Halle 7 Fluchten von Jochen Strodthoff


 

 

Angesagt

Die letzte zugelassene Spielwiese für Beziehungen, eine überdimensionale Schaumgummimatratze nahm die Bühne ein. Auf sie ließ Micha sich fallen: „Aua“.
 
Auf die Leinwand hinter der großen Matratze wurde Blumenidylle am Fensterbrett oder eine verkehrsreiche Straße projiziert. An ihrer Rückseite war deutlich sichtbar eine orange Plastikfolie drapiert (Bühne Emilia Scharfe). An ihrem Rand sind Eva, Micha, Raquel und Robert. Sie vertreiben sich die Zeit, sie „hängen ab“ auf vier Schaumstoffwürfeln, wippen mit den Beinen, schauen in die Luft, wechseln die Stellung, doch nie die Haltung. Der Apfelbaum im Garten steht für das verlorene Paradies, in das es kein Zurück mehr gibt. Eva und Micha haben durch einen Autounfall die Eltern verloren, und es bleibt ihnen nur ein großes altes Haus, in dem sie die Beziehung von Mutter und Vater wiederholen. Sie tun dies solange ungestört, bis Micha, der als Nachtportier in einem Hotel arbeitet, Raquel begegnet. Diese verbindet ein sexuelles Verhältnis zu Robert, aus welchem eine Frucht heranreift. Doch nicht nur mit Robert sondern auch mit Micha lässt sich Raquel ein. „Wir machen rum“, so erklärt Micha sich Robert, seinem Lehrer an der VHS, der nach dem Prinzip „alles nur eine Frage des Timings und der Präzision“ durchs Leben zu kommen versucht. Eva begegnet Raquel, erfährt von deren Schwangerschaft, von der nur Micha nichts weiß. Die beiden Frauen stecken ebenso das Terrain ab, wie die Männer, bei deren handgreiflicher Auseinandersetzung sich die orange Folie bläht. Am Ende liegt ein riesiger Ballon, gleich einem Phallus mit zwei gleichen Enden oder einem Ei auf der Matte.

Sie gestikulieren, sie verziehen die Mienen, sie winden und krümmen sich in alltäglichen Gesten und dennoch fehlen ihnen die Seelen und das verbindende Gefühl. Wenn sie leiden, leiden sie sprachlos und wenn sie leiden, leiden sie unfühlbar. Jochen Strodthoffs Figuren agieren in den alten menschlichen Mustern und haben dennoch die inneren Bezüge zu sich und zueinander verloren. „Ich als Person … ich komme da nicht vor“, so Raquel am Ende und Micha entgegnet: „Nein.“

„Wenn ich eine Geschichte am Horizont sehe, schieße ich sie ab.“ Das Geflecht der Verbindungen zwischen den Personen ist vielfältig und mit jedem Gegenüber werden andere Eigenschaften erkennbar. Es definiert sich der Mensch doch auch durch seine Beziehungen. Sind diese lose bis unverbindlich, so tritt der Mensch auch nicht wirklich zu Tage; es agiert das Wesen in wechselnden Farben. Feinsinnig gab Patricia Aulitzky die Raquel, verständig und doch auf „den Bauch fixiert“ bemühte sie sich der Gefühle Herrin zu sein. Ihr Spiel war facettenreich und das einer selbstbewussten Frau, die zwischen zwei Männern operiert. Eva, die vorzeitig erwachsen gewordene Schwester Michas wurde von Kathrin von Steinburg gegeben. Die Palette ihrer Ausdrucksweisen reichte von fürsorglich mütterlich bis kämpferisch dominant, wenn es galt, für Micha einzustehen. Ging es um sie selbst, so wechselten Tonfall und Sprache. Gabriel Raab stellte Micha dar. Ein wenig wie ein Bär, ein netter und umgänglicher, mutete er an, der das Spiel der Frauen mitmachte und doch seinen eigenen Weg suchte. Neugierig und tapsig wankte er bisweilen über die Matte. Anders Robert, intellektuell kalkulierend, stets die Situation abschätzend, gab Felix Hellmann den Dozenten. Er wusste Bescheid über die Vor- und Nachteile der permanenten Erreichbarkeit durch ein Handy und kannte alle Tricks, sich aus unangenehmen Situationen zu stehlen. Dennoch schlummerte in ihm Gewalt, die rücksichtslos, lautstark und handgreiflich zum Ausbruch kam.
 
