Halle 7 Die letzte Runde von Frank Campoi


 

 

Von Hintergrund und Vordergrund

Auf einer realen Lebensgeschichte basiert das Stück „Die letzte Runde“ von Frank Campoi. Und dennoch dient diese nur als Rahmen, als Projektionsfeld für Begegnungen und Reflektionen. Die Geschichten der Einzelnen treten hervor, um wieder in die der Familie zurück zu treten und im Globalen zu verschwinden. Im Vordergrund steht bei allem die Suche nach Wohlstand, für den Menschen bereit sind, ihr Leben aufzugeben. Gastarbeiter, Ausländer zu sein, oder mit ihnen zu leben, ist weltweit eine Problematik, die in Abgrenzung und eine gemeinsame Bewegung nur mündet. Konsumismus. Vom schieren Überleben bis zum Übersatt. Denn auch ein Reicher, der in bestimmten Geschäften kaufen muss, um von seinem Umfeld anerkannt zu werden, ist dadurch ein Armer.  Bei allem  Geld.

Pavlov war Boxer, erfolgreicher Boxer in Serbien. Er, ein vielbegehrter Mann, heiratete Nada, eine zarte Frau, die es nicht ertrug, zu beobachten, wie er Schläge einstecken musste. Nach dem Ende seiner Karriere arbeitete Pavlov als Maurer, baute viele Häuser in seinem Heimatort. Dann hatte er, wie viele in den sechziger und siebziger Jahren, die Idee nach Deutschland zu gehen. Geld beschaffen. Seine Frau widersetzte sich, da fast alle ihre Familienmitglieder von den Deutschen im Zweiten Weltkrieg getötet worden waren. Pavlov blieb aus Liebe zu ihr zu Hause, verweigerte aber trotzig die Arbeit und beschäftigte sich fortan nur noch mit seinen Tauben. „Friedenstauben.“ Der Tod sprach das Wort aus. Der Friede jenseits des Lebens.
„Pavlov spricht nach innen.“ Ein Tierkäfig hielt die Darsteller am Boden gefangen. An der Wand liefen vier Fernsehgeräte, lautstark tönte Werbung in serbischer Sprache. Am Rand stand Pavlov; er trug ein Pyjama, streute Futter. Teilnahmslos ertrug Oskar Lindenbrecht das Theater der Familie. Edina und Goran, der Neffe der verstorbenen Nada, waren gekommen um das Begräbnis zu bewerkstelligen. Sie leben in Deutschland; ihr Bezug zur Heimat der Eltern ist begrenzt. Bernadette Wildegger und Christian Streit gaben  das junge Paar. „Wo bist du Goran?“ „Keine Ahnung ... irgendwo.“  War Edina schon weit deutlicher Deutsch angepasst, so überzeugte Christian Streit als Serbe Goran in Haltung und Gestik. Marten Krebs gestaltete machohaft Ace. Er hatte als Geldmakler in London die Ersparnisse der Familie verzockt, spuckte Blut. Seine Freundin, das neuzeitliche deutsche Fräuleinwunder, typischtypisch gespielt von Anna-Maria Wasserberg, glänzte durch subtile und offensichtliche Gewalttätigkeit, deklamierte Systemtheorien über die Modernen Zeiten. „Alles Sein will Wort werden“, stellte der Künstler Jonas fest. Er, ein Dichter und Komponist, hat erst seitdem er in englischer Sprache singt Erfolg, wird wahrgenommen. Kevin Steiniger, im schwarzen Gehrock, das Haar gegelt, in Denkerhaltung oder am Cello,  verkörperte diesen Kunstschaffenden auf der Bühne. Frank Campoi personifizierte auch die Liebe und den Tod. Sie bewegten sich verbindend zwischen den Figuren. Natascha Jugl, sexy und leicht lasziv, in schwarze Spitze gekleidet, gab die Liebe. Die ewig Suchende, Verliebende. Markus Hill, erhaben gurumäßig, in weiß gekleidet mit weißem Gesicht, verkörperte ausgleichend den modernen Tod. Der Selbstzufriedene, Abgeklärte. Das Ritual des Totenmahls für Nada verband die Lebenden. Liebe und Tod. Verbindend wirkten die gelebten Rituale. Bereichernd.

