Teamtheater Tankstelle Morgen ist auch noch ein Tag von Philipp Löhle
Achtung, die Rentner kommen!
Kunst entsteht auch durch Perspektivwechsel. Philipp Löhle praktiziert diesen Perspektivwechsel auf recht radikale Weise. In „Morgen ist auch noch ein Tag“ lenkt er den Fokus auf die „Alten“, von denen es immer mehr gibt und die in absehbarer Zeit die „Mehrheiten“ stellen werden. Diese „Alten“, die sich bekanntermaßen durch Nichtstun und als gesellschaftliche Last definieren, bekommen bei Löhle ein völlig neues Antlitz. Lustvoll schmieden sie Pläne, wie sie das Leben der „Jungen“ boykottieren können. Ein probates Mittel, um auf sich aufmerksam zu machen und Schuldbewusstsein zu erzeugen, ist, sich an Zebrastreifen unvermittelt vor die Autos der „Jungen“ zu werfen. Das schafft Verwirrung und beweist, dass sie aus der Gesellschaft ausgestoßen sind. Das schlechte Gewissen nutzend, wird das geklagt. Es liegt längst auf der Hand, dass die „Jungen“ die „Alten“ um ihr Erspartes bringen, sie mit niederen Arbeiten ausbeuten und schließlich in Altenheime abschieben und unter Drogen setzen wollen, damit sie mit Ihresgleichen bis zum Finale dahinkümmern. Also heißt die Parole: Widerstand!
Karl Auer gehört zu den Jüngeren unter den „Alten“. Er tritt gerade seinen Ruhestand an, nachdem er 20; 40; 80 Jahre ein Leben vorgesetzt bekam, welches geordnet und erfüllt war. Nun möchte er das Nichtstun in vollen Zügen genießen, was jedoch keinerlei Akzeptanz findet, und er möchte endlich mit seiner Ehefrau zusammenleben. Doch die ist entsetzt, denn auch sie hat 20; 40; 80 Jahre ihr eigenes Leben gehabt, in dem der Ehemann keine Rolle spielte und in das er folglich auch nicht passt. Bislang funktionierte es recht gut. Jetzt besteht die Gefahr, dass Karl das wohlgeordnete Dasein durcheinander bringt. Karl ist ein Ausgestoßener, allein und ohne wirkliche soziale Kontakte. Doch da sind die Alten, die vor seiner Wohnstatt herumlungern und nur darauf warten, ihn in ihrer Terrorzelle integrieren zu können. In seinen Söhnen Peter, Paul und Patrik findet er keine Partner, denn sie sind permanent damit beschäftigt, ihre 20; 40, 80 Jahre rumzubringen. Als der Druck auf die Söhne zu groß wird, denken sie darüber nach, ob er nicht einfache Gartenarbeit verrichten könnte, um ausgefüllt zu sein. Da dämmert es Karl, dass die „Alten“ Recht haben könnten…
Bühnenbildnerin Aylin Kaip schuf ein artifizielles Bühnenbild aus Laufstegen, die an Brücken auf einer Lagune erinnerten. Jeglicher Realismus zum Thema blieb außen vor und alles konzentrierte sich auf das Spiel, das Wort und die Beziehungen der Protagonisten zu- oder gegeneinander.
Regisseur Oliver Zimmer hielt die Handlung in der Schwebe, sprang von Szene zu Szene, von Argument zu Argument. Dem Text von Philipp Löhle tat es gut, denn er ist reich an Geschichten, an Wortwitz und erstaunlichen Plots. Die Überraschung des Abends waren jedoch die komödiantischen Leistungen der Darsteller, die die „Alten“ vorstellten. Mit großer Vitalität argumentierten Sarah Camp (Lore/die Baba Jaga) und Wilhelm Beck (Fidelius/der unsterbliche Koschtschej) für einen gesunden, lustvollen und machtlüsternen Rentnerterrorismus. Kampfmotivationen wurden Märchenbüchern entnommen, die vor Brutalitäten nur so strotzen. Die Argumente dabei waren nicht nur aus der Luft gegriffen und schnell wurde dem Zuschauer klar, dass die übliche (wohlgemeinte) Betrachtungsweise zum Thema „Alte“ nicht sonderlich objektiv, sonder eher klischeehaft ist. Die Rentner und Pensionäre sind im öffentlichen Bewusstsein unserer Gesellschaft nicht selten nur Gegenstand der Betrachtung. Dieser Umgang mit dem Subjekt impliziert bis zu einem gewissen Grad schon ein Abrücken von ihnen, was fatal ist, denn irgendwann, wenn er oder sie nicht voreilig das Zeitliche segnet, gehört jeder zu den Alten. Davor feit auch Antiaging und Wellness nicht, wenngleich dadurch das trügerische Bewusstsein geschürt wird: Die „Alten“ sind die Anderen.
|
|
|
|
Anke Siefken, Ralf Weikinger
|
|
Bei Anke Siefkens Katja Auer vermisst man das Altersbewusstsein völlig. Die agile Frau hat sich beizeiten einen Sinn für ihr Leben gesucht und dadurch stellt sich die Frage gar nicht. Immerhin reist sie nach Vanuatu, um die einzigartige Sandmalerei, eine vergängliche Kunst, zu schützen. Anke Siefkens darstellerische Haltung zeugt von Begeisterung für das Leben, das allerdings gestört wird, als ihr Mann Karl sich aufzudrängen sucht. Ralf Weikinger brachte einen Karl Auer auf die Bühne, dessen Vorfreude auf das Nichtstun anrührend wirkte. Schnell geriet die Figur in eine Krise, die hauptsächlich von außen geschürt wurde und schon bald geriet der Konflikt in existenzielle Bahnen. Als er sich vor das Auto seines Sohnes warf, gab es ein allgemeines Erwachen. Die Drift in Richtung Rentnerterrorismus fand ein jähes Ende und die Ehefrau öffnete ihm eine Tür in ihr Leben. Alle drei Söhne wurden von Daniel Pietzuch gegeben, wobei er lediglich den Tonfall änderte, um die Figuren sichtbar zu machen. Seine (notwendige) Rolle bestand jedoch nicht darin, die Welt der „Jungen“ zu reflektieren, sondern den „Alten“ Stichwörter zu liefern.
Philipp Löhle setzte dem ganzen Geschehen die Krone auf, als er das Ehepaar Auer die Geschichte eines pazifischen Initiationsritus erzählen ließ, der uns heute unter der Bezeichnung Bungeejumping bekannt ist. Interessant dabei war, dass, obwohl es um eine und dieselbe Handlung ging, der Zuschauer schnell erkennen konnte, wie die unterschiedliche männliche und weibliche Erzählweise zwei Geschichten daraus machte. Wie gesagt, der Perspektivwechsel lässt uns die Welt erkennen.
Die gelungene Inszenierung von Oliver Zimmer verspricht Unterhaltung und einige lohnenswerte Einsichten. Die Geschichte hilft überdies, tradierte Auffassungen zum Thema Überalterung der Gesellschaft auf heitere Weise zu überwinden. Last but not least bereitet es großes Vergnügen, dem komödiantischen Spiel der betagteren Darsteller zuzuschauen.
Wolf Banitzki
Morgen ist auch noch ein Tag
von Philipp Löhle
Sarah Camp, Anke Siefken, Wilhelm Beck, Daniel Pietzuch, Ralf Weikinger
Regie: Oliver Zimmer
|
Teamtheater Tankstelle LAPUTA NOVA Eine Performance von Alexia Hermann
Kunst wider den „kosmischen Bankrott“
„Laputa Nova“, eine Performance aus Wort, Klang, Tanz und Bildern ist eine überaus komplexe Arbeit, für deren Konzeption und Regie Alexia Hermann paraphiert. Gegenstand ihrer künstlerischen Erkundungen sind Utopien, menschliche Ideen von einer letzten Behausung, in der der Mensch vor allem Unglück, auch dem selbstgeschaffenen, geschützt ist. Dass dieses Unterfangen nur scheitern kann, steht außer Frage, doch auch im Scheitern kann Erkenntnis errungen werden.
Inspirieren ließ sich Alexia Hermann von Francis Bacons Romanfragment „The New Atlantis“, einer Utopie aus dem Jahr 1614, in der der Philosoph und Politiker die Gründung wissenschaftlicher Akademien nach völlig neuen Gesichtspunkten anregte. Es handelt sich dabei allerdings nicht, wie in der Werbung unterstellt, um die erste neuzeitliche Utopie. „Utopia“ von Thomas Morus erschien bereits 1516, und Tommaso Campanellas „La città del sole“ (Der Sonnenstaat) wurde 1602 verfasst. Diese Anmerkung soll nicht als Kritik aufgefasst werden, sondern als Hinweis darauf, wie utopienträchtig die europäische Renaissance war, insbesondere angesichts des Fehlens von Utopien in der heutigen Zeit. Um so wertvoller erscheint jedes Nachdenken darüber.
Einen weiteren Ansatz bot das Werk von Richard Buckminster Fuller (1895-1983). Fuller erlebte seinen eigenen sozialen Niedergang so schmerzhaft, dass er im Suizid den einzigen Ausweg sah. Schließlich entschied er sich, sein Leben einem Experiment zu weihen, dessen Inhalt die Frage war: In wie weit kann das menschliche Individuum zu Verbesserung der Lebenssituation der ganzen Menschheit beitragen? Er notierte seine Bemühungen peinlichst genau in Tagebuchform über ein halbes Jahrhundert hinweg. Als eine wichtige Strategie zur Vermeidung von Krisensituationen betrachtete er die „spontane Kooperation“ aller Menschen. Als Architekt entwickelte er „Minimalprinzipien“ die einen „kosmischen Bankrott“ verhindern und nachhaltige Entwicklungschancen für die menschlichen Spezies sichern sollten. Ausdruck dieses Strebens waren seine „Domes“ oder „geodätischen Kuppeln“, die Alexia Herrmann in ihrer Performance in zwei- und auch in dreidimensionaler Form einband.
Und last not least wurden Textpassagen aus der Komödie „Die Vögel“ des Athener Dichters Aristophanes (etwa 450 v. Chr. bis 380 v. Chr.) verwendet. Darin wurde die Geschichte zweier Athener Exilanten, Peithetairos (übersetzt: Berater) und Euelpides (übersetzt: gute Hoffnung), erzählt, die Athen den Rücken kehrten, um über die Machtergreifung der Vögel eine Stadt zu erbauen, „in der Geld wie Dreck weggeworfen wird, um nicht daran zu ersticken“.
Ich bitte um Nachsicht für die ausschweifenden Erklärungen der Quellen, doch sie erschienen mir unumgänglich für ein besseres Verständnis dieser Performance, die sehr stark auf die emotionale Rezeption des Betrachters zielte.
|
|
|
|
Shin Lee, Peter McCoy, Stefan Lehnen, Gabriele Graf
© Stephan Rumpf
|
|
Michele Lorenzinis Bühne war vollständig in Weiß gehalten. Sie hatte die Form eines Amphitheaters, wobei rückseitig weiße, halbrunde Wände platziert waren, die einerseits Projektionsflächen für die atmosphärischen Videos von Simone Dobmeier, im Gegenlicht gleichsam Schirme für Schattenspiele waren. Zu Beginn der Vorstellung war eine „geodätische Kugel“ von Fuller, den man auf projizierten Bildern sitzend in seiner Werkstatt sehen konnte, an Gummibändern im Bühnenraum installiert. Dieser Kugel näherte sich archaisch-rhythmisch tanzend der beinahe nackte, den Anbeginn der menschlichen Zeit symbolisierende Peter McCoy. Er drang in diese Kugel, die Welt beschreibend, ein, verfing sich in ihr und trug sie dann wie ein Gefängnis davon. Der Mensch war jetzt in seiner Behausung materiell und psychisch gefangen.
