Zentraltheater  Angst essen Seele auf nach Rainer Werner Fassbinder


 

Auf den Punkt gebracht

„Angst essen Seele auf.“, das arabische Sprichwort wird in deutscher Sprache vor allem mit dem Film von Rainer Werner Fassbinder aus dem Jahr 1974 verbunden. Der Titel steht wie kaum ein anderer für die Auseinandersetzung zweier unterschiedlicher Kulturen und die Suche nach dem kleinen persönlichen Glück. Mit einfachen Mitteln erzählt er die Geschichte von Emmi und Ali, die sich in einem, hauptsächlich von Ausländern besuchten Lokal in München begegnen, in welchem Emmi vor dem Regen Zuflucht sucht. Die Beiden tanzen miteinander, unterhalten sich und ihre Einsamkeiten kommen sich näher. Schließlich heiraten Emmi und Ali, praktizieren ein beglückendes Miteinander, respektvoll, fleißig arbeitend.

Emmi: „… kaufen wir uns ein Stück Himmel?“
Ali: „Warum Himmel?“
Emmi: „War nur so eine Idee.“

Und wären da nicht die Nachbarn, die erwachsenen Kinder der 60jährigen Emmi, die Arbeitskolleginnen und auch die Freunde des zwanzig Jahre jüngeren Ali im Lokal, so wäre ihr Dasein ein nicht enden wollendes Happy End mit dem Vollmond über der Bühne. Doch dem stehen die landläufigen Vorbehalte und Vorurteile im Weg, die bauen Hürden und Fallgruben, verlegen Stricke. In diesem Dickicht suchten die Darsteller Sarah Camp als warmherzige Emmi und Michele Cuciuffo als gefühlsoffener Ali ihren Weg. Gemeinsam ebenso wie jeder für sich, und mit klarer Präsenz bei der Sache, im Spiel. Schnippisch selbstbewusst setzte Kathrin von Steinburg (in Mehrfachbesetzung) landläufig bekannte Sätze in den Raum, abgenutzte und somit sich selbst rechtfertigende Urteile. Peter Rappenglück als männliches Pendant vervollständigte das Geschehen, in bayrisch bodenständiger Manier. Wenn das nicht Heimatkomödie ist, wie bereits mit der Einstandshymne angespielt. Und wären da nicht geschäftlicher Pragmatismus, Hilfsbereitschaft, verdeckter Eigennutz und Sturheit, so wäre das Dasein ein selbstloses Einheitsspektakel. Denn, von der Fülle, den Differenzen überfordert, suchen wir ständig nach neuen Auswegen und sind auf der Flucht vor der Angst des eigenen Versagens. Was einer über Griesgrämigkeit auslebt, drückt der andere durch Zockerfrust aus. Sind sie wahrlich so weit von einander entfernt, die beiden Männer aus den unterschiedlichen Kulturen?

Mit minimalen Requisiten öffnete Josef Rödl maximale Räume. Im klassischen Stil konzentriert auf die Figuren gelang optimale Fokusierung auf das Wesentliche, das materiell lediglich die gelegentliche Tasse Kaffee, die verbindende ergänzte. Der uralte Prozess, das Teilen von Nahrung stand als Zeichen. Weltoffenheit bedeutet auch einander zuzuhören, von einander zu lernen. Darüber hinaus entstehen Vorbehalte. Alle sind wir ihnen schon begegnet, den Klischees, den Mustern die „die Welt“ bedeuten. Doch wenn es gelingt über die Schwächen, die eigenen und die der anderen zu lächeln, zu lachen, so wie in dieser Aufführung, dann ist das Tor für Katharsis geöffnet.

Regisseur Josef Rödl zeichnete mit der Inszenierung fein subtile Bilder von durchdringender Kraft. Wie aus aller Zeit gefallen und damit eindeutig zeitlos gültig, holte er die Muster der Wesen aus ihren Rollen, um sie ins Rampenlicht zu stellen, nachvollziehbar, erfahrbar. Das Feine und das scheinbar Grobe ergänzten einander sinnfällig, und das Herz freizulegen, hautnah wie Christina Baumer als zeitgenössische Wirtin, war die eine unübersehbare Botschaft von/für Stärke, während die andere durchaus modern „Ich bin so“ lautete. Darüber hinaus brachte das bravuröse künstlerische Zusammenwirken Aller ein in sich ausgewogenes stimmiges Ergebnis, Erlebnis hervor. Applaus, wohlverdienter begeisterter Applaus.

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Michele Cuciuffo, Sarah Camp

© Hannah Klaes

 

„Angst essen Seele auf.“ Der Titel spricht den unterdrückten, tabuisierten Vorgang im Leben aus. Die Angst, sie lauert überall, in allem, in allen. Allein die aus ihrer Unterdrückung, Verwandlung gewonnene Kraft treibt das Lebendige voran. Die Angst vor den Widrigkeiten des Lebens gehört zu den Urängsten, die, gelingt es ihr sich auszubreiten, den Tod befördert. Es ist die Kraft die nach Nahrung suchen lässt, die andere als Konkurrenten angreift und bisweilen sogar tötet, die alles andere sich aneignet, unterordnen lässt. Und am Ende lodert das Feuer, brennt, verbrennt das Lebendige wie die Sonne, die sich selbst verbrennt und schließlich letztendlich kollabiert. Die Vorgänge ähneln sich, sind Spiegelungen im kleinen wie im großen.

