Kammerspiele Die Nibelungen von Friedrich Hebbel
Nibelungen - nie gelungen - und kein Ende
Eines haben wohl alle "Nibelungen" - Inszenierungen gemeinsam: Sie werfen die grundsätzliche Frage über den Sinn der Unternehmung auf. Und noch etwas haben sie gemeinsam: Keine vermag eine Antwort zu geben. So geschehen auch in der Inszenierung von Andreas Kriegenburg an den Münchner Kammerspielen. Hebbels Mythenmonstrum wurde zum Theaterfluch, der viele Geister beschäftigt und Zuschauer verwirrt. Wir können diesen Fluch nicht abschütteln, denn diese mittelalterlichen Mythen sind die einzigen, die wir haben. Dabei ist ein anständiger Mythos notwendig für die Identitätsfindung. Sichtbar wird diese fatale Situation immer wieder in der durchschimmernden Frage: Sind wir das, die Deutschen? Die Diskussion um den Stoff spiegelt zumindest eine deutsche Eigenart wider, nämlich den Hang, jede Geschichte aufzublasen bis zur Unüberwindbarkeit, um damit einem zutiefst verwurzelten Masochismus zu frönen. Dabei handelt es sich nur um eine Familiensaga, deren wichtigstes Merkmal darin besteht, dass niemand sie überlebt, und die also denkbar ungeeignet als Nationalepos ist.
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Wiebke Puls, Hans Kremer, Christoph Luser, Bernd Grawert, René Dumont, Stefan Merki, Sebastian Weber
© Andreas Pohlmann
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Regisseur Kriegenburg stellt sich die fundamentale Frage nach der deutschen Identität erst gar nicht. Er setzt diese Tatsache voraus und erklärt die Ordnungsliebe der Deutschen, gestört durch Siegfried (Olliver Mallison) und Kriemhild (Wiebke Puls), zum Mittelpunkt seiner theatralischen Analyse. Als Bühnenbildner schuf er dafür einen großen Raum aus Mauern, die das Mittelalter zitieren. Die Bühnendecke ist grandios effektvoll absenkbar und schafft eine zweite Spielebene, womit sich jeder Umbau erübrigt. Zugleich versinnbildlicht sie, aus der Waage geratend, die Schiefe Ebene, die der Katastrophengeschichte innewohnt.
In sechs Stunden Spielzeit erlebt der Zuschauer das dreiteilige Drama "Der gehörnte Siegfried", "Siegfrieds Tod" und "Kriemhilds Rache". Es ist keine homogene Inszenierung, sondern durchsetzt von mehr oder weniger sinnvollen Brüchen. Brüche sind Kriegenburgs Spezialität, doch leider sind sie nicht immer auf gleichem intellektuellem Niveau angesiedelt. So ähneln die ersten beiden Teile nicht selten einer Comedyshow. Die Schauspieler treten unvermittelt aus dem Hebbelsche Text heraus und leihen dem Regisseur ihre Stimme, der verkündet: "Männer, ihr müsst die Arschbacken zusammenkneifen." Die Einfügungen sollen vermutlich einen Zeitbezug herstellen und da geschieht es schon mal, dass Gunther die unverblümte Bitte äußert, Siegfried möge Brunhild "sein Rohr zeigen und sie mal richtig drüberziehen" oder sie "richtig durchzuficken". Der Effekt sind Lacher, die Kriegenburg eigentlich nicht nötig hat, verfügt der Bühnenmagier doch über genügend bildnerische Kraft, das Publikum in den Bann zu schlagen. Dem Regisseur sei zugestanden, dass er gegen den Hebbelschen Text rebelliert. Doch ob diese Einfügungen tauglich sind, bleibt fraglich, sind sie doch kaum mehr als ein Kniefall vor der Spaßgesellschaft und somit Opportunismus. In mindestens zwei Szenen wird deutlich, welche Kraft dem Hebbelschen Text innewohnt. Eine herausragende Szene konnte das Publikum erleben, als Hagen Tronje (Hans Kremer) Kriemhild das Geheimnis der Verwundbarkeit abrang. Mit sehr leisen und intensiven emotionalen Tönen erlebte der Zuschauer eine Wendung im Stück, die schaudern machte, denn sie läutete die Tötung Siegfrieds ein. Als Kriemhild, sieben Jahre nach dem Tod ihres Gatten von der Werbung Etzels (Stefan Merki) erfuhr, leuchtete Hebbels Sprachkraft dank der exzessiven Gestaltung durch Wiebke Puls noch einmal auf. Doch kam es auch hier leider zur Interruption in bereits beschriebener Manier. Gunther (Bernd Grawert) sprach: "So, nu komm mal wieder runter".
