Residenz Theater Baal von Bertolt Brecht


 

 

Love it or leave it

„Ich liebe die Frauen nicht. Die Liebe muss neu erfunden werden, jeder weiß das. Sie wollen versorgt sein, sonst nichts. Haben sie den Kerl, sind Herz und Schönheit abgetan: Nichts bleibt, nur kalte Verachtung, das Brot einer Ehe von heute… Ich sehe Frauen, die sind wie geschaffen für das Glück, und ich – gute Kameraden hätte ich aus ihnen gemacht, wären sie nicht längst verbraucht von irgendeinem Klotz, der Gefühle hat wie Scheiterhaufen.“ Nein, das stammt nicht aus Brechts „Baal", sondern aus Arthur Rimbauds „Delirien – Der Höllengemahl“. Aber es passt auf Baal, den Allesfresser, den gottgleichen Lyriker und Allesvernichter. Der geniale Dichter und Berserker Baal, ein assyrischer Naturgott stand für diese Figur Pate, gefällt sich in seiner Rolle und lebt sie konsequent bis ans bittere Ende. Er verreckt auf der Flucht vor Langjägern vor der Hütte von Holzfällern, von diesen angespien.

„Alle Laster sind zu etwas gut / Nur der Mann nicht, sagt er, der sie tut.“ So Bert Brecht, der eine Schwäche für Kraftprotze hatte, wohl, weil er selbst alles andere war. Männer wie Baal schreiben keine Geschichte, sie füllen sie auf mit ihrer barbarischen Natur. So exemplarisch stellte Brecht sie aus und überließ es den Zuschauern, ihre Schlüsse daraus zu ziehen. In jedem Fall waren Brechts frühe Gestalten (Baal, Kragler, Fazer, Galy Gay) anarchisch, die Unweisen. Er schickte sie zum großen Poltern hinaus auf die Bühne und ließ die Zuschauerräum dekorieren mit Sprüchen wie: „Glotzt nicht so romantisch!“, „Es ist alles Krampf!“ oder „Es ist ganz gewöhnliches Theater!“. Es war ein großes Aufbegehren gegen das bürgerliche Illusionstheater. Dieser Rolle nahm sich nun erneut Frank Castorf am Residenztheater an, und wenn man sich auf eines verlassen kann, dann auf das große Poltern.

Frank Castorf ist kein Regisseur, der vor einem Autor einen Kniefall macht, auch vor Brecht nicht. Seinen Einstieg in München gab er mit Horváths „Kasimir und Karoline“. Da ihm der Dramatiker, Castorf inszenierte erstmals ein Horváth-Stück, zu unpolitisch, zu seicht und zu indifferent ist, lud er den Text mit Anleihen bei Ernst Jünger, Brecht, Friedrich Schröder-Sonnenstern usw. auf mehr als vier Stunden auf. Das scheint in etwa der Zeitraum zu sein, den Castorf braucht, um sich auszuleben und –toben. Auch für Célines „Reise ans Ende der Nacht“, der 650-Seiten-Roman reichte dem Regisseur nicht aus und wurde mit Heiner Müllers „Auftrag“ verstärkt, musste der Zuschauer geduldiges Sitzfleisch aufbieten. Nun also „Baal“, ein Text von 45 Seiten (Spectaculum 6, Shrkamp Verlag). Auch dieses Drama blähte Castorf bis zur Unkenntlichkeit auf vier und eine halbe Stunde auf. Dazu mussten Rimbaud, Baudelaire, Jean-Paul Sartre, Ernst Jünger und vermutlich noch einige andere Autoren herhalten. Dabei hatten die Zuschauer noch Glück, denn es fanden sich im Chaos der Ideen auch die Drohung, dass sich weitere „500 Seiten fanden, die die Darsteller allerdings selbst realisieren sollten, weil der Spielleiter zu arbeitsscheu sei – also sieben Stunden oder länger“.  Castorf weiß also um die Zumutung, die er seinen Zuschauern bereitet, wenn er derartige Scherze macht.

