Theater Halle 7 Der Geizige von PeterLicht
„Ich ... ääh ... ehm ... ääh ...“
Ein weißer Raum. Weicher Stoff, der die Wände des Zeltes bildete in dem sich die Darsteller wie die Gedanken im freien Bewusstsein bewegten, umrahmte die Bühne. Klarheit und Kontrast. Auf dieser Ebene begegneten einander die Figuren wie Beweggründe und behaupteten sich. Part und Gegenpart. Ein Keyboard, eine Gitarre, ein Eimer mit Plastikabfall, ein formloses Sofa waren in Brecht’scher Manier die Requisiten. Klang und Thema. Dann noch das Wesentliche: Die Kiste mit dem Geld stand auf dem Boden und unter der Decke hing weißes, beliebig transferierbares Luft-Geld. Konkret und Abstrakt.
In diesen Raum (Bühne von Claudia Stolle) inszenierte Regisseur Torsten Bischof die Adaption von Molieres „Der Geizige“. Er folgte damit ganz der Intention des Autors PeterLicht. Die emotionalen Beweggründe, die bei Moliere noch in klassischer Weise die Handlung voranbringen und die Figuren zu Aktion treiben, schienen gänzlich in den weißen Raum transzendiert. Der statische Moment einer umfassenden Erkenntnis, der bildlichen Momentaufnahme aller Eindrücke aus der Umgebung, wurde so in Zeitlupentempo versetzt, bewegt und nachvollziehbar. Das Lächerliche, ebenso wie das Tödliche der Ideologie um Geld und Geiz, der Habsucht und der übertriebenen Sparsamkeit rückte in den Focus der Betrachter, um das Zwerchfell zu reizen. Harpagon am Keyboard, Cleante an der Gitarre, La Flêche am Drum, sowie Élise und Valére vokal stimmten auf den Act ein. Mitschwingen war angesagt.
Cléante, der Konsument par excellence, war so voll genervt vom Geizigen, war so in „Will-haben“-Laune, so in „will endlich in den Genuss des Flusses“ kommen. „...Es muss morphen.“ Jan Phillip Keller gelang es den Frust einer ganzen Erbengeneration in den Habitus der Figur zu fassen, in den Tonfall, in die Haltung. Endlich für sein Sohnsein und Nichtstunmüssen auf die Kosten zu kommen. Man sah ihm die Überwindung an, die es ihn kostete den Alten wieder um Kohle, Asche, Mäuse, Kröten zu bitten. Verhalten und trotzig. War er doch ein unschuldiger Versager, einer den richtigen Dreh nicht drauf hatte und dem doch soo Viel zustand. „Wieviel brauchst du?“ ... „Na, ... da muss ich Marianne fragen.“ ... „Wie möchtest du es haben?“ ... „Die Hälfte bar, die andere Hälfte überwiesen.“ ... „Wieviel ist die Hälfte?“
Harpagon, Harpi hatte „seine Lebenszeit in Geld umgesetzt“ und war doch Idealist. Er suchte das Reine Geld, die Idee des Geldes, das Abstrakte, die Möglichkeit welche ihm Geld eröffnete. Da erstand der Engel Investor auf der Bühne. Wäre da nicht hinter den Worten auch die Reine Macht des Geldes spürbar geworden, so hätte man es tatsächlich für gelebten Idealismus halten können. Das salbungsvolle Gerede. Agnes Riegl verkörperte vielseitig und lebendig den alternden, aus Prinzip rechnenden und berechnenden Mann, der das Ruder fest in der Hand hielt. Motto: Stellung halten. Der Konflikt zwischen Vater und Sohn Cléante wurde in einem Dialog der Konjunktion und Präposition am deutlichsten. Die angesprochene, doch nie ausgesprochene Rangordnung schwebte zwischen den Worten. Das sub- und nebengeordnet Sein, der Verweis in die Warteposition hing spürbar in der Luft. Und dann noch der Griff des Alten nach der Braut des Jungen. Klammern ans Leben. Doch Marianne war nur ein Bild, war nur ein Klingeln des Telefons ohne dass Verbindung zustande kam. Das überdimensionale Frauenportrait war an die Rückwand des Raumes projeziert und die beiden Männer konkurrierten, zärtlich umschmeichelnd das Bild mit dem Duett „Marianne kommst du mit mir? ...“ - „Die Marianne kommt gleich.“ – Sie kam nie. Der Ring blieb an Harpagons Finger.