Als Brennstoffe sind auf der materiellen Ebene die Nahrungsmittel zu nennen, auf der geistigen Ebene die Ideologien und auf der emotionalen Ebene das brodelnde Wasser der Gefühle in den Körpern (die zu 70% aus der Verbindung bestehen). Von Essen und übernommenen Glaubenssätzen geprägt, kocht das Wesen vor sich hin. Bis es sich selbst zum Scheitern bringt, oder zum Scheitern verurteilt wird durch die Verurteilung von anderen, verletzlich wird, aufgibt. Das Feuer ist „neutral“, allein die Färbung durch die Emotionen bestimmt den Lauf der Dinge, gesteuert von den Glaubenssätzen die sie verkörpert. Ob Religion, kulturelle Tradition oder wissenschaftlich begründete Verhaltensanleitungen, Mensch folgt dieser Prägung. Die Vermischung scheinbar kontroverser Kultur- und Glaubenssätze liegt tiefer als „man“ glauben machen möchte.

Die Aktualität des Stückes führt die Angst vor, die heute über die Betonung, Bedruckung, Vernetzung von Themen breit, ja geradezu überbreit gemacht wird. Die Gewichtung liegt auf der Angst, kaum auf der Suche nach der nächsten, das Problem überbrückenden, oder gar eliminierenden Lösung. Selbst eine scheinbar kurzfristige Lösung kann zu völlig neuen Ergebnissen führen, doch auch die Angst vor Veränderung per se ist überproportional. Die Seelen fühlen sich den Stürmen ausgeliefert, sind es. Bisweilen gelingt ihnen ein kurzes Lächeln. „Erklär mir, was dich bewegt.“, ein Hauptsatz.

Seit Jahrtausenden bringen Geschichten den Menschen voran. Die Mythen, die Romane, die Filmstorys. In den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts brachen die Künstler und viele Menschen auf, die Gerüste der Glaubenslehren zu hinterfragen, zu demontieren. Gedankenfreiheit und Lebensfreiraum, Freiheit war ihr Ziel. Vieles hat sich seitdem bewegt, aufgelöst, und doch bleiben Themen wie Gewohnheitsmuster auch heute noch aktuell. Rainer Werner Fassbinder suchte seinen Weg, die Triebe, Wünsche und Träume in der nach weiterer Erkenntnis und Freiheit strebenden Gesellschaft umzusetzen. Wir sind immer noch auf dem Weg …

C.M.Meier

 

 


Angst essen Seele auf

nach dem Film von Rainer Werner Fassbinder

Mit: Michele Cuciuffo, Sarah Camp, Kathrin von Steinburg, Peter Rappenglück, Christina Baumer, Bürgerchor Integra

Regie: Josef Rödl

Zentraltheater Absolute Giganten nach Sebastian Schipper


 

Wie groß ist die Welt

und wie viel möchte, kann einer davon erfahren? Die Geschichte spielt in Hamburg, dem Tor zur Welt, wie die Stadt auch genannt wird. Unzählige Schiffe und Menschen verlassen täglich hier Land und Hafen, begeben sich aufs weite Meer. Kommen sie jemals wieder zurück? Und die Zeit, sie verstreicht unaufhaltsam. Es gilt sie zu füllen, immer wieder, immer wieder aufs Neue und doch ähneln sich die Handlungen, die Erfahrungen. Sie ähneln sich, gleichen sich, gleichen sich an und sich doch nicht die Selben. In dem 1999 von Sebastian Schipper gedrehten Film (mittlerweile Kult) stehen Alltag, Freundschaft und Abschied zwischen drei jungen Männern im Fokus.

Das gleichnamige Theaterstück nach dem Film begann mit Musik, die begleitet von einem modifizierten Warnsignal in einer Wiederholungsschleife erklang. Floyd saß an der Rampe. beschrieb die Situation und sprach ruhig, zurückgenommen von dem am nächsten Tag bevorstehenden Abschied. Nachdem seine Bewährungsfrist abgelaufen war, hatte er auf einem Containerschiff angeheuert. Er wollte die Welt erkunden, um in ihr seinen höchsteigenen Platz zu finden. Ricco, der Rapper, suchte und fand die für ihn passenden Worte in dem angemessenen Rhythmus. Er ließ diese geradezu heraussprudeln, um Mann seiner Emotionen zu bleiben. Während Martin ein wenig ratlos dreinblickte, schließlich den Vorschlag machte, sich noch einmal gemeinsam die Nacht um die Ohren zu schlagen. Noch einmal Erlebnisse und gewohnte Abenteuer zu teilen, einander verbunden zu sein.

Über den Alltag und die Lebenssituationen veranschaulichte die Inszenierung weitergehend die einzelnen Charaktere. Ricco (Jonas Stenzel), Teil einer Großfamilie, jobbte am Schnellimbiss. Hektik und Missverständnisse prägten seinen Tagesablauf, in dem er immer wieder nach den passenden Worten suchte und schon mal von einem Kunden (Manuel Nawrot) besonders herausgefordert wurde. Eigentlich wollte er Entertainer werden, so richtig, auf der Bühne den coolen Auftritt hinlegen. Während Walter (Franz-Xaver Zeller) in einer Hinterhofwerkstatt als Lackierer arbeitete. Ein ruhiger praktischer Typ, der in seinem Hobby Autotunen- und fahren aufging. Wettrennen liebte er, und siegen, beispielsweise gegen den lederbekleideten Alpha-Fahrer (Manuel Nawrot) besonders. Sein Meister (Marysol Barber-Llorente) machte ihn schon mal kurz und klein, wegen Verwechslung von schwarzer Lackierung und Schwarzzahlung. Floyd (Sandro Kirtzel) stand zurückhaltend beiseite, still das Ende seiner Einschränkung abwartend. Der Alltag, die Nächte und der Sport im Club - mittels spaßiger Videoprojektion eingeblendet - schweißten die Drei zusammen.