  Baal-Residenztheater  
 

 (Projektion) Aurel Manthei, Franz Pätzold, Andrea Wenzl

© Thomas Aurin

 

Erzählt wird die Geschichte von Baal nicht stringent. Sie verbirgt sich irgendwie auch in dem Konglomerat. Allein, wenn man die Fabel nicht kennt, wird man sie schwerlich entdecken. Aber das macht auch nichts, denn hier geht es nicht um ein berserkerhaftes Individuum, das frisst, säuft, hurt und mordet, sondern um Kolonialismus, in dem derartige Figuren naturgemäß aufblühen. Castorf setzt damit seine in „Reise ans Ende der Nacht“ begonnene Kapitalismuskritik fort und konfrontiert mit der sinnfälligen und in unserer Gesellschaft als missliebig verleugnete These, dass die heutige moderne bürgerliche Welt auch und vor allem das Ergebnis einer Jahrhunderte währende, barbarische Kolonialpolitik ist, die immer noch andauert. Auch der heutige Terrorismus ist Ergebnis dieser Kolonialpolitik.

Leider leistet Castorf im Theater etwas, was der gesellschaftliche Diskurs nicht erbringt, nicht erbringen will, wie es scheint. Fast möchte man glauben, dass den Politikern der islamistische Terror grad  recht ist, denn neben diesem hässlichen „Phänomen“ scheint es keine Probleme mehr zu geben. Leider, weil wieder radauartiges Agitproptheater stattfindet, das ästhetisch einen Teil der Theatergeschichte eliminiert.

Um das zu verstehen, sei auf ein Interview mit Nicholas Ofczarek verwiesen, in dem er beschrieb, wie sich die Proben zu „Kasimir und Karoline“ gestalteten. Frank Castorf zwang ihn, ein extrem schweres Bühnenteil zu bewegen. Als Ofczarek den Einwand geltend machte, dass es nicht zu schaffen sei, bestand Castorf auf den Kraftakt, denn in diesem Augenblick der Anstrengung, trete der Mensch Ofczarek vor den Schauspieler Ofczarek. Das sei ehrlicher, was aber auch meint, es sei weitestgehend frei von künstlerischer Gestaltung durch den Schauspieler Ofczarek. Nicholas Ofczarek, durch die Intendanz vollmundig als neues Mitglied des Residenztheaterensembles angekündigt, ist noch in derselben Spielzeit zurückgekehrt nach Wien. Selbstverständlich gibt es da keinen Zusammenhang. Zeitgründe wurden genannt.

Wie schon für „Reise ans Ende der Nacht“ hatte Aleksandar Denić auch für „Baal“ ein beeindruckendes Bühnenbild geschaffen. Der mehrstöckige Bau bestand wieder aus einem Labyrinth von Räumen, der in seiner Pagodenhaftigkeit an Asien erinnerte. Bestandteil war gleichsam ein Helikopter, den am Bug der Playboy Hase zierte. Darüber war das Wappen einer amerikanischen Kavallerieeinheit zu entdecken. Eingeweihten war klar, bei diesem Fluggerät handelte es sich um eine Anleihe aus Coppolas Film „Apokalypse now“. Das vermutlich sehr sehenswerte Bühnenbild auch zu schauen, war nahezu unmöglich, denn es herrschte über weite Strecken der Vorstellung hinweg Finsternis, schließlich man befand sich in so etwas wie im „Herzen der Finsternis“ (Joseph Conrad). Dem Platz in der 15. Reihe war ein Übriges geschuldet.

