Kammerspiele Bonnie und Clyde - Projekt von Barbara Weber


 

 

Bonnie und Clyde treffen Buck, Blanche und C.W.

Das „Gangster-Road-Movie“ beginnt musikalisch. Daniel Friedel alias Murena, Kammerspielgängern bekannt aus „lass mich dein Leben leben. Dirty Control 2" oder „Confession of Agression“, startet mit Teddy-Tolle und ebensolchem Anzug seinen Soundtrack zu „Bonnie und Clyde“ – das Theaterstück. Mit Gitarre und Gesang wird er Zuschauer und Schauspieler durch die hinlänglich bekannte Geschichte des bankraubenden Pärchens begleiten.

Während dessen übt Bonnie (Sylvana Krappatsch, zickig unterkühlt und stets top gestylt) mit Zigarette und Pistole bereits stilechte Gangsterposen. In dem Kleinganoven Clyde wird sie den idealen Partner in ihrem Streben nach Reichtum und einem abenteuerlichen Leben finden. Oliver Mallison zeigt ihn mal als Kaugummi kauenden Kalauer-Cowboy, mal als knallharten Ganoven in feinem Zwirn. Zunächst zu zweit, später mit ihren Mitstreitern C.W., Buck und Blanche, werden mehr oder weniger erfolgreich Banken ausgeraubt, versehentlich Polizisten ermordet und Fluchtpläne geschmiedet. Dass die erste Bank pleite und darum nicht mehr Bank sondern Bar ist, sorgt für die nötige Portion Lokalkolorit.

 
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Stefan Merki, Sylvana Krappatsch, Oliver Mallison, Annette Paulmann

© Arno Declair

 

 

Regisseurin Barbara Weber spielt mit verschiedenen Darstellungsmöglichkeiten, die sich aus der Verschmelzung von Kino- und Theaterästhetik ergeben. Erzählte Passagen spulen die Handlung fast forward, damit genug Zeit und Energie für  Schlüsselszenen bleibt. Sara Giancanes ausgeklügelte Drehbühne liefert die dafür nötigen Örtlichkeiten. Wiederholt kommen filmische Gestaltungsmittel zum Einsatz und werden umgehend als unzureichende theatrale Kopie entlarvt. Zudem wechselt die Darstellungsebene häufig: Die Schauspieler kommentieren zu kurz geratene Szenen oder unvorteilhafte Kostüme und informieren das Publikum über die als-ob-Situation und Rollenwechsel. Köstlich die Szene, in der sich Blanche (Annette Paulmann) und Buck Barrow (Michael Neuenschwander) vor einem Casting gegenseitig das mediokre Schauspielerdasein schönreden. Für Erheiterung sorgt auch Stefan Merki, der als eingedeutschter Fluchtauto-Fahrer C(hristian) W(illi) Moss durchs Bühnenleben gehen muss. Damit trotz aller guten Laune niemand das filmische Vorbild und die Nouvelle Vague vergisst, wird ab und an Französisch gesprochen; von Filmstills grüßen Faye Dunanway und Warren Beatty.
 
Barbara Weber, Ko-Direktorin am Züricher Theater am Neumarkt und bereits mit mehreren Produktionen an den Kammerspielen vertreten, entlässt Bonnie und Clyde von der Leinwand auf die Bühne. Das alles hat unzweifelhaft Witz und Charme. Und doch bleibt die Frage, warum sie es angesichts der aktuellen Situation – man denke nur an den von einer Rentnergang entführten Banker – bei einer Nacherzählung belässt.

Tina Meß

 

 


Bonnie und Clyde

Projekt von Barbara Weber

Sylvana Krappatsch, Oliver Mallison, Michael Neuenschwander, Annette Paulmann, Stefan Merki. Murena.

Regie: Barbara Weber

Kammerspiele Endstation Sehnsucht von Tennessee Williams


 

 
Zeitgenössische Spielart des Morbiden

Zwei Welten prallen in einer Familie aufeinander, die des Südstaaten-Geldadels, repräsentiert von Blanche DuBois, und die der modernen Industrienomaden, verkörpert von dem polnischen Einwanderer Stanley Kowalski und seiner Frau Stella DuBois. Dieser Konflikt beschreibt Dekadenz und Neuanfang in einem. Es ist eine große Elegie auf einen Kulturverlust, der die Entwicklung menschlicher Beziehungen hin zu einer fundamentalen Oberflächlichkeit dokumentiert. Es stehen sich müde Poesie und rüde Selbstbehauptung gegenüber. Der Konflikt wächst sich soweit aus, dass das Element der Vergangenheit als ein pathologisches ausgemacht wird. Dabei geht es nur um eines, um Liebe und Geliebtwerden.

