Theater im Marstall Daddy von Anne Habermehl


 

 
Wie betreibt man politische Bildung?

Jenny und ihr Vater Pit, der die Familie vor langer Zeit verlassen hat, ringen um Worte. Pit weiß um den selbstverschuldeten Verlust und auch um die Irreversibilität. Er ist zutiefst verzweifelt und haltlos. Jenny hat ebenfalls keinen Platz im Leben. Einen Job zu finden ist schwer, wenn man Analphabetin ist. Sie ist nicht dumm, hat nur irgendwann in der Schule ihre Mitarbeit eingestellt. Pit will helfen, kommt aber seiner Tochter nicht mehr nahe.
In Julians und Silvies Leben, beide um die vierzig Jahre alt, hat sich etwas geändert. Sie nimmt an ihm einen neuen Geruch wahr. Er ist von ihrer Aggressivität abgestoßen. Silvie ist Lehrerein und möchte mit einer Pumpgun in die Schule marschieren, um die verhassten Schüler zu massakrieren. Dabei wünscht sie sich eigentlich nur ein Kind. Immerhin zwingt sie Julian zu dem Eingeständnis, dass der einen Stricher aushält. Julian zieht in sein Architekturbüro, in dem er seit Jahren eine Stadt zu entwerfen versucht, die sich an den menschlichen Körper anschmiegt.
Dort verbringt er die Nächte mit Marco, Pits Sohn und Jennys Bruder. Er will ihn kaufen, nur für sich allein haben. Marco weiß um seinen Wert als Prostituierter und verabscheut all die Julians, die ihm sabbernd und lüstern hinterher kriechen. Gewalt kommt auf.
Jenny und Marco suchen gemeinsam nach dem, was man gemeinhin unter Leben versteht. Nebenher wird der Vater, kaum noch ein menschliches Wesen, beschimpft und erniedrigt. Eine Karriere als Pornoproduzent wäre möglich, davon versteht Marco etwas und Geld hat er zu Genüge.
Am Ende lehrt Silvie Jenny das Lesen. Marco hat Julians Stadtentwurf zerstört, worüber der nicht wirklich böse ist und Vater Pit dämmert apathisch nur noch vor sich hin. Quintessenz, sie kommt wie ein Querschläger im Habermehlschen Universum: Du kannst besitzen, was du willst. Wenn du keine Liebe hast, hast du gar nichts.
 
   
 

Felix Klare

© Thomas Dashuber

 

So brüchig, konstruiert und ohne wirklich zwingende Dramaturgie wie der Text von Anne Habermehl, war denn auch die Inszenierung von Alexander Nerlich im Marstall. Man verfolgte das Treiben der Darsteller mit Ratlosigkeit. Ihre Texte sind überwiegend Ausdruck der Inhaltslosigkeit der Figuren von Anne Habermehl, klischeehaft und nicht selten banal. Der unentwegt zelebrierte Habitus des Sehnsuchtsvollen nervte irgendwann, weil die Sehnsucht keinen Namen bekommt und indifferent bleibt.


Anne Schäfers Jenny drohte bei jedem zweiten Satz zu detonieren. Was will sie? Eine intakte Familie? Bildung? Ein Ziel im Leben? Vielleicht alles zusammen, vielleicht auch nichts von alledem.
Felix Klare spielte einen narzisstischen Stricher, der nicht frei war von Machtgehabe und Vergeltungslüsten. Was er wollte, blieb ebenso verborgen. Christina Scholz-Bock  verlor sich ganz ähnlich in der drückenden Gequältheit einer Zeitgenossin. Sie vermochte doch immerhin einen Wunsch deutlich zu formulieren: Ein Kind! Dabei darf nicht vergessen werden, dass sie gleichzeitig Phantasien einer Amokläuferin plagen. Dirk Ossigs Julian konnte man durchaus abkaufen, dass er eine Vision hatte. Was der Darsteller vielleicht vor Augen hatte, verhinderte dann doch der Text der Autorin. Letztlich hatte man das Gefühl, dass er sich nicht recht entscheiden konnte zwischen homoerotischen Sexgelüsten, Besitzanspruch und welterneuernder Architekturvision. Hannes Liebmann fiel als Vater zum Ende hin gänzlich aus dem Rahmen und hockte apathisch und regungslos längere Zeit vor der Bühne.

