Kammerspiele Die Hermannsschlacht von Heinrich von Kleist


 

 

Kleist im heutigen Spiegel

Wir Deutschen sind ein bedauernswertes Volk. Obgleich unsere Nation eine bewegte und komplizierte Geschichte hat, in aller Welt hochgeachtet ist und gelegentlich auch bewundert wird, verfügt das Volk der Deutschen über kein Nationalepos, das identitätsstiftend wirkt. Wir können einige verheerende Kriege vorweisen, die keine rühmlichen Kapitel der Geschichte werden wollen, so sehr man sich unter Beanspruchung der Deutungshoheit auch anstrengt. Die geeinte deutsche Nation wurde zudem nach einer schmählichen Militärexpedition im Ausland ausgerufen. Also, unterm Strich findet sich nichts, was aus dem Dilemma retten könnte. Die „Nibelungen“ waren ein peinlicher Versuch, denn welchen Sinn macht ein Epos, in dem am Ende alle tot sind?

Heinrich von Kleist fand immerhin ein geschichtliches Ereignis, das nach außen hin allen Ansprüchen genügen könnte, die  Schlacht im Teutoburger Wald im Jahre 9 nach Christus. Hermann der Cheruskerfürst führte die geeinten Stämme der Germanen gegen die römischen Eindringlinge und rieb drei feindliche Legionen in einem Guerillakampf auf. Wie gern erinnert sich die deutsche Geschichte an den verzweifelten Ruf Augustus: „Quintili Vare, legiones redde!“  Wendet man sich von der holzschnittartigen Heroenverehrung ab, weist allerdings auch diese Geschichte einige Peinlichkeiten auf. Der große Held Herman, der übrigens eine römische Erziehung genossen hatte, starb beispielsweise nicht durch die Hand eines Feindes; die Klinge führte ein Germane.

Kleist war bei aller Begeisterung für das Militär und den Krieg hellsichtig genug, vom Vorhaben, eine Nationalepos zu schaffen, abzusehen. Das Stück entstand 1808. Die späteren deutschen Gebiete, von einem Nationalstaat war man noch mehr als ein halbes Jahrhundert entfernt, wurden von den Truppen Napoleons besetzt gehalten. Kleists Intentionen bestanden vornehmlich darin, mit seinem Drama eine militärische Strategie gegen den übermächtigen Feind anzuregen, den Guerillakrieg. Dass so ein Stück starken propagandistischen Charakter haben muss, liegt auf der Hand. So sind die Figuren überzeichnet, vereinfacht und der Konflikt provoziert Nationalismus.

Immer wieder hört man mit dem Unterton der Schamhaftigkeit: Das Stück ist nicht mehr spielbar. Dass es immer wieder in den Spielplänen der deutschen Theater auftaucht, hat vornehmlichen einen Grund: Die Sprachgestaltung der Kleistschen Dramatik ist ein Höhepunkt in der deutschen Literaturgeschichte. Der Reiz scheint unüberwindbar zu sein. Warum dieses Stück spielbar ist, beweist die Inszenierung an den Münchner Kammerspielen unter Federführung von Armin Petras. Regisseur Petras hat eine eigene Spielfassung erstellt, die auch das Drama Grabbes aus dem Jahr 1835 mit gleichem Titel einbezieht. Die Begründung seiner Wertschätzung für diese beiden Autoren ist nicht nur hinreichend, sie ist geradezu zwingend: "Kleist ist mein Lieblingsautor. Aber Grabbe gehört auch zu meinen liebsten Autoren. Ich finde, dieser kranke Größenwahn beschreibt Deutschland natürlich sehr schön und in der Mischung aus Größenwahn und extremer Verzweiflung sind Grabbe und Kleist sich sehr nahe."

Bei der Erarbeitung einer zeitgemäßen Dramaturgie griffen die Macher auf Quellen zurück, die die historischen Protagonisten unverblümt beschreiben. Tacitus (um 55 bis 120) formulierte in seiner ethnografischen Studie über die Germanen an den Nordgrenzen des römischen Reichs einen erstaunlich nüchternen und objektiven Bericht, bei dem unsere Vorfahren keineswegs schmeichelhaft davon kamen. Als rau, grob und auch wenig berechenbar in ihrer animalischen Lebensführung, die nicht selten sauf- und rauflustig mit tödlichen Ausgang war, wurden sie eingestuft. Armin Petras flocht diese Eigenschaften als Grundton in seiner Inszenierung ein.

Katrin Bracks Bühne war minimalistisch. Große Schaumstoffquader und –würfel, auf einen chaotischen Haufen geworfen, beschrieben ein wüstes, unkultiviertes Land. Wenn die Schaumstoffteile gemäß der Handlung umgeschichtet wurden, blieb die Landschaft doch immer ordnungslos. Armin Petras vermied es, martialische Einlassungen in des Spiel zu integrieren. Sobald die Geschichte auf Auseinandersetzungen zusteuerte, traten die Musiker des Modern String Quartets in Erscheinung und suggerierten mit rasantem Streichersound, was auf der Bühne dankenswerter Weise vermieden wurde.