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Gabriel Raab, Felix Hellmann

© Hilda Lobinger

 

 

Autor und Regisseur Jochen Strodthoff, dessen Werke bei zahlreichen Theaterwettbewerben nominiert waren, schuf ein in sich verschlungenes und verbundenes Werk, welches in seiner Bildhaftigkeit mit den erfassten Situationen umgeht. Das Programmheft beschreibt die Verhaltensweisen des Chamäleons, beschreibt diese als „die passiven Opportunisten des Tierreichs“. Strodthoffs Figuren gleichen den Tieren „sie konfrontieren sich nicht, sondern haben zahlreiche Möglichkeiten entwickelt, sich anzupassen, unsichtbar zu machen, zu verschwinden“. Flexibel und in jeder Situation „angemessen“ reagieren, das zeichnet den Opportunisten aus. Längst ist sein Typus zum Ideal avanciert. Kein Magazin und keine Berufsbeschreibung verzichtet auf diese Attribute, um den angesagten perfekten zeitgemäßen Menschen zu beschreiben. Doch: Die Gemeinschaft von Menschen, das Miteinander, liegt in einer ethisch moralischen Grundhaltung begründet. Wo diese fehlt gibt es kein Menschsein.

Jochen Strodthoff machte dies auf künstlerische Weise, gelegentlich mit einem Augenzwinkern humorvoll, oder abwechselnd mit drastischen Handlungen sichtbar. Es ist ihm eine dichte Inszenierung, dicht an Inhalt, Körpersprache und der präzisen darstellerischen Präsenz der Schauspieler gelungen. Hingehen, ansehen!

C.M.Meier

 

 

 


Fluchten

von Jochen Strodthoff

Kathrin von Steinburg, Gabriel Raab, Patricia Aulitzky, Felix Hellmann

Regie: Jochen Strodthoff

Halle 7 Geierwally von Theresia Walser, Karl-Heinz Ott


 

 
Heute: Nationalpark-Klischee

Der 1873 erschienene Roman „Geierwally“ von Wilhelmine von Hillern erzählt, ausgehend von einer wahren Begebenheit in den Lechtaler Alpen, eine ungewöhnliche Liebesgeschichte. Anna Maria Rosa Knittel, eine junge Bauerntochter und später bekannte Malerin, hatte in ihrer Jugend die jungen Männer des Dorfes beschämt. Mutig hatte sie sich an einem Seil die steile Felswand hinab gelassen, das Nest eines Lämmergeiers ausgeräumt und ein Junges mitgenommen. Die Geier überfielen in regelmäßigen Abständen die Schafherden, was es zu verhindern galt. Nach einem Unglück im vorangegangenen Jahr verweigerten sich die Männer und das junge Mädchen vollbrachte eine Tat, die eigentlich Männerarbeit war. Das Ereignis schrieb Literatur- und Filmgeschichte. 1921, 1940, 1956, 1967, 1988, 2005 im jeweils herrschenden Zeitgeist verfilmt und 2003 von Theresia Walser und Karl-Heinz Ott auf die Bühne gebracht, kann man das Werk getrost einen Dauerbrenner der Heimatliteratur nennen.

Der Kampf der Menschen gegen die Natur, die übermächtige äußere große, genauso wie die eigene innere, ist der Stoff, welcher zu allen Zeiten begeistert. Wenn zudem noch die Liebe ins Spiel kommt, gibt es kein Halten mehr. Die Geierwally und der Bären-Josef sind sich ebenbürtig, füreinander bestimmt und müssen doch erst ihren Kampf mit der Natur austragen, bevor es zu einem glücklichen Ende kommen kann. Was früher realistisch hartes Leben war, ist für den modernen Menschen nur bedingt nachvollziehbar. Geier gibt es nur noch in geschützten Zonen, sie werden gehegt und mitunter gefüttert. Bären, wie etwa der Italiener Bruno stellen weniger eine Gefahr, denn eine pseudosportliche Herausforderung dar. Und der Alltag der Gebirgsbewohner wird stark vom Tourismus, einer Landplage, wie es in manchen Regionen zu Recht heißt, geprägt. Der Berg ist bezwingbar geworden, stehen doch in jedem Tal die Hubschrauber zur Rettung von Bergsteigern bereit. Von Übermacht und Stärke, von der Unbezwingbarkeit kann also nur noch selten gesprochen werden. Dennoch prägt die Landschaft die Menschen, auch wenn sie heute weniger hart und unbarmherzig sind, denn sie haben es „langweilig und warm“ (so das Programmheft).

