Halle 7 Bandscheibenvorfall von Ingrid Lausund
Den Nerv getroffen
Die Bandscheiben, Puffer zwischen den harten Knochen des Rückgrats der Wirbeltiere, können bei Fehlhaltung ganz leicht verrutschen und dann, dann drücken sie auf die Nerven. Das Tier heult auf, beißt wild um sich, leidet, randaliert und verkriecht sich letztlich um zu verenden. Beim Menschen, der eingespannt ist in das Räderwerk eines Systems, kommt es zu Fehlhaltung; Überlastung und Schmerzen sind die Folge, für die die Industrie ihren gepeinigten Sklaven Medikamente verkauft, um diese zu stillen. Stillzulegen im Schmerz, gefangen zu halten in der Fehlhaltung und über die Mittel Profit zu machen, so lautet die Maxime. So simpel das Spielchen ist, so effektiv ist es, denn der Leidende ist der beste Angestellte, der beste Untertan, der beste Kunde.
Ein Psychogramm der Gepeinigten, so könnte der Untertitel des Stückes von Ingrid Lausund lauten. Die Autorin erfasste den Zeitgeist und komprimierte die moderne Sprache der sogenannten wissenschaftlich fundierten Verhaltenstherapie in ein dichtes anschauliches Werk. Die Angst, unsichtbar und doch heute allgegenwärtig, wirkt nur indirekt auf den Körper und so gehen sie scheinbar noch alle aufrecht. Alle, die unter Haltungsmangel leiden und sich an ihren Arbeitsplätzen krümmen und winden, sich optimieren lassen in Verhaltenskursen, und sich gegenseitig das Leben zur Hölle machen, werden präsent.
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Viviane Suchomel, Daniela Wolf, Daniela Klaßen, Mila Kostadinovic
© Irene Huber
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Gegenstand ist der Alltag von fünf Angestellten, die in einem Vorzimmer der Wirtschaftsmacht die Hackordnung praktizierten. „Morgen“, „Morgen“, „Morgen“ begann es, bevor der Tag mit weiteren Floskeln von „...das darf man alles nicht so ernst nehmen ...“ bis „Es ist alles gut“ weiterging. Daniela Wolf gab Kristensen, eine hübsche junge Frau, die als erste das Chefzimmer betreten durfte. Sichtlich aufgeregt zupfte sie den Rock zurecht, ehe sie nach der Türklinke griff. Der Aufenthalt im Chefzimmer war kurz, doch ihr Gesicht strahlte, als sie wieder herauskam. „Es ist alles gut“, doch ... (und das sei hier nicht verraten). „Darauf trinken wir heute einen Sekt“, war man sich einig. Die Figur Kristensen gestaltete sie vermittelnd, nach Lösung und Austausch suchend, doch wenig durchsetzungsfähig. Anders Elisabeth Pless, die den Auftritt beim Chef durchchoreografierte und wieder und wieder probte, der Engel erschienen in der Sitzung, die selbstbewusst und exakt kalkulierte als Hufschmidt. Auch männlich dominant bestimmte sie die Runde, teilte Lob aus und Ohrfeigen, eignete sich ein fremdes Konzept an und erlitt einen Herzinfarkt. Eine weiblich kalkulierende Frau namens Schmitt stellte Viviane Suchomel vor. „Blickkontakt halten ... nicht flirten ...“, programmierte sie sich vor ihrem Auftritt im Machtzentrum, angepasst machte ihre Figur mit und stellte nichts in Frage. Die Schwächen der anderen, die hatten es ihr angetan und forderten ihre Aufmerksamkeit, bis sie sich aufgelöst als Scherbenhaufen bezeichnete und als solcher enden wollte, keinesfalls wieder zusammengeklebt. Das Zentrum der Macht war hinter einer Türe verborgen, über der ein rotes Licht angebracht war. Leuchtete dieses, so ertönte ein Signal und die Hühner des Vorraumes wirbelten über die Fläche, scharten sich gespannt davor (Bühne/Kostüme Nora Brügel). Musik und Lichteffekte taten ein übriges, der Situation „Gefahr“ zu bestätigen und schufen dadurch schlüssig Momente (Manfred Schmid/Michael Wüst/Hans Barth). Die undankbare Rolle der schwachen Außenseiterin, die verlacht, geschlagen und bestohlen wurde, übernahm Daniela Klaßen. In jeder Situation war sie verständnisvoll, stets fand sie eine Erklärung, stets gab sie nach und war das Opfer. Teils linkisch ungeschickt und teils unbeholfen agierte sie, dennoch verlor sie nie den Mut. Mila Kostadinovic, der dynamisch Pfiffigen kam das Schlussplädoyer zu. Konsequent lebendig erklärte und betrat sie den Weg aus dem Dilemma, den die Autorin aufzeigt.
Die Inszenierung von Markus Schlappig bediente das gesamte Gefühlssprektrum des Menschen und reichte von leicht erheiternd bis komisch und nicht selten tragisch anrührend. Der Regisseur führte die Darstellerinnen geschickt und entlockte ihnen in Gestik, Mimik und Körpersprache ein Optimum (lt. Wirtschaftssprache). Schmunzeln, Lachen, Nachdenklichkeit und irritierte Ablehnung spiegelte sich in den Gesichtern des Publikums.
„Im Zweifelsfall lachen“, so Ingrid Lausund, die den Psychotherapeuten sehr genau zugehört hat. Doch, dass es längst nicht mehr zum Lachen ist, das wissen wohl die meisten Mitglieder der Gesellschaft. Dennoch, die Fehlhaltungen geballt vor Augen geführt zu bekommen, hatte ergreifenden und berührenden Unterhaltungswert. Der Höhepunkt: Das Lächeln von Mila Kostadinovic, welches den Schlusspunkt bildete. Es hinterließ einen Hoffnungsschimmer.
