Teamtheater Tankstelle Doig. Kein Musical! von Greg Freeman


 

Kein Entrinnen vor dem Kraken Markt


Doig hat sich vor der Welt verkrochen. Seine Schwester Daisy hat ihn aufgenommen, nachdem ruchbar geworden ist, dass er in seinem Job einen folgenreichen Fehler gemacht hat und er auf die Abschussliste gesetzt wurde. Die Medien bliesen ihrerseits das Halili. Die Jagd war zu Ende und Doig restlos ruiniert. Aber Scheitern kann auch ein Erfolg sein, erklärt ihm der Psychiater Smith. Ein simpler Perspektivwechsel lässt die Welt in einem völlig neuen Licht erscheinen. Was paralysiert einen Menschen eigentlich, der eine solche Niederlage wie Doig hinnehmen musste? Es ist die Scham. Und wenn man alles verloren hat, wozu braucht es da noch Scham? Also hinaus in die Welt und schamlos sein.  


Gesagt, getan. Nachdem Doigs Arbeitskollege Ralph ihm seine in der Firma verbliebenen Sachen brachte, lag auf der Hand, dass man ihn loswerden wollte. Doch Doig weigerte sich standhaft und plötzlich wurde deutlich, dass hier nur noch der Preis für seine „freiwillige“ Kündigung verhandelt wurde. Doig dämmerte, das alles nur eine Frage des Preises ist. Enttäuscht davon, dass ihm alle Wege zurück versperrt sind, tritt er die Flucht nach vorn an. Er wird zum Totalverweigerer, lehnt alle zivilisatorischen Errungenschaften ab, bekleidet sich mit einer Plastiktüte und geht in den Wald. Dort wird er nach einiger Zeit von Ralph aufgespürt, der ihm einen geschäftlichen Vorschlag unterbreitet. Er hat Doigs Ausstieg zu einem Markenlabel gemacht: Doigismus™. „Nichts kaufen!“ außer einem Doig™-Label. Konsumverzicht als Kaufanreiz. Doigismus™ - ist keine Marke. Es ist eine Lebensart. Einen Doigismus™ - Wochenendworkshop kann man schon ab £ 729 bekommen.


Mit Entsetzen muss Doig erkennen, dass er mit seiner Idee von der Konsumverweigerung dem Markt einen Steilpass geliefert hat. Die Geschäfte laufen bestens und alle Beteiligten verdienen gut. In Doig zerbricht etwas, denn er spürt plötzlich, dass die für die Menschen überlebensnotwendigen Feen und Trolle an Atemnot zu sterben drohen. So stellt er seine eigene Atmung ein, um den Wesen, die ihm seinen Weg gewiesen hatten, das Überleben zu sichern. Und so wird Doig zum Märtyrer, was wiederum die Aktien von Doigismus™ in die Höhe treibt. Doig hatte keine Chance dem Kraken Markt zu entkommen. Und darum ist das Stück des Briten Greg Freeman auch kein Musical. Es ist eine trefflich Satire über den Schwachsinn und den Schwachsinn erzeugenden Konsumismus. Es ist der letzte Ismus, der geblieben ist aus einer facettenreichen und vielfältigen Menschheitsgeschichte. So ist der Kapitalismus die siegreichste aller Religionen geworden.


Für die Inszenierung im Teamtheater Tankstelle, entwarf Michele Lorenzini einige funktionale, jeweils an zwei Seiten offene weiße Kuben, die nach Bedarf arrangiert werden konnte. Er war auch für die Kostüme verantwortlich. Sarah Silbermann und Mailis Menne von der Modeschule ESMOD hatten eigens für dieses Theaterereignis die Kollektion DOIG entworfen. Diese Kollektion würde, wenn sie von der Inszenierung abgekoppelt präsentiert werden würde, mit ziemlicher Sicherheit begeisterte Nachahmer finden. Mit einer solchen Aktion könnte man die bissige Inszenierung von Regisseur Oliver Zimmer sicherlich noch toppen, denn keine Idee ist zu blödsinnig, um nicht realisiert zu werden.