So steht die Geschichte heute mehr für ein Exempel der Emanzipation, denn für Kampf mit der Natur. Walpurga Strominger, die Geierwally, wird von ihrem Vater zur Erbin des Hofes erzogen, der mit „Vaterdiktat, Vaterliebe, Vater…“ über sie verfügt und sie dem Vinzenz zu verehelichen gedenkt. Wally jedoch liebt den Josef und geht lieber allein auf die Alm, bevor sie sich dem Willen des Vaters fügt. Verwicklungen und Missverständnisse nehmen ihren Lauf. Denn: „Was man liebt hält man nicht aus, und was man nicht liebt hält man auch nicht aus.“, lassen die Autoren den Trinker erkennen. Dieser weiß auch, dass ein Mann sich erst „Tatkraft in den Leib trinken muss … bevor er eine Frau besteigt, einen Gipfel oder ein Flugzeug.“

Die Autoren Theresia Walser und Karl-Heinz Ott schufen eine zeitgemäße Fassung der Geschichte, die mit Erkenntnissen nicht spart und manch Traditionelles humorvoll ironisch in den Raum stellt. Eine philosophische Betrachtung alpenländischer Gepflogenheit und Charaktere in der neuen Zeit gelangt mit diesem Stück auf die Bühne.

 
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Agnes Burger

© Hilda Lobinger

 

 

Der Regisseur Torsten Bischof schuf daraus eine unterhaltsame Inszenierung, die natürlich aufge“pop“t dem modernen Bühnengeist entspricht. Die Szenenwechsel waren musikalisch untermalt und die Darsteller tanzten bisweilen locker den „Berg“ hinan. Die von Aylin Kaip und Marc Spaeth fantasievoll, doch realistisch gestaltete Bühne dominierte der Berg, der steil und unwegsam, mit Spalten und Abgründen versehen, ebenfalls zur Spielfläche wurde. Er forderte spielerisch den Körpereinsatz der Darsteller; die erkletterten, ertanzten, erklommen ihn und verschwanden in seiner Tiefe. Und vor dem Berg, obligatorisch, die Tische des Dorfwirtshauses, an denen man sich mit Bier gütlich tat oder Neuigkeiten tauschte.

Der Darstellerin der Wally, Agnes Burger, war die Rolle auf den Leib geschrieben. Sie gab die kämpferisch unnachgiebige und doch stellenweise sehr weibliche Hauptfigur in vielen Facetten ausgezeichnet. Dies kann auch von Steve Walter, der ihren Gegenpart, den Bären-Josef verkörperte, gesagt werden. Auch er überzeugte. Die Mutter des Josef wurde von Kerstin Jaeger einfühlsam und doch ältlich eigen dargestellt. Arno Linker hielt stellvertretend für alle Trinker des Dorfes locker die Stellung und vertrat in legerem Geplänkel gegen den Flachländer Strunz (außenseiterisch Rainer Lott, in mit bayerischem Rautenmuster versehenen Socken) die Bergbewohner. Der Kellnerin Afra, Xenija Dirr, stand die Angst vor dem Geier Hansi glaubhaft ins Gesicht geschrieben. Der Hirtenbub (Sarina Schinzer) erklomm leichtfüßig wiederholt den Berg, vergrub lässig die Hände in den Hosentaschen und erzählte mit Aufmerksamkeit heischender Stimme die neuesten Begebenheiten. Stephanie Simbeck kam die Rolle des von Vinzenz verschmähten Mädchens zu. Der alte Strominger, Wallys Vater wurde von Jan Schaumann hartherzig, stur und ebenso kämpferisch gegeben. Bleichen Gesichts stellte er auch körperlich glaubhaft das Alter vor. Désirée Thielen und Manuel Renken waren die Wirtsleute des „Lamm“ und brillierten komödiantisch in den Rollen der Bergbauern. Der verschmähte Gellner-Vinzenz (Timo Vogel) war sichtbar und doch hoffnungslos verliebt in die willensstarke Geierwally und schwankte gewitzt zwischen Naivität und Berechnung. Die Leistung des Ensembles war insgesamt ausgewogen und von Spielfreude getragen.

