Volkstheater Der Brandner Kaspar und das ewig' Leben von Kurt Wilhelm /  Franz v. Kobell




Franz von Kobell würde es mögen

Für einen "Preußen", der bayerischen Mundart nicht mächtig, mit einem gespaltenen Verhältnis zu (volks-)tümelndem Theater a là Millowitsch oder Ohnsorg, konnte der Brandner Kaspar nur eine Herausforderung sein. Und da man als Kritiker möglichst objektiv sein möchte, schien es geraten, sich die kurze Novelle des Professors für Mineralogie Franz von Kobell anzuschauen. Ausgangs des 19. Jahrhundert verfasst, bündelt es Kobells ganzes Themenspektrum, bestehend aus Natur, Jagd, Liebe und alkoholischen Getränken. Die Geschichte ist einfach erzählt.

Der Brandner Kaspar wird im zweiundsiebzigsten Lebensjahr vom Boandlkramer heimgesucht, der ihn abberufen will. Ein Preuße braucht da schon seine Zeit, um herauszufinden, dass es sich um einen Gebeinhändler, also um den personifizierten Tod handelt. Der Brandner, noch voller Saft und Kraft, verführt den grausigen Gesellen zu einem Trinkgelage und spielt mit gezinkten Karten um weitere 18 Lebensjahre. Doch bald schon muss er einsehen, dass der Handel nicht den versprochenen Gewinn bringt. Er sieht seine Nächsten nach und nach abtreten und bleibt allein zurück. Im Himmel wird die Geschichte ruchbar und der Boandlkramer erhält den Auftrag, den Brandner augenblicklich heimzuholen. Er beschwatzt den Brandner, doch einmal einen Blick ins Paradies zu werfen. Gesagt und getan entscheidet sich der Brandner stehenden Fußes für den Einzug in dasselbe. Der Tod hat seinen Schrecken verloren und das ist auch die ganze Botschaft der Geschichte.


Maximilian Brückner, Alexander Duda

© Arno Declair


Intendant und Regisseur Christian Stückl gab denn auch vorab eine Einführung, in der er mehr von sich als vom Brandner sprach. Er ließ das begierigen Publikum wissen, wie er zu diesem Stück kam und konnte eigentlich keine rechte Antwort darauf geben. Es klang wie die Geschichte von der Jungfrau und vom Kind und so unwahr schien es nicht zu sein, denn kein bayerischer Volkstheaterintendant kommt an diesem Stück auf Dauer vorbei. Schon gar nicht, wenn das Haus in München steht, wo die Menschen unter einem Volkstheater gleichsam ein Mundarttheater verstehen. (Laut Statistik sollen es 80 Prozent sein.) 26 Jahre lief es bis vor kurzem im Residenztheater, zumeist ausverkauft. Alles das ist nicht sehr ermutigend für einen Kritiker, der aus "Preußen" stammt. So hieß es, sich vorbehaltlos und unvoreingenommen hinein zu begeben in das Abenteuer. Das Ergebnis war mehr als überraschend. Stückl hat die dramatische Vorlage von Kurt Wilhelm entschlackt und zeitgemäß aufgepeppt, ohne die Volksseele zu enttäuschen. Die daraus resultierende Dramaturgie kann als Gewinn für das Stück verbucht werden. Er nahm sogar einen Preußen in das Spiel auf und schuf damit die Möglichkeit zu aktuellen politischen Spitzen. Das ist echtes Volkstheater, siehe Shakespeare. Drei Stunden und zehn Minuten schlugen die Darsteller alle in den Bann, die Augen und Ohren hatten, denn Regisseur Stückl inszenierte nicht nur Schauspiel, sondern über weite Strecken hinweg schmissige Volksoper. Die Jungen Riederinger Musikanten, beim Kritiker seit der Inszenierung von "Geierwally" aktenkundig, ließen bayerisches Nationalgefühl hörbar werden. Derb ging es zu beim Saufen, Lieben, Tanzen und Sterben.