Blanche DuBois, die feingeistige Lehrerin, inzwischen dem Alkohol und einer verzweifelten Illusion von sich selbst verfallen, die sich seelenwund und die Realitäten verkennend an die alte Lebensweise klammert, fand sich irgendwann in Stundenhotels wieder, verfiel den menschlichen Berührungen, die, ob ihrer physischen Oberflächlichkeit, keine mehr waren. Inbesitznahme trat an die Stelle von Hingabe. Ein fragwürdiger Ruf beginnt ihr anzuhaften, eilt ihr voraus und begleitet sie bis in den Untergang. Der wurde Realität, als sie das Haus ihrer Schwester in einem herunter gekommenen Vorort von New Orleans betritt.

Hier trifft sie auf Stanley Kowalski, der den Gegenentwurf zur untergehenden Kultur einer vermeintlichen „Belle Epoque“ verkörpert, ein Mann, grobschlächtig, kraftvoll, rüde und vornehmlich mit dem Kleinhirn denkend. Kowalski ist Pragmatiker. Er ist hineingeboren in diesen Habitus, weil er „Unten“ lebt, dort, wo man stets bereit sein muss, um sich zu beißen. In dieser sozialen Schicht neigt man zu Rottenbildung. So scharen sich um Kowalski Figuren wie Steve, ein höchst lebendiger Mann, dessen Vitalität auf den Körper von Eunice fokussiert ist, und Pablo, einem Sauf- und Pokerkumpan. Inmitten dieser Rotte gibt es aber auch Mitch, ungebildet, jedoch sensibel und schüchtern, der von Blanche bald zu ihrem Rettungsring auserkoren wird. Er ist das gefühlvolle Bindeglied zwischen beiden Welten.

Tennessee Williams schrieb sein Stück, das 1947 unter der Spielleitung von Elia Kazan im Barrymore Theatre in New York das Scheinwerferlicht der Bühne erblickte, unter dem Einfluss des 2. Weltkriegs, ein Ereignis, das wie kein anderes die Welt auf den Kopf stellte. In diesem Krieg starben nicht nur Millionen von Menschen, sondern auch die Kultur des Idealismus. An seine Stelle trat der Pragmatismus, in dem sich die Menschen  gnadenlos einer kapitalregierten Welt auslieferten. In dessen Ergebnis standen sich nur noch rudimentär erhalten gebliebene elegische Sehnsüchte nach dem Menschsein in kultureller Behaglichkeit und auf Selbstentfremdung basierende Lebensgier, der Drang, nach „Oben“ zu kommen, gegenüber. Das Thema ist in seiner Dimensionalität, die sinngemäß in dem Satz von Blanche DuBois: ‚Ich lebe nicht in dieser Welt; ich lebe in einer Welt, wie sie sein sollte.’ gipfelt, kaum zu fassen. Und so muss sich jede Inszenierung des Stückes auch daran messen lassen, in wieweit sie diese Dimensionen auszuloten vermag.
 
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Wiebke Puls, Lasse Myhr, Steven Scharf, Tim Erny, Tabea Bettin

© Sebastian Hoppe

 

 

Regisseur  Sebastian Nübling inszenierte mit Verve, aktionsgeladen, körperbetont und gelegentlich auch chaotisch. Das beförderte den Schau- und Unterhaltungswert des Stückes, produzierte aber Oberflächlichkeiten und nahm dem Text die Tiefe. Als Beispiel sei ein Dialog zwischen Blanche und Mitch beschrieben. Mitch zeigte Blanche eine „Gravierung“; Blanche verbesserte und meinte, es heiße „Gravur“. Dieser Vorgang, der auf feinsinnigste Weise auf den Unterschied der Kulturen verwies, wurde hier zum Bühnenwitz. Auch wurden circensische Einlagen nicht ausgespart. Ein Wettrennen durch das Haus dokumentierte auf verblüffende Weise die physischen Fähigkeiten der Schauspieler, beschrieb zudem die überbordernde Vitalität der Rollen. Nicht gewahrt wurde die Verhältnismäßigkeit zwischen Handlungstext und Handlung.

Fast zehn Minuten lang bezogen die Darsteller zu Beginn das Vororthaus von New Orleans, von Bühnenbildnerin Muriel Gerstner als unbewohntes Domizil mit türenlosen Holzwänden, Räume für Intimitäten gab es nicht mehr, lediglich angedeutet. Es wurde tapeziert, gehämmert, gebohrt, Teppiche ausgelegt, Möbel hereingetragen und Unordnung geschaffen. Dieses Vorspiel suggerierte in seiner fragmentarischen Beliebigkeit, dass es so etwas wie ein „Heim“ nicht mehr gibt, mehr noch, dass kein wirklicher Bedarf dafür vorhanden scheint. In diese Szenerie hinein trat Blanche, groß, schwarz und nervig, mit zwingender Präsenz durch eine herausragende Wiebke Puls gestaltet. Im Stück muss Blanche, eine tragische Gestalt, gegen alle anderen antreten. In Nüblings Inszenierung ging Blanche mit Grandezza, von den Pannen bei der Premiere einmal abgesehen, unter.