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Jonas Stenzel, Franz-Xaver Zeller, Carolin Klema, Sandro Kirtzel

© Manuel Nawrot

 

Regisseurin Lea Ralfs setzte auf zeitgemäße Darstellung über die Betonung von Emotionen, mittels derer die Figuren greifbar näher rückten. Wie dies heute allgemein üblich, baute sie so die direkte Verbindung zwischen Schauspielern und Publikum auf. „Copyright auf Lustbarkeit.“ Ziemlich nah an der Filmvorlage und doch deutlicher Charakterzeichnung betonend, wurde eine neue Version auf die Bühne gebracht. Auch die ausgewogene Besetzung, vier Frauen, vier Männer war wohl dem aktuellen Zeitgeist geschuldet. In mancher Szenen unterschieden sich die Geschlechter hauptsächlich in der Höhe der Stimmlage, weniger im Habitus. Das ist bekannt und immer wieder für Lacher gut. Auch hier „sprang die Platte“ und die Momente erhielten zusätzlichen Raum für Widerhall. Klischees, Effekte und Gags im Maße eingesetzt, wirkten wie aufleuchtende Blitze der Kurzweil. Damit bot das Ensemble ausgewogenes Schauspiel auf hohem Niveau. Zwischen Schilderungen durch Floyd und aus dem Film übernommenen Dialogen bewegte sich das Geschehen voran. Der Crash mit der Elvis-Leuchtschrift und Elvis „persönlich“, tanzen im Club und das berühmten Kicker-Spiel sind die Highlights des Abends. Mit dabei Telsa (Carolin Klema), eine junge Frau aus Floyds Nachbarschaft, die eine wohl unvermeidliche Alkoholvergiftung überlebte und Süßes, Eis austeilte. Als seine Freunde frühmorgens an der Elbe einschliefen, griff Floyd zur Reisetasche um an Bord zu gehen.

Die drei Hauptdarsteller, allesamt bekannte Fernsehgrößen, wirkten durch ihre präzise Präsenz wie Publikumsmagnete und das durchaus berechtigt. Eine neue Generation erobert sich ihren Platz in der Wahrnehmung und auf den Bühnen, mit ihnen eine modifizierte Darstellungsweise und andere Schwerpunkte. Auch wenn die Geschichten, die kleinen und großen Dramen die Selben sind, so folgt doch die Umsetzung den Sichtweisen des Heute. Der Spielraum wandelt sich stetig und das bedeutet Bewegung, die Welt auf anderer Ebene erleben und wiedergeben. Es gelang den Dreien, ebenso wie im gesamten Ensemble das Publikum einzufangen, es mitzunehmen und ausgezeichnet zu unterhalten. Es war, als hätten sie das Geschehen, wie zitiert und musikalisch untermalt, in den lebendigen Momenten auf der Stelle springen lassen, um diese ins Gedächtnis festzuspielen.

C.M.Meier

Nachsatz - Zitat:
„Weißt du, was ich manchmal denke? Es müsste immer Musik da sein. Bei allem was du machst. Und wenn’s so richtig Scheiße ist, dann ist wenigstens noch die Musik da. Und an der Stelle, wo es am allerschönsten ist, da müsste die Platte springen und du hörst immer nur diesen einen Moment.“

 


Absolute Giganten

Nach dem Film von Sebastian Schipper

Sandro Kirtzel, Franz-Xaver Zeller, Jonas Stenzel - Carolin Klema, Clara Hoffmeister, Julia Trautvetter, Manuel Nawrot, Marysol Barber-Llorente, Rena Glück

Regie: Lea Ralfs

Allerheiligen-Hofkirche Tosca von Giacomo Puccini


Im Schatten des Diktators Duce

Puccini in der Kirche? Warum nicht. Immerhin beginnt der erste Akt der Oper „Tosca“ in der Kirche St. Andrea della Valle in Rom. Die Kirche, wohlgemerkt nicht das Gebäude sondern die Institution, würde sich über Stimmungswerte, wie sie Puccinis Opern seit mehr als einhundert Jahren entfesselt, glücklich schätzen. Worauf beruht diese ungebremste Begeisterung für Puccinis Musik? Nun, zuallererst wohl auf der Wahrhaftigkeit, die seinen Werken innewohnt. Immerhin gilt er als ein Hauptvertreter des Verismus. (Der Begriff meint die vorbehaltlose und sozialkritische Darstellung der Wirklichkeit.) Doch Wahrhaftigkeit allein reicht selten aus, um Erfolge zu generieren. Dazu bedarf es noch einiger anderer Zutaten, über die Giacomo Puccini allerdings reichlich verfügte, nämlich seine einzigartige melodische Begabung und auch sein treffsicheres Gespür für einen wirksamen dramatischen Stil. Seine Mischung aus Weltschmerz und leiser Melancholie, kontrastiert mit explosiven Ausbrüchen von Natürlichkeit verleihen seinen Arbeiten einen unwiderstehlichen Magnetismus. Wenn das Ganze dann noch in großen und großartigen Bildern stattfindet, ist der Erfolg garantiert.