Die drei atmosphärischen Bühnenbilder von Alu Walter ließen dabei nichts vermissen. Im dunklen Wald gerann die Jagd zur Farce, in der niedrigen Stube die Lebensfreude zum Fest und im Himmel bedarf es zur Glückseligkeit, wie sollte es anders sein, der Weißwurst und der Brezn. Auch Belzebub darf nicht fehlen, wider den tierischen Ernst. Alexander Dudas Brandner strotzt an der Schwelle zum Tod vor Lebensgier. Seine Wandlung zum gebrochenen Mann überzeugt ebenso wie das geradezu kindlich-freudige Erwachen im Elysium. Den Preußen Kai-Uwe von Ziethen gab Tobias von Dieken schmissig bis zum Schwachsinn doch keineswegs denunzierend. Man schaut halt nicht auf die anderen deutschen Volksstämme herab. Sein Auftritt vor dem Heiligen Portner, im Hochdeutschen nennt man ihn vorzugsweise Petrus, brachte ihn auch schon mal um die nötige Atemluft, was den Preußen glaubhaft machte, die Textverständlichkeit allerdings beeinträchtigte. Peter Mitterruntzer hingegen demonstrierte einen Habitus, der jedem Papst gut anstehen würde. Aus dem durchgehend gut bis sehr gut agierenden Ensemble, immerhin waren auch Laiendarsteller dabei, hob sich jedoch eine Leistung heraus, die des Boandlkramers. Zweifellos ist der Darsteller schon durch diese Rolle bevorzugt. Sie ist in ihrer Charakteristik vergleichbar mit der des Jagos oder des Mephistos. Doch sie will gefüllt sein. Wann immer in München der Name Brandner Kaspar fällt, wird ein zweiter sofort nachgereicht: Toni Berger. Maximilian Brückner hatte also gegen einen übermächtigen Geist anzuspielen, der noch immer umgeht in den Köpfen. Bei der Einführung durch den Intendanten kam beispielsweise heraus, dass mehr als neunzig Prozent der Anwesenden die Residenztheaterinszenierung kannten. Der sechsundzwanzigjährige Brückner hat diese Herausforderung mit Bravour gemeistert. Mit großem mimischem aber auch körperlichem Aufwand bis hin zum Slapstick machte er aus der jenseitigen Gestalt eine sehr menschliche Figur. Regisseur Stückl führte ihn mit kompetenter Hand durch alle Klippen, die dieser Rolle eigen sind. In keiner Szene uferte die Geschichte zur Klamotte aus und so war auch ein kritischer Preuße, der vom überreichen Wortwitz nicht alles verstand, am Ende absolut überzeugt von der Unternehmung, die ohne Zweifel etwas Identitätsstiftendes hat. Fast ist er ein wenig neidisch auf die Bayern, die er nach dieser Inszenierung wesentlich besser versteht.

Und noch etwas, da wir vom Tod sprechen. Auch Toni Berger, Gott hab ihn selig, ist ersetzbar. Ich bin mir sicher, er sitzt da Droben und stimmt mir zu, wenn ich behaupte, diese Inszenierung könnte in Bayern Kultstatus erlangen.


Wolf Banitzki

 

 


Der Brandner Kaspar und das ewig' Leben

von Kurt Wilhelm / Franz v. Kobell

Alexander Duda, Maximilian Brückner, Kathrin von Steinburg, Stefan Murr, Markus Brandl, Wilfried Labmeier, Ursula Burkhart, Tobias van Dieken, Peter Mitterrutzner, Hubert Schmid, Agnes Staber, Josef Staber
Junge Riederinger Musikanten: Dominikus Brückner, Florian Brückner, Andreas Buntscheck, Andreas Engelmann, Franz Maier, Franz Staber, Martin Weyerer

Regie: Christian Stückl

Volkstheater Port von Simon Stephens




Es gibt sie noch, die wirklichen Helden

"Aber ein Stück muss von Menschen handeln", so das Credo von Jungdramatiker Simon Stephens, Jahrgang 1971. Dieser Selbstverpflichtung wird Stephens uneingeschränkt gerecht. Seine Arbeitsweise bezüglich "Port" hat denn auch etwas Reportagehaftes. Er war ausgezogen in seinen Geburtsort Stockport, um diese Menschen literarisch einzufangen. Heraus kam ein Stück, das sowohl Lokalkolorit wie auch Verallgemeinerungswürdiges beinhaltet.

Die Geschichte ist alltäglich, scheinbar beliebig auswechselbar. Und doch berührt sie, denn Stephens schuf mit der Lebensbeschreibung der Racheal Keats (Stephanie Schadeweg) eine exemplarische Geschichte, die das Leben derer erzählt, die keinen Eingang in die Gazetten finden, deren Leben unauffällig bleibt. Es ist ein echtes Volkstheaterstück, in dem sich der Zuschauer schnell wieder findet.

Als Racheal elf Jahre alt ist, verlässt die Mutter die Familie. Die Vorstellung vom Vater beschränkt sich auf einen Mann am Tresen. Die einzige Bezugsperson, der Großvater, stirbt beizeiten. Racheals Bruder gerät im Strudel kindlichen Aufbegehrens auf die schiefe Bahn und durchläuft die Karriere eines Kleinkriminellen. Die erste Liebe Racheals lässt Hoffnung keimen, doch erfüllt sie sich nicht, denn der erste Ehemann ist ein anderer, brutal und lieblos. Am Ende der Geschichte, Racheal ist vierundzwanzig Jahre alt, hat sie nicht aufgegeben. Das ist heldenhaft im theatralischen Sinn. Dieses lebensbejahende Prinzip macht Stephens dramatischen Entwurf nicht nur liebenswert, sondern auch glaubhaft. Einziger Mangel im Text ist das völlige Fehlen analytischer Ansätze, die Rückschlüsse darauf zulassen, warum der Lebensweg der Racheal Keats so und nicht anders verläuft. Aber die gesellschaftliche Analyse ist ohnehin nicht unbedingt die Stärke der zeitgenössischen Jungdramatiker. Sie begnügen sich häufig mit zweidimensionalen Bildern.

 

Leopold Hornung, Stephanie Schadeweg

© Arno Declair


Die Inszenierung von Matthias Kaschig zeugt von Kongruenz zum Text. Ihm gelang es, dessen Stärke, nämlich die Psychologie der Personen, raumgreifend zu gestalten. Die einfachen Lösungen haben sich in dieser Inszenierung als die wirkungsvollen entpuppt. Szenenwechsel wurden über eine bemerkenswerte Lichtregie von Günther E. Weiß eingeläutet. Zudem fand der Kostümwechsel, dezent und erklärend, auf offener Bühne statt. Das Bühnenbild von Marc Weeger und Silke Willrett beschränkte sich auf eine Straße, metaphorisch das Leben als Weg beschreibend, die sich gegen Ende sinnvoll zur schiefen Ebene neigt. Der Absturz ist möglich und der Kampf dagegen immer mühsamer. Ohne inszenatorischen Schnickschnack überließ es Regisseur Kaschig mit kluger Hand den Schauspielern, die Geschichte zu erzählen.

Die herausragende Leistung des Abends gelang Stephanie Schadeweg. Physisch eher unauffällig, brachte sie den inneren Lebenshunger, das Ankämpfen gegen Apathie, den Willen zu einem eigenen selbstgestalteten Leben, kurz, die Schönheit der Figur unübersehbar zum Leuchten. Sie weiß um ihre künstlerischen Mittel und setzte sie in dieser Rolle treffsicher ein. Auf Augenhöhe zu ihrer künstlerischen Leistung agierte Nicholas Reinke als Danny Miller, Racheals erste Liebe. Insbesondere in den leisen Szenen gelang es ihm im Zusammenspiel mit Stephanie Schadeweg wirklichen Zauber zu entfesseln. Bemerkenswert war auch die Arbeit Leopold Hornungs, ein Akteur, der zu einem Spiel mit Überspannung neigt. Hier entsprach die Rolle dem Temperament des Darstellers und seine Verkörperung eines Getriebenen war sehr glaubhaft.

Die Inszenierung des Stückes "Port" am Münchner Volkstheater ist keine spektakuläre. Und das ist auch gut so, denn Stephens Botschaft, selbst unspektakulär, wird deutlich. Es ist ein lohnenswerter Theaterabend, der uns den verlogenen, allgegenwärtig gepriesenen Glamour vergessen macht und Leben wieder spürbar werden lässt.


Wolf Banitzki

 

 


Port

von Simon Stephens

Ursula Burkhart, Tobias van Dieken, Leopold Hornung, Thomas Kylau, Elisabeth Müller, Nicholas Reinke, Stephanie Schadeweg, Benjamin Utzerath

Regie: Matthias Kaschig

Volkstheater Viel Lärm um Nichts von W. Shakespeare




Einerlei

William Shakespeare, der meistgespielte Dramatiker der Welt, wird laufend dem Vorwurf ausgesetzt, sich an den literarischen Werken anderer bedient zu haben. Man ist stets akribisch bemüht, die fremden Ingredienzien seiner Stücke zu benennen. Doch kann man dadurch nicht wirklich die Genialität schmälern, welche die aus der Übernahme bestehenden Charaktere weiterentwickelte und dadurch völlig neue Stücke schuf. Auch verlegte der Dichter gerne die Orte der Handlung an ihm und seinem Publikum unbekannte Orte, achtete dabei aber stets auf deren Geschlossenheit.

In Zeiten von Multikulti und Globalisierung machte sich die junge aufstrebende Regisseurin Jorinde Dröse seine Herangehensweise zu Eigen und inszenierte William Shakespeare unter der Prämisse "Wie es mir gefällt" am Münchner Volkstheater. Sie mischte, scheinbar ganz im Stile der Shakespeare vorgeworfenen Art, "Südländisches" zusammen und erklärte kurzerhand Sizilien und vor allem Messina zum von Spaniern besetzten Balkan. Unübersehbar hielt man sich bei der Inszenierung an eine einzige Größe.

Diese Größe heißt "Schwarze Katze, weißer Kater" und ist ein Film des gebürtigen Bosniers Emir Kusturica. Unterstützt wurde das Unterfangen von Christian Ludwig Mayer, Georg Karger, Ulrich Wangenheim, die unüberhörbar im Stile der Balkan-Punk-Band "No Smoking Orchestra" aufmarschierten und aufmusizierten.


Sophie Wendt, Tobias van Dieken

© Volker Derlath


Regie und Darsteller hatten wohl mehr als einmal den einer Shakespeare Komödie nicht unähnlichen Film gesehen. Daran ließ die Umsetzung der Rollen kein Zweifel. Man füllte diese mit aus dem Film übernommener Haltung und Körpersprache und sparte sich so die Entwicklung der Charaktere. Nicholas Reinke, alias Don Pedro, glich in Äußerem und Habitus ganz dem Gauner Dadan aus "Schwarze Katze, weißer Kater". Leonato hatte sich die Art des Zigeunerpatriarchen Grga zu Eigen gemacht und sogar die passende Brille besorgt, um nur keine Verwechslung aufkommen zu lassen. Hero, Elisabeth Müller, hielt sich an die zwergenhafte Schwester Dadans und Leopold Hornung als Claudio unpassender Weise an den jungen Zare aus Kusturicas Film. Übersehen wurde, Kusturica zeichnete in seinem Film Charaktere mit Geschichte, Kraft und Tiefe, - seine Szenarien berühren wirklich. Das lässt sich nicht so ohne weiteres nachstellen. Im Gegenteil, über die aufgesetzte Art ging manche Szene plakativ daneben. Intrigen brauchen intime Atmosphäre, Persönlichkeit und Heimlichkeit. Es will vorbereitet sein, wenn Don John seinen Bruder Don Pedro und den Bräutigam Claudio von der Untreue der Braut zu überzeugen sucht.

Wie brüchig und unüberlegt hier hantiert wurde, zeigt sich denn auch im vierten und fünften Aufzug. Für diese Passagen gab es keine Szenenvorlagen aus dem Kusturica Film und die Schauspieler waren mit dem Shakespeare'schen Text allein gelassen. Und so wirkten sie denn auch, als sie sich plötzlich über klassische Vortragsweise um ihre komische Katharsis bemüht waren. Von Macht und Haltung in der patriarchalischen Gesellschaft, wie angekündigt, war wenig zu spüren, als Benedick deklamierend, hilflos seine Wandlung zum Mann vollzog. Tobias van Dieken stand dafür nicht einmal eine Körpersprache zur Verfügung. Da hätte man ebenfalls bei Kusturica lernen können. Dirk Bender als Leonato bereitete zappelnd das Begräbnis seiner scheintoten Tochter Hero vor und rang vergeblich um Haltung als Vorstand seiner Gemeinde. In diesem Teil des Stückes folgten Brüche und ostentativ hergestellte Situationen aufeinander. Das Verbindende fehlte passagenweise gänzlich und glich dem Abarbeiten einer Geschichte. Diese Vorgangsweise gipfelte schlussendlich in einem absurden Verhör Borachios. Wie in einem Comic begnügte man sich mit plakativer Klischeehaftigkeit, um nur keinen Lacher zu verschenken.
Eine gute Komödie war bislang aber immer mehr als der Anschein einer ernsthaften Auseinandersetzung mit einem Thema, um zu einem heiteren Schluss zu kommen.

Unübersehbar auf ein Anliegen ausgerichtet, auch dafür stand Kusturica Pate, war das Bühnenbild. Der Rathauspalast Leonatos glich einer zerbombte Betonruine, für die Julia Scholz verantwortlich zeichnete. Don Pedro und sein Gefolge kehrten aus dem Krieg zurück und die Handlung nahm mit dem Zitat "Unsere Arbeit ist getan. Die Kriegsgedanken machen Platz, drauf sich andere Begierden drängen. Genauso fleischlich, aber süß." ihren Anfang. So bleibt die Prämisse von Regie und Dramaturgie, es handele sich um Männer, die aus einem Krieg heimkehrten und sich nach Menschlichkeit und Zärtlichkeit sehnten, höchst fragwürdig. Bei Jorinde Dröse muss es sich um einen lustigen Krieg gehandelt haben, denn in ihm wurde von Armani bis Zucchini alles gemeuchelt, was italienisch klang. Wir reden wohlgemerkt von Krieg und über diesen könnte man bei Kusturica ebenfalls lernen, wenn man sich seinen Film "Underground" anschaut. Da vergeht einem das Lachen! Nebenbei, bei Shakespeare war es ein weitestgehend unblutiger, denn dort heißt es: Gefallen seien "überhaupt nur sehr wenige von Rang und keiner von Namen". (Man sehe mir die Tieck´sche Übersetzung nach. Und die Antwort Leonatos: Ein Sieg gilt doppelt, wenn der Feldherr seine volle Zahl wieder heimbringt.) Nein, so war der Balkan-Krieg nicht, der hier so unterschwellig beschworen wird. Nochmals nebenbei, ein wenig Kenntnis der Geschichte könnte nicht schaden. Es gab in der Renaissance, und um diese Zeit handelte es sich bei Shakespeare, unblutige Kriege, die sich auf visuelles Kräftemessen beschränkten. Wenn Shakespeare einen (fast unblutigen) Krieg zitiert, dann nur, um das Verhältnis zwischen Leonato und Don John (Don Juan) zu definieren. Er verzichtete auf Blutvergießen. Mag sein, dass die Politik den Krieg als probates Mittel wieder entdeckt hat, die Kunst sollte dies so leichtfertig nicht tun.