Es gab nur einen Darsteller, dem es gelang, ihren Untergang glaubhaft zu kontrastieren: Steven Scharf in der Rolle des Stanley Kowalski. Scharf, der das Vermögen besitzt, wie ein zu groß gewordenes Kind zu wirken, vermag ebenso den Anschein von männlicher Brutalität zu erwecken, die Schaudern macht. Neben Jochen Noch, der einen geradezu verklemmten, in sich selbst gefangenen, mitleiderweckenden Mitch gab, agierten Tabea Bettin und Lasse Myhr dramaturgisch wie Trabanten in einem rasenden Kosmos. Tabea Bettins Eunice verhandelte den lakonischen, emotional kaum berührbaren Habitus einer Supermarktkassiererin. Lasse Myhr, ein Darsteller mit zwingender Charakteristik in Stimme und körperlichem Gestus, war als Steve auf naive Weise komisch. Diese Komik resultierte aus scheinbarer  mangelnder Anteilnahme an den Vorgängen und seiner, sich in artistischen Einlagen manifestierenden Vitalität. Recht zweidimensional agierte hingegen Katja Bürkle als Schwester Stella. Ihrem Leidensweg von der alten in die neue Welt, zumeist überschattet von den Brutalitäten ihres Mannes Stanley, entgegnete sie mit in die Hüften gestemmten Fäusten. Dabei blieb ihr weiblicher Charme, der zumindest ihre Herkunft hätte erklären können, weitestgehend auf der Strecke. Visuell, nur visuell, da ohne Text, setzte Tim Erny als Pablo einen unauslöschlichen Akzent. Er war dick, sehr dick.

Ohne Frage kann man Platos Erkenntnis, ‚ Alles wert ist, dass es zugrunde geht’, zustimmen. Doch darf dabei der Grund, das kulturelle Sediment, nicht vergessen werden. Auslöschung ist etwas anderes als zugrunde gehen und wenn wir dem Untergang einer Kultur beiwohnen, braucht es eben diesen Grund, um Trauer – oder zumindest Traurigkeit – empfinden zu können. Eben diese Traurigkeit über einen Verlust blieb die vom Premierenpublikum heftig beklatschte Inszenierung, eine zeitgenössische Spielart des Morbiden, schuldig.

 
Wolf Banitzki

 

 


Endstation Sehnsucht

von Tennessee Williams

Wiebke Puls, Katja Bürkle, Steven Scharf, Jochen Noch, Tabea Bettin, Lasse Myhr, Keanu Wilkins  

Regie: Sebastian Nübling

Kammerspiele Das letzte Band / Bis dass der Tag euch scheidet Oder Eine Frage des Lichts von Samuel Beckett, Peter Handke


 

 

Handkes Antwort auf Beckett

Krapp, ein Schriftsteller (Verkaufsquote 17 Bücher), eine Kreatur, die sich in Auflösung befindet, beendet sein Leben. Er hört ein Band ab, welches er 30 Jahre zuvor besprochen hat, und bespricht das letzte Band. Dabei handelt es sich um das absolute Ende einer Existenz, die nicht im physischen, sondern im geistig-emotionalen Schlussakkord zu finden ist. Dieser Schlussakkord ist ein Vorgang des Erinnerns und gleichsam die Auslöschung des Erinnerns als bewusster Akt. In dieser horriblen Vision liegt eine große Komik, denn das Grauen erzeugt Gelächter und im selben Moment wird das Gelächter grauenvoll.

„Hörte mir soeben den albernen Idioten an, für den ich mich vor dreißig Jahren hielt, ...“ Im Erinnern findet sich auch das Bild von Frauen, einer Frau im Besonderen: „Ich sank auf sie nieder, mein Gesicht in ihren Brüsten und meine Hand auf ihr. Wir lagen da, ohne uns zu bewegen. Aber unter uns bewegte sich alles und bewegte uns, sachte, auf und nieder und von einer Seite zur anderen.“ Eingeweihte werden wissen, dass „Sie“ Becketts Cousine Peggy Sinclair aus Kassel war, die in jenem gemeinsamen Urlaub an der Ostsee über das Schicksal Effi Briest unendlich viele Tränen verlor. Krapp: „... Hätte glücklich sein können, dort oben an der Ostsee, und die Kiefern und die Dünen.“ Beckett war Anfang Zwanzig und dieses „Hätte glücklich sein können“ gibt früh Auskunft darüber, dass er mit Frauen nie glücklich werden konnte. Im Alter heiratete er aus Gründen des Anstands, um seine Lebensgefährtin versorgt zu wissen, und bevorzugte dabei Prostituierte, leidenschaftslos und als Akt der emotionalen Hygiene.