Ähnlich unentschieden wie Text und Geschichte geriet das Bühnenbild von Christian Sedelmayer. Eigentlich war es ein Guckkasten, das Schlafzimmer von Silvie und Julian, später das gänzlich verspiegelte Architekturbüro vorstellend. Doch dieser Kasten wurde für einige Szenen aufwendig geschlossen, um das Spiel auf einen schmalen Steifen vor der Bühne zu beschränken. Gründe dafür blieben ebenso nebulös wie der Gamsbock auf den Türen des Kastens.

Die Inszenierung, von Regie und Darstellern ambitioniert und tapfer durchgestanden, zeigte mäßigen Inhalt und wenig artifizielle Ideen. Mit Abstand betrachtet gab die Geschichte nichts her, was man nicht schon wusste und das in recht kärglicher dramatischer Sprache. Das Auftragswerk (Werkauftrag des TT Stückemarktes, gestiftet von der Bundeszentrale für politische Bildung) von Anna Habermehl (Jahrgang 1981) ist nur ein weiterer dramatischer Entwurf, in dem nicht gesellschaftliche und individuell menschliche Realität erhellt wird, sondern dem unverdaute Befindlichkeiten einer jungen Autorin entströmen, die sich und ihre Gefühlswelt zum Nabel der Welt erklärt. Es ist ein pubertäres Werk, das im Höchstfall einen Drang offenbart. Aber wen drängt es heutzutage nicht, sich mitzuteilen? Den Darstellern, deren Beruf es doch immerhin ist, Botschaften zu transportieren, war das Missbehagen teilweise ins Antlitz geschrieben. Vermutlich haben auch sie sich beim Lesen des Textes gefragt, was könnte dieser Stoff zur politischen Bildung beitragen?


Wolf Banitzki

 

 

 


Daddy

von Anne Habermehl

Anne Schäfer, Christina Scholz-Bock, Felix Klare, Hannes Liebmann, Dirk Ossig

Regie: Alexander Nerlich

Theater im Marstall Phaidras Liebe von Sarah Kane


 

 

Der Untergang als Manifest

Phaidra, mit König Theseus verheiratet, liebt ihren Stiefsohn Hippolytos. Die Liebe bleibt in Euripides Drama, der Vorlage für Sarah Kanes dramatischen Entwurf, unerwidert. Wie bei Euripides steuern auch in Kanes Stück die Helden dem sicheren Untergang entgegen, hier allerdings ohne Mitwirkung der Götter.

Sarah Kane, die mit "Zerbombt", einem dramatischen Aufschrei, erstmals Mitte der neunziger Jahre auf sich aufmerksam machte und die 1999 ihrem Leben mit dem Sprung aus einem Klinikfenster ein Ende setzte, war wohl die kompromissloseste Autorin ihrer Zeit. Nur der denkbar schlimmste Ausgang ihrer Geschichte erschien der Autorin tauglich, die Botschaft zu transportieren. Dramaturgin Andrea Vilter bemerkt im Programmheft zu dieser Art Texten zu Recht, dass es fatal wäre, sich dauerhaft mit dieser Erzählweise auf dem Theater einzurichten. Doch die Provokation ernst zu nehmen, hält sie für richtig und eine Provokation ist die Inszenierung im Marstall unbestritten. Darauf verweist nicht zuletzt der Aufdruck auf der Eintrittskarte: "geeignet ab 16 Jahre".

Regisseur Florian Bösch lebte die Herausforderung orgiastisch aus. Das Appartement des Königssohns ist Müllkippe einer Fastfoodgesellschaft, gleichsam den Seelenzustand Hippolytos beschreibend. Der Part des jungen Blaubluts gelang in dieser Inszenierung am eindrucksvollsten. Oliver Möller gibt überzeugend einen scheinbar zynischen, die Liebe und das Leben verachtenden Juppie, dessen Leben keinen anderen Inhalt mehr hat als die Destruktion. Der sexuelle Akt, ihm selbst zuwider, ist dabei sein Mittel. Er nimmt und verwirft und alle Welt liegt ihm dabei zu Füßen. Der scheinbare Zynismus resultiert aus der uneingeschränkten Aufrichtigkeit und es fällt schwer, dem einsamen Mann zu widersprechen. Seine Wahrheiten sind für alle verstörend und seine abgründige Direktheit in einer Welt des common sense macht ihn letztlich so anziehend.
 