 
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Marten Krebs, Anna-Maria Wasserberg, Kevin Steininger, Christian Streit, Natascha Jugl, Bernadette Wildegger, Oscar Lindenbrecht, Markus Hill

© Hilda Lobinger

 

Das Werk begann und endete mit dem gleichen alltäglichen Ritual. „.Bringst du nach dem Essen bitte den Müll raus ...“ Aus dem Leben der Jungen, wie im Leben der Alten tönte es gleich. Unabhängig von aller Örtlichkeit. Der Alltag wird durch Rituale der Notwendigkeit bestimmt. Das ist das Gefängnis, der Käfig der eint und gefangen hält. Im Stück hatte der Alltag Dialogform, während die Geschichten und Weisheiten an das Publikum deklamiert wurden. Von Gesicht zu Gesicht. Wissen übertragen. Doch was nützte es, wenn die das Wort nicht hören, es von Geräuschen übertönt war. Leistungsgesellschaft. Gemessen wird an Maschinenleistung. Der Mensch wird sich selbst entfremdet. Bestenfalls hat er „... die Heimat in sich ...“, wie Jonas es artikulierte. Einzelwesen. Doch Heimat, das sind auch die anderen, jene mit denen man Gene, Lebensart und Kultur teilt. Wer nicht mehr teilt, ist heimatlos. Von da ist es ein kleiner Schritt zum programmgesteuerten Androiden in einem System. Dies ist ein Vorgang, der vergleichbar ist mit dem Prozess der aus volkseigener Musik, dem Lebensgefühl einer Gemeinschaft, weltweit verkaufbaren Sound machte.

Die Musik und die Geräusche der Technik konkurrierten mit dem gesprochenen Text und es forderte die uneingeschränkte Konzentration des Zuschauers, dem Inhalt zu folgen. Ganz wie im richtigen Leben. Auto, Werbung, Maschinenlärm und Vordergrundmusik. Eine Szenerie wie sie die südosteuropäischen Nachbarn bevorzugen und die doch mittlerweile allgegenwärtig zu werden scheint. Die gehaltvolle stimmige Inszenierung und das Stück, in dem jede Figur ihre eigene Sprache hatte, eigene Intentionen vorstellte, bildeten eine Erfahrung, die den Zuschauer viele verschiedene Fäden aufnehmen, verfolgen ließ. Ein umfassender dichter gelungener Kunstplot.

 
C.M.Meier

 

 

 


Die letze Runde

von Frank Campoi

Markus Hill, Natascha Jugl, Marten Krebs, Oscar Lindenbrecht, Claudia Sauermann, Kevin Steininger, Christian Streit, Anna-Maria Wasserberg, Bernadette Wildegger

Regie: Frank Campoi

Halle 7 Protection von Anja Hilling


 

 
Zwischentöne

Die Musik ist es, die die Gefühle der Menschen wiedergibt und die Finger von Hadi Alizadeh  machten diese hörbar. Sein virtuoses Spiel an der persischen Trommel Tonbak und der Rahmentrommel Daf erfüllte die Dark Box. Kräftig oder zärtlich, schnell oder verhalten entlockte der grandiose Musiker den gespannten Häuten die Töne. Die Klänge bewegten sich durch den Raum, wie sich die Gefühle unter der Haut des Menschen bewegen, wie die Schauspieler sich zur Musik bewegten und durch ihre Mimik, ihre Haltungen die Gefühle der Zuschauer bewegten. Die Musik ist es, die ohne Worte verbindet und Stimmung wiedergibt. Mit seinen Interpretationen vervollständigte Hadi Alizadeh das Werk von Anja Hilling.