André Jung war unbestritten eine gute Wahl für diese Rolle. Sein sensibles Spiel, die Fähigkeit, mit geringsten Mitteln, allein schon durch physische Präsenz, unterstrichen durch ein Augenzwinkern, durch die linkische Bewegung eines Fingers den Raum zu elektrisieren, prädestinierte ihn für die Rolle. Doch gleich zu Beginn geschah etwas überaus Fatales. Jung bediente das Clowneske der Rolle so, dass es einige Augenblicke lustig wurde. Schlimmeres kann man einem Becketttext eigentlich nicht antun, denn Becketts Texte sind komisch – aber sie sind nicht lustig! Genau dieser Unterschied entscheidet über die Wirkung Beckettscher Texte. Beim Publikum kam es prompt an, was ein sehr schwacher Einstieg in die Existenz Krapps war, weil sinnverzerrend. In diese Falle, noch nie war sie so verlockend wie in der heutigen Zeit, hätte man nicht tappen sollen.

André Jung brachte seinen Part anständig zuende, wenngleich angemerkt werden muss, dass die Sicht auf „Das letzte Band“ sehr stark von dem Bemühen geprägt war, Peter Handkes Erwiderung vorzubereiten und sinnfällig zu machen. Diese Lesart würde man vermutlich nicht gewählt haben, wenn es beim Becketttext geblieben wäre. Das Thema Liebe und Frauen mag in diesem Text wichtig sein, allerdings ist es kaum mehr als das Kontrastmittel zur singulären Existenz des Menschen in der bürgerlichen Gesellschaft, was Beckett jedoch zum philosophischen Paradigma erhebt.

 

   
 

André Jung, Nina Kunzendorf

© Arno Declair

 

 

Noch während Krapp, wie in der Regieanweisung vorgegeben, am Ende bewegungslos vor sich hinstarrt und das abgelaufene Magnetband rhythmisch klatschend seine Runden dreht, dreht sich gleichsam die Bühne. Anja Rabes hatte einen balkonartigen Kubus im vorderen Bereich dar Bühne installiert, in dem nur wenige Utensilien wie Tisch mit Tonbandgerät, zwei Stühle, eine Kiste und nach der Drehung erst sichtbar, ein Haufen Bananenschalen, zu finden waren.

In dieses Schlussbild hinein trat S. auf, die sich keinen Namen gab, wie sie in den Werken Becketts zu finden sind, obgleich sie die Frau Krapps war, die mit ihm gelebt hatte und nun Klage gegen oder auch über „Mister, Monsieur oder Herrn Krapp“ führte. Nina Kunzendorf erschien selbstbewusst, sogar ein wenig verschmitzt und beschrieb ein Relief, auf dem eine Frau und ein Mann zu sehen waren und die im sich verändernden Licht (Daher der Titel: Bis dass der Tag euch scheidet Oder Eine Frage des Lichts.) zu kommunizieren scheinen. Die männliche Figur ist, wohl von einem übermütigen Passanten, mit rotüberzeichneten Lippen, einer roten Pappnase und mit einigen Metern Magnetband ausstaffiert worden. Die weibliche Figur schlägt plötzlich die Augen auf und hält einen Monolog, der mit folgenden Worten beginnt: „Mein Spiel jetzt. Dein Spiel, es ist gespielt. ...“ Die Abrechnung fällt sehr zu Ungunsten Krapps aus. Ihm wird Egoismus vorgeworfen und Selbstherrlichkeit, Ignoranz und Inhaltslosigkeit.

Nina Kunzendorf spulte ihren Text beinahe etwas geschwätzig ab, Pausen um jeden Preis zu vermeidend, denn diese waren die Domäne Krapps, den sie einen durchtriebenen Spieler nennt: „Wie habe ich jedes Mal das Vertrauen in dich verloren, sooft du deine Sinn-Pausen gemacht hast, Krapp, sooft du die Stille zu einer deiner Kunstpausen missbraucht hast, ...“ Nina Kunzendorf erreichte eine ebensolche, wenn gleich ganz anders geartete Intensität wie ihr schweigsamer Widerpart André Jung, der sich als Krapp mehrfach aus der Szene zu stehlen versuchte. Es gelang ihm erst zum Schluss und erst als S. es zuließ.

