Theater Halle 7 UA Stehende Gewässer von Markus Bauer


 

 

Der Weg des Irdischen

Wer die Idylle unberührter Natur betrachtet, erfährt ihre Schönheit, Vollkommenheit und Ruhe. Der Mensch findet in ihr zu seinem Gleichgewicht, erfährt Entspannung und Bereicherung. Naturgemäß nur bei oberflächlicher Betrachtung, denn der schöne Schein trügt für den Augenblick über die allgegenwärtigen mörderischen Abgründe und den Verfall hinweg. Die blühende Rose auf dem See überstrahlt das unter der Oberfläche verfaulende Blatt ihrer Schwester, mit der sie doch an einer Wurzel hängt. Die fröhlich schnatternde Ente macht vergessen, wie viele Kaulquappen in ihrem Schnabel verschwanden. Die glatte Oberfläche des scheinbar bewegungslosen Wassers spiegelt die Wolken, die Pflanzen, die Umgebung wieder, ebenso wie das Gesicht von Narziß und allen Menschen, sie sich durch Leben zu erkennen suchen.

Es ist ein verwahrlostes Haus am See, das Inge und Johann Wiesheu erben. Der Garten ist verwildert, die vielen Zimmer sind verkommen und „der See atmet nachts sein Geheimnis aus“. Das stehende Gewässer zieht in seinen Bann. Die Beiden eröffnen eine Pension, vermieten Zimmer und Inge kocht als zeitgemäße Dienstleisterin den Morgenkaffee. Die Kinder Cora und Martin werden erwachsen, suchen ihren Weg zu und ins Leben. Doch es scheint die Zeit still zu stehen in dem Haus am See und der Handlungsspielraum ergeht sich in Wiederholungen.

Der Autor Markus Bauer verfügt über eine dichte, sehr eigene Sprache. Er setzt immer wieder erstaunliche Wendungen. In seinem Stück vermischen sich Träume und Realität - die abgehackten Sätze und die eingestreuten Erkenntnisse geben die Gedankenwelten der Figuren wieder, diese werden unterbrochen von kurzen banalen alltäglichen Dialogen. Sprechen die Menschen noch miteinander, oder sind die Einzelnen nicht längst in ihre Gefühlswelt abgedriftet? Die Zeitsprünge, im Text durch Angabe der Jahreszahl verdeutlicht, veranschaulichen den Stillstand, die Zeitlosigkeit in der die Figuren festhängen. Nichts ändert sich tatsächlich. Der Absprung, der Ausweg aus dem Dilemma des Alltags bleibt Traum – unrealisiert.  Das preisgekrönte Werk „stehende gewässer“  wurde 2009 beim Stückemarkt des Berliner Theatertreffens gelesen und nun im Theater Halle 7 uraufgeführt.

Alex Novak führte Regie und die Zuschauer über unmissverständliche Bilder direkt an das stehende Gewässer. Plastikfolien lagen über die Bühne verstreut und unter diesen verschwanden die Darsteller abwechselnd, rangen nach Luft, erstarrten, rissen Löcher, um zumindest das Gesicht freizulegen. Dieses Ringen kann dem Versuch zu Überleben im Wasser des Gefühls ebenso gleichgesetzt werden, wie dem Ringen gegen das die Erde und die Menschen langsam überziehende Plastik, die Erstarrung in durchsichtiger Welt. (Bühne Livia Schoeler, Alex Novak)  Die Langeweile der Idylle überbrückten Inge und Johann mit dem Rauchen von Zigaretten und dem ständigen Genuss von Wein und Bier. Beatrice Murmann verkörperte Inge, die an den Vorbildern der Siebziger Jahre orientierte Frau und Mutter. Zwischen Traum und Scheitern gefangen, suchte sie dramatisch aufbegehrend einen Weg, kämpfte sie verzweifelt gegen der Verlust von Johanns Aufmerksamkeit. Die Türe zu ihrem Wunschziel Reykjavik fand sie dennoch nicht. Für Johann, Sebastian Schäfer, blieb nach der Fertigstellung des Hauses nur die probate Selbstbestätigung durch Affären. Von kraftvoll strebend bis enttäuscht, selbstgefällig, vereinsamt, resigniert,  reichten die Facetten, welche er erspielte. Der Sohn Martin liebte den Ort unter einer Brücke, an den Bahngeleisen, und pflegte diesen als seine Welt. Hierin hatte er auch Lotte, seine Jugendliebe, aufgenommen. Dieter Fernengel gab einen träumerischen bindungsunfähigen, doch überaus ambitionierten jungen Mann. Die Realität des Jobs wurde angedeutet, doch den Platz in seinem Innern nahm Lotte ein. Livia Schoeler, Lotte, agierte erst nur hörbar aus dem Publikum, ehe sie auf die Bühne trat, ehe sie im Hintergrund verschwand, um wieder aufzutreten. Eine wandernde und doch stets wieder an den Ort des Gefühls zurückkehrende Figur. Ihre Bemühungen blieben andeutend und stets auf Distanz bedacht, scheinbar nur die körperliche Begegnung verband sie mit Martin. Den konsequentesten Fluchtversuch unternahm Cora, sie griff zu Drogen. Flucht, Entzug, Scheitern und erneute Flucht, so zeichnete Magdalena Pohlus die gefühlvolle junge Frau und Mutter. Ihre Sehnsüchte suchten ein  Objekt und wie in letzter Verzweiflung sprach sie ihren Vater an. Das ungelebte Gefühl drückte sie in Johanns Arme, der ihr aber doch die Grenze setzte. Die Sehnsucht gegen die menschliche Haltung, welche die Darsteller in dieser Szene vergegenwärtigten, war überaus nachhaltig beeindruckend. Wie die Darstellung insgesamt, die sehr gefühlsbetont umgesetzt wurde, jedoch immer die Grenze zum Text hervorhob. Was als intensiver Eindruck blieb, ist die Bestätigung von Unvereinbarkeit. Keiner hat je genug gelebt. Und was ist das Leben? „  ... muss man aushalten können.“
 
