Kammerspiele Alpsegen von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel


 

 

Düster klang es vom Berg herunter

Schweres Wetter geht um und mit ihm dunkle Gestalten, kriechend, robbend, hinschlagend, brabbelnd, betend. Der Alpsegen wird eingeholt zum Schutz vor den Sagenhaften, auch den Auswärtigen, die selten Gutes bringen. Nein, in Bayern ist man nicht religiös; man ist katholisch. Nebenher auch okkult, um das Grauenhafte abzuwehren. Aber die Welt dreht sich und damit das so bleibt, stellt man immer auch einen Stuhl für den Heiland an den Tisch.

Ein Mann steigt ab im Gasthof, ein Ehemann namens Curd. In seiner Begleitung der junge Italiener Flavio. Curd ist ein Perverser, zumindest glaubt er das. Die Bayern wissen es natürlich. Max, Curds Sohn, wurde von der Mutter Evi hinterher geschickt, um den abtrünnigen Vater und Ehemann eine unmissverständliche Botschaft zu überbringen. Max, der von der Stadt München beeindruckt und überfordert ist, lernt in einem Museum Cecilia kennen. Zarte Bande werden geknüpft. Max, nun im Banne der Schönheit, hört irgendwann auf, den Vater zu suchen. Allerdings ist er auch von Cecilia und deren Vater überfordert, und entschließt sich, in die Isar zu gehen. Curd kehrt unverrichteter Dinge (gemeint ist der gleichgeschlechtliche Akt mit Flavio) an den heimischen Herd zurück. Ein Perverser hatte ihn verführen wollen. Er widerstand.

Soweit die Handlung des Erzählstücks von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel. Die Geschichte hat allerdings einen anderen Hintergrund, der sich entlang des Handlungsfadens entspinnt. Sie kündet von der Welt der Sagenhaften. Der fahle Gimpel, die Mondhelle, die feurigen Männer, die Wäscherin an der Furt und so weiter, und so weiter ... entfesseln eine okkulten Reigen, der Düsternis und schlimme Verheißung über das Spiel breitet. Feridun Zaimoglu hat sie alle zusammengeführt, die Mächte des Sagenhaften und lässt sie eingreifen in die rationalen Vorgänge. Sie treiben die Menschen an den Rand des Wahnsinns, manchen auch darüber hinaus.

 
Muriel Gerstner Bühne glich einem dunklen Kabinett, wandelbar durch wenige Requisiten, einem Puppentheater gleich mit düsteren Vorhängen als Begrenzung. Darauf waren auch schon mal Fledermäuse auszumachen. Die erste Szene war ein Wirtshausszene, in der ein Gast, urkomisch von Michael Tregor gespielt, bayerische Leibspeisen aufzählte. Die Wirtin, eine kraftvoll klagende Gundi Ellert, hatte indes den Feind ausgemacht: Den Gast, der selbst noch Pfeffer- und Salzstreuer mitgehen lässt, nachdem er ewig seinen Schnaps nicht austrinkt. Dann betrat Curd die Szenerie. Jochen Noch gab einen verklemmten, von inneren Qualen gepeinigten Städter vor dem coming out. Ja, der führte nichts Gutes im Schilde, ein echter Perverser, soviel war klar. Dann reiste Flavio an und beide bezogen ihr Doppelzimmer. Jetzt ging es zur Sache, auch wenn es nicht dazu kam. Kristof Van Boven machte als Flavio keinen Hehl aus seiner Homosexualität und brachte seinen Lover Curd (und wohl auch einen Teil des Publikums) schwanzwedelnd in arge Bedrängnis. Indes kam Max in München an. Benny Claessens, figürlich ein Schwergewicht, der seine Körperfülle in kindische Komik verwandelte, wirkte unentwegt eingeschüchtert, nicht zuletzt, da ihm Mutter Elvira als Telefonstimme peinlich nachstellte. In Cecilia erlag er den Verlockungen der Großstadt. Wiebke Puls spielte engagiert, bekam aber von der Regie zu wenige Vorgaben, um, wie man es von ihr gewohnt ist, zu ganz großer Form aufzulaufen. Sie blieb eine Nebenrolle, ähnlich wie Michael Tregor, der allerdings durch sein Spiel im Gedächtnis blieb. Sämtliche Darsteller agierten in verschiedensten Szenen als Sagengestalten, derb bayerisch, gruselig oder auch nur schräg. Es bedurfte profunder Kenntnis der bayerischen Sagenwelt, um hinter jedes Zitat des Autors steigen zu können. Der letzte Eindruck war dann doch ein bedrohlicher.