Und hier kommt „Opera incognita“ ins Spiel, die mit „Tosca“ in der Allerheiligen-Hofkirche in der Münchner Residenz den Beweis erbrachten, dass es auch eine Nummer kleiner geht und das Werk dennoch inhaltliche und ästhetische Überzeugungskraft entwickelt. Zur Geschichte des von den Librettisten Luigi Illica und Giuseppe Giacosa nach der Vorlage von Victorien Sardou geschaffenen Stückes, das in der Zeit der Napoleonischen Kriege angesiedelt ist: Der ehemalige Konsul und politische Gefangene Angelotti ist die Flucht aus der Engelsburg gelungen. Er findet Unterschlupf bei dem Maler Cavaradossi. Der Polizeichef Scarpia nimmt die Fährte des Flüchtigen auf, stößt ebenfalls auf Cavaradossi und nimmt diesen in Gewahrsam. Cavaradossis Freundin, Floria Tosca, eine berühmte Opernsängerin und Objekt der sexuellen Begierde Scarpias, ist eigeweiht.

Scarpia lässt Cavaradossi foltern, um aus Tosca den Aufenthaltsort Angelottis zu erpressen, der sich inzwischen in einem unauffindbaren Versteck in Cavaradossis Landhaus befindet. Tosca erträgt die Folter ihres Geliebten nicht und verrät das Versteck. Angelotti nimmt sich das Leben, ehe man seiner habhaft werden kann. Cavaradossi wird, auch wegen seiner Freude über die Niederlage Napoleons bei Marengo, wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Scarpia bietet der liebenden Frau einen Deal an, in dem er Begnadigung und einen Passierschein für beide offeriert. Der Preis: Tosca muss sich Scarpia hingeben. Die Erschießung Cavaradossis soll nur scheinbar erfolgen. Nachdem Scarpia den Passierschein ausgestellt und unterschrieben hat, ersticht Tosca den Tyrannen, ehe er sich an ihr vergreifen kann. Der Scherge Scarpias, Spoletto, lässt die Erschießung Cavaradossis jedoch vollstrecken und Tosca stürzt sich in ihrer Verzweiflung von der Balustrade der Engelsburg.

 
  Tosca  
 

Dorothee Koch und Rodrigo Trosino

© Misha Jackl

 

Regisseur Andreas Wiedermann transponierte die Geschichte in die Zeit des Faschismus in Italien. Anstelle von Napoleon wirft der Duce seine langen Schatten über das Land. Dessen Handlanger passen sich mühelos ein in die andere Zeit. Schurken sind halt zeitlos, ebenso die Liebe und auch die Eifersucht. Auch das ist ein Ausdruck für Wahrhaftigkeit. Eine recht radikale Strichfassung machte das Musikdrama in drei Aufzügen zu einem Kammerspiel. Ebenso erging es der Partitur, die Ernst Bachmann für das Orchester Opera Incognita und ein Klavier umarbeitete. Es blieb eine hochdramatische Dreiecksgeschichte, der es an Klangfülle keineswegs mangelt.

Um die große Bildhaftigkeit, die sich auf der kargen Bühne von Barbara Gruber naturgemäß nicht einstellen konnte, zu kompensieren, kam der Live-Zeichner Stefan Dinter zum Einsatz, dessen Zeichnungen mit einem Videobeamer an die Rückwand des Chorraumes projiziert wurden. Stefan Dinter schuf dabei die Bilder, die hinter den intimen Geschichten der Protagonisten standen, quasi das öffentliche Antlitz der Figuren, wie das Bildnis der Gräfin Attavanti, gespielt von Elisabeth Margraf, Auslöser von Eifersucht bei Tosca. Um beispielsweise das politische Koordinatensystem zu bezeichnen, wuchs ein übermächtiger Duce in Schwarz mit blutrotem Umhang bedrohlich unter den Pinselstrichen Dinters. Aber auch die gefeierte Tosca in der Pose der Operndiva erfuhr einen zutreffenden Ausdruck in aquarellistischer Form.

Die Idee, die großen „Bühnenbilder“ als Zeichnungen zu implantieren, war nicht nur gelungen, sondern auch eine bemerkenswerte ästhetische Erfahrung. Gerade bei Puccini neigen Inszenatoren zu Opulenz, die nicht selten an die Grenzen des Kitschs gelangen, was nicht immer wohl gelitten ist. In dem hier besprochenen, sehr radikalen Ansatz konnte das gar nicht passieren. Diese Inszenierung hatte indes einen wunderbaren Nebeneffekt. Sie bewies in aller Schnörkellosigkeit die Macht der Geschichte, denn sie muss gänzlich ohne theatralen Bombast auskommen. Das könnte man auch eine Nagelprobe nennen, die das Werk bestand.

Auf sinnlichen Genuss musste indes nicht verzichtet werden, denn gesanglich überzeugten die Darsteller unbedingt. Allen voran naturgemäß Dorothee Koch als Floria Tosca. Ihr kaufte man die zärtliche Liebe zum Maler Mario Cavaradossi ebenso ab wie ihre Eifersucht auf ihn. Rodrigo Trosino als Mario Cavaradossi gestaltete seine Rolle sanft und verschmitzt-witzig. Bei dieser Figur stellt sich seit Anbeginn dieses Werkes, also seit 1900, die Frage, welchen Grund Cavaradossi hat, Cesare Angelotti, Thomas Greimel spielte ihn erbarmungswürdig gefoltert, zu helfen. Immerhin handelt es sich um einen Staatsverbrecher. Rodrigo Trosino schuf mit seiner Gestaltung eine Figur, die zu großer Liebe fähig und treu ist. Er ist Patriot und als Maler malte er (bei Puccini) Marienbildnisse. So einer ist ein Guter, dessen Moral ihn zum Handeln zwingt und der nicht danach fragt, welche Konsequenzen sein Tut hat. Diesen Eindruck gewann man immerhin in Wiedermanns Inszenierung.

