Metropol Theater Die Bayerische Ilias von Hans-Jörg Schuster


 


Aufschlussreich

Es ist wunderbar, dass sich eine Begebenheit, die gut dreitausend Jahre zurückliegt, einer solchen Beliebtheit erfreut. Die Rede ist vom Trojanischen Krieg. Historiker datieren den Krieg im Brustton der tiefen Überzeugung, dass es sich um eine Realität handelte, auf das 13. oder 12. Jahrhundert v.Chr. Wenn es jedoch um den Anlass für diesen Krieg geht, so sprechen die Wissenschaftler plötzlich von mythischen Gründen und benennen dafür die Entführung der Helena, Ehefrau des stolzen Atriden Menelaos, König von Sparta, durch den Prinzen Paris von Troja. Mit großem Eifer wurde das mythische Troja gesucht, und, wie viele Historiker meinen, gefunden, nämlich auf dem Hügel Hissarlik im Nordwesten der heutigen Türkei.

Dass die Zahl der Übereinstimmungen mit den Beschreibungen Homers, dessen Ilias als erste und verlässlichste Quelle gilt, eigentlich gegen Null geht, scheint von untergeordneter Bedeutung zu sein. Dabei kann man getrost davon ausgehen, dass dieser Krieg (in dieser Form und an diesem Ort) nicht stattgefunden hat. Es handelt sich um großartige Literatur des überragenden und genialischen Dichters Homer, in die Berichte aus mehreren Jahrhunderten, aus unterschiedlichen Kulturkreisen und unterschiedlichste erzählten und aufgeschriebenen Quellen einflossen. Nicht mehr und nicht weniger.

Die Ilias hat eine Vorgeschichte, in der erzählt wird, wie Aphrodite sich den (Zank-) Apfel der Eris (Göttin der Zwietracht) unter den Nagel reißt. Es geht um die altbekannte Geschichte vom „Urteil des Paris“. Der Apfel mit der Inschrift „Kallisti“ sollte „Der Schönsten!“ überreicht werden. Aphrodite stellte Paris die Begegnung mit der Schönsten aller Frauen, Helena, in Aussicht und dem schlicht gestrickten Burschen schwanden schnurstracks die Sinne.

Paris kam nun Nach Troja und wurde von Menelaos mit vorzüglicher Gastfreundschaft empfangen. Bald schon stieg er Helena nach, sie ergab sich seinem Werben und beide brannten nach Troja durch. Auf Bayerisch kommentiert, hörte sich das aus dem Munde von „Menelaus“ folgendermaßen an: Und wiar i dann hoamkimm, was, moanst, war passiert? Hat der lumpig Trojaner mei Helen‘ verführt! […] A Kriag muaß da gmacht werdn, des, moan i, waar guat!

Auch Bruder Agamemnon, hier Agamenon geheißen, brennt auf einen Krieg gegen die „lumpig“, aber vor allem reichen Tojaner. Der listenreiche Odysseus wird angeheuert. Der hatte allerdings durch ein Orakel Wind davon bekommen, dass die Geschichte ein wenig aus dem Ruder laufen und länger dauern würde und meldete sich krank. Doch er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemnacht, denn der Musterungsarzt befand ihn für KV. Dumm gelaufen. Aber Odysseus machte das Beste draus und avancierte bald zum Propagandaminister. Parallelen waren durchaus beabsichtigt.

Nun soll die blutige Geschichte, die ja jedem humanistisch gebildeten Menschen bekannt ist, nicht weiter erzählt werden. (Erstaunlich eigentlich, welche Inhalte humanistische Bildung hat.) Der Besuch des Vortrags im Metropoltheater hingegen sei dringend empfohlen, da der Zuhörer und Zuschauer eine Menge neuer Details erfährt, die bis dato unbekannt waren. Nirgendwo in der Geschichte war z.B. bislang zu lesen, dass Achilles eine Schwäche für Schmalznudeln hatte. Sehr interessant sind auch die neuen Erkenntnisse zum Tod des trojanischen Priesters Laokoon. Woher kam die Schlange, die ihn tötete? Sehr überzeugend war auch die Begründung, warum die Trojaner das hölzerne Pferd in die Stadt holten. Dass es sich dabei um ästhetische Gründe handelte, ist eine völlig neue Dimension in der Geschichtsschreibung. Dass der trojanische Krieg nur zehn Jahre dauerte, war übrigens dem Bauamt zu danken, welches die Bewilligung zum Bau des Trojanischen Pferde in nur wenigen Wochen erteilte.

