte ein selbstbewusster Gegenentwurf zur Realität. Da sie jedoch aus einer alltäglichen, überall existierenden Realität inspiriert war, erschuf Jescheck eine andere, neue, hoffnungsvolle Realität. Die Kraft der Poesie verwandelte das von Michele Lorenzini geschaffene (Bühnen-) Cafe, holzfarben und ein wenig abgegriffen, in einen Ort der Verzauberung. Was könnte ein glaubhafterer Ort für Fantasie und Zauber sein, als das Theater. Dieser artifizielle Vorgang hatte etwas Entspannendes, denn er war frei von plattem Realismus. Wer sich der Inszenierung mit dieser Haltung nähert, hat gute Chancen, sich verwirren oder in Erstaunen versetzten zu lassen.

Nachtrag: Die Frage, wer ist Herr Madox, ist die gleiche Frage nach Herrn Godot und sollte nicht gestellt werden.



Wolf Banitzki

 

 


Drei Nächte mit Madox

von Matéï Visniec

Übersetzung: Jana Schindler

Katja Rupé, Wilhelm Beck, Klaus-Peter Bülz, Lorenz Gutmann, Ravi Rege

Regie: Philipp Jescheck