Ebenfalls in der Luft wie unter der Haut liegen die Verbindungen. Die Suche und Sehnsucht nach Begegnung  und deren Scheitern, deren Unmöglichkeit des Bestandes über den ersten Augenblick hinaus, fasste die Autorin in das dreiteilige, 2005 entstandene Werk Protection. Alle Zusammentreffen beschwören den Schmerz herauf - Krankheit, Unfall, Trauma – der Schmerz zieht an und steht doch der Verbindung entgegen. Es sind Menschen der Großstadt, des Heute, sie monologisieren, erzählen episch von ihren Wegen, von ihren Wünschen und von den Wahrnehmungen. Ihnen gibt Anja Hilling das Wort. Ihre Sprache ist direkt bis fäkal und doch wiederum auch voller poetischer Bilder. Regisseur Claus Peter Seifert  verflocht die drei Geschichten zu  einem stimmigen Handlungsstrang und parallel laufenden Szenen. Cäcilia Müller und Claudia Radowski zeichneten für die karge, doch ausgewogen gestaltete Bühne und die Ausstattung verantwortlich. Ein Band zog sich durch den Raum, es war Straße, Disco und Hinterhof. Dahinter die Bilder der Stadt: Straßenzüge, oder der Lauf der Isar wurden an die Wand projiziert. Rauch zog aus Schornsteinen, von Lagerfeuern, verband sich mit den Klängen des Raumes, spiegelte die Träume der Protagonisten. „Am Anfang war die Sache mit der Haut.“

 
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Anna Veit, Petra-Lina Schulze, Nina Ahlers, Jutta Masurath, Marc Hinkel

© Hilda Lobinger

 

 

In Protection beobachtet Ross Lucy, die mit ihrem Kontrabass zwischen zwei U-Bahnstationen die Tage verbringt. Über ein Jahr lang folgt sie ihr auf allen Wegen, „hat ein Auge auf sie“, so erzählen sie, bis Lucy krank wird und Ross sich vorsichtig nähert. Jutta Masurath spielte die Lucy, eine herbe Unberührbare, die ihre Verletzlichkeit in eine Tasse spukt, um sie Ross zu zeigen. Bis zum Ende, dem Ende im schwarzen mit blauem Samt ausgeschlagenen Kasten des Kontrabasses, gelang ihr die Gratwanderung in der Darstellung von Freude, Sehnsucht und Abweisung. Ross, eine Trinkerin, sucht die Aufmerksamkeit von Lucy zu gewinnen, streicht um sie herum, beschützt sie mit den Augen. Anna Veit gab die Streunerin Roswitha mit einer Mischung aus Aufmerksamkeit und stummer Hilfsbereitschaft. „Ich bin Ross“, lauteten die einzigen Worte die sie an Lucy richtete. Die Träne über den Verlust zeichnete eine schwarze Spur auf ihr Gesicht.

In Phantome treffen Anna-Maria und Ann-Marie in einer Disco aufeinander. Anna-Maria erkennt die andere sofort wieder, doch Ann-Marie verweigert das Erkennen. Der Schmerz ist zu fest im Fleisch verankert und ihre weiße Leinenhose über der Prothese bezeugt einen Unfall. Anna-Maria, Nina Ahlers spricht Ann-Marie, Petra-Lina Schulze, an. Sie sind einander Spiegel und Erinnerung, Sehnsucht und Verzweiflung. Das Unabänderliche steht zwischen ihnen. Petra-Lina Schulze überzeugte mit ihren Tänzen und dem Schwanken zwischen Gefühlsausbrüchen und Zurückgezogenheit. Nina Ahlers verfolgte erst verständnislos und dann neugierig Ann-Marie. Erst als diese die neun Meter bis zur Türe humpelte, stand Begreifen in ihrem Gesicht.

Nazifes Augen erfassen Leon durch den Türspion. Der Mann, er trägt einen Rock und eine Tulpe in der Hand, ist auf dem Weg zu einer Party. Er hat sich im Hausflur geirrt und Nazifes Augen ziehen ihn an. Am nächsten Morgen, nach dem Fest begegnen sie einander wieder im Hof und es kommt zu einer raschen Annäherung, die einen Alptraum auferstehen lässt, welcher aus Nazife hervorquillt. Annika Reinicke stellte die junge Frau dar, auf der Suche nach Begegnung. Sehnsüchtig und munter, einladend und krass waren das Spiel ihres Körpers und des Gesichts. Leon, sensibel der Anziehung von Nazifes Augen folgend, unsicher und sich doch der Unausweichlichkeit bewusst, wurde nuanciert von Mark Hinkel gespielt. Seine Haltung spiegelte in jeder Phase die vieler junger Männer im Heute, denen die Angst vor dem Scheitern im Moment der Begegnung bewusst ist, und die dennoch auch Auslöser sind.

