Halle 7 Installation Liebe von Claus Peter Seifert / Frank Campoi


 

 

Liebe r nicht

Zu allen Zeiten vermochte nichts den Menschen so sehr zu bewegen wie die Liebe. Tausende Dramen sind um sie entstanden und unzählbar viele unglücklich Liebende gingen in den Tod ob dieser „Himmelsmacht“. Doch was ist Liebe in „Zeiten von produktiven Erwartungen, sozialen Reduktionen und dieser ungeheuren Benutzbarkeit des Menschen“ (so das Programmheft)? Naturgemäß ist sie nach wie vor Thema, und die experimentelle Gruppenarbeit „Installation Liebe“ ging den aktuellen Erscheinungsformen nach. Sie deckte diese ebenso auf, wie die unveränderte Sehnsucht der Menschen nach ihr und das zunehmende Unvermögen dazu.

Frank Campoi gestaltete den Raum mit einer großen weißen Fläche, die Wand entlang als Laufsteg und davor ein weiches Stofffeld. Das unbeschriebene Blatt. Dann leuchteten an die Wand projiziert die Porträts der fünf Akteurinnen und der zwei Akteure auf. Mitreißende wie leichte Gitarrenklänge erfüllten den Raum, live. Die Schauspieler betraten die Bühne und nahmen vor ihren Bildern Aufstellung. „Ich bin der Mittelpunkt“, begann es. Die Darsteller, deren Kostüme mit durchweg mit kindlichen Symbolen bestickt waren, deklamierten poetische Verse und erarbeiteten kleine Szenen um das Verständnis und Missverständnis von Liebe. Von der Suche nach Liebe war die Rede, davon, was es sein könnte, bis zur Feststellung, dass „Ich liebe dich“ in der Wiederholung zur leeren Phrase wird. Andere Aufnahmen der Akteure erschienen an der Wand: „Der nackte Mensch ist kaum interessant“, doch das tut den Versuchen keinen Abbruch. Man sammelte sich auf- und nebeneinander, versuchte sich in neuen Stellungen und letztlich ließ der Regisseur die Akteure unter das weiße Stofffeld kriechen, sich aufrichten. Einzelne weiße Köpfe und Andeutungen von Körpern waren erkennbar, den Mund geöffnet. Wie „Der Schrei“ von E. Munch entstanden die Bilder der reglosen verlorenen Figuren vor den Zuschauern. Die Inszenierung wirkte, nicht zuletzt durch die aktive Zusammenarbeit aller Mitwirkenden, sehr wirklichkeitsnah und erfasste viele Situationen aus dem so genannten Liebesleben moderner Individuen. Die Präsentation war zeitgemäß und ausgewogen, die Schauspieler lebendig und ausdruckstark. Eine in sich geschlossene und maßvolle Aktion fand auf der Bühne statt.

 
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Lucie Lechner, Micky La Rosée, Alexander Voigt, Annika Weber, Zana Tonkovic

© Hilda Lobinger

 

 

„Installation Liebe oder die Unvereinbarkeit von Technik und Gefühl“ hätte der Titel der Aktion lauten können. Denn menschliche Gefühlshaltung zu funktionalisieren, berechenbar zu machen und Gefühl per se, schließen einander ebenso aus, wie die Erfüllung von psychologischen Leitsätzen und die Erfahrung von Lebendigkeit. Der Angst vor Schmerz, der ein Teil des Lebendigen ist, wird vorgebeugt durch Handeln in Klischees – sicher ist sicher. Tatsächlich, oder ist nicht Verunsicherung ein Motto von Manipulanten? Denn, dann wird Hilfe suchend um sich gegriffen und: Es rauscht ganz gewaltig im Blätterwald und die Artikel und Rat gebenden Bücher sind voll der „Weisheiten“ die zu völliger Verwirrung beitragen.

Die Auseinandersetzung bot für alle Menschen, die der modernen Liebesunfähigkeit begegnen wollen, eine umfassende Zusammenstellung, einen interessanten Abend.