Oliver Zimmers Name steht inzwischen für solides Handwerk und runde, intelligente und ausgewogene Inszenierungen. Alle diese Prädikate treffen ohne Einschränkungen auch für „Doig. Kein Musical!“ zu. Zimmer arbeitete in dieser Inszenierung mit zwei Darstellern, mit denen er schon andere, ebenso erfolgreiche Inszenierungen auf die Bühne des Teamtheaters gebracht hatte. Philipp Weiche gehört dazu, ein Darsteller, der bereits in „Freak Dinner“ mit seinem komischen Talent begeistert hatte. Er gab in „Doig“ den Psychiater Smith mit Verve, eine Person, die ebenso aalglatt wie eloquent daherkam. Er entlarvte die Figur als eine dem Markt angepasste Person, deren Weltbild ebenso schwammig wie ideentriefend war. Daniel Pietzuch spielte die Rolle des Arbeitskollegen  Ralph als einen aufgeblasenen Macher, als neoliberalen Champagnerboy, der sich, wenn es denn einmal eng wird, schnell an seine offenen Kredite erinnerte und heulend und Zähne klappernd seine ganze Erbärmlichkeit offenbarte.

Deborah Müller gab die Daisy, die Schwester von Doig. Auch diese Figur drängte zum Golde und verkaufte dabei auch schon mal frei von Skrupeln den eigenen Bruder. Sie machte es allerdings nur, um die Welt zu retten, um ihr Ökodeo auf den Markt zu bringen. Sie erfüllte konsequent alle notwendigen Quoten in Fragen Ökologie. Als der Bruder allerdings zum radikalen Überöko mutierte, zeigt sie eine ganz andere Flagge und als sie hört, er habe sein Geld an Bedürftige verschenkt, war Schluss mit dem Gutmenschen. Als schließlich auch noch herauskam, dass sie in vermeintlicher Not ihren Körper verkauft hatte, brach das blanke Entsetzen vor der allseits drohenden Gefahr der Entdeckung aus. Der Peitschenknall ihrer eigenen Schamhaftigkeit ließ sie wieder auf menschliche Maße schrumpfen. Auch sie spielte ihren Part sehr überzeugend. Der Doig wurde von Anno Köehler gestaltet. Er war die tragische Figur in dieser wunderbar spitzfindigen und hintersinnigen Satire. Und obgleich alle Welt mit den Fingern auf ihn wies, war schnell klar, dass er den Menchen verkörperte, dem an Wahrheit, Aufrichtigkeit und Menschlichkeit gelegen war. Koehler gestaltete mit starkem emotionalem Ausdruck. Das schien angesichts der komödiantischen Parts, insbesondere dem von Philipp Weiche, nicht zusammen zu gehen. Doch gerade durch Koehlers schwerblütigen Spiel wurde erkennbar, dass Figuren wie Smith im Grunde ebenso tragisch sind, nur sind sie zudem auch noch lächerlich. Es war Koehlers Gestaltung der tragischen Dimension, die verhinderte, dass vom Stück nur eine gut geschriebene Boulevard-Komödie übrig blieb.

Das Stück und die Inszenierung von Oliver Zimmer waren mehr als ein unterhaltsamer Theaterabend. Es war zugleich ein Plädoyer gegen eine Welt, die im bedingungslosen Materialismus versinkt und zugleich eine Warnung, dass unsere Widerstandskräfte im Schwinden begriffen sind. Also war es durchaus auch gutes politisches Theater. Diese Inszenierung sei vor allem denen empfohlen, die sehnsüchtig verkünden, es gäbe kein ästhetisch verträgliches Theater mehr, das auch dem Anspruch genüge, eine moralische Anstalt zu sein. „Doig. Kein Musical!“ ist der Gegenbeweis.


Wolf Banitzki

 

 


Doig. Kein Musical!

von Greg Freeman

Anno Koehler, Deborah Müller, Philipp Weiche, und Daniel Pietzuch

Regie: Oliver Zimmer

Teamtheater Tankstelle  Ich denke an Yu von Carole Fréchette


 

 

 

Plädoyer für das Aufbegehren

 