Die Darsteller umgingen nahezu jede heroische Pose, erschienen sehr menschlich, selbst dann, wenn der Text Anderes verlangte. Peter Kurths Hermann war verschlagen und klarsichtig. Er steuerte die Geschehnisse zumeist nur mit Andeutungen. Wuchtig in seiner Erscheinung, bewies er trotz schäumenden Hasses stets Sinn für Pragmatismus. Ihm zur Seite agierte Wiebke Puls als „Tus-chen“ (Tusnelda) mit grandios vielschichtiger Weiblichkeit. Der Gegenspieler Vorort war Ventidius, römischer Legat. Edmund Telgenkämper erschien im Smoking und demonstrierte damit die kulturelle Überlegenheit der Römer. Auch er war ein berechnender Politiker, der als Don Juan offen ließ, wie weit seine Zuneigung zu Tusnelda gediehen war. Lasse Myhr (Eginhard), Jochen Noch (Wolf), Horst Kotterba (Thuiskomar) und Michael Tregor (Selgar) stellten die Stammesfürsten auf gänzlich unheldenhafte Weise dar. Körperlich wenig herkulanisch und mental eher schlicht gestrickt, kamen sie in ihren Darstellungen den Beschreibungen des Tacitus vermutlich sehr nahe.

Armin Petras fand durchgängig exzellente szenische Lösungen und sparte dabei ästhetisch Grenzwertiges nicht aus. Als Hally (Katharina Hackhausen), die Tochter des Waffenschmiedes (ebenfalls Michael Tregor) von den römischen Besatzern geschändet wurde, töteten die engstirnigen Germanen sie und bespieen den Leichnam. Diese Begebenheit wurde dann als Anlass zum Widerstand gegen die Römer genommen. Zum militärischen Aufstand wurden die Schaustoffteile zum Wall der Teutoburg errichtet, was in Schwerstarbeit für die Schauspieler ausartete. Als die Schlacht geschlagen war, erschienen die teutonischen Helden mit langen Schwertern auf der Bühne, die sie, ehe sie abgingen, dem zum Führer aller Germanen avancierten Hermann in die Hose steckten. Der hatte dann sichtliche Mühe, die Bühne zu verlassen. Diese wunderbare Metapher kann nur als Geniestreich der Regie bezeichnet werden, nahm sie doch die unselige militaristische Geschichte Deutschlands vorweg.

Das umstrittene Drama Kleists wurde unter den Händen von Armin Petras zu einer historischen Farce, was sicherlich nicht den Intentionen Kleists entsprach, aber eine sinnfällige Übertragung in eine heutige Lesart war. Petras ließ Kleists grandiose Sprache unbehelligt, verkehrte aber den Sinn des Stücks gegen sich selbst. Die furiose Inszenierung strotzte nur so vor Komik und stellte damit den vielleicht besten Weg dar, Kleist in seinem militaristischen Ethos zu überwinden. Die Botschaft von Armin Petras war unverkennbar.
„Die Hermannsschlacht“ an den Kammerspielen München wird mit Sicherheit Furore machen. Also: Nicht entgehen lassen!

 

Wolf Banitzki

 

 


Die Hermannsschlacht

von Heinrich von Kleist

Katharina Hackhausen, Horst Kotterba, Peter Kurth, Modern String Quartet, Lasse Myhr, Jochen Noch, Wiebke Puls, Edmund Telgenkämper, Michael Tregor

Regie: Armin Petras

Kammerspiele Ruf der Wildnis nach Jack London


 

 

Whow? … wau wau

Beifälliges Geraune aus dem Publikum erfüllte die Kammerspiele, nachdem der Vorhang sich gehoben hatte. Sechs Hunde zogen die Aufmerksamkeit der Menschen an sich. Diese lagen auf sechs Sofas, welche einen Halbkreis auf der schrägen Bühnenfläche bildeten. Handgeknüpfte Teppiche in bunten Mustern, bekannte Attribute des Bürgertums bedeckten den Boden. Die Atmosphäre von Wohnstuben verbreitete sich unvermittelt und nachhaltig.

Der Amerikaner Jack London, Hafenarbeiter, Goldsucher und bekannter Autor schrieb im Jahre 1903 den Roman Ruf der Wildnis, sein wohl bekanntestes Buch. Der Hund Buck, Held der Geschichte, führt ein geruhsames und wohlbehütetes Leben auf einer Farm in Kalifornien. Als in Alaska das Goldfieber ausbricht, wird er entführt und heimlich verkauft, da es an Schlittenhunden mangelt. Buck besteht viele Abenteuer, entwickelt Kraft und Durchsetzungsvermögen im Rudel, gerät an seine Grenzen, bis er einen neuen und gerechten Herrn findet. In der Wildnis verwandelt er sich mehr und mehr vom Haushund zum Wolf, bis er schließlich wieder gänzlich in die Natur zurückfällt. Jack Londons Einfühlungsvermögen schuf einen hervorragenden Roman, erzählt aus der Perspektive des Tieres.

Kamen bei Jack London dem Hund Buck menschliche Züge zu, so verkehrte Alvis Hermanis den Vorgang und ließ die Menschen Tierisches hervorkehren. Sinnfällig? Vielleicht. Allein die übertriebene Offensichtlichkeit mit der dies geschah wirkte abstoßend, besonders auf Menschen, denen ein Hund nicht Lebenspartner ist und der sein, im Programmheft angesprochenes nächtliches „wölfisches Ich“ humanistisch kultiviert durch die Tage und Nächte trägt. Die Darsteller, in nachahmend hochgespielt hündischer Manier, beschnüffelten aneinander, schnüffelten über die Bühne, wälzten sich auf den Sofas, zerrissen diese und legten einander Hundeleinen an. Kunstakt oder Zirkusnummer?