Rüdiger Hackers Vortrag, er agiert im Stile alter Bänkelsänger, musikalisch von Maria Hafner begleitet, war so zwingend, das man fast auf die Idee kommen könnte, die Ilias sei von einem Bayern erdacht worden. Sein Name: Hans-Jörg Schuster. Wer Schusters Verse aus dem Mund von Rüdiger Hacker erfahren hatte, mochte zudem meinen, Dichter Schuster sei dabei gewesen. Mit großer Überzeugungskraft, einer sattsinnlichen Sprache und derben Witz erschuf er die antiken Helden neu, ein wenig bayerisch halt, aber darum umso glaubhafter und spannender. Einmal mehr entpuppte sich bayerische Lebensart als internationale, denn sowohl die Griechen, als auch die Trojaner ließen gern ein kräftiges ‚Prosit auf die Gemütlichkeit’ erschallen.

Rüdiger Hackers Kunst des Vortrags umfasste alle Oktaven bayerischer Befindlichkeit und bayerischen Charakters. Mal donnernd, mal jammernd, mal winselnd, mal verhöhnend, mal gradlinig, mal hinterfotzig durchmaß er stimmgewaltig einen zehnjährigen Krieg. Maria Hafner unterstützte ihn beispielsweise mit der musikalischen Lobpreisung von „Griechischem Wein“. Es waren die Momente des Aufatmens im Schlachtengetümmel. Wie schwer es Frau Hafner fiel, ihr bayerisches Temperament zu zügeln, bewiesen die Momente, in denen verschämte Jodler ihrer Kehle entschlüpften.

Es war ein rundum gelungener, sehr unernster Abend, an dem auf der Bühne des Metropoltheaters ein Biergarten eingerichtet worden war. So gerieten die Zuschauer nicht in die Verlegenheit, dass sie der Pawlowsche Reflex plagte, wenn die Griechen und die Trojaner in ihren Hofbräuhäusern sinnesfreudig prassten. Man konnte selbst gepflegt Brotzeit halten und sein Bierchen trinken. Ohne Einschränkung kann gesagt werden, „Die Bayerische Ilias“ war Theater der (nicht unbedingt nur feinen) Sinne. In Bezug auf den Bildungsauftrag, den ein Theater ja naturgemäß hat, kann gesagt werden, dass Aufschlussreiches über einen altbekannten Krieg vermittelt wurde. Dank für die zum Teil recht erstaunlichen Erkenntnisse.

 
Wolf Banitzki

 

 


Die Bayerische Ilias

von Hans-Jörg Schuster

Rüdiger Hacker und Maria Hafner

Metropol Theater Frankenstein nach Mary Shelley


 

 

Frankenstein - mehr als nur Horror
 
Frankenstein! – Schon die Entstehungsgeschichte mutet kurios an. 1816 verbrachten Mary Shelley gemeinsam mit Stiefschwester Claire Clairmont, dem späteren Ehemann Percy Shelley und dem Arzt Polidori einen Sommer auf Einladung Lord Byrons in der Villa Diodati am Genfer See. Es war ein miserabler Sommer, kalt und verregnet. Das Jahr ging aufgrund des Ausbruchs des Vulkans Tambora auf der indonesischen Insel Sumbawa im Jahr 1815 als das „Jahr ohne Sommer“ in die Geschichte ein.

Bald schon mangelte es an Unterhaltung und so kamen die Dichter auf die Idee, einen Wettstreit im Schreiben von Gruselgeschichten zu veranstalten. Byrons Leibarzt Polidori schrieb eine Geschichte mit dem Titel „Der Vampyr“ und läutete damit ziemlich unbemerkt das Genre der Vampirliteratur ein. Die Arbeit von Mary Shelley wurde Weltliteratur und unter dem Titel „Frankenstein“ vielfach adaptiert. Da es sich um einen gut geschriebenen, nach besten Regeln der Prosa verfassten Roman handelte, ließ das Kolportieren nicht lange auf sich warten, und so ist „Frankenstein“ weltweit eine der bekanntesten Literaturfiguren. Doch nur selten werden die Adaptionen dem Anspruch des Shelleyschen Werkes, das übrigens den Originaltitel „Frankenstein or The Modern Prometheus“ trägt, gerecht. Es ist ein Werk mit philosophischen Ambitionen, geht es doch um Schöpfung und um die Verantwortlichkeiten des Schöpfers. Das 20. Jahrhundert sollte mit der Entwicklung von Massenvernichtungsmitteln diese Frage in den Mittelpunkt aufgeklärten Denkens stellen.