Die Übersetzerin Madeleine steckt in einer ungeliebten Arbeit. Da kommt ihr die Meldung von der Entlassung des chinesischen Journalisten Yu Dongyue nach 17 jähriger Haft gerade recht, um ihren Gedanken nachzuhängen. Yu war im Mai 1989 gemeinsam mit zwei Freunden nach Peking gereist, um an den Protesten auf dem Tiananmen-Platz teizunehmen. Der junge Mann hatte mit roter Farbe gefüllte Eier gegen das überdimensionale Porträt Maos geschleudert und es verunstaltet. Er wurde zu zwanzig Jahren Haft verurteilt und war bei seiner Entlassung ein psychisch und physisch zerstörter Mann. Madeleine unterrichtet ein junge Chinesin in der französischen Sprache. Sie wird nach anfänglicher Ignoranz in diese Überlegungen einbezogen und schnell stellt sich heraus, dass die seit 8 Monaten in Kanada weilende Lin eine völlig andere Sicht auf den Fall hat. Geprägt vom opportunistischen Überlebenswillen breiter Schichten der chinesischen Bevölkerung, verteidigt die junge Gärtnerin Mao, auch wenn sie insgeheim auf ihn spuckt. Eine dritte Ansicht zum Thema politische Verantwortung des Einzelnen gegenüber der Gesellschaft und der Geschichte bringt Jérémie ins Spiel. Der Möbeltischler hat einen kranken Sohn, den er keinen Augenblick allein lassen kann, weil dieser dann von Ängsten überwältigt wird. So muss er ständig Kontakt halten, bei Abwesenheit über das Telefon. Der Sohn ist für Jérémie zur alles erschöpfenden Lebensaufgabe geworden.

 

Die 1979 geborene Stefanie Bauerochse gab mit „Ich denke an Yu“  aus der Feder der kanadischen Autorin Carole Fréchette ihr Regiedebüt am Teamtheater Tankstelle. Sie inszenierte einen eindringlichen, bisweilen auch quälenden Reigen von Lebensentwürfen, der sich am Ende zwar schloss, jedoch kein Rezept für Jedermann oder -frau parat hielt. Immerhin muss es schon als Verdienst gerechnet werden, wenn heutigentags ein Stück auf die Bühne gebracht wird, das nicht nur vordergründig unterhalten will, sondern den Zuschauer in seiner eigenen Weltanschauung herausfordert, sich zumindest zu sich selbst zu verhalten. Carole Fréchette indoktriniert nicht, sie verführt nicht, sie stellt lediglich in besonderer Konstellation in den Raum. So muss auch die Begründung der Jury bei der Verleihung des Prix Siminovitch an die Autorin verstanden werden: "Ihre Stücke lassen im Bekannten Unbekanntes, im Fassbaren das Unfassliche anklingen, eine Verbindung, die ein Kennzeichen großer Kunst ist."

 

Gabriele Grafs Madeleine war eine Frau, deren Leben nicht unbedingt in geordneten Bahnen verlaufen ist. Sie trug sehr schwer an sich selbst, an ihrer Sensibilität und an ihrem Rechtsbewusstsein. Madeleine war einerseits getrieben von eigener Antriebslosigkeit zum Selbsterhalt und andererseits vom Mitleiden mit den bedrängten Kreaturen dieser Welt. Sie verkörperte den Prototyp der an sich selbst scheiternden Idealistin, die es doch immerhin zu einem verzweifelten Aufschrei brachte. Melanie Miras junge Chinesin Lin verkörperte eine Suchende, die noch ganz der ideologisierten chinesischen Gesellschaft entsprach. ‚Fünftausend Jahre Geschichte kann man nicht beenden’, so ihre Antwort auf Yus Tat. Ihre Figur gab anfangs wenig Hoffnung auf Wandlung im Reich der Mitte. Sie suchte ihr Heil in der Migration in einen anderen Kulturkreis und in der Gärtnerei, das Einzige, was seit Jahrtausenden unverfänglich ist. Der letzte Kaiser Pu Yi von China arbeitete nach seiner Entlassung aus dem Umerziehungslager unter anderem als Gärtner im Pekinger Botanischen Garten. Ein chinesischen Sprichwort sagt: „Wer einen Tag lang glücklich sein will, der betrinke sich. (...) Wer ein Leben lang glücklich sein will, der werde Gärtner.“ Soviel zu diesem Berufsbild in China. Am Ende jedoch konnte Lin mit der eigenen Selbstverleugnung nicht mehr leben und zeigte Flagge, so wie es Yu 17 Jahre zuvor getan hatte. Der Lebensentwurf Jérémies ist ein eher typisch bürgerlicher. Ulrich Zentners Figur war weitestgehend entpolitisiert. Mit der Sorge um seinen Sohn hatte er eine für ihn wichtigere Aufgabe zu bewältigen. Das Wundervolle an Carole Fréchettes Stück ist jedoch, dass Jérémie zwar nicht zu der Einsicht gelangte, gegen das vermeintliche Schicksal aufzubegehren, es aber in einem Augenblick der Raserei tat.