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Agnes Riegl, Jan Philip Keller
© Astrid Ackermann
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Valére war in Élise verliebt. Doch was blieb einem coolen Neusprech-Typ – „Ich ääh ehm ähh …“ - wenn die Angebetete auf die Frage: „Wie bist du drauf?“ wiederholt mit einem universellen „ich weiß nicht“ antwortete. Da führten auch weder das Raphafte, noch der emotionale Ansatz zu einem anderen Ergebnis. „Ich weiß nicht.“ Lisa Zeitter gab eine hübsche und nette Tochter Èlise, setzte sich dekorativ in Szene. Ihr Chansonvortrag war außergewöhnlich und berührend. Doch Valére, blieb Geduldeter und verliebte sich so in eine blaue Hose. Jan Alexander Naujoks gestaltete überzeugend die Begegnung, die Anprobe, das Gespräch mit der Verkäuferin. Alles verhinderte Gefühlsleben floß in die Darstellung um den Einkauf und den Wert, den Werterhalt der blauen Hose. Los der Beziehung.
Und dann war da noch La Flêche, wie eine geduldete Randfigur, auf der Bühne. Ruben Hagspiel kam die Rolle des Sozialisten zu. Ausgegrenzt und unterdrückt. Aggressiv klangen seine Worte im Raum, aggressiv war die Geste mit der er seine kettengeschmückte Jacke abstreifte und Aggression stemmte seinen Körper gegen die Jungen, die den Geizigen wie eine Mauer vor ihm beschützten. Es bleibt Gerede. – „Wem gehört denn das? Alles gehört uns allen.“
Während Harpagon sich in Ausführungen um Idealismus erging, und auch mal versuchte eine Tafel zum Abendmahl zusammenzuführen, lümmelte die Generation der Jungen, für die es weder Platz noch Akzeptanz gibt, auf dem Sofa. Ihr Lebenssinn und ihre –teilhabe liegt in Konsum und damit Geld ausgeben, wird er unmöglich, bleibt nur das Nichts. Chillen und Relaxen.
In der Warteschleife. Doch was, wenn das Geld nicht mehr vererbt, sondern im Pflegeheim durchgebracht wird und am Ende Nichts bleibt? PeterLicht spricht in dem Stück viele Punkte an, die in der Gesellschaft diskutiert und vermarktet werden. Von Verbrauchsmenge aus der Zahnpastatube, über Recycling und Patenschaft für Kinder in der Dritten Welt reicht der Kanon, und damit ist, was so bewegt und doch Nichts wirklich bewegt, angesprochen. Statik durch Masse. Die Fülle der Eindrücke wirkt erschlagend und spätestens, wenn es um die Abhandlung von Fett und Zins geht, da verliert das Stück an Dynamik. Es hängt sich in sich auf, wie der Gesellschaftsprozess es auch getan hat. Die Lücken im Text, die zu eigenem Gedanken anregen sollen, lassen bestenfalls ein kurzes Erleichterung schaffendes Auflachen zu. Die Köpfe voll sind von den wiederholten Phrasen, diese purzeln nur noch in Unverständnis durcheinander. Zeitgeistfaktor der Überfütterung. Das Stück verliert sich, wie die „Hand im Fettkörper“, die kein Leben fühlt und ohne Referenz in einer Masse steckt.
Bewusstsein statt Liebe. Sind bei Moliere noch die Liebe, der Geiz, der Neid, das Gefühl des Mit- und Gegeneinander, die Triebfeder für Geschehen, so steht bei PeterLicht das Bewusstsein im Mittelpunkt und damit aber auch das Hängen bleiben, abhängen in den Erkenntnissen. Die Aussparung der universell bewegenden Gefühle, die, als wären sie in Gläubigkeit ausgegrenzt, die Figuren aushungert, entkräftet, ermüdet und schon vor der Zeit getötet hat, ist auch eine Form von Geiz. Freiwillig oder gezwungenermaßen. Die Liebe zum Leben, zum Morphen, also auch zu Bewegung, Wandel und Vergänglichkeit ist nicht „angesagt“. Da sind die marktdominierenden Ideologen vor, die die Claims abstecken und auf Stabilität pochen. Macht der Trends. Die auf sogenannte Individualität getrimmten und gerüsteten Ego beherrschen die Szenen, gilt es doch die Festungen des Ich und der Götzen Geld und Ware zu verteidigen.
Werk und Zuschauer. Wer sie kennt, die Leere des Geldes, des Konsums und der Plastikverpackungen, wird sein Vergnügen an dem Werk und an der in sich geschlossenen und kristallisierenden Inszenierung von Torsten Bischof finden. Wer ihn kennt, den Geiz, den Machtanspruch und das Gönnertum, wird genervt verständnislos den Kopf schütteln. Wer zwischen den Polen schwankt, den bewegt das Werk, entlockt ihm an vielen Stellen Lachen. Es morpht ... fungiert als Spiegel und ist daher unbedingt erlebenswert!