Als grandios kann nur bezeichnet werden, was sich im ersten Auftritt von Brunhild (Julia Jentsch) und Frigga (Annette Paulmann) auf Isenland abspielte. Andreas Kriegenburg ließ beide den Text in onomatopoetischem Sprachgemisch vortragen und es klang wie zauberhaftes Vogelzwitschern. Allerdings muss ebenso angemerkt werden, dass sich seine theatralischen Mittel in vielen Inszenierungen wiederholen. Er multipliziert z.B. gern Figuren. So trat Siegfried im ersten Teil im Dutzend auf und im Publikum machten sich sofort Bedenken wegen des Textverständnisses breit. Die Furcht war unbegründet, denn der Auftritt blieb einmalig. Ein weiteres beliebtes Mittel des Regisseurs ist die Formierung des Ensembles zu Perkussionsgruppen. In dieser Inszenierung waren sie gleich zwei Mal zu erleben. Und, wer andere Inszenierungen von der Hand Kriegenburgs kennt, wartet geradezu darauf, dass einer oder mehrere Darsteller plötzlich an den Wänden entlang rennen und sie anspringen. Mila Dargies als Gudrun, Tochter Rüdegers (Walter Hess), erlöste Wartende. Die inzwischen obligatorische Travestie, Siegfried in Frauenkleidern, durfte ebenso wenig fehlen. Musikalisch sparte der Regisseur kaum etwas aus, eingespielt wurde der Soundtrack von DJ Volker (Paul Herwig). Von Kitsch bis Kult war alles dabei, wobei für letzteres Rammstein steht, eine Mecklenburgischen Band, auf die selbst Kultregisseur David Lynch bereits zurückgriff. Unterm Strich hätte man sagen können, eine unterhaltsame, bunte, gelegentlich zappelige Inszenierung mit einigen derben Witzen, wenn da nicht der dritte Teil (Kriemhilds Rache) gewesen wäre, der die Inszenierung doch noch zu einem Ereignis wachsen ließ. Auf der nackten Bühne verblieb nur noch die Zwischendecke, gleichsam der Festsaal, in dem die Nibelungen ihr blutiges Ende erleiden. Ohne Beiwerk erlebte der Zuschauer in rasantem Tempo den Niedergang eines ganzen Geschlechts. Die Figuren agierten direkt, reduziert auf das Wort, das plötzlich bleierne Schwere bekam. Die Charaktere entblößten sich auf ihre Gefühls- und Gedankenwelt und dem Zuschauer wurde endlich zugestanden, ohne Ablenkung die Katastrophe vor dem eigenen imaginären Auge zu sehen. Die wenigen Mittel waren einfach und deutlich. Die Ritter erschienen, in kaltes Licht getaucht, in Wehrmachtsmänteln. So schlug, was vorher heiter blödelnd denunziert wurde, als ein Bild aus der Vergangenheit, das die Geschichte den Deutschen eingebrannt hat, zurück. Endlich machte die Saga Sinn.
Wenn es einen tauglichen Spielansatz für dieses zu Recht verkannte Nationaldrama gibt, dann den, dass wir uns darauf besinnen, welche unselige Rolle es in den Ideologien vergangener Zeiten spielte. Wenn es als Vehikel dienten konnte, Teile deutscher Geschichte auf blutige Weise zu gestalten, dann sollte es geeignet sein, deutsche Geschichte zu erklären.
Um die Leistung des großartigen Ensembles zu würdigen, sollen drei Darsteller stellvertretend genannt werden. Wiebke Puls hatte als Kriemhild wohl die größte Aufgabe zu bewältigen. Sie entwickelte die Gestalt Kriemhilds überaus glaubhaft vom unbedarften Mädchen hin zur fanatischen Massenmörderin. Ihr Spektrum schien dabei unerschöpflich zu sein. Hans Kremers Hagen lebte hingegen weniger von der emotionalen Vielschichtigkeit eines Charakters, als vielmehr von der Überzeugungskraft seiner "realpolitischen" Argumente im Zusammenspiel. Obgleich stets aus der zweiten Reihe agierend, vermochte es Kremer, den Zuschauer deutlich von der Omnipräsenz Hagens zu überzeugen. Und last but not least soll Walter Hess genannt werden, der seinen großen Auftritt in "Kriemhilds Rache" hatte. Er führte den Zuschauern das Martyrium eines Vaters markerschütternd vor Augen, der seine Tochter und seinen Schwiegersohn in den Tod schicken muss.