 

Das Bühnenbild hatte Michele Lorenzini besorgt. Es war sehr üppig, zu üppig muss man leider sagen, denn  zu viele überflüssige Details lenkten ab. Wenn sich am Ende im Denken die Strukturen aufklären, erstickt die Bühne unter den einstürzendem Lattenturm, der Internet, Bibliothek, Feste und Objekt zur Schaffung von Lichtstrukturen in einem war. Dabei soll die ausgefeilte und effektvolle Lichtgestaltung von Charlotte Marr nicht unerwähnt bleiben. Dennoch war das Auge des Betrachters von der Vielzahl der Gegenstände und Elemente zu häufig abgelenkt. Weniger wäre hier mehr gewesen. Der Botschaft, nämlich ein Plädoyer für das Aufbegehren, tat es keinen Abbruch. Es gab noch nie Zeiten, in denen Aufbegehren kein Thema gewesen wäre. Man muss nur wissen, wogegen. Und dazu bedarf es des In-Sich-Hinein-Hörens. Carole Fréchette hat es eingefordert, und Stefanie Bauerochse und ihre Mitstreiter haben es vorgemacht.

 

 

Wolf Banitzki



 


Ich denke an Yu

von Carole Fréchette

Deutsch von Heinz Schwarzinger

Gabriele Graf, Melanie Mira und Ulrich Zentner

Regie: Stefanie Bauerochse

Teamtheater Tankstelle Illusionen einer Ehe von Éric Assous


 

 

 
Die Wahrheit und andere Missliebigkeiten

„Lass uns die Zähler zurückstellen, wieder auf Null.“ Die Zähler zurückstellen? Ganz recht. Diesen Vorschlag unterbreitet Jeanne ihrem Ehemann Maxime und meint damit, dass man sich gegenseitig alle Seitensprünge eingesteht und verzeiht. Um die Betrügereien wissend, kann man wieder bei Null anfangen. So einfach. ... So einfach? Mitnichten, denn wer ist schon gern bereit und in der Lage, sich selbst zu bezichtigen. Dennoch, die beiden gehen diesen Schritt. Nach der Offenbarung: Es steht 12 zu 1 für Maxim und eigentlich sollte er nun demütig in sich gehen und sich vielleicht auch ein wenig schämen. Doch augenblicklich befindet Maxime, dass dieses eine Mal viel gewichtiger zu Buche schlägt, als seine zwölf Affären, von denen nicht einmal mehr die Erinnerung lebendig ist, wie er vorgibt. Dieser eine Seitensprung Jeannes, hört, hört, dauerte nämlich neun Monate. Da liegt es doch auf der Hand, dass es nicht nur eine flüchtige Affäre war, sondern eine ausgewachsene Beziehung. Vermutlich hat man sich dabei sogar über Themen wie Theater, Galerien, Restaurants etc. ausgetauscht. Mann ist entsetzt über Frau und will jetzt mit allem Nachdruck wissen, wer der Schurke war, der so skrupellos in sein Leben einbrach? Er will um jeden Preis den Namen wissen. Jeanne erklärt ihm unumwunden, dass das nicht die Spielregeln entspricht und er den Namen nie erfahren wird. Jetzt wird Maxime zum erbarmungslosen Maulwurf. Das erste Opfer ist der beste Freund Claude, der sanft aber nachdrücklich zum gemeinsamen Essen geladen wird. Nun beginnen die Wahrheiten zu purzeln wie reifes Obst.

Das Stück „Illusionen einer Ehe“ des 1956 in Tunis geborenen Autors Eric Assous erlebte 2009 seine Uraufführung am Pariser Théâtre de I’Oeuvre und lief dort mit riesigem Erfolg. Das ist nicht verwunderlich, denn es ist ein äußerst geschickt gebautes, blitzgescheites und spritzig verfasstes Boulevardstück, das höchsten Ansprüchen genügt. Das Feuerwerk an Situationskomik und Wortwitz hält bis zur letzten Minute an. Da brauchte es keiner künstlichen Zusätze von Seiten der Regie, um die Unterhaltung aufrecht zu erhalten. Es bedurfte lediglich eines lockeren, aber sicheren Händchens für Komödiantik. Dass Oliver Zimmer über eben jenes Händchen verfügt, bewies er bereits in Inszenierungen wie „Fasten Seat Belts“ oder „Freak Dinner“.