Der Text von Peter Handke ist ein zwittriger Literaturorganismus. Er bezieht sich einerseits auf Krapp, also auf Becketts philosophischen Archetyp einer Existenz, die am Ende keinen Sinn ausmachen konnte, weil es keinen gab. Andererseits personifiziert der Text die Figur des Krapp als einen Menschen, der unfähig zur Zweisamkeit war: „Zu zweit warst du falsch und klangst falsch. Nur du allein hast existiert.“ Wenn man sich auf diese Aussagen einlässt, ist mehr in Frage gestellt als die Figur des Krapp. Das Beckettsche Universum entpuppt sich als kleinliche Charakterschwäche, als Untugenden in Form persönlicher Eigenschaften.

Diese Konstellation erinnert an den Satz von André Heller: „Die Frauen haben eine Welt, die Liebe; die Männer haben eine Liebe, die Welt.“ Um Liebe ging es hier ohnehin nur peripher. Das Wort „Unerreichbarkeit“ fiel. Sollte sich hinter dieser Andeutung eine weibliche Sicht Becketts verbergen? Kann es eine solche überhaupt geben? Wenn ja, wäre es kongenial und Handke hätte sich ein weiteres düsteres Attribut hinzuverdient.

Allerdings war die Inszenierung von Jossi Wieler nicht unbedingt dazu angetan, den Text von Handke in den Olymp der Literatur zu katapultieren. Allein die Videoprojektionen, mehr eingefroren als laufende Bilder, zeigten das banal physische Dasein der Personen Krapps und S. nebeneinander. Diese Lösung zeigte eine Sicht auf die Figur Krapps, die im Text nicht vorhanden ist. Sie machte bei genauerem Hinschauen auf verräterische Weise deutlich, dass zwischen Becketts und Handkes Texte Welten liegen, auch wenn sich der Monolog intellektuell spitzfindig und sprachlich ausgewogen anfühlt. Es fehlt ihm die Wucht des Existenziellen und dieses Manko kann durch die Denunziation des Existenziellen als Schwäche bei Becketts Krapp nicht ausgeglichen werden.

Der Monolog als eine „ Antwort auf Krapp, (als) eine Abrechnung und das Echo einer geteilten Zeit, die sie auf immer verbindet“ (Zitat: Werbung Kammerspiele) ist eigentlich eine ganz andere Liga. Aus diesem Grund gehen beide Texte nicht zusammen. Der Zuschauer erlebt kein wirkliches Verschmelzen der Empfindungen. Krapp widerfährt in Handkes Text keine Gerechtigkeit.

 
Wolf Banitzki

 


Das letzte Band / Bis dass der Tag euch scheidet Oder Eine Frage des Lichts

von Samuel Beckett, Peter Handke

André Jung, Nina Kunzendorf

Regie: Jossi Wieler

Kammerspiele Belagerungszustand von Albert Camus


 

 

Unverwüstlich

Rare temporum felicitas, ubi quae velis sentire et quae sentias dicere licet. – Seltenes Glück der Zeiten, in denen man denken kann, was man will, und sagen kann, was man denkt. (Tacitus „Historiae“)
Gut zweitausend Jahre ist dieser Satz alt und doch nur ein ewiger frommer Wunsch, wie das Leben zeigt. Camus Stück „Belagerungszustand“ steckt daher auch voller Bitternisse und eigentlich mag man ihm den apotheotischen Schluss vom Sieg der Angstlosigkeit als letzten Widerstand nicht recht glauben. Das muss man auch nicht, denn Sinn macht das Drama des damals gerade einmal 35-jährigen Camus trotzdem. Auch wenn sein melodramatischer Idealismus schmunzeln lässt, - die Argumentation hat prophetische Züge.

‚Eine Regierung, unter der nichts geschieht, ist eine gute Regierung, denn unter dieser Regierung geschieht nichts, was schlechte wäre, und daher ist sie gut.’ So, und in unzähligen Varianten, erklärt der Gouverneur seinem Volk die Situation. Auch wenn Astrologen unheilvolle Konjunktionen am Himmel entdeckt zu haben glauben, ist „nicht reagieren“ erste Politikerpflicht. Nur so bleibt alles gut. Aber es bleibt nicht gut, denn die Pest hält Einzug in der Stadt, reißt die Macht und den Staatsapparat an sich und organisiert das Sterben. Dieses Bild steht wie kaum ein anderes für den Existenzialismus von Camus. Das Dasein ist absurd, da es nur ein Ziel hat, den Tod. Camus Erfahrungen berechtigen ihn zu dem Schluss, hatte er doch den Faschismus, das massenhafte Sterben und das Infragestellen der menschlichen Existenz durch den Menschen selbst aus nächster Nähe erfahren.

