Metropol Theater Merlin oder Das wüste Land von Tankred Dorst / Ursula Ehler
Zurück zur Archaik?
Merlin oder Das wüste Land. 1980 schuf Tankred Dorst in Zusammenarbeit mit Ursula Ehler das als „Mammutwerk“ oder „opus magnum„ bezeichnete, alle Gattungen der Literatur nutzende, doch weitgehend epische Werk von über 280 Seiten Umfang. In seinen Mittelpunkt setzt er Merlin, den Zauberer des König Artus, welcher die Idee der Tafelrunde, des Runden Tisches zur Versammlung der in christlichem Gedanken handelnden Ritter entwirft. Merlin ist bei ihm der Sohn einer Dirne und des Teufels, der den Weg zu einer „besseren Welt“ sucht und ein Modell, eine Utopie entwickelt, deren Scheitern er miterleben muss und der schließlich als Stück Natur, als Weißdornbusch, endet.
Jochen Schölch erkannte die Aktualität des klassischen Werkes und veranschaulichte mit seiner Aufführung den Standpunkt der Gesellschaft und der Menschen im Heute. Gemeinsam mit den Dramaturginnen Katrin Gellrich und Katharina Winter gelang ihm eine wundervolle, gekürzte, die Schwerpunkte hervorhebende Fassung des Stückes, die konzentriert dennoch auch fast die gesamte Geschichte von Merlin, Artus, Parzival und der Frage nach dem Gral nahe bringt. Der Rahmen umfasst die Sagen und benennt die zeitlosen und aktuellen Themen. Die Inszenierung lässt die Fragen unbeantwortet, übergibt sie damit dem Zuschauer.
„Die Minuten und Stunden laufen im Kreis. Wir müssen nur warten, dann kommt die Zeit wieder vorbei.„ - nun, der Weg beschreibt eine feine Spirale und wir verlassen nun eine Zeit der Ideen, der Vorstellungen von Männern, von Utopien, von Kulturen. Der neue Raum durch den das System und die Erde sich bewegen, befördert kaum Männer und deren Ideen. Das Ende der –ismen in der Kunst ist ein Merkmal dafür, und nur noch der umfassende Konsumismus beherrscht den Alltag. Es folgt eine Zeit des Matriarchats, in dem die Männer sich zu Horden zusammenrotten, übers Land und durch die Städte ziehen und heidnischen Göttern gehuldigt wird. Kleinkriege und Aufstände bestimmen diese Zeiten, und zwei Schritte zurück prägen das Geschehen, aktuell um den letzten gemachten Fehltritt, die übermäßige Industrialisierung wieder auszugleichen. Das Christentum, die im Mitgefühl einende Idee des Jesus von Nazareth steht auf dem Prüfstand, und findet gleichzeitig verstärkten Zulauf, genauso wie andere polarisierende Ideen und Überzeugungen. Die Odysseen in den Weltraum haben längst begonnen und neuer Abenteuerraum wird aufgetan. Die letzte Betrachtung der Geschichte erfolgt bereits als Blick auf die Erde.
Die Frage, wo beginnt das Scheitern des Menschen, kann nie beantwortet werden. Allein die Erfassung ist zu komplex und so können immer nur Teile, wie Verstand oder Gefühl oder Handlung herausgegriffen werden. Der Fokus bestimmt die Erkenntnis mit. Nicht nur der christliche Gedanke polarisiert in Gott und Teufel.
