Teamtheater Tankstelle Das wird schon. Nie mehr lieben! von Sibylle Berg




Von der Beziehungsnot zum Beziehungstod

Weihnachten zumeist kommt raus, wer sich vor Einsamkeit verzehrt, spätestens aber Sylvester. Was soll's, denkt sich der Guru, auch Seminarleiter genannt, diese Nöte kann man in bare Münze verwandeln, und schreibt einen Kurs aus. Zwei Damen sind erschienen. "Man ist doch ohnehin allein, oder?" Der Seminarleiter verspricht einen Kurs, an dessen Ende bei den Teilnehmern gleichsam alle Bedürftigkeiten nach Liebe ersterben werden. (Mit Geld-zurück-Garantie)

Das Rezept ist so banal wie wirkungsvoll: Während sich die beiden Teilnehmerinnen durch die imaginären Räume ihrer Erfahrungen tasten, wird der Horror aller ihrer vorangegangenen Beziehungen wieder wach. Der Seminarleiter, er springt jeweils als das männliches Pendant ein, verstärkt das Grauen plastisch. So geballt und mit aller Deutlichkeit wirkt die Überdosis emotional tödlich. Am Ende bekennt eine der Teilnehmerinnen mit dem Ausdruck überirdischer Abgehobenheit: "Ich fühle mich so gut, so leer!" Der Seminarleiter verlässt die Veranstaltung sichtlich zufrieden und geht ein Bierchen trinken.

Sibylle Bergs Text ist gespickt mit Geschichten und Geschichtchen, wie man sie zuhauf kennt, mit unterschiedlichsten Perspektiven und mehr oder weniger zynischen Kommentaren zum Thema. Dabei dreht sich alles um das Eine, um die schiere Unmöglichkeit, eine Beziehung einzugehen und zu leben. Es liegt wohl auf der Hand, dass das Versprechen, nie wieder Lieben, keine Lösung sein kann. Doch Autorin Berg liefert hinreichend Denkansätze, um der Sache auf den Grund gehen zu können.

Anja Klawun, Silvia Andersen, Heiko Dietz, Nina Ahlers

© Saskia Pavek


Für die Geschichte spricht zudem, dass hier Feindbilder weitestgehend vermieden wurden bis auf eins, der Feind in uns selbst. Dieser Feind heißt Egoismus, Selbstverliebtheit, Hybris. Er hat viele Namen, doch läuft es stets auf das Gleiche hinaus: Bevor die Liebe zu einem anderen Menschen in Anstrengung übergeht, liebe ich mich doch besser selbst. Nur dumm, dass es mit dem Sex dann eng wird. Woody Allen verwies in diesem Falle mit einem guten Argument auf die Masturbation. Er meinte sinngemäß: Masturbation ist Sex mit jemand, von dem ich genau weiß, dass er mich mag. Wenn das nicht hoffnungsfroh stimmt ...

Das Wunderbare an der Inszenierung im Teamtheater Tankstelle war, dass man herzhaft lachen konnte. Nicht zuletzt, weil die eine oder andere Geschichte, die eine oder andere Floskel auch der eigenen Erfahrung entsprungen sein könnte. Lebensnöte wie auch seminaristische Hilfsangebote wurden gemeinsam bis auf ihre Absurditäten entkleidet.

Regisseur Konstantin Moreth ging mit allem gebotenen Unernst daran, eine Revue der Gefühle in Szene zu setzen. Eine kleine Revuetreppe, eine weiße Bühne davor und vier weiße Multifunktionswürfel reichten aus (Thomas Luft und Konstantin Moreth). Szenenwechsel, Reisen ins Innere, wurden durch Lichtwechsel auf für das Publikum verständliche Weise deutlich gemacht (Stefan Bettinger). Überhaupt spielte das Licht eine große und gute Rolle. Der Rest wurde erspielt, und zwar gut erspielt.