Zum Inhalt: Mary Shelley erzählt die Geschichte des jungen Schweizers Victor Frankenstein, der, durch den Tod der Mutter traumatisiert, nach Ingolstadt reist, um an der dortigen berühmten Universität Mittel und Wege zu finden, den Tod zu besiegen. Tatsächlich gelingt es ihm, einem eigens zu diesem Zweck kreierten Geschöpf Leben einzuhauchen. Die Kreatur ist missraten, flößt der Umgebung Entsetzen ein und wird vertrieben. Frankenstein wird sich seiner Tat in vollem Umfang bewusst und fällt in eine tiefe Krise. Freund Heinrich Clerval, der ihm nachgereist ist, um gemeinsam mit ihm zu studieren, pflegt ihn. Viktor will vergessen. Doch seine Kreatur holt ihn bald ein, tötet den Bruder Wilhelm, schiebt die Tat der Magd Justine in die Schuhe, die wird, wider besseres Wissen Victors, für schuldig erklärt und hingerichtet. In einem Treffen zwischen Schöpfer und Geschöpf fordert die Kreatur, inzwischen der Sprache und vieler Emotionen mächtig, er hat einem „Selbstbewusstsein“ erlangt, eine Lebensgefährtin. Die Kreatur sehnt sich nach Liebe und  Zuneigung, hat sie doch bislang nur Ablehnung erfahren. Viktor lässt sich auf das Unterfangen ein. Doch kurz vor Vollendung der zweiten Schöpfung quälen ihn Skrupel, und er tötet das künstlich erschaffende weibliche Wesen im Angesicht der Kreatur. Dieser hat inzwischen Viktors Freund Heinrich erdrosselt und ist entschlossen. Victor das Liebste zu nehmen, was dieser hat: Elisabeth. Die grauenvolle Tat geschieht in der Hochzeitsnacht. Victor zieht nun aus, das Geschöpf zur Strecke zu bringen. Beide finden ihr Ende im ewigen Eis der Arktis.
 
  frankenstein  
 

Philipp Moschitz

© Hilda Lobinger

 

Diese ganze Geschichte erzählt Victor Frankenstein dem ehrgeizigen, vom Drang nach großen Taten besessenen Seefahrer Robert Walton, dessen Schiff im arktischen Eis feststeckt. Victor hofft, den Mann, in dem er sich selbst wiedererkennt, zur Vernunft zu bringen.

Auch Felix Bärwald hatte einen Rahmen um die Geschichte des ehrgeizigen Wissenschaftlers gestrickt. Er benutzte die Gesellschaft der Dichter am Genfer See. Als Mary Shelly, gespielt von der beeindruckend präsenten Elisabeth Wasserscheid, ihre Geschichte zu erzählen begann, verwandelte sich die Dichtergemeinde in die Protagonisten der eigentlichen Geschichte. Die Bühne öffnete sich und der Blick des Zuschauers verlor sich in ein großflächiges Gewirr von Nerversträngen. Das visuell sehr suggestive und sinnfällige  Bühnenbild gestaltete Christiane Bärwald. Die Kostüme von Cornelia Meurer versetzten den Betrachter hingegen zurück ins Biedermeier, was zu einem wunderbaren Spannungsverhältnis zum Bühnenbild führte und signalisierte, dass hier eine (Psycho) Fantasiegeschichte erzählt wurde.

Mary Shelley deutete mit ihrer Fantasie an, dass die Zeiten im Umbruch waren. Die Versuche Luigi Galvanis mit der Elektrizität, insbesondere an Fröschen, wirkten seinerzeit wie Zauber, verhießen aber gleichsam ungeahnte Möglichkeiten in der Beantwortung der existenziellen Fragen. Die Belebung unbelebter Materie schien Dank Galvanis möglich. Mary Shelley dachte diesen Gedanken konsequent zu Ende, ging dann aber einen Schritt weiter und hinterfragte den Sinn.

Auf der Bühne des Metropoltheaters wurde die Kreatur ohne Vorspiegelung technischen Raffinements aus einem von der Decke hängenden Kokon geboren. Der in seiner Schlankheit eher fragil wirkende Philipp Moschitz konnte zwar nicht das übergroße Monster vorstellen, wie es Mary Shelley beschrieb, doch sein spannungsgeladenes, körperlich aufwendiges Spiel kehrte die Seelenzustände des bedauernswerten Geschöpfes heraus. Damit gelang Felix Bärwald, was vielen Adaptionen nicht vergönnt ist. Der Zuschauer konnte die Tragweite des Sujets begreifen und erfühlen. Moschitz Spiel erzeugte Mitgefühl für das unschuldige, aber mordende Monster. Die Kreatur war in diesem Spiel nicht das Böse, auf das es sehr oft festgelegt wird. Ihr Schöpfer, Peter Papakostidis spielte eingangs den blasierten, selbstgefälligen Byron, in der Romanhandlung dann den besessenen, bald schon von Schuldgefühlen zerfressenen Frankenstein, war im Bewusstsein des Betrachters die letzte Figur am theatralischen Pranger.