Mit „Illusionen einer Ehe“ übertraf er allerdings die oben genannten Inszenierung, denn diese neueste Arbeit war nahezu perfekt. Regisseur Zimmer verschenkte nichts und führte die Schauspieler zu exzellenten Leistungen. Allen voran Philipp Weiche als Maxime. Er hatte, zugegebenermaßen, die ergiebigste Rolle, denn der sonst so souveräne Macher, der erfolgreiche Unternehmer, der überlegene Lebemann entpuppte sich sehr schnell als emotional ziemlich instabil, von Eitelkeiten gehetzt und beinahe neurotisch im Umgang mit der Wahrheit. Phillip Weiche gestaltete die Rolle des Maxims mit nachtwandlerischer Sicherheit. Da war keine menschliche Regung, die er nicht sichtbar machen konnte. Es war ein ausgeklügeltes Spiel, das, ob seiner intelligenten Vielfalt, gleichsam einen Stab brach für den (mehr oder wenig) reuigen Sünder. Die Figur des Maxime blieb, dank Weiches überzeugend menschlicher, allzumenschlicher Gestaltung, bis zum Ende hin sympathisch. Möglich war diese Leistung nicht zuletzt durch das kongeniale Gegenspiel von Irene Rovan. Sie gestaltete die Rolle der Jeanne leicht unterkühlt, doch nicht emotionslos und trieb so ihren Ehemann Maxime immer wieder aus der Reserve und auch vor sich her. Am dritten im Bunde, Freund Claude, arbeitete sich das Ehepaar geradezu ab, denn der bedauernswerte Mann hatte über weite Strecken keine Ahnung, worum es tatsächlich ging. Uwe Kosubek spielt das Erstaunen und die Verwirrung, in die er immer wieder getrieben wurde, äußerst feinsinnig und gänzlich ohne Plattitüde. Das Spiel der drei Darsteller war eine wahre Augenweide. Es war auch leicht, sich darauf zu konzentrieren, denn das Bühnenbild von Monika Staykova, die auch für die Kostüme verantwortlich zeichnete, wahr simpel und praktisch. Fünf Sitzwürfel wurden auf die unterschiedlichsten, vom Spiel diktierte Positionen gerückt. Die zwei weißen runden Wände formten eine Trichter, in dessen Zentrum das Familienuniversum kreiste und brodelte und den Blick bannte.

Die Inszenierung von „Illusionen einer Ehe“ kann keine letzten Antworten zum Thema geben und vermutlich gibt es darauf auch gar keine allgemeingültigen. Aber es zeigt sehr glaubhaft menschliche Verhaltensweisen auf, die uns bei allem Spaß immer auch an das 6. Gebot erinnern und daran, dass wir letztlich die Konsequenzen, die sich auch in uns selbst einstellen werden, tragen müssen. Sicher ist, dass die Wahrheit nicht immer das probateste Mittel ist, denn sie will ausgehalten sein. Und da zeigt sich ein echter Schwachpunkt im System Mensch.
Die Inszenierung ist ein unbedingtes Muss für jeden Theatergänger. Und die, die es noch nicht sind, könnten sich bei diesem Spiel den Theatervirus einfangen!

Übrigens, wer sich diese Inszenierung lieber in französischer Sprache anschauen möchte, bekommt ab dem 9. November 2012 die Gelegenheit dazu. Das Doppelprojekt „Illusionen“ verspricht: Ein Stück, eine Bühne, zwei Inszenierungen!

 
 
Wolf Banitzki

 

 


Illusionen einer Ehe

von Éric Assous

Philipp Weiche, Irene Rovan, Uwe Kosubek


Regie/Dramaturgie: Oliver Zimmer

Teamtheater Tankstelle A Story of Wallstreet nach Herman Melville


 

 

Und tüchtig klingeln die Kassen

 

Was ist eine Ratingagentur? Und wer arbeitet in einer solchen? Ratingagenturen sind Unternehmen im Bereich der Ökonomie, die Analysen und Bewertungen erstellen und Empfehlungen aussprechen. An sich ist das ja keine schlechte Sache, denn eine Empfehlung ist eine Empfehlung und kann gegebenenfalls auch ignoriert werden. Stutzig macht dann allerdings, wenn man erfährt, dass diese Agenturen Milliardengewinne machen, ihre Mitarbeiter Gehälter einfahren, die man getrost als Vermögen bezeichnen könnte. Da kommt der Verdacht auf, dass es hier nicht mit rechten Dingen zugeht, denn eigentlich sind diese Agenturen so überflüssig wie ein Kropf. Die ganze Sache erscheint plötzlich in einem ganz anderen Licht, wenn man begreift, dass diese Agenturen immer Gewinner sind. Kommt es zu einer Konjunktur, kassieren sie ab. Gibt es eine Rezession, kassieren sie ab. Das hängt schlicht und einfach damit zusammen, dass sie Konjunkturen oder Rezessionen gezielt herbeiführen können.