Heiko Dietz entfaltete sowohl als Seminarleiter wie auch als Universalmann komödiantisches Spiel auf höchstem Niveau. Seine Wandlungsfähigkeit zum Macho, zum verklärten Kiffer, zum bedrängten Seitenspringer und wieder zurück zum Seminarleiter bewies bestes schauspielerisches Handwerk. Die Damen waren in diesem Maße nicht gefordert. Silvia Andersen als Seminarteilnehmerin I persiflierte die erfolgreiche (?)-vierzigerin, die gut isst, ins Theater und in Ausstellungen geht, der aber Körpergeruch zuwider ist und die dann doch eher flieht, wenn's unübersichtlich wird. Nina Ahlers gab Seminarteilnehmerin II als eine Jugendliche, die durchaus offen war und der die Vorstellung, Nie wieder Lieben!, durchaus suspekt erschien. Sie definierte ebenso wie Silvia Andersen einen Typ Frau, wie er uns täglich begegnet und, zumindest den Männern, Unbehagen bereitet. Dieser Typ Frau ist die Verkörperung des Beziehungsproblems. Und schließlich ging Anja Klawun ihrem Herrn und Meister als "Klageweib" rasant und eigenwillig assistierend zur Hand. Ihrem Spiel war es auch zu verdanken, dass Heiko Dietz zu großer Form auflaufen konnte. Selbstbewusst, manchmal auch rüde, kommentierte sie die allgegenwärtigen Klischees. Allein, ihre gesanglichen Einlagen, schön anzuschauen, litten gelegentlich unter akustischer Unverständlichkeit.

Regisseur Konstantin Moreth gelang gemeinsam mit seinen Mitstreitern eine Inszenierung, die wegen ihrer Witzigkeit keine Längen aufwies, die durchweg schön anzuschauen war und der man es verzeiht, dass weder Autorin noch Theatermacher eine Idee hatten, wie man dem Dilemma Beziehungsnot Herr werden könnte. Hier stand am Ende das (gottlob wenig überzeugende und ungewollte) Bekenntnis zum Beziehungstod. Diese Inszenierung bietet genug Inhalt und künstlerische Substanz auch für einen zweiten Besuch.



Wolf Banitzki

 


Das wird schon. Nie mehr lieben!

von Sibylle Berg

Anja Klawun, Silvia Andersen, Heiko Dietz, Nina Ahlers

Regie: Konstantin Moreth

Teamtheater Tankstelle Romance in D von James Sherman



 

Und jederman ist zufrieden und glücklich ...


Das Bühnenbild von Daniela Hohenberger besteht aus zwei aneinandergrenzenden Appartements, identisch - nur spiegelverkehrt konstruiert, "um die Leitungen effizienter verlegen zu können". Auch die Gasleitungen. Links wohnt er, Musikwissenschaftler, rechts haust sie, Schriftstellerin - Lyrikerin, um präzise zu sein. Sie macht sich denn auch gleich an der effizient verlegten Gasleitung zu schaffen, um ihrem "hoffnungslosen" Leben, der Professorengatte für englische Literatur hat sie gerade mit der Assistentin betrogen, ein Ende zu bereiten. Er riecht es, alarmiert die Polizei und avanciert unfreiwillig zum Lebensretter.

Als sie, die jetzt einen Namen bekommt, nämlich Isabel, sich bei ihm, Charles, bedanken will, schauen sie sich tief in die Augen und, wie in einer romantischen Komödie nicht anders zu erwarten, die Balz beginnt. Auf dem noch unverdorbenen Lande könnte daraus kein Theaterstück entstehen, doch man ist in New York, Woody Allen nicht weit und das Leben der beiden Loser gespickt mit raffinierten Arrangements. Isabel wird permanent vom treusorgenden Vater heimgesucht und Charles von der Mutter betuttelt. Dem aufmerksamen Beobachter wird ganz schnell klar, dass die beiden Elternteile sich dauerhaft auch nicht aus dem Weg gehen können. Überraschend in diesem Stück ist allerdings, dass sie eher zur Sache kommen als ihre verkorkste Brut.