C.M.Meier
Bandscheibenvorfall
von Ingrid Lausund
Daniela Klaßen, Mila Kostadinovic, Elisabeth Pleß, Daniela Wolf, Viviane Suchomel
Regie: Markus Schlappig |
Halle 7 Wildnis und Casinos von Robert Woelfl
Rien ne va plus
Grau. Grau war die Wildnis in Claus Peter Seiferts Inszenierung von Robert Woelfls Stück, welches 2006 uraufgeführt worden war und bis heute nichts von seiner Aktualität einbüßte. Nach wie vor beherrschen die Meldungen über den Casino-Kapitalismus die Medien und beachtliche Teile der Bevölkerung zittern täglich mit. Die natürliche Wildnis wandelte sich im Laufe der letzten Jahrhunderte vom Grün oder Sandgelb und der darin lebenden gefährlichen Tierwelt in einen behüteten Bereich, während sich eine unüberschaubare Wildnis in der industriellen Zivilisation breitmacht. Betongrau, Maschinengrau, Bürokratengrau, Bankengrau und dieses vehement um sich greifende Grau lässt auch die Lebendigkeit ergrauen. Dies ist der Raum in dem sich die Figuren aufhalten, sich befinden „in Situationen … nicht in meinem Leben“, wie Woelfl Rita feststellen lässt. Auch wenn der graue Filz, der die Bühne bestimmte (Frank Campoi, Elena Thodria) weich ist und die darunter gelegten Matten den Schritt oder die Körper auffingen, Sicherheit suggerierten, so blieb doch das Grau dominierend.
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Elisa Ottersberg, Andreas Mayer, Natascha Heimes
© Hilda Lobinger
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Die gleich Halbwilden ausstaffierten Darsteller agierten in der mit Steinen und einer Pipeline gestalteten Bühnenlandschaft, bekleidet mit Fellresten und Filz über roten Dessous und lila Satinsporthosen. Carlos wartete ungeduldig auf seine Stunde, klopfte sich an die Brust, auf die Schenkel, richtete sich mächtig auf. Lucy, 24zigjährige Praktikantin, hatte längst reagiert auf ihn, der eine Etage aufgestiegen war in der Firma und das vorgelegte Tempo halten musste. Mit Tee steigerte er seine Kreativität, „bis zur Gelegenheitskriminalität“, wie Rita es nannte. Rita, die versuchte ihr Leben in einen Lebenslauf zu bringen und auf Nick ansprang. In deren Mittelpunkt stand der Vertrag, den sie bedienten mit ihrer Beziehung, ein Vertrag zur Vermögensbildung, der sie einander verband. Dagegen war Jana ihrem Konto verbunden und dem Abbau von Rohstoffen vermittels einer lila Kreditkarte beschäftigt, die die Beraterin an der Bank für sie extra kreierte. „Kaufen sie … kaufen sie sich eine Uhr … eine teure Uhr“, empfahl diese. „Benutzen sie die Karte sooft wie möglich …“ Nick hatte eine Schatzkarte erstanden, ein Gelegenheitskauf wie er versicherte, wollte er doch mindest ein Abenteuer erleben und erst später den vertraglichen Verpflichtungen nachkommen. „… du hast das Geld nicht verloren, es ist nur verschwunden …“ erklärte Carlos Lucy den Verlust nach einem kreativen Deal zur wundersamen Vermehrung. Die Schauspieler boten nuanciertes ausgewogenes Ensemblespiel und ausgefeilt differenzierte Charaktere: Steve Walter als Carlos machohaft, Elisa Ottersberg als Lucy sexy, Natascha Heimes als Rita vernünftig, Katharina Romanenko als Jana verzweifelt, Andreas Mayer als Nick sensibel. Alle Fünf waren einander über Vertrauensverhältnisse, Freundschaften, verbunden und schwankten zeitgemäß zwischen Ver- und Misstrauen, schwankten zwischen den benannten Eigenschaften und deren Gegenteil. Am Ende gleichzeitig?
Authentizität, Abenteuer, Vertrag, Vertrauensverhältnis, Kreativität und Kriminalität sind die Begriffe mit denen Robert Woelfl spielt und die er in ihren verschiedenen Schattierungen aufleuchten lässt. Nicht zu vergessen das „Über-Ich“, das mittlerweile in fast jeder …tasche zu finden ist und das Termine und Gefühle verwaltet, doch keineswegs Auswege aus dem Dilemma zu finden in der Lage ist. Doch das Unternehmen um der Unternehmung willen ist auch kein Abenteuer und so begnügt man sich mit der Verwaltung des gewaltigen …
Traurig. Traurig ist es in dieser Wildnis, auch wenn die ausgezeichnete Aufführung schmunzeln und gelegentlich erhaben lächeln ließ in den Momenten, die Wiedererkennung überdeutlich weckten. So blieb eben ein zwiespältiger Eindruck von der kurzweiligen Inszenierung: einerseits ein angenehmer, auf Grund des intelligenten Textes und der gelungenen Umsetzung, andererseits ein unangenehmer, auf Grund der bedrückenden Realitätsnähe.
C.M.Meier
Wildnis und Casinos
von Robert Woelfl
Natascha Heimes, Elisa Ottersberg, Katharina Romanenko, Andreas Mayer, Steve Walter
Regie: Claus Peter Seifert |