 

Schaut man einmal drauf, wer die Drahtzieher dieser Untenehmen sind, stellt sich erstaunlicherweise heraus, dass sie stets mit den Leuten verbandelt sind, die auch ihre Finger in den Großbanken dieser Welt haben. Das klingt nach Verschwörungstheorie, ist es aber nicht, sondern nachprüfbare Praxis. Jeder könnte es wissen, wenn er einmal genau hinschauen würde. Und wer zahlt diesen I-Padgangstern ihre traumhaften Gewinne? Die Bürger, die mit ihrer Hände Arbeit oder mit ihres Verstandes Leistung noch wirkliche, fassbare Werte schaffen. Aber gerade diese werden uns ganz unverhohlen von den selbsternannten „Masters of the Universe“ gestohlen. Das Faszinierende daran ist, dass sie sich für ihr verbrecherisches Treiben mit den Verfassungen der 1.Weltstaaten rechtfertigen können, die die freie Meinungsäußerung schützen. Nichts anderes als freie Meinungsäußerungen sind die Analysen, Prognosen und Empfehlungen der Ratingagenturen.

 

In dieses geheimnisumwitterte Milieu entführt die Inszenierung „A Story of Wallstreet“ von Andreas Wiedermann im Teamtheater Tankstelle. Die Geschichte basiert auf einer Textfassung vor Urs Klebe, die inspiriert ist von Herman Melevilles Novelle „Bartleby“, zuzüglich einiger Textanleihen bei Franz Kafka und Fernando Pessoa.
Die Geschichte des Schreibers Bartleby könnte fraglos auch aus der Feder Kafkas stammen, so kafkaesk mutet sie an. „I would prefer not to.”  Dieser Satz ist Auslöser einer Krise, die allerdings keinen Sand ins Getriebe der Wallstreet, Nabel der Weltökonomie, bringt, denn jedes Rädchen ist austauschbar. Bartleby steigt aus aus der Arbeitswelt und schließlich auch aus dem Leben, denn er hat die Sinnlosigkeit seines Tuns begriffen. Der Run auf Reichtum, nach einem komfortablen Leben (Jeder will es!), hat ihn weit weggebracht von dem, was Glück bedeuten könnte. Anstelle von rasender Gier setzt Bartleby Kontemplation und plötzlich entdeckt er die Schönheit der beobachtenden Reglosigkeit. Er fühlt sich wieder selbst, genießt es und es ist ihm genug.

 

Autor Urs Klebe ist zugleich auch der Darsteller des Bartlebys. „Ich sehe seine Gestalt noch heute vor mir – ausdruckslos sauber, erbarmungswürdig achtbar, hoffnungslos einsam. Es war Bartleby.“ Dieses Zitat aus Melvilles „Bartleby“ ist durchaus zutreffen für die Figur, wie Klebe sie auf der Bühne präsentierte. Im Reigen der überambitionierten Finanzzauberer wirkte er zunehmend somnambuler, abwesender. Urs Klebe spielte den Bartleby unaufhaltsam hinaus aus der betriebsamen Realität und hinüber ins Jenseits. Als er einer Aufforderung Steves, seines Chefs, eine Arbeit zu übernehmen mit den Worten begegnet: „Ich möchte lieber nicht.“ ist dieser fassungslos. Das war immerhin ein Kündigungsgrund. Doch Steve, wuchtig, propper und pragmatisch von Franz Brandhuber gespielt, geriet nicht einmal in Wut. Warum? „Bartleby aber hatte etwas an sich, was mich nicht allein seltsam entwaffnete, sondern auch, aufs wunderlichste, rührte und aus dem Konzept brachte.“ (Melville)

 