Gionanni Arvaneh, Anke Schwiekowski


Über diese Komödie kann man eigentlich vorab nichts verraten, da sie ganz nach den Wünschen und Erwartungen des Zuschauers gebaut ist. James Sherman befriedigt alle diese Wünsche und Bedürfnisse auf intelligente und lebenskluge Weise. Dabei, man höre und staune, kann man sogar lernen, beispielsweise, dass in der menschlichen Genetik höchstwahrscheinlich tonale Strukturen angelegt sind und dass darum alle Kinder dieser Welt übereinstimmend und unabhängig vom Kulturkreis mit aufsteigender Stimme La, La ... usw. singen und dass Leonard Bernstein ein bisschen schwul war. So turteln New Yorker Intellektuelle! Seit "Manhattan" ein komödiantischer Dauerbrenner.

Regisseur Thomas Luft setzte bei seiner Inszenierung auf die Typen der Schauspieler. Dabei zeigt Anke Schwiebkowski das größte Gestaltungsspektrum. Als verlassene, aber immer noch liebende Ehefrau konnte sie sich hemmungslos gehen lassen, schlampig und wenig attraktiv daherkommen, von den unübersehbaren Augenaufschlägen einmal abgesehen. Das Aschenputtel, als das die Zuschauer sie eingangs kennen lernten, verwandelte sich in eine begehrenswerte Frau, als der Ex sie am Heiligen Abend zu einem Essen bittet. Der Glanz war schnell ruiniert, als sich herausstellte, dass es nur um eine mexikanische Schnellscheidung ging. Gionanni Arvaneh gab einen weltabgewandten, hölzernen Wissenschaftler, der unentwegt seine Verachtung für nichtmusikalische Dinge über den Rest des Lebens und der Welt ausgoss. Man hätte sich am Ende allerdings eine fulminantere Wendung zu Glücklichsein gewünscht. Selbst im höchste Glück schien er noch misstrauisch und verbiestert zu sein. Seine Mutter, gespielt von Christa Pillmann, war da wesentlich lockerer und das nicht nur in der Lebensauffassung der Rolle, sondern auch in deren Darstellung. Ein echter Blickfang war die Darstellung des Vaters von Isabel durch Michael Krone. In seiner mehr als robusten Erscheinung ließ er bei seinem Auftritt jeden Raum als zu klein erscheinen. Neben der physischen Präsenz füllte er auch stimmlich jeden Rahmen. Und obgleich er zumeist in jede Szene hineinpolterte, war der sensible Umgang mit der wenig lebensfähigen Tochter anrührend. Er war ein bärischer Typ mit einem riesigen Herzen.

"Romance in D" ist kein Boulevardtheater, obgleich es viele Elemente davon hat. Es ist eine anrührende Geschichte mit unausweichlichem Happy End. Wer Happy Ends mag, wird hier bestens bedient und zugleich noch recht anständig unterhalten. Im Teamtheater findet man die heile Welt wieder, die uns abhanden gekommen ist. Es ist dennoch kein Second Life.


Wolf Banitzki

 

 


Romance in D

von James Sherman

Gionanni Arvaneh, Anke Schwiekowski, Christa Pillmann, Michael Krone

Regie: Thomas Luft

Teamtheater Tankstelle Clavigo von J.W. v. Goethe




Wortbrüche und tödliche Folgen

Es hätte ein prickelnder Theaterabend werden können, doch letztlich blieb es ein unentschiedener. Regisseur Thomas Luft fehlte es an Konsequenz, das Goethesche Trauerspiel zu einem heutigen zu machen. Dabei ist alles drin in diesem 1774 geschriebenen Text, um heutige Moral zu entlarven, die sich zunehmend an materiellen Werten orientiert, als sich auf die Waghalsigkeit der Liebe einzulassen. Selten findet sich in einem Goethestück soviel glaubhafte Aufrichtigkeit in Bezug auf "Schwankungen der Seele und des Geistes".

Clavigo, ein von den Kanaren Zugereister, verliebt sich in die "wunderschöne, bezaubernde" Marie Beaumarchais, Französin und gemeinsam mit Schwester Sophie wohnhaft in Madrid. Er bittet um ihre Hand. Bald schon macht Clavigo als Dichter bei Hof Karriere und eine Hochzeit mit der plötzlich "schwindsüchtigen, hohläugigen" und ausländischen Marie könnte von Nachteil sein. Clavigo kündigt sein Eheversprechen auf. Maries Bruder erzwingt einen schriftlichen Ehrenverzicht von Clavigo, der sich seinerseits an die Liebe zu Marie erinnert. Reumütig kehrt er zurück. Allerdings nur, um Marie unter Beeinflussung durch Freund Carlos neuerlich zu betrügen. Marie siecht sich zu Tode und Beaumarchais schickt den Treulosen mittels seines Degens hinterher in die Grube. Soweit die Geschichte des Herrn von Goethe.