So sanftmütig und gut Rodrigo Trosino seinen Cavaradossi auf die Bühne brachte, so böse, verschlagen und gewalttätig gestaltete Robson Tavares seine Rolle als Baron Scarpia. Er verglich sich dabei selbst mit dem vielleicht intrigantesten und destruktivsten Mann der Literaturgeschichte. Er zitierte Shakespeares Jago, dem ein Tuch ein gutes Instrument war, um Zwietracht und Eifersucht zu säen. Für Scarpia war es ein Fächer, der die Liebe vergiftete. Immerhin, er war nicht sonderlich erfolgreich mit seinen Intrigen und so blieb ihm nur noch die blanke Gewalt. Ein willfähriger Helfer war ihm dabei Spoletta. Martin Summer verlieh ihm den Habitus eines verknöcherten Beamten, frei von Empathie und pragmatisch. Allerdings war er der letzte Überlebende, und, wenn ein historischer Vergleich erlaubt ist, ein Joseph Fouché in Westentaschenformat.

So gut, wie das Regiekonzept funktioniert hat, so wunderbar war die musikalische Begleitung durch das Orchester Opera Incognita mit nur sechs Musikern und dem musikalischen Leiter Ernst Bartmann am Flügel. Es war erstaunlich, wie Bachmanns Arrangements trugen und den Raum erfüllten. Es mangelte weder an Dramatik, noch an lyrischen Momenten. Um es einmal ganz lax zu formulieren: Das nenne ich Effizienz! Chapeau!

Mit „Tosca“, soviel ist gewiss, setzte das Unternehmen „Opera Incognita“ seinen sowohl erstaunlichen, wie auch erfrischend neuen und gewagten Umgang, „Tosca“ ist eines der radikalsten Experimente, mit den Genre Oper fort. Was bleibt da noch zu sagen: Weiter so!

Wolf Banitzki


Tosca

von Giacomo Puccini

Mit: Dorothee Koch, Rodrigo Trosino, Robson Tavares, Martin Summer, Thomas Greimel, Elisabeth Margraf, Pascal Wilfer, Lukas Huge und mit dem Orchester Opera Incognita und dem Live-Zeichner Stefan Dinter

Regie: Andreas Wiedermann

Musikalische Leitung / Piano: Ernst Bartmann


Staatliches Museum Ägyptischer Kunst  Aida von Giuseppe Verdi


 

Aida – kritisch betrachtet

Giuseppe Verdi (1813-1901) gilt als der bedeutendste italienische Opernkomponist des 19. Jahrhunderts, der nicht selten als Genie gehandelt wird. Doch auch Verdis Karriere holperte zu Beginn. Erst der ‚politische‘ Verdi begründete seine glänzende Musikerkarriere. Das erste Erfolgswerk war „Nabucco“ und spiegelte in der Geschichte des babylonischen Königs Nebukadnezar die nationalistischen Erhebungsbestrebungen der italienischen Teilstaaten gegen das Habsburgische Joch. Sätze wie „Flieg´, Gedanke, auf goldenen Schwingen“ elektrisierten das Publikum und wurde bald zu Leitmotiven des Widerstandes gegen Österreich. 1844 entfesselte Verdi mit seiner Oper „Ernani“ bei der Uraufführung im Teatro Fenice (Venedig) Stürme „vaterländischer Begeisterung“.

Seine Wirkmacht erzielte er durch einen kritischen Realismus, der vor der Darstellung des Hässlichen und der radikalen Durchführung seiner Themen bist zum Tod der Protagonisten nicht zurückschreckte. Auf den Vorwurf, in seiner Oper „Troubadour“ seien zu viele Tote, entgegnete Verdi: „Aber ist im Leben nicht schließlich alles Tod?“ Verdi, der seinen Librettisten nicht viele Freiheiten ließ und der nicht zuletzt auch sein eigener Dramaturg war, legte großen Wert auf die Hervorhebung des Allgemein-Menschlichen, wobei literarische Vorlagen, beispielweise von Shakespeare oder Schiller, nicht selten grenzwertige Verkürzungen erfuhren. Verdi erschien das realistischer. Und der Erfolg bei einem sehr großen Opernpublikum gab ihm Recht. Tatsächlich hatten seine Opern Dramaturgien und monumentale Bilder, wie man sie heute von filmischen Blockbustern kennt.

Nicht zuletzt basierte Verdis Erfolg auch auf der Tatsache, dass seine Themen Historie abhandelten. Dadurch gewann er Freiräume, in denen er die Konflikte hemmungslos bis zum Äußersten treiben konnte. Wahrheitstreue war dabei eher nebensächlich, wenn er nur fanalhaft seinen Freiheitsgedanken postulieren konnte. Der Ruf „Evviva Verdi“ war gemeinhin die Umschreibung für „Viva l´Italia!“, und als Victor Eamuel von Sardinien den Königsthron des endlich geeinten Italiens bestieg, sah das Volk darin neuerlich ein Symbol: V(ictor) E(manuele) R(e) d´I(talia) – Verdi. Nachdem Italien 1859 den Sieg über Österreich davongetragen hatte, mutierte der glühende Patriot Verdi zum Landmann, der sein Gut Sant´Agata bestellte und keinen politisch deutbaren Text mehr vertonte.