In Wiedermanns Inszenierung war Bartleby nur bedingt die Hauptfigur. Er war vielmehr so etwas wie der Katalysator für die Handlung, die ihn am Ende doch ignorierte. Aus den Augen, aus dem Sinn. Autor und Regisseur ging es vielmehr darum, die Welt des Finanzkapitals zu beleuchten, zu durchdringen und auch zu erläutern. Schon Brecht bedauerte seinerzeit, die Börse nicht verstehen zu können. Dabei ist die Ökonomie an sich ein äußerst primitives Handwerk. Kompliziert ist die Psychologie, die sich entwickelt hat, um eben diese Primitivität zu verschleiern und die Gesetze des Marktes auszuhebeln und zu missbrauchen. Es entstand eine kryptische Sprache, mit der sich die Priester dieser allmächtigen Weltreligion von den Gläubigen auf die denkbar arroganteste Weise absetzen. In den vierzig szenischen Miniaturen wurde dies überdeutlich. Inhaltslosigkeit herrschte allenthalben. Ad absurdum führten Wiedermann/Klebe die Geschichte, als die Ratingagentur dem Mars das Prädikat Triple A verliehen und selbst hinreisten. Dort, in einer eiskalten Wüste, mussten sie sich endlich eingestehen, dass weder die Analysen stimmten, noch ihr Voting. Dumm gelaufen, möchte man schmunzelnd kommentieren, wenn das Krebsgeschwür Finanzkapital nicht so existenzgefährdend wäre. Eine Entsorgung dieser Gierlinge auf den Mars ist technisch leider noch nicht möglich.

 

Der zweistündige Theaterabend war lehrreich, unterhaltsam und ästhetisch anspruchsvoll. Die Bühne von Udo Ebenbeck bestand aus einem großen Screen, auf den die Bühnenbilder von Lisa Erdmann projiziert wurden. Das funktionierte wunderbar, erwies sich als praktisch und entsprach ästhetisch dem Charakter der Geschichte. Den hochdramatischen Rhythmus, hier ging es immerhin um Turbokapitalismus, erhielt das Spiel durch die Percussionistin Agnieszka Engelsdorf. Sämtlichen Darstellern gelang die Gestaltung klarer und deutlicher Charakterfiguren. Einzelne zu nennen hieße, andere zu Unrecht vernachlässigen. Es war unbedingt bestes Ensemblespiel.

 

Ob es nun von Vorteil war, große Teile des Stückes, insbesondere die Passagen mit Meetings, die angefüllt waren mit fachspezifischen Begriffen, in englischer Sprache mit deutschen Obertiteln zu spielen, mag jeder Zuschauer für sich entscheiden. Gelegentlich war es zwingend notwendig mitzulesen, wobei das Spiel der Darsteller bedauerlicherweise aus dem Blickwinkel geriet. Es ging den Machern aber wohl darum, Inhalte mit Klang und Bedeutungen mit zum Teil pervertierter Sprache zu versehen. Und das wohl nicht zu Unrecht, denn in den Aufsichtsetagen der deutschen Finanzwirtschaft wird in einigen Unternehmen bereits durchgängig Englisch gesprochen. (Siehe Deutsche Bank!)

 

Es ist unbedingt eine sehenswerte Inszenierung und Geschichte mit dem Prädikat: „Wertvoll“, weil aufklärend. „Ja, Bartleby! Ja, Menschentum!“ so die letzten Sätze der Novelle. Es ist eine große Geschichte von Hermann Melville, die keinesfalls kleiner wurde, nachdem das Theater ImPuls Hand angelegt hatte.

 

Wolf Banitzki



 


A Story of Wallstreet

nach "Bartleby" von Herman Melville

Franz Brandhuber, Simon Brüker, Urs Klebe, Christina Matschoss, Clemens Nicol, Micky La Rosee, Gudrun Skupin, David Thun. Percussion: Agnieszka Engelsdorf

Konzeption: Andreas Wiedermann

Teamtheater Tankstelle Shakespeares wilde Weiber von Harald Helfrich, Dorothee Jordan, Isabella Leicht





Ganz im Stile Shakespeares

und damit ein höchst zeitlos zeitgemäßes Theaterstück. Ja und doch nein, denn anders als noch vor 500 Jahren in England, als nur Männer die Bühnen bespielten, haben Frauen längst die Frauenrollen übernommen, überhaupt haben sie sich mittlerweile „die“ Rolle in der Gesellschaft angeeignet und manche klassische Männerrolle wird heute von einer Frau gegeben. Verkehrte Welt oder Spielvariation? Wie immer man dies auch sehen mag, einerlei, denn jede Seite gewährt Einblicke in ihre höchst amüsanten Eigenheiten.  

