Halle 7 Geierwally von Theresia Walser, Karl-Heinz Ott
Heute: Nationalpark-Klischee
Der 1873 erschienene Roman „Geierwally“ von Wilhelmine von Hillern erzählt, ausgehend von einer wahren Begebenheit in den Lechtaler Alpen, eine ungewöhnliche Liebesgeschichte. Anna Maria Rosa Knittel, eine junge Bauerntochter und später bekannte Malerin, hatte in ihrer Jugend die jungen Männer des Dorfes beschämt. Mutig hatte sie sich an einem Seil die steile Felswand hinab gelassen, das Nest eines Lämmergeiers ausgeräumt und ein Junges mitgenommen. Die Geier überfielen in regelmäßigen Abständen die Schafherden, was es zu verhindern galt. Nach einem Unglück im vorangegangenen Jahr verweigerten sich die Männer und das junge Mädchen vollbrachte eine Tat, die eigentlich Männerarbeit war. Das Ereignis schrieb Literatur- und Filmgeschichte. 1921, 1940, 1956, 1967, 1988, 2005 im jeweils herrschenden Zeitgeist verfilmt und 2003 von Theresia Walser und Karl-Heinz Ott auf die Bühne gebracht, kann man das Werk getrost einen Dauerbrenner der Heimatliteratur nennen.
Der Kampf der Menschen gegen die Natur, die übermächtige äußere große, genauso wie die eigene innere, ist der Stoff, welcher zu allen Zeiten begeistert. Wenn zudem noch die Liebe ins Spiel kommt, gibt es kein Halten mehr. Die Geierwally und der Bären-Josef sind sich ebenbürtig, füreinander bestimmt und müssen doch erst ihren Kampf mit der Natur austragen, bevor es zu einem glücklichen Ende kommen kann. Was früher realistisch hartes Leben war, ist für den modernen Menschen nur bedingt nachvollziehbar. Geier gibt es nur noch in geschützten Zonen, sie werden gehegt und mitunter gefüttert. Bären, wie etwa der Italiener Bruno stellen weniger eine Gefahr, denn eine pseudosportliche Herausforderung dar. Und der Alltag der Gebirgsbewohner wird stark vom Tourismus, einer Landplage, wie es in manchen Regionen zu Recht heißt, geprägt. Der Berg ist bezwingbar geworden, stehen doch in jedem Tal die Hubschrauber zur Rettung von Bergsteigern bereit. Von Übermacht und Stärke, von der Unbezwingbarkeit kann also nur noch selten gesprochen werden. Dennoch prägt die Landschaft die Menschen, auch wenn sie heute weniger hart und unbarmherzig sind, denn sie haben es „langweilig und warm“ (so das Programmheft).
So steht die Geschichte heute mehr für ein Exempel der Emanzipation, denn für Kampf mit der Natur. Walpurga Strominger, die Geierwally, wird von ihrem Vater zur Erbin des Hofes erzogen, der mit „Vaterdiktat, Vaterliebe, Vater…“ über sie verfügt und sie dem Vinzenz zu verehelichen gedenkt. Wally jedoch liebt den Josef und geht lieber allein auf die Alm, bevor sie sich dem Willen des Vaters fügt. Verwicklungen und Missverständnisse nehmen ihren Lauf. Denn: „Was man liebt hält man nicht aus, und was man nicht liebt hält man auch nicht aus.“, lassen die Autoren den Trinker erkennen. Dieser weiß auch, dass ein Mann sich erst „Tatkraft in den Leib trinken muss … bevor er eine Frau besteigt, einen Gipfel oder ein Flugzeug.“
Die Autoren Theresia Walser und Karl-Heinz Ott schufen eine zeitgemäße Fassung der Geschichte, die mit Erkenntnissen nicht spart und manch Traditionelles humorvoll ironisch in den Raum stellt. Eine philosophische Betrachtung alpenländischer Gepflogenheit und Charaktere in der neuen Zeit gelangt mit diesem Stück auf die Bühne.
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Agnes Burger
© Hilda Lobinger
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Der Regisseur Torsten Bischof schuf daraus eine unterhaltsame Inszenierung, die natürlich aufge“pop“t dem modernen Bühnengeist entspricht. Die Szenenwechsel waren musikalisch untermalt und die Darsteller tanzten bisweilen locker den „Berg“ hinan. Die von Aylin Kaip und Marc Spaeth fantasievoll, doch realistisch gestaltete Bühne dominierte der Berg, der steil und unwegsam, mit Spalten und Abgründen versehen, ebenfalls zur Spielfläche wurde. Er forderte spielerisch den Körpereinsatz der Darsteller; die erkletterten, ertanzten, erklommen ihn und verschwanden in seiner Tiefe. Und vor dem Berg, obligatorisch, die Tische des Dorfwirtshauses, an denen man sich mit Bier gütlich tat oder Neuigkeiten tauschte.