Die moderne Erzählweise des Stückes ergänzte der Chor durch poetische Lieder mit allgemein gültigen Bildern der Berge oder den Weisheiten derer Bewohner. Am Ende sang er: „ … im ewigen Wechsel, so lasst eure Klagen und weckt sie nicht von neuem ...“ und es bleibt der Eindruck von dieser Inszenierung, ganz im Zeichen gegenwärtiger  Zeit, ein lockerer unterhaltsamer.


C.M.Meier

 

 


Geierwally

von Theresia Walser, Karl-Heinz Ott

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Agnes Burger, Jan Schaumann, Timo Vogel, Steve Walter, Kerstin Jaeger, Xenija Dirr, Manuel Renken, Désirée Thielen, Stephanie Simbeck, Sarina Schnizer, Arno Linker, Rainer Lott

 

Regie: Torsten Bischof

Halle 7 Wandernutten von Theresia Walser


 

 

Last Exit: Sex

Wandernutten, was kann man sich heute darunter vorstellen? Theresia Walser gibt darauf eine verblüffende und erschreckende Antwort. Dabei ist eines sicher, ein Mann hätte dieses Drama wohl kaum schreiben können. Es ist ein Episodenstück, in dem drei Gesellschaften zu Wort kommen. Ein Pornopärchen tauscht sich aus und scheitert dabei an der Unmöglichkeit, Privates und Berufliches voneinander zu trennen. Eine Männergesellschaft veranstaltet ein Essen und kommt immer wieder auf das Thema Frauen, Sexualität und der Sucht danach. In einem Hotel bereiten drei Geschäftsfrauen eine Fusion mit einer Mailänder Firma vor. Eine von ihnen plant dabei einen Seitensprung.

Theresia Walser reflektiert in ihrem Stück das Verhältnis der heutigen Gesellschaft zur Sexualität, der die Liebe abhanden gekommen ist und die von der Sucht bis zum ökonomischen Kalkül reicht. Die Aussage ist verstörend, entbehrt aber bei näherer Betrachtung nicht eines wahren Kerns.

Regisseur Claus Peter Seifert verschmolz die drei Szenen in einem Bild. Alle Darsteller waren durchgängig präsent, was einleuchtete, da alle Vorgänge parallel verliefen und stichwortartig ineinander griffen.
"Die moderne Gesellschaft fördert eine Designer-Erotik, das heißt eine maximale Entfernung vom evolutionären Erbe der Sexualität." (Norbert Bolz / Programmheft) Diesen Gedanken aufgreifend, begann Seiferts Inszenierung mit einer Erinnerung an diese vormodernen Zustände. Die Darsteller bewegten sich wie die Primaten, die ja unbestritten in uns noch existieren. Doch dann brach die Moderne über das Publikum herein. Es entfaltete sich ein sehr düsteres Bild von der praktisch gelebten Sexualität im Heute.
 
   
 

Conny Schmid, Ute Pauer, Anke Schüler

© Hilda Lobinger

 

 

Ute (Renate Schneider) und Ronnie (Christian Streit) verstrickten sich immer wieder in der Sophistik aus pornografischer Technik und emotionaler Anziehung. Erst im späten Erkennen, dass sie zu Wesen geworden waren, auf die jedermann zugreifen kann, erfolgte ein schauderndes Innehalten.

Die Männergesellschaft indes glich einem Panoptikum der Asexuellen. Georg, sehr kontrolliert und dennoch sensibel in der Gefährdung gespielt von Markus Böker, schien die einzige verlässliche Figur in Sachen Liebe, Ehe und Sexualität zu sein. Doch der Schein trog. Rainer, der das Essen veranstaltete, erzählte bald von einem Freund, der in den Sog der Pornografie geraten war und von dieser total beherrscht wurde. Lutz Bembenneck gelang es geraume Zeit, die Fassade aufrecht zu erhalten. Albert hatte das "Problem" mit den Frauen auf radikalste Weise gelöst. Er schwor Verzicht. Jens-Uwe Richter verlieh der Rolle einige kalkulierte Unglaubhaftigkeiten. Frederick Lankaus eloquenter Olaf zog es vor, in seinen Überlegungen auf das Rauchen auszuweichen. Alle gemeinsam gestanden jedoch, dass sie es sich vorstellen konnten, mit Georgs Frau zu schlafen. Georg hingegen konnte es sich vorstellen, als Rainer, Albert oder Olaf mit seiner Frau zu schlafen. Die Ritualisierung als letzte Möglichkeit hatte diese scheinbar intakte Beziehung längst in Frage gestellt.

An dieser Stelle kamen dann die Wandernutten ins Spiel. Die Frauen, inzwischen längst etablierte Protagonisten im Spiel um Macht, Geld und Anerkennung, haben alle Skrupel verloren, auch das Letzte zu geben. Leonie, Conny Schmid in der gespreizten Pose der Gewinnerin, betrieb nicht nur engagiert die Firmenbelange, sie musste sich zudem auch noch gegen die intriganten Kolleginnen Lydia (Anke Schüler) und Ines (Ute Pauer) wappnen. Je dünner die Luft, um so perfider und rücksichtsloser werden die Mittel des Existenzkampfes. Sex ist dabei nur eine Spielart. Doch die Konkurrenz ist unberechenbar und als plötzlich eine Frau im roten Rock (Elisa Ruz Campos) auftauchte, schienen die Karten neu gemischt. Das Stück mutete sehr apokalyptisch an, wäre da nicht die "Verliebte". Petra-Lina Schulze gab die Rolle als eine sehnsuchtsvolle Frau, der die Spielarten der sexuellen Geschäft(stät)igkeit fremd zu sein schienen. Sie war die einzige versöhnliche Figur.

Regisseur Claus Peter Seifert war eine überaus verdichtet Form der Umsetzung dieses Stückes gelungen. Auf engstem Raum (Bühnenbild: Wladimir Schengelaja) wurde dem Zuschauer eine Welt suggeriert, die aus den Fugen ist. Der Musiker Manfred Schmid erzeugte im Hintergrund eine Geräuschkulisse, die kontrapunktisch eine Atmosphäre der emotionalen Haltlosigkeit erzeugte. Der Abend war eine gelungene Suggestion über das, was öffentlich anders genannt wird, letztlich aber Prostitution auf allen Ebenen ist.



Wolf Banitzki

 

 


Wandernutten

von Theresia Walser

Lutz Bembenneck, Markus Böker, Frederick Lankau, Ute Pauer, Jens-Uwe Richter, Elisa Ruz Campos, Conny Schmid, Renate Schneider, Anke Schüler, Petra-Lina Schulze, Christian Streit

Regie: Claus Peter Seifert

Halle 7 Geisterschiff von Margareth Obexer


 

 

Vom ausgesprochenen Unbehagen

Italien und den Humanismus verbindet eine lange gemeinsame Geschichte. In der Renaissance fand er hier einen seiner Höhepunkte und viele der Ideen wurden umgesetzt. Heute verteidigt Italien (wie andere europäische Grenzländer auch) den Humanismus für sich, für Europa. „Die draußen“ sind keine Menschen, suggeriert dies, und daran ändert sich auch nichts, wenn sie bereits in Plastik eingeschweißte Ausweise haben.

Maxi Obexers Stück „Geisterschiff“ nimmt sich dieses Themas an und beginnt mit dem Bericht über die Versenkung eines Flüchtlingsschiffes „Millimeter vor der italienischen Küste“ in den internationalen Gewässern. Zwei junge Reporter, auf dem Weg zu einem Kongress in Porto Celeste, wollen investigativen Journalismus betreiben und beginnen mit der Recherche über das Unglück. Und wäre da nicht der von der Jury ausgesetzte Preis den sie erlangen wollten, für eine Reise oder die Altersvorsorge, dann könnte man meinen, die Aufdeckung von Missständen erfolgte allein um der größeren Sache, einer humanen Weltgemeinschaft wegen. Wie einfach es ist, über den kleinen Egoismus die verbindende Idee des Humanismus auszuhebeln, wird nicht nur an dieser Stelle deutlich. Die Kuratorin des Kongresses ist auf der Suche nach Projekten für einen Utopien-Park. Sie erfährt die Grenzen ebenso wie zwei weitere Passagiere auf der Überfahrt.