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Sebastian Schäfer, Dieter Fernengel

© Astrid Ackermann

 

Das Miteinander, die bislang gepflegten Lebensrollen und Modelle werden ausgehöhlt durch Streben nach Selbstverwirklichung. Zu Tage tritt das Einzelne, das an sich und in sich nichts weiter ist, als die bedauernswerte, ihren Schwächen folgende Kreatur. Denn erst die Rolle gibt Form und Halt, die Ideale führen und füllen das Streben. Hier liegen die Anfänge für den Menschen, der die Natur – auch seine eigene – zu gestalten sucht und in dieser Gestaltung Erfüllung und Sinn findet. Die Kreatur per se ist tierisch und folgt als solche ihren Instinkten, ihren naturgemäßen Eigenschaften. Allein die idealisierten Rollen, wie sie bislang im Bürgerlichen gelebt wurden, boten dem Betrachter ein wohlgeordnetes Bild, täuschten über die Abgründe hinweg, die sich hinter den idyllischen Fassaden verbargen. Der Wegfall der Rollenbilder führte unmittelbar in die Natur zurück, ins Tierische und hier entpuppt sich die Selbstbefreiung als Sackgasse. Diese Ebene wurde durch die Inszenierung von Alex Novak sichtbar. Es war eine überaus gelungene Aufführung, welche durch adäquate Bilder und differenzierten Spielgestus Inhalt und Text beförderte. Selten sieht man sich so unverstellt der Natur gegenüber, der Natur, aus der es keinen Ausweg gibt.

„Misstraue der Idylle, sie ist ein Mörderstück. Schlägst du dich auf ihre Seite, schlägt sie dich zurück.“, schrieb Andrè Heller. Und diese Sätze fassen das Theaterstück von Markus Bauer auf treffendste Weise zusammen.


 
C.M.Meier
 

 


UA Stehende Gewässer

von Markus Bauer

Beatrice Murmann, Magdalena Pohlus, Livia Schoeler, Dieter Fernengel, Sebastian Schäfer

Regie: Alex Novak

Theater Halle 7 Gespräche mit Astronauten von Felicia Zeller


 

 
Festgefahren und literarisch bestätigt

Die Beweggründe und Verhalten der Mitglieder einer Gesellschaft dienten seit alters her als Vorbilder für Geschichten. Sei es als erklärende, sei es als warnende, sei es als einfach nur unterhaltende Beispiele finden diese Verbreitung. Die Veröffentlichung dient aber auch der Bestätigung, ebenso wie dies eine wissenschaftliche Betrachtung tut, und eine solche könnte man diese Inszenierung von Felicia Zellers „Gespräche mit Astronauten“ durchaus nennen. Was als Laborversuch über Frauen, Karriere und die Erfüllung des in vielfachen Schriften aufgestellten Lebensprogrammes für Emanzipierte daherkommt, ist ebenso deren Billigung.

Billigkräfte waren sie schon immer, die Frauen. Und seit die einen Frauen in der Gesellschaft die Seite wechselten, rücken auf ihre Plätze die anderen, die eine Chance zum Seitenwechsel suchen, nach. Junge Frauen aus weniger durchstilisierten Ländern, oder übertrieben gesprochen von „anderen Sternen“, suchen ebenfalls ihr Glück. „Au Pair“ bedeutet „auf Gegenseitigkeit“. Und von Au-Pair-Kräften handelt das Stück. Olanka, Anjuschka, Olga und Irina spielen nun die herkömmliche Frauenrolle, die Gegenseite zu den gestressten Power-Frauen in den Männerrollen. Denn auch die Power-Frauen arbeiten immer noch billiger als Männer und vor allem auch williger, spielen also auch noch mit, wenn Männer längst den Gesellschaftsprozess verlassen haben. Dabei bedienen sie wiederum nur das uralte Modell, dem sie zu entfliehen suchen, halten den Seitenwechsel für Fortschritt. Es zeigt wohin Emanzipation wörtlich genommen, also als Gebrauchsanweisung gelesen und umgesetzt, führt.