Regisseur Sebastian Nübling startete sein Inszenierung mit furioser (auch denunzierender) Komik. Doch es dauerte nicht lange, und die Geschichte wurde breit und breiter, was zwangsläufig auch zu Längen führte. Am Ende war es beinahe peinlich, wenn Max (Benny Claessens) mit den Armen rudernd, slapstickartige, sich wiederholende Abläufe zelebrierte, die von darstellerischer Ratlosigkeit zeugten. So starb denn auch die Lust am Betrachten und nach 135 Minuten waren Teile des Publikums mehr erlöst als hingebungsvoll begeistert. Die Autoren Feridun Zaimoglu und Günter Senkel hatten schlichtweg zuviel gewollt und Sebastian Nübling hatte dem überbordenden Erzähltext nicht Einhalt geboten. Weniger wäre hier mehr gewesen. Die Kostüme von Eva-Maria Bauer, eingangs überraschend, verloren mit der Zeit ihren Reiz und entsprachen in ihrer blaustrümpfig-schwarzen Uniformität leider der Tristesse, die sich mit der okkulten Überfrachtung breit machte. Die Lederhosen und Hirschgeweihe reichten zur Rettung nicht aus. Auch dem wunderbare Tubaspiel von Peter Laib glückte dies nicht, selbst wenn er das Instrument wie ein Dingeridoo blies.

Der gebürtige Türke Feridun Zaimoglu, der in München-Moosach aufwuchs, macht keinen Hehl aus seiner tiefen Liebe zu Bayern, München und dem Bayerischen, selbst dann nicht, wenn sich München als ein Tummelplatz für Touristen entpuppt. Allerdings zeichnete er ein Bild vom Land, das an ein Feen- und Trollenreich erinnert, deren mythische Bewohner allerdings eher Cretins gleichen. Den Eingeborenen gilt es mit Vorsicht zu begegnen! Dass er damit nicht ganz unrichtig liegt, weiß jeder, der nächtens schon mal ein oberbayerisches Gasthaus (insbesondere an katholischen Feiertagen) besucht hat. Es ist ein durchaus ansprechender Versuch, in die bayerische Seele vorzudringen, die immer noch ein wenig zusammenzuckt, wenn es düster vom Berg herabklingt. Sebastina Nübling gelang es jedoch nicht hinreichend, das Schauspiel mit dem Text zu einem in sich geschlossenen Gesamtkunstwerk zu verschmelzen.

 
Wolf Banitzki

 

 


Alpsegen

von Feridun Zaimoglu und Günter Senkel

Benny Claessens, Gundi Ellert, Tim Erny, Peter Laib, Jochen Noch, Wiebke Puls, Michael Tregor, Kristof Van Boven

Regie: Sebastian Nübling

Kammerspiele Ludwig II nach dem Film von Luchino Visconti


 

 

Solo für einen Irren

Ludwig II hielt es unbedingt für notwendig, „in Deutschland das Banner der heiligen, reinen Kunst aufzupflanzen, dass es auf hoher Zinne weiterhin weht in der Gaue und die deutsche Jugend auffordere, sich kampfbereit darum zu schaaren.“ Diese Worte schrieb er an den Komponisten Richard Wagner, um ihn gleichsam seiner Unterstützung zu versichern. Wagner erwiderte darauf: „Diese Thränen himmlischer Rührung sende ich Ihnen, um Ihnen zu sagen, dass nun die Wunder der Poesie wie eine göttliche Wirklichkeit in mein armes, liebebedürftiges Leben getreten sind!“ Zwei Künstlerseelen haben sich engelgleich berührt. Die eine trieb es in den Wahnsinn, der anderen bescherte es viele, viele runde Taler.

Visconti setzte dem bayerischen König Ludwig II mit seinem gleichnamigen Film ein Denkmal als eine Persönlichkeit, die an dem künstlerischen Anspruch, den er gleichsam für alle Untertanen erhob, und seiner Berufung zum König zerbrach. ... Und das soll die Wahrheit sein? Wer meint, Ludwig sei ein potenzieller Künstler gewesen, dem sei gesagt, dass Wagner ihn für gutmütig, aber keinesfalls für musikalisch hielt. Nach Wagners Tristanpremiere am 10. Juni 1865 schrieb er dem Komponisten: „Einziger! Heiliger! Wie wonnevoll! – Vollkommen. So angegriffen von Entzücken! - ... Ertrinken ... versinken – höchste Lust. – Göttliches Werk! Ewig treu – bis über den Tod hinaus!“ (Vivian Green: Macht und Wahn)

König Ludwig war der letzte (blaublütige) Monarch Europas in der Reihe wahnsinniger Herrscher seit dem spätrömischen Reich. Er war für das Land Bayern kein Landesherr, sondern eine Katastrophe. Anfang 1884 hatte Ludwig infolge seiner Bauaktivitäten trotz Zuwendungen aus dem preußischen Staatssäckel einen Schuldenberg von siebeneinhalb Millionen Mark aufgetürmt. Ein erstes Ultimatum erging. Das Ergebnis: 1885 hatte er den Schuldenberg fast verdoppelt. In seiner unendlichen Naivität bat er den Herzog von Westminster, den König von Schweden, den türkischen Sultan u.a. um Darlehen. Die waren gesund genug, dieses Ansinnen abzulehnen. Also zog der König (Hört! Hört!) einen Überfall auf die Rothschild-Bank in Frankfurt in Betracht!