 

 
 

Ulrike Willenbacher, Oliver Möller

© Thomas Dashuber

 

 

Phaidra, gespielt von Ulrike Willenbacher, nähert sich ihm mit dem heftigsten Begehren und wird verschmäht. Doch diese Schmähung ist vielleicht der einzige Beweis für Hippolytos Zuneigung, begründet er sie doch mit dem nachfolgenden Ekel, der ihm aus dem sexuellen Akt erwächst. Leider ist Ulrike Willenbacher, die offen und bis zur Selbsterniedrigung um seinen Körper buhlt, gelegentlich nicht frei von Pathos. Und genau das ist etwas, was dem Stück und auch der Inszenierung abgeht. Hier geht es um das Leben und nicht um einen dramatischen Entwurf desselben. Das Spiel ist kurz (höchstens eine Stunde) und heftig. Andrea Vilter hat an der Vorlage in nicht unerheblicher Weise den Stift angesetzt mit dem Ergebnis, dass den übrigen Darstellern kaum Raum geblieben ist, profilierte Figuren zu etablieren. So bleiben ihre Auftritte, insbesondere die des Arztes (Stefan Wilkening) und des Pfarrers (Marcus Calvin), episodenhaft. Dabei ist der Dialog zwischen Hippolytos und dem Pfarrer, der erscheint, um eine verlorene Seele zu retten, höchst bemerkenswert. In ihm bewies die Autorin ihre Fähigkeit zur tiefer gehenden weltanschaulichen Auseinandersetzung. Beendet wird die ganze Geschichte durch den fast wortlosen Auftritt des Theseus (Felix von Manteuffel), der in einem Blutbad gipfelt. Und wenn hier von einem Blutbad die Rede ist, so kann das getrost wörtlich genommen werden.

Ästhetisch abgründig und inhaltlich alle Grenzen überschreitend ist diese Inszenierung. Sie spricht vornehmlich jugendliche Zuschauer an, die Dank oder nicht Dank der Medien und der Filmindustrie an derartige Bilder gewöhnt sind.

Sarah Kane lehnte die antiken Dramen ab, da sie die Geschichten "nur" erzählten und nicht zeigten. So werden die Zuschauer, die noch an eine Katharsis von innen glauben, schwerlich Zugang finden zu diesem Manifest des Untergangs, das die Autorin vornehmlich für ihre Generation mit blutigen Lettern schrieb.

 
Wolf Banitzki

 


Phaidras Liebe

von Sarah Kane

Lisa Wagner, Ulrike Willenbacher, Marcus Calvin, Felix von Manteuffel, Oliver Möller, Stefan Wilkening

Regie: Florian Boesch
Bühne/Kostüme: Stefan Hageneier
Musik: Martin Schütz

Theater im Marstall Walzers Erfindung von Vladimir Nabokov


 

 
Von der großen Stille

"Die alten Bücher sind im Irrtum. An einem Sonntag wurde die Welt geschaffen.", schreibt Vladimir Nabokov in seiner Biografie. Und sein Held Walzer sucht die Welt in den Status der Stille und des Sonntags zu setzen, um einer besseren neuen Raum zu geben. Notfalls ist er bereit diesen Zustand mit Gewalt herbeizuführen, wobei es für diese Art Visionen immer bei notfalls bleiben wird, wie uns die Geschichte lehrt. Stets entgleitet dem Visionär der Einsatz von Gewalt und erst das völlige Desaster setzt das Ende. So auch in der tragischen Komödie "Walzers Erfindung", welche 1938 in Paris entstand, nachdem Nabokov das zweite Mal ins Exil gegangen war. Als Jugendlicher verließ er Russland nach der Oktoberrevolution, später dann Nazideutschland.
 
 

 
 

Thomas Loibl

© Thomas Dashuber

 

 