Felicia Zeller ist eine vielfach ausgepreiste Autorin, mit einem klaren Motto: „ Es ist immer das Alltägliche, was ich beschreibe.“ Und um eben dieses Alltägliche deutlich herauszustellen, inszenierte die Regisseurin Sahar Amini das Stück völlig frei in einen steril wirkenden weißen Raum. Es entstand eine Versuchsanordnung in welcher auch die Schauspielerinnen weiß gekleidet agierten, Prototypen mädchenhaft asexuell. Es herrschte absolute Sauberkeit (Licht: Peter Arne Friedrich), als wären die Weiße RiesIn und MeisterIn Proper gleichzeitig anwesend (Bühne und Kostüme von Claudia Stolle). Vier jungen Frauen betraten die Bühne, in den Händen hielten sie ihren kleinen bunten Reisetaschen, welche sie am Eingang in einer Reihe abstellten, mussten sie doch von nun an die Hände frei haben, um zu bügeln, waschen, putzen. Agnes Burger, Tatjana Günther, Mila Kostadinovic und Viktoria Lewowsky trugen abwechselnd, als Chor und Einzelpersonen die Fülle der Sätze, Satzmuster und  Deklinationen vor. Text und doch kein Text, sind es doch Phrasen des Alltags und der Medien, millionenfach wiederholt und permanent neu aufgelegt, welche in dieser Sprachperformance brilliant vorgetragen und vielfältig nuanciert zu Gehör kamen. Ein „kakofoner babelscher Turm“, so beschreibt es das Programm. Vom korrekten Zusammenlegen der Bügelwäsche, dem richtigen Putzlappen und seiner Nutzung, wie von der Fahrt zur Arbeit und dem Ausgang einer entscheidenden Besprechung reichte die inhaltliche Palette. Trotz des abwechselnden Vortrages blieb das monologhafte des Stückes deutlich, als fände Gleichschaltung statt. Wirkten die Auftritte und Szenen anfangs durch differenzierte, den Text unterstützende Chroreographie, so erkannte man gegen Ende immer mehr die ferngesteuerten Roboter. Die Technik als Gegenpart prägt überdeutlich die Mitglieder und die Vorgänge in der Gesellschaft. Dieser Vorgang wurde sehr gut sichtbar gemacht.
 
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Tatjana Günther, Agnes Burger, Mila Kostadinovic, Viktoria Lewowsky

© Astrid Ackermann

 

Der Titel des Stückes scheint irreführend, denn es finden keine interessanten Gespräche oder Nachrichten aus dem All den Weg ans Ohr des Zuschauers, und es ist auch nicht die Perspektive des Astronauten auf die Welt aus der die Worte folgen. Nein, es agieren Figuren im luftleeren spannungslosen Raum, veranschaulichen die Banalität des Wichtigen. Es sind nur die auf der Erde Verbliebenen, die Zeit totschlagen in einer Endlosschleife. Nach einer Viertelstunde sind Inhalt und Abfolge des Werks geläufig, nach einer halben Stunde drängt sich die Frage nach dem Sinn auf und nach einer Dreiviertelstunde erkennt man, dass es für die Marionetten der Technik auf dem Raumschiff Erde keine Erlösung mehr gibt. Der Autorin gelang, sprachlich bemerkenswert kunstvoll ausgefeilt und variiert, ein Destillat des deutschen Mütterkanon.


Der Abenteuerraum Erde bietet immer noch weitaus mehr Gestaltungsmöglichkeiten als bislang vorstellbar. Setzten sich Margarete Mitscherlich und Simone de Beauvoir noch intellektuell mit Weiblichkeit und deren Mechanismen auseinander, so bleibt scheinbar für die zeitgenössischen Autorinnen nur noch die spiegelhafte Wiedergabe oberflächlicher Abläufe. In eben diese agitative Oberflächlichkeit driftete die Gesellschaft in den letzten zwanzig Jahren. Dabei gälte es doch die Erkenntnisse der Vorgenerationen weiterzuführen und in Lebensbereicherung umzusetzen.

Mit der Auflösung des klassischen Menschenbildes, dem Wegfall des Spannungsfeldes zwischen den Geschlechtern, zwischen Mann und Frau, zerfällt auch die Lebendigkeit des Daseins. Die weiblichen Organismen gefallen sich in  übertriebener Pflichterfüllung und Nachahmung, während die männlichen Organismen in den Abenteuerraum All flüchten, ins Private oder in die berauschte Selbstzerstörung.  Ein aufkommendes Müttertum löst zweitausendfünfhundert Jahre Kultur ab, ersetzt diese durch gefühlte Belanglosigkeit und eine das technische System erfüllende Perfektion. Wer diesen sehenswerten Spiegel erschaut hat, fragt trotz aller netter Unterhaltsamkeit: „Wann geht die nächste Rakete nach ...?

C.M.Meier

 

 


Gespräche mit Astronauten

von Felicia Zeller

Agnes Burger, Tatjana Günther, Mila Kostadinovic, Viktoria Lewowsky

Regie: Sahar Amini

Theater Halle 7  Villa Dolorosa von Rebekka Kricheldorf


 

 
An den Grenzen

Eine Gesellschaft die auf der Stelle tritt – Veränderung, doch wie, wohin, wozu? Nirgends stellt sich so deutlich die Frage nach dem Sinn, wie in den Augenblicken an denen man an seinen Abgründen steht. Die moderne Gesellschaft steht an Grenzen und die Menschen finden sich zu Gruppen zusammen, zu Sippen und suchen nach Freiräumen, suchen ihre Möglichkeiten, ihre Anlagen zu leben. Alle Wege sind offen und doch scheint keiner gangbar, was bleibt ist der Kompromiss als Lebensprinzip an dem man verzweifelt. Der Alltag, die kleine Realität, siegt immer. „Aufstehen, sich waschen, leben, schlafen, sich waschen, leben, schlafen, aufstehen ...“ Der Alltag kümmert sich nicht um ideologische Gesellschaftsprinzipien oder persönliche Lebensideen, er führt sein unmittelbares Eigenleben.

Nahtlos geht ein Geburtstag in den nächsten über, als wäre ein Tag wie ein Jahr und die Zeit eine Illusion. Der Weg auf der Via Dolorosa wird seit zweitausend Jahren gepflegt und gegangen. Er mündet nun in der Villa Dolorosa, in einen äußeren statischen, vom Verfall bedrohten Zustand in dem im Gegenzug das Innere des Menschen an einen Laufsteg genagelt, präsentiert wurde.