Dieser Mann war komplett geistes- und vor allem persönlichkeitsgestört und es ist wahrhaft verwunderlich, dass man es nicht endlich in dieser Konsequenz einsehen will. Der Kult scheint unerschütterlich. Es mag wohl angehen, dass er als Folklore-Ikone herhalten kann, zahlt er doch ohne eigenes Zutun auf diese Weise seine Schulden an die Bayern zurück. Gänzlich unverständlich ist allerdings, dass er als Persönlichkeit in die Nähe der Kunst gerückt wird. Dass Ludwig für die Homosexuellen dieser Welt aus ästhetischen Gründen eine Lichtgestalt ist, Oscar Wilde wäre mir in dieser Rolle lieber, mag ebenso angehen, aber darüber hinaus? Was hat dieser Mann geleistet? Gut, er hat Wagner unterstützt. Nun, der hätte mit Sicherheit einen anderen Deppen gefunden, um sich sein exaltiertes Leben finanzieren zu lassen. Ludwig ging vornehmlich als Erbauer von Schlössern in die Historie ein, die im Kontext der Kulturgeschichte (eine geistige Geschichte) keinerlei Wert haben und lediglich als Kuriositäten durchgehen. Es ist das Scheitern auf ganzer Linie, was dem Verblichenen die Herzen zufliegen lässt, denn er war ein König. Königen darf man so etwas nicht antun. Schon gar nicht darf man Könige in Verzweifelung und in den Tod treiben! Wie lange mag sich dieser romantische Blödsinn wohl noch halten?

Die Kammerspiele haben sich nun, aus mir unerfindlichen Gründen, dieser Figur zugewandt, um den Konflikt zwischen künstlerischem Anspruch und pragmatischem (gesellschaftlichen) Denken aufzuzeigen. Es bedarf viel Fantasie, um einem solchen Ansatz in diesem konkreten Fall zu folgen. So brachte Ivo van Hove eine Szenenfolge aus dem Leben des Königs auf die Bühne, um den Beweis anzutreten, wie schwer es Künstler oder künstlerisch veranlagte oder vermeintlich künstlerisch veranlagte Menschen in einer von der Ökonomie beherrschten Gesellschaft haben.

Jan Versweyveld hatte dafür eine Bühne gebaut, die weiträumig verblieb, schwarze Wände an den Seiten aufwies, auf denen der König sein (Wahn-) Ideen malte, was wie eine Mischung aus Hundertwasser und A.R. Penck aussah. In der Mitte der Bühne war ein Raum mit barockem Interieur platziert, aus dem mit Videokameras auf die Außenwand übertragen wurde. Darin spielten sich die Staatsgeschäfte ab, die Szenen, in denen unmutiger, angewiderter Ludwig als König agierte. Nebenbei, das tat er im realen Leben höchst selten. Außerhalb dieses Raumes erlebte das Publikum den König privat, seine Vertraulichkeiten mit Cousine Sissi, seinen Querelen mit Staatsbeamten, Amouren mit Stallburschen und seine (homoerotisch anmutenden) Kotaus vor Wagner.

Jeroen Willems spielte den König wahrhaft somnambul. Stets in sich gekehrt, mit aufgerissenen Augen und nervösen Fluchtreflexen, spiegelte er einen hochsensiblen, weltverachtenden, sichtlich leidenden Monarchen. In dieser Haltung war weder Kritik an der Figur, noch beförderte es den Realitätssinn. Vielmehr erregte er ständig unterschwelliges Mitleid, was wohl der Grundhaltung aller Ludwig-Verehrer entspricht. Schön anzuschauen war Brigitte Hobmeier als Kaiserin Sissi mit langem rotgelockten Haar und einem gekonnten Spagat. Ihr resolutes Auftreten verhinderte zumindest ein platt-kitschiges Bild von der Liebe zwischen Cousine und Cousin. Edmund Telgenkämper donnerte engagiert und nicht ohne Wirkung in der Rolle des Grafen Dürckheim stiefelknallend seine Sympathie und seine Loyalität für den Monarchen heraus. Zuletzt versuchte er den geistig schon abwesenden Herrscher mit tränenerstickter Stimme vor der Erniedrigung durch Absetzung und Inhaftierung zu schützen: „... Wir könnten versuchen, nach Tirol zu gelangen, ...“ Ludwig: „Mir ist nicht nach reisen zumute. Und außerdem – was mach ich denn in Tirol?“ Respekt vor der Leistung, dabei ernst geblieben zu sein. Doch der Graf von Holnstein hatte alles geregelt. Stephan Bissmeier gab den Vollstrecker des Regierungswillens. In seiner gedämpften und überlegten Art erspielte er gegen alle monarchistische Gesinnung einige Sympathien für die Exekutive. Einzig Wolfgang Pregler ließ wirklich aufhorchen. Seine Darstellung Richard Wagners als einen arroganten, selbstverliebten, anmaßenden, unaufrichtigen und schlitzohrigen Schnorrer, der an seiner Genialität keinen Zweifel ließ, war, obgleich sehr eindimensional,  erfrischend und zweifellos ein Affront gegen alle Wagnerianer, von denen übrigens Nietzsche meinte, dass sie das Werk Wagners hinlänglich ruiniert hätten.