 
C.M.Meier

 

 


Installation Liebe

von Claus Peter Seifert / Frank Campoi

Lucie Lechner, Stefanje Meyer, Micky La Rosée, Zana Tonkovic, Christoph Vogl, Alexander Voigt, Annika Weber
Musik: Zoran Krga, Hadi Alizadeh

Regie: Claus Peter Seifert
Raum, Kostüm, Videoinstallation, Musik: Frank Campoi

Halle 7 Bandscheibenvorfall von Ingrid Lausund


 

 

Den Nerv getroffen

Die Bandscheiben, Puffer zwischen den harten Knochen des Rückgrats der Wirbeltiere, können bei Fehlhaltung ganz leicht verrutschen und dann, dann drücken sie auf die Nerven. Das Tier heult auf, beißt wild um sich,  leidet, randaliert und verkriecht sich letztlich um zu verenden. Beim Menschen, der eingespannt ist in das Räderwerk eines Systems, kommt es zu Fehlhaltung; Überlastung und Schmerzen sind die Folge, für die die Industrie ihren gepeinigten Sklaven Medikamente verkauft, um diese zu stillen. Stillzulegen im Schmerz, gefangen zu halten in der Fehlhaltung und über die Mittel Profit zu machen, so lautet die Maxime. So simpel das Spielchen ist, so effektiv ist es, denn der Leidende ist der beste Angestellte, der beste Untertan, der beste Kunde.

Ein Psychogramm der Gepeinigten, so könnte der Untertitel des Stückes von Ingrid Lausund lauten. Die Autorin erfasste den Zeitgeist und komprimierte die moderne Sprache der  sogenannten wissenschaftlich fundierten Verhaltenstherapie in ein dichtes anschauliches Werk.  Die Angst, unsichtbar und doch heute allgegenwärtig, wirkt nur indirekt auf den Körper und so gehen sie scheinbar noch alle aufrecht. Alle, die unter Haltungsmangel leiden und sich an ihren Arbeitsplätzen krümmen und winden, sich optimieren lassen in Verhaltenskursen, und sich gegenseitig das Leben zur Hölle machen, werden präsent.

 
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Viviane Suchomel, Daniela Wolf, Daniela Klaßen, Mila Kostadinovic

© Irene Huber

 

 

Gegenstand ist der Alltag von fünf Angestellten, die in einem Vorzimmer der Wirtschaftsmacht die Hackordnung praktizierten. „Morgen“, „Morgen“, „Morgen“ begann es, bevor der Tag mit weiteren Floskeln von „...das darf man alles nicht so ernst nehmen ...“ bis „Es ist alles gut“ weiterging. Daniela Wolf gab Kristensen, eine hübsche junge Frau, die als erste das Chefzimmer betreten durfte. Sichtlich aufgeregt zupfte sie den Rock zurecht, ehe sie nach der Türklinke griff. Der Aufenthalt im Chefzimmer war kurz, doch ihr Gesicht strahlte, als sie wieder herauskam. „Es ist alles gut“, doch ... (und das sei hier nicht verraten). „Darauf trinken wir heute einen Sekt“, war man sich einig. Die Figur Kristensen  gestaltete sie vermittelnd, nach Lösung und Austausch suchend, doch wenig durchsetzungsfähig. Anders Elisabeth Pless, die den Auftritt beim Chef durchchoreografierte und wieder und wieder probte, der Engel erschienen in der Sitzung, die selbstbewusst und exakt kalkulierte als Hufschmidt. Auch männlich dominant bestimmte sie die Runde, teilte Lob aus und Ohrfeigen, eignete sich ein fremdes Konzept an und erlitt einen Herzinfarkt. Eine weiblich kalkulierende Frau namens Schmitt stellte Viviane Suchomel vor. „Blickkontakt halten ... nicht flirten ...“, programmierte sie sich vor ihrem Auftritt im Machtzentrum, angepasst machte ihre Figur mit und stellte nichts in Frage. Die Schwächen der anderen, die hatten es ihr angetan und forderten ihre Aufmerksamkeit, bis sie sich aufgelöst als Scherbenhaufen bezeichnete und als solcher enden wollte, keinesfalls wieder zusammengeklebt. Das Zentrum der Macht war hinter einer Türe verborgen, über der ein rotes Licht angebracht war. Leuchtete dieses, so ertönte ein Signal und die Hühner des Vorraumes wirbelten über die Fläche, scharten sich gespannt davor (Bühne/Kostüme Nora Brügel). Musik und Lichteffekte taten ein übriges, der Situation „Gefahr“ zu bestätigen und schufen dadurch schlüssig Momente (Manfred Schmid/Michael Wüst/Hans Barth). Die undankbare Rolle der schwachen Außenseiterin, die verlacht, geschlagen und bestohlen wurde, übernahm Daniela Klaßen. In jeder Situation war sie verständnisvoll, stets fand sie eine Erklärung, stets gab sie nach und war das Opfer. Teils linkisch ungeschickt und teils unbeholfen agierte sie, dennoch verlor sie nie den Mut. Mila Kostadinovic, der dynamisch Pfiffigen kam das Schlussplädoyer zu. Konsequent lebendig erklärte und betrat sie den Weg aus dem Dilemma, den die Autorin aufzeigt.