Und der Teufel sitzt nicht am längeren Hebel, nein, er sitzt schwätzend neben Gott, dem schweigsamen, und beide bedienen die Vielfalt der Hebel wechselweise. – Nicht Alleinherrschaft, sondern erst die Wahlmöglichkeit und die Vielfalt der Emotionen und Charaktereigenschaften ergeben Leben, einen vieldimensionalen Menschen und eine ebensolche Welt. Wären alle nur gut und nett und hübsch, so herrschte platte Einseitigkeit und die Menschen wären wie Klone. Wer wollte in einer solchen Welt leben? Wären alle böse, so würde der rücksichtsloseste und körperlich Kräftigste auf einem Schlachtfeld übrig bleiben, alleine. Wenn die Menschen zu einem Wechselspiel kämen, in dem sie ihre guten wie schlechten Eigenschaften abwechselnd, ja situationsadäquat lebten, ohne gleich zum Schwert greifen zu müssen, also sich und das augenblickliche Gefühl rigoros durchzusetzen, so wäre die Menschheit in der Tat einen entscheidenden Schritt weiter. Auch könnte ein wenig mehr Sachorientierung den eitlen emotionalen Kleinkrieg und die Schuldzuweisungen des Alltags auf seinen Platz verweisen, nämlich weitgehend in den Menschen zurück und nicht permanent zwischen die Menschen und damit auf die Bühnen der Theater und des Alltags.
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Ensemble, Patrick Nellessen (Mitte)
© Hilda Lobinger
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In der Inszenierung von Jochen Schölch trug eine unsichtbare, doch stets präsente Spannung das Geschehen. Ein gleichmäßiges Feld, aus dem sich Spitzen erhoben, die Spitzen der Schwerter oder die Spitzen der Worte. Der Mythos um die Taten der Ritter der Tafelrunde, und der sie begleitenden Frauen spiegelten das gesamte Spektrum menschlichen Handelns, die Beweggründe von Liebe bis Gerechtigkeit, Eifersucht und Rache. Text und Inszenierung hielten diese in einem Gleichgewicht. Die Stimme des Teufels, digital verstärkt, kam aus dem Off und sprach zu Merlin, der ihn hören konnte und der Bilder aus der Menschheitsgeschichte beschrieb, die gräulichen. Dagegen trug leichte Musik (Friedrich Rauchbauer) die Szenen von Begegnung und Liebe zwischen König Artus und Ginevra, und einige Takte von Purcell hoben die Stimmung der Ritter an der Tafelrunde. Von Inzest, Kindsmord und Betrug bis zur von den Vätern ererbten Last, welche kaum abzuschütteln ist, reichen die Konflikte.
Gothic Style prägte die Kleidung Merlins und der Ritter. Merlin, mit hohen Plateauschuhen, wehendem Mantel und einem, in eine weiße kahle und in eine schwarze langhaarige Hälfte geteilten Kopf, stand sinnbildlich für Verstand und Gefühl oder Himmel und Hölle im Menschen. Mit Masken, Tüchern und Lichteffekten (Benjamin Schmidt) wurden zauberhafte Bilder gestellt. Die aufwändig gestalteten teilweise realistischen Masken, Fratzen oder Pferdeköpfe, erzeugten zusätzlich Atmosphäre. Die Bühne prägte ein karger Boden, nahm ein Laufsteg ein, an dessen oberem Ende ein Querpodest prangte. Kein runder Tisch, nein, ein Kreuz, eine Tafel wie zum letzten Abendmahl ergab sich daraus und über allem leuchteten abwechselnd weiß der Mond oder die beleuchtete Erdoberfläche (Video Hans Peter Boden).