Irina feiert Geburtstag, drei missratene Geburtstage in Folge – feiern, reden, reden, scheitern – dazwischen dringen die Veränderungen durch. Sie sucht ihren eigenen Weg, hängt ab im Bett, wie die Liste der Seminare an der Wand hängt und reflektiert jeden Tag zwischen sieben Uhr morgens und Mittag. Ein sensibles nach Sinn suchendes Leichtgewicht verkörperte Eva-Maria Kapser, welche von launig lebenshungrig bis starr verweigernd viele Facetten spiegelte. Irinas letzte Hoffnung, nach den abgebrochenen Studien der Philosophie und der Mikrobiologie ist Jens. Er ist öde, doch sie hat beschlossen sich auf ihn einzulassen und die Konsequenz Ehe einzugehen. Doch: Die Möglichkeiten übertreffen bei weitem die Möglichkeiten,  die der Vorstellungen übertreffen die der äußeren Umstände, welche wiederum die reduzieren die im Menschen angelegt sind, und so bleibt nur das Kreuz, oder der Laufsteg auf den Irina sich genagelt fühlt am dritten Geburtstag, an dem Jens mit Susanne ihrer Einladung folgt und sie „ihre letzte Hoffnung“ an der Türe abweisen lässt.

Olga, die Älteste lebt die Vorgaben von Eltern und Gesellschaft, sie ist Lehrerin und zielstrebig. Sie wird Direktorin, „weil kein Besserer da ist“ und vereinsamt völlig. Sie ist sich der Vereinsamung bewusst und geht dennoch einfach weiter. Resolut, bestimmend und innerlich erstarrt, das waren die am deutlichsten hervortretenden Eigenschaften, welche Gabriele Raab der Figur Olga gab.

Mascha die jüngste, unternimmt erst gar nicht den Versuch dem naturgegebenen Modell etwas entgegenzusetzen außer dem Widerstand gegen die Fortpflanzung, die Fortsetzung desselben. Sie hat sich schon früh arrangiert und Martin geheiratet, einen Kollegen Olgas, doch sie nimmt heimlich die Pille um die Vermischung der von ihr erkannten Gene und Anlagen zu verhindern. Arbeit ist für sie „Schweiß und Brote backen“. Anna Maceda figurierte abgeklärte Zurückhaltung, brachte scheinbare Farblosigkeit zum Klingen. Dann begegnet Mascha der Liebe, dem verheirateten Georg und erstarrt in Angst vor der Konsequenz. Maximilian Schweninger stellte den Freund Andrejs vor, aufstrebend, gebildet und doch erkennbar mit dem Kreuz seiner Ehe beladen.

„Was für eine öde Party ... dieses Sitzen, Trinken, Reden ... diese Partys.“  Die Bühne wurde von dem Grundriss des Hauses eingenommen, einzelne Säulen ragten wie Grundpfeiler aus dem Boden, Treppen verbanden den Laufsteg Flur mit dem Außen und den Räumen. Fast konnte der Zuschauer vergegenwärtigen vor einer Ausgrabungsstelle zu sitzen, oder einer Ruine. Frank Campoi gestaltete die Flächen zudem mit Styropor, machte Weichheit und Verletzlichkeit sichtbar dadurch. Die drei Schwestern erschienen in intellektuelles Schwarz gekleidet oder in den zunehmend alkoholgeschwängerten somnambulen Momenten in leichten weißen Nachthemden. „Was für eine öde Party ... dieses Sitzen, Trinken, Reden ... diese Partys.“ Da ist nichts zu ändern, da trinkt man lieber Wodka denn Whiskey, sucht und erkennt verbindend Gemeinschaftliches in einem ehemals östlich des 15 Längengrades praktizierten Prinzip. Regisseur Rouven Costanza inszenierte konsequent und führte die Darsteller, jeden für sich und alle gemeinsam, zu einem in sich geschlossenen Kosmos, der in sich die Gratwanderungen zwischen Lebenslust, Agonie, Hysterie und Selbstzerstörung veranschaulichte. So stand Irina im Türrahmen, trat einen Schritt vor, stieß an, trat einen Schritt zurück, stieß an, trat vor ... trat zurück. Galt es doch die Ausweglosigkeit aufzuzeigen und/oder über Ekstase der Mittelmäßigkeit zu entfliehen. Es gelang ihm nicht nur mit der Vielzahl von einprägsamen Bildern den Spannungsbogen über zweieinhalb Stunden zu halten. Eine sehenswerte vielschichtige bildreiche Inszenierung!
 
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Anna Maceda, Martin Hagenguth, Gabriele Raab, Eva-Maria Kapser,

© Astrid Ackermann

 

Andrej, der Bruder der drei Schwestern, konzipiert einen Roman in dem er ein mögliches zukünftiges Gesellschaftsbild entwirft, bis er Janine begegnet. Martin Hagengut gab einen angepassten, sich den Realtitäten stellenden Andrej, dessen sichtbares Erlebnisspektrum von vergeistigt bis pragmatisch reichte. Kathrin Anna Stahl spielte glaubhaft die simple an Klischees orientierte junge Frau. Sie bringt, ihrer Herkunft gemäß, die einfachen Hobbys wie Nähen und die Gestaltung des Äußeren in die Hausgemeinschaft ein. Janine wird schwanger und die Prämissen ändern sich. Andrej geht einer Arbeit im Kulturamt nach, er führt eine gemeinsame Haushaltskasse ein und rechnet die Schulden hoch, wickelt die Kinder und baut einen überdimensionierten Sandkasten.