Man musste vermutlich Ludwig-Jünger und vielleicht sogar Wagnerianer sein, um den Abend als spannend, unterhaltend oder gar als provokativ empfunden zu haben. Tatsächlich wurden in diesem Solo für einen Irren keine neuen Einsichten vermittelt. Das Vorhaben, oben genannten Konflikt zu erläutern und gegebenenfalls Erkenntnisse daraus zu ziehen, scheiterte gründlich. Es drängt sich vielmehr der Verdacht auf, dass die Macher mit diesem Thema einen Lockruf an das Publikum Münchens und Bayerns richteten, um einen Besucheransturm zu entfesseln. Man wird sehen, ob es funktioniert.
Zuletzt noch ein Wort von Woody Allen, also von einem Andersdenkenden zum Thema Wagner und seine Musik: „Wenn ich Musik von Wagner höre, verspüre ich augenblicklich den Drang, in Polen einzumarschieren.“ So kann man es auch sehen.

 

Wolf Banitzki

 

 

 


Ludwig II

nach dem Film von Luchino Visconti


Silke Avenhaus, Marc Benjamin, Stephan Bissmeier, Peter Brombacher, Katharina Hackhausen, Brigitte Hobmeier, Sylvana Krappatsch, Oliver Mallison, Wolfgang Pregler, Steven Scharf, Edmund Telgenkämper, Jeroen Willems

Regie: Ivo van Hove

Kammerspiele Alles nur der Liebe wegen von Andreas Kriegenburg


 

 

Die unerträgliche Traurigkeit der Liebe
 
Was könnte dabei herauskommen, wenn sich ein begnadeter Regisseur und acht hochkarätige Schauspieler ohne einen vorgefertigten Text auf eine Bühne begeben, und spielerisch über das Thema Liebe, das Thema schlechthin, nachdenken? In jedem Fall werden die Erfahrungen von neun Menschen einfließen, was schon mal ein Vorzug gegenüber einer einigen „letzten“ Ansicht zum Thema ist, denn eins ist sicher: Zu diesem Thema kann es keine „letzten“ Ansichten geben. Sicher ist auch, dass sich das Verhältnis des Menschen zum Thema Liebe unter jedem neuen gesellschaftlichen Vorzeichen wandelt. So kann das Ergebnis, wie es auf der Bühne der Kammerspiele in Augenschein genommen werden kann, nur ein temporäres sein. Es ist, obgleich sicherlich nicht repräsentativ, erschütternd und anrührend zugleich, denn zur gelebten und erfüllten Liebe kommt es nicht. Es gibt unendlich viel Gründe, die dagegen sprechen.
 
Andreas Kriegenburg strukturierte den Abend in drei thematische Blöcke: Der erste Teil behandelte die Liebe als ein (wenig) probates Mittel gegen die Einsamkeit. Der zweite Teil untersuchte die Liebe als Möglichkeit, die Einsamkeit mit einem Partner zu teilen, und im dritten Teil beschrieben die Schauspieler Situationen ohne erfüllende Liebe und die daraus resultierenden Ergebnisse: Destruktion und Gewalt. Regisseur Kriegenburg erfand für die Darstellung eine ebenso einfache wie geniale Lösung zur Sichtbarmachung (oder besser Hörbarmachung) innerer Vorgänge. Stefan Merki agierte als Gedankenleser. Wann immer er sich einer der Personen zuneigte, wurden deren innerste Beweggründe und Gedanken für die Zuschauer vernehmlich. Der Rest, eine wahre Augenweide, waren Haltungen, Bewegungen und mimische Ausdrücke.
 
Es war eine poetische Abrechnung mit der erbärmlichen Unfähigkeit des Menschen, das vielleicht natürlichste und wunderbarsten Gefühl, welches dem Menschen gegebenen ist, lebbar zu machen. Nur wenige Szenen entbehrten aufgrund der Überzeichnungen einer zwingenden Komik. Gerade diese Komik zeigte das Licht am Ende des Tunnels, denn eigentlich gäbe das Wissen um die eigene Unzulänglichkeit jedem Menschen alles an die Hand, um den Missstand zu beenden. Und dennoch kann man sich erfahrungsgemäß darauf verlassen, dass das Desaster unverändert weiter existiert. Das hängt nicht zuletzt auch mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten zusammen. Wir leben in einer Gesellschaft, in der das Haben, das Sichaneignen, der illusionäre Besitz von Liebe alle zwischenmenschlichen Beziehungen beherrscht. Dabei funktioniert Liebe nur als ein Sichverschenken, um zu stimulieren und so in positivem Sinn zu sein. Erich Fromm ging sogar noch einen Schritt weiter und meinte: „Was als Liebe bezeichnet wird, ist meist ein Missbrauch des Wortes, um zu verschleiern, dass in Wirklichkeit nicht geliebt wird.“ (Haben oder Sein)
 