Der Darstellerin der Wally, Agnes Burger, war die Rolle auf den Leib geschrieben. Sie gab die kämpferisch unnachgiebige und doch stellenweise sehr weibliche Hauptfigur in vielen Facetten ausgezeichnet. Dies kann auch von Steve Walter, der ihren Gegenpart, den Bären-Josef verkörperte, gesagt werden. Auch er überzeugte. Die Mutter des Josef wurde von Kerstin Jaeger einfühlsam und doch ältlich eigen dargestellt. Arno Linker hielt stellvertretend für alle Trinker des Dorfes locker die Stellung und vertrat in legerem Geplänkel gegen den Flachländer Strunz (außenseiterisch Rainer Lott, in mit bayerischem Rautenmuster versehenen Socken) die Bergbewohner. Der Kellnerin Afra, Xenija Dirr, stand die Angst vor dem Geier Hansi glaubhaft ins Gesicht geschrieben. Der Hirtenbub (Sarina Schinzer) erklomm leichtfüßig wiederholt den Berg, vergrub lässig die Hände in den Hosentaschen und erzählte mit Aufmerksamkeit heischender Stimme die neuesten Begebenheiten. Stephanie Simbeck kam die Rolle des von Vinzenz verschmähten Mädchens zu. Der alte Strominger, Wallys Vater wurde von Jan Schaumann hartherzig, stur und ebenso kämpferisch gegeben. Bleichen Gesichts stellte er auch körperlich glaubhaft das Alter vor. Désirée Thielen und Manuel Renken waren die Wirtsleute des „Lamm“ und brillierten komödiantisch in den Rollen der Bergbauern. Der verschmähte Gellner-Vinzenz (Timo Vogel) war sichtbar und doch hoffnungslos verliebt in die willensstarke Geierwally und schwankte gewitzt zwischen Naivität und Berechnung. Die Leistung des Ensembles war insgesamt ausgewogen und von Spielfreude getragen.
Die moderne Erzählweise des Stückes ergänzte der Chor durch poetische Lieder mit allgemein gültigen Bildern der Berge oder den Weisheiten derer Bewohner. Am Ende sang er: „ … im ewigen Wechsel, so lasst eure Klagen und weckt sie nicht von neuem ...“ und es bleibt der Eindruck von dieser Inszenierung, ganz im Zeichen gegenwärtiger Zeit, ein lockerer unterhaltsamer.
C.M.Meier
Geierwally
von Theresia Walser, Karl-Heinz Ott
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Agnes Burger, Jan Schaumann, Timo Vogel, Steve Walter, Kerstin Jaeger, Xenija Dirr, Manuel Renken, Désirée Thielen, Stephanie Simbeck, Sarina Schnizer, Arno Linker, Rainer Lott
Regie: Torsten Bischof
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Halle 7 Wandernutten von Theresia Walser
Last Exit: Sex
Wandernutten, was kann man sich heute darunter vorstellen? Theresia Walser gibt darauf eine verblüffende und erschreckende Antwort. Dabei ist eines sicher, ein Mann hätte dieses Drama wohl kaum schreiben können. Es ist ein Episodenstück, in dem drei Gesellschaften zu Wort kommen. Ein Pornopärchen tauscht sich aus und scheitert dabei an der Unmöglichkeit, Privates und Berufliches voneinander zu trennen. Eine Männergesellschaft veranstaltet ein Essen und kommt immer wieder auf das Thema Frauen, Sexualität und der Sucht danach. In einem Hotel bereiten drei Geschäftsfrauen eine Fusion mit einer Mailänder Firma vor. Eine von ihnen plant dabei einen Seitensprung.
Theresia Walser reflektiert in ihrem Stück das Verhältnis der heutigen Gesellschaft zur Sexualität, der die Liebe abhanden gekommen ist und die von der Sucht bis zum ökonomischen Kalkül reicht. Die Aussage ist verstörend, entbehrt aber bei näherer Betrachtung nicht eines wahren Kerns.
Regisseur Claus Peter Seifert verschmolz die drei Szenen in einem Bild. Alle Darsteller waren durchgängig präsent, was einleuchtete, da alle Vorgänge parallel verliefen und stichwortartig ineinander griffen.
"Die moderne Gesellschaft fördert eine Designer-Erotik, das heißt eine maximale Entfernung vom evolutionären Erbe der Sexualität." (Norbert Bolz / Programmheft) Diesen Gedanken aufgreifend, begann Seiferts Inszenierung mit einer Erinnerung an diese vormodernen Zustände. Die Darsteller bewegten sich wie die Primaten, die ja unbestritten in uns noch existieren. Doch dann brach die Moderne über das Publikum herein. Es entfaltete sich ein sehr düsteres Bild von der praktisch gelebten Sexualität im Heute.
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Conny Schmid, Ute Pauer, Anke Schüler
© Hilda Lobinger
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Ute (Renate Schneider) und Ronnie (Christian Streit) verstrickten sich immer wieder in der Sophistik aus pornografischer Technik und emotionaler Anziehung. Erst im späten Erkennen, dass sie zu Wesen geworden waren, auf die jedermann zugreifen kann, erfolgte ein schauderndes Innehalten.
Die Männergesellschaft indes glich einem Panoptikum der Asexuellen. Georg, sehr kontrolliert und dennoch sensibel in der Gefährdung gespielt von Markus Böker, schien die einzige verlässliche Figur in Sachen Liebe, Ehe und Sexualität zu sein. Doch der Schein trog. Rainer, der das Essen veranstaltete, erzählte bald von einem Freund, der in den Sog der Pornografie geraten war und von dieser total beherrscht wurde. Lutz Bembenneck gelang es geraume Zeit, die Fassade aufrecht zu erhalten. Albert hatte das "Problem" mit den Frauen auf radikalste Weise gelöst. Er schwor Verzicht. Jens-Uwe Richter verlieh der Rolle einige kalkulierte Unglaubhaftigkeiten. Frederick Lankaus eloquenter Olaf zog es vor, in seinen Überlegungen auf das Rauchen auszuweichen. Alle gemeinsam gestanden jedoch, dass sie es sich vorstellen konnten, mit Georgs Frau zu schlafen. Georg hingegen konnte es sich vorstellen, als Rainer, Albert oder Olaf mit seiner Frau zu schlafen. Die Ritualisierung als letzte Möglichkeit hatte diese scheinbar intakte Beziehung längst in Frage gestellt.
An dieser Stelle kamen dann die Wandernutten ins Spiel. Die Frauen, inzwischen längst etablierte Protagonisten im Spiel um Macht, Geld und Anerkennung, haben alle Skrupel verloren, auch das Letzte zu geben. Leonie, Conny Schmid in der gespreizten Pose der Gewinnerin, betrieb nicht nur engagiert die Firmenbelange, sie musste sich zudem auch noch gegen die intriganten Kolleginnen Lydia (Anke Schüler) und Ines (Ute Pauer) wappnen. Je dünner die Luft, um so perfider und rücksichtsloser werden die Mittel des Existenzkampfes. Sex ist dabei nur eine Spielart. Doch die Konkurrenz ist unberechenbar und als plötzlich eine Frau im roten Rock (Elisa Ruz Campos) auftauchte, schienen die Karten neu gemischt. Das Stück mutete sehr apokalyptisch an, wäre da nicht die "Verliebte". Petra-Lina Schulze gab die Rolle als eine sehnsuchtsvolle Frau, der die Spielarten der sexuellen Geschäft(stät)igkeit fremd zu sein schienen. Sie war die einzige versöhnliche Figur.
Regisseur Claus Peter Seifert war eine überaus verdichtet Form der Umsetzung dieses Stückes gelungen. Auf engstem Raum (Bühnenbild: Wladimir Schengelaja) wurde dem Zuschauer eine Welt suggeriert, die aus den Fugen ist. Der Musiker Manfred Schmid erzeugte im Hintergrund eine Geräuschkulisse, die kontrapunktisch eine Atmosphäre der emotionalen Haltlosigkeit erzeugte. Der Abend war eine gelungene Suggestion über das, was öffentlich anders genannt wird, letztlich aber Prostitution auf allen Ebenen ist.
Wolf Banitzki
Wandernutten
von Theresia Walser
Lutz Bembenneck, Markus Böker, Frederick Lankau, Ute Pauer, Jens-Uwe Richter, Elisa Ruz Campos, Conny Schmid, Renate Schneider, Anke Schüler, Petra-Lina Schulze, Christian Streit
Regie: Claus Peter Seifert |