Genau diese drei Ansätze, die politische Radikalität, die ästhetische Monumentalität und historische Verklausulierung unterzogen Andreas Wiedermann und Ernst Bartmann in ihrer Inszenierung einer kritischen Betrachtung. Das Ergebnis reicht von erstaunlich bis erschreckend. Unter Einbeziehung der äußeren und inneren Umstände der Entstehung des Werks hinterfragten sie den tatsächlichen Wert dieser Oper. Das Ergebnis ist irritierend. Das Werk entstand im Auftrag des Khediven von Ägypten, Ismail Pascha. Dieser Mann war in Frankreich erzogen worden und strebte eine Erneuerung oder Modernisierung Ägyptens an, selbstredend nach europäischem Vorbild. Es sollte 1869 als Festoper zur Eröffnung des Suezkanals, ein bedeutendes Wahrzeichen des europäischen Kolonialismus, uraufgeführt werden.

Doch aus Zeitmangel lehnte Verdi zuerst ab. Nachdem er das Konzept, inspiriert von dem französischen Archäologen Auguste Mariette Bey, der die Oper später als seine ureigene Idee reklamierte, gelesen hatte, fing er schließlich doch Feuer und so wurde das Werk zwei Jahre später in einer legendären Inszenierung in Kairo zu Uraufführung gebracht. Die fiktive Geschichte um die äthiopische Königstochter Aida, Sklavin der Pharaonentochter Amneris, und ihrem Geliebten, dem ägyptischen Feldherren Radamis, kündet vor allem von einem hemmungslosen Nationalismus. Und der war bereits zur Uraufführung gewollt. Ismail Pascha wünschte ein Werk, das einem historischen Nationalismus huldigen und die Größe des Pharaonenreichs beschwören sollte. Und was wäre besser geeignet, die Gefühlswelt der Nationalisten in Wallung zu bringen, als eine Vertonung durch Verdi. Der leistete ganze Arbeit und das vornehmlich europäische oder frankophile Publikum war entzückt und hingerissen. Die Uraufführung ging als Weltereignis in die Geschichte ein.

  Aida  
  Kristin Ebner  

Nationalismus hat immer eine wesentliche Grundeigenschaft, er preist die eigene Überlegenheit anderen Völkern gegenüber. So kommen die Äthiopier in Verdis Oper ausgesprochen schlecht weg, denn sie fallen mordend und brandschatzend in Ägypten ein. Radamis gebietet der barbarischen Horde mit Waffengewalt Einhalt und nimmt nebenbei auch Amonasro, Aidas Vater und König von Äthiopien, gefangen. Seine Identität bleibt vorerst verborgen und er beginnt alsbald seine finsteren Ränke zu schmieden. Sein Überleben verdankt er dabei Radamis, der beim ägyptischen König um Gnade für die Gefangenen bittet. Der entlässt alle, außer Amonasro, in die Freiheit. Doch die undankbaren Äthiopier rüsten sofort wieder auf und bedrängen Ägypten erneut. Am Ende ist es das Drama zweier Liebenden. Radamis, aus Liebe zum Verräter geworden, wird lebendig eingemauert. Aida, die das Schicksal des Geliebten kommen sah, hatte sich schon vorher in das tödliche Gefängnis geschlichen. Zuletzt feiern die beiden ihre Liebe ekstatisch im Tod. Hier sind Zweifel angebracht, in wie weit sich Verdi tatsächlich einem Realismus verschrieben hatte. Das letzte Duett ist eher Ausdruck von Wahnsinn, denn von Liebe.

Andreas Wiederman erzählte die Geschichte wie ein Relief aus Hieroglyphen und figürlichen Darstellungen, wie wir sie aus den Grabkammern und von den Stelen, den Geschichtsbüchern der alten Ägypter, kennen. Er ließ Darsteller und Chor, in historischen Kostümen gewandet, an den kahlen Betonwänden entlang auftreten, zumeist im Profil und somit weitestgehend zweidimensional, wie eine historische Illustration. Nur in seltenen Momenten wurde die Zweidimensionalität durchbrochen und Chor und Darsteller drangen in den Raum vor, beispielsweise, als den Äthiopiern die Freiheit wiedergegeben wurde. Freiheit ist halt raumgreifend.

Der ganze Raum wurde von zwei heutigen Archäologinnen bespielt, Christina Matschoss und Lisa Wittemer. Schließlich befanden wir uns in einem Museum, dem Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst. Dort wurden unterschiedlichste Artefakte und Exponate auch aus neuerer Zeit eingeliefert und aufbewahrt. Beispielweise der Spaten, mit dem Hans Neuenfels unter seinem Schreibtisch in Frankfurt seine „Aida“ ausgrub. Der Spiegel schrieb seinerzeit (1981) „In Frankfurt frevelte Hans Neuenfels ungleich kühner, aber ‚Aida‘ war auch überreif für Bilderstürmer wie Neuenfels und seinen fulminanten Bühnenbildner Erich Wonder. Nicht erst seit dem touristisch aufgezogenen Massenspektakel in der Arena zu Verona, nicht nur im Salzburger Festspielhaus, wo Karajans ‚Aida‘ aussieht, als sei sie von Albert Speer, wird die Dreiecksgeschichte vom ägyptischen Hofe zur Ausstattungs-Orgie aufgedonnnert. Für ‚Aida‘ hält sich fast jede Provinzbühne ihren kleinen Cecil B. de Mille.“ (Klaus Umbach) A. Wiedermann erklärte diese Inszenierung für den Beginn des Regietheaters.