Andreas Kriegenburgs Inszenierung bestärkte diese radikal auf den Punkt gebrachte Ansicht Fromms, denn in jeder Szene wurde der egomanische Ansatz der vermeintlich liebenden, der sich nach Liebe sehnenden oder der um Liebe buhlenden Personen deutlich. Es entstand ein trauriges, ein desillusionierendes Bild zum Thema Liebe, dass bei aller Unvollkommenheit doch immerhin zum Nachdenken und zur Selbstreflexion anregte. Da aber das Thema im Theater abgehandelt wurde, hatte es zugleich einen unterhaltenden und eine ästhetischen Wert, der den Abend in jedem Fall rechtfertigte.
 
Das Bühnenbild, ebenfalls von A. Kriegenburg, bestand aus einem Saal mit Säulen und rosafarbenem Marmorwänden, der das Foyer eines aus dem 19. Jahrhundert stammenden Theaters oder eines Museums sein könnte. Er fungierte im Verlauf der Handlung, die keine durchgängige war, auch als Tanzhalle. In seiner Unbestimmtheit ließ der Raum alles zu und beeinträchtigte nichts. Der Reigen menschlicher Verhaltensweisen war angefüllt mit erstaunlichen, erschreckenden, aber auch bezaubernden szenischen Einfällen, die an dieser Stelle nicht beschrieben werden sollen, da sich das Anschauen unbedingt lohnt.
 
Die Darsteller, die durchweg brillant agierten, nahmen dabei sehr natürliche, aber auch grotesk überzeichnete Haltungen ein, ohne dabei nur ein einziges Mal unglaubhaft zu werden. Weder ordinär-brutale noch sensibel-sehnsuchtsvolle Szenen wurden ausgespart. Das Mosaik um das Thema schien vollkommen zu sein. Einzig glückliche Augenblicke fanden nicht statt und das hatte einen guten Grund. Liebe ist eine Illusion. Allein das Bemühen darum hatte große poetischen Momente. Sowohl die Musikauswahl, als auch die lyrischen Einsprengsel schafften Hoffnung, das wohl Einzige, was uns bei allen Enttäuschungen noch immer sehnsuchtsvoll an die Liebe glauben lässt und es zu allen Zeiten zu einem großen Thema machte und macht.
 
Es war ein ungewöhnlicher Theaterabend, geschuldet auch der Art seiner Entstehung, da Texte und Inhalte im Kollektiv errungen werden mussten. Dabei entstand nichts Zwanghaftes oder Lebensfremdes. Die tatsächliche Qualität lag allerdings in der ästhetischen und komödiantischen Umsetzung, denn letzte Antworten konnte das Bemühen aller Beteiligten nicht erbringen. Und obwohl am Ende eine große unerträgliche Traurigkeit zum Thema Liebe zurückblieb, gab es Momente, in denen man von einer tiefsinnigen Heiterkeit über die (eigenen) menschlichen Unzulänglichkeiten erfasst wurde. Über deren Bewältigung und die eigenen Möglichkeiten dazu muss sich jeder mit sich selbst ins Einvernehmen setzen.
 
 
Wolf Banitzki

 

 


UA Alles nur der Liebe wegen

Ein Projekt von Andreas Kriegenburg

Walter Hess, Sylvana Krappatsch, Lena Lauzemis, Oliver Mallison, Stefan Merki, Annette Paulmann, Wiebke Puls, Edmund Telgenkämper

Regie: Andreas Kriegenburg

Kammerspiele Winterreise von Elfriede Jelinek


 

 

Apocalypse Now

Es ist erstaunlich, wie weit ein Dichter oder Dichterin gelangen kann, wenn er oder sie beinahe ausschließlich über sich selbst, über die eigenen Ängste und psychischen Deformationen fabuliert. Ein kluger Mensch sagte einmal, man muss nur lange genug durchhalten, dann stellt sich die Anerkennung zwangsläufig ein. Thomas Bernhard war so ein Dichter, der neben Durchhaltevermögen auch den unbedingte Willen zum Ruhm hatte. Ist das eine österreichische Tugend? Elfriede Jelinek ist, zumindest was diesen Ansatz anbelangt, Österreicherin. Doch während Thomas Bernhard Weltliteratur schuf, produziert Frau Jelinek vornehmlich Psychogramme über sich selbst. Wie Bernhard auch, stellt Elfriede Jelinek die Welt radikal infrage. Der Unterschied zwischen beiden besteht allerdings darin, dass der Eremit Bernhard nie aus der Welt gefallen war. Frau Jelinek ist es schon lange, und so müssen ihre Werke gelesen werden wie die Darstellung eines Kosmos, der so und nur so im Kopf der Dichterin existiert. Das hat zumindest großen Einfluss auf die Realitätsverbindlichkeit ihrer Werke.