Es war eine gelungene, vielschichtig ansprechende Inszenierung, die den Weg auf die Bühne der Black Box fand. Das variantenreiche Spiel der Darsteller, die virtuose musikalische Betonung und eine feinsinnige Regie, welche die inneren Vorgänge der Zerstörung an einem Strauß Tulpen verdeutlichte, machten den Abend zu einem umfassenden Theatererlebnis.
 
 
 
C.M.Meier

 

 


Protection

von Anja Hilling

Nina Ahlers, Mark Hinkel, Jutta Masurath, Annika Reinicke, Petra-Lina Schulze, Anna Veit
LIve-Percussion: Hadi Alizadeh


Regie: Claus Peter Seifert

Halle 7 Aufzeichnugen aus einer Doppelhaushälfte von Anna Behringer


 

 
Endl i c h

Örtl i c h: Eine Doppelhaushälfte nahm die Bühne ein. Küche, Schlafzimmer, Bad, Wohnzimmer und Ankleideraum konnte der, vor den Wänden sitzende Zuschauer durch die Fenster ausmachen. Es wurde Einblick geboten in die „gute deutsche Stube“ des Bürgerlichen, in der längst das Divergente, wie die Ankündigung es benennt, den Raum einnimmt. Kathrin Erhardt schuf ein Bühnenbild, welches auf hervorragendste Weise Stück und Inszenierung unterstützte.

Gedankl i c h: In kurzen, doch äußerst prägnanten und treffenden Szenen und Kurzdialogen griff die Autorin das auseinander Strebende auf. Stets stand ein lautes ICH gegen ein stilles ich. Es erstanden viele Bilder aus dem Alltag vor den Augen des Publikums. Bekannt, allzu bekannt und doch in einer Weise künstlerisch gebrochen, dass aus der täglichen Horrorshow ansatzweise Comedy wurde. Der Zerfall des gesellschaftlichen Zusammenhalts, welcher nur noch von den Mauern aufgehalten wird und den viele als Freiraum für die so genannte Individualität oder exakter den Eigensinn benutzen, frisst überdeutlich Löcher in die Gemeinschaft. Denn: Keine menschliche Gemeinschaft ohne Integration, keine Verbindungen ohne Vereinigung im Sinne kultivierter gelebter Regeln. Naturgegebenes Verhalten formt ein Rudel, keine Gesellschaft. „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei.“, so die Bibel.

Anfängl i c h: Eine Mutter fährt mit ihrem Kind nach Hause. Sie wird aufgehalten und ... Nicole Wagner zeichnete im Wechsel den Dialog zwischen Mutter und Kind, differenzierte sprachlich und mimisch die Figuren. Nachbar gegen Nachbarin im Rechtsraum des Nachbarschaftsgesetzes - Marten Krebs erklärte voller berechtigter Rechthaberei der Nachbarin Birga Ipsen, welcher nur die Körpersprache und das Zurückweichen blieb, nicht nur die Pflanzregeln, sondern auch dass Sonne und Mond islamische Symbole seien. Die Jugendliche, Natascha Jugl, begehrte trotzig gegen die Mutter auf, wand sich zwischen waschen, schlafen und rauchen und gedachte Frau Merkel einen Brief zu schreiben – von Frau zu Frau, das müsse doch Sinn machen. Andrea Irlbeck suchte angepasst vorsichtig die Aufgaben des Betriebsrates zu ergründen, seine Abschaffung zu akzeptieren, und ob denn Besitz von Meinung mögl i c h  wäre. Die Mutter, Maike Specht, ging mit sorgenvoll hängenden Schultern vor dem Büro der Sozialarbeiterin auf und ab, harrte des Bescheides. Ihr Kind (erschreckend realistisch Natascha Jugl) war auffäll i c h, und lag während des Gespräches lieber unter dem Stuhl anstatt auf diesem zu sitzen.
Höchstl i c h:  Maik Möller, als bescheidwissender Psychologe mit eigenen häuslich familiären Problemen, erklärte der Mutter über eine Kinderzeichnung die Welt. Ungeniert bastelte er aus einer Ausflugserinnerung des Kindes, mit wissenschaftlicher Miene, einen Befund zur Familiensituation. Im Folgenden griffen die Szenen immer enger ineinander und eskalierten in Absurdität.