Die Akteure gaben sechs einsame und einem Hund verbundene Menschen, welche abwechselnd in willkürlicher Reihenfolge Teile ihrer Lebensgeschichte vortrugen, auf die neben ihnen auf dem Sofa liegenden Hunde Bezug nahmen, diese streichelten und selbst für einige Szenen in die Rolle des Hundes Buck schlüpften. Sie zerpflückten die Sofakissen zu „schaumigem“ Schnee und liefen aufgeregt hin und her, gruben mit den Vorderpfoten nach Gold, streuten es um sich. Der Bezug auf Londons Roman und den Titel des Abends blieb auf wenige Passagen, auf Andeutungen beschränkt.

„… Vielleicht können wir als moderne, zivilisierte Menschen manche Gefühle nur nachempfinden, wenn wir uns in Tiere hinein versetzen. … Dieser ursprüngliche, kreatürliche Zustand ist etwas, was mich interessiert.“, so Alvis Hermanis. Wenn Schauspieler mit ihrer Persönlichkeit mit den Figuren verschmelzen, so wie der Regisseur es bei seiner Inszenierung erkannte und für das Programmheft äußerte, dann hat der Begriff Theater im klassisch ursprünglichen Sinn seine Auflösung erfahren. Die Extraktion des Instinktes oder die Welt im Wohnzimmer - war es das Anliegen des Regisseurs dies zu vermitteln? Doch ohne das geringste Angebot von Antworten, Lösungen zu neuer Erfahrung oder zumindest Ansätze dazu, blieben die vorgetragenen Geschichten der Menschen oberflächlich, gehaltlos. Jede der Erzählungen bot hinlänglich Bekanntes. Ist es künstlerisch und intellektuell ausreichend, einen Vergleich zwischen Mensch und Hund, Hund und Mensch durch Verbildlichung anzustellen? Wenn ja, so wären die geistigen Ansprüche der Zuschauer ebenfalls auf tierisches Niveau gesunken. Das weigere ich mich anzunehmen.

 
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Thomas Schmauser, Kristof van Boven, Walter Hess, Katharina Marie Schubert, Benny Claessens, Annette Paulmann

© Andreas Pohlmann

 

Die Suche nach dem „ultimativen Kick“ ist es, die die Menschen außergewöhnliche Leistungen vollführen lassen und sie doch nur wiederum auf ihre tierische Natur zurückwirft. Diese Ekstase bildet den Höhepunkt des Lebens (so der Text), „über die hinaus das Leben sich nicht mehr steigern kann. Und es ist das Paradox des Lebens, dass diese Ekstase einsetzt, wenn man am Lebendigsten ist. Sie lässt einen zugleich vergessen, dass man am Leben ist: …“ Um zwei Sätze so viel plakativ tierisch gestaltete Aktion?


Wie wäre die Vorstellung verlaufen, wenn der Regisseur stellvertretend mit Requisiten statt mit lebenden Hunden gearbeitet hätte, wenn nicht so offensichtliche Manipulation des Emotionalen stattgefunden hätte? Das Publikum reagierte gespalten, begeisterter Applaus war ebenso zu vernehmen wie lautstarke Buuhh-Rufe. Alvis Hermanis, Konrad-Wolf-Preisträger der Akademie der Künste, sonnte sich in beidem.

Am Ende standen die Sofas zerfetzt und demoliert, hochkant und umgekippt wie zu einem Müllberg zusammen. Dazwischen schnupperten und bewegten sich Schwanz wedelnd die Hunde auf der Bühne. (Textzitat) „Hört auf den Namen Buck. … Also Buck heißt du, alter Knabe. Wir haben unseren kleinen Auftritt gehabt, und das Beste, was wir tun können, ist, es dabei zu belassen. Verstanden?“. Vergleichsweise kurz ist auch die Zeit der Spezies Mensch auf Erden.


C.M.Meier

 

 


Ruf der Wildnis

nach dem Roman von Jack London

Benny Claessens, Walter Hess,  Annette Paulmann, Thomas Schmauser, Katharina Marie Schubert, Kristof van Boven

Regie: Alvis Hermanis

Kammerspiele Sommergäste / Nachtasyl von Maxim Gorki


 

 

Schaler Nachgeschmack

Der Mann, der sich Maxim Gorki nannte, hieß Alexej Peschkow. Nach dem Erscheinen erster Erzählungen in Provinzzeitungen entschied er sich für ein Schriftstellerdasein, und schon die Wahl des Pseudonyms war Programm: Gorki bedeutet „der Bittere“.  Geboren als Sohn eines Sklaven, eines Wolga-Treidlers, erlebte er bitterste Armut und Elend. Neunzehnjährig hatte sich der leidenschaftliche Dichter aus Gram darüber, dass ihm eine höhere akademische Bildung versagt bleiben sollte, eine Kugel in die Brust geschossen. Er überlebte, legte aber mit der Verwundung den Grundstein für eine Tuberkulose.
Die Landstraßen, er durchwanderte halb Russland, wurden seine Universitäten und die lehrten ihn, dass die Welt nicht menschlich eingerichtet war. Bald geriet er in den Sog revolutionärer Umtriebe; er war auf Seiten der Sozialdemokraten an den Vorgängen des gescheiterten Umsturzes 1905 beteiligt, wurde verhaftet und eingesperrt. Auf Kaution freigekommen, floh er über Berlin nach Paris. In Berlin feierte ihn Max Reinhardt mit einer Sondervorstellung. In den folgenden Jahren etablierte sich Gorki als ein Geist des Widerstandes, sowohl gegen die zaristischen Verhältnisse in Russland, als auch gegen den Kapitalismus der westlichen Welt. Sieben Jahre hielt der inzwischen weltberühmte Autor auf Capri Hof, empfing unzählige Russen, unterstützte Bedürftige und vor allem Hoffnungslose. Sein revolutionäres Wirken hatte religiöse Züge, was ihn im eigenen Heimatland vor allem nach der Revolution 1917 suspekt machte.