Selbiger schrieb über den Anlass der Entstehung im 12. Buch von "Dichtung und Wahrheit": "… zu der Zeit, als der Schmerz über Frederikens Lage mich beängstigte, suchte ich, nach meiner alten Art, abermals Hülfe bei der Dichtkunst. Ich setze die hergebrachte poetische Beichte wieder fort, um durch diese selbstquälerische Büßung einer inneren Absolution würdig zu werden." Mit Frederike war Friederike Brion gemeint, eine Geliebte, die er gerade "abgelegt" hatte. Später plagten ihn derartige Liebesschulden nicht mehr.

Immerhin bescherten diese Qualen, die der junge Dichter erfolgreich und schadlos mit Poesie überwand, ein recht brauchbares Stück. Vorlage war übrigens eine anekdotenhafte Reisenotiz des französischen Lustspieldichters Caron de Beaumarchais, der bereits im Herbst 1774 in Augsburg der Aufführung auf dem Theater beiwohnte. Goethes Schriftstellerkollege Johann Heinrich Merck aus dem Darmstädter Zirkel der Empfindsamen meinte über das Stück sehr herablassend: "Solch einen Quark musst du mir künftig nicht mehr schreiben." Goethe hingegen war sich sicher, dass dieses Drama in die "Repertorien" der Theater eingehen würde. Und er behielt recht.

Es ist ein schlichtes, aber gut gebautes Stück, das in der am Teamtheater gegebenen Fassung noch einmal stark vereinfacht wurde. Von der Personage Goethes, bestehend aus acht Darstellern, verblieben nur vier. Das tat der Sache bis auf Ausnahmen keinen Abbruch, zumal man getrost einige säuselnde Zeilen des Dichterfürsten ignorieren kann. Eine dieser Ausnahmen war die Rolle der Maria Beaumarchais. Anja Klawun hatte letztlich zu wenig Text, um eine wirklich menschliche Gestalt zu erschaffen. Ihr Part war derart eingeschrumpft, das kaum mehr als ein paar verzweifelte Aufschreie und ein pathetischer Suizid übrig blieb. Ähnlich erging es dem Bruder Maries. Beaumarchais wurde von Ulrich Zentner als ein auf Haltung bedachter, eher griesgrämiger, denn im Stolz verletzter Edelmann gegeben, dem recht wenige Facetten eigen waren, gestaltet.

Regisseur Thomas Luft hatte dabei eine wirklich gelungene Vorgabe gemacht, in dem er die Rolle des intriganten Carlos so anlegte, dass hier ein sehr heutiger, skrupelloser, exaltierter, Koks schnüffelnder, hedonistischer Snob entstand. Hubert Bails Darstellung war das eigentlich erregende, weil mephistophelische Element am Abend. Schön wäre es gewesen, wenn er die anderen Rollen mit ähnlicher Konsequenz in der Überzeichnung hätte gestalten lassen. Das wäre ohne Zweifel auch Julian Manuel zu Gute gekommen, dessen Clavigo in Ton und Geste dem 19. Jahrhundert entsprungen zu sein schien. Seine inneren Kämpfe blieben unglaubwürdig, weil sie zu äußerlich ausgetragen wurden. Am glaubhaftesten war Heike Ternes als Maries Schwester Sophie. Mit ihrer weitestgehend natürlichen Spielart durchbrach sie das Schema des Abends, ein Schema, weil blutarm und unorganisch.