Ein großes weißes Segel dominierte sinnfällig die Bühne (Mark Späth), mal blähte es sich im Wind, mal hing es wie ein Vorhang im Raum. Regisseur Torsten Bischof schuf damit wechselnde Szenenbilder, vom Deck des Passagierschiffs bis zum Büro des Bürgermeisters. Bischof inszenierte das Stück unaufwendig und ließ dem Werk das Wort. Dieses besteht aus gehaltvollen intelligenten Dialogen und das beförderte das Spiel der Darsteller.  Nicola Trub und Oliver Bitzer gaben die Journalisten. Ambitioniert und doch sehr schnell an die Grenzen stoßend, schwankten sie zeitgemäß zwischen der großen Aufgabe und dem Möglichen. Die Kuratorin Bettina Hampel war ganz moderne Frau, abwechselnd idealistisch und taktisch, je nach Bedarf. Rochus Weiser, ein Passagier, verkörperte glaubhaft den Professor der zwischen akademischem Wissen, nicht nur über den „Fliegenden Holländer“ und der Seekrankheit agierte. Den zweiten Passagier und Gesprächspartner des Professors gab etwas behäbig Robert Sachsenhauser. Sein Bestattungsunternehmer, das Cocktailglas in der Hand,  liebte den Genuss im Leben, den leichten praktischen Dialog und geschäftstüchtig entwickelte er platzsparende Urnengräber. Thomas Feldkamp spielte sowohl einen Fischer als auch den Bürgermeister von Porto Celeste. Der Fischer, ein einfacher gerader Kerl, gelang ihm ebenso wie der in Amtsgeschäften brillant auftretende typisch italienische Mann. Einen Monolog über die Kaktusfrucht hielt Michael Ostertag. Emotionslos, doch mit feiner Nuancierung brachte er das Wesen der Frucht an das Publikum.
 
   
 

Rochus Weiser, Robert Sachsenhauser

© Hilda Lobinger

 

 

Fast könnte man sagen, ein wirklich gutes Theaterstück, wäre da nicht die Eröffnungsrede der Kuratorin des Kongresses „Vom europäischen Unbehagen über ...“ am Ende.  Hier will eine Autorin zu viel und das Unbehagen fand zwischen Bühne und Publikum statt, und nicht im Zuschauer, wo es hin gehört.  Wenn man lange genug und oft genug darüber spricht, verliert alles seinen Schrecken. Wenn man es von allen Seiten nur eingehend genug beleuchtet, erübrigt sich scheinbar die Frage der Lösbarkeit. Ein Patt entsteht in dem der erhobene Zeigefinger unangebracht ist, kann er doch keinesfalls Haltung ersetzen.

Es bleibt die Frage nach dem „Was tun?“ und die Verbalisierung von Missständen kann immer nur ein Anfang sein. Anregung gibt das sehenswerte Stück, doch dann ...

 
C.M.Meier

 

 


Geisterschiff

von Margareth Obexer

Nicola Trub, Oliver Bitzer, Bettina Hamel, Rochus Weiser, Robert Sachsenhauser, Thomas Feldkamp, Michael Ostertag

Regie: Torsten Bischof

Halle 7 ROSE IS A ROSE IS A ROSE IS A ROSE von Ivana Sajko


 

 

Liebe in Zeiten des Krieges

Gleich drei Stücke der jungen kroatischen Autorin Ivana Sajko sind in der aktuellen Produktion ROSE IS A ROSE IS A ROSE IS A ROSE des Theaters Halle 7 versammelt. Die vielfach ausgezeichnete Autorin, die auch als Regisseurin und Dramaturgin tätig ist, begibt sich in ihnen auf die Suche nach der Möglichkeit von Liebe in Zeiten des Krieges.

Das Stationendrama in drei Teilen (Regie: Dieter Nelle) beginnt im Foyer der BlackBOX, von wo aus die Zuschauer auf ein kurzes Intermezzo ins Treppenhaus geführt werden. Dort teilen sich vier rotbekappte Damen (Christina Andrione, Katharina von Harsdorf, Janina Ringlé, Karin Schedlbauer) einen zornigen Monolog an "Maria voll der Gnaden", die angesichts zerbombter Städte offensichtlich nicht einmal mehr sich selbst helfen kann. Weiter geht's zum eigentlichen Spielort im ersten Stock, vorbei an einem nackten "Gefangenen" inklusive Wärter. Abu Ghraib in der PuffBOX? Der Ton für RIPPEN / WÄNDE ist somit vorgegeben. Die zentralen Themen des gesamten Abends - Krieg, Liebe und die aus ihnen resultierenden Kollateralschäden - werden hier im Rahmen einer existentiellen ménage-à-trois verhandelt: Ein Gefangener, sein Folterknecht und eine Frau, deren Date nie bei ihr ankommt (Philipp Künstler, Wolfgang Haas, Christina Andrione) leiden an Situationen, in die sie ein diktatorisches System gebracht hat. Ivana Sajko spinnt einen verwobenen BeziehungsReigen, in dem Glück, Schmerz, Hoffnung, Enttäuschung, Freiheit und Gefangenschaft nahe beieinander liegen.
 
   
 

Philipp Künstler, Karin Schedlbauer, Katharina von Harsdorf, Wolfgang Haas

© Hilda Lobinger

 

 

Gruppenbild mit Sprengstoff
Der Name des zweiten Stücks ist in mehrfacher Hinsicht Programm: BOMBENFRAU begleitet eine Selbstmordattentäterin auf ihrem letzten Gang ("Das ist meine erste und letzte Bombe."). Janina Ringlé macht sie zur femme fatale mit roten Lippen und Stiefeln, der außer Sprengstoff und reinweißen Dessous nichts unter den Trenchcoat kommt. Parallel dazu verläuft der Dialog einer Autorin (Katharina von Harsdorf) mit dem von ihr geschaffenen literarischen Geschöpf. Im Spiel der Realitätsebenen erzählt Ivana Saijko von den letzten 12 Minuten der Attentäterin und reflektiert zugleich die Schwierigkeiten, die sich aus dem BeSchreiben solcher Vorgänge ergeben ("Ich möchte keine Heldin erschaffen."). Auf die Armada "explosiver" Unterwäsche-Models zum Stückende hätte verzichtet werden können.

Nach der Pause ist es Zeit für die deutsche Erstaufführung. In ROSE IS A ROSE IS A ROSE IS A ROSE, als Auftragswerk für den steirischen herbst 2008 entstanden, kommt noch einmal das ganze Ensemble zum (Körper)Einsatz. Eine scheinbar banale Liebesgeschichte - Junge trifft Mädchen in der Disko -, ein Tanzwettbewerb, dessen Gewinner 2000 Dollar winken und ein Molotow-Anschlag auf einen Bus gehen eine etwas holprige Synthese ein. Die wie beim Staffellauf weitergereichten, teils chorisch, teils einzeln gesprochenen Dialoge können nicht über die mangelnde Tragfähigkeit des Textmaterials hinwegtäuschen und auch das Thema ist mittlerweile hinreichend bekannt. Eine Straffung der Text- und Tanz-Sequenzen (Choreografie: Diana Thielen) hätte ROSE IS A ROSE IS A ROSE IS A ROSE, das über einige Längen verfügt, gut getan. Die Raumgestaltung von Anna von Eicken (Bühnenbild) und Michael Bischoff (Licht) überzeugt hingegen durchweg. Mit einfachsten Mitteln verwandeln sie die PuffBOX in eine multioptionale Spielwiese, die dem Text in seiner Vielschichtigkeit folgt. Er gewährt Raum für eigene Gedanken und wird in Schlüsselmomenten doch zum konkreten Ort, z.B. als sich die Zuschauer, die sich für die mittigen Plätze entschieden haben, plötzlich als "Insassen" des Busses wiederfinden, der in die Luft gesprengt werden soll.
 

Tina Mess

 

 


ROSE IS A ROSE IS A ROSE IS A ROSE

von Ivana Sajko

Christina Andrione, Wolfgang Haas, Katharina von Harsdorf, Philipp Künstler, Dirk Linke, Janina Ringlé, Karin Schedlbauer, Carsten Stumpe

Regie: Dieter Nelle