Die Münchner Kammerspiele brachten jetzt die beiden Stücke „Sommergäste“ und „Nachtasyl“ auf die Bühne. „Nachtasyl“, ein Drama über die Hoffnungslosesten unter den Hoffnungslosen, machte den Dichter weltbekannt. Es ist ein wuchtiges und schonungsloses Stück, das nicht geschrieben wurde, wie im Programmheft angedeutet, um einen Anflug von Pessimismus beim Autor erkennen zu lassen, sondern um rigoros deutlich zu machen, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse unhaltbar geworden waren und ein Veränderung unabdingbar sei. Im Gegensatz dazu beschreibt „Sommergäste“ den geistigen Zustand der Intelligenzija im Russland nach der Wende zum 20. Jahrhundert. Beide Stücke weisen deutliche Parallelen auf. Beiden gesellschaftlichen Schichten ist ein urrussischer Wesenszug eigen, nämlich die scheinbare Unfähigkeit zu handeln. Stichwort: Oblomowtum. (Siehe Kritik zu „Platonow“ von Tschechow an den Münchner Kammerspielen.) Während in „Sommergäste“ die müden, schlaffen Helden ihre Langeweile und ihren Verdruss verwalten, versuchen die Protagonisten in „Nachtasyl“ ihr Elend zu bemänteln und zu begrenzen. In beiden Geschichten gibt es keine überzeugenden Hoffnungsträger, aber immerhin soziale und philosophische Ideen, die davon zeugen, dass aktives Handeln ein Ausweg aus dem Dilemma sein könnte.

Karin Henkel sah die Parallelen beider Stücke und inszenierte sie als „theatrales Doppelprojekt“. (Hoffentlich kommt Derartiges nicht in Mode!) Grundgedanke dabei war, die geistig und moralisch verwahrlosten Gesellschaften in einem Raum zusammen zu bringen: In einem Nachtasyl. So beklagen sich die Sommergäste über ihre zugige und die Äußerlichkeiten nicht mehr abhaltende Behausung. Unaufhaltsamer Verfall herrscht allerorten. Dennoch haben die Dialoge auf Grund ihres dekadent-zynischen Witzes eine erstaunliche Leichtigkeit, fordern geradezu eine lustvoll-komödiantische Umsetzung heraus. Die Nähe des 1904 uraufgeführten Stückes zu den Stücken von Tschechow ist schwerlich zu übersehen. Es ist, um es landläufig zu formulieren, ein „schwacher Tschechow“. Allerdings geht Gorki deutlich über den großen Realisten hinaus, wenn er die Ärztin Maria Lwowna politische Überzeugungen einbringen lässt, die darauf zielen, dass sich die Intelligenzija mit der Arbeiterklasse verbünden muss. Bei aller Ideologie, die den „lehrhaften Predigten“ (Stanislawski) eigen ist, blieb das Komödienhafte erhalten, und Regisseurin Karin Henkel zauberte daraus eine spitzfindige, witzige und schlagfertige Bühnenfassung.

 
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René Dumont, Angelika Richter, Paul Herwig, Wolfgang Pregler, Annette Paulmann

© Arno Declair

 
 
Es ist ein Reigen von Intrigen, Betrügereien und mentalem Aufbegehren, der letztlich immer wieder in Agonie endet. Häusliches Oberhaupt ist der Rechtsanwalt Bassow. Jochen Noch gab einen polternden, unsensiblen Mann, der immer wieder über seine Einsicht stolperte, dass auch er nur ein nutzloses Geschöpf ist. Doch er hatte sich behaglich eingerichtet in seiner fadenscheinigen Existenz. Brüchig wurde diese Wunschvorstellung, wenn er sich mit der erkalteten Beziehung zu seiner Frau Warwara konfrontiert sah. Kathja Bürkle spielte diese Figur sperrig und unnahbar. Caroline Ebner war die Exotin des Abends. Als Kalerija gab sie eine weltabgewandte Künstlerin, deren Drang nach Welterfahrung deutliche esoterische Züge annahm. Ohne Frage schuf sie eine sehr heutige Gestalt, die sich im Netz der Orientierungslosigkeit verfangen hatte. Annette Paulmann setzte sich in der Rolle der Marja Lwowna als „Pfahl im Fleisch“ in Szene. Ihre Auftritte hatten etwas Unwetterartiges. Dieser Person wagte letztlich niemand offen zu wiedersprechen, denn nicht nur ihre einschüchterne Weiblichkeit zeigte den Männern Grenzen auf, auch die Inhalte ihrer sozialen Ideen, stets als Anklage gegen die Gesellschaft der Sommergäste formuliert, schüchterten ein, verängstigten die parlierenden Tagediebe. Nico Holonics gab in der Rolle des Wlas ein bemerkenswertes Debüt in den Kammerspielen. Sein Spiel ergänzte das großartige Ensemblespiel um die wichtige Facette der jugendlichen Verzweiflung.