In der von Carsten Dane, der auch für die Regie zeichnet, erarbeiteten Spielfassung beginnt das Stück mit der Sitzung der Generäle und des Ministers, einer hermetischen eingeschlossenen Gemeinschaft. Sie ist verstrickt in ihre eigenen Mechanismen. Das Auge des Ministers (Helmut Stange) trübt ein Staubkorn. Abwechselnd versuchen sich der Oberst und die Generäle an dem Staubkorn, doch ohne Erfolg. Es sitzt noch im Auge des Ministers als der Erfinder Salvator Walzer vorstellig wird, um seine neue Wunderwaffe zu präsentieren. Walzer singt mit der Inbrunst des begnadeten Fantasten: "Was unterscheidet so ein Staubkorn schon von den genialsten Ideen?" Die von ihm erfundene Waffe zeigt verheerende Wirkung, mit Hilfe derer sich Walzer bis zum Präsidenten "hochpresst". Zu Anfang steht seine Idee von der besseren Welt und er fordert noch auf: "Meine Herren, leisten sie sich Geist ...". Den Erfinder, den Despot, den Poet und den Psychopath verbindet die enorme Vorstellungskraft, wie der Oberst (Ulrich Beseler) bemerkt, und Thomas Loibl als Walzer, versteht es ausgezeichnet alle diese Charaktere zu vereinen. Doch im Laufe der Zeit reduziert er Walzers Facetten und es bleibt nur noch das psychotische Beharren des Machtberauschten auf Stille und die völlige Abrüstung.

Carsten Dane führt straff durch die einzelnen Stationen der Geschichte, die in der völligen Zerstörung endet, wie der Zuschauer bildhaft durch die übergroßen Monitore aus der Zeit der Anfänge des Bildschirmzeitalters erfährt. Die Monitore, die das Hauptmerkmal des von Nicolas Baginsky sinnfällig gestalteten Bühnenbildes darstellen, sind die Verbindung zur Welt, zu den feindlichen Raketenstationen oder zur Tochter General Zorns.

Lediglich einmal entgleitet die Inszenierung ins platt plakative, nämlich als der Minister und die Generäle als "Damen" verkleidet um die Gunst des Herrschers schlampen. Es ist die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies, die die Menschen treibt, sie wahllos nach Mitteln zur Herstellung desselben greifen lässt. Ansonsten nimmt das Stück durch eine Brechung ins Absurde den Figuren ihren Bezichtigungcharakter, - doch, diese Geschichte, ob vergangen oder gegenwärtig ist nur zu präsent. Die Umsetzung und Reduzierung des großen Schicksalsbogens von der Idee bis zu deren Ende ist in dieser Inszenierung wohlgelungen und die eineinhalb Stunden eröffnen tiefe Einblicke. Die Antwort auf die Frage: Ist und bleibt Zerstörung die einzige Lösung die Mensch kennt?, wird eindeutig mit Ja beantwortet. Wie wenig tauglich jedoch die Ausübung von Gewalt zur "Herstellung von Frieden" ist, erfahren wir jeden Tag aufs Neue.

 
C.M.Meier

 

 


Walzers Erfindung

von Vladimir Nabokov

Peter Albers, Ulrich Beseler, Rudolf Waldemar Brem, Alfred Kleinheinz, Christian Lerch, Thomas Loibl, Helmut Stange, Johanna Freya Sembritzki

Konzept/Regie: Carsten Dane

Theater im Marstall Ein Triptychon von Edna O'Brien


 

 

Gruppenbild mit unsichtbarem Mann


Die irische Autorin Edna O´Brien bescherte dem Theater mit "Ein Triptychon" tatsächlich ein dreigeteiltes Bild mit den Porträts dreier Frauen. Im Mittelpunkt steht mehr oder weniger Pauline, eine permanent betrogene Ehefrau, die verzweifelt um ihren Lebensanspruch kämpft, der weitestgehend auf den Mann reduziert zu sein scheint. Daneben agieren ihre Tochter Brandy, ein Teenager, auf ebenso verzweifelter Suche nach dem Sinn von Liebe und Partnerschaft, und Clarissa, Schauspielerin und die Geliebte des Ehemanns von Pauline.

Das Bühnenbild von Kazuko Watanabe orientierte sich an der Vorgabe aus dem Bereich der Bildenden Kunst und enthielt drei Parallelorte, ein Kinderzimmer, einen Salon und eine Schauspielergarderobe. Die Orte sind nicht voneinander abgetrennt, so dass ein Hinüberwechseln einfach und keineswegs störend ist. Den Hintergrund dieses Triptychons bildet der allgegenwärtige unsichtbare Henry, Objekt der Begierden aller drei Frauen. Über eine und eine dreiviertel Stunde wird ein Beziehungsgeflecht zwischen den Frauen ausgebreitet, das am Ende im Nichts strandet. Es war auch nicht das Anliegen der Autorin, eine befriedigende Lösung zu finden. Wie im Programmheft nachzulesen ist, wäre ihr eine solche Lösung realitätsfremd. "Ich habe Frauen in einsamen, verzweifelten und oft auch erniedrigenden Umständen geschildert, Frauen, die häufig Opfer von Männern waren und fast immer nach einer emotionalen Katharsis gesucht haben, die niemals kam."