Schematisch und nicht unbedingt schlüssig war denn auch das in Weiß gehaltene Bühnenbild von Daniela Hohenberger, geteilt in Clavigos Welt links und Maries Welt rechts. Die Spielfläche dazwischen war angefüllt mit Baumrinde. Im Hintergrund eine Nische, der verschlossene Ausweg vielleicht? Dem Betrachter blieb es weitestgehend verborgen. Es war immerhin der Ort, an dem die durch Clavigo doppelt betrogene Marie ihre Pulsadern öffnet. Bleibt zu hoffen, dass dies und der Suizid Clavigos, der sich Beaumarchais Dolch selbst in den Leib rammt, nicht alles gewesen sein sollte, was diese Inszenierung an neuer Sicht anzubieten hatte. Leider wurde viel mehr nicht deutlich.


Wolf Banitzki

 

 


Clavigo

von J.W. v. Goethe

Julian Manuel, Anja Klawun, Heike Ternes, Hubert Bail, Ulrich Zentner

Regie: Thomas Luft

Teamheater Tankstelle Spieltrieb nach Juli Zeh




Die Kopfgeburten der Juli Zeh

Wieder eine apokalyptische Vision und keine Entrinnen daraus. Gemäß T.S. Eliots Aussage, dass die Welt nicht mit einem Krachen enden wird, sondern mit einem leisen Wimmern, wird der Zuschauer mit einer übermächtigen schleichenden Bedrohung konfrontiert.
Ratlos steht er einem Bild von der jungen Generation, "der Hoffnung der Gesellschaft", gegenüber. Was ist von einer Jugend noch zu erwarten, die den Untergang als Spiel betrachtet? Dabei ist dieser Untergang, der scheinbar totale Verlust von ethischen Werten in Mode gekommen. Verzeihung, aber selbst wenn die Realität so sein sollte, wie sie im Teamtheater vorgeführt wird, lässt die ästhetische und künstlerische Vermarktung keinen anderen Schluss zu. Juli Zehs "Bestseller" wurde von Bernhard Studlar für die Bühne des Teamtheaters adaptiert. Heraus kam eine Collage aus Beschreibungen und gelegentlichen Spielszenen.

Ada, ein gefühlskaltes und intelligentes junges Mädchen kommt an eine neue Schule. Sie integriert sich nicht, sucht die Flucht in den einsamen Laufsport. Olaf, ein gleichaltriger Mitschüler, der sich auf seiner Heavy Metal Insel verkrochen hat, wird von Ada zum 16. Geburtstag mit dem ersten Oralakt beschenkt. Angesichts der Fühllosigkeit Adas, stößt er die zuvor Angebetete zurück und in die Arme Alevs. Der ist zwei Jahre älter und von geradezu mephistophelischer Natur. Er ist impotent, liebesunfähig (die ganze Freudsche Klaviatur wird bemüht) und verführt Ada zum Spiel. Opfer, und ein gutes Spiel muss Opfer fordern, ist Deutschlehrer Smutek. Er ist ein Pole, der sich vor Geheimdienst und "Kommunismus" in die freie Welt geflüchtet hat. Im Schlepptau hat Smutek eine vom kommunistischen Ostblock bis zur Unkenntlichkeit seelisch verkrüppelte Ehefrau, Schneewittchen genannt. Ada verführt Smutek in der Turnhalle und wird dabei von Alev gefilmt. Die Bilder stehen am nächsten Tag passwortgeschützt im Internet. Das Damoklesschwert pendelt über Smutek und macht ihn gefügig. Er zahlt und er tritt einmal die Woche zum leidenschaftslosen Akt mit Ada an. Der impotente Alev erneuert das Bildmaterial ständig. Eigentlich ist es ein recht tristes Spiel ohne Ziel.
Nebenher nimmt sich ein anderer Lehrer das Leben, weil seine kranke Frau gestorben ist, und Schneewittchen versucht selbiges auf einer Klassenfahrt in einem Weiher. Als Alev das Spiel für beendet erklärt, wohin sollte es auch führen?, hat er die emotionale Befindlichkeit Smuteks nicht einkalkuliert, der in Ada verliebt ist. Gewalt bricht aus und Smutek landet hinter Gittern.