Karin Henkel hatte es bestens verstanden, die Darsteller zu einem eindeutigen Rollenverständnis zu führen. Heraus kam ein wunderbar geschlossenes Bild, das sich aus deutlichen Charakteren formierte. Alle Gestalten hatten komische und tragische Züge zugleich. Im Spielraum von Stefan Mayer war charaktervolles Spiel vonnöten, denn der Bühnenraum war weitestgehend leer und schwarz. Die Seiten wurden begrenzt von Jalousien aus Gummiband. So konnten die Figuren quasi durch die maroden, durchlässigen Wände schlüpfen. Dennoch entstand in dieser Kargheit Atmosphäre. Wenn die Wände partiell gegeneinander verschoben wurden, kamen kahle Bäume zum Vorschein.

Bis zur Pause war sich das Publikum vermutlich einig: Hier war Theater von höchster künstlerischer Qualität überaus lustvoll zu erleben. Im Rahmen einer überzeugenden ästhetischen Geschlossenheit agierten Darsteller, die keinen Satz verschenkten und jede Pointe ausspielten. Es war ein echter Hochgenuss. Doch dann endete das Stück „Sommergäste“ zu Beginn des zweiten Teils in einer wüsten Schlägerei und als wieder Ruhe eintrat, fanden sich die Darsteller und die Zuschauer im „Nachtasyl“ wieder. Die Ambition der Regisseurin war unverkennbar. Der Niedergang der Gesellschaft von nutzlosen Intelligenzlern war nur die Ouvertüre für das scheinbar Unvermeidliche, den sozialen Abstieg auf die unterste Ebene. Das erschien auf den ersten Blick plausibel, da sich die Figuren in „Nachtasyl“ zu keinem Zeitpunkt ihr Scheitern eingestehen wollten. Sie betrachteten ihren Zustand nur als temporär.

Frau Henkel hatte für diesen Part eine Strichfassung erstellt, die vom Stück wenig, deutlich zu wenig übrig ließ. Ein Drama wie „Nachtasyl“ kann unmöglich als Fragment seine kathartische Wirkung entfalten. Die menschlichen Katastrophen wurden peripher eingestreut und letztlich nicht zum Höhepunkt gebracht. Die Spielfassung blieb indifferent und konnte ihren Patchwork-Charakter nicht leugnen. Der Abend erlitt eine künstlerische Interruption, was umso trauriger stimmte, da er überaus furios begann.

Künstlerische Ambition hin oder her, die Regisseurin wäre besser gefahren, wenn sie es bei „Sommergäste“ belassen hätte. Ein Erfolg wäre ihr gewiss gewesen. Es ist eine alte Bühnenweisheit, dass der Zuschauer sich an die letzten Empfindungen immer am deutlichsten erinnert. Zuletzt blieb beim Betrachter ein schaler Geschmack, da „Nachtasyl“ etliche Längen aufwies, die Komödiantik aus „Sommergäste“ nicht übernommen werden konnte und, wie bereits erwähnt, die Vorlage inhaltlich nicht aus einem Guss war.

Beide Stücke sind trotz aller inneren Parallelen in der Ästhetik sehr unterschiedlich. Der Regie gelang es nicht (konnte es wohl auch nicht gelingen), die beiden Welten zusammenzuführen. Darum kränkelte auch dieses „theatrale Doppelprojekt“ an der Respektlosigkeit zwei Dramen gegenüber, denen man eigentlich, wie die Inszenierungstradition beweist, vorbehaltlos vertrauen könnte. Bei allen Schwächen, die beide Stücke aufweisen, sind die Dramen doch allemal sehr organisch. Transplantationen führen dabei mit ziemlicher Sicherheit zum Handicap.

 
Wolf Banitzki

 


Sommergäste / Nachtasyl

von Maxim Gorki

Jochen Noch,  Katja Bürkle,  Caroline Ebner,  Nico Holonics, Wolfgang Pregler, Lena Schwarz,  Stephan Bissmeier,  Angelika Richter,  René Dumont, Paul Herwig,  Annette Paulmann,  Walter Hess, Oliver Mallison

Regie: Karin Henkel

Kammerspiele Hotel Savoy nach Joseph Roth


 

 

Warten auf Bloomfield

Die Parallelen sind unübersehbar. Eine Krise, bei Joseph Roth ist es der Erste Weltkrieg, hat die Welt aus den Angeln gehoben. Das Hotel Savoy und seine Gäste spiegeln diesen Zustand wider. Fremde, Heimkehrer, sind hier gestrandet und suchen einen Ausweg. Amerika ist die große Verheißung. Amerika hat auch einen anderen Namen: Bloomfield. Eigentlich heißt er Blumenfeld, ist ein jüdischer Auswanderer aus eben jener Stadt, in der das Hotel Savoy steht, der es in Amerika zum Milliardär gebracht hat. Bloomfield wird nun erwartet wie der Messias. Jeder möchte einen kleinen Teil vom großen Kuchen abhaben. Doch der steht nur in der ersten Etage des Hotels, dort, wo die nackten Mädchen noch frisch sind, wo der Champagner gereicht wird und wo man sich die lästigen Mitbewohner aus den höheren, insbesondere aus der 6. und 7. Etage, vom Leib hält.

Schnell wird deutlich, dass der Reichtum verteilt ist und die, die sich des Wohlstandes erfreuen, bleiben lieber unter sich. Koen Tachelets Fassung von Joseph Roths Roman setzt Akzente, verweist darauf, dass die fiktive Welt des Romans längst Gestalt angenommen hat. Menschliche Beziehungen scheitern an den ökonomischen Prämissen; das Leben ist zugunsten der Jagd nach dem Mammon zurückgetreten. Die Lage scheint aussichtslos und ist es wohl auch unter diesen Bedingungen. Also bleibt nur das Warten auf Bloomfield, genährt von winzigen Fünkchen Hoffnung, denn so viel Reichtum muss großzügig sein. Weit gefehlt, denn, wie sagte Henry Ford: Reich wird man nicht durch das Geld, welches man verdient, sondern durch das Geld, das man nicht ausgibt.