Regisseur Johan Simons ließ in dem Interview mit dem Titel (Die) „existenzielle Erfahrung der Endlichkeit“ keinen Zweifel daran, dass der Text überaus persönlich ist. Doch welcher Text der Nobelpreisträgerin ist das nicht? Inspiratorischer Quell war die gleichnamige „Winterreise“ von Schubert/Müller. Die einfach-genialen Texte von Wilhelm Müller verführen, getragen von der kongenialen Musik Schuberts, geradezu zum Weiterdenken, zum Zuende-Denken. Jeder Müllersche Text für sich ist ein Universum, ein Artefakt für Identifikation.

Am Ende hatte Elfriede Jelinek kein Theaterstück geschaffen, sondern lebendige Bilder, die getrost gegeneinander verschoben werden können, weil sie nicht zwingend im Zusammenhang zueinander stehen. Da bedurfte es schon einer komplexen, einer forschenden Regie. Johan Simons besitzt die Fähigkeit zum tiefen Loten. Doch letztlich müssen die Mitglieder des Ensembles nicht als Rollenträger, sondern als Nachdenker mit menschlichen Eigenschaften und –arten begriffen werden.

„Fremd bin ich eingezogen, Fremd zieh' ich wieder aus.“ Die ersten Zeilen der Winterreise könnten durchaus als Motto des Abends herhalten. So philosophiert Stefan Hunstein über die Unmöglichkeit, in der Realität zu sein, denn kaum ist man angekommen, ist es schon wieder vorbei. Realität ist etwas unhaltbares, denn Zeit ist etwas unhaltbares. Johan Simons schuf sich für den apokalyptischen Reigen, anders stellen sich die Aussagen von Frau Jelinek nicht dar, selbst das Bühnenbild. Gespielt wurde vor dem Eisernen Vorhang. Die Vorderbühne, in den Zuschauerraum ragend, war mit groben Bohlen ausgelegt, und so kam die Gesellschaft in der zweiten Szene, von einem argen Schneesturm gebeutelt, in einer vermeintlichen Skihütte an. Dort wurde eine Hochzeit zelebriert. „Das Mädchen sprach von Liebe,/ Die Mutter gar von Eh' –/ Nun ist die Welt so trübe,/ Der Weg gehüllt in Schnee.“ So Wilhelm Müller.
Bei Elfriede Jelinek wird die Hochzeit zu einem Bankgeschäft, in der der Bräutigam ein bedauernswerter Hanswurst ist, denn, wer sich mit Banken einlässt, wird erst geschoren und dann fallen gelassen. Aber, es trifft ja gottlob keinen Armen. Benny Claessens Fülligkeit bekommt in seiner Rolle als Braut (hier Stiftung, in dem Man Geld verschwinden lässt) metaphorischen Charakter. Er ist die, im wahrsten Sinn des Wortes, schrille Verkörperung neoliberalen Unwesens.

Familie ist ein weiteres weites Feld, und da kann Frau Jelinek aus dem Nähkästchen plaudern. Christof Van Boven faszinierte als Kind durch präzise choreografierte Bewegungsabläufe, kindliche Gestik und nervöses Gehetztsein. Als das Kind stirbt, besteht die Nachlassverwaltung in hasserfüllten Attitüden über den Anspruch auf Öffentlichkeit. Hildgard Schmahl und Wiebke Puls ereifern sich weitschweifig und nicht selten unsinnig über die Nichtigkeit des Todes, der Aufmerksamkeit heischt. Nein, den Lebenden sollte Öffentlichkeit gebühren, denn sie haben sich vor langer Zeit immerhin schon in der Rinde des „Lindenbaums“ verewigt. Neidisches Gezeter ersetzt Lebensleistung.

Und um den Reigen apokalyptischer Schlaglichter, aus denen die Gesellschaft ausschließlich zu bestehen scheint, abzurunden, muss auch die Entführungsgeschichte von N. Kampusch herhalten. Rundumschläge sind nun einmal wahllos. Die Post, bei Müller Text Nr. 6, beschreibt in der Spielfassung an den Münchner Kammerspielen das Internet als eine menschliche Falle. Wiebke Puls spreizt sich in Begierde, um letztlich zu konstatieren, dass diese Post kein probates Mittel zur Sozialisation ist.

Nach der Pause vollendete André Jung das Bild von einer unlebbaren Welt als ein Vater, der von seiner Frau und Tochter in die Psychiatrie abgeschoben wird. Jung startet großartig intensiv und pointenreich in den Monolog. Doch er konnte die Spannung nicht halten, da sich der Text (es handelt sich um einen Verrückten) in überflüssigen Wiederholungen erging und insbesondere gegen Ende hin einige Längen aufwiesen, die die Theaterbesucher auf ihre Uhren schauen ließen. Schade, denn der Abend war ohne Frage sehr sehenswert.