Die Anforderungen sind hoch! Es gilt die geerbte Villa, den Lebensraum, zu erhalten und die nötigen Renovierungsarbeiten zu veranlassen, genauso wie den intellektuellen Anspruch weiterzutragen, Erwerbsarbeit zu leisten und bei alledem noch zu persönlichem Leben zu finden. Es gilt schier Unmögliches zu bewerkstelligen. Fehlt Elan oder fehlt Freiraum?! „Alles ist verboten ...“ , stellt Olga an jedem Geburtstag fest. Es herrscht eine Gesellschaftsschicht, die in dem Bild von 17 Verkehrsschildern auf ca. 40 Meter einer Straßenseite gipfelt, welche zusätzlich dem Reglementierten in Rechnung gestellt werden. Aus der Via Dolorosa, dem Lebensleidensweg wurde das Gefängnis Villa Dolorosa. In ihr halten sich Kleinbürgerlichkeit und Sinnsuche die Waage, stehen sich an einer Lebenserleidensfront gegenüber.

Komische Momente und Wortwitz erreichten das Publikum. Eine Komödie, deren tragische Momente zwar durchaus erheiternd wirken, doch damit letztlich nur die Verzweiflung offensichtlich machen. Genaue Beobachtungen, Analysen der Gesellschaft und deren Mechanismen zeichnen das Stück aus. Rebekka Kricheldorf, geboren 1974, macht auf der Bühne Veränderungen und Stillstand am Bild ihrer Generation sichtbar. Anton Tschechow, geboren 1860, schrieb das Stück „Drei Schwestern“  1901 und hielt darin seine Sichtweise auf Einsamkeit, Selbstbehinderung und Lebensüberdruss fest. Kricheldorf aktualisierte dieses in Sprache und Inhalten. Es entstand eine gelungene Adaption eines klassischen Werkes. Und ist damit per se auch nur wieder ein Beispiel für die Möglichkeiten ... welche grundsätzlich dem Menschen offenstehen. Großes Theater!

Andrej, der sich als „Humus für die kommenden Genies“ zu begreifen begann, hält äußerlich mit familiärer Kleinbürgerlichkeit in „der guten alten Ordnung“, Stellung gegen alle Individualansätze und lässt damit die inkonsequenten Versuche der Schwestern schon im Ansatz scheitern. Das ist Alltag, praktizierter Alltag, welcher Abläufe regelt, reale Grenzen aufzeigt, Konsequenz sichtbar macht. Der Alltag, die kleine Realität, siegt immer und dennoch trägt er die lebendigen Gedanken des Einzelnen. „Aufstehen, sich waschen, leben, schlafen, sich waschen, leben, schlafen, aufstehen ...“  oder denken, reflektieren, entwickeln, versuchen, scheitern, aufstehen, sich waschen, denken, schlafen, reflektieren, leben, versuchen ... Der Alltag kümmert sich um ideologische Gesellschaftsprinzipien und Lebensideen, er überführt sie in sein unmittelbares Eigenleben.


 
C.M.Meier

 

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Villa Dolorosa

von Rebekka Kricheldorf

Drei missratene Geburtstage frei nach Tschechows „Drei Schwestern“

Eva-Maria Kapser, Gabriele Raab, Anna Maceda, Martin Hagenguth, Kathrin Anna Stahl, Maximilian Schweninger

Regie: Rouven Costanza

Theater Halle 7 Der Geizige von PeterLicht


 

 

„Ich ... ääh ... ehm ... ääh ...“

Ein weißer Raum. Weicher Stoff, der die Wände des Zeltes bildete in dem sich die Darsteller wie die Gedanken im freien Bewusstsein bewegten, umrahmte die Bühne. Klarheit und Kontrast. Auf dieser Ebene begegneten einander die Figuren wie Beweggründe und behaupteten sich. Part und Gegenpart. Ein Keyboard, eine Gitarre, ein Eimer mit Plastikabfall, ein formloses Sofa waren in Brecht’scher Manier die Requisiten. Klang und Thema. Dann noch das Wesentliche:  Die Kiste mit dem Geld stand auf dem Boden und unter der Decke hing weißes, beliebig transferierbares Luft-Geld. Konkret und Abstrakt.

In diesen Raum (Bühne von Claudia Stolle) inszenierte Regisseur Torsten Bischof die Adaption von Molieres „Der Geizige“. Er folgte damit ganz der Intention des Autors PeterLicht. Die emotionalen Beweggründe, die bei Moliere noch in klassischer Weise die Handlung voranbringen und die Figuren zu Aktion treiben, schienen gänzlich in den weißen Raum transzendiert. Der statische Moment einer umfassenden Erkenntnis, der bildlichen Momentaufnahme aller Eindrücke aus der Umgebung, wurde so in Zeitlupentempo versetzt, bewegt und nachvollziehbar. Das Lächerliche, ebenso wie das Tödliche der Ideologie um Geld und Geiz, der Habsucht und der übertriebenen Sparsamkeit rückte in den Focus der Betrachter, um das Zwerchfell zu reizen. Harpagon am Keyboard, Cleante an der Gitarre, La Flêche am Drum, sowie Élise und  Valére vokal stimmten auf den Act ein. Mitschwingen war angesagt.