Gabriel Dan ist ein Heimkehrer. Er strandet im Hotel Savoy, das er nur als Transitraum in die Welt betrachtet. Allerdings vermag er nicht zu sagen, wohin die Reise gehen soll. Er verliebt sich in Stasia, die bezaubernde Tänzerin. Doch bis zum Ende kann sich keiner von beiden zu einem Bekenntnis durchringen. Die äußeren Umstände verhindern jegliche Annäherung, denn jeder jagt sein eigenes Glück, das untrennbar mit Geld verbunden ist. Dann bricht Zwonimir Pansin, Kriegskamerad von Dan, wie ein Taifun in die mehr oder weniger geschlossene Gesellschaft ein, um eine Revolution zu entfesseln. Er irrlichtert chaotisch durch die Gesellschaft des Hotels und agitiert die Arbeiter und Bauern. Doch sein revolutionäres Wehklagen erschöpft sich in Anklagen gegen die Bauern, die ihre Felder nicht ordentlich bestellen und das Vieh schlecht versorgen. Revolution wird zu einer Spielart von Weltanschauungen, von denen es so viele gibt im Savoy wie Gäste. Als Bloomfield endlich auftaucht, ernennt er Dan zu seinem Sekretär. Dans Aufgabe besteht darin, lästige Bittsteller im Vorfeld abzuwimmeln. Am Ende wurden alle Bittsteller abgewiesen. Bloomfield hat das Grab seines Vater besucht, sein eigentliches Anliegen, und reist angewidert von der Gesellschaft im Savoy zurück nach Amerika. Immerhin hat er Dan finanziell gut ausgestattet. Doch wozu? Dan muss jetzt auf die Reise gehen, obgleich er viel lieber mit Stasia zusammen leben würde.

Nach „Hiob“ ist „Hotel Savoy“ die zweite Romanadaption, die Johan Simons auf die Bühne der Münchner Klammerspiele gebracht hat. Mit der Inszenierung in der Spielhalle praktizierte Johan Simons eine Bühnenästhetik, die auf Entgrenzung des Raumes zielt. Dadurch wird das Publikum näher an das Geschehen herangezogen. Obgleich diese Spielauffassung wesentlich lebendiger wirkt, lässt sich der Mangel, den eine Romanadaption mit sich bringt, nicht vollständig überwinden. Der Wechsel zwischen beziehungsreichem dramatischen Spiel und prosanaher Erzählung lässt keinen zwingenden Spannungsbogen entstehen. Simons versuchte diesen Mangel durch komödiantisches Spiel zu überwinden, was jedoch nur bedingt gelang.
 
 
Bert Neumann gestaltete den gesamten Raum als Spielfläche. Ausgelegte Fliesen (auf Sand) deuteten Hotelgänge an. Das „Savoy“ wurde durch einen großen Lüster definiert, der Rest wurde erspielt. Bespielt wurde der gesamte Raum, die Balkone, der Lift, und eine hölzerne Treppe bezog zusätzlich noch das nichtsichtbare Untergeschoss ein. Ein Karren, beladenen mit Kleidungsstücken, vermittelte den ewig flüchtenden Ostjuden.

Steven Scharfs Gabriel Dan bewegte sich schleppend, suchend, verhalten reagierend durch diesen Raum. Er schien den Rhythmus des „Savoy-Hotels“ nicht in sich aufzunehmen, blieb steter Gast. Katja Herbes als Stasia hingegen schien zum Inventar gehörend. Logischerweise konnte sie sich aus der seltsamen Betriebsamkeit nicht lösen. Wolfgang Pregler zerstörte dieses Zeit-Raum-Kontinuum als Zwonimir Pansin mit seinem revolutionären Aufbegehren temporär. Preglers Spiel verschlug dem Zuschauer auch schon mal den Atem. Um so peinlicher war dann die Einsicht, dass seine Motive ebenso kleinbürgerlich waren, wie die der anderen auch. Brigitte Hobmeier fielen insgesamt sieben Rolle zu, die sie auf erstaunliche Weise meisterte. Umzüge fanden auf offener Bühne statt, wurden öffentlich gemacht und verblüfften dennoch. André Jungs Henry Bloomfield hingegen war nie wirklich präsent. Sein Aufenthalt im Hotel war von Widerwillen gekennzeichnet, Widerwille gegen die Welt aus der er kam und die jetzt an ihm zu kleben begann wie ein Fliegenfänger. Seine Heimstatt war Amerika, in die er zurückstrebte. Amerika wurde so zur Sehnsucht all derer, die es nie erlangen würden. Den anderen Darsteller kam es zu, alles das zu transportieren, was der Roman an Geschichtenvielfalt beinhaltet. Dabei blieben sie jedoch meist peripher in ihrem Erscheinungsbild. Die Geschichte konnte nicht zu einem einzigen Ganzen verwoben werden. Und genau das ist der Preis, der der Prosavorlage geschuldet ist. Zuwenig der Handlung nahm unmittelbaren Einfluss auf den dramatischen Konflikt, in dessen Zentrum Gabriel Dan stand.