Ungeachtet der Tatsache, dass sich im ganzen Text kein Fünkchen Hoffnung findet, überzeugte die Inszenierung von Simons durch atmosphärische Theatralik und durch das hervorragende Spiel der Darsteller. So fanden sich in der Apokalypse von Frau Jelinek, und als solche sieht sie scheinbar das menschliche Dasein, überaus komische und darum unterhaltsame Momente. Die Sprachartistik der Autorin, eine ihrer ganz wichtigen Tugenden, machte vom ersten Augenblick an neugierig und erzeugten einen Sog, der bis zum Ende des ersten Teils ungebrochen war.

Überragende Wirkung hatte zudem die musikalische Konzeption von Christoph Homberger, Martin Schütz und Jan Czajkowski, der als Pianist ins Spiel einbezogen war. An Schubert orientiert, Schubert zitierend und doch nicht Schubert seiend, war eine Musik entstanden, die das Spiel auf suggestivste Weise unterstrich. Die Klanginstallationen, Naturkatastrophen gleich, erzeugten ein existenzielles Schaudern. Johan Simons verarbeitete hier, wie in den Flutkatastrophenbildern zum Ende des ersten Teils eigene Erfahrungen. Allerdings deutete er, der religiös erzogen worden war, diese bedrohlichen Vorgänge positiv, galten sie ihm doch immerhin als Gottesbeweis. (Die „existenzielle Erfahrung der Endlichkeit“) Sein Verdienst bestand in erster Linie darin, einen zutiefst negativen Text, der keinerlei Hoffnung erlaubt, erträglich zu inszenieren. Für Frau Jelinek scheint die Welt bereits apokalyptisch zu sein. Stellt sich die Frage an die Autorin, war die Welt einmal anders? Und wenn ja, gibt es noch eine Chance auf eine lebenswerte Welt? Entschuldigung, aber diese Frage muss erlaubt sein.

 

Wolf Banitzki

 

 


UA Winterreise

von Elfriede Jelinek

Benny Claessens, Jan Czajkowski, Bendix Dethleffsen, Katja Herbers, Stefan Hunstein, André Jung, Wiebke Puls, Hildegard Schmahl, Kristof Van Boven

Regie: Johan Simons

Kammerspiele Angst nach Stefan Zweig


 

 

Ein Ehebruch mit Folgen

Seinen Essay „Der Kampf mit den Dämonen“ (Hölderlin, Kleist, Nietzsche) widmete Stefan Zweig seinem Freund und Inspirator Sigmund Freund mit den Worten: „... dem eindringenden Geiste, dem anregenden Gestalter...“. Wie Freud hatte sich Zweig der tiefgründigen Vivisektion der menschlichen Seele verschrieben. Er fühlte sich dem großen Psychoanalytiker zutiefst verbunden und definierte sich selbst in sein Bemühen als Illustrator psychologischer Vorgänge. Zu den eindrucksvollsten Arbeiten zählt unbestritten die Novelle „Angst“, geschrieben 1910.

Die Heldin der Geschichte, Irene Wagner, lebt in ereignisloser Ehe mit einem erfolgreichen Juristen. In einem Salon begegnet sie dem Pianisten Eduard, der sich ihr auf unzweideutige Weise nähert. Sie ergibt sich ihm und führt ein Doppelleben. Einmal die Woche besucht sie ihren Geliebten. Dieses Ritual schafft Entspannung und Spannung zugleich, denn, wann immer sie Eduard verlässt, plagt sie das Gewissen. Die Angst vor Entdeckung ist allgegenwärtig. Eines Tages wird sie nach einem Nachmittag in den Armen des Geliebten vor dessen Haus von einer Frau abgefangen. Die beschuldigt Irene, ihr den Freund ausgespannt zu haben. Für den Moment kauft sich Irene mit einem größeren Schein frei. Doch dieser Akt der Erpressung beginnt sich zu wiederholen und die Forderungen der Frau aus einer sozialen Unterschicht werden immer dreister. Irene befindet sich in dem Konflikt, die Wahrheit zu offenbaren und die unhaltbare Situation zu beenden oder weiter mit der Angst vor Entdeckung zu leben. Es ist ihr nicht möglich, die Angst vor dem Verlust ihres bürgerlichen Standes und den damit verbundenen Privilegien zu überwinden. Am Ende nimmt die Verzweifelung überhand und sie beschließt, mittels Gift aus dem Leben zu scheiden. In diese Situation hinein platzt Irenes Ehemann und verhindert den Suizid. Dabei stellt sich heraus, dass die Erpresserin, eine arbeitslose Schauspielerin, vom Ehemann engagiert worden war. Die Erpressung war inszeniert, um Irene zur Wahrheit und zur Rückkehr in die familiäre Beschaulichkeit zu zwingen. Zweigs Umgang mit pathologischen Erscheinungen waren stets von tiefgründiger Dualität geleitet. Er betrachtete das Individuum nie losgelöst aus ihrem sozialen und gesellschaftlichen Umfeld. Das machte seine Literatur so reich und so wirkungsvoll.