Die Darsteller waren ohnehin nur deutlich zu erkennen, wenn sie auf den beiden Leinwänden zu sehen waren, nachdem Stefan Muhle sie mit der Live-Cam eingefangen hatte. Ansonsten fand viel wildes Gerenne durch den Verhau des Bühnenbildes statt. Franz Pätzold als Ekart leistete dies zeitweise sogar mit einem Fallschirm im Schlepptau und drohte sich mehrfach zu erhängen. Atemloses Gebrüll ließ etliche Texte im gurgelnden Orkus Castorfscher Kriegshöllen, insbesondere bei Andrea Wenzl, versickern. Platte Anspielungen auf Unerwartetes wie: „Kenn ich aus dem Faust!“ von Bibiana Beglau, die in selbiger Inszenierung den Mephisto spielt, durften nicht fehlen. Sie verkörperte übrigens keine Brechtsche Figur, sondern, in Anlehnung  an Arthur Rimbauds „Der Höllengemahl“, die Höllengemahlin.

Differenzierte Gestaltung? Fehlanzeige. Rumor – auch in Augenblicken von Poesie. Castorf bürstete wieder einmal alles gegen den Strich, um „romantisches Glotzen“ zu verhindern und die Botschaft einzuhämmern. Dreist wird er, wenn er ganze Szenen aus „Apokalypse now“ auf der Leinwand abspult und seine Schauspieler darüber projiziert, die die gleichen Texte nachsprechen. Auch Castorfs Fans waren in der Premiere anwesend. Sie waren am Lachen zu erkennen. Es war kein Lachen aus komischen Situationen heraus, sondern das Lachen derer, die anbeten, wenn einer sich über alle Konventionen hinweg setzt und mit jeder tradierten Kunst bricht. Und die Darsteller? Irgendwer musste ja schließlich das Karussell Castorfscher Geistesgäule am Laufen halten.  

Ist das schon Aufbruch in eine neue Kunst? Nein, gewiss nicht, es ist immer noch die liebgewonnene Dekadenz, die Castorf radikal, unverschämt und intelligent für sich zu nutzen weiß. Er schafft dabei etwas, was nur wenigen Regisseuren gegeben ist, er inszeniert das Publikum gleich mit. Und wem es nicht gefällt, der kann es ja bleiben lassen.

 

Wolf Banitzki

 


Baal

von Bertolt Brecht

Bibiana Beglau, Franz Pätzold, Aurel Manthei, Andrea Wenzl, Götz Argus, Jürgen Stössinger, Katharina Pichler, Hong Mei

Regie: Frank Castorf

Residenz Theater Peer Gynt von Henrik Ibsen


 

 

Glaube, Liebe, Hoffnung für den Gestrauchelten

Nur zwei und eine halbe Stunde dauerte David Böschs Inszenierung von Henrik Ibsens „Peer Gynt“. Dabei gab es sogar noch eine Pause. Das ist schon erstaunlich angesichts der 160 Seiten Umfang des Fünfakters. Es drängt sich also sofort die Frage auf, worauf das Publikum verzichten musste. Antwort: Auf nichts, worauf man nicht guten Gewissens verzichten könnte. Ibsens Personage ist schier massenhaft. Neben fast 40 näher bezeichneten Figuren tummeln sich Volk, Gäste, Reisende, Trolle, Erdgeister, Zwerge, Kobolde, Hexen, Araber, Sklavinnen und tanzenden Mädchen, nebenher auch Vogelschreie, eine Stimme im Dunkel, eine singende Memnonsäule und die stumme Sphinx von Gizeh.

Auf der Grundlage der Übersetzung von Angelika Gundlach schuf der Dramaturg Sebastian Huber vermutlich in Zusammenarbeit mit David Bösch eine gestraffte Spielfassung, die viel Witz beinhaltete und die auf Poesie und Fantastik nicht verzichtete. Die Geschichte vom charmanten und durchaus liebenswerten, aber notorischen Lügner Peer Gynt, der nichts anderes sein wollte als er selbst, bleibt, was es bei Ibsen ist, ein faustisches Werk. Ein Mann sucht sich und seinen Platz in der Welt. Dabei hat er höchste Ansprüche, will Kaiser der Welt werden, und scheut keine moralische Verfehlung.