Simons Inszenierung war lebendig, komödiantisch und ohne Zweifel sehr zeitbezogen. Sie gab keine Antworten auf die desaströse Lage des Menschen in Zeiten Roths und im Heute. Doch allein das Sichtbarmachen des Grundkonfliktes, in dem sich der homo oeconomikus, und darauf ist der moderne Mensch sehr stark durch die gesellschaftlichen Verhältnisse reduziert, befindet, ist als Verdienst zu werten. Immerhin gelang es Steven Scharf  mit seiner reduzierten, das Menschliche betonende Spielweise, dem Pessimismus nicht gänzlich das Feld zu überlassen.

Ähnlich wie in „Warten auf Godot“ befinden sich die Menschen auch hier in einer scheinbar ausweglosen Lage und vertrauen auf den, der da kommen wird, um sie zu erlösen. Jeder ahnt, dass er nicht kommen wird, und der Schritt zum eigenverantwortlichen Handeln erscheint bei Roth eher möglich als bei Beckett.
Es bleibt zu hoffen, dass das Theater zukünftig mit dramatischen Texten arbeitet und nicht zu einem etablierten Medium für die Prosa wird.

 
Wolf Banitzki

 

 

 


Hotel Savoy

Nach dem Roman von Joseph Roth in einer Fassung von Koen Tachelet

Stephan Bissmeier, Pierre Bokma, Katja Herbers, Brigitte Hobmeier, Nico Holonics, André Jung, Stefan Merki, Wolfgang Pregler, Steven Scharf

Regie: Johan Simons

Kammerspiele Der Krieg von  Carlo Goldoni / Heinrich von Kleist


 

 

Reden wir über Krieg!

Es ist doch immer wieder eine Freude, ein gutes Programmheft in die Hand zu bekommen, um sich vorab einzulesen. Gerade bei einem „theatralen Doppelprojekt“ wie „Krieg“, bestehend aus Auszügen aus den Stücken „La Guerra“ von Carlo Goldoni und "Robert Guiskard" von Heinrich von Kleist macht es Sinn, eingeführt zu werden. Und schon der Prolog lässt keinen Zweifel aufkommen: Es geht auch um die heutige Bundesrepublik, die sich in einem Krieg im fernen Afghanistan befindet, auch wenn den Politikern das Wort Krieg nicht über die Lippen kommen will, weil der Vorgang grundgesetzwidrig ist, aber dennoch stattfindet. Klammheimlich kommt Vorfreude auf, denn man vermutet, dass jetzt endlich einmal einer Tacheles redet.

Bleibt vorab zu prüfen, in wie weit die Texte von Goldoni und Kleist überhaupt tauglich sind, die wesentliche Wahrheit über Krieg in die Welt zu bringen, nämlich: Krieg ist unvereinbar mit dem Ideal von einer menschlichen Gesellschaft. Kleists Text kann es wohl nicht sein, denn obgleich er die Leiden eines Krieges beschreibt, stellt der Dichter den Krieg an sich in diesem und auch in keinem anderen seiner Stücke in Frage. Wie auch, entstammte er doch einer der wichtigsten Militärdynastien Deutschlands, war selbst Militär, sechszehnjährig bereit sein eigenes Blut zu vergießen für nationale Interessen. In den Suizid trieb ihn unter anderem auch der Konflikt, aus dem Militär ausgetreten zu sein, und dennoch nichts (wie er fälschlicherweise annahm) Großartiges geleistet zu haben. Kleist liebte den Krieg! Robert Guiskard ist ein verquastes Militärdrama, wohlgemerkt nur ein Fragment, das über einige wenige traurige Befindlichkeiten in Sachen Krieg nicht hinausgelangt. Und wie sollte Goldoni erst zu neuen Ufern gelangen, ein Dichter, dem die ästhetische Revolutionierung des Theaters hin zur „Natur“, weg von der Maskerade der Commedia dell’arte am Herzen lag, und über den Goethe in seiner „Italienischen Reise“ schrieb: „Großes Lob verdient der Verfasser (gemeint ist hier Goldonis Stück „Skandal in Chiozza“, Anm. W.B.), der aus nichts den angenehmsten Zeitvertreib gebildet hat.“ Aber eben dieses Nichts, von dem Goethe schreibt, ist doch die zutiefst praktische und menschliche Natur, und im Gegensatz zu Kleist gelangte Goldoni zumindest über das wahrheitsverschleiernde Pathos hinaus, was ihn allemal tauglich machte für das Thema.

So kann sich der aufmerksame Betrachter von „La Guerre“ kundig machen über Mechanismen und die Psychologie von Kriegen, und er kann miterleben, wie Krieg die menschliche Natur verdirbt. In Robert Guiskard steht nichts von alledem. Vielmehr kann der unkritische Betrachter „deutsche Tugenden“ erleben, die deutsche Menschen in die verheerendsten Kriege geführt haben, und auf die der Eine oder Andere auch noch stolz sind. Der Unterschied beider Dichtungen basiert z.T. auch auf den Mentalitäten. Der italienische Bürger schätzt das Leben auf sinnlichste Weise und wer kennt nicht den Witz vom Buch der italienischen Helden, das so dünn ist, dass man es nicht einmal binden kann. Die deutsche Nation hat viele Helden. Sie füllen ganze Folianten, sind jedoch zumeist nur noch an Kriegsgräbern zu beweinen. Darum schrieb ein Italiener eine Komödie über den Krieg und ein deutscher Dichter eine Tragödie. Beide Werke leisteten wenig zur Verhinderung von Kriegen, doch die italienische Variante bereitete unbestritten mehr Spaß.