 


Katharina Friedl, Heiko Dietz


Starker Tobak, dieses Gesellschaftsbild, das keine Hoffnung mehr zulässt und mit Sicherheit nicht die Realität, auch nicht überhöht, widerspiegelt. Es sind vielmehr die Kopfgeburten der Juli Zeh, angefüllt mit billigen Reizen, psychologischen Plattitüden und intellektuellen Eitelkeiten einer Autorin, die momentan auf dem Kamm der kommerziellen Welle reitet. Die Werbung des Teamtheater nennt das Ganze schließlich auch noch eine "subtile Studie über die Versuchungen und Gefahren eines postmodernen Nihilismus". Hört! Hört! Es ist aber nicht mehr als eine selbstgefällige nekrophile (Bitte philosophisch und nicht umgangssprachlich verstehen!) Weltsicht und mit Sicherheit nicht analytisch. Analysen fördern nämlich Einsichten zutage.

Michele Lorenzini gestaltete für "die atemberaubende Geschichte der ebenso obsessiven wie leidenschaftslosen Beziehung von Ada und Alev" ein denkbar gutes Bühnenbild. Die Spielfläche war nicht mehr als der Ausschnitt einer Tartanbahn. Hier konnte der Spieltrieb ausgelebt werden. Katharina Friedl überzeugte weitestgehend in der Gestaltung einer unberührbaren jungen Frau, blieb aber in dieser Unberührbarkeit sehr einseitig. Andreas Huhn machte seinen Alev zu einem gespreizten Wesen, das sich in seiner mephistophelischen, oder besser psychopathologischen Anlage sehr gefiel. Am überzeugendsten agierten die Darsteller der Lehrergeneration. Hubert Beil (Höfi) und Heiko Dietz (Smutek) brachten Facetten auf die Bühne, die den Zuschauer daran erinnerten, dass sie es bei den gestalteten Figuren mit menschlichen Wesen zu tun hatten. Diese wenigen Momente wurden allerdings auch in nicht sonderlich geglückten Szenen deutlich. Wenn Katharina Friedl und Heiko Dietz den Bühnenkoitus vollziehen mussten, konnte der Zuschauer Schamhaftigkeit und Unbeholfenheit entdecken. Diese Szenen hatten echte Authentizität, wenngleich das vom Regisseur Oliver Zimmer so ganz gewiss nicht gemeint war. Dem Stück und seiner Umsetzung mangelte es schlicht an wirklichem Leben.

Der Regisseur hatte aber augenscheinlichen Gefallen an der Geschichte. Er kitzelte durchaus sehenswerte Momente aus den Situationen und auch aus den Darstellern heraus. Handwerklich ist weder den Darstellern noch dem Regisseur ein Vorwurf zu machen. Dennoch sollten alle Beteiligten einmal darüber nachdenken, welche Botschaft sie in die Welt brachten. Unterm Strich sah der Zuschauer desorientierte und desillusionierte Eltern/Lehrer, eine Jugend ohne Ziel und Hoffnung, außer der, "zu überleben", und keinen gesellschaftskritischen Ansatz. Nihilismus auf ganzer Breite!

Frage: Lässt sich der Geschäftsklimaindex der Kunst tatsächlich nur noch mit Hoffnungslosigkeit beleben?


Wolf Banitzki



Spieltrieb

nach Juli Zeh

Für die Bühne adaptiert von Bernhard Studlar

Katharina Friedl, Andreas Haun, Rena Dumont, Heiko Dietz, Hubert Bail, Beate Kellmann, Pilipp Grimm

Regie: Oliver Zimmer

Teamtheater Tankstelle Ein Mittsommernachtstraum nach W. Shakespeare




Auf der Bühne nichts Neues?

Die Gruppe THEATER ImPuls hat den Mittsommernachtstraum, eines der meistgespielten Stücke von Shakespeare, geträumt. Sie taten dies auf erfrischende Weise und haben, ganz nach shakespeare'scher Manier dabei auch viel Zeitgeistiges vor das Publikum gebracht. "Thou shall be thrilled" - so lautete ihr Ansatz dabei.