Bei den Heimkehrern geht es dann schnell zur Sache. "Ich liebe dich bis zum schiefen Turm von Pisa, bis zu den Sternen und …" so erklärte Claudio der angebeteten Hero seine Liebe. Das ist ein abgewandeltes Kinderbuchzitat zwischen einer Hasenmutter und ihrem Kind: "Ich liebe dich bis zum Mond und zurück ..." und hier wird es kindisch. Man zeige mir den Mann, der eben den Krieg überlebte und sich sein kindlich-naives Gemüt, welches für derartige Worte unerlässlich ist, erhielt. Fazit: Die Regie benutzte Krieg vordergründig als dramaturgisches Mittel zur Erzeugung von Spannung durch einen Gegensatz, ohne dass dahinter tiefere Kenntnis oder die Fähigkeit zu echter Auseinandersetzung stand. Sie sei an ihre Verantwortung als Künstlerin erinnert. Was ist also vom Anliegen der Regisseurin in dieser der Inszenierung zu halten?

… "Viel Lärm um Nichts" von Jorinde Dröse am Münchner Volkstheater inszeniert, ist mehr als das Annehmen einer Inspiration aus fremdem künstlerischem Gut, wie sie Shakespeare pflegte. Es ist dreist, über weite Strecken die Ästhetik eines lebenden Künstlers ungebrochen zu übernehmen und kommt einem Plagiat gleich. Immerhin erbrachte sie den Beweis, dass sie nicht annähernd seine Kraft und Tiefe hat.
Emir Kusturica schuf mit "Schwarze Katze, weißer Kater" große Filmkunst. Sein Werk steht als solches originär, damit unerreichbar für Kopisten, über und vor allem Klischeehaften. Es entspringt einem Lebendigen und seinen Visionen.


C.M.Meier

 

 


Viel Lärm um Nichts

von W. Shakespeare

Aus dem Englischen von Werner Buhss

Nicholas Reinke, Benjamin Mährlein, Leopold Hornung, Tobias van Dieken, Dirk Bender, Thomas Kylau, Stephanie Schadeweg, Markus Brandl, Elisabeth Müller, Sophie Wendt, Ursula Burkhart
Musik: Christian Ludwig Mayer, Georg Karger, Ulrich Wangenheim

Regie: Jorinde Dröse

Volkstheater Der Kampf des Negers und der Hunde von Bernard-Marie Koltés




Viele Klischees und wenig Wahrheiten

Als Bernard-Maria Koltès, Jahrgang 1948, vor etwa 20 Jahren wie ein Silberstreif am Horizont nicht nur des deutschen Theaters auftauchte, schien ein Ausweg aus dem ideologisiertem Welterklärungstheater in die vermeintlich geistige und künstlerische Freiheit gefunden zu sein. Inzwischen wird er gar nicht mehr so häufig gespielt, denn das Theater ist ja nur noch in Ausnahmefällen real-politisch. Der Dienst an der Quote ist vornehme Pflicht geworden.

Intendant Christian Stückl beugte denn in einem kürzlich gesendeten BR-Interview dezent vor, als er sinngemäß meinte, es gäbe Inszenierungen, die tragen ein Theater und es gäbe Inszenierungen, vornehmlich Experimente, die tun dies eben nicht. Erstere müssen dann für die anderen die Quote miterwirtschaften. Hatte er dabei die Proben zu "Kampf des Negers und der Hunde" vor Augen?

Dabei hatte sich Koltès aus gutem Grund zum Quotenbringer entwickelt. Der junge zornige Mann, der sich nicht als depressiver Dichter oder gar als Dichter depressiver Texte verstanden wissen wollte, starb 1989 an den Folgen einer Aidsinfektion, einer Krankheit, die besonders in der Dritten Welt wütet. Und gerade dieser Welt galt sein ganzes Interesse, bereiste er sie doch sehr intensiv. Schließlich formulierte er eine eindeutige Botschaft: "Das einzige Problem, das es wert ist, ernst genommen zu werden, ist das physische Leiden, das physische Leiden der Dritten Welt. Das allein ist wesentlich. Der Rest aber ..., der Rest sind Nichtigkeiten."