Armin Petras ist ein Regisseur mit überschäumendem theatralischen Einfallsreichtum und einem großen handwerklichen Repertoire. Und so erlebte der Zuschauer an den Münchner Kammerspielen in Ansätzen unterhaltsames und ästhetisch streitbares Theater. Für die Inszenierung schuf Susanne Schuboth zwei schlichte Bühnenbilder. „La Guerre“ wurde durchgängig auf der, von einer hohen Holzwand abgetrennten Vorderbühne gegeben. Für „Robert Guiskard“, die Handlung spielt vor den Toren Konstantinopels, wurde diese Wand nach hinten umgelegt und somit Bestandteil einer schlichten Schräge, die erst auf der Hinterbühne endete. Der Italiener an sich hat es halt gern gemütlich und überschaubar, der Deutsche hingegen liebt Aufmarschplätze.

 
  kriegks  
 

Thomas Lawinky, Peter Brombacher

© Andreas Pohlmann

 
 
Armin Petras setzte beim Goldoni-Stück auf Komödiantik. Mit Stehgreif-Oper und atemberaubender Akrobatik verlangte er den Darstellern einiges ab, was diese durchaus bravourös zu leisten in der Lage waren. Den Gipfel der Komik erklommen Wiebke Puls (Donna Aspasia), Regina Zimmermann (Lisetta) und Peter Jordan (Don Polidoro) in einer barocken Gesangseinlage. Und auch ansonsten wurde keine Derbheit, wie sie in der Comedia dell’arte fester Bestandteil war, ausgespart. So entblößte sich Peter Jordan in der Rolle des zynisch-korrupten Polidoro unter italienischsprachigen Extempores gänzlich. Kurzzeitige Atemlosigkeit erzeugte der Fall von Lasse Myhr, der als liebender Don Faustino die Bühnenwand erklettert hatte und hilflos daran hing. Tabea Bettin, die gefangene Tochter des militärischen Gegners und von Don Faustino geliebte Frau, wurde nur scheinbar ohne eigenes Zutun zum tragik-komisch anmutenden Element in den stürmischen Gezeiten des Krieges.

Als vollkommenen Kontrast zum Goldoni-Stück gestaltete Armin Petras den „Robert Guiskard“. Geradezu archaisch organisierte er die Handlung aus dem im weiten Bühnenraum hin- und herwogenden Ensemble heraus. Wurde eine Person angerufen, trat diese aus der scheinbar gesichtslosen Masse der Normänner heraus und gestaltete ohne jegliches schauspielerisches Raffinement den reinen Text. Wuchtig, wie der Text von Kleist, gab Wiebke Puls die Helena, verwitwete Kaiserin Griechenlands und Tochter Guiskards. Ebenso dominant und in der physischen Präsenz herausragend, prallte Thomas Lawinky als Robert Guiskard auf seine meuternden Soldaten, die schnell in einen flehentlichen Ton verfielen: „O führ uns fort aus diesem Jammertal! / Führ uns zurück, zurück ins Vaterland!“ Die größte Rolle in diesem verbalen Krieg fiel Thomas Schmauser als vermittelndem Greis zu. Selten sah man diesen Darsteller in den Kammerspielen physisch und sprachlich so diszipliniert und dadurch so akzentuiert. Mit dieser Darstellung gab er sein bemerkenswertes schauspielerisches Format preis. Peinlich für das Publikum und ermüdend war leider die Raufszene zwischen Steven Scharf (Robert, Sohn Guiskards) und  Edmund Telgenkämper (Abälard, Neffe Guiskards), die Armin Petras ganz augenscheinlich nicht choreographiert hatte.

Regisseur Petras bot viele Varianten und Nuancen an, die den Abend über weite Strecken kurzweilig machten, die aber letztlich nur ein künstlerischer Zitatenreigen waren und zu einem theatralischen Eklektizismus führten, der doch immerhin vom Publikum honoriert wurde, in dem allerdings die bissigen Wahrheiten Goldonis untergingen. Von einer ästhetischen Geschlossenheit konnte nicht die Rede sein. Das war wohl angesichts der Komplexität des Projektes, dieses Wort umschreibt es tatsächlich genauer als das Wort Drama, schwer möglich.

Bleibt die Frage, welchen Effekt der Abend zeitigte? Die Kammerspiele bewarben die Unternehmung unter anderem mit folgendem Satz: „Der Umgang mit Krieg als Lebenswirklichkeit steht im Zentrum der aktuellen politischen Debatte und des theatralen Doppelprojekts von Armin Petras.“ Auffällig in diesem Satz ist die Kausalität der Worte „Krieg als Lebenswirklichkeit“ und der „Umgang“ damit. Darin ankert bereits eine Unabänderlichkeit von Krieg, die die Änderbarkeit gar nicht ins Auge fasst. Wir haben es hier also nicht mit dem Versuch zu tun, gegen jeden Krieg, heutig oder künftig, mit der Macht der Kunst anzugehen. Das verrät eine Weltanschauung, die leider nur mit opportunistisch zu beschreiben wäre. Tatsächlich war der Abend, wenn überhaupt, nur ästhetisch provokant. Die Botschaft beschränkte sich auf die Frage: Wie gehen wir damit um? In diesem Sinne: Gut, dass wir mal wieder darüber geredet haben!

 
Wolf Banitzki

 

 


Der Krieg

von  Carlo Goldoni / Heinrich von Kleist

Thomas Lawinky, Tabea Bettin, Peter Brombacher, Steven Scharf, Thomas Schmauser, Lasse Myhr, Edmund Telgenkämper, Peter Jordan, Wiebke Puls, Regine Zimmermann

Regie: Armin Petras