Gabriele Graf, Shin Lee und Stefan Lehnen begannen nun, mit Auszügen aus oben genannten Utopien Auswege aufzuzeigen, wie der Mensch seinem selbstverursachten Gefängnis zu entfliehen versuchte. Die Unternehmungen scheiterten, endeten immer wieder in Leid und Elend. Der Mensch bleibt sich selbst der ärgste Feind. Dies körperlichen Ausdruck zu verleihen, näherten sich die Darsteller einander immer wieder tänzerisch. Die einfachen figürlichen Konstellationen waren leicht verständlich, in ihrer Ästhetik anmutig, sehnsuchtsvoll und auch leiderfüllt. Peter McCoy, der für die Choreografie verantwortlich zeichnete, schuf eindringliche Bilder ohne Exzentrik. Gabriele Graf, Shin Lee und Stefan Lehnen überzeugten nicht nur in ihrer Körperlichkeit, sondern sprachen ihre Texte mit großer Präzision, maßvoll engagiert und mit großer gestalterischer Kraft. Entscheidend für die Eindringlichkeit der Bilder und der gesprochenen Worte war der ausgeklügelte Klangteppich, der unterschwellig emotionale Vibration erzeugte. Die Performance war durchgängig spannungsgeladen, übervoll mit Assoziationsmöglichkeiten und auf hohem darstellerischen Niveau.
Als Gabriele Graf als letzten Akt, quasi als Abgesang auf alle menschlichen Bemühungen, die Bilder von Sabine Hoffmann an den Rückwänden platzierte, musste der Betrachter das Scheitern erkennen. Die Vögel waren auf die Erde gestürzt. Nicht unschuldig daran waren vorgeblich die Götter, Sinnbild für die Schicksalhaftigkeit der menschlichen Existenz.
Wenn diese wunderbare Inszenierung auch in angedeuteter Resignation endete, so reizte sie doch zum Widerspruch. Allein das Erkennen der Unvollkommenheit des Menschen, sich selbst in den Zustand dauerhaften Glücks zu versetzten, ist ein unmissverständlicher Ansatz für neuere Utopien, die es längst gibt. Spätestens seit Friedrich Nietzsche lautet der Auftrag, durch das „Überwinden des unzulänglichen Menschen“ den „Übermenschen“ zu schaffen. Dieser Übermensch ist, frei von allen letzten tierischen Eigenschaften, ein soziales Wesen, also frei von Egoismen und fähig zur „spontane Kooperation“, wie sie sich Fuller wünschte. Aufgemerkt: Der erste Schritt Nietzsches war die Abschaffung Gottes, ein Akt der Befreiung aus der Schicksalhaftigkeit. Dieser Schritt war gleichsam die Ouvertüre zur vollständigen Selbstbefreiung, zur Emanzipation hin zum selbstbestimmten Wesen. Diese Selbstbefreiung gilt es anzugehen, um einer Welt zu entfliehen, „in der Geld wie Dreck weggeworfen wird, um nicht daran zu ersticken“ (Aristophanes vor 2400 Jahren).
Die Performance von Alexia Hermann steht als ein hochkarätiges Diskussionsangebot im künstlerischen Raum, in dem die zur Zeit wichtigsten, weil letzten Fragen der menschlichen Entwicklung verhandelt werden: Die Verhinderung des „kosmischen Bankrotts“.
Wolf Banitzki
LAPUTA NOVA
Eine Performance von Alexia Hermann
Gabriele Graf, Shin Lee, Stefan Lehnen
Tanz & Choreographie: Peter McCoy Regie und Konzeption: Alexia Hermann
|