Abschließend soll noch auf den Dichter verwiesen werden, der das Werk aus einer Haltung heraus schuf, die durchaus kleinbürgerliche Züge trug. Hebbel konnte sich vom grausamen Elend seiner ersten dreißig Lebensjahre nie wirklich befreien. So ist die Einschätzung Alfred Kerrs nicht von der Hand zu weisen, der meinte: " Hebbel empfindet ein verborgenes Glück über das Unglück auf Erden. Eine tragische Schadenfreude. Eine Wonne über Das, was er als Frevel missbilligt ... Hebbels Dichtungen sind unsterblich; seine Lehren unmöglich."
Wolf Banitzki
Die Nibelungen
von Friedrich Hebbel
Wiebke Puls, Hans Kremer, Christoph Luser, Bernd Grawert, René Dumont, Paul Herwig, Stefan Merki, Sebastian Weber, Oliver Mallison, Hildegard Schmahl, Julia Jentsch, Annette Paulmann, Walter Hess, u.a.
Regie/Bühnenbild: Andreas Kriegenburg |
Kammerspiele Hamlet von W. Shakespeare
Hamlet als sinnstiftende Nebenrolle
"Elsinore ist überall" behauptet die Inszenierung des "Hamlet" an den Münchner Kammerspielen und so ist der Name des Potentaten und Politmörders Claudius nur ein Pseudonym hinter dem sich George W. Bush verbirgt. Damit hat Regisseur Lars-Ole Walburg eine Prämisse gesetzt, die durchaus annehmbar ist, das Publikum aber per se spaltet, wie einige (wenige) Abgänge während der Pause bewiesen. Doch das Stück heißt "Hamlet" und nicht "Claudius". Dies ignorierend, verschob die Inszenierung die Prioritäten zugunsten der Politik, weg vom Schicksal des gedankenschweren und handlungsarmen Prinzen, der vornehmlich eine katalysatorische Funktion übernahm. Auch das macht mehr Sinn als der Versuch, den zahllosen Hamletdeutungen eine weitere hinzuzufügen. Schrieb doch schon T.S. Eliot, den gordischen Knoten dieses Problems zerschlagend: "Wir müssten etwas verstehen, was Shakespeare selber nicht verstand." Eliot bezeichnete den Hamlet als künstlerischen Fehlschlag, was durchaus darin begründet liegen mag, dass der Dichter einen aktuellen politischen Vorgang, nämlich die Hinrichtung des Grafen von Essex 1601 wegen Verschwörung, und die Ethik Montaignes, in dessen Bann sich der Dramaturg des Globe-Theaters befand, verschmelzen wollte.
Dass Shakespeares Stücke sich für derartige Experimente eignen, ist mit dieser Inszenierung einmal mehr bewiesen und hätte wohl seine Zustimmung gefunden. Brecht, der in seiner ausgeprägten Eitelkeit immerhin Shakespeares Größe anerkannte, bemerkte einmal sinngemäß, dass man mit Politikern einfach reden müsse, damit sie einen verstehen. Walburgs dokumentarische Aufklärungsarbeit und das hinlänglich bekannte Treiben von Herrn Bush unterstreicht zumindest die Einsicht, das Politik, hier hemmungsloses Machtstreben, ein primitiver und blutiger Vorgang ist, der schaudern macht. So versucht der Regisseur erst gar nicht, Hamlet endgültig zu erklären und richtet seinen Focus auf das investigative Beziehungsgeflecht zwischen Machern, Opportunisten und Opfern. Hamlet wird zur sinnstiftenden Nebenrolle. Aus dem Stück wird ein Geheimdienstthriller.
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Wolfgang Pregler, Christoph Luser
© Andreas Pohlmann
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Um der ganzen Geschichte unter diesem Aspekt eine starke Stringenz zu verleihen, verzichtete Regisseur Walburg auf gut 50 Prozent der von Shakespeare vorgegebenen Rollen. Das Intrigante der Geschichte trat so in den Vordergrund und die Katastrophe nahm beinahe ungehemmt ihren Lauf. Der dänische Prinz treibt durch seinen vermeintlichen Wahnsinn, der sich für alle Beteiligten schnell zur Bedrohung auswächst, zum Handeln. Es gilt, den Brudermord und den illegitimen Machtwechsel zu verschleiern. Doch die Lawine rollt und die Ultima Ratio, der Tod Hamlets, wird zwingend. Am Ende bleibt nur Hamlets Freund Horatio mit dem Auftrag zurück, die Wahrheit zu verbreiten. Dieser hat nicht nur das letzte, sondern auch das erste Wort und so führt Sebastian Weber als Horatio in einem Prolog, sehr eindringlich als Understatement eines Nachdenkenden, in die heutige politische (Welt-) Situation ein.