Im Staatlichen Museum Ägyptischer Kunst ging es indes nicht um Bilderstürmerei, sondern um intelligente Aufklärung über Werk und Autor und über die Geschichte des Werkes. Da wurde Garibaldi (Thomas Thalmeier ) aufgefahren, um dem Freiheitsgedanken einen Körper zu geben. Aber auch Verdi selbst betrat die Szene, propagierte sein konservatives Credo, dass das Vergangene doch allemal fortschrittlicher war, und starb. Zur Geschichte an sich wurde Bertrand Russell befragt, der sie als „die Summe des Vermeidbaren“ charakterisierte. Nein, im Zentrum der Inszenierungen stand nicht die herzzerreißende Liebe zwischen Aida und Radamis, sondern das Werk an sich, das nach der Premiere nicht unbedingt mehr das ist, was es vorher war, als der Schleier der Verklärung noch auf ihm ruhte.

Dabei kamen die Darsteller keineswegs zu kurz. Unter den allemal wuchtigen Klängen, die das zwölfköpfige Orchester der Opera Incognita hervorbrachte und die durch den nackten Raum aus Stahlbeton verstärkt wurde, fand jeder Raum für seine individuelle Gestaltung. Anton Klotzners Radames war kraftvoller Krieger und verletzlicher Liebhaber zugleich. Die von Carolin Ritter gesungene und gespielte Amneris mutierte von der aufrichtig liebenden Königstochter zur rachsüchtigen Furie. Torsten Petsch, als verschlagener und skrupelloser Äthiopierkönig Amonasro, hatte die vielleicht vielschichtigste Rolle als König, Vater, Krieger und Intrigant, zumindest verglichen mit der Rolle des Oberpriesters Ramfis. Robson Bueno Tavares sakraler Habitus erinnerte an die heutigen Aufmärsche der Kardinäle am „Heiligen Stuhl“. Ebenso steif, nur präsidialer, agierte Herfinnur Arnjafjall als Il Re, göttlich, was die Pharaonen ja waren, und bestimmt. Stimmlich mit breitem Spektrum von markerschütternd bis zärtlich hauchend verlieh Kristin Ebner der Liebe und dem Leid der Aida klanglich überzeugend Ausdruck. Allein das physische Spiel des Schmerzes der Figur war ein wenig zu maßlos. Hier wäre weniger mehr gewesen.

Der zweidreiviertel Stunden dauernde Abend war, obgleich fast gänzlich ohne Bühnenbild, gänzlich ohne pomp & circumstance, ausgesprochen kurzweilig. Andreas Wiedermann hatte seine „Aida“ mit einer Vielzahl von ebenso intelligenten wie witzigen Glossen angereichert, ohne dabei der Geschichte Gewalt anzutun. Um einige Erkenntnisse und Anregungen reicher, oblag es dem Publikum, über das Werk zu urteilen. Das honorierte das Angebot mit ehrlicher Dankbarkeit, huldvollem Respekt und langanhaltendem Applaus.

Wolf Banitzki

 


Aida

Oper von Giuseppe Verdi

Solisten: Kristin Ebner, Carolin Ritter, Robson Bueno Tavares, Anton Klotzner, Torsten Petsch, Herfinnur Arnjafjall
Darsteller: Christina Matschoss, Lisa Wittemer, Thomas Thalmeier

Orchester: Violine I: Sören Bindemann, Violine II: Joseph Querleux, Viola: Christina Scap, Cello: Julia Klaushofer, Kontrabass: Sandra Cvitkovac, Flöte: Vera Klug, Oboe: Lorenz Eglhuber, Klarinette: Gabi Oder, Fagott: Tadija Mincic, Trompete: Tobias Lehmann/Philipp Lüdecke, Horn: Caroline Messner, Schlagwerk: Stephan Halbinger

Chor Opera Incognita: Hedi Bäcker, Sabine Becker, Veronika Berner, Cordula Gielen, Meike Schwarz, Hanna Schwenkglenks, Karin Seidel, Inka Klimkowski, Gudrun Kulessa, Melanie Mügschl, Lena Polke, Laura Popp, Ingrid Rottler, Juli van Scherpenberg, Nina Skalitzky, Verena Skalitzky, Patrizia Steinhauser, Susanne Steinhauser, Sabrina Wager, Martina Wendlinger, Katja Wülfert, Anette Zaboli, Theodor Bauer, Helmut Bayerer, Alexander Eckl, Bernhard Fernando, Thomas Greimel, Thomas Greinwald, Stephan Hintzen, Arnold Holler, Martin Holzner, Lukas Huge, Martin Kümmel, Martin Ha Minh, Martin Sellmayr, Rudolf Tobiasch,

Musikalische Leitung: Ernst Bartmann
Inszenierung: Andreas Wiedermann

Zentraltheater Immer nie am Meer von Bernd Steets


 

Käfighaltung

Es ist zum Lachen, wenn es nicht so traurig wäre. Und bei allem Witz könnte einem das Lachen auch schon vergehen. Denn wenn über ernste Situationen zu viel Komik verbreitet wird, so verschwimmen Lachen und Weinen zu einem undefinierbaren Gefühlsgemenge. Satire und Komik sind dann bisweilen auch Zeichen von Hilflosigkeit, der verfehlte therapeutische Ansatz Spannung aus einer Situation zu nehmen, wenn eigentlich angemessene Veränderung, Handlung gefordert wäre. Gesellschaftlich relevant?