Der Schriftsteller erklärt die Pest kurzerhand zu einem Ordnungsprinzip und es ist erstaunlich, wie nahe er der Realität damit kommt. Die daraus resultierende Wirkung ist immer die selbe, ein sich selbst organisierender staatlicher Totalitarismus, der den Ausnahmezustand in ein dauerhaftes Prinzip verwandelt. Ob die Pest nun Schweinepest oder Terrorismus heißt, sofort werden Maßnahmen zur besseren Überwachung, zur Eingrenzung und notfalls auch für Repression gegen die Personen eingeführt, die die Pest als solche nicht wahrhaben wollen und akzeptieren. Schon die abweichende Meinung von der in virulenter Hysterie befindlichen Massen ist suspekt und bedarf der Observation. Und noch etwas. Der Bürger, zu dessen Wohl die Maßnahmen dienen sollen, darf über die Maßnahmen eigentlich nichts Näheres wissen, weil sonst die Wirkung der Maßnahmen in Frage gestellt ist. Wem kommt das nicht bekannt vor?

Regisseur Christoph Frick von der freien Theatergruppe KLARA aus der Schweiz ist ein politischer Provokateur. Für ihn ist Theater, und hier ist durchaus „totales Theater“ gemeint, probates Mittel zur Einmischung in politische Vorgänge. Leider halten sich bei dieser Art Theater Botschaft und ästhetische Mittel selten die Waage. Es ist immer bedauerlich, wenn einem Regisseur die besten Schauspieler und ein Apparat wie der der Münchner Kammerspiele zur Verfügung steht, er diese Voraussetzungen aber nicht wirklich nutzt.

 
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Edmund Telgenkämper, Hildegard Schmahl

© Arno Declair

 

 

Konzeptionell hielt sich Christoph Frick an die Vorgabe von Camus, der in seiner Vorrede zum Stück forderte, alle denkbaren Formen des Ausdrucks zu vermischen. Doch die Inszenierung war nicht aus einem Guss, weil vermischt wurde, sondern weil wenig Präzision herrschte. Schon das Bühnenbild von Viva Schudt entsprach nicht den Dimensionen des Bühnenraums, wirkte beliebig und konnte sich nicht zu einem Überbild aufschwingen. Es gab ein Bühnenbild im Bühnenbild, eine identische, nur kindgerecht verkleinerte Variante aus Tischen, Türen, Sitzmöbeln etc. Ein hübscher, jedoch verloren wirkender Einfall, mehr nicht. Die Schauspieler mussten die Umbauten selbst vornehmen, schoben herum, türmten auf und schufen dabei keine Strukturen, die zur bildhaften Suggestion wurden.

Nicht unähnlich waren die Bewegungsabläufe im Chaos des Bühnenbildes. Eingangs verblüffte die Rhythmisierung der Vorgänge unter dem Aspekt: „Alles ist gut, wenn sich nichts ändert.“ Das ausschließlich Rituelle einer erstarrten Gesellschaft wurde mit großer Eindringlichkeit sichtbar. Die Qualität dieses Vorgangs konnte jedoch in den folgenden zwei Stunden nicht mehr erreicht werden.

Die Schauspieler wurden häufig zu körperlicher Aktion getrieben, die die Qualität der Sprachgestaltung deutlich beeinträchtigte. Das war besonders schade, da jeder Satz von Camus mit Gold aufgewogen werden kann, und nach Ausdruck verlangt, um seine wirkliche Größe zu erringen. Oliver Mallison (Nada) wirkte gelegentlich, als würde er sprachlich improvisieren. Das Gleiche traf auch Lena Lauzemis (Victoria), und in gewissem Grade auch auf Michaela Steiger (Bürgermeisterin/Frau des Richters) und René Dumont (Fischer/Schiffer/Astrologe/Pfarrer) zu. Letztere wurde von der Regie ganz augenscheinlich nicht dazu angehalten, in ihren unterschiedlichen Rollen differenziert in Erscheinung zu treten.

Ganz anders agierten Wolfgang Pregler (Die Pest) und Hildegard Schmahl (Die Sekretärin). Abgesehen davon, dass sie im Stück über weite Strecken inhaltlich das Sagen hatten, ließen sie es sich nicht nehmen, ihre Rollen diabolisch und komödiantisch zu gestalten. Hildgard Schmahl spielte mit einer erstaunlichen Leichtfüßigkeit und säte dabei unentwegt Tod und Verderben. Dieser Gegensatz machte ihr Spiel zu einer Augenweide.