Die Geschichte gewinnt Dank der Darstellung Christoph Lusers als Hamlet schnell an Fahrt. Luser gibt einen jungen kraftvollen Mann, der in seiner körperlichen Präsenz und seinem Sprachgestus auf erstaunliche Weise die innere Zerrissenheit des Charakters Hamlets überwindet und eine ganzheitliche glaubhafte Figur schafft. Unter den Realpolitikern stach besonders Polonius hervor, der von Jean-Pierre Cornu in hohem Maße korrekt und verbeamtet daher kam. Seine spießige, in der Intelligenz der Dummheit so gefährliche, weil von hypertrophen Selbstbewusstsein getragene Weltsicht war bedrückend und gleichsam komisch.
In der Übersetzung von Wolfgang Swaczynna oder in der Strichfassung von Dramaturgin Marion Hirte blieb eine Rolle deutlich auf der Strecke, nämlich die der Königin Gertrud. Ulrike Krumbiegel hatte nur wenig Gelegenheit, ihre Schauspielkunst bemerkenswert einzubringen. Wolfgang Preglers Claudius war so authentisch, dass er als "Mann ohne Eigenschaften" dem Bild des heutigen Politikers in erheblichem Maße entsprach.
Die Regie von Walburg war für Überraschungen gut. So bewältigte er die 5. Szene im ersten Akt (Auftritt des Geistes), die heutigentags nicht selten zur Peinlichkeit gerinnt, mit Bravour. Hamlet und Horatio lümmelten vor dem Fernseher und lauschten der (Synchron-) Stimme Robert de Niros in "Taxidriver", der gerade darüber theoretisierte, wie man den Augiasstall ausmisten könnte, als sich Hamlets Vater unvermittelt mit derselben Stimme via TV an ihn wendete. Überraschend war auch die Szene zwischen Polonius und seiner Tochter Ophelia, berückend als kindlich Verliebte und berührend als verlassene Wahnsinnige von Katharina Schubert verkörpert. Der Vater nagelte seine Tochter mit einem Tacker an die Wand, kreuzigte sie, um ihre Unschuld zu bewahren. Alles dies geschah in einem (ästhetisch) gewöhnungsbedürftigen Bühnenbild von Barbara Ehnes. Ihr Palast in Elsinore war eine konzeptionell sinnvolle Mischung aus einem Sechs-Sterne-Hotel in Dubai, dem schlechten Geschmack eines Texaners englischer Abkunft und der Karl-May-Villa "Old Shatterhand". Die Möglichkeiten, durch Drehung von Wänden zusätzliche Räume zu schaffen und Umbauten unnötig zu machen, waren mehr als gelungen.
Diese Inszenierung wird Freunde und Feinde finden. Ihre Politiklastigkeit wird die Shakespeareliebhaber auf den Plan rufen, die die hehre Kunst anbeten und nach dem altbekannten Text von Schlegel und Tieck verlangen. Sie haben nicht ganz Unrecht, denn immerhin hat diese Arbeit ihre Schönheitsfehler. Die Brüche, die entstanden, wenn Walburg seinen Schauspielern Raum gab, mit eigenen (Alltags-) Worten Kommentare zur Geschichte zu erzählen, die dann auch schon mal in Blödelei umschlagen, dienen der Sache nicht. Hier handelt es sich um ein Indiz für das Unvermögen zur Kunstsprache, die das Theater von der Realität abhebt. Und es erinnert an Frank Castorf (Volksbühne Berlin), der auf diese Weise seine Akteure aus den Zwängen der Schauspielkunst befreien möchte, letztlich aber nur die Schauspielkunst ohne wirklichen Ersatz abschafft.
Befragen wir Shakespeare noch einmal. Der plädierte vehement für einen Zeitbezug und leistete nicht selten das, was heute die Zeitungen leisten müssten und nicht zur Genüge tun. Vielleicht verhalf diese Inszenierung Herrn Markwort (Focus), der ebenfalls die Premiere besuchte, zu ähnlichen Einsichten. Denn Fakten, Fakten, Fakten sind nur Fakten, Fakten, Fakten. Walburg erreicht doch immerhin die emotionale Intelligenz der Zuschauer, denn bei ihm ging es um Menschen, Menschen, Menschen.
Und noch etwas leistet diese Inszenierung. Sie hat, was uns die Bundesregierung in dieser Deutlichkeit schuldig geblieben ist, formuliert, dass der Irakkrieg ein völkerrechtswidriger ist und ihre Veranstalter gefährliche Demagogen und Terroristen sind.
Wolf Banitzki
Hamlet
von W. Shakespeare
Wolfgang Pregler, Ulrike Krumbiegel, Christoph Luser, Sebastian Weber, Jean-Pierre Cornu, Oliver Mallison, Katharina Schubert, Stefan Merki, René Dumont Sprecher: Christian Brückner, Caroline Ebner, Jochen Striebeck
Regie: Lars-Ole Walburg |