Die Inszenierung von Markus Schlappig bediente das gesamte Gefühlssprektrum des Menschen und reichte von leicht erheiternd bis komisch und nicht selten tragisch anrührend. Der Regisseur führte die Darstellerinnen geschickt und entlockte ihnen in Gestik, Mimik und Körpersprache ein Optimum (lt. Wirtschaftssprache). Schmunzeln, Lachen, Nachdenklichkeit und irritierte Ablehnung spiegelte sich in den Gesichtern des Publikums.

„Im Zweifelsfall lachen“, so Ingrid Lausund, die den Psychotherapeuten sehr genau zugehört hat. Doch, dass es längst nicht mehr zum Lachen ist, das wissen wohl die meisten Mitglieder der Gesellschaft. Dennoch, die Fehlhaltungen geballt vor Augen geführt zu bekommen, hatte ergreifenden und berührenden Unterhaltungswert. Der Höhepunkt: Das Lächeln von Mila Kostadinovic, welches den Schlusspunkt bildete. Es hinterließ einen Hoffnungsschimmer.

 
 
C.M.Meier

 


Bandscheibenvorfall

von Ingrid Lausund

Daniela Klaßen, Mila Kostadinovic, Elisabeth Pleß, Daniela Wolf, Viviane Suchomel

Regie: Markus Schlappig

Halle 7 Wildnis und Casinos von Robert Woelfl


 

 

Rien ne va plus

Grau. Grau war die Wildnis in Claus Peter Seiferts Inszenierung von Robert Woelfls Stück, welches 2006 uraufgeführt worden war und bis heute nichts von seiner Aktualität einbüßte. Nach wie vor beherrschen die Meldungen über den Casino-Kapitalismus die Medien und beachtliche Teile der Bevölkerung zittern täglich mit. Die natürliche Wildnis wandelte sich im Laufe der letzten Jahrhunderte vom Grün oder Sandgelb und der darin lebenden gefährlichen Tierwelt in einen behüteten Bereich, während sich eine unüberschaubare Wildnis in der industriellen Zivilisation breitmacht. Betongrau, Maschinengrau, Bürokratengrau, Bankengrau und dieses vehement um sich greifende Grau lässt auch die Lebendigkeit ergrauen. Dies ist der Raum in dem sich die Figuren aufhalten, sich befinden „in Situationen … nicht in meinem Leben“, wie Woelfl Rita feststellen lässt. Auch wenn der graue Filz, der die Bühne bestimmte (Frank Campoi, Elena Thodria) weich ist und die darunter gelegten Matten den Schritt oder die Körper auffingen, Sicherheit suggerierten, so blieb doch das Grau dominierend.
 
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Elisa Ottersberg, Andreas Mayer, Natascha Heimes

© Hilda Lobinger

 

 

