Theater Viel Lärm um Nichts Anatol von Arthur Schnitzler


 

 


Eine echte Perle

„Was wäre, wenn alle falsche Perlen gewesen sind und nur eine echte dabei war ... und ich habe sie nicht erkannt ...“, fügte man in Arthur Schnitzlers Text ein, der zu Ende des 19. Jahrhunderts entstanden war. Auf der Suche nach der Wahrheit und doch letztlich zu feige ihr, wie Anatol der hypnotisierten Cora in einem Augenblick, tatsächlich ins Auge zu sehen, trieb es ihn einfach weiter. Zwischen Agonie und Episoden, wie der junge Hugo v. Hoffmannsthal es beschrieb, verlief sein Leben im, dem schönen Schein verpflichteten Wien zu Ende der Donaumonarchie.

Anatol ist verliebt, immer wieder aufs Neue verliebt in eine andere Schöne, interessiert ihn doch das Spiel mit der Weiblichkeit. Und, er ist wohl auch in gleichem Maße jedesmal aufs Neue in sich selbst verliebt, sucht die Bestätigung und die Beständigkeit des Glücks im wechselnden Gegenüber. Max, der Freund hingegen dient ihm als Spiegel für die Leiden, als Spiegel für die eigene Männlichkeit. Die Leere der ihn umgebenden sterbenden Welt wirft ihn immer wieder auf sich selbst zurück. „Treu, was heißt das?“ Die Generierung und der Erhalt von Illusionen, und sei es für den Moment, steht vor allem.

Die Schatten von zwei Tauben auf einem Dach, turteln und ... Abflug, eine Videoprojektion stimmte auf die Inszenierung ein. Das in einzelne Episoden unterteilte Erstlingswerk von Arthur Schnitzler gestaltete Margit Carls dramaturgisch sinnfällig neu, indem sie die Szenen verflocht. Ein Kreis schloss sich, als zu Beginn und zu Ende des Stückes Anatol und Max als alte Männer auf ihr Leben und ihre Erfahrungen blickten. Das Bühnenbild (Stephan Joachim), die wenigen Requisiten in glänzende weiße Folie gehüllt, reflektierte die Leere, die Langweile welcher die Figuren zu entkommen suchen. Ein großer durchsichtiger Vorhang diente als Trennung des Raumes in bewussten und unbewussten Bereich, diente als Projektionsfläche für Bewegung zwischen beiden. Verbunden durch den Klangreichen – Ardhi Engl – füllte sich der gesamte Raum mit belebender Schwingung, mit Musik. Die überaus poetische Inszenierung, sowohl in Bild als auch in Sprache, Gestus und Musik ließ berührende ansprechende Ästhetik erstehen – dem Schönen verpflichtet – dem Schönen, das Inhalt des Lebens sein kann und dem ein ewiges Streben gilt.
Wenn das Streben nach dem Schönen zur puren Eitelkeit wird – eine der sieben Todsünden – dann entfaltet sich Dekadenz. Diese Entartung stellt den Schein in das Rampenlicht der Gesellschaft und das Schöne Sein, der wahre ideale Grundwert gerät darüber in Vergessenheit. Ein Blick in die Spiegel, ein Blick in die Schaufenster, ein Blick in die Medien, ein Blick auf die Menschen macht es allerorts sichtbar. Bisweilen stechen Einzelne hervor, deren Sein mit dem Schein übereinstimmt. Einzelne. Die Inszenierung von Anatol in der Regie von Andreas Seyferth bot dergestalte organische Bilder. Mit leichtem Charme, durchaus einer Seite des Wiener Lebensgefühls entsprechend, agierten die Schauspieler. Die Männer in leichtes weißes Leinen gekleidet, verkörperten Jugendlichkeit (Kostüm Johannes Schrödl). Deborah Müller stellte die Weibliche, die Frauen dar. Berta, Cora, Ilona waren ihre Namen. Voll weiser Erfahrung, voll sprühender Lebenslust, voll liebender Verzweiflung durchspielte sie feinfühlig die bewusste Palette des Rätsels Weib. Ihr Pendant Urte Gudian tanzte im roten Kleid die Bewegung des Unbewussten, die weibliche Triebkraft und spielte mit den Projektionen. Alexander Wagner gab einen vernünftigen ausgleichenden Max, der verlässlich, treu zur Seite stand, wenn Anatol, Hannes Berg, von einer in die nächste Beziehung glitt, von einer Stimmungslage in die entgegengesetzte schwankte. Euphorie und Schwermut, Lebenslust und Lebensfrust ließen sein Spiel taumelnd und zeitlos gültig werden. Anatol.

„Damals ... eine Geschichte von vor über hundert Jahren und noch dazu aus Wien. Mein Gott, die ...“, könnte der für das Heute Blinde sagen. „Schauen Sie sich um, schauen Sie die doch an, die schön herausgeputzten Menschen in ihren Episoden und ihrer Agonie. Wie sie scheintod in die Autos, die Flugzeuge steigen, ihre Laptops und Handys präsentieren und im Lichte an der Isar allzu wichtig erscheinen, ohne tatsächlich die aktuelle Wahrheit hören zu wollen, ihr ins Auge zu sehen. Anders als der junge Schnitzler wissen wir doch seit geraumer Zeit von den Möglichkeiten der Falsifikation.“, schrieb zur Aktualität der Inszenierung


 
C.M.Meier
 

 

 

 


Anatol

von Arthur Schnitzler

Hannes Berg, Alexander Wagner, Deborah Müller, Urte Gudian, Ardhi Engl

Regie: Andreas Seyferth

Theater Viel Lärm um Nichts Orlando Eine Biografie von Virginia Woolf


 

 


„Die Poesie ist unsterblich“

In bildreicher ausschmückend farbiger Sprache hielt Virgina Woolf die Biografie von Orlando fest. Es ist eine „humorvolle und leicht zu lesende“ Geschichte, die tief in englischer Landschaft, Gesellschaft und Mentalität, aber auch im Wissen um Historie und die Beweggründe des Menschen wurzelt. Es ist die Geschichte, welche ihr zu Unsterblichkeit verhalf, Virginia Woolf den Platz im Literaturhimmel sicherte.

Orlando, ein junger Adeliger im 15. Jahrhundert, versucht sich bereits im Alter von elf Jahren in der Kunst des Schreibens und verfasst ein Drama. Mit sechzehn gelangt er an den Hof von Elisabeth I., die sich in den jungen Mann verliebt und ihn zum Schatz- und Haushofmeister ernennt. Nach ihrem Tod und einer unglücklichen Romanze mit einer russischen Prinzessin fällt Orlando das erste Mal in siebentägige Trance. Als er am achten Tage aufsteht, beschließt er sich in die Einsamkeit zurückzuziehen und wiederum dem Schreiben zu widmen. „... als dieses bloße vor sich hin Grübeln, dieses Denken, dieses auf einem Stuhl Sitzen, tagein, tagaus mit einer Zigarette und einem Blatt Papier und einer Feder und einem Tintenfaß. ...“

Mit dem Griff nach dem Tagebuch und damit dem Schreiben begann auch die Theaterfassung des Romans von Jana Jeworreck. Katrin Wunderlich, die Orlando ebenso wie den Biografen spielte, saß hinter einer Wand aus Büchern. Sie hob den Stift um das aktuelle Datum einzutragen, doch dann besann sie sich, erblickte die Schreibfeder und vermerkte mit dieser das Jahr 1529. Mit leichter Hand trug sie die Umstände und den Beginn der Handlung ein, war zwischendurch interessierter Biograf, um dann wiederum in die Rolle des Protagonisten zu wechseln. Katrin Wunderlich gab einen ruhigen, besonnenen Mann Orlando, der auf fantasievolle Weise eine Wodkaflasche mit Pelzkragen, die russische Prinzessin, umwarb, oder, die Zeit war vorangeschritten und es herrschte James II, am Hofe verkehrte und mit den Stapeln von Büchern das Geschehen veranschaulichte. Es waren einfallsreiche Bilder, welche auf der Bühne entstanden und mit ausdrucksvoller Lebendigkeit erzählte Katrin Wunderlich von den wechselnden Stationen im Leben des Orlando. Das Zitieren ganzer Romanabsätze brachte die wundervolle Sprache und Weisheit nahe. Fast nahtlos fügten sich die, die Handlung auf der Bühne vorantreibenden gerafften Passagen, in den Originaltext ein. Vor den Augen der Zuschauer erstand die Figur ebenso wie der Text des Romans – eine gespielte Lesung mit plastischen einprägsamen Bildern. Fraglos kamen auch die dem Leben innewohnenden heiteren Momente keineswegs zu kurz. Als Frau kokett und abenteuerlustig, erreichte Orlando endlich auch literarischen Lorbeer. „ ... Und wenn wir die Lebensgeschichte einer Frau schreiben, dürfen wir, darüber herrscht Einigkeit, auf unsere Forderung nach Taten verzichten und sie durch die Liebe ersetzen. Die Liebe, hat der Dichter gesagt, ist das, woraus eine Frau einzig lebt. Und wenn wir Orlando, die an ihrem Tisch schreibt, einen Augenblick lang ansehen, müssen wir zugeben, daß es niemals eine Frau gegeben hat, die für diese Berufung besser geeignet gewesen wäre. Gewiß wird sie, da sie eine Frau ist, und eine schöne Frau, und eine Frau in der Blüte der Jahre, diesen Anspruch des Schreibens und Denkens bald aufgeben und wenigstens an einen Wildhüter zu denken beginnen (und solange eine Frau an einen Mann denkt, hat keiner etwas dagegen, daß sie denkt). ...“
 
orlando

Katrin Wunderlich

© Hilda Lobinger

 

Es ist eine Erinnerung daran, was Frau- oder Männlichsein bedeuten kann, auch wenn die durch Virginia Woolf beschriebenen Schwerpunkte bei Orlando eher die Gegenseite der herrschenden Konventionen vorstellt. Der Streifzug durch Jahrhunderte zeigte, wie äußere Lebensumstände sich änderten, menschliche und gesellschaftliche Haltung jedoch kaum. Nun, bis zum 20, Jahrhundert, zu dessen Beginn der Roman entstand, erschien es jedenfalls so. Im 21. Jahrhundert sucht man durch vorsätzliche Vermischung von geschlechtsspezifischen Ausdrucksweisen zu Gleichheit zu kommen. Doch Gleichmacherei unterscheidet sich deutlich von Gleichwertigkeit und so verlaufen die Geschlechterrollen mitunter lediglich ins Diffuse. Das Wesen als treibende Kraft ist universell, erst der Körper gibt Form und führt zu Erfahrungs- und Ausdrucksmöglichkeit. Mensch zieht sich durch alles Geschehen, in ihm ist alles zeitlos angelegt, doch kann er sich nur im Nacheinander äußern und so erfand er die Poesie und die Zeit. Es sind die Begegnungen, welche die Facetten, die verschiedensten Möglichkeiten in ein und der selben Person zum Klingen, zum Leuchten bringen und damit in die Welt. „... der Wechsel der Kleidung hatte, so werden manche Philosophen sagen, viel damit zu tun. Eitle Nebensächlichkeiten, die sie zu sein scheinen, haben Kleider, so sagen sie, wichtigere Aufgaben als nur die, uns warmzuhalten. Sie verändern unser Bild der Welt und das Bild der Welt von uns. ...“

Katrin Wunderlich lag als Mann unter der Eiche, lag als Frau unter der Eiche. Die Schauspielerin verkörperte die unterschiedlichen Haltungen auf empfindsam lebendig ansprechende Weise und war doch, was sie ist, sprach dadurch die natürlichen Berührungspunkte in den Zuschauern an. Ein höchst anregender Dialog entstand, der in begeisterten Applaus mündete.



C.M.Meier

 

 


Orlando

Eine Biografie von Virginia Woolf

Katrin Wunderlich

Textbearbeitung und Regie: Jana Jeworreck

Theater Viel Lärm um Nichts Was ihr wollt von William Shakespeare


 

 


Wenn Musik Nahrung für Liebe ist: mehr!

Es ist Winter in Illyrien, auch im Theater Viel Lärm um Nichts, denn es ist der 6. Januar, oder die „Zwölfte Nacht“ (nach Weihnachten). Die weihnachtlichen Lustbarkeiten neigen sich dem Ende zu. Zu diesem Zweck war das Stück geschrieben und 2. Februar 1602 aufgeführt worden, ein dramatischer Kehraus. Darin: Eine junge Frau mit Namen Viola ist an den Strand gespült worden und sucht nun ihren Platz im „fabelhaften“ Land. Ein Narr gibt ihr Auskunft über Personen und Zustände, zuallererst über Orsino, „ein Nobler von Gemüt wie von Geblüt“. Als Mann und als Kastrat getarnt, begibt sich Viola in den Dienst des Grafen und verliebt sich augenblicklich in ihn. Er jedoch glüht vor Liebe zu Olivia, die sich wegen des Todes des Bruders eine siebenjährige Trauer auferlegt hat und die den Offerten Orsinos gegenüber beinhart bleibt. Orsino ernennt Viola zur Liebesbotin, befielt ihr, äußerst penetrant zu sein und nicht eher nachzulassen, bis Oivia bereit ist, ihn zu erhören. Olivia ist willens zu erhören, doch nicht den Grafen, sondern dessen jugendlichen Boten. Nun wäre das Chaos perfekt, wenn da nicht die üblichen Verdächtigen wären, die bei Shakespeare die Verwirrung ins Absonderliche treiben. Es ist kaum zu glauben, doch auch in dieser Komödie findet zusammen, was zusammen gehört. Hier durch das Auftauchen des Zwillingsbruders Sebastian, von dem Viola glaubt, er sei ertrunken.

Es ist Shakespeares letzte Komödie und gerade diese erweckt den Anschein, als hätte sich der Dichter in einem Anflug von Verdrossenheit vom komischen Genre abgewandt. Die nachfolgenden Komödien „Troilus und Cressida“ und „Maß für Maß“ sind so düster, dass sie schwerlich als Komödien angesehen werden dürften. Eine Schlüsselfigur im Stück ist der Narr, der hier einen ungewöhnlichen Typus repräsentiert. Seine Narreteien sind absurde Interpretationen und philosophische Bonmots mit traurig-realistischem Hintersinn. Margrit Carls, die die Übersetzung besorgte und die Spielfassung erarbeitete, bereitete sich mit der Rolle des Narren selbst ein Geschenk. Ihre Texte gehen weit über eine Vorlage zum Spiel hinaus. Ihr Spielhabitus war durchgängig leidmütig, jedoch ohne plakative weltliche Bitterkeit. Die ausgefeilten, auf höchstem intellektuellem Niveau gestalteten Texte erhoben diese Figur zu einem abgeklärten Weltweisen, den die Traurigkeit allerdings nie verließ.

Sie stand in krassem Gegensatz zu den anderen Rollen, vornehmlich denen, die den Lustbarkeiten nahe standen wie Sir Toby, komödiantisch und derb epikureisch gestaltet vom großzügig bebauchten, bramarbasierenden Andreas Seyferth. Der wiederum hatte seine Hände in den Taschen des trotteligen Sirs Andrew von Bleichenwang, „Dreihunderttausend schwer Per anno“, gleichsam ein Kandidat im Liebesspiel um Olivias Gunst. Hannes Berg gab einen herrlich gespreizten Laffen, dessen Realitätsbezug überwiegend seinen Wunschvorstellungen unterlag, und der die Grenze zur peinlichen Albernheit wohlweislich unverletzt ließ. Der letzte aufrechte Hüter von Moral und Anstand war Malvolio. Über diese Figur wird bei Shakespeare letztlich immer herzerfrischen gelacht. Hubert Bail blies sie denn auch soweit auf, dass Malvolio, als der Pfropfen gezogen wurde, zu aller Anwesenden Amüsement seine hysterischen Kreise zog wie ein entfesselter Luftballon. Und den Pfropfen zog Maria, die spaßverliebte Kammerzofe. Theresa Bendel gab ein sexy Mädchen, das sich die Freier vom Hals zu halten wusste, und die, wenn es darum ging, einen Schabernack auszuhecken, ein Herz und eine Seele mit Sir Toby wurde. Katrin Wunderlich spielte sowohl die angebetete Olivia, als auch den anbetenden Orsino. Olivia, das dekolletierte Weibsbild, verhalten lasziv, unterschied sich immerhin deutlich vom hochgeschlossen bemäntelten, dunkelstimmigen Landesgrafen. Das Problem hatte Deborah Müller erst gegen Ende des Stückes zu bewältigen, wo sie Viola und deren Zwillingsbruder Sebastian gestalten musste. Sie tat es redlich, aber leider ein wenig nüchtern, ohne deutlichen Anflug von Komik. Dabei war die Situation, in der sie sich befand, doch wahrhaft komisch.
 
wasihrwollt

Theresa Bendel , Andreas Seyferth , Hannes Berg

© Hilda Lobinger

 

Alles blieb übersichtlich und deutlich, wohl auch Dank der sowohl praktischen, als auch atmosphärischen Ausstattung von Stephan Joachim. Der Spielraum war an den zwei Hintergrundwänden mit großen Spiegeln ausgestattet. Damit folgte Stephan Joachim der metaphorischen Deutung des Stückes durch den Literaturwissenschaftler Harold Bloom, der dazu schrieb: „Man stelle sich einen Zerrspiegel in unruhig kreiselnder Bewegung vor, so hat man das Spielzeug, das Shakespeare mit ‚Was ihr wollt’ geschaffen hat.“ Die Bühne war schneebedeckt und auf den Spiegeln hatten Wind und Frost Reifkrusten hinterlassen. Ein Klavier neben der Gasse fungierte als Musikinstrument und als Rückzugsfeste, von der aus das Spiel von den gespannten Darstellern beobachtet wurde. Aus einem Berg übereinander geschichteter Stühle wurden peu à peu die Orte geschaffen, an denen die Handlungen stattfanden. Die Szenerie atmete die Poesie eines Wintermärchens.

 

Dass die ganze Geschichte nicht in die Bumsfidelität kippte, zu der Inszenierungen dieses Shakespeare-Juwels nicht selten neigen, lag in erster Linie am Text von Margit Carls, der Derbes ebenso wenig aussparte wie Frivoles, der zeitgenössischer Sprache und Denken viel Raum zugestand. Dieser Text atmet intellektuelle Kühle, was der Wortkomik keinen Abbruch tat, jedoch verhinderte, dass Kicherkomik aufkam. Es wäre leicht gewesen, dass Publikum zum hemmungslosen Schenkelklatschen zu verführen. Stattdessen erlebten die Zuschauer eine zauberhafte Geschichte, deren Komik mit dem Salz der Erkenntnis gewürzt war. Die Lieder und Musik- und Klangeinlagen (Komposition: Marcus Tronsberg) waren organisch ins Gesamtbild eingebettet und entsprachen den Harmonien der Inszenierung des wohl musikalischsten Stückes von Shakespeare. Es gab zudem etliche besinnliche Momente, insbesondere durch Margit Carls als Narr, was die besondere Qualität unterstrich.

 

Mit dem Premierenabend feierte das Theater Viel Lärm um Nichts fünfundzwanzigjähriges Bestehen. Es war ein guter Wurf, den die Regisseure Seyferth und Carls zuwege brachten. Zudem war an dieser Inszenierung sehr deutlich ein Theaterkonzept abzulesen, wie ich es seit nunmehr zehn Jahren kenne. Dazu gehört, dass die Theatermacher im Viel Lärm um Nichts stets einen sehr hohen Anspruch in der Auswahl der Stücke und in der ästhetischen Umsetzung verfolgen. Damit gingen sie immer ein erhöhtes Risiko ein, das jedoch kein künstlerischer Hochmut war, sondern ehrliches Ringen um Theater, das dem Zuschauer nicht hinterher läuft. Wer hoch pokert, kann viel verlieren. Auch im Viel Lärm um Nichts gab es solche Abende. Doch die sind längst vergessen. Im Gedächtnis sind Inszenierungen geblieben, die trotz beschränkter Mittel den Rahmen auf erstaunlichste Weise sprengten, ohne jemals vordergründig spektakulär sein zu wollen. Im Bewusstsein der Münchner Theatergänger hat das Theater in der Pasinger Fabrik einen festen Platz. So sei den Machern für die Zukunft frei nach Shakespeare zugerufen: Wenn Theater der Seele Nahrung ist, spielt weiter! Viel Erfolg weiterhin!

 

 

Wolf Banitzki

 

 


Was ihr wollt (Die zwölfte Nacht)

von William Shakespeare

Übersetzung: Margrit Carls

Hubert Bail, Theresa Bendel, Hannes Berg, Margrit Carls, Deborah Müller, Andreas Seyferth, Katrin Wunderlich

Regie: Andreas Seyferth / Margrit Carls

Theater Viel Lärm um Nichts Niemand wünsche ich, er wäre ich.


 

 


Aus der Welt geschrieben

Picasso beschrieb die Existenz Vincent van Goghs einmal als ein „exemplarisches Künstlerleben“. Ähnliches könnte man über den Schweizer Schriftsteller Robert Walser sagen. Er starb am Weihnachtstag 1956 während eine Spaziergangs im Schnee. Viele kennen diese Geschichte. Doch wie viele kennen auch das Werk, oder zumindest einzelne Auszüge daraus? Hier offenbart sich das Dilemma, welches das Leben Robert Walsers zu einem exemplarischen Künstlerleben machte. Die Umstände seines Todes bewegen hinreichend, wozu sich dann noch der Mühe unterziehen, sein Werk zu studieren. Dabei würde es sich lohnen. So wurde Walser, schon zu Lebzeiten in Vergessenheit geratend, zu eine Klassiker. Ein solcher zeichnet sich vornehmlich dadurch aus, dass man getrost positiv über sein Werk reden kann, ohne es je gelesen zu haben.

Grundlage für die Inszenierung im Theater „Viel Lärm um Nichts“ von Alois-Michael Heigl war die Komödie „Der Austritt des Dichters Robert Walser aus dem literarischen Verein“ von Gert Hofmann. Der Literaturwissenschaftler und Schriftsteller Gert Hofmann, dessen Prosaarbeiten von der Kritik auch schon mal in die Nähe von Thomas Bernhard gerückt wurden, griff für seine Komödie über den Dichter Robert Walser zumeist auf Aussagen des Dichters in dessen Werk zurück. Somit entstand ein zutiefst authentisches Werk, in dem Walser selbst zu Wort kommt. Es entstand das Bild von einem ge- und verschmähten Autor, der an der Ignoranz seiner Zeit (an der sich auch heute nichts geändert hat) verzweifelte. Walser verfiel jedoch nicht in Larmoyanz, sondern schrieb sich nach und nach lautlos aus der Welt heraus. Am Ende verbrachte er siebenundzwanzig Jahre als Patient in der Heilanstalt Waldau bei Bern. Obgleich er gegen Ende keine pathologischen Züge mehr aufwies, weigerte er sich, die Anstalt wieder zu verlassen, um ein bürgerliches Leben zu führen.

Walser entstammte einer kinderreichen Familie. Seine gesellschaftlichen Möglichkeiten waren sehr begrenzt. So konnte er die Schule nicht beenden und absolvierte in der Kantonalbank Bern eine Lehre. Die Zeit des „Kommis“, wie er sie nannte, hatte einen nachhaltigen Einfluss auf sein Werk. Er führte als einer der ersten Autoren den Typus des Büroangestellten in die Literatur ein und schuf mit seinem Werk „Der Gehülfe“ große deutschsprachige Literatur. Trotz intensiver Bemühungen, selbst als Schauspieler, war Walsers Leben vom Scheitern geprägt. Seine Arbeit war nicht unbedingt spektakulär, darum aber um so poetischer; die beschriebenen Schicksale waren alltäglich, in ihrer existenziellen Bedeutung zugleich aber unbedingt exemplarisch. Robert Walsers Werk verdient höchsten Respekt, wie auch die Person des Dichters selbst. Er war unbeugsam und ausschließlich den Idealen der Kunst verpflichtet. Walser war nicht kleinmütig; er biederte sich nicht an, verließ fast folgerichtig den Kunstbetrieb und letztlich auch das Leben, das ihm wenig Befriedigung bescherte.

Für seine Inszenierung brauchte Alois-Michael Heigl nicht viel. Zwei bemooste, von Schneeresten bedeckte Baumstämme suggerierten innere und äußere „Winterlandschaft“, in der Walser lebte und die er trotz Einsamkeit und Bindungslosigkeit liebte. Gerd Lohmeyer spielte den Dichter Walser und es ist schwer vorstellbar, dass diese Rolle mit einem anderen Darsteller besser hätte besetzt werden könnte. Lohmeiers Verkörperung grenzt an Vollkommenheit. Es bedarf nur weniger Sätze aus der Feder Walsers (oder Hofmanns) und die Imagination ist über jeden Zweifel erhaben. Selten sah man ein anrührenderes Plädoyer für einen Dichter, den die Welt nie angemessen schätzte. Zugleich war es aber auch ein Plädoyer für die Art Literatur, die nicht auf den ersten Blick abonnementfördernd ist. Diese galt es auch gegen Oskar Gissinger zu verteidigen, den Vorsitzenden des Literarischen Vereins, aus dem Walser sehr selbstbewusst ausschied. Hubert Bail gab einen „Mann der Wirtschaft“, der auch oder gerade heute durchaus repräsentativ ist in seiner Selbstgefälligkeit, dessen geistige und vor allem kulturelle Zwergenhaftigkeit entsetzte. Bail ließ keinen Zweifel daran, dass der von ihm dargestellte Typ Zeitgenosse eine wesentliche Stütze der Kunst sei. Oder, um es noch deutlicher und unverschämter zu formulieren: Eigentlich gäbe es ohne Menschen wie ihn gar keine Kunst. Bails Darstellung war der Osterspaziergang eines Buchhalters.
 
walserwaereich

Gerd Lohmeyer, Kathrin Anna Stahl

© Hilda Lobinger

Walser hatte allerdings auch Verbündete, wenngleich sie vergleichsweise wenig für ihn tun konnten. Lohmeyers Walser bedankte sich aufrichtig, herzlich und voller poetischer Schwärmerei für die Zuwendungen durch Frieda Mermet, einer langjährigen Freunde. Ein Stück Wurst oder Käse, eine Dose Schuhfett versetzten Walser geradezu in den Zustand der Glückseligkeit. Dafür pries er die Freundin, ging aber letztlich keine Verbindlichkeit mit ihr ein. Katrin Anna Stahl spielte die Rolle sehnsuchtsvoll und verletzlich. Am Ende musste sie, zutiefst erfüllt von Bitterkeit, akzeptieren, dass ihr Robert niemandes Robert sein konnte oder würde. Der Musiker Alexander Zimmermann gab in der wortlosen Rolle des Mitpatienten einen verständigen Menschen, der sich wenig darum scherte, dass Walser ein verkannter Künstler war, der aber gern und sicherlich auch verbindlich eine Zigarette oder eine Kanne Tee mit dem Dichter teilte. So war Walser in seiner unendlichen Einsamkeit doch immerhin nicht gänzlich allein. Und das war durchaus tröstlich. Darüber hinaus versöhnte die poetische Weltsicht Walsers mit dessen Schicksal. Lohmeyer präsentierte die sedimentierte Weisheit Walsers, die frei von allem Wollen und von allen Eitelkeiten war, wie ein Therapeutikum, ein Balsam für alle Leidensgefährten.

Die Inszenierung dieser tragischen Geschichte eines Dichters, die zugleich von einer besonders feinen Komik ist, verdient höchstes Lob. Es handelt sich um ein Werk, das unbedingt empfohlen sei. Nicht nur, dass es eine der schönsten, weil stillen und poetischen Arbeiten Lohmeyers ist, sie trägt viel zum Verständnis bei, warum die Kunst ein heiliger Gral ist.

 

 

Wolf Banitzki

 

 


Niemand wünsche ich, er wäre ich. Nur ich bin imstande, mich zu ertragen

Nach der Komödie „Der Austritt des Dichters Robert Walser aus dem literarischen Verein“ von Gert Hofmann

Gerd Lohmeyer, Katrin Anna Stahl, Alexander Zimmermann, Hubert Bail

Bearbeitung und Regie: Alois-Michael Heigl

Theater Viel Lärm um Nichts Dachlawine von Neil Simon


 

 

 

…that’s life …

Der bekannte amerikanische Dramatiker Neil Simon schaffte es mit Leichtigkeit und Präzision ein scheinbar zeitlos aktuelles Problem der Menschen in eine Boulevardkomödie zu fassen. Im Jahre 1971 wurde das Stück mit dem Originaltitel „The Prisoner of Second Avenue“ am New Yorker Broadway uraufgeführt. Gab es sie damals schon, die Krise um die Arbeit und ihren Stellenwert im Leben des Menschen? Sicherlich, denn es ist die permanente Bedrängnis des, in ein technokratisches System integrierten Lebewesens, das darin um Bestätigung und Überleben ringt. Das kann nur zu Selbstentfremdung und in hilfloses Ausgeliefertsein münden. Schon erscheint vor dem geistigen Auge das Bild von Charly Chaplin, eingezwängt zwischen Zahnräder, im Film „Moderne Zeiten“.

Ein Appartement im 14. Stock eines Hochhauses in der Upper Eastside. Ein Wohnkäfig mit luxuriöser Ausstattung und einem 800 Dollar Sofa. Die Nachbarinnen lärmen, die Klimaanlage friert die heiße Sommerluft auf 0 Grad und der Müll stinkt bis an das geöffnete Fenster, die Wasserspülung ist defekt. Mel kann nicht schlafen. Er kämpft mit diesen Unzulänglichkeiten und seine Nerven vibrieren in der Aufregung. Sucht er die Aufregung, oder sucht die Aufregung ihn? Edna, seine Frau, erscheint im Nachthemd, es ist halb drei Uhr morgens. Sie sind ein Paar in den besten Jahren, leben in gehobenem Wohlstand, die Kinder studieren und der Kontoauszug weißt eine ansehnliche Summe aus. Alles Bestens, hätte Mel  nicht … seinen Job verloren und damit seine Identität, seine Fremdbestimmung und den Inhalt seines bisherigen Lebens. Eine Krise baut sich auf. „Was hältst du von ein bisschen Therapie?“, fragt Edna. „Ich weiß nicht mehr, wo ich bin und wer ich bin. Edna, ich bin … verloren. Ich brauche keinen Analytiker, ich brauche das Fundbüro.“, so Mel. Und der Therapeut vermag ebenso wenig zu helfen, wie es der Malkurs kann. In der Zwischenzeit ändern sich die Vorzeichen und Edna wird Alleinverdienerin.
 
dachlawine

Andreas Seyferth, Ute Pauer

© Hilda Lobinger

Andreas Seyferth schien die Rolle des Mel wie auf den Leib geschrieben. Mit grimmigem Gesichtsausdruck nahm er seine Umgebung wahr. Aggression leuchtete auf, wenn er gegen die Nachbarn aufbegehrte und Augenblicke später war er der Verunsicherte, der Entlassene. Allein sein komödiantisches Talent garantiert ausgezeichnete Unterhaltung. Ute Pauer gab als Edna ganz die verständnisvolle Frau. Doch auch sie hatten der Unbill des Lebens zu trotzen und bisweilen warf dieses sie auf den Boden, die Knie. Im Gegensatz dazu stand Mels Schwester Pauline, gespielt von Hannelore Gray, welche stets souverän und bestimmend auftrat, stets den Überblick und die Kontrolle behielt. Inga Dechamps als Mels Schwester Jessie, kam die freundlich verbindliche Rolle zu.  Die wohlüberlegte Regie von Winni Viktor und das ausgeglichene Ensemblespiel beförderten sowohl Text als auch Handlung. Aus dem Off erklangen zwischen den Szenenwechsel die Nachrichten aus dem Radio - Gewalttaten neben abstrusen Vorgängen und Belanglosigkeiten. Der alltägliche Wahnsinn.

Das Stück mit den humorvollen Pointen trifft ebenso wie die leicht schräge Inszenierung genau den richtigen Ton, trifft so fein nuanciert die Schmerzpunkte vieler Menschen. Sich diese bewusst zu machen und dabei schmunzeln zu können, da es Schauspiel ist und daher  keine Betroffen agieren, erlaubt Katharsis. Mehr können ein Theaterstück und dessen Inszenierung nicht leisten. Berührend, stellenweise leicht und heiter, stellenweise dramatisch und verzweifelt – die ganze menschliche Gefühlspalette wurde auf der Bühne sichtbar.

Es war ein überaus unterhaltsamer Abend im Theater Viel Lärm um Nichts, der darüber hinaus zu Auseinandersetzung und Austausch anregte.

 
C.M.Meier



PS: Die Antwort auf die Frage nach dem rechten Stellenwert und dem rechten Handlungsbild im Arbeitsprozess liegt in der Natur. Dies veranschaulichte auch das Schlussbild des Theaterstückes. Der selbstbestimmte, aus sich selbst heraus handelnde Mensch agiert immer adäquat und dies sowohl im Sinne seiner Person, als auch im Sinne der von ihm erbrachten Arbeit. Im Gegensatz dazu bleibt der Produktionsläufe oder Systeme bedienende Mensch immer fremdbestimmt, damit funktional und das in seiner gesamten Haltung, in jedem Lebensbereich. Es ist der Mensch, der sich und andere ruiniert.
Es gibt viele Studien zum Thema, wie die im Programmheft angeführten lesenswerten Ausschnitte zeigen.

 

 


Dachlawine

von Neil Simon

Andreas Seyferth, Ute Pauer, Inga Dechamps, Hannelore Gray

Regie: Winni Victor