Halle 7 Die letzte Runde von Frank Campoi
Auf einer realen Lebensgeschichte basiert das Stück „Die letzte Runde“ von Frank Campoi. Und dennoch dient diese nur als Rahmen, als Projektionsfeld für Begegnungen und Reflektionen. Die Geschichten der Einzelnen treten hervor, um wieder in die der Familie zurück zu treten und im Globalen zu verschwinden. Im Vordergrund steht bei allem die Suche nach Wohlstand, für den Menschen bereit sind, ihr Leben aufzugeben. Gastarbeiter, Ausländer zu sein, oder mit ihnen zu leben, ist weltweit eine Problematik, die in Abgrenzung und eine gemeinsame Bewegung nur mündet. Konsumismus. Vom schieren Überleben bis zum Übersatt. Denn auch ein Reicher, der in bestimmten Geschäften kaufen muss, um von seinem Umfeld anerkannt zu werden, ist dadurch ein Armer. Bei allem Geld.
Pavlov war Boxer, erfolgreicher Boxer in Serbien. Er, ein vielbegehrter Mann, heiratete Nada, eine zarte Frau, die es nicht ertrug, zu beobachten, wie er Schläge einstecken musste. Nach dem Ende seiner Karriere arbeitete Pavlov als Maurer, baute viele Häuser in seinem Heimatort. Dann hatte er, wie viele in den sechziger und siebziger Jahren, die Idee nach Deutschland zu gehen. Geld beschaffen. Seine Frau widersetzte sich, da fast alle ihre Familienmitglieder von den Deutschen im Zweiten Weltkrieg getötet worden waren. Pavlov blieb aus Liebe zu ihr zu Hause, verweigerte aber trotzig die Arbeit und beschäftigte sich fortan nur noch mit seinen Tauben. „Friedenstauben.“ Der Tod sprach das Wort aus. Der Friede jenseits des Lebens.
„Pavlov spricht nach innen.“ Ein Tierkäfig hielt die Darsteller am Boden gefangen. An der Wand liefen vier Fernsehgeräte, lautstark tönte Werbung in serbischer Sprache. Am Rand stand Pavlov; er trug ein Pyjama, streute Futter. Teilnahmslos ertrug Oskar Lindenbrecht das Theater der Familie. Edina und Goran, der Neffe der verstorbenen Nada, waren gekommen um das Begräbnis zu bewerkstelligen. Sie leben in Deutschland; ihr Bezug zur Heimat der Eltern ist begrenzt. Bernadette Wildegger und Christian Streit gaben das junge Paar. „Wo bist du Goran?“ „Keine Ahnung ... irgendwo.“ War Edina schon weit deutlicher Deutsch angepasst, so überzeugte Christian Streit als Serbe Goran in Haltung und Gestik. Marten Krebs gestaltete machohaft Ace. Er hatte als Geldmakler in London die Ersparnisse der Familie verzockt, spuckte Blut. Seine Freundin, das neuzeitliche deutsche Fräuleinwunder, typischtypisch gespielt von Anna-Maria Wasserberg, glänzte durch subtile und offensichtliche Gewalttätigkeit, deklamierte Systemtheorien über die Modernen Zeiten. „Alles Sein will Wort werden“, stellte der Künstler Jonas fest. Er, ein Dichter und Komponist, hat erst seitdem er in englischer Sprache singt Erfolg, wird wahrgenommen. Kevin Steiniger, im schwarzen Gehrock, das Haar gegelt, in Denkerhaltung oder am Cello, verkörperte diesen Kunstschaffenden auf der Bühne. Frank Campoi personifizierte auch die Liebe und den Tod. Sie bewegten sich verbindend zwischen den Figuren. Natascha Jugl, sexy und leicht lasziv, in schwarze Spitze gekleidet, gab die Liebe. Die ewig Suchende, Verliebende. Markus Hill, erhaben gurumäßig, in weiß gekleidet mit weißem Gesicht, verkörperte ausgleichend den modernen Tod. Der Selbstzufriedene, Abgeklärte. Das Ritual des Totenmahls für Nada verband die Lebenden. Liebe und Tod. Verbindend wirkten die gelebten Rituale. Bereichernd.
Marten Krebs, Anna-Maria Wasserberg, Kevin Steininger, Christian Streit, Natascha Jugl, Bernadette Wildegger, Oscar Lindenbrecht, Markus Hill © Hilda Lobinger |
Das Werk begann und endete mit dem gleichen alltäglichen Ritual. „.Bringst du nach dem Essen bitte den Müll raus ...“ Aus dem Leben der Jungen, wie im Leben der Alten tönte es gleich. Unabhängig von aller Örtlichkeit. Der Alltag wird durch Rituale der Notwendigkeit bestimmt. Das ist das Gefängnis, der Käfig der eint und gefangen hält. Im Stück hatte der Alltag Dialogform, während die Geschichten und Weisheiten an das Publikum deklamiert wurden. Von Gesicht zu Gesicht. Wissen übertragen. Doch was nützte es, wenn die das Wort nicht hören, es von Geräuschen übertönt war. Leistungsgesellschaft. Gemessen wird an Maschinenleistung. Der Mensch wird sich selbst entfremdet. Bestenfalls hat er „... die Heimat in sich ...“, wie Jonas es artikulierte. Einzelwesen. Doch Heimat, das sind auch die anderen, jene mit denen man Gene, Lebensart und Kultur teilt. Wer nicht mehr teilt, ist heimatlos. Von da ist es ein kleiner Schritt zum programmgesteuerten Androiden in einem System. Dies ist ein Vorgang, der vergleichbar ist mit dem Prozess der aus volkseigener Musik, dem Lebensgefühl einer Gemeinschaft, weltweit verkaufbaren Sound machte.
Die Musik und die Geräusche der Technik konkurrierten mit dem gesprochenen Text und es forderte die uneingeschränkte Konzentration des Zuschauers, dem Inhalt zu folgen. Ganz wie im richtigen Leben. Auto, Werbung, Maschinenlärm und Vordergrundmusik. Eine Szenerie wie sie die südosteuropäischen Nachbarn bevorzugen und die doch mittlerweile allgegenwärtig zu werden scheint. Die gehaltvolle stimmige Inszenierung und das Stück, in dem jede Figur ihre eigene Sprache hatte, eigene Intentionen vorstellte, bildeten eine Erfahrung, die den Zuschauer viele verschiedene Fäden aufnehmen, verfolgen ließ. Ein umfassender dichter gelungener Kunstplot.
Die letze Runde
von Frank Campoi
Markus Hill, Natascha Jugl, Marten Krebs, Oscar Lindenbrecht, Claudia Sauermann, Kevin Steininger, Christian Streit, Anna-Maria Wasserberg, Bernadette Wildegger Regie: Frank Campoi |