Darstellerisch wurde die Aufführung getragen vom Geist der Brüderlichkeit, der Gleichheit – „… wenn alle gleich sind … ich König bin … keiner Untertan …“ Allen Rollen kam gleiche Gewichtung zu, allein die Hervorkehrung der Charaktermerkmale führte zur Differenzierung der Figuren - ein um Gerechtigkeit und Ausgleich ringender Artus (Heiner Bomhard), eine leichte tänzerische Ginevra (Sarah Grunert), ein gefühlsgeladener Lancelot (Patrick Nellessen), ein zwielichtiger Mordred (James Newton), ein naiver Parzival (Kevin Körber), ein erhabener Galahad (Sebastian Baumgart), ein kecke Elaine (Ines Hollinger), ein konsequenter Gawain (Rasmus Max Wirth) und ein verzweifelt suchender Merlin (Maria Weidner). So entstand eine geschlossene ausgezeichnete Ensembleleistung, deren Höhepunkte in präzisem Vortrag, Tanz, Kampf und in beeindruckenden, geradezu der großen Oper verbundenen, Bildern lag – die Geburt Merlins, die Gewinnung des Schwertes Excalibur, die Hochzeit von Artus, die Entführung Ginevras – um nur einige zu nennen. Durch stilistische Mittel, Körpereinsatz und Zaubertricks wurde der ganze Reichtum des Theaters vors Publikum gebracht. Die neun Darsteller bewältigten bravourös neunzehn Figuren, sie schlüpften von Maske zu Maske, von Charakter zu Charakter.
Ideen altern niemals, sie scheitern bisweilen an dogmatischen generalisierten Umsetzungen. Jochen Schölch hält die Idee des klassischen lebendigen künstlerischen Theaters aufrecht und trägt sie mit den jungen Darstellern weiter. Die höchste Aufgabe, die, der, Mann sich stellen kann: „Erinnerungen an die Zukunft.“ Das Ergebnis, die Inszenierung, entsprach durch eine auszeichnungswürdige Gemeinschaftsschöpfung.
Also: Hingehen – unbedingt miterleben!
C.M.Meier
Merlin oder Das wüste Land
von Tankred Dorst / Ursula Ehler
Sebastian Baumgart, Heiner Bomhard, Sarah Grunert, Ilse Hollinger, Kevin Körber, Patrick Nellessen, James Newton, Maria Weidner, Rasmus Max Wirth
Regie: Jochen Schölch Ausstattung: Christl Wein Choreographie: Katja Wachter Kampfchoroegraphie: Heinz Wanitschek Bühnenbildbau: Alexander Ketterer, Yvonne Gemser, Eva Herrmann Regieassistenz: Alissa Kircher Kostümassistenz: Christina Vogel Regiehospitanz: Anouk Haller Produktionsleitung: Katharina Schöfl, Veronika Jabinger Öffentlichkeitsarbeit: Katharina Strieder, Constanze Sünwoldt
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Metropol Theater Der Sammler der Augenblicke von Quint Buchholz
Reise ins Land der Poesie
Max, der Maler, ist ein Sammler der Augenblicke. Der Junge, der Max beinahe täglich in dessen Atelier besucht, kann sich darunter nicht allzu viel vorstellen. Ebenso verwirren ihn die sonderbaren Geschichten von kanadischen Schneeelefanten oder von fliegenden Zirkuswagen, deren Fenster zudem noch hell erleuchtet sind. Wenn Max arbeitet, liest der Junge in den Büchern des Malers in einem roten Fauteuil sitzend. Er bekommt die fertigen Bilder nie zu Gesicht, denn wenn Max mit einem fertig ist, stellt er es mit der bemalten Seite gegen die Wand. Manchmal spielt Max auch auf seiner Geige, denn, wie er meint, stecke in jedem Bild, in jedem Abbild des Augenblicks eine Musik. Eines Tages unternimmt der Maler eine Reise und bittet den Jungen, seine Blumen zu gießen und die Post aus dem Briefkasten zu nehmen ...
Inzwischen ist der Junge alt geworden. Er spielt auf der Straße die Geige von Max, erinnert sich an den Maler und erzählt dessen Geschichte. Gerd Lohmeyer verkörperte diesen alt gewordenen Knaben auf der Bühne des Metropol Theaters. Ein Bühnenbild im herkömmlichen Sinne gab es nicht. Der Hintergrund wurde begrenzt von einer Kinoleinwand, auf der sich das Antlitz Lohmeyers, das nach seinem Auftritt eingefroren worden war, langsam und unaufhaltsam in das Gesicht des Knaben verwandelte. Gerd Lohmeyer erzählte mit sanfter und sympathischer Stimme, in der viel kindliche Erinnerungsschwelgerei mitschwang, von seinen Begegnungen mit Max. Er erzählte, was es mit dem „Sammler der Augenblicke“ auf sich hatte und kam zu der Erkenntnis, dass jeder Augenblick ein Davor und ein Danach hat. Dieses Davor und Danach wird im Angesicht des Augenblicks, welchen der Maler festgehalten hatte, im Betrachter lebendig und Geschichten entstehen.