So erreichte es Regisseur Bärwald, das große Thema gegen die Tendenzen oberflächlicher Unterhaltung zu retten. Dank auch des guten Ensemblespiels entstand eine ästhetisch ansprechende, von Längen freie und szenisch interessante Inszenierung, die schaffte, was wider den Zeitgeist ist: Eine fast schon toterzählte Horrorgeschichte, wurde wiedererweckt zu einem spielerischen und unterhaltsamen Exkurs um das großen Thema Verantwortung. Respekt! Eine Leistung, die sich nicht nur sehen lassen kann, die auch gesehen werden sollte.

 
Wolf Banitzki

 

 


Frankenstein

nach Mary Shelley

In der Fassung von Felix Bärwald und Sven Hasselberg
Mirkus Hahn, Philipp Moschitz, Peter Papakostidis, Irina Ries, Johannes Schön, Judith Toth, Elisabeth Wasserscheid

Regie: Felix Bärwald

Metropol Theater Der wunderbare Massenselbstmord von Arto Paasilinna


 

 

Und täglich lockt der Marder ... (?)

Ein Suizid ist nicht lustig. Ein Massensuizid könnte es werden. In welchem Land würde sich vermutlich so eine dramatische Geschichte abspielen? Richtig, in Finnland. Denn: „Die Melancholie ist der ärgste Feind des Finnen. Sie ist sogar noch schlimmer als die (frühere) Sowjetunion...“

Am Morgen nach Johannis flüchtet sich Onni Rellonen in eine Scheune, um sich den Gnadenschuss zu geben. Sein Leben ist unerträglich. Vier Konkurse hat der „Geschäftsmann“ schon fabriziert. Doch er hat Pech gehabt, denn der Ort ist bereits von Hermanni Kemppainen, Oberst der Finnischen Streitkräfte, der sich gerade aufhängen will, besetzt. Man redet miteinander, verschiebt den (unausweichlichen) Selbstmord und zieht sich erst mal auf die Datscha von Onni zurück. Man sauniert, trinkt, angelt, philosophiert und kommt schließlich zu dem Schluss, dass ein organisierter Massenselbstmord kostengünstiger und zudem auch frei von Dilettantismus wäre, denn Oberst Hermanni besitzt Führungsqualitäten. Eine Annonce wird geschaltet. Mehr als sechshundert Todeskandidaten melden sich. Bald wird deutlich, dass sich das Arbeitspensum nicht bewältigen lässt. Eine Sekretärin wird angestellt, eine 33-jährige Lehrerin, die ebenfalls des Lebens überdrüssig ist. Wie geht man ein derartiges Problem an? Erst einmal wird ein Seminar einberufen, so der Ratschlag der Lehrerin. Das Seminar bleibt nicht folgenlos. Die Presse hat Wind davon bekommen. Ein Grüppchen bricht aus und beschließt, noch vor Ort Suizid zu begehen. Die Staatsmacht greift ein. Einer anderen kleinen Gruppe mit den bereits bekannte Personen gelingt die Flucht im Nobelreisebus mit „zwischengekühltem Motor“ gen Norden. Das Nordkap ist ein guter Ort, sich samt Bus von der Klippe in den gemeinschaftlichen Tod zu stürzen. ...

Die Geschichte des finnischen Autors Arto Paasilinna steckt voller Wahrheiten, Ironie, Anarchie und Leben. Das Menschliche – Allzumenschliche obsiegt. Wie das aussieht? Das sollte sich der Leser unbedingt im Metropol Theater selber anschauen. Ulrike Arnold inszenierte den Chaosreigen trefflich – menschlich. Das Wunderbare: Die Inszenierung (wie auch das Stück) liefert gute Rezepte zur Flucht aus Depression und Todessehnsucht. Das Leben kann eigentlich so einfach sein, wenn man nur alle Repressionen ignoriert oder ihnen bewusst ausweicht. Genau das geschieht, wenn man sich in den Verwaltungs- und Planungsakt eines Massenselbstmordes begibt. Zugegeben, es kommen nicht alle durch; das wäre ja auch zu einfach. Aber was soll’s: Warum nicht mal in die Schweiz reisen. Das ist auch ein sehr schönes Land.

Eine weiße Bretterwand und eine gleichfarbene Bank davor, mehr brauchte es nicht, um sich in einer Scheune zu erschießen oder zu erhängen, ein Seminar abzuhalten, die „absolut beste Sauna“ zu besuchen oder im Bus durch Finnland und Norwegen zu reisen. (Bühne: Julia Ströder) Das Stück wurde durchgängig, sehr sachlich und nüchtern, kommentiert von Elisabeth Wasserscheid und Ulrich Zentner. Dabei erfuhr man Wissenswertes zum Thema. Bereits die Kommentare entbehrten in ihrer Darbietung und in ihrem Inhalt nicht einer gewissen Komik.

 

  massenselbstmord  
 

Anastasia Papadopoulou, Thomas Wenke, Elisabeth Wasserscheid, Oliver Losehand

© Hilda Lobinger

 

 

Die beiden Protagonisten der Geschichte, Oliver Losehand (Geschäftsmann Onni Rellonen) und Thomas Wenke (Oberst Hermanni Kemppainen), erschienen an sich schon überaus komisch, denn eigentlich waren sie ja Untote. Schließlich war es nur ein Frage der Zeit, wann der Zustand des Jenseitigen herbeigeführt wurde. Doch selbst in diesem Zustand schleppten beide sämtliche Unarten mit sich, die ihnen schon zu Lebzeiten das Dasein vergellt hatten. Anastasia Papadopoulou als Lehrerin/Sekretärin stand ihnen in ihrer hysterisch-pädagogischen Spielart nicht nach.

Sämtliche Darsteller übernahmen zudem unterschiedlichste Rollen von vermeintlichen Todeskandidaten. Unbedingt erwähnenswert ist die Leistung von Elisabeth Wasserscheid, die unlängst schon in „Emma in Love“ (Stadttheater Oblomow) auffällig geworden ist. Diese Darstellerin erzwingt nicht nur durch ihre Präsenz die Aufmerksamkeit des Betrachters, sie verfügt überdies über ein erstaunliches Repertoire darstellerischer Facetten. Doch wie im Metropol Theater üblich, gelingt den Regisseuren stets eine ausgewogene Ensembleleistung. So auch in dieser Produktion.

Regisseurin Ulrike Arnold bescherte den Besuchern einen überaus heiteren Abend, der dennoch auf Tiefsinn nicht verzichtete. Was kann man mehr erwarten. Dass der Suizid in unserer heutigen Gesellschaft ein Thema ist, kann als gesichert genommen werden. Dass die Verschiebung der Perspektive in Richtung Komik ein probates Mittel sein kann, gilt ebenso. Suizidgefährdete Menschen stecken zumeist in Sackgassen. Eine Therapie könnte beispielweise sein, dass sie sich einen weit entfernten Ort für den Suizid aussuchen sollten. Die Reise dorthin kann Wunder wirken.

Nachtrag: Ein Marder spielt gleichsam eine nicht unerheblich Rolle. Welche? Nun, so recht vermag der Kritiker das auch nicht zu sagen.

 

Wolf Banitzki

 

 


Der wunderbare Massenselbstmord

von Arto Paasilinna

Bearbeitung: Katharina Schöfl

Oliver Losehand, Anastasia Papadopoulou, Elisabeth Wasserscheid, Thomas
Wenke, Ulrich Zentner

Regie: Ulrike Arnold

Metropol Theater Merlin oder Das wüste Land von Tankred Dorst / Ursula Ehler


 

 

Zurück zur Archaik?

Merlin oder Das wüste Land. 1980 schuf Tankred Dorst in Zusammenarbeit mit Ursula Ehler das als „Mammutwerk“ oder „opus magnum„ bezeichnete, alle Gattungen der Literatur nutzende, doch weitgehend epische Werk von über 280 Seiten Umfang. In seinen Mittelpunkt setzt er Merlin, den Zauberer des König Artus, welcher die Idee der Tafelrunde, des Runden Tisches zur Versammlung der in christlichem Gedanken handelnden Ritter entwirft. Merlin ist bei ihm der Sohn einer Dirne und des Teufels, der den Weg zu einer „besseren Welt“ sucht und ein Modell, eine Utopie entwickelt, deren Scheitern er miterleben muss und der schließlich als Stück Natur, als Weißdornbusch, endet.
Jochen Schölch erkannte die Aktualität des klassischen Werkes und veranschaulichte mit seiner Aufführung den Standpunkt der Gesellschaft und der Menschen im Heute. Gemeinsam mit den Dramaturginnen Katrin Gellrich und Katharina Winter gelang ihm eine wundervolle, gekürzte, die Schwerpunkte hervorhebende Fassung des Stückes, die konzentriert dennoch auch fast die gesamte Geschichte von Merlin, Artus, Parzival und der Frage nach dem Gral nahe bringt. Der Rahmen umfasst die Sagen und benennt die zeitlosen und aktuellen Themen. Die Inszenierung lässt die Fragen unbeantwortet, übergibt sie damit dem Zuschauer.

„Die Minuten und Stunden laufen im Kreis. Wir müssen nur warten, dann kommt die Zeit wieder vorbei.„ - nun, der Weg beschreibt eine feine Spirale und wir verlassen nun eine Zeit der Ideen, der Vorstellungen von Männern, von Utopien, von Kulturen. Der neue Raum durch den das System und die Erde sich bewegen, befördert kaum Männer und deren Ideen. Das Ende der –ismen in der Kunst ist ein Merkmal dafür, und nur noch der umfassende Konsumismus beherrscht den Alltag. Es folgt eine Zeit des Matriarchats, in dem die Männer sich zu Horden zusammenrotten, übers Land und durch die Städte ziehen und heidnischen Göttern gehuldigt wird. Kleinkriege und Aufstände bestimmen diese Zeiten, und zwei Schritte zurück prägen das Geschehen, aktuell um den letzten gemachten Fehltritt, die übermäßige Industrialisierung wieder auszugleichen. Das Christentum, die im Mitgefühl einende Idee des Jesus von Nazareth steht auf dem Prüfstand, und findet gleichzeitig verstärkten Zulauf, genauso wie andere polarisierende Ideen und Überzeugungen. Die Odysseen in den Weltraum haben längst begonnen und neuer Abenteuerraum wird aufgetan. Die letzte Betrachtung der Geschichte erfolgt bereits als Blick auf die Erde.

Die Frage, wo beginnt das Scheitern des Menschen, kann nie beantwortet werden. Allein die Erfassung ist zu komplex und so können immer nur Teile, wie Verstand oder Gefühl oder Handlung herausgegriffen werden. Der Fokus bestimmt die Erkenntnis mit. Nicht nur der christliche Gedanke polarisiert in Gott und Teufel.  
Und der Teufel sitzt nicht am längeren Hebel, nein, er sitzt schwätzend neben Gott, dem schweigsamen, und beide bedienen die Vielfalt der Hebel wechselweise.  – Nicht Alleinherrschaft, sondern erst die Wahlmöglichkeit und die Vielfalt der Emotionen und Charaktereigenschaften ergeben Leben, einen vieldimensionalen Menschen und eine ebensolche Welt. Wären alle nur gut und nett und hübsch, so herrschte platte Einseitigkeit und die Menschen wären wie Klone. Wer wollte in einer solchen Welt leben? Wären alle böse, so würde der rücksichtsloseste und körperlich Kräftigste auf einem Schlachtfeld übrig bleiben, alleine. Wenn die Menschen zu einem Wechselspiel kämen, in dem sie ihre guten wie schlechten Eigenschaften abwechselnd, ja situationsadäquat lebten, ohne gleich zum Schwert greifen zu müssen, also sich und das augenblickliche Gefühl rigoros durchzusetzen, so wäre die Menschheit in der Tat einen entscheidenden Schritt weiter. Auch könnte ein wenig mehr Sachorientierung den eitlen emotionalen Kleinkrieg und die Schuldzuweisungen des Alltags auf seinen Platz verweisen, nämlich weitgehend in den Menschen zurück und nicht permanent zwischen die Menschen und damit auf die Bühnen der Theater und des Alltags.
 
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Ensemble, Patrick Nellessen (Mitte)

© Hilda Lobinger

 

In der Inszenierung von Jochen Schölch trug eine unsichtbare, doch stets präsente Spannung das Geschehen. Ein gleichmäßiges Feld, aus dem sich Spitzen erhoben, die Spitzen der Schwerter oder die Spitzen der Worte. Der Mythos um die Taten der Ritter der Tafelrunde, und der sie begleitenden Frauen spiegelten das gesamte Spektrum menschlichen Handelns, die Beweggründe von Liebe bis Gerechtigkeit, Eifersucht und Rache. Text und Inszenierung hielten diese in einem Gleichgewicht. Die Stimme des Teufels, digital verstärkt, kam aus dem Off und sprach zu Merlin, der ihn hören konnte und der Bilder aus der Menschheitsgeschichte beschrieb, die gräulichen. Dagegen trug leichte Musik (Friedrich Rauchbauer) die Szenen von Begegnung und Liebe zwischen König Artus und Ginevra, und einige Takte von Purcell hoben die Stimmung der Ritter an der Tafelrunde. Von Inzest, Kindsmord und Betrug bis zur von den Vätern ererbten Last, welche kaum abzuschütteln ist, reichen die Konflikte.

Gothic Style prägte die Kleidung Merlins und der Ritter. Merlin, mit hohen Plateauschuhen, wehendem Mantel und einem, in eine weiße kahle und in eine schwarze langhaarige Hälfte geteilten Kopf, stand sinnbildlich für Verstand und Gefühl oder Himmel und Hölle im Menschen. Mit Masken, Tüchern und Lichteffekten (Benjamin Schmidt) wurden zauberhafte Bilder gestellt. Die aufwändig gestalteten teilweise realistischen Masken, Fratzen oder Pferdeköpfe, erzeugten zusätzlich Atmosphäre. Die Bühne prägte ein karger Boden, nahm ein Laufsteg ein, an dessen oberem Ende ein Querpodest prangte. Kein runder Tisch, nein, ein Kreuz, eine Tafel wie zum letzten Abendmahl ergab sich daraus und über allem leuchteten abwechselnd weiß der Mond oder die beleuchtete Erdoberfläche (Video Hans Peter Boden).

Darstellerisch wurde die Aufführung getragen vom Geist der Brüderlichkeit, der Gleichheit – „… wenn alle gleich sind … ich König bin … keiner Untertan …“ Allen Rollen kam gleiche Gewichtung zu, allein die Hervorkehrung der Charaktermerkmale führte zur Differenzierung der Figuren - ein um Gerechtigkeit und Ausgleich ringender Artus (Heiner Bomhard), eine leichte tänzerische Ginevra (Sarah Grunert), ein gefühlsgeladener Lancelot (Patrick Nellessen), ein zwielichtiger Mordred (James Newton), ein naiver Parzival (Kevin Körber), ein erhabener Galahad (Sebastian Baumgart), ein kecke Elaine (Ines Hollinger), ein konsequenter Gawain (Rasmus Max Wirth) und ein verzweifelt suchender Merlin (Maria Weidner). So entstand eine geschlossene ausgezeichnete Ensembleleistung, deren Höhepunkte in präzisem Vortrag, Tanz, Kampf und in beeindruckenden, geradezu der großen Oper verbundenen, Bildern lag – die Geburt Merlins, die Gewinnung des Schwertes Excalibur, die Hochzeit von Artus, die Entführung Ginevras – um nur einige zu nennen.  Durch stilistische Mittel, Körpereinsatz und Zaubertricks wurde der ganze Reichtum des Theaters vors Publikum gebracht. Die neun Darsteller bewältigten bravourös neunzehn Figuren, sie schlüpften von Maske zu Maske, von Charakter zu Charakter.

Ideen altern niemals, sie scheitern bisweilen an dogmatischen generalisierten Umsetzungen. Jochen Schölch hält die Idee des klassischen lebendigen künstlerischen Theaters aufrecht und trägt sie mit den jungen Darstellern weiter. Die höchste Aufgabe, die, der, Mann sich stellen kann: „Erinnerungen an die Zukunft.“ Das Ergebnis, die Inszenierung, entsprach durch eine auszeichnungswürdige Gemeinschaftsschöpfung.
Also: Hingehen – unbedingt miterleben!

 

C.M.Meier

 

 


Merlin oder Das wüste Land

von Tankred Dorst / Ursula Ehler

Sebastian Baumgart, Heiner Bomhard, Sarah Grunert, Ilse Hollinger, Kevin Körber, Patrick Nellessen, James Newton, Maria Weidner, Rasmus Max Wirth

Regie: Jochen Schölch
Ausstattung: Christl Wein
Choreographie: Katja Wachter
Kampfchoroegraphie: Heinz Wanitschek
Bühnenbildbau: Alexander Ketterer, Yvonne Gemser, Eva Herrmann
Regieassistenz: Alissa Kircher
Kostümassistenz: Christina Vogel
Regiehospitanz: Anouk Haller
Produktionsleitung: Katharina Schöfl, Veronika Jabinger
Öffentlichkeitsarbeit: Katharina Strieder, Constanze Sünwoldt

Metropol Theater Der Sammler der Augenblicke von Quint Buchholz


 

 
Reise ins Land der Poesie

Max, der Maler, ist ein Sammler der Augenblicke. Der Junge, der Max beinahe täglich in dessen Atelier besucht, kann sich darunter nicht allzu viel vorstellen. Ebenso verwirren ihn die sonderbaren Geschichten von kanadischen Schneeelefanten oder von fliegenden Zirkuswagen, deren Fenster zudem noch hell erleuchtet sind. Wenn Max arbeitet, liest der Junge in den Büchern des Malers in einem roten Fauteuil sitzend. Er bekommt die fertigen Bilder nie zu Gesicht, denn wenn Max mit einem fertig ist, stellt er es mit der bemalten Seite gegen die Wand. Manchmal spielt Max auch auf seiner Geige, denn, wie er meint, stecke in jedem Bild, in jedem Abbild des Augenblicks eine Musik. Eines Tages unternimmt der Maler eine Reise und bittet den Jungen, seine Blumen zu gießen und die Post aus dem Briefkasten zu nehmen ...

Inzwischen ist der Junge alt geworden. Er spielt auf der Straße die Geige von Max, erinnert sich an den Maler und erzählt dessen Geschichte. Gerd Lohmeyer verkörperte diesen alt gewordenen Knaben auf der Bühne des Metropol Theaters. Ein Bühnenbild im herkömmlichen Sinne gab es nicht. Der Hintergrund wurde begrenzt von einer Kinoleinwand, auf der sich das Antlitz Lohmeyers, das nach seinem Auftritt eingefroren worden war, langsam und unaufhaltsam in das Gesicht des Knaben verwandelte. Gerd Lohmeyer erzählte mit sanfter und sympathischer Stimme, in der viel kindliche Erinnerungsschwelgerei mitschwang, von seinen Begegnungen mit Max. Er erzählte, was es mit dem „Sammler der Augenblicke“ auf sich hatte und kam zu der Erkenntnis, dass jeder Augenblick ein Davor und ein Danach hat. Dieses Davor und Danach wird im Angesicht des Augenblicks, welchen der Maler festgehalten hatte, im Betrachter lebendig und Geschichten entstehen.

Lohmeyer führte die Geige von Max und dessen großen braunen Reisekoffer mit sich. Nachdem er einige Takte gespielt hatte, setzte die am linken Bühnenrand sitzende Jolanta Szczelkun mit ihrer Ziehharmonika ein und begleitete das Nachfolgende mit wunderbaren atmosphärischen Melodien, sensibel und wirkungsvoll vorgetragen. Alles begann sich in eine märchenhafte Fantasiewelt zu verwandeln. Als Gerd Lohmeyer an die Stelle in der Geschichte gelangte, in der er im Besitz des Schlüssels von Max Wohnung war, diese endlich betrat, kam der Augenblick, in dem er die Bilder betrachten konnte.

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Gerd Lohmeyer

© Hilda Lobinger

 

Lohmeiers schelmisches Gesicht und seine sanfte, aber nachdrückliche Art des Vortrags vereinte Alter und Kindlichkeit gleichermaßen. Dann zog er sich zurück und die Bilder erschienen auf der Leinwand. (Bildbearbeitung: Alisa Wimmer) Die Bilder waren zum Teil surreal, verblüffend in Komposition und Inhalt. Ein wenig schienen sie von denen René Magrittes inspiriert zu sein. Über einen ziemlich langen Zeitraum tauchte der Zuschauer in die Bilderwelt des „Sammlers der Augenblicke“ ein und erlebte Erstaunliches. Die Erzählungen von Max nahmen Gestalt an. Die scheuen und gewaltigen kanadischen Schneeelefanten wurden für kurze Zeit im Schneegestöber eines Bildes sichtbar. Der Zirkuswagen schwebte am Himmel entlang und ein Boot erschien hinter einer sich öffnenden Tür. Darin standen ein König und ein Löwe, saß ein schönes langhaariges Mädchen. Aus jedem Bild erstieg ein neues Bild, und jedes für sich hielt eine poetische Überraschung für den Betrachter bereit. Zum Beispiel stand ein Mann in einer hellen Jacke am Bildrand und als alle Geheimnisse des Bildes sichtbar geworden waren, ging dieser Mann zur Verblüffung der Zuschauer einfach durch das Bild davon.

Jochen Schölch, ein wahrer Theatermagier, zeigte einmal mehr, wie wenig es bedarf, den Zuschauer in den Bann zu schlagen und seine Fantasie zu entfesseln. Kleine Zaubertricks, Miniaturmodelle von der Erde, dem Leuchtturm, die Geschichte spielt auf einer Insel, oder einer Bibliothek, die sich im braunen Koffer verbarg, zeigten dem Zuschauer, wie sehr er oder sie noch Kind sein können. Der einstündige Abend war eine Reise ins Reich der Poesie, fesselnd und kurzweilig. Das Erwachen aus der poetischen Verzauberung hatte beinahe etwas Schmerzhaftes. Schölch hat auch mit dieser Arbeit wieder einmal bewiesen, wie ‚weit das Land Theater’ sein kann. Ihm und seinen Mitstreitern gebührt Dank. Diese Inszenierung war ein wunderbares Geschenk ans Publikum.


Wolf Banitzki

 

 


Der Sammler der Augenblicke

von Quint Buchholz

Gerd Lohmeyer und Jolanta Szczelkun

Regie: Jochen Schölch
Künstlerische Mitarbeit: Quint Buchholz
Musik: Jolanta Szczelkun