Der Geizige
von PeterLicht nach Moliére
Agnes Riegl, Lisa Zeitter, Ruben Hagspiel, Jan Phillip Keller, Jan Alexander Naujoks
Regie: Torsten Bischof Kostüm: Elif Korkmaz Licht: Peter Arne Friedrich Ton; Julian Terletzki |
Halle 7 Faust hat Hunger und verschluckt sich an einer Grete von Ewald Palmetshofer
Die Aufgabe
Der Versuch der Gleichrechnung zweier Ungleichen beherrscht wie kaum eine andere Bewegung die Gesellschaft. Dass diese Bemühungen zweifelsohne ihre Blüten treiben, von ernsthaft bis höchst absurd, steht permanent vor Augen und im Raum. Die „alte“ bürgerliche Ordnung muss dazu in Frage gestellt werden und demontiert. Die Auflehnung gegen das Bürgerliche und dieses dennoch zu leben, zeichnet die modernen wohletablierten Gemeinschaften nicht nur der Generation 30 aus. Es ist die Ohnmacht gegenüber der Natur, in der die patriarchalische Gesellschaftsform ihren Anfang hat. Erst war Adam, aus seiner Seite schuf Gott Eva. Der Mann ent- und besteht aus den Chromosomen XY, während sein Gegenüber durch XX glänzt. Sie sollten einander ergänzen, doch das Ergebnis XY + XX = immer unzulänglich; bereits hier scheitern Integrationsversuche, wie die Trennungs- und Scheidungsrate bestätigt. Und, um aus XY = XX oder aus XX = XY machen zu wollen, bedarf es einiger Rechenkunst.
Unisex standen die Darsteller auf der Bühne. Hautfarbene Strumpfhosen und farbige Pullunder kleideten sie (Kostüm Claudia Radowski). Allein durch die deutlich gekennzeichneten hervorstechenden Geschlechtsmerkmale, Schminke und den Schmuck um den Hals und an den Ohren der Darstellerinnen unterschieden sie sich. Die Partner demonstrierten Zusammengehörigkeit durch gleichfarbige Oberteile. Klarsichtfolie grenzte ein Haus vom übrigen Bühnenraum ab. Wie in die chicen Designerhäuser, die durch überdimensionale Fensterflächen auffallen, konnte man Einblick nehmen in den Alltag und die Gepflogenheiten der Bewohner. Im Hintergrund liefen Fernsehgeräte, übertrugen Teile der Handlung (Bühnenbild Cäcilia Müller). Realität, in der sich Handlungen im Kasten und vor dem Kasten immer mehr angleichen. In diesem Wohnhaus leben drei Paare. Sie treffen sich zu „Bring what you eat“-Partys, die Frauen stehen rauchend auf dem Balkon, kippen Asche über das Geländer, diskutieren den Phantomschmerz der Gesellschaft. Einer lädt immer seinen alleinstehenden Freund ein, den unsichtbaren Siebenten mit einem Sixpack und einem Laptop voll Musik. Damit auch er in den Genuss gemeinsamen Glückes kommt, nicht alleine bleibt, bittet eine der Frauen ihre alleinlebende Freundin, eine Sozialarbeiterin, dazu. Und schon ...
Beziehungskisten, Rituale, Vorstellungen, Probleme und Problemchen reihten sich Wort um Wort. „Im Mensch drinnen ist kein Mensch.“ Die Frauen machten aus den Männern Kinder, durch ein simples Ritual veranschaulichte Regisseur Schlappig den Vorgang, mit dem Uneinigkeit auszuräumen war und sogleich dominierten sie wieder das Geschehen, ergriffen sie erneut das Wort. Es fehlte in der Inszenierung keineswegs an witzigen Einfällen zur Veranschaulichung. Die Körpersprache der sechs Schauspieler war mindestens ebenso tragend gestaltet wie der Text. Janina Klinger, Inga Kulik, Ariane Ott, Johannes Schön, Arik Seils, Alexander Voigt boten, jeder für sich und gemeinsam, herausragende mimische Leistungen. Mit hoher Darstellungskraft gestikulierten sie, brachten sie den sprachlich kunstvollen und komprimierten Text ans Publikum. Janina Klinger, Inga Kulik, Ariane Ott verkörperten den einen modernen Typus Frau und unterschieden sich dennoch. Ariane Ott gab die fürsorgliche, Inga Kulik die burschikose, Janina Klinger die dominante Seite der Frauen. Als wären sie eine, Grete, spielten sie abwechselnd, das Mikrofon in der Hand auch diese Rolle. Johannes Schön, Arik Seils, Alexander Voigt überzeugten als Mann der neuen Generationen. Johannes Schön gab den Wortführer, Arik Seils den Flexiblen, Alexander Voigt den stillen Mitmacher. Auch sie stellten abwechselnd am Mikrofon den einen, Heinrich, differenziert und nuanciert dar. Arik Seils als Heinrich verlautete den Kern einer Beziehung; der humorvoll verpackt ist in ein Beispiel. Besonders hervorzuheben sind noch Juliane Klingers Gesang und die Vokalbegleitung von Johannes Schön, in einem jazzig berührenden Song. Kunstvoll und mit deutlich spürbarer Präsenz führte Markus Schlappig Regie.