Gynt geht den üblichen Weg, den der Ökonomie, wird mit Sklaven- und Waffenhandel reich. Dieser Ansatz impliziert nicht nur Kritik am „selbstzufriedenen Norwegertum“ in der Mitte des 19. Jahrhunderts, sondern gleichsam am Neoliberalismus der heutigen Zeit, in der mittelmäßig begabte und gierige Menschen Besitz anhäufen (Vermutlich, weil ihnen nichts Besseres einfällt!) und dabei nichts anderes produzieren als Armut, Elend und eine zerstörte Welt in sozialer und auch ökologischer Hinsicht.  Ein ebensolcher Versager ist auch Peer Gynt, der am Ende erkennen muss, dass er nichts Sinnvolles erreicht hat. Er selbst hat sich beim Durchlaufen der permanenten Spirale des Selbstbetruges, auf dem Weg des „großen Krummen“, weder entwickelt, noch eine bemerkenswerte Persönlichkeit entfaltet. Er ist nichts „Halbes und nichts Ganzes“, wie ihn der Knopfgießer, ein norwegischer Boandlkramer, wissen lässt. Sein Schicksal: Er soll eingeschmolzen und umgegossen werden. Dem kann er nur entrinnen, wenn sich ein Mensch findet, der für ihn zeugt. Es ist Solveig, die von Peer Gynt sitzen gelassene Liebe, die den Stab für ihn bricht und ihn entsühnt. Auf Gynts Frage: „So sag, wo Peer Gynt all die Zeit über war?“ antwortet Solveig: „In meinem Glauben, in meinem Hoffen und in meinem Lieben.“

  Peer Gynt  
 

Andrea Wenzl, Shenja Lacher, Friederike Ott

© Thomas Dashuber

 

Bühnenbildner Falko Herold schuf für die Inszenierung zwei große Bilder. Der Wald mit gewaltigen Bäumen und einem kleinen, heruntergekommenen Wohnwagen war die Heimstatt Peers und seiner Mutter Aase im norwegischen Gudbrandstal. Nachdem Peer die Braut Ingrid in die Berge entführt und das Mädchen verführt hatte, er wegen dieser Tat geächtet wurde, begab er sich auf die Flucht und gelangte in das Reich der Trolle, in eine Art Unterwelt. Die Bäume begannen zu schweben, wodurch Peer auf eine tiefere Ebene geriet und in die Welt des Dovre-Alten, des Trollen-Königs eintauchte. Doch auch hier ließ sich Peer bei aller Versuchung „den Ring nicht anstecken“. Der zweite Teil begann mit einer Videoinstallation (ebenfalls Falko Herold). Der unaufhaltsame Aufstieg Peers wurde anhand von schrillen und bekannten Medien beschrieben. Peer war in der Wüste gelandet. Bei Ibsen hatten ihm Mitreisende seine Jacht gestohlen. Er gelangte von Marokko bis nach Kairo, wo er in einem Irrenhaus landete, um dort zum Kaiser gekrönt zu werden. Bar jeglicher Mittel kehrte er wieder heim in seinen Wald. Der senkte sich aus dem Bühnenboden auf die Wüste.

David Bösch inszenierte mit Verve, transponierte das Stück unproblematisch ins heute und schuf so einen höchst unterhaltsamen Abend, der tiefgründig genug war, Ibsen die höchste Ehre zu erweisen. Dabei konnte der Regisseur auf einen überragenden Shenja Lacher als Peer zurückgreifen. Lacher spielte komödiantisch und ernsthaft, er präsentierte sich in zeitgenössischem Gestus, versenkte sich aber ebenso in die klassischen Tiefen des Ibsenschen Textes. Shenja Lacher war schlichtweg grandios. An seiner Seite lief auch Sibylle Canonica als seine Mutter Aase zu wahrhaft großer Form auf. Selten sah man sie so aus sich heraus- und über sich hinausgehen.