 
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Maik Möller, Maike Specht, Natascha Jugl, Marten Krebs, Birga Ipsen

© Hilda Lobinger

 

Vorgabl i c h: Regisseur Torsten Bischof baute auf körperlichen Einsatz und präzise ausgearbeitete Figuren. Dies machte sich sowohl in sprachlicher als auch in der darstellenden Gestaltung bemerkbar und die DarsellerInnen liefen zu Hochform auf. Auch meisterten sie Doppelbesetzungen mit Bravour und deutlichen Nuancen. Ein wenig mehr Leichtigkeit hätte aus der Inszenierung eine gute Comedy gemacht. Doch vielleicht spielt sich das noch ein.

Schließl i c h: Die kurzweilige Aufführung zeichnete sich durch Lebendigkeit und abwechslungsreiche Bilder aus. Die SchauspielerInnen, jeder auf seine ganz besondere Weise,  brillierten mit Präsenz und differenziertem Spiel. Ein empfehlenswertes Stück Theater.


C.M.Meier

 

 


Aufzeichnungen aus einer Doppelhaushälfte

von Anna Behringer

Birga Ipsen, Andrea Irlbeck, Natascha Jugl, Marten Krebs, Maik Möller, Maike Specht, Nicole Wagner

Regie: Torsten Bischof

Halle 7 Die Geschichte von St. Magda von Johanna Kaptein


 

 

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Die Benutzung des Heiligen oder Jeder ist Magda

Wie wird man zur Heiligen? Nun im Sinne der Kirchen und bigotten Gläubigen, indem man die „Leiden“ der Welt auf sich nimmt und still erduldet. Tut man dies auffällig genug, so wird man mit einer glorifizierenden Zeremonie in den Stand der Heiligkeit gesprochen. Selbstverständlich erst nach dem Tode, lange danach, wenn alle Widersprüchlichkeiten längst vergessen sind und die propagierte Geschichte trägt. Diese Vorbilder dienen dann dazu, oder vielmehr werden dazu benutzt, die Lehren der Gemeinschaften durch die Zeiten zu tragen. Die Bibel, eine religiöse „Akten“-Sammlung ist Fundgrube und auch die Geschichte von Magdalena findet sich ... natürlich nach einer Zensur.

Ein Ort mit der Bezeichnung „Sankt“ vor dem Namen ist es, in dem Magda zuletzt in einem Cafe von anderen gesehen und gesprochen worden war. Alle Darsteller waren, während sie die Geschichte von Magda zusammen- und vortrugen, an diesem Ort anwesend. Jede, jeder war Magda und jede, jeder verging sich auch an ihr – verbal oder körperlich und sei es durch Fotografien, welche als Beweise an die Wand projiziert wurden. In Weiß gekleidet, die Farbe der Unschuld oder des Nichts, bewegten sie sich über die mit beschriebenen Blättern übersäte Bühne, raschelten mit den Akten, griffen sie auf, falteten Servietten zur Dekoration und Kleidungstücke, lasen davon die Geschichte. Szene für Szene gewann die Geschichte von Magda an Gestalt. Die Schauspieler zeichneten sich alle durch starke Präsenz im Spiel und vielfältigste Mimik und Gestik aus. Als ausgewogene Gruppe beherrschten sie die Bühne, in der jeder auf seine Art die Stärken und Schwächen hervor kehrte.

 
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Birga Ipsen, Natascha Jugl, Judith von Radetzky, Andrea Irlbeck, Maike Specht

© Hilda Lobinger

 

Das Konzept der Regie setzte den Schwerpunkt. An der Grenze des Erträglichen war die Übergewichtung des Emotionalen, des Befindlichkeitsgehabes der Schauspieler in der Inszenierung. Die körperliche Aktion war in manchen Szenen stark heraus gearbeitet und beherrschte weit mehr als der fragmentarisch gestaltete Text das Geschehen. Wenn der Regisseur Dieter Nelle damit das, in der Ankündigung angesprochene „Geheimnis“  des Menschen Magda erfahrbar machen wollte, so wurde dies vor allem durch die Längen dieser Szenen fühlbar. Die Beweggründe des Menschen liegen in der Natur, und die reduziert sich dann auf den Akt der Arterhaltung, unter welchen Umständen auch immer.

Die so genannten Starken im Rudel nehmen sich das Recht, zu bespringen was ihnen in dem Moment der Aggression ins Auge fällt. Die Übergriffe auf den anderen, den Schwächeren haben ihren Ursprung also in der Natur. Der Mensch ist Teil dieser Natur, entstammt ihr und wollte doch zu gerne ihr Beherrscher sein. Dabei ist er nicht einmal in der Lage, sich selbst zu beherrschen, um zu einer Gemeinschaft im humanistischen Sinn zu kommen. Stärke, Kraft kann in der Gesellschaft auf verschiedene Bereiche übertragen werden – auf körperliche Kraft, auf Geld, auf Machtposition, auf ... Wir erleben täglich in allen Bereichen diese Übergriffe und halten dennoch still. Was wäre die „Heilige“ jenseits der Kirchen? Den äußeren und den inneren, den persönlichen Raum des anderen als „heilig“ zu achten, wäre ein Anfang auf dem Weg zum Menschen. Dennoch gibt es keine Alternative, denn Margarete Mitscherlich schrieb: „Der weibliche Akt ist ein Akt des Masochismus.“ (… und also des Leidens). An diesem Punkt steht die Menschheit in den heutigen Tagen, in denen ihr die Natur ihren Platz zu weisen scheint. Integration ... in die Natur oder eine Gesellschaft jenseits der Natur?

Die Antwort liegt im Tod, so die Botschaft des Stückes, denn nur darin ist der Ausgleich zwischen den unvereinbaren Gegensätzen möglich. Das Leben folgt seinen Regeln und diese veranschaulichte die Aufführung in unübersehbarer Weise. Wer gerne in Gefühlen und Befindlichkeiten wühlt, dem wird die stimmige Inszenierung entgegenkommen.

 
C.M.Meier

 

 

 


Die Geschichte von St. Magda

von Johanna Kaptein

Birga Ipsen, Andrea Irlbeck, Natascha Jugl, Maik Möller, Judith von Radetzky, Maike Specht, Nicole Wagner

Regie: Dieter Nelle

Halle 7 Revolver-Traum / Striptease / Die Liebe ist ein Heckenschütze von Lola Arias


 

 

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Gitarrenklänge. Immer wieder die selben wenigen Akkorde spielte der Gitarrist. Buenos Aires bei Nacht, Stromausfall in einem Stadtteil, in der ganzen Stadt. Hier hat jeder eine Waffe. Zukunftsszenario oder bereits Gegenwart? In Revolver-Traum, dem ersten Teil der Trilogie, begegnen ein Schauspieler (vielseitig Bernd Berleb) und eine 16-jährige (frühreif verloren Sara Sukarie) einander zu einem flüchtigen sexuellen Austausch, entdecken Gefühle. Striptease, der zweite Teil besteht aus dem Telefonat des Schauspielers mit seiner letzten Frau (weitgehend emotionslos Jessica Tietsche) und deren gemeinsamem Baby, in dem Vergänglichkeit und Angst beschworen werden und an dessen Ende steht: „Dieses Gespräch hat keinen Sinn.“ Die Liebe ist ein Heckenschütze, Teil drei, handelt von dem Schauspieler, der sich zu einer Runde Russisch Roulette Spielenden gesellt. Alle sind gezeichnet, sehnen sich nach der Erlösung durch die Kugel und werden von einer 11-jährigen angeleitet. Die Striptease-Tänzerin (Elisabeth Pless) entledigte sich temperamentvoll ihres Schals, wechselte gekonnt zwischen den Sprachen. Der Tätowierte (Dieter Fernengel) stolperte von Missverständnis zu Missverständnis. Der Gitarrist (Gianni von Weitershausen) steigerte sein Repertoire und die Intensität des Spiels. Am Ende tanzen die Figuren enthemmt in einen wilden Taumel. Eskalation.

Die Inszenierung von Alex Novak traf die Stimmung des Textes, der Menschen, der Stadt. Das Bühnenbild von Nora Brügel verstärkte den Eindruck ebenso wie die Gitarrenklänge - vor einer leeren Plakatwand standen zwei Bänke, ein dickes Seil lag auf dem Boden, gedämpfte Beleuchtung ließ die Atmosphäre einer Bar aufkommen. Sechs Figuren geben ihr Inneres preis; heraus kommt eine Ansammlung von Begebenheiten, Vorstellungen, Träumen und Gefühlen.
 
  revolvertraum  
 

Jessica Tietsche,Dieter Fernengel,Gianni von Weitershausen, Sara Sukarie, Elisabeth Pless, Bernd Berleb

© Hilda Lobinger

 

Ein Hase wird regelmäßig in der Waschmaschine gewaschen, begeht Selbstmord in dem er vom Balkon springt. Ein Baby träumt von Gott und hat Angst vor dem Atomkrieg. Ein junger Mann sammelt Tattoos, setzt sein Studiengeld dafür ein, und ein Schauspieler spielt vorzugsweise den Don Juan und tut dies in den verschiedenen Lebensjahren. Eine 11-jährige moderiert eine Gameshow, in der Liebesmüde ihre Enttäuschungen ausbreiten, bevor diese beim Russisch Roulette um den ersehnten Tod mitspielen dürfen. Eine Striptease-Tänzerin spricht nur noch Englisch um die gemeinsame Sprache mit ihrem letzten Geliebten und damit ihn zu vergessen. Liebe wird in dem Stück vieles genannt, nur nicht das, was sie tatsächlich ist. „Die Liebe ist ein Boxkampf, die Liebe ist Schauspielerei, die Liebe ist ein Krieg, die Liebe ist ein Heckenschütze, die Liebe ist mein Name, die Liebe ist ein tödlicher Unfall", heißt es da. Dann folgt eine Aufzählung, eine lange Reihe von Worten, die für Liebe stehen sollen, bzw. deren Auswirkungen. Unscharf wurden Worte nach Vorstellungen und weniger nach deren Bedeutung gesetzt, so vermittelt der Text das Gefühl von, wohl durch Radioaktivität ausgelösten Fieberträumen, in denen Sprache, Vorstellungen und Bilder mutierten. Ansatzweise poetische Sprachbilder kippen in verstörte Gefühlsäußerungen und surreale Träume durchbrechen Alltägliches ebenso wie Gewalt. Der Text vollzieht sich in einer konstruktiven Dichte, die ihre eigene Dynamik entwickelt und zweifelsohne Spannung erzeugt. Lola Arias, argentinische Autorin, Schauspielerin und Regisseurin wird als aufsteigender Stern am Theaterhimmel gehandelt. Ihre Stücke untersuchen die Grenzen zwischen Realität und Fiktion, so heißt es.

„Man muss sich nur vorstellen, dass man schon tot ist. …. weil man dann vor allem sicher ist.“, erklärt die 16-jährige dem Schauspieler. Und später: „Ich habe eine Idee: ich werde auf dich schießen. Wenn es ein Traum ist, wache ich auf; ich werde dir den Traum erzählen und wir werden darüber lachen. Wenn ich nicht aufwache, werde ich mir den Revolver in den Mund stecken und noch einmal abdrücken."

Wer einen Kick in dieser Weise sucht, wird ihn in der Inszenierung finden.

C.M.Meier

 

 

 


Revolver-Traum / Striptease / Die Liebe ist ein Heckenschütze

von Lola Arias

Bernd Berleb, Dieter Fernengel, Elisabeth Pless, Sara Sukarie, Jessica Tietsche, Gianni von Weitershausen, Medine Temiz

Regie: Alex Novak