Die gleich Halbwilden ausstaffierten Darsteller agierten in der mit Steinen und einer Pipeline gestalteten Bühnenlandschaft, bekleidet mit Fellresten und Filz über roten Dessous und lila Satinsporthosen. Carlos wartete ungeduldig auf seine Stunde, klopfte sich an die Brust, auf die Schenkel, richtete sich mächtig auf. Lucy, 24zigjährige Praktikantin, hatte längst reagiert auf ihn, der eine Etage aufgestiegen war in der Firma und das vorgelegte Tempo halten musste. Mit Tee steigerte er seine Kreativität, „bis zur Gelegenheitskriminalität“, wie Rita es nannte. Rita, die versuchte ihr Leben in einen Lebenslauf zu bringen und auf Nick ansprang. In deren Mittelpunkt stand der Vertrag, den sie bedienten mit ihrer Beziehung, ein Vertrag zur Vermögensbildung, der sie einander verband. Dagegen war Jana ihrem Konto verbunden und dem Abbau von Rohstoffen vermittels einer lila Kreditkarte beschäftigt, die die Beraterin an der Bank für sie extra kreierte. „Kaufen sie … kaufen sie sich eine Uhr … eine teure Uhr“, empfahl diese. „Benutzen sie die Karte sooft wie möglich …“  Nick hatte eine Schatzkarte erstanden, ein Gelegenheitskauf wie er versicherte, wollte er doch mindest ein Abenteuer erleben und erst später den vertraglichen Verpflichtungen nachkommen. „… du hast das Geld nicht verloren, es ist nur verschwunden …“ erklärte Carlos Lucy den Verlust nach einem kreativen Deal zur wundersamen Vermehrung. Die Schauspieler boten nuanciertes  ausgewogenes Ensemblespiel und ausgefeilt differenzierte Charaktere: Steve Walter als Carlos machohaft, Elisa Ottersberg als Lucy sexy, Natascha Heimes als Rita vernünftig, Katharina Romanenko als Jana verzweifelt, Andreas Mayer als Nick sensibel. Alle Fünf waren einander über Vertrauensverhältnisse, Freundschaften, verbunden und schwankten zeitgemäß zwischen Ver- und Misstrauen, schwankten zwischen den benannten Eigenschaften und deren Gegenteil. Am Ende gleichzeitig?

Authentizität, Abenteuer, Vertrag, Vertrauensverhältnis, Kreativität und Kriminalität sind die Begriffe mit denen Robert Woelfl spielt und die er in ihren verschiedenen Schattierungen aufleuchten lässt. Nicht zu vergessen das „Über-Ich“, das mittlerweile in fast jeder …tasche zu finden ist und das Termine und Gefühle verwaltet, doch keineswegs Auswege aus dem Dilemma zu finden in der Lage ist. Doch das Unternehmen um der Unternehmung willen ist auch kein Abenteuer und so begnügt man sich mit der Verwaltung des gewaltigen …

Traurig. Traurig ist es in dieser Wildnis, auch wenn die ausgezeichnete Aufführung schmunzeln und gelegentlich erhaben lächeln ließ in den Momenten, die Wiedererkennung überdeutlich weckten. So blieb eben ein zwiespältiger Eindruck von der kurzweiligen Inszenierung: einerseits ein angenehmer, auf Grund des intelligenten Textes und der gelungenen Umsetzung, andererseits ein unangenehmer, auf Grund der bedrückenden Realitätsnähe.
 
 
C.M.Meier

 

 


Wildnis und Casinos

von Robert Woelfl

Natascha Heimes, Elisa Ottersberg, Katharina Romanenko, Andreas Mayer, Steve Walter

Regie: Claus Peter Seifert

Halle 7 Liv Stein von Nino Haratischwilli


 

 

Es lebe das Leben, es lebe die Kunst

In Zeiten, die beherrscht werden von allgemeiner Mittelmäßigkeit, in denen die Lauen an den Rednerpulten und den Rudern stehen, auch Teile der Szene in der Kunst beherrschen, da wirken Figuren wie die der jungen Schriftstellerin Nino Haratischwilli ungleich lebendiger. Sie verkörpern jene talentierten Suchenden, die durch Meisterleistung im Gedächtnis bleiben und aus denen, gleich einer Quelle, Kunst ins Leben fließt. Darum Kunst: Hüte dich vor den Leidenschaftslosen, den Wohlfühlern, den Kompromissbereiten und den Marktgerechten, denn sie schaufeln an deinem Grab.

Nino Haratischwilli schuf ein ausgezeichnetes Werk, erhielt dafür 2008 den Hauptpreis des Heidelberger Stückemarkts. Die junge Frau wirft einen genauen Blick auf die Intensität künstlerischen Daseins und erfasst diese. Jene Intensität, die jedem außergewöhnlichen Schaffen eigen ist und die wohl auch in dem einen oder anderen Zug dem Leben der jungen Georgierin entstammt, jedoch keineswegs nachzeichnet, sondern stets eine neue andere Geschichte erstehen lässt. Fiktion und doch kompakt voller Wahrheiten des Lebens, geht es in dem Stück um Sehnsüchte, Vorstellungen, Vorwände, Schuld und menschliche Launen.