Michele Cuciuffo gab den aggressiven Schmied Aslak donnernd, den Direktor des Irrenhauses zu Kairo, Professor Begriffenfeldt skurril und die Magere Person wahrhaft diabolisch. Götz Schulte brillierte neben anderen Rollen in der des Trollkönigs, aber auch in der des Sprachverbesserer Huhu. Andrea Wenzls Solveig war anrührend simpel gestrickt und nicht unbedingt glaubhaft in ihrem Wartemarathon. Man sollte dabei allerdings nicht vergessen, dass das Stück in der Endphase der Romantik entstanden ist. Immerhin überzeichnete Andrea Wenzl die Figur stark, persiflierte sie und vermied damit den unweigerlich aufkommenden Kitsch. Der weiblich-schrille Part kam indes Friederike Ott zu, die es als Tochter des Trollenkönigs gehörig krachen ließ, als verführte Ingrid gab sie den rachsüchtigen Bauerntrampel.

Bösch, der mit lockerer Hand inszeniert hatte, ohne dabei ungenau oder oberflächlich zu werden, setzte bei allen Darstellern ein Höchstmaß an Komödiantik und Spiellust frei. So gelang den Machern dieser Inszenierung ein wahrhaft unterhaltsamer, weil über weite Strecken amüsanter Abend, der den Spagat zwischen klassischem Inhalt und heutiger Form mühelos schaffte. Spätestens wenn sich Peer vor dem Knopfgießer verantworten musste und er anhand der Zwiebel auf die Suche nach seinen Kern ging, wurde Tragik im Drama sichtbar. Ein großes Stück fand in dieser Inszenierung eine kongeniale Ausformulierung. Respekt und Gratulation allen Beteiligten.

 

Wolf Banitzki

 


Peer Gynt

von Henrik Ibsen

Shenja Lacher, Sibylle Canonica, Michele Cuciuffo, Andrea Wenzl, Götz Schulte, Friederike Ott, Philip Dechamps, Arnulf Schumacher

Regie: David Bösch

Residenz Theater  Wer hat Angst vor Virginia Woolf? von Edward Albee


 

 

Jedem seine Hölle

Martin Kušej eröffnete die Spielzeit 2014/15 am Residenztheater mit Edward Albees Klassiker der Moderne „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ Dieses Stück ist nicht nur ein „Schauspielerfest“, sondern auch eine „sichere Bank“, wenn es denn gelingt, es zu einem Schauspielerfest zu machen. Martin Kušej ist das wohl gelungen, wie der Applaus am Ende zeigte, denn Bibiana Beglau, frisch gekürte „Schauspielerin des Jahres“ (Kritikerpreis), schien die Rolle der Martha auf den Leib geschrieben zu sein. Und so lief sie denn in dieser Figur neben dem grandiosen Norman Hacker auch zu großer Form auf. „Wer hat Angst vor Virginia Woolf“ ist im Kontext des Albee-Dramas eine moderne Metapher auf die Kinderliedzeile „Wer hat Angst vor dem großen, bösen Wolf?“ Als Albee sein wohl fesselndstes Drama verfasste, war Virginia Woolf, heute Inbegriff einer Nonkonformistin, nur wenigen Literaturinteressierten ein Begriff. Und so wuchs mit den beharrlich erfolgreichen Inszenierungen des Beziehungsdramas über eine bürgerliche Mittelstandsehe auch der Name der Dichterin mit und wurde in der bürgerlichen Scheinwelt zu einem bitterbösen Schatten, wie der des großen, bösen Wolfes.