Wenn dieser Abend einigermaßen kurzweilig geriet, war das in erster Linie den Darstellerinnen zu danken. Ihnen gelang durchweg eine starke Gestaltung von Charakteren. Lena Dörrie agierte mit dem Ungestüm der Jugend, trommelte und tanzte sich aggressiv den Frust aus dem jugendlichen Leib und fand nebenher auch leise, sehr berührende Töne. Anna Riedl gab eine defensiv handelnde Geliebte, die dennoch, vielleicht einer verborgenen Romantik folgend, auf ihr Lebensglück beharrte, das sie zu einigen Opfern zwang. Dominiert wurde die Szene jedoch von Krista Posch als Pauline, der dauerhaft betrogenen Ehefrau. Ihr Wechsel von kämpferischer Alphafrau (im Heim und am Herd) und einer zutiefst Verzweifelten, die mit dem Mann allen Halt einbüßt, war so sprung- wie glaubhaft.
 
   
 

Krista Posch, Anna Riedl, Lena Dörrie

© Thomas Dashuber

 

 

Die Regie von Harald Clemen blieb dezent und somit weitestgehend unbemerkt. Unambitioniert und geschickt verwob er die Texte über die natürlichen Grenzen der Handlungsorte hinweg. Die Inszenierung und die Darstellung waren organisch und ohne Makel und dennoch war es kein befriedigender Abend. Die Sicht Edna O´Briens auf das Problem erscheint zu eng fokussiert, so dass die Aussage sehr begrenzt bleibt. Die weibliche Psyche ist stark reduziert, fast simpel, und leistet damit möglicherweise einer machohaften Männersicht Vorschub. Wer will es Henry nach dieser Geschichte verargen, dass er sich so hemmungslos auslebt? Wenn die Frauen am Ende des Stückes den Totalverlust des geliebten Mannes konstatieren müssen, wird dieser endgültig zur Überfigur stilisiert, der alle drei nur verfallen waren. Wie es aussieht, stößt die Autorin in diesem Stück an Ihre eigenen Grenzen, die aus der selbst gewählten und verteidigten Einsamkeit resultieren. So blieb die Geschichte unterm Strich zu klein, was durch den eher peinlichen Schluss besiegelt wird. Henry erliegt einer märchenhaften Sirene und wird auf die tosende See gelockt.

Aber vielleicht ist das alles nur ein geschlechtsspezifisches Missverständnis? Edna O´Brien: "Ich fürchte, ich verschrecke Männer mit den Signalen, die ich ihnen sende." Wie wahr.

 
Wolf Banitzki

 

 


Ein Triptychon

von Edna O'Brien

Anna Riedl, Krista Posch, Lena Dörrie


Regie: Harald Clemen

Theater im Marstall Die Kriegsberichterstatterin von Theresia Walser


 

 

Homo homini lupus

Herr Fütterer (Gerd Anthoff), Leiter eines marginalen Institutes für Sprachthesaurierung, veranstaltet zum Herbstbeginn sein alljährliches Betriebsfest im heimischen Garten. Das Ritual gipfelt in der Auszeichnung besonders herausragender Mitarbeiter, die jedoch im darauf folgenden Jahr fatalerweise nicht mehr unter den Lebenden weilen. Das könnte einen tieferen Sinn in der Tatsache haben, dass der Institutsleiter als solcher längst überfällig ist. Sein Habitus, er sieht sich in geradezu göttlicher Mission, lässt jedoch überdeutlich erkennen, dass er zum Abtreten nicht bereit ist, selbst wenn er diesen Schritt immer wieder ankündigt.
Im Bühnenbild von Stefan Hageneier, bestehend aus einem Brechtvorhang und einem nichts näher definierenden Garten, entwickeln die Institutsmitarbeiter ein Spiel aus Falschheit, Lüge, hemmungsloser Arschkriecherei und letztlich auch Terror. Alle aber eint die Angst um den Verlust ihres so fragwürdig gewordenen Jobs, denn das selbstverliebte und inzwischen pathologische Züge tragende Treiben des Direktors hat die Unternehmung selbst in Frage gestellt.