Aus Rücksicht auf eine Frau, eine Nordic-Walkerin, die mitten auf der Straße läuft, verlässt der Fahrer die gesellschaftlich vereinbarte Fahrspur und verliert die Kontrolle über sein Auto. Gemeinsam mit seinen beiden Mitfahrern landet er im tiefen Wald, eingeklemmt zwischen Bäumen drehen die Reifen durch, glätten das Terrain. Ein Weiterkommen unmöglich, die Situation ausweglos. Das Fahrzeug, ein im Internet ersteigerter Gebrauchtwagen dessen ursprünglicher Besitzer Kurt Waldheim hieß und u.a. österreichischer Bundespräsident war, ist mit Sicherheitsglas gepanzert, somit vor der Außenwelt schützend und steckt fest. Treffender ist die allgemeine Weltlage kaum zu erkennen, benennen!

Ein Stahlkonstrukt, Lenkrad und drei Männer in Autositzen zogen die Aufmerksamkeit auf die Bühnenmitte. Es wurde dunkel im Raum und Schatten, Quietschen, Blubbern, Krachen war zu vernehmen, so dass es bei aller Tragik doch ein Lachen in die Gesichter der Zuschauer zauberte. Auf den Fernsehbildschirmen am Bühnenrand erschien, in schwarz weiß, das Bild von Bäumen. Die nächtliche Natur umfing die drei verunglückten Männer. Mühsam richteten sie sich auf, suchten Kontakt zueinander. Das eigentliche Drama nahm seinen Anfang. Regisseur Franz Josef Strohmeier stellte die Emotionen der Protagonisten ins Rampenlicht und damit auch den körperlichen Ausdruck. Mimik und Gestik trugen das Geschehen mindestens so deutlich wie der pointierte Text, denn ohne Worte war oft mehr gesagt. Christian Lex, Franz-Xaver Zeller, Norbert Ortner brillierten nachvollziehbar in ihren Rollen als richtig normale zeitgemäße Männer (das Schicksal spart keinen, aber gar keinen aus). Der Fahrer Baisch, Christian Lex versuchte sich im Verbreiten von Hoffnung: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis man uns hier findet.“ Während sein Schwager Anzengruber, Norbert Ortner, resigniert die Zigarette zückte, die Mütze über den Kopf zog, um anschließend die Familie durch den Griff in die Pillendose erträglicher zu erfahren und sich von den Mustern der Vorväter zu verdrücken. Und dann auf dem Rücksitz der professionelle Unterhalter Schwanenmacher, der von seinem unvergessenen Jugendpartner träumte und zur Harmonika griff. Franz-Xaver Zeller verlor sich entrückt in der Poesie, die ihm Zeit und Raum füllte. Erleichtert lachend holte er Sekt aus dem Kofferraum hervor und verstaute danach das Durchgearbeitete darin. Das Groteske gipfelte im Versuch der Kontaktaufnahme zwischen der naivjungen Toni (Anna Tripp) im Wald und dem verzweifelt nach einer Lösung suchenden Doz. Dr. Baisch im Fahrzeug.

  IMMER NIE AM MEER von Bernd Steets Zentraltheater c Manuel Nawrot 5299  
 

Anna Tripp, Franz-Xaver Zeller,Christian Lex, Norbert Ortner,

© Manuel Nawrot

 

Eine scheinbar freie, gezielt trainierte Frau wandert auf den von den Männern gebauten Straßen, folgt diesen Wegen, nachdem es ihr gelang, den ihr zugewiesenen Platz in der Küche zu verlassen. Ob sie jemals das Meer erreichen wird, bleibt offen. Denn - „Wir sind hier.“ - „Immer nie am Meer.“ - heißt es im Stück und wir sitzen alle in geschlossenen ver-sicher-ten Autos. Wie facettenreich und, wie klein die Welt doch ist?

Die psycho-fokussierte Gesellschaft kennt offensichtlich nur ein Thema. Sigmund Freud hätte heute seine Freude an der Vielzahl von Fans und Followern. Einer Idee, wie seiner, mag durchaus Erkenntnis zu Grunde liegen, doch wenn wahre Gedanken ihre Verbreitung finden, so endet dies zumeist im tiefen Wörter Wald. Was dann geschieht, sagte am treffendsten Ödön von Horvath: „Ich denke ja gar nichts, ich sage es ja nur.“ Und schließlich bleibt nur der Humor, welcher über die finstere Seite kreisen und diese mit der hellen kollidieren lässt, wie in dieser unterhaltsamen „Psychogroteske“, verfasst von einigen erfahrenen Männer, Künstlern. Dass diese geschrieben und verfilmt im Jahr 2007, offenbart zudem den Status der festgefahrenen Lage! Die Inszenierung - das Nachstellen eines Autounfalls für Schaulustige - brachte es auf den Punkt und der Abend war ein erheiterndes kurzweilig sehenswertes Ereignis …..

C.M.Meier

 


Immer nie am Meer

Ein Theaterstück von Bernd Steets nach dem gleichnamigen Film von Antonin Svoboda

Drehbuch: Christoph Grissemann, Dirk Stermann, Heinz Strunk, Joerg Kalt, Antonin Svoboda

Christian Lex, Franz-Xaver Zeller, Norbert Ortner, Anna Tripp

Regie/Ausstattung: Franz Josef Strohmeier