Wenn Stefan Merki (Gouverneur/Richter) Politik persifliert, ist er immer weitaus glaubhafter und überzeugender, als jeder Politiker. Hoffentlich kommt er nicht auf die Idee ... Edmund Telgenkämper hatte als Diego vielleicht die schwierigste Rolle. Er musste am Ende zum Hoffnungsträger avancieren, was, wie eingangs erwähnt, nicht sehr glaubhaft werden kann. Allein durch seine physische Präsenz und dem unkomödiantischen, ernsten Spiel erwirkte er beim Publikum, diese Rolle ernst- und anzunehmen.

Die Inszenierung war lebendig, hatte einige gute szenische Lösungen parat, wirkte aber unterm Strich zerfasert und nicht zwingend. Zwingend war hingegen der Text von Camus, der vor nunmehr 61 Jahren seine Uraufführung erlebte und seither nichts an Brisanz verloren hat. Was in seiner Zeit als grimmige Satire aufgefasst wurde, erscheint heute als unverwüstliche, sehr reale apokalyptische Vision. Prädikat: Wertvoll.

 
Wolf Banitzki

 

 


Belagerungszustand

von Albert Camus

Wolfgang Pregler, Hildegard Schmahl, Oliver Mallison, Lena Lauzemis, Stefan Merki, Michaela Steiger, Edmund Telgenkämper, René Dumont

Regie: Christoph Frick

Kammerspiele Konzert zur Revolution von Schorsch Kamerun


 

 

Hoffnungslos

Ein wenig darüber reden, ein wenig davon darstellen, ein wenig Anregung in der Unterhaltung. Die Revolution in Deutschland hat eine besondere Stellung. Betrachtet man die Vergangenheit, „Die Geschichte tut nichts.“, so stellt man fest, dass hierzulande von Revolution, stürmischer Änderung durch Menschen also, wohl kaum gesprochen werden kann. Vielmehr sind es kleine Versuche einiger Weniger, die wie Aufstände in gut bewachten Kasernen stattfinden, und ein wenig Linderung in die Härte des umfassenden Kommiss bringen. Künstlern die es wagen sich dem entgegen zu stellen, bleibt nur das Exil. – „Der Zollverein – bemerkte er – / Wird unser Volkstum begründen, / Er wird das zersplitterte Vaterland / Zu einem ganzen verbinden. / Er gibt die äußre Einheit uns, / Die sogenannt materielle; / Die geistige Einheit gibt uns die Zensur, / Die wahrhaft ideelle –“ so Heinrich Heine 1844 in Wintermärchen - „Ganz gewiss nämlich lag in allem Schönen, in jeder Kunst etwas Humanes, aber dieses Humane entzückte und rührte stets nur, zerfloss wieder und blieb ohne tiefer gehende Wirkung. Auch die Kunst war etwas wie Opium für das Volk“, schrieb Oskar Maria Graf 1965. (Zitate Programmheft)

Schorsch Kamerun warf einen Blick auf die Vergangenheit, die Revolution und die 26 Tage der Räterepublik Bayern, um in der Gegenwart anzuregen und diese daran zu messen. Ist Revolution in einer apathischen satten und medial überfütterten Gesellschaft überhaupt noch möglich? Die eindeutige Antwort heißt nein, und Schorsch Kamerun führte diese dem Zuschauer vor Augen. Doch zuvor kam Opium für das Volk, das kulturinteressierte, auf die Bühne. Autor, Regisseur und Darsteller Kamerun agierte im Kostüm Lenins, allein es fehlt ihm die russische Kraft und Leidensfähigkeit, und was blieb war der Eindruck eines „Timmendorfer Jung“ der vor dem Münchner Rathaus mutig, doch vergeblich um Aufmerksamkeit rang. Zu mächtig wirkte das Bauwerk im Hintergrund. „Guten Tag. Liebes Publikum, eines gleich vorweg: Wir sind beide erledigt. ... ... Als formulierter Wunsch. Und auf einmal ist es Wahrheit.“ , seine Worte dazu. Den Ausführungen auf dem belebten Platz wurde von den Passanten keine Aufmerksamkeit zuteil. Revolution? – kein Interesse! Dennoch, in dieser Welt kann der Versuch künstlerisch politisch aufmerksam zu machen, gar nicht hoch genug geschätzt werden.

Josef Bierbichler, Wiebke Puls und Steven Scharf rezitieren Texte von Oskar Maria Graf, Erich Mühsam, Kurt Eisner und Ernst Toller, aus dessen Stück „Hoppla, wir leben!“ (gewidmet Erwin Piscator und Walter Mehring 1927) auch Dialogpassagen vorgetragen wurden. Das Revolutions-Orchester mit bewegenden Kompositionen von Carl Oesterhelt, welche kein deutliches musikalisch emotionales Aufbegehren enthielten, spielte ausgezeichnet. Vielmehr blieb eine drei bis vierminütige Passage im Gedächtnis, in welcher ein kurzes Motiv wieder und wieder wiederholt wurde. Es ändert sich nichts. Es ändert sich nichts. Videoprojektionen mit Filmsequenzen, wie von Ernst Toller bereits in den Regieanweisungen zu seinem Stück gefordert, ergänzten das Konzert.
 