Das Credo Virginia Woolfs: „If you do not tell the truth about yourself you cannot tell about other people.“ (The Leaning Tower), kolportierte Edward Albee, in dem er behauptete, in der modernen Gesellschaft könne man ohne falsche Illusionen kaum mehr überleben. Und so ist das ganze dreiaktige Drama eine einzige psychologische Schlacht, um die aus Illusionen gebauten Bastionen nieder zu reißen. Martha, Tochter des reichen Unipräsidenten, hat auf der obligatorischen Samstagsparty ihres Vaters ohne Wissen ihres Ehemannes George, Geschichtsprofessor an selbiger Provinzuniversität, Gäste eingeladen. Geladen ist der neue Mitarbeiter Nick, Biologe seines Zeichens, und dessen fade Ehefrau Honey. Noch ehe die Gäste eintreffen, eröffnen Martha und George das Gefecht. „Wenn sich Leute, die sich lieben, hassen, tun sie das auf unerhörte Art…“, schrieb Erich Kästner. Martha, eine wahre Furie, ist auf permanente Provokation und Streit gebürstet. Es gibt scheinbar keine der üblichen gesellschaftlichen Regeln mehr. Kein Hohn, keine Stich, keine Beleidigung ist zu arg, als dass man sie auslässt. Und so wird gehauen und gestochen, um die Persönlichkeit des anderen zu deformieren, zu demontieren und zu diskreditieren. Dabei fließt der Alkohol in wilden Strömen. Die ankommenden Gäste werden sogleich ins Boot geholt und los geht die Rafting Tour durch den seelenzerfressenden Alkoholfluss.

Als Albee sein Stück schrieb, litt die amerikanische Gesellschaft unter drei Phänomenen: Alkoholismus, quälende Ehegelöbnisse und, häufig aus den beiden resultierend, mentale und physische Impotenz. Um diese Hölle zu überleben, haben sich Martha und George Krücken geschaffen, die tatsächlich so etwas wie Regeln darstellen. Die wichtigste ist ihr gemeinsamer Sohn. Doch es liegt in der Natur der Dinge, dass die emotionale Gewaltspirale irgendwann nicht mehr zu stoppen ist. Und genau das geschieht in dieser Nacht. Es werden schließlich die letzten Illusionen zerstört. Auch Nick und Honey gehen nach einer höllischen Nacht nicht unbeschadet in den Sonnenaufgang. Ihr Leben, es ist längst in dieselben konventionellen Bahnen wie Marthas und Georges geglitten, erfährt gleichsam eine sehr unsanfte und verstörende Entzauberung.

Spätestens seit August Strindberg ist die bürgerliche Ehe dramentauglich und ein festes Thema in den Spielplänen dieser Welt. Doch kein Autor hat diese Thematik so radikal, kompromisslos und konsequent behandelt wie Edward Albee. Dabei ist das spezielle Sujet gewiss kein rein amerikanisches, auch wenn Albee mit der Namensgebung einen Topos definierte: Martha und George hießen auch die Washingtons. Es ist seit mehr als einhundert Jahren das Thema jeder bürgerlichen Gesellschaft. Tatsächlich hat die fortschreitende Befreiung der Menschen aus sozialen, politischen, religiösen und ökonomischen Zwängen vornehmlich dazu geführt, dass das Individuum zum ureigenen Gefängnis mutierte. Jeder schafft sich seine Höllen aus sich selbst heraus. Anstelle der äußeren Bedrohungen traten innere Ängste, die durchaus dazu geeignet sind, die Persönlichkeiten zu zerstören.

 
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v.l. Norman Hacker (George), Bibiana Beglau (Martha), Nora Buzalka (Honey), Johannes Zirner (Nick)

© Andreas Pohlmann

 

Martin Kušej ließ sich von Jessica Rockstroh eine Bühne entwerfen, die nackter und entblößender zugleich nicht sein konnte. Der weiße Spielraum bot keinerlei Deckung für die Darsteller. Einziger Hinweis auf das bisherige materielle Leben war ein großer (Glas-) Scherbenhaufen vor der Guckkastenrampe, der stetig wuchs. Hier fanden die leeren Flaschen ihr letztes Grab und mit jeder weiteren auch ein Teil der Seelen der Protagonisten. Kušej nutzte, wie bereits in „Das Leben der Petra von Kant“, sinnfällig die kaum zu überbietende Bedrohlichkeit des Materials. So war es kaum verwunderlich, dass in der Premiere auch Frau Beglaus Blut floss.