Falilou Seck, Nicholas Reinke, Elisabeth Müller

© Arno Declair


Als er vor etwa zwanzig Jahren seinen Text "Der Kampf des Negers und der Hunde" schrieb, brachte er eine Ahnung in die Welt, die heute schon Gewissheit ist, nämlich, dass die Welt durch Globalisierung und Liberalisierung einen Wandel erlebt wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Seine Analyse ist keine politische, sondern eine poetische, die doch ebenso trefflich gelingt wie so manches verschreckende Werk aus dem Bereich des investigativen Journalismus.

Die Geschichte des Stückes handelt vom kolonialen Kampf zwischen Weiß und Schwarz, wobei Schwarz beliebig austauschbar wäre. Horn, ein Baustellenleiter irgendwo in Westafrika, kam bereits vor vielen Jahren auf diesen Kontinent und er kam mit den besten Absichten. Seine Arbeit sollte Afrika gleich machen, gleich mit den "zivilisierten" Völkern Europas. Doch mit dem Ingenieur Cal kam ein neuer Typus Weißer. Der will nur das schnelle Geld machen und davon möglichst viel in kurzer Zeit. Als ihm ein "Neger" vor die Füße spuckt, erschießt er diesen kurzerhand und lässt die Leiche verschwinden. Die Geschichte beginnt nun mit dem Auftauchen Albourys, Bruder des erschossenen Schwarzen, der die Leiche für das Bestattungsritual einfordert, und Leones, ein Pariser Mädchen, das dem Eheversprechen Horns gefolgt ist. Menschliche Nähe wird zur wichtigen Triebkraft der Handlung. Alboury brauchte die seines Bruders, um in der gleißenden Sonne Afrikas nicht zu erfrieren und Horn sehnt sich nach einem weiblichen Pendant wie nach einem Zuhause. Alboury erinnert an Antigone und er bleibt ebenso unnachgiebig wie seine antike Vorgängerin. So nimmt das Sterben seinen Lauf.

Der junge Regisseur Sebastian Hirn suchte und fand seine eigene Botschaft in dem keineswegs unrealistischen Schluss, dass Afrika nicht wehrlos ist. Es ist aber nicht die moralisch integere Wehrhaftigkeit, sondern sie unterscheidet sich kaum von der mafiösen Brutalität der Weißen. So wird, was bei Koltès wie ein Krimi beginnt, bei Hirn zum Politthriller mit düsterer Aussicht. Dieser Plot ist dann aber auch so ziemlich das Bemerkenswerteste an der Aufführung im Volkstheater.

Regisseur Hirn inszenierte ohne Zwischentöne und ohne die Entwicklung der Figuren deutlich zu machen, die Koltès vorgab. Vielmehr spulte er die Handlung auf hohem darstellerischem Erregungslevel ab, ohne auf die bedeutsamen Textpassagen zu verweisen, die teilweise geradezu prophetischen Charakter haben. Man schaue sich nur einmal die Überlegungen Horns an, die dieser angesichts des Wandels in der Welt entwickelte: "Ich habe keine Angst vor Menschen, keine Angst vor Gewehren, (...) selbst Krieg macht mir nichts aus: im Krieg sitzen alle in einem Boot, du hast eine Chance wie jeder andere. Aber was für eine Chance hast du gegen einen Kopf, der in der ganzen Welt tausende von Baustellen im Kopf hat, (...) jeden Mann als wärst du der einzige, und jede Flasche Whisky, die dasteht und von der er weiß, dass sie dasteht, (...) Davor, das ist das Einzige, (...) ja, davor könnte ich Angst haben." Spätestens bei dieser Passage zeigte sich, dass Regisseur Sebastian Hirn entweder mit dem Text überfordert war oder doch nur seinen Thrill erzeugen wollte.

Diese Inszenierung setzte auf starke Bilder, die vornehmlich der Bühne von Bernhard Hammer zu verdanken waren. Der Bühnenbildner schuf einen beklemmend niedrigen Raum, der nach oben hin durch eine Deckenschalung begrenzt war und der durch zahlreiche Schalungsstützen bedrohliche Enge und auch Instabilität suggerierte. Allerdings war darin kein Hauch von Afrika. Selbst der zweistündige Dauerregen konnte diese Illusion nicht befördern.