A T H E N - große Stahlbuchstaben standen auf der Bühne verteilt. Zwischen ihnen tummelten sich weißgekleidet, als wären sie tanzende Schlafwandler, die glücklich und unglücklich Verliebten. Theseus mimte die herrschende Ordnung, die dem Glück entgegensteht. Die Musiker an der Rampe eröffneten den Raum, in dem Klang und Gefühl zur Wirklichkeit wurden. Grüne Neonlampen an den Buchstaben erleuchteten die Stahlfestung Athen zum Wald der Illusionen, dem Schauplatz des Verwirrspiels der Liebe. Hierher flohen Hermia und Lysander, folgten Helena und Demetrius. Hier probten die Handwerker das Theaterstück Pyramus und Thisbe. Hier, Jenseits der Ordnung, verteilte der Elf Puck, die Zaubermacht, im Auftrag von Oberon den Nektar der von Cupidos Pfeil erwählten Blume.

Regisseur Andreas Wiedermann inszenierte ein musikalisches Kammerspiel, das mit den Worten "Schlafen wir noch oder träumen wir schon?", frei nach dem Werbemotto "Wohnen sie noch oder leben sie schon." angekündigt wird. Das Stück wurde auf diesen Schwerpunkt Traum hin bearbeitet, gekürzt, der Text zu Beginn kurzweilig aufgepeppt und dann gegen Ende leider gnadenlos verreimt. Das unterstützte das heiter lockere Spiel des Ensembles und entführte auch in moderne Innenleben die von "Atompilzen über München und Männern in Lederhosen mit Steinäxten und Bier" fantasierten. Das Rollenstudium der Handwerker, eine Reflexion über das Spielen, geriet zu einer Persiflage auf das verbreitete Seelenheil-Seminarunwesen und war als solche für Schmunzeln und Lacher gut. Urs Klebe als Squenz verstand es geschickt, dies mit dem nötigen Ernst, der das Zwerchfell herausforderte, auf die Bühne zu bringen. Matthias Wagners Mimik und Körpersprache gaben dem eselsköpfigen Zettel glaubhaft Gestalt, der von Titania (Eva Bräu) verführerisch schlangenhaft tanzend umgarnt wurde. Als Thisbe überzeugte Matthias Lettner. Mit einem Wort, für Unterhaltung war hinlänglich gesorgt.


Matthias Lettner, Eva Bräu, Matthias Wagner


Besonders zu erwähnen sind die musikalische Komposition von Bernhard Zink und der Gesang. Countertenor Valerius Barna-Sabadus trug völlig unprätentiös Lieder des Renaissancekomponisten John Dowland vor - ein Klangerlebnis, das in Erinnerung bleibt. Die klassischen Lieder verbunden mit modernem Sound und geschickter Instrumentenwahl bildeten gleichzeitig Untermalung und tragendes Element. Was wäre die Liebe ohne Musik?

Pyramus und Thisbe sterben wie Romeo und Julia an unerfüllter Liebe, während den Paaren Theseus und Hippolyta, Hermia und Lysander, sowie Helena und Demetrius das Komödienglück hold ist - Dank Puck. Mit ein bisschen Zauberei und Wohlkräutern hätten demnach auch die unglücklich Liebenden in den irdischen siebenten Himmel gelangen können. Ist man doch heute mehr noch als zu Shakespeares Zeit der Ansicht, dass für alles ein Kraut gewachsen ist und dieses "dem Glück auf die Sprünge helfen" ist längst ein gewinnbringendes Marktsegment. So schüttete sich schließlich am Ende auch der schwarzgekleidete Puck rote Herzen über Hut und Haupt. Auch für ihn gab es, wie für alle, Liebe aus der kleinen Flasche.

"Modernes Theater muss enttäuschen.", meinte Squenz zu Ende der Proben. "Thou shall be thrilled" - erschaudern machte die Inszenierung nicht, dazu war sie zu leicht und offensichtlich angelegt, amüsiert hat sie allerdings sehr wohl und wirklich hörenswert sind Gesang und Musik.


C.M.Meier

 

 


Ein Mittsommernachtstraum

nach W. Shakespeare

Eva Bräu, Franz Brandhuber, Lisa Erdmann, Maria Hafner, Urs Klebe, Sönke Küper, Matthias Lettner, Christina Matschoss, Matthias Wagner

Musik: Valerius Barna-Sabadus (Countertenor), Philipp Grüll (Gitarre), Lucia Wagner (Percussion, Synthesizer), Andreas Hirth (Violine, singende Säge)

Regie: Andreas Wiedermann