Bibiana Beglaus physische Direktheit ist den Münchnern inzwischen hinlänglich bekannt. Sie scheut keinen körperlichen Einsatz. Ihr Spiel war auch an diesem Premierenabend raumgreifend, laut, häufig ordinär. Die Weiblichkeit blieb dabei allerdings einige Male auf der langen Strecke des martialischen Gefühlsmarathons. Zwischentöne waren bei ihr eher selten. Ganz anders als bei Norman Hacker, der spitzfindig, intelligent zerstörerisch, bissig, angriffslustig, zynisch und verschlagen agierte. Seine Vielfarbigkeit im Spiel dominierte den Abend. Dagegen hatte es Johannes Zirner in der Rolle des Nick schwer, einen potenten Gegenspieler zu entwickeln. Die Athletik des durchtrainierten Boxers blieb Behauptung, denn bisweilen geriet das Spiel an den Rand des psychologischen Exzesses und da wäre eine physische Bedrohlichkeit durchaus eine beängstigende und spannungsfördernde Komponente gewesen. Nora Buzalkas Honey war im besten Sinne Klischee. Sie gab das unbedarfte, schwachsinnig kichernde, von innerer Unsicherheiten und Macken getriebene Weibchen. Sie war Weibchen und nur Weibchen, und ihre Deformationen traten im Spannungsfeld von auf einander einschlagenden Intellektuellen sehr schnell zutage. Das sorgte immerhin für einige Komik.

Wenn sich die beiden Paare bei einem letzten Glas Champagner gesittet voneinander verabschieden, heißt es: „Es war furchtbar. Es war auch komisch, aber eigentlich war´s furchtbar.“ Die Zeile „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ stand am Anfang des Spiels und auch am Ende. Doch am Ende war alles anders. Martha und George mussten sich mit dem Bruch ihrer Vereinbarungen eingestehen, dass da nichts mehr ist, keine einzige Illusion, die ihnen weiterhelfen könnte. Und so schloss sich der höllische Kreis mit der Rückkehr zu ihrer Bezogenheit aufeinander. Kurz zuvor hatte Martha noch eingestanden, dass kein Mann sie jemals glücklicher gemacht hätte als ihr Ehemann.

So, wie die beiden Geschlagenen letztlich vom harten Scheinwerferlicht gebannt waren, wurde deutlich, dass sie nach diesem zerstörerischen Weg, der mit unerträglichen, fast tödlichen Wahrheiten gepflastert war, möglicherweise an einem Anfang standen. Es war wenig Hoffnung, aber gänzlich chancenlos waren sie nicht. „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“, am Beginn einer Albernheit Marthas entsprungen, um zu provozieren, war jetzt einer qualvollen Angst gewichen. Das letzte Bild war ein stilles, fast zartes.

Leider konnte es die kathartische Wirkung nicht in gewünschtem Umfang entfalten, denn die aufwendige, bisweilen mit einigem Getöse geführte Schlacht der Protagonisten hatte auch den Betrachter emotional ermüdet. Ungeachtet dessen war dieser von psychischen Gewalttätigkeiten dominierte Abend auch ein gewaltiger.

 

Wolf Banitzki

 


Wer hat Angst vor Virginia Woolf?

von Edward Albee

Bibiana Beglau, Norman Hacker, Johannes Zirner, Nora Buzalka

Regie Martin Kušej

Residenz Theater  Die Irrfahrten des Odysseus nach Homer


 

 

Ein Spektakel

Am Rand der Bühne des Residenztheaters in München lag ein alter Mann im Schlafsack. Gleich einem Obdachlosen trug er Mantel und Mütze, eine Plastiktüte. Telemach trat auf, er war auf der Suche nach seinem Vