Teamtheater Tankstelle Die Nashörner von Eugène Ionesco




Die Savanne ist überall

Behringer und Freund Hans treffen sich am Sonntagvormittag im Cafe am Kirchplatz. Die Kleinstadt dämmert vor sich hin und Hans kritisiert Behringer wegen dessen von Verwahrlosung gezeichneten Erscheinung. Behringers Einstellung ist fatalistisch, erscheint ihm doch seine Existenz als absurd. Einzig Daisy, die Chefsekretärin im Verlag, in dem auch Behringer arbeitet, vermag seine Lebensgeister zu erregen. Noch hat er ihr seine Liebe allerdings nicht gestanden. Am Nebentisch parlieren der Logiker und ein anderer Herr auf absurdeste Weise über unterschiedliche Gegenstände des Daseins. Da findet man schon einmal heraus, dass der Hund (Er hat vier Beine.) eigentlich ein Katze ist (Auch sie hat vier Beine.) und umgehrt. Ausgehend vom klassische Syllogismus von Sokrates: “Alle Menschen sind sterblich, ich bin ein Mensch, also bin ich sterblich”, erscheint das logisch, wenngleich schwachsinnig. Plötzlich und für alle Beteiligten schockierend, überquert ein Nashorn den Kirchplatz. Auf der Strecke bleibt die Katze der Frau des Hauses. In der allgemeinen Betroffenheit streiten sich Hans und Behringer darüber, ob es ein afrikanisches oder ein asiatisches Nashorn war. Beide zerstreiten sich und Hans verlässt wutschnaubend das Restaurant.

Am nächsten Tag wird im Verlag engagiert darüber diskutiert, ob das Ereignis tatsächlich stattgefunden hat. Während Stech den Vorgang leugnet, und ihn mit einer fatalen Ungenauigkeit der Journaille begründet, vertreten Daisy und Wisser die gegenteilige Ansicht. Auch der zu spät kommende Behringer vermag als Augenzeuge keine Aufklärung zu leisten. Es geht hoch her, bis Herr Schmetterling, der Abteilungsleiter, entschlossen zur Arbeit mahnt. Dann erscheint Frau Ochs, um ihren Mann wegen Krankheit zu entschuldigen. Im selben Augenblick taucht das Nashorn wieder auf und an seinem Augenrollen muss Frau Ochs erkennen, dass es sich um ihren Mann handelt, der eine perfekte Metamorphose vollzogen hat. Von nun an wird die Sache virulent und eine Person nach der anderen verwandelt sich in eine Nashorn. Freund Hans folgt Herrn Ochs als erster nach. Daisy ist die letzte, die sich, beeindruckt von der Kraft der Nashörner (und ihrer erotischen Ausstrahlung), in ein solches verwandelt. Immerhin haben beide in den wenigen Stunden davor gefühlte fünfundzwanzig Jahre Ehe hinter sich gebracht. Schließlich bleibt nur noch Behringer zurück, der sich der Verwandlung standhaft widersetzt.

nashorn
Eugène Ionescos Theaterstück von 1957, das inzwischen zu einem Klassiker des Theaters des Absurden avancierte, ist eine grandiose Parabel auf die Wandlung des Individualmenschen hin zum ideologisch verführten Herdentier. Nicht von ungefähr erscheint die Geschichte als eine absurde, sind doch die gesellschaftlichen Vorgänge häufig nicht minder absurd. Gemeiner Volkssinn ist selten logisch, sondern folgt verquasten Instinkten und einer fatalen Ansteckung vermittels dümmster und kaum nachvollziehbarer, zur Absurdität neigender totalitärer Ideologien. Der Wohlfühlfaktor in der Herde ist bekanntlich ein besserer. Das Stück ist brandaktuell, denn der heutige bürgerliche Mensch in seiner Vereinsamung ist allzu schnell bereit, seine Individualität aufzugeben, um in der Gemeinschaft der Herde aufzugehen. Eine spontan auftretende Befindlichkeit reicht aus, um den eigenen Verstand zu leugnen.

Regisseur Andreas Wiedermann hatte den Text tagespolitisch aufgepeppt und setzte auf furioses komödiantisches Spiel. Im Bühnenbild von Udo Ebenbeck, bestehend aus fünf tischartigen Bühnenelementen, die durch die Darsteller zu unterschiedlichsten Raumsituationen umgestellt wurden, agierten die jungen und spielwütigen Darsteller des Theaters ImPuls mit sichtlicher Leidenschaft. Das Engagement jedes einzelnen war unübersehbar, allerdings auch die Gefahren und die daraus resultierenden Schwächen, die einem solchen Spielansatz naturgemäß innewohnen. Wiedermann hätte besser darauf gesetzt, die Rollen detaillierter auszuarbeiten und die Schauspieler zu darstellerischer Präzision zu führen, als durch Tempo und Aktion Effekt erzeugen zu wollen.

Die teilweise Überzeichnung der Figuren sollte ihre Absurdität, die eigentlich in den Inhalten und nicht in der Form steckte, unterstreichen. Schließlich ist die Savanne überall und selten kündigen sich Deformationen an. Der Mutierte ist ein Mensch wie du und ich. Tatsächlich wirkte das Spiel anfangs befremdlich. So brauchte es eine Weile, ehe der Zuschauer den Zugang fand. Die Darsteller wirkten z.T. gehetzt, schrill, gelegentlich linkisch, und nicht selten unpräzise. Das hohe Tempo, Texte wurden überlagert gesprochen, raubte der Inszenierung manchen Wortwitz. Es dauerte geraume Zeit, bis der Rhythmus spürbar wurde und griff. Und das, obgleich ein Percussionsduo eigens für eine rhythmische Struktur sorgte.

Dass die Inszenierung schließlich doch noch Eindruck machte, verdankte sie vornehmlich der Geschichte, die unbedingt eine spannende ist. Dabei mangelte es nicht an guten szenischen Lösungen. So verabschiedete sich jede Figur aus ihrem menschlichen Dasein mit einem populären Hit und wurde dafür von einem imaginären (und auch vom tatsächlichen) Publikum frenetisch gefeiert und von der Herde freudig aufgenommen. Die beeindruckendste Lösung setzte Regisseur Wiedermann an den Schluss, als Behringer, gehüllt in ein Betttuch und mit einer Waffe im Anschlag, das menschliche Dasein verteidigte. Der Darsteller des Behringer ließ ungerührt den Applaus über sich ergehen, ganz in seiner Mission, die Menschlichkeit zu verteidigen, gefangen. Er saß noch immer da, als das Publikum das Theater bereits verließ. Es gab keine Verbeugung der Darsteller, mit der das Publikum normalerweise aus der Geschichte und dem Theater entlassen wird. Der Zuschauer entkam der Situation nicht und musste seine Zwiespälte, die das Stück aufgebaut hatte, mit auf seinen Heimweg nehmen. Die Geschichte, so absurd sie auch erscheinen mag, vermittelt einige beklemmende Wahrheiten und sollte schon darum angeschaut werden.


Wolf Banitzki

 

 


Die Nashörner

von Eugène Ionesco

Eine Produktion von Theater ImPuls
Franz Brandhuber, Lisa Erdmann, Urs Klebe, Matthias Lettner, Christina Matschoss, Martina Mühlpointner, Clemens Nicol, Josef Pfitzer, David Thun

Spielleitung: Andreas Wiedermann

Teamtheater Tankstelle Morgen ist auch noch ein Tag von Philipp Löhle





Achtung, die Rentner kommen!

Kunst entsteht auch durch Perspektivwechsel. Philipp Löhle praktiziert diesen Perspektivwechsel auf recht radikale Weise. In „Morgen ist auch noch ein Tag“ lenkt er den Fokus auf die „Alten“, von denen es immer mehr gibt und die in absehbarer Zeit die „Mehrheiten“ stellen werden. Diese „Alten“, die sich bekanntermaßen durch Nichtstun und als gesellschaftliche Last definieren, bekommen bei Löhle ein völlig neues Antlitz. Lustvoll schmieden sie Pläne, wie sie das Leben der „Jungen“ boykottieren können. Ein probates Mittel, um auf sich aufmerksam zu machen und Schuldbewusstsein zu erzeugen, ist, sich an Zebrastreifen unvermittelt vor die Autos der „Jungen“ zu werfen. Das schafft Verwirrung und beweist, dass sie aus der Gesellschaft ausgestoßen sind. Das schlechte Gewissen nutzend, wird das geklagt. Es liegt längst auf der Hand, dass die „Jungen“ die „Alten“ um ihr Erspartes bringen, sie mit niederen Arbeiten ausbeuten und schließlich in Altenheime abschieben und unter Drogen setzen wollen, damit sie mit Ihresgleichen bis zum Finale dahinkümmern. Also heißt die Parole: Widerstand!

Karl Auer gehört zu den Jüngeren unter den „Alten“. Er tritt gerade seinen Ruhestand an, nachdem er 20; 40; 80 Jahre ein Leben vorgesetzt bekam, welches geordnet und erfüllt war. Nun möchte er das Nichtstun in vollen Zügen genießen, was jedoch keinerlei Akzeptanz findet, und er möchte endlich mit seiner Ehefrau zusammenleben. Doch die ist entsetzt, denn auch sie hat 20; 40; 80 Jahre ihr eigenes Leben gehabt, in dem der Ehemann keine Rolle spielte und in das er folglich auch nicht passt. Bislang funktionierte es recht gut. Jetzt besteht die Gefahr, dass Karl das wohlgeordnete Dasein durcheinander bringt. Karl ist ein Ausgestoßener, allein und ohne wirkliche soziale Kontakte. Doch da sind die Alten, die vor seiner Wohnstatt herumlungern und nur darauf warten, ihn in ihrer Terrorzelle integrieren zu können. In seinen Söhnen Peter, Paul und Patrik findet er keine Partner, denn sie sind permanent damit beschäftigt, ihre 20; 40, 80 Jahre rumzubringen. Als der Druck auf die Söhne zu groß wird, denken sie darüber nach, ob er nicht einfache Gartenarbeit verrichten könnte, um ausgefüllt zu sein. Da dämmert es Karl, dass die „Alten“ Recht haben könnten…

Bühnenbildnerin Aylin Kaip schuf ein artifizielles Bühnenbild aus Laufstegen, die an Brücken auf einer Lagune erinnerten. Jeglicher Realismus zum Thema blieb außen vor und alles konzentrierte sich auf das Spiel, das Wort und die Beziehungen der Protagonisten zu- oder gegeneinander.
Regisseur Oliver Zimmer hielt die Handlung in der Schwebe, sprang von Szene zu Szene, von Argument zu Argument. Dem Text von Philipp Löhle tat es gut, denn er ist reich an Geschichten, an Wortwitz und erstaunlichen Plots. Die Überraschung des Abends waren jedoch die komödiantischen Leistungen der Darsteller, die die „Alten“ vorstellten. Mit großer Vitalität  argumentierten Sarah Camp (Lore/die Baba Jaga) und Wilhelm Beck (Fidelius/der unsterbliche Koschtschej) für einen gesunden, lustvollen und machtlüsternen Rentnerterrorismus. Kampfmotivationen wurden Märchenbüchern entnommen, die vor Brutalitäten nur so strotzen. Die Argumente dabei waren nicht nur aus der Luft gegriffen und schnell wurde dem Zuschauer klar, dass die übliche (wohlgemeinte) Betrachtungsweise zum Thema „Alte“ nicht sonderlich objektiv, sonder eher klischeehaft ist. Die Rentner und Pensionäre sind im öffentlichen Bewusstsein unserer Gesellschaft nicht selten nur Gegenstand der Betrachtung. Dieser Umgang mit dem Subjekt impliziert bis zu einem gewissen Grad schon ein Abrücken von ihnen, was fatal ist, denn irgendwann, wenn er oder sie nicht voreilig das Zeitliche segnet, gehört jeder zu den Alten. Davor feit auch Antiaging und Wellness nicht, wenngleich dadurch das trügerische Bewusstsein geschürt wird: Die „Alten“ sind die Anderen.

morgen-ist-auchnoch

Anke Siefken, Ralf Weikinger


Bei Anke Siefkens Katja Auer vermisst man das Altersbewusstsein völlig. Die agile Frau hat sich beizeiten einen Sinn für ihr Leben gesucht und dadurch stellt sich die Frage gar nicht. Immerhin reist sie nach Vanuatu, um die einzigartige Sandmalerei, eine vergängliche Kunst, zu schützen. Anke Siefkens darstellerische Haltung zeugt von Begeisterung für das Leben, das allerdings gestört wird, als ihr Mann Karl sich aufzudrängen sucht. Ralf Weikinger brachte einen Karl Auer auf die Bühne, dessen Vorfreude auf das Nichtstun anrührend wirkte. Schnell geriet die Figur in eine Krise, die hauptsächlich von außen geschürt wurde und schon bald geriet der Konflikt in existenzielle Bahnen. Als er sich vor das Auto seines Sohnes warf, gab es ein allgemeines Erwachen. Die Drift in Richtung Rentnerterrorismus fand ein jähes Ende und die Ehefrau öffnete ihm eine Tür in ihr Leben. Alle drei Söhne wurden von Daniel Pietzuch gegeben, wobei er lediglich den Tonfall änderte, um die Figuren sichtbar zu machen. Seine (notwendige) Rolle bestand jedoch nicht darin, die Welt der „Jungen“ zu reflektieren, sondern den „Alten“ Stichwörter zu liefern.

Philipp Löhle setzte dem ganzen Geschehen die Krone auf, als er das Ehepaar Auer die Geschichte eines pazifischen Initiationsritus erzählen ließ, der uns heute unter der Bezeichnung Bungeejumping bekannt ist. Interessant dabei war, dass, obwohl es um eine und dieselbe Handlung ging, der Zuschauer schnell erkennen konnte, wie die unterschiedliche männliche und weibliche Erzählweise zwei Geschichten daraus machte. Wie gesagt, der Perspektivwechsel lässt uns die Welt erkennen.

Die gelungene Inszenierung von Oliver Zimmer verspricht Unterhaltung und einige lohnenswerte Einsichten. Die Geschichte hilft überdies, tradierte Auffassungen zum Thema Überalterung der Gesellschaft auf heitere Weise zu überwinden. Last but not least bereitet es großes Vergnügen, dem komödiantischen Spiel der betagteren Darsteller zuzuschauen.

Wolf Banitzki

 

 

 


Morgen ist auch noch ein Tag

von Philipp Löhle

Sarah Camp, Anke Siefken, Wilhelm Beck, Daniel Pietzuch, Ralf Weikinger

Regie: Oliver Zimmer

Teamtheater Tankstelle LAPUTA NOVA Eine Performance von Alexia Hermann




Kunst wider den „kosmischen Bankrott“

„Laputa Nova“, eine Performance aus Wort, Klang, Tanz und Bildern ist eine überaus komplexe Arbeit, für deren Konzeption und Regie Alexia Hermann paraphiert. Gegenstand ihrer künstlerischen Erkundungen sind Utopien, menschliche Ideen von einer letzten Behausung, in der der Mensch vor allem Unglück, auch dem selbstgeschaffenen, geschützt ist. Dass dieses Unterfangen nur scheitern kann, steht außer Frage, doch auch im Scheitern kann Erkenntnis errungen werden.

Inspirieren ließ sich Alexia Hermann von Francis Bacons Romanfragment „The New Atlantis“, einer Utopie aus dem Jahr 1614, in der der Philosoph und Politiker die Gründung wissenschaftlicher Akademien nach völlig neuen Gesichtspunkten anregte. Es handelt sich dabei allerdings nicht, wie in der Werbung unterstellt, um die erste neuzeitliche Utopie. „Utopia“  von Thomas Morus erschien bereits 1516, und Tommaso Campanellas „La città del sole“ (Der Sonnenstaat) wurde 1602 verfasst. Diese Anmerkung soll nicht als Kritik aufgefasst werden, sondern als Hinweis darauf, wie utopienträchtig die europäische Renaissance war, insbesondere angesichts des Fehlens von Utopien in der heutigen Zeit. Um so wertvoller erscheint jedes Nachdenken darüber.

Einen weiteren Ansatz bot das Werk von Richard Buckminster Fuller (1895-1983). Fuller erlebte seinen eigenen sozialen Niedergang so schmerzhaft, dass er im Suizid den einzigen Ausweg sah. Schließlich entschied er sich, sein Leben einem Experiment zu weihen, dessen Inhalt die Frage war: In wie weit kann das menschliche Individuum zu Verbesserung der Lebenssituation der ganzen Menschheit beitragen? Er notierte seine Bemühungen peinlichst genau in Tagebuchform über ein halbes Jahrhundert hinweg. Als eine wichtige Strategie zur Vermeidung von Krisensituationen betrachtete er die „spontane Kooperation“ aller Menschen. Als Architekt entwickelte er „Minimalprinzipien“ die einen „kosmischen Bankrott“ verhindern und nachhaltige Entwicklungschancen für die menschlichen Spezies sichern sollten. Ausdruck dieses Strebens waren seine „Domes“ oder „geodätischen Kuppeln“, die Alexia Herrmann in ihrer Performance in zwei- und auch in dreidimensionaler Form einband.

Und last not least wurden Textpassagen aus der Komödie „Die Vögel“ des Athener Dichters Aristophanes (etwa 450 v. Chr.  bis 380 v. Chr.) verwendet. Darin wurde die Geschichte zweier Athener Exilanten, Peithetairos (übersetzt: Berater) und Euelpides (übersetzt: gute Hoffnung), erzählt, die Athen den Rücken kehrten, um über die Machtergreifung der Vögel eine Stadt zu erbauen, „in der Geld wie Dreck weggeworfen wird, um nicht daran zu ersticken“.

Ich bitte um Nachsicht für die ausschweifenden Erklärungen der Quellen, doch sie erschienen mir unumgänglich für ein besseres Verständnis dieser Performance, die sehr stark auf die emotionale Rezeption des Betrachters zielte.


laputanova

Shin Lee, Peter McCoy, Stefan Lehnen, Gabriele Graf

© Stephan Rumpf


Michele Lorenzinis  Bühne war vollständig in Weiß gehalten. Sie hatte die Form eines Amphitheaters, wobei rückseitig weiße, halbrunde Wände platziert waren, die einerseits Projektionsflächen für die atmosphärischen Videos von Simone Dobmeier, im Gegenlicht gleichsam Schirme für Schattenspiele waren. Zu Beginn der Vorstellung war eine „geodätische Kugel“ von Fuller, den man auf projizierten Bildern sitzend in seiner Werkstatt sehen konnte, an Gummibändern im Bühnenraum installiert. Dieser Kugel näherte sich archaisch-rhythmisch tanzend der beinahe nackte, den Anbeginn der menschlichen Zeit symbolisierende Peter McCoy. Er drang in diese Kugel, die Welt beschreibend, ein, verfing sich in ihr und trug sie dann wie ein Gefängnis davon. Der Mensch war jetzt in seiner Behausung materiell und psychisch gefangen.

Gabriele Graf, Shin Lee und Stefan Lehnen begannen nun, mit Auszügen aus oben genannten Utopien Auswege aufzuzeigen, wie der Mensch seinem selbstverursachten Gefängnis zu entfliehen versuchte. Die Unternehmungen scheiterten, endeten immer wieder in Leid und Elend. Der Mensch bleibt sich selbst der ärgste Feind. Dies körperlichen Ausdruck zu verleihen, näherten sich die Darsteller einander immer wieder tänzerisch. Die einfachen figürlichen Konstellationen waren leicht verständlich, in ihrer Ästhetik anmutig, sehnsuchtsvoll und auch leiderfüllt. Peter McCoy, der für die Choreografie verantwortlich zeichnete, schuf eindringliche Bilder ohne Exzentrik. Gabriele Graf, Shin Lee und Stefan Lehnen überzeugten nicht nur in ihrer Körperlichkeit, sondern sprachen ihre Texte mit großer Präzision, maßvoll engagiert und mit großer gestalterischer Kraft. Entscheidend für die Eindringlichkeit der Bilder und der gesprochenen Worte war der ausgeklügelte Klangteppich, der unterschwellig emotionale Vibration erzeugte. Die Performance war durchgängig spannungsgeladen, übervoll mit Assoziationsmöglichkeiten und auf hohem darstellerischen Niveau.

Als Gabriele Graf als letzten Akt, quasi als Abgesang auf alle menschlichen Bemühungen, die Bilder von Sabine Hoffmann an den Rückwänden platzierte, musste der Betrachter das Scheitern erkennen. Die Vögel waren auf die Erde gestürzt. Nicht unschuldig daran waren vorgeblich die Götter, Sinnbild für die Schicksalhaftigkeit der menschlichen Existenz.

Wenn diese wunderbare Inszenierung auch in angedeuteter Resignation endete, so reizte sie doch zum Widerspruch. Allein das Erkennen der Unvollkommenheit des Menschen, sich selbst in den Zustand dauerhaften Glücks zu versetzten, ist ein unmissverständlicher Ansatz für neuere Utopien, die es längst gibt. Spätestens seit Friedrich Nietzsche lautet der Auftrag, durch das „Überwinden des unzulänglichen Menschen“ den „Übermenschen“ zu schaffen. Dieser Übermensch ist, frei von allen letzten tierischen Eigenschaften, ein soziales Wesen, also frei von Egoismen und fähig zur „spontane Kooperation“, wie sie sich Fuller wünschte. Aufgemerkt: Der erste Schritt Nietzsches war die Abschaffung Gottes, ein Akt der Befreiung aus der Schicksalhaftigkeit. Dieser Schritt war gleichsam die Ouvertüre zur vollständigen Selbstbefreiung, zur Emanzipation hin zum selbstbestimmten Wesen. Diese Selbstbefreiung gilt es anzugehen, um einer Welt zu entfliehen, „in der Geld wie Dreck weggeworfen wird, um nicht daran zu ersticken“ (Aristophanes vor 2400 Jahren).

Die Performance von Alexia Hermann steht als ein hochkarätiges Diskussionsangebot im künstlerischen Raum, in dem die zur Zeit wichtigsten, weil letzten Fragen der menschlichen Entwicklung verhandelt werden: Die Verhinderung des „kosmischen Bankrotts“.


Wolf Banitzki

 

 


LAPUTA NOVA

Eine Performance von Alexia Hermann

Gabriele Graf, Shin Lee, Stefan Lehnen

Tanz & Choreographie: Peter McCoy
Regie und Konzeption: Alexia Hermann 

Teamtheater Tankstelle Eifersucht von Esther Vilar



 

Lieblicher Zorn

"Was immer die Männer anfangen, um den Frauen zu imponieren: In der Welt der Frauen zählen sie nicht. In der Welt der Frauen zählen nur die anderen Frauen." (Seite 27 - Der dressierte Mann) Die Autorin Esther Vilar sorgte Anfang der 70iger Jahre mit ihrem Buch für heftige Diskussionen und war Anfeindungen und Übergriffen von Feministinnen ausgesetzt. Wohlgemerkt, die Feministinnen, nicht die Männer zwangen sie, die Bundesrepublik zu verlassen. Dem Kapitel „Frauen unter sich“ widmete Esther Vilar das in sich geschlossene und präzise Stück „Eifersucht“, welches 1999 erschien. Dem scharfen Auge der ausgebildeten Psychologin und Soziologin entging keine Nuance im Gefühls- und Handlungsspektrum und keine noch so feine Durchtriebenheit.

Helen und Laslo, ein glücklich verheiratetes Paar, wohnen im 24. Stock eines Hochhauses. Beide sind erfolgreiche Anwälte und so geschieht es, dass die Architektin Yana, welche auf der 30. Etage ein Penthaus bewohnt, Helen im Fernsehen sieht. Über die Kanzlei erfährt sie ihre E-Mail-Adresse. Was mit höflich freundlichen Worten beginnt, enthält aber dennoch eine Menge Gift und eine grausame Tatsache. Sprachlich und intellektuell auf hohem Niveau beginnt nun ein Schlagabtausch zwischen den beiden Frauen. Die Ursache: Laslo teilt bereits seit drei Monaten das Bett mit Yana. Und es kommt, wie vorherzusehen … oder doch nicht ganz?

Die Bühne des Teamtheaters Tankstelle war in drei Ebenen gegliedert, sinnfällig gestaltet von Tinka Schmitt. Helen residierte in einem feudalen Stuhl auf der mittleren, Yana an einem Stehtisch auf der oberen und, last but not least Iris auf der unteren Ebene, im 19. Stockwerk. Drei moderne selbstbewusste Frauen, verbunden durch Laptops, das allgegenwärtige Internet und naturgemäß ihre Gefühle für den einen Mann, rangen um die Position, die eine Position an seiner Seite. Christina Loeb gab gewandt die erfolgverwöhnte Anwältin, die erst erhaben, dann doch in die Tiefe der Krankheit Eifersucht stürzte. „Wer nicht eifersüchtig ist, ist ein Idiot oder frigide.“ wusste die 40jährige Yana, selbstbewusst gegeben von Konnie Ziegler. Sie kostete ihren Triumph süffisant aus, verteilte gute Ratschläge, um diese kurze Zeit später postwendend entgegenzunehmen. Iris, bekennende Buddhistin und 25 Jahre jung, war Favoritin geworden. Britta Horn meditierte, yogisierte und wurde doch mit dem Bild von Helen im Fernseher konfrontiert. Friedvoll verzweifelte sie, ob des unermesslichen Leids.

 

eifersuch

Britta Horn, Konnie Ziegler, Christina Loeb



Der Geschlechterkampf ist so alt wie die Menschheit. Die Erscheinungsformen sind vielfältig, sorgten und sorgen stets für Spannung, im Alltag ebenso wie in Literatur und Theater. Sehenswert kurzweilig ist das Stück und selbst wer die Wahrheit gar nicht wissen wollte, dem wurde sie auf so ansprechende Weise präsentiert, dass es Lächeln auf die Gesichter der Zuschauer zauberte, welches die Realität und auch die Statistik überdeckte.

Abgesehen von einer überraschenden Wende am Ende, hielt die Inszenierung eine weitere wunderbare zusätzliche Pointe bereit: Die Damen sprachen von Laslo Staviski, dem Mann und Laslo Staviski führte Regie bei dieser Inszenierung. Ziehen die Männer also nach wie vor die Fäden?

C.M.Meier

 

 


Eifersucht

von Esther Vilar

Christina Loeb, Konnie Ziegler, Britta Horn

Regie: Laslo Staviski

Teamtheater Comedy Wetterleuchten von Daniel Call




Auferstehung der verbannten Geister

Die Schwestern Hanni und Kitty Lack führen einen Krieg in trauter Unentrinnbarkeit. Sie führen einen Gasthof, der so abgelegen und herunter gekommen ist, dass sich schon lange keine Gäste mehr einfinden. So haben sie alle Zeit der Welt, ihren Krieg zu führen. Dabei verfolgen beide die gegensätzlichsten Strategien. Kitty hält starrsinnig, eingangs könnte man meinen schwachsinnig, an der mit dem Vater untergegangenen Welt ohne die Segnungen der Moderne fest. Hanni, die schon ein Hochschulstudium ins Auge gefasst hatte, war zurückgekehrt, um die Schwester vor der Verwahrlosung zu retten, der diese unweigerlich anheim gefallen wäre. Bei der Rückkehr musste sie erleben, dass die
scheinbar verrückte Schwester sich weiterhin liebevoll um den Vater kümmerte, dessen Leichnam durch das Haus zerrte, um ihn ans Fenster zu setzen und nach Sonnenuntergang wieder zur Nachtruhe zu betten. Hanni begräbt den Vater unter einem Baum im Garten. Doch seither hockt dort eine Krähe und dringt bedrohlich mit Gekrächz in den häuslichen Unfrieden ein. Hanni, leidend unter dem Wunsch nach einem normalen Leben, brachte die Elektrizität und das Fernsehen in den muffigen und schmuddeligen Gasthof. Aber genau darin sieht Kitty ein Mordkomplott.

Die Taktik der beiden Schwestern ist ebenso gegensätzlich wie deren Ziele. Kittys Verweigerung manifestiert sich zuerst in der Sprache. Sie leugnet kategorisch die Metaphorik, die der modernen Technik innewohnt. Ein Auto kann nicht „anspringen“, weil es nicht springt, sondern fährt; ebenso wenig kann ein Auto nicht liegen bleiben. Fernsehen bedeutet, aus dem Fenster in die Ferne zu sehen. Der unheilvolle Strom aus der Steckdose ist ein böser Zauber, der nur darauf wartet, über sie herzufallen, usw.

Das Stück beginnt mit einem heraufziehenden Gewitter und einem Stromausfall. Es ist eine gute Zeit für den letzten Versuch, sich ins Einvernehmen zu setzen, Normalität herzustellen. Doch es bleibt ein untauglicher Versuch, wie sich angesichts der Verstocktheit Kittys schnell herausstellt. Hanni ist mit ihrem Latein des Normalen am Ende, als plötzlich Molly, eine Geschäftsfrau, deren Auto „liegen geblieben“ ist, wie ein Naturereignis auf dem emotionalen Schlachtfeld erscheint. Hanni erkennt sofort eine Seelenverwandtschaft zu der Frau aus der, wie sie meint, wirklichen Welt. Eine Verschwisterung bahnt sich an. Am Ende sind die beiden Frauen betrunken, Kitty und Molly haben die Identitäten getauscht und Kitty, inzwischen auf wundersame Weise zum Schwan mutiert, wird von einem Auto abgeholt. Wer saß am Steuer? Der tote Vater?

Autor Daniel Call ist ein Meister der großen Geschichten, wie sie in der kleinen Welt - oder in der Welt der „Kleinen Leute“ passieren. Wortgewaltig, witzig und intelligent entblättert er das Banale, auch das Böse bis auf das unweigerlich poetische Skelett und schafft geschlossene Geschichten, die sich mit den Sujets der dramatischen Standardliteratur durchaus messen können. Leider hat er noch immer zu selten seinen wohlverdienten Platz in den Spielplänen. Obgleich seine Dramaturgien vorzüglich funktionieren, die Figuren detailverliebt ausgearbeitet sind und die Geschichten geradezu nach Bühnen verlangen, ist eine theatralische Umsetzung, wie die Inszenierung am Teamtheater Comedy zeigte, keine sicher Bank.

Bühnenbildner Martin Kinzlmaier schuf einen naturalistischen Schankraum, der in seiner Schmuddeligkeit und in seiner 50er Jahre Spießigkeit mit Spitzendeckchen und ausgestopftem Auerhahn an der Wand Schaudern machte, bei dem einen oder anderen Zuschauer vielleicht sogar Ekel erregte.
Fabian Kametzs Inszenierung des bürgerlichen Damendramas entsprach konsequent eben diesem Gefühl, welches das Bühnenbild erzeugte. Zu konsequent, möchte man meinen, denn die hintersinnige Poesie, das vermeintlich Mystische, das sich im Subtext verbirgt, entfaltete sich nicht im Auge des Betrachters. Ein deutlicher Kontrast wäre hier vonnöten gewesen. Regisseur Kametz verführte seine Schauspielerinnen nicht zu der erforderlichen Doppelbödigkeit, durch die das Drama hätte abheben können.

Veronika Fabers Kitty blieb durchgängig lästig in ihrem wortkargen Trotz, der eben nur Trotz war und deren zauberhafte Auflösung sich zu keinem Zeitpunkt ankündigte. Gerade dieser Figur war enorm viel Komik eigen, die Balken hätte biegen können. Annabel Faber legte ihre Molly sehr ambitioniert an. Die Wortkaskaden über Liebe, Leben und dem Versagen daran ergossen sich sintflutartig über das Publikum. Das Potential dieser Schauspielerin wurde zwar sichtbar, erzeugt jedoch kaum Wirkung. Ihr „high speed“-Vortrag, der schon wegen ihrer Rubensschen Körperlichkeit vornehmlich auf das Wort beschränkt blieb, verhinderte beim Publikum einen tieferen Zugang in die vom Autor Call entwickelte Figur und deren geistiges Universum. Hier wurde vermutlich am meisten verschenkt. Annette Kreft agierte noch am maßvollsten und obgleich ihre Rolle als Hanni die am wenigsten exponierte war, blieb ihre Darstellung angenehm im Gedächtnis.

Fabian Kametz hatte sehr stark auf Figurenkomik gesetzt, die letztlich nicht überzeugen konnte, und hat dabei den Vater, der unsichtbar im Stück mitspielte, fast gänzlich außen vor gelassen. Dabei ging es doch gerade um dessen Geist, der stets nach Auferstehung verlangte. Calls komische Tragödie ist ein Geisterstück. Die Frauen werden zu Geistern, weil sie sich dem Geist des Übervaters – oder auch Übermannes – nicht entziehen konnten. Dieser Geist bildet ihre Kerkermauern, die Calls Witz, der in jedem Schicksal schlummert, durchlässig macht, damit das Publikum erkennt.


Wolf Banitzki

 

 


Wetterleuchten

Ein bürgerliches Damendrama von Daniel Call

Annabel Faber, Veronika Faber, Annette Kreft

Regie: Fabian Kametz