Cléante, der Konsument par excellence, war so voll genervt vom Geizigen, war so in „Will-haben“-Laune, so in „will endlich in den Genuss des Flusses“ kommen. „...Es muss morphen.“ Jan Phillip Keller gelang es den Frust einer ganzen Erbengeneration in den Habitus der Figur zu fassen, in den Tonfall, in die Haltung. Endlich für sein Sohnsein und Nichtstunmüssen auf die Kosten zu kommen. Man sah ihm die Überwindung an, die es ihn kostete den Alten wieder um Kohle, Asche, Mäuse, Kröten zu bitten. Verhalten und trotzig. War er doch ein unschuldiger Versager, einer den richtigen Dreh nicht drauf hatte und dem doch soo Viel zustand. „Wieviel brauchst du?“ ... „Na, ... da muss ich Marianne fragen.“ ... „Wie möchtest du es haben?“ ... „Die Hälfte bar, die andere Hälfte überwiesen.“ ... „Wieviel ist die Hälfte?“

Harpagon, Harpi hatte „seine Lebenszeit in Geld umgesetzt“ und war doch Idealist. Er suchte das Reine Geld, die Idee des Geldes, das Abstrakte, die Möglichkeit welche ihm Geld eröffnete. Da erstand der Engel Investor auf der Bühne. Wäre da nicht hinter den Worten auch die Reine Macht des Geldes spürbar geworden, so hätte man es tatsächlich für gelebten Idealismus halten können. Das salbungsvolle Gerede. Agnes Riegl verkörperte vielseitig und lebendig den alternden, aus Prinzip rechnenden und berechnenden Mann, der das Ruder fest in der Hand hielt. Motto: Stellung halten. Der Konflikt zwischen Vater und Sohn Cléante wurde in einem Dialog der Konjunktion und Präposition am deutlichsten. Die angesprochene, doch nie ausgesprochene Rangordnung schwebte zwischen den Worten. Das sub- und nebengeordnet Sein, der Verweis in die Warteposition hing spürbar in der Luft. Und dann noch der Griff des Alten nach der Braut des Jungen. Klammern ans Leben. Doch Marianne war nur ein Bild, war nur ein Klingeln des Telefons ohne dass Verbindung zustande kam. Das überdimensionale Frauenportrait war an die Rückwand des Raumes projeziert und die beiden Männer konkurrierten, zärtlich umschmeichelnd das Bild mit dem Duett „Marianne kommst du mit mir? ...“ - „Die Marianne kommt gleich.“ – Sie kam nie. Der Ring blieb an Harpagons Finger.

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Agnes Riegl, Jan Philip Keller

© Astrid Ackermann

 

Valére war in Élise verliebt. Doch was blieb einem coolen Neusprech-Typ – „Ich ääh ehm ähh …“ - wenn die Angebetete auf die Frage: „Wie bist du drauf?“ wiederholt mit einem universellen „ich weiß nicht“ antwortete. Da führten auch weder das Raphafte, noch der emotionale Ansatz zu einem anderen Ergebnis. „Ich weiß nicht.“ Lisa Zeitter gab eine hübsche und nette Tochter Èlise, setzte sich dekorativ in Szene. Ihr Chansonvortrag war außergewöhnlich und berührend. Doch Valére, blieb Geduldeter und verliebte sich so in eine blaue Hose. Jan Alexander Naujoks gestaltete überzeugend die Begegnung, die Anprobe, das Gespräch mit der Verkäuferin. Alles verhinderte Gefühlsleben floß in die Darstellung um den Einkauf und den Wert, den Werterhalt der blauen Hose. Los der Beziehung.

Und dann war da noch La Flêche, wie eine geduldete Randfigur, auf der Bühne. Ruben Hagspiel kam die Rolle des Sozialisten zu. Ausgegrenzt und unterdrückt. Aggressiv klangen seine Worte im Raum, aggressiv war die Geste mit der er seine kettengeschmückte Jacke abstreifte und Aggression stemmte seinen Körper gegen die Jungen, die den Geizigen wie eine Mauer vor ihm beschützten. Es bleibt Gerede. – „Wem gehört denn das? Alles gehört uns allen.“

Während Harpagon sich in Ausführungen um Idealismus erging, und auch mal versuchte eine Tafel zum Abendmahl zusammenzuführen, lümmelte die Generation der Jungen, für die es weder Platz noch Akzeptanz gibt, auf dem Sofa. Ihr Lebenssinn und ihre –teilhabe liegt in Konsum und damit Geld ausgeben, wird er unmöglich, bleibt nur das Nichts. Chillen und Relaxen.

In der Warteschleife. Doch was, wenn das Geld nicht mehr vererbt, sondern im Pflegeheim durchgebracht wird und am Ende Nichts bleibt? PeterLicht spricht in dem Stück viele Punkte an, die in der Gesellschaft diskutiert und vermarktet werden. Von Verbrauchsmenge aus der Zahnpastatube, über Recycling und Patenschaft für Kinder in der Dritten Welt reicht der Kanon, und damit ist, was so bewegt und doch Nichts wirklich bewegt, angesprochen. Statik durch Masse. Die Fülle der Eindrücke wirkt erschlagend und spätestens, wenn es um die Abhandlung von Fett und Zins geht, da verliert das Stück an Dynamik. Es hängt sich in sich auf, wie der Gesellschaftsprozess es auch getan hat. Die Lücken im Text, die zu eigenem Gedanken anregen sollen, lassen bestenfalls ein kurzes Erleichterung schaffendes Auflachen zu. Die Köpfe voll sind von den wiederholten Phrasen, diese purzeln nur noch in Unverständnis durcheinander. Zeitgeistfaktor der Überfütterung. Das Stück verliert sich, wie die „Hand im Fettkörper“, die kein Leben fühlt und ohne Referenz in einer Masse steckt.