Die berühmte Pianistin Liv Stein vergräbt sich in ihrem Hause, verwahrlost. Ihr geschiedener Mann Emil, Lehrer am Konservatorium und ehemals brillanter Geiger, kündigt ihr für den Abend Besuch an. Doch Liv verharrt in Reglosigkeit. Vierzehn Monate dauert der Zustand schon an und nun ließ sie auch noch den Flügel in den Keller transportieren. Emil versucht sie aufzurütteln. Doch ... die Wege zu und miteinander sind vorgegeben, ausgetreten nach zwei und sechzehn Jahren Ehe. Nun sind sie geschieden und Emil ist verheiratet mit der jungen Irene. Trotzdem kommt von ihm: „Ich vermisse das damals.“ Trotzdem sucht er den Kontakt zu Liv, hautnah und so, als wäre er nie gegangen. Die Spuren der Jahre sind nicht zu verwischen. Er gibt der jungen Lore Levin die Telefonnummer Livs. Lore sucht den Kontakt zur großen Pianistin, sie möchte ihre Schülerin werden.  Anfangs weigert sich Liv, doch dann entsteht ein Handel; Klavierunterricht gegen die Erzählung der Erlebnisse von Lore mit Livs Sohn Henry. Henrys Tod steht am Anfang des Ausstiegs der Künstlerin aus der Musik, die ihr Leben bestimmte und das ihrer Familie. Es entwickeln sich Verbindungen, Verstrickungen die durch die Liebe, das Aufgehen in der Musik bestimmt sind und die Suche nach Nähe, gelebtem Gefühl. Rachmaninov oder und Ravel spielen die beiden Frauen. Henry liebte Schumann. Emil spielt nicht mehr, er unterrichtet.

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Stefanie Mendoni, Josef Pfitzer

© Irene Huber

 

Auch die gesamte Inszenierung strahlte jene große emotionale Intensität aus, wie sie sich in den Leben von vielen Musikern finden lässt. Matthias Eberth führte Regie und die Darsteller an jenes Pathos heran. Violinschlüssel und Partiturzeile zierten gleich einer den Raum bestimmenden Melodie die Wände. Die Musik war dadurch auch bildlich allgegenwärtig in jeder Szene. (Bühne von Markus M. Schmidt) Stefanie Mendoni gab Liv Stein. Sie veranschaulichte virtuos und mit vielen feinen Gesten eine Verwandlung, von der von Schuldgefühlen zerfressenen Leidenden zur strahlend im Mittelpunkt stehenden Pianistin. Emil, Josef Pfitzer, war ein leidenschaftlich kraftvoller Mann, hin- und hergerissen zwischen Vergangenheit und Gegenwart, zwischen den Frauen und der Musik. Seiner jungen Frau, gespielt von Franziska Zawila, kam die undankbare etwas farblose Rolle, der nicht von der Musik Gezeichneten zu. Gemanagt wurde Liv Stein von Simone, die zu gutmütig ist, die sogar ihre Hochzeitsreise unterbrach, um für ihre Künstlerin allgegenwärtig zu sein, der Musik und ihr verpflichtet. Glaubhaft aktiv und aufopfernd dargestellt von Nathalie Seitz. Schnippisch, kurz, jugendlich, frech füllte Julia Eckers als Lore Levin die Bühne. Sie suchte abwechslungsreich nach den vielfältigen Erfahrungsmöglichkeiten des Gefühls in Musik und Erzählung und Begegnung.

Es ist ein inhaltlich dichtes Stück, sowohl im Text als auch in der Handlung, mit vielen unterschiedlichen Facetten und Wendungen.  Die Aufführung atmete viel Emotion in den Raum und an das Publikum. Lassen Sie sich bewegen, es lohnt.

„Dreistigkeit und Größenwahn ist tödlich für einen Künstler, wusstest du das?“

C.M.Meier

 

 

 


Liv Stein

von Nino Haratischwilli

Julia Eckers, Stefanie Mendoni, Josef Pfitzer, Nathalie Seitz, Franziska Zawila

Regie: Matthias Eberth

Halle 7 Helden von Ewald Palmetshofer


 

 