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Johannes Schön, Inga Kulik
© Hilda Lobinger
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Beginnt Goethes Faust mit einem Vorspiel auf dem Theater, es wurde in dieser Hochzeit des Bürgertums die Welt noch als Bühne verstanden, nach Galilei immerhin als runde Drehbühne, so beginnt Palmetshofer sein Werk über Faust mit dem Chor, welcher die Bedingungen für die zeitgemäße Faust’sche Geschichte vorträgt. Er thematisiert den Lauf der Erde durchs All, benennt die aktuellen wissenschaftlichen Grundlagen und philosophischen Ansätze, die der moderne Faust als seine Erkenntnisse über das Leben und die Welt zusammengetragen und gespeichert hat. „Wir stürzen durch das All ... haben längst den Himmel unter den Füßen verloren ...“, tönten die Sätze dicht an dicht.
Suchte Goethe forschend nach „dem, was die Welt im Innersten zusammenhält“, so fragt Palmetshofer direkt nach dem Kern, dem Kern der den Menschen ausmachen sollte und der heutzutage abhanden gekommen ist. Er wurde ersetzt durch Offenheit und die Bereitschaft die Welt durch sich hindurch ziehen zu lassen. Wie leere Hüllen laufen sie durch die Straßen, schwingen im Takt der über Kopfhörer eingespeisten Töne, oder reinigen sich mental von möglichen „Ablagerungen“. Da ist nichts mehr, da ist Nichts mehr. Es sind die Ab- und Einlagerungen des Heinrich oder vielmehr die des Y im Heinrich, deren sich die Grete‘s zu entledigen suchen. Während Goethes Margarete ihr Kind im See ertränkt, es direkt der Natur zurückgibt, so packt Palmetshofers Grete dieses in eine Plastiktüte, vergräbt es darin. So zerfällt der Körper in sich, isoliert von der Natur, der Umgebung. Diese Hülle überdauert Zeiten, ihr Inhalt ist sauber mumifiziert. Nichts da! Es sind sogleich die Detektive auf der Spur, spannen Absperrungen um den Tatort, schnüffeln im Blitzlichtgewitter der Medien.
Beide Schriftsteller karikieren das kleinbürgerliche Idyll mit seinen Integrations- und Ausgrenzungsbemühungen; Klatsch, Neugier, Sensationslust und Glücksvermittlung werden thematisiert. Sie formulieren dies in scheinintellektueller Ausdrucksweise, jeder im Stil seiner Zeit. Goethes Sprache ist eine klassische, aus den Salons, an der Antike und ihren Bildern orientierte, während Palmetshofer mit modernen abstrakten Metaphern arbeitet und dadurch eine weitere Dimensionen auftut. Sein Text besticht durch Doppeldeutigkeit, Sprachwitz und den Jargon seiner Generation. Der überaus ernsthafte Vortrag desselben betonte die Absurdität mancher Handlung und Sichtweise, ebenso wie er die Ohnmacht gegen eben diese, das Ausgeliefertsein verdeutlichte. Dies geschieht auf humorvolle Weise, versteht sich zurückgenommen und so bleibt der Eindruck ein nachhaltiger.
... eine tolle Inszenierung und ein außergewöhnliches Werk und man könnte darüber in Superlative verfallen, oder fünfeinhalb goldene Sterne vergeben, oder ... Doch ich würde noch einmal hingehen und schauen und hören und staunen und schmunzeln und lachen. Es entstand ein Klassiker neben einem Klassiker und einen solchen zeichnet aus, dass er mehr als eine einfach zu konsumierende Unterhaltung aus bekannten Vorgängen bietet. Heute Seltenheitswert.
C.M.Meier
Faust hat Hunger und verschluckt sich an einer Grete
von Ewald Palmetshofer
Janina Klinger, Inga Kulik, Ariane Ott, Johannes Schön, Arik Seils, Alexander Voigt
Regie: Markus Schlappig |