Lohmeyer führte die Geige von Max und dessen großen braunen Reisekoffer mit sich. Nachdem er einige Takte gespielt hatte, setzte die am linken Bühnenrand sitzende Jolanta Szczelkun mit ihrer Ziehharmonika ein und begleitete das Nachfolgende mit wunderbaren atmosphärischen Melodien, sensibel und wirkungsvoll vorgetragen. Alles begann sich in eine märchenhafte Fantasiewelt zu verwandeln. Als Gerd Lohmeyer an die Stelle in der Geschichte gelangte, in der er im Besitz des Schlüssels von Max Wohnung war, diese endlich betrat, kam der Augenblick, in dem er die Bilder betrachten konnte.
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Gerd Lohmeyer
© Hilda Lobinger
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Lohmeiers schelmisches Gesicht und seine sanfte, aber nachdrückliche Art des Vortrags vereinte Alter und Kindlichkeit gleichermaßen. Dann zog er sich zurück und die Bilder erschienen auf der Leinwand. (Bildbearbeitung: Alisa Wimmer) Die Bilder waren zum Teil surreal, verblüffend in Komposition und Inhalt. Ein wenig schienen sie von denen René Magrittes inspiriert zu sein. Über einen ziemlich langen Zeitraum tauchte der Zuschauer in die Bilderwelt des „Sammlers der Augenblicke“ ein und erlebte Erstaunliches. Die Erzählungen von Max nahmen Gestalt an. Die scheuen und gewaltigen kanadischen Schneeelefanten wurden für kurze Zeit im Schneegestöber eines Bildes sichtbar. Der Zirkuswagen schwebte am Himmel entlang und ein Boot erschien hinter einer sich öffnenden Tür. Darin standen ein König und ein Löwe, saß ein schönes langhaariges Mädchen. Aus jedem Bild erstieg ein neues Bild, und jedes für sich hielt eine poetische Überraschung für den Betrachter bereit. Zum Beispiel stand ein Mann in einer hellen Jacke am Bildrand und als alle Geheimnisse des Bildes sichtbar geworden waren, ging dieser Mann zur Verblüffung der Zuschauer einfach durch das Bild davon.
Jochen Schölch, ein wahrer Theatermagier, zeigte einmal mehr, wie wenig es bedarf, den Zuschauer in den Bann zu schlagen und seine Fantasie zu entfesseln. Kleine Zaubertricks, Miniaturmodelle von der Erde, dem Leuchtturm, die Geschichte spielt auf einer Insel, oder einer Bibliothek, die sich im braunen Koffer verbarg, zeigten dem Zuschauer, wie sehr er oder sie noch Kind sein können. Der einstündige Abend war eine Reise ins Reich der Poesie, fesselnd und kurzweilig. Das Erwachen aus der poetischen Verzauberung hatte beinahe etwas Schmerzhaftes. Schölch hat auch mit dieser Arbeit wieder einmal bewiesen, wie ‚weit das Land Theater’ sein kann. Ihm und seinen Mitstreitern gebührt Dank. Diese Inszenierung war ein wunderbares Geschenk ans Publikum.
Wolf Banitzki
Der Sammler der Augenblicke
von Quint Buchholz
Gerd Lohmeyer und Jolanta Szczelkun
Regie: Jochen Schölch Künstlerische Mitarbeit: Quint Buchholz Musik: Jolanta Szczelkun |