Es galt die Rolle der Lady Macbeth zu besetzen. Andrea, die Regieassistentin stand auf einem langen Tisch. Bücher und die gelben Reclam Ausgaben lagerten neben der heute obligaten Wasserflasche und dem Arbeitsbuch. Andrea trug den Monolog der Lady vor, übte. Schließlich wollte auch sie sich um die Rolle bewerben. Das Erscheinen von Molly zwang sie zur Unterbrechung und in den Alltag hinter der Bühne zurück. Molly, erfahrene 40zigerin, zog sogleich alle Aufmerksamkeit auf sich, setzte sich gekonnt in Szene. Bis ... bis Julia erschien und die Welt zur filmischen Soapopera auftat. Julia. Die Stimme eines Mannes kam aus dem Off: „.... warten ...“ Der gefeierte Regisseur, dessen letzte Inszenierung einen proligen Pseudo-„König Lear“ vorstellte, in welchem dem der Mann sich selbst unsterblich zu machen trachtete, und dazu den Namen Shakespeare als Deckmantel oder Kassenmagnet benutzte - eine nur zu übliche Praxis – war beschäftigt. Unsichtbar. Die Worte des passenden Songs „.... keine Männer mehr, nur Heuchler und Schelme ...“

Die drei Frauen, auf sich selbst zurückgeworfen, setzten sich in der Konkurrenz zueinander - besser passender wissender erfahrener usw – so brachte jede ihr Können ins Spiel. Isabella Leicht, als Andrea von blitzgescheit bis gothic. Claudia Hinterecker, als Julia von unbedarft bis romantisch. Ursula Berlinghof, als Molly von fürsorglich bis beeindruckend vielseitig. Das Spiel der drei Darstellerinnen kennzeichnete eine unaufdringliche, in jeder Geste präzise Präsenz. Und wenn sie Shakespeares Worte sprachen, so war es das Wie, mit dem sie scheinbar nie Gehörtes ins Bewusstsein riefen, welches aufhorchen ließ, das zum Schmunzeln verführte. Von der ganz großen Geste, Dramatik pur, bis zum verspielten Gezicke fand alles seinen rechten Platz, rechten Moment. Drei sehr unterschiedliche Frauen agierten in ihrem Element, doch jede, jede eine eigenwillige Lady.

shakespeareswildeweiber

Isabella Leicht, Ursula Berlinghof, Claudia Hinterecker

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Fantasie ist weiblich! Das Stück erzählt auf wundervoll unterhaltsame Weise von den Problemen des Lebens als Schauspielerin, den Gepflogenheiten im Kunstbetrieb, dem innewohnenden Überlebenskampf und die menschliche Erfüllung im und durch das Schauspiel. Highlights bildeten verschiedenste original Shakespeare Szenen, mit denen die Frauen die Wartezeit überbrückten und einander ihr Können veranschaulichten. Viele verschiedene Lebensebenen wurden gleichzeitig angesprochen und ganz „wie im richtigen Leben“ auf das dichteste miteinander verwoben. Und das dies gelang, ist wohl auf die Zusammenarbeit der Verfasser - Harald Helfrich, Dorothee Jordan und Isabella Leicht – zurückzuführen, die einander kongenial ergänzten. Das Thema Gleichberechtigung und Einfluß der Geschlechter fand in der Tatsache, dass die Rolle des Hamlet über 10.000 Wörter und die der Rosalia, die größte Frauenrolle bei Shakespeare, gerade mal die Hälfte umfasst, beiläufig Erwähnung. Cooler und doch unüberhörbarer ist kaum möglich.

Die unlösbaren Menschheitskonflikte, zwischen den Geschlechtern, in der Hierarchie und im Miteinander werden wohl für die nächsten 500 Jahre, in den unterschiedlichsten Variationen, noch ausreichend Stoff zur Unterhaltung bieten. Doch nicht immer wird intelligente Kurzweil so garantiert sein, wie bei „Shakespeares wilden Weibern“. Das exzellente Stück, die wundervolle leicht anmutende Inszenierung und die außergewöhnlich vielfältige Darstellung durch die Künstlerinnen machten den Abend zu einem unvergeßlichen Theatererlebnis. Hingehen ... das war phänomenal!



C.M.Meier

 

 

 

 


Shakespeares wilde Weiber

von Harald Helfrich, Dorothee Jordan, Isabella Leicht

Ursula Berlinghof, Isabella Leicht, Claudia Hinterecker

Regie und Musik: Harald Helfrich