   
 

Schorsch Kamerun, Wiebke Puls, Steven Scharf
Juan Sebastian Ruiz Kontrabass

© Andrea Huber

 

 

Techniker und Bühnenarbeiter errichteten ein Gebäude hinter den an der Rampe sitzenden Musikern, Richtfest wurde zelebriert und der vorübergehende Aushang roter Fahnen (Bühne Jania Audick). Kurt Eisner, alias Josef Bierbichler beschritt nachdenkend, in das Studium eines Papieres vertieft, das Dach. Die Darsteller saßen am Biertisch zwischen den einzelnen Vorträgen, griffen zu Glas, Zigarette und Radi, gemeinsam mit Bühnenarbeitern und Technikern.

Verwiesen wird auf die „Ausnahme-Deutschen“ , welche im Exil dem allgegenwärtigen Kommis zu entfliehen suchten. Die Bewohner des Monte Verita über dem Comer See, „... die ganzen Vegetarianer, und Freiluftkuranhänger, die ethischen Professoren und ältlichen Jungfrauen, die Körner- und Grasfresser, Maler, Literaten, die sich in einer Art ethisch-sozial-vegetarisch-kommunistischer Siedelei zusammengefunden hatten, ...“, wie der Eisner Darsteller Josef Bierbichler sie nannte. Sie sind immerhin die Vorläufer und Ideengeber für die Generation der 68ziger, in freier Liebe, Freikörperkultur und naturbewusster Ernährung.

Deutlich machte die Aktion, dass Idee, Kunst und Bürokratie bislang einander ausschlossen. Denn jede noch so klare und gute Idee scheiterte an den Besitzstandswahrern und den Kleingeistern, die sich an Umsetzungen machten, denen sie die Maßstäbe des erfahrungsgemäßen Machbaren anlegten, bildhaft gesprochen, indem sie neues Bier in die alten bereitstehenden benutzten Krüge füllten.

Immerhin eine Feststellung könnte lauten: Die praktizierte feudalistische Plutokratie ist die seit jeher gewohnte Staatsform, zudem kleidet sie sich in modernes demokratisches Gewand, erlaubt dem Bürger Wünsche zu äußern und auf Zetteln seine Stimme zu vergeben. Nicht Steine in Fenster, lautet ihr Motto, sondern Zettel in Kästen werfen, um sich gewaltlos an die allgewaltige Bürokratie zu wenden. An die Bürokraten, die sich als Diener des Staates, des Volkes sehen und längst die Haltung von deren Herren angenommen haben. Schließlich, sie sind die Volksvertreter in der Realität, in der die wahren Machthaber in der Industrie sitzen und die Forderungen stellen, die Handlungsräume vorgeben, in denen vorformulierte Wünsche Gehör finden und die Bedürfnisse vorgeben, die sie den Bürgern zuzugestehen gewillt sind. Dies ist immerhin mehr, als Genossen in ideologisch totalitären Diktaturen zugestanden wird, könnte man hier einwenden. Das ist korrekt, doch es als freie Gesellschaft zu bezeichnen, ist Irreführung.

Eine echte Demokratie kann nur unter gebildeten Bürgern zustande kommen, die sach- und weniger interessensbezogen agieren. Doch die Bürokratie spart gerade an der Bildung, zensiert durch Reduktion. In der Kunst spart diese auch, wie Schorsch Kamerun mit der Zwangsräumung des Orchesters durch die Bühnenarbeiter gelungen veranschaulichte. Sie erspart sich verbale Steinewerfer, Idealisten und leider auch wirklich gute Visionen. So bleibt nur die Hoffnung auf ... möglichst viele anarchische Gruppen, auf anderen neuen „Monte Verita‘s“ und ein gutes bayerisches Bier nach der Inszenierung.


C.M.Meier

 

 


Konzert zur Revolution

von Schorsch Kamerun

Josef Bierbichler, Schorsch Kamerun, Wiebke Puls, Steven Scharf
Revolutionsorchester München: Micha Acher, Gertrud Schilde, Joerg Widmoser, Andreas Höricht, Tobi Weber, Mathis Mayr, Jost Hecker, Juan Sebastian Ruiz, Carl Oesterhelt, Salewski
Attac-Chor München

Regie: Schorsch Kamerun