Überall und nirgends

Mensch, wo bist du ...“ - getarnt. Als Held natürlich, könnte man darauf antworten und die vielfältigen Kostüme aufzählen, die die moderne Welt für Helden und selbstverständlich Heldinnen bereit hält. Allen voran stehen Spiderman, Catwoman, Batman und andere, die fraglos für das Gute eintreten. Doch was ist das „Gute“ heute noch, in einer Zeit in der alles, aber auch alles verkauft wird. Ist es das, was den höchsten Preis erzielt, oder das, was eines von den unsinnigen Gesetzen hochhält? Dennoch ist es nichts Geringeres als die Rettung der Welt, der kleinen wie der großen, das die Comichelden immer im Sinn haben  und die Nachrichtensprecherin des aktuellen Dienstes (Georgia Stahl) kündigt die Ankunft von Spiderman und Catwoman in der Stadt an. In der Stadt, in der regelmäßig explosive Cocktails Konsumtempel zerstören und in der die „gute Stube“ längst in Schieflage geraten ist, wie das Bühnenbild (Mark Späth, Aylin Kaip) unmissverständlich vor Augen führte.

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Rainer Lott, Friederike Pasch, Arik Seils, Simone Stahlecker

© Hilda Lobinger

 

 

Die Kinder Judith und David träumen davon Spiderman und Catwoman zu sein, heldenhaft Abenteuer zu bestehen, sie fühlen ein explosives Leben.  „… dass alles in die Luft geht … ich ticke schon“, sagt Judith. Die Eltern Doris und Wolfgang haben sich arrangiert im gesichtslosen Allgemeinen der Gesellschaft, folgen angepasst den Konventionen. „Wir sind so etwas von integriert“, benennt es der Vater. Wolfgang und Doris, Judith und David treffen einander im Wohnzimmer. Hier prallen die Generationen mit ihren Gefühlen und die Ansichten aufeinander, wie Welten. Hier spielen sie ihre Rollen, hier benennen sie ihr Befinden und hier entfalten sie ihre Träume.
 
Mensch, wo bist du ...“ - auf der Flucht. „Ich gehe in die Badewanne“, sagt Wolfgang, sagt Doris. Rainer Lott stellte Wolfgang dar. In hervorragend komödiantischer Weise entlarvte dieser die angepassten Väter. Schon durch Haltung, Mimik und Gestik überzeugte er, wenn er zudem seine sprachliche Gestaltungsfähigkeit einsetzte, blieb dem Zuschauer nur die Flucht ins Lachen. Während Doris, vielseitig, von sexy bis ohnmächtig, angelegt von Simone Stahlecker agierte. Immer wieder umarmte sie fürsorglich mitfühlend die Kinder, bemühte dabei überzeugend ihre Tränendrüse, und zwar so, dass es dem Publikum jedes Mal ein erkennendes Lächeln entrang.
 
Mensch, wo bist du ...“ – in Therapie. David erzählt Judith begeistert wie er seine Therapeutin geknackt hat, dass diese ihr Konzept und sich verlor. Arik Seils gab den großen Jungen David, ein wenig linkisch und verspielt noch, doch gedanklich konsequent in seiner unpolitisch politischen Haltung. Er hing wie Spiderman in den Seilen der Bühne, balancierte am Rand der Spielfläche, umarmte seine Judith und war ganz der Held. Friederike Paschs Judith war ein verwöhntes kleines Mädchen in den Armen der Mutter, eine fauchende wilde Catwoman und lebendige Schwester neben David, eine sexy verliebte Freundin für ihren Paul. Paul, der aktuelle Freund von Judith, der Schulkamerad von David, der mit Wolfgang in der Redaktion arbeitete, wurde von Urs Fabian Winiger auf die Bühne gebracht. Taktieren und die Situation nutzen, wie es die so genannten erfolgreichen Jungen tun, vermittelte er bestechend.

Markus Schlappig führte einmal mehr wohldurchdacht und stringent Regie. Er streute gelegentlich typisch österreichische Sprachfärbung ein, die zur zusätzlichen Erheiterung beitrug. Deutlich wurde dadurch auch, dass es leichter, ist über die Nachbarn in ihrer Art zu lachen, als über sich selbst und wie wenig sich die Menschen in beiden Ländern im Grundlegenden unterscheiden.

Ewald Palmetshofer, schuf mit „Helden“ ein herausragendes zeitgemäßes Bühnenwerk. Wenn einer etwas zu sagen hat, kann er seine Figuren auch in Floskeln stammeln lassen, und dennoch werden diese verstanden. Das ist Kunst.


C.M.Meier

 

 


Helden

von Ewald Palmetshofer

Arik Seils, Friederike Pasch, Simone Stahlecker, Rainer Lott, Urs Fabian Winiger, Georgia Stahl

Regie: Markus Schlappig