Die Ambitionen des Regisseurs ließen den Schauspielern wenig Raum zu deutlicher und differenzierter Gestaltung. Alexander Duda gelang es als Horn noch am ehesten, der Figur ein menschliches Antlitz zu verleihen. Nicholas Reinke (Cal), der sich in den vergangenen Spielzeiten besonders durch sensible Charakterdarstellungen im Ensemble profiliert hatte, musste durchgängig mit viel überflüssigem körperlichem Aufwand einen platten Psychopaten geben. Elisabeth Müller lieferte schrill plakativ den Gegenentwurf zu Falilou Secks Neger, der stets cool und wortkarg das große unentschlüsselbare Mysterium Afrika verkörpern musste. Dieses Afrika ist ein Klischee aus soap-operas, wie vieles, was die Inszenierung dem Publikum glauben machen wollte. Der Text von Koltès spricht eine andere Sprache. Hier spürt man einmal mehr, dass künstlerische Erfahrungen nicht selten aus den Medien und nicht aus den Realitäten gespeist werden. Das ist ein untauglicher Weg.

Wolf Banitzki

 

 


Der Kampf des Negers und der Hunde

von Bernard-Marie Koltés

Alexander Duda, Falilou Seck, Elisabeth Müller, Nicholas Reinke

Regie: Sebastian Hirn

Volkstheater Woyzeck von Georg Büchner



 

Woyzeck auf der Couch


"Die Leute können auch keinen Hundestall zeichnen. Da wollte man idealistische Gestalten, aber alles, was ich davon gesehen, sind Holzpuppen. Dieser Idealismus ist die schmählichste Verachtung der menschlichen Natur." Diese Worte legte Georg Büchner seinem Helden Lenz in der gleichnamigen Schrift in den Mund. Ausdrücken wollte er damit seine eigene tiefe Verachtung für den Idealismus der Weimaraner, denen das Menschliche fremd geworden war. In Shakespeares Werken und den Liedern des Volkes fand er dieses Menschliche und scheute sich nicht, letztere direkt und ungefiltert in seine Dichtung einfließen zu lassen.

Wenn Büchner meinte, dem Idealismus abgeschworen zu haben, so irrte er zumindest in Bezug auf sein Drama "Woyzeck" gewaltig. Allein die Inszenierungstradition und die Vielzahl der Adaptionen strafen diesen Gedanken ab. Neben seinem Pessimismus, der sehr wohl humane Züge trug - er wird gleich Albert Camus als "heroischer Nihilist" bezeichnet - war er vor allem eins: ein Revolutionär in Fragen Theaterästhetik. Alfred Polgar nannte ihn einen Vorboten des "Abakadabra der modernen Theatermagie".

Aber zurück zum Idealismus Büchners, der dem seiner träumenden Vorgänger nicht nachstand, außer, dass er die völlige Verkehrung desselben war. Büchner stellte die Menschlichkeit der "aufgeklärten Humanisten" vom Kopf auf die Füße. Wenn er fragt, was der Mensch ist, dann fragt er nicht als Theoretiker. Er hinterfragt ketzerisch: Wo erfährt man, was Menschlichkeit wirklich bedeutet? In den Salons der Philosophen? In den Boudoirs des Adels? In den Haushalten der hohen Staatsbeamten oder den Kontoren der Pfeffersäcke? Nein, ein unverstellter Blick auf das, was die menschliche Natur ist, bietet sich nur in der Gosse, wo der Besitzlose massenhaft vegetiert, der seine Haut täglich zu Markte tragen muss, um zu überleben. Woyzeck ist die Quintessenz aus allem menschlichen Leid und also Prototyp des idealen, weil nicht idealisierten Menschen.

 

Leopold Hornung, Nicholas Reinke, Benjamin Mährlein, Sophie Wendt, Marcus Brandl

© Arno Declair


Das Stück, ein 1836 verfasstes Fragment, ruhte lange, bis es am 8. November 1913 auf die Bühne des Münchener Residenztheaters gelangte. Woyzeck ist Soldat. Er ist auf der untersten Stufe des menschlichen Daseins gebannt. Mit Marie hat er ein uneheliches Kind. Für beide sorgt er so gut er kann, gibt sich für medizinische Versuche hin, rasiert gegen Entgelt seinen Hauptmann. Aber Woyzeck ist nicht die Maschine, die er sein sollte. Er hat Wahrnehmungen und die Realitäten wecken Ahnungen in ihm. Woyzeck verfügt über ein Weltbild, das realistischer ist als die seiner Vorgesetzten und die der weltlichen Propaganda.
Marie, eine schlichte Person voller unschuldiger Sinnlichkeit, hat sie sich doch gegen alle Konventionen auch Woyzeck hingegeben, erliegt widerstrebend den Werbungen des Tambourmajors. Woyzeck verliert den letzten menschlichen Topos, auf dem er existieren kann und tötet Marie. Das Bild von der gequälten Kreatur Mensch nimmt überdeutlich Gestalt an und wirft einen langen Schatten durch die gesamte Menschheitsgeschichte. Dies ist nur möglich, weil der Genius Büchners einen Menschen schuf, der alle menschlichen Eigenschaften auf sich vereinigte und einen Archetypus darstellt.