Koen Tachelet schuf eine Spielfassung für die Münchner Kammerspiele, die von Jossi Wieler in Szene gesetzt wurde. Tachelets Text, dem eine gute Dramaturgie eigen ist, wurde überwiegend reflexiv erzählend gestaltet. So erfuhren die Zuschauer die Geschichte vornehmlich als szenische Prosa und nur selten als dramatisch erlebte Situationen. Es scheint, als müsse sich der Theatergänger auf diese Art der Dramatik einstellen, denn in München sind mit „Angst“ inzwischen fünf Prosatexte auf der Bühne (Hiob, Hotel Savoy, Kleiner Mann - Was nun?/Kammerspiele, Anna Karenina/Volkstheater). In allen Inszenierungen wurde dabei eines deutlich: Es entsteht kein dramatischer Spannungsbogen, wie man ihn aus einem gutgebauten Theaterstück kennt. Die Grenzüberschreitung hat einen hohen Preis und es bleibt zu hoffen, dass sich der Theatergänger nicht dran gewöhnen muss, weil es den Theatermachern beliebt. Es zeigt aber auch etwas anderes, nämlich, dass es scheinbar keine guten zeitgenössischen Theaterstücke gibt.

 
  angst-ks  
 

Elsie de Brauw, Katja Bürkle

© Arno Declair

 

Anja Rabes hatte Jossi Wieler eine funktionales Bühnenbild entworfen, das nur aus wenigen weißen Wänden mit Aussparungen für Ein- und Ausblicke, für Auf- und Abgänge bestand. Um den häuslichen Innenraum herum waren Lichtbänke im Tetrismuster gruppiert, die für die Schauspieler auch schon mal zum Parcours wurden. Wielers Regiekunst zeichnet sich hauptsächlich durch Verlangsamung der Vorgänge, durch Streckung der Zeit aus, wodurch viel Raum für sensibles Darstellen entsteht. Auch diese, beispielsweise an Jon Fosse Stücken erprobte und überaus wirkungsvolle Spielleitung, geriet wegen der erzählten und berichteten Passagen längst nicht so effektvoll. Einzig der Plot der Geschichte verblüffte und überzeugte, vermutlich jedoch nur die Zuschauer, die die Novelle nicht kannten.


Der Abend sollte Elsie de Brauw gehören. Sie war als Irene durchgängig präsent und agierte mit großem physischen und stimmlichen Einsatz. Gelegentlich trat dabei ihr niederländischer Akzent so deutlich ins Bewusstsein, dass er auch schon mal ablenkte. Was jedoch wirklich störte, war das selbstbewusste und starke Auftreten eine Irene, die in Zweigs Novelle durch ihre Angst zunehmend eingeschüchtert und psychisch zerstört wird. Elsie de Brauw erzählte den Zuschauern zwar, dass Irene unweigerlich auf den Suizid zusteuerte, ihr kraftvolles, laszives, lebensgieriges Spiel untergrub allerdings die Glaubhaftigkeit der inneren Notwendigkeit der Selbsttötung. Der von André Jung dargestellte Ehemann Fritz war dabei in seiner Beschränktheit viel stimmiger. Als Mann des Rechts waren ihm Selbstzweifel nicht eigen. Er zelebrierte die Spießbürgerlichkeit im Denken und im Sein mit entlarvender Selbstverliebtheit. Stefan Hunstein, dessen Rolle als Liebhaber Eduard nur wenig Text hatte, und dessen Figur irgendwann durch die Intrige aus dem Spiel fiel, überzeugte mit Gesten und Mienen der Rat- und Hilflosigkeit. Mehr wurde ihm kaum abverlangt. Katja Bürkle gab sowohl die Erpresserin als auch das Dienstmädchen. Durch die stark divergierende Darstellung beider Rollen bedurfte es mehr als einen zweiten Blick, um die Doppelbesetzung auszumachen. Das sprach für sich.

Ein bemerkenswerter Einfall beim Bühnenbild sorgte für die Sichtbarmachung innerer Vorgänge. Als Irene handlungsbedingt begann, den Boden der Realität unter ihren Füßen zu verlieren, gab auch der Bühnenboden nach, wurde kipplig und versetzte die Darstellerin in ein sichtbares Taumeln.

Alles in allem konnte die Inszenierung an den Münchner Kammerspielen nicht überzeugen. Die theatralische Umsetzung konnte der Wucht und der Intensität der literarischen Vorlage nicht gerecht werden. Zudem fragt man sich, wie relevant das Thema heutigentags noch ist. Längst haben sich Beziehungsmodelle entwickelt, die das Thema Ehebruch und eine daraus resultierende existenzielle Angst zu einer Marginalie des Lebens machen. Es gelang nicht überzeugend, diese Spielart bürgerlicher Bigotterie zu transportieren. Das Lesen der Novelle wäre der eindringlichere Weg gewesen, einen Exkurs über Psyche und Angst zu halten.

 

Wolf Banitzki

 

 


Angst

nach der Novelle von Stefan Zweig in einer Fassung von Koen Tachelet

Katja Bürkle, Elsie de Brauw, Lena Anderle/ Hanna Merki, Stefan Hunstein, Johannes Geller/ Julian Olivi, André Jung

Regie: Jossi Wieler
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