Bewusstsein statt Liebe. Sind bei Moliere noch die Liebe, der Geiz, der Neid, das Gefühl des Mit- und Gegeneinander, die Triebfeder für Geschehen, so steht bei PeterLicht das Bewusstsein im Mittelpunkt und damit aber auch das Hängen bleiben, abhängen in den Erkenntnissen. Die Aussparung der universell bewegenden Gefühle, die, als wären sie in Gläubigkeit ausgegrenzt, die Figuren aushungert, entkräftet, ermüdet und schon vor der Zeit getötet hat, ist auch eine Form von Geiz. Freiwillig oder gezwungenermaßen. Die Liebe zum Leben, zum Morphen, also auch zu Bewegung, Wandel und Vergänglichkeit ist nicht „angesagt“. Da sind die marktdominierenden Ideologen vor, die die Claims abstecken und auf Stabilität pochen. Macht der Trends. Die auf sogenannte Individualität getrimmten und gerüsteten Ego beherrschen die Szenen, gilt es doch die Festungen des Ich und der Götzen Geld und Ware zu verteidigen.

Werk und Zuschauer. Wer sie kennt, die Leere des Geldes, des Konsums und der Plastikverpackungen, wird sein Vergnügen an dem Werk und an der in sich geschlossenen und kristallisierenden Inszenierung von Torsten Bischof finden. Wer ihn kennt, den Geiz, den Machtanspruch und das Gönnertum, wird genervt verständnislos den Kopf schütteln. Wer zwischen den Polen schwankt, den bewegt das Werk, entlockt ihm an vielen Stellen Lachen. Es morpht ... fungiert als Spiegel und ist daher unbedingt erlebenswert!

 

C.M.Meier

 

 

 


Der Geizige

von PeterLicht nach Moliére

Agnes Riegl, Lisa Zeitter, Ruben Hagspiel, Jan Phillip Keller, Jan Alexander Naujoks

Regie: Torsten Bischof
Kostüm: Elif Korkmaz
Licht: Peter Arne Friedrich
Ton; Julian Terletzki

Halle 7 Faust hat Hunger und verschluckt sich an einer Grete von Ewald Palmetshofer


 

 

Die Aufgabe

Der Versuch der Gleichrechnung zweier Ungleichen beherrscht wie kaum eine andere Bewegung die Gesellschaft. Dass diese Bemühungen zweifelsohne ihre Blüten treiben, von ernsthaft bis höchst absurd, steht permanent vor Augen und im Raum. Die „alte“ bürgerliche Ordnung muss dazu in Frage gestellt werden und demontiert. Die Auflehnung gegen das Bürgerliche und dieses dennoch zu leben, zeichnet die modernen wohletablierten Gemeinschaften nicht nur der Generation 30 aus. Es ist die Ohnmacht gegenüber der Natur, in der die patriarchalische Gesellschaftsform ihren Anfang hat. Erst war Adam, aus seiner Seite schuf Gott Eva. Der Mann ent- und besteht aus den Chromosomen XY, während sein Gegenüber durch XX glänzt. Sie sollten einander ergänzen, doch das Ergebnis XY + XX = immer unzulänglich; bereits hier scheitern Integrationsversuche, wie die Trennungs- und Scheidungsrate bestätigt. Und, um aus XY = XX  oder aus XX = XY machen zu wollen, bedarf es einiger Rechenkunst.

Unisex standen die Darsteller auf der Bühne. Hautfarbene Strumpfhosen und farbige Pullunder  kleideten sie (Kostüm Claudia Radowski). Allein durch die deutlich gekennzeichneten hervorstechenden Geschlechtsmerkmale, Schminke und den Schmuck um den Hals und an den Ohren der Darstellerinnen unterschieden sie sich. Die Partner demonstrierten Zusammengehörigkeit durch gleichfarbige Oberteile. Klarsichtfolie grenzte ein Haus vom übrigen Bühnenraum ab. Wie in die chicen Designerhäuser, die durch überdimensionale Fensterflächen auffallen, konnte man Einblick nehmen in den Alltag und die Gepflogenheiten der Bewohner. Im Hintergrund liefen Fernsehgeräte, übertrugen Teile der Handlung (Bühnenbild Cäcilia Müller). Realität, in der sich Handlungen im Kasten und vor dem Kasten immer mehr angleichen. In  diesem Wohnhaus leben drei Paare. Sie treffen sich zu „Bring what you eat“-Partys, die Frauen stehen rauchend auf dem Balkon, kippen Asche über das Geländer, diskutieren den Phantomschmerz der Gesellschaft. Einer lädt immer seinen alleinstehenden Freund ein, den unsichtbaren Siebenten mit einem Sixpack und einem Laptop voll Musik. Damit auch er in den Genuss gemeinsamen Glückes kommt, nicht alleine bleibt, bittet eine der Frauen ihre alleinlebende Freundin, eine Sozialarbeiterin, dazu. Und schon ...
Beziehungskisten, Rituale, Vorstellungen, Probleme und Problemchen reihten sich Wort um Wort. „Im Mensch drinnen ist kein Mensch.“ Die Frauen machten aus den Männern Kinder, durch ein simples Ritual veranschaulichte Regisseur Schlappig den Vorgang, mit dem Uneinigkeit auszuräumen war und sogleich dominierten sie wieder das Geschehen, ergriffen sie erneut das Wort. Es fehlte in der Inszenierung keineswegs an witzigen Einfällen zur Veranschaulichung. Die Körpersprache der sechs Schauspieler war mindestens ebenso tragend gestaltet wie der Text. Janina Klinger, Inga Kulik, Ariane Ott, Johannes Schön, Arik Seils, Alexander Voigt boten, jeder für sich und gemeinsam, herausragende mimische Leistungen. Mit hoher Darstellungskraft gestikulierten sie, brachten sie den sprachlich kunstvollen und komprimierten Text ans Publikum. Janina Klinger, Inga Kulik, Ariane Ott verkörperten den einen modernen Typus Frau und unterschieden sich dennoch. Ariane Ott gab die fürsorgliche, Inga Kulik die burschikose, Janina Klinger die dominante Seite der Frauen. Als wären sie eine, Grete, spielten sie abwechselnd, das Mikrofon in der Hand auch diese Rolle. Johannes Schön, Arik Seils, Alexander Voigt überzeugten als Mann der neuen Generationen. Johannes Schön gab den Wortführer, Arik Seils den Flexiblen, Alexander Voigt den stillen Mitmacher. Auch sie stellten abwechselnd am Mikrofon den einen, Heinrich, differenziert und nuanciert dar. Arik Seils als Heinrich verlautete den Kern einer Beziehung; der humorvoll verpackt ist in ein Beispiel. Besonders hervorzuheben sind noch Juliane Klingers Gesang und die Vokalbegleitung von Johannes Schön, in einem jazzig berührenden Song. Kunstvoll und mit deutlich spürbarer Präsenz führte Markus Schlappig Regie.

 
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Johannes Schön, Inga Kulik

© Hilda Lobinger

 
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Beginnt Goethes Faust mit einem Vorspiel auf dem Theater, es wurde in dieser Hochzeit des Bürgertums die Welt noch als Bühne verstanden, nach Galilei immerhin als runde Drehbühne, so beginnt Palmetshofer sein Werk über Faust mit dem Chor, welcher die Bedingungen für die zeitgemäße Faust’sche Geschichte vorträgt. Er thematisiert den Lauf der Erde durchs All, benennt die aktuellen wissenschaftlichen Grundlagen und philosophischen Ansätze, die der moderne Faust als seine Erkenntnisse über das Leben und die Welt zusammengetragen und  gespeichert hat. „Wir stürzen durch das All ... haben längst den Himmel unter den Füßen verloren ...“, tönten die Sätze dicht an dicht.

Suchte Goethe forschend nach „dem, was die Welt im Innersten zusammenhält“, so fragt Palmetshofer direkt nach dem Kern, dem Kern der den Menschen ausmachen sollte und der heutzutage abhanden gekommen ist. Er wurde ersetzt durch Offenheit und die Bereitschaft die Welt durch sich hindurch ziehen zu lassen. Wie leere Hüllen laufen sie durch die Straßen, schwingen im Takt der über Kopfhörer eingespeisten Töne, oder reinigen sich mental von möglichen „Ablagerungen“. Da ist nichts mehr, da ist Nichts mehr. Es sind die Ab- und Einlagerungen des Heinrich oder vielmehr die des Y im Heinrich, deren sich die Grete‘s zu entledigen suchen. Während Goethes Margarete ihr Kind im See ertränkt, es direkt der Natur zurückgibt, so packt Palmetshofers Grete dieses in eine Plastiktüte, vergräbt es darin. So zerfällt der Körper in sich, isoliert von der Natur, der Umgebung.  Diese Hülle überdauert Zeiten, ihr Inhalt ist sauber mumifiziert. Nichts da! Es sind sogleich die Detektive auf der Spur, spannen Absperrungen um den Tatort, schnüffeln im Blitzlichtgewitter der Medien.

Beide Schriftsteller karikieren das kleinbürgerliche Idyll mit seinen Integrations- und Ausgrenzungsbemühungen; Klatsch, Neugier, Sensationslust und Glücksvermittlung werden thematisiert. Sie formulieren dies in scheinintellektueller Ausdrucksweise, jeder im Stil seiner Zeit. Goethes Sprache ist eine klassische, aus den Salons, an der Antike und ihren Bildern orientierte, während Palmetshofer mit modernen abstrakten Metaphern arbeitet und dadurch eine weitere Dimensionen auftut. Sein Text besticht durch Doppeldeutigkeit, Sprachwitz und den Jargon seiner Generation. Der überaus ernsthafte Vortrag desselben betonte die Absurdität mancher Handlung und Sichtweise, ebenso wie er die Ohnmacht gegen eben diese, das Ausgeliefertsein verdeutlichte. Dies geschieht auf humorvolle Weise, versteht sich zurückgenommen und so bleibt der Eindruck ein nachhaltiger.

... eine tolle Inszenierung und ein außergewöhnliches Werk und man könnte darüber in Superlative verfallen, oder fünfeinhalb goldene Sterne vergeben, oder ... Doch ich würde noch einmal hingehen und schauen und hören und staunen und schmunzeln und lachen. Es entstand ein Klassiker neben einem Klassiker und einen solchen zeichnet aus, dass er mehr als eine einfach zu konsumierende Unterhaltung aus bekannten Vorgängen bietet. Heute Seltenheitswert.

 

C.M.Meier

 

 


Faust hat Hunger und verschluckt sich an einer Grete

von Ewald Palmetshofer

Janina Klinger, Inga Kulik, Ariane Ott, Johannes Schön, Arik Seils, Alexander Voigt

Regie: Markus Schlappig