Dieses von Theresia Walser so sinnfällig gewählte Vehikel zur Spiegelung eines Gesellschaftsmodells hält alle Fenster offen für den geneigten (gesellschaftskritischen) Zuschauer. Die Autorin schuf zudem ein breit gefächertes Spektrum von Figuren, das wenig Realitätsbezug ausspart. Iris Schwerdtfeger (Ulrike Arnold) erzählte die kleinbürgerliche Variante der im Büro alternden ungeliebten Firmensoldatin. Marcus Calvins Mückenmüller war der magensäurespukende Möchtegern mit Anspruch, den er nicht erfüllen kann, was er mit besonderer Windschlüpfrigkeit zu kompensieren versuchte. Nebenher pflegt er eine Liaison mit Frau Fütterer, die von der Institutsarbeit keine Ahnung hat, sich aber, wie die letzte Szene zeigt, auf die Erbfolge verlassen kann. Die obligatorischen Verlierer im Räderwerk waren Peter Albers von Verdauungsproblemen geplagter Herr Sommer und die Allergikerin Olga, gespielt von Lisa Wagner. Eva Schuckhardt gab die Figur der Frau Kanopke mit einem Rest von natürlichem Oppositionsgeist, der damit begründet wird, dass sie bereits als Taxifahrerin gearbeitet hat, soziale Abgründe kennt und sich vor ihnen nicht fürchtet. Mittendrin die neudeutsche Erwerbung Herr Jossi. In der Rolle des Ex-Stasimitarbeiters brillierte Michel Tregor.

   
 

Michael Tregor, Eva Schuckardt, Peter Albers, Ulrike Arnold, Gerd Anthoff, Beatrix Doderer

© Thomas Dashuber

 

 

Die Wendung der Geschichte wurde mit dem Auftauchen der Kriegsberichterstatterin eingeläutet. Christine Schönfeld brach in das Bild wie ein gehetztes Tier und verkündete Schauerliches aus den Nachbargärten. Dort tobe ein Krieg und man solle Maßnahmen treffen. Wer Metaphern zu lesen versteht, wusste fortan, dass dieser Krieg längst auch im Garten der Fütterers tobt. Gemeint war der kultivierte Krieg, der kalte Krieg, der sich in seinen Opferzahlen kaum von den heißen Kriegen unterscheidet. Auch dieser Krieg forderte seinen Tribut und am Ende bleiben nur die Patriarchin Frau Fütterer und ihr auf ein stammelndes Nichts reduzierter Ehemann übrig.

Was als Episches Theater vor dem Brechtvorhang begann, ließ Regisseur Florian Boesch als Aristotelisches Theater, nämlich in der großen Katharsis enden. Selten sah man in letzter Zeit auf Münchener Bühnen eine so entlarvende Sicht auf das aktuelle gesellschaftliche Dilemma und offensichtlich gehört schon wieder Mut dazu, die Dinge so deutlich zu benennen, wie die Verhinderung der Uraufführung des Stücks am Stadttheater Konstanz beweist.

Theresia Walser hat Mut bewiesen und mehr als das, denn ihre Analyse der gesellschaftlichen Zustände beweist neben ihrem dramatischen Talent und ihrer künstlerischen Intelligenz auch eine gesunde Weltanschauung, die uns verrät, dass bei aller Kultiviertheit, mit der wir uns so gerne schmücken, der Mensch noch immer des Menschen Wolf ist. Was höchst komisch begann und alle beteiligten Schauspielern zu exzellenten komödiantischen Leistungen trieb, endete als blutige Einsicht hinter alle Kulissen des heutigen Daseins. Auch wenn die Autorin keinen Ausweg anbietet, so entlässt sie und unzweifelhaft auch die Inszenierung im Marstall den Zuschauer mit der Gewissheit, dass der kommenden Katastrophe Einhalt geboten werden muss. Mehr noch, sie stellt diese Gesellschaft in ihrem heutigen Gewand deutlich in Frage. Zu dieser Leistung kann man der Autorin und den Machern der Inszenierung nur gratulieren.

 
Wolf Banitzki

 

 


Die Kriegsberichterstatterin

von Theresia Walser

Ulrike Arnold, Gerd Anthoff, Beatrix Doderer, Lisa Wagner, Marcus Calvin, Anna Riedl, Eva Schuckardt, Michael Tregor, Peter Albers, Christine Schönfeld

Regie: Florian Boesch