Woyzeck als der Archetypus der gequälten und erniedrigten Kreatur zieht sich folgerichtig auch durch die Inszenierungstradition und die meisten Versuche, diesem Ansatz nicht zu folgen, scheiterten. So auch die Inszenierung Christian Stückls, der den Focus auf die Frage richtete, wie wird ein Mensch zum Mörder. Dazu bedurfte es einer psychologischen Sicht auf die Vorgänge und genau die leistet der Text am allerwenigsten. Folglich musste der Regisseur den Text und die Vorgänge bebildern, um innere Vorgänge sichtbar zu machen. Der wichtigste Effekt, der dabei herauskam war, dass der 20-seitige Text (dtv Gesamtausgabe) auf zwei und eine halbe Stunde (eine Pause) aufgeblasen wurde und einige erhebliche Längen aufwies. "Woyzeck" ist ein Stück voller psychologischer Momente, aber es ist kein psychologisches Stück. Woyzeck eignet sich nicht für die Couch!

In einem gelungenen Bühnenbild von Marlene Poley zelebriert Stückl weitestgehend ein im soldatischen Milieu angesiedeltes Spiel. Die graue Spielfläche war mittels Drehbühne in Kaserne, Exerzierplatz, Ordinationszimmer, Offiziersbüro, Soldatencasino oder Stube Maries verwandelbar. Einzig die wunderbare Natur hinter den Fenstern des Schafsaals erstaunte und verwirrte allein schon durch ihre deutliche Anwesenheit in diesem unmenschlichen Klima. Dieser Verfremdungseffekt erzielte doch immerhin mehr Wirkung als manches schwergewichtige Wort.

Woyzeck wurde verkörpert von Timur Isik, der gerade frisch an das Volkstheater gekommen war. Sollte er hauptsächlich für diese Rolle verpflichtet worden sein, so war die Wahl nicht die beste. Seine physische Präsenz wirkte nicht selten linkisch und unkontrolliert. Christian Stückls Bemühungen, die Figur des Woyzeck psychologisch deutlicher zu determinieren, machte sie eher diffuser, denn die Sprache Büchners litt hörbar unter der psychologischen Zeitlupe. Was im Text an antike Sprachgestaltung erinnert und auf Katharsis zielt, erhielt gestisch überflüssige Anleitungen zum "tieferen Verständnis".

Die Katharsis blieb aus und der fade Nachgeschmack einer nicht gelungenen Revue blieb zurück. Das kann getrost wörtlich genommen werden, denn die musikalischen Einlagen waren recht dünn und zudem inhaltlich wenig überzeugend. Büchner reicherte seinen Text mit Volksliedern an. Diese haben jedoch allemal mehr Qualität als die gebotenen Popmusikeinlagen. Hier wurde poetischer Inhalt gegen modische Form vertauscht.

Die Darsteller schlugen sich tapfer. Stephanie Schadeweg fiel es nicht schwer, eine sinnliche, aber auch von Selbstzweifeln geplagte Marie zu geben. Nicholas Reinkes Tambourmajor war in seiner physischen Präsenz jedoch nicht der "Brocken Mann", von dem Marie meint: "So ist keiner! - Ich bin stolz vor allen Weibern!"
Am überzeugendsten waren wohl Ursula Burkhart als Ärztin und Alexander Duda als Hauptmann. Bei beiden Rollen unterließ es der Regisseur, ihnen Subtexte unterzujubeln. Beide spielten ihre Rollen pur. Und warum auch nicht, waren beider Rollen doch illuster und desavouierend genug. Markus Brandl wurde seiner Rolle als Andres, Woyzecks einziger Freund, ebenfalls gerecht. Die Hervorgehobenen hatte das Glück, in ihrem Spiel nicht psychologisieren zu müssen, wodurch sie die von Büchner vorgegebenen Konturen nicht verloren.

Es ist immer ein lobenswerter Ansatz, nach neuen Lesarten zu suchen. Allein, es gibt kaum ein größeres Risiko, als dies gerade mit "Woyzeck" tun zu wollen. Die ästhetische Ausprägung des Textes lässt da wenig Spielraum. Der Versuch Christian Stückls ist nur ein weiterer Beweis dafür. Am "Woyzeck" zu scheitern, ist dennoch kein Verdienst.

Wolf Banitzki

 

 

 


Woyzeck

von Georg Büchner

Timur Isik, Stephanie Schadeweg, Alexander Duda, Ursula Burkhart, Nicholas Reinke, Leopold Hornung, Marcus Brandl, Sophie Wendt, Tobias van Dieken, Gabriel Raab, Benjamin Mährlein, Quirin Raab, Felix Justice, Markus Dreier, Horst Alexander Eckl, Torsten Glass, Patrick Hack, Jonathan Sonnenschein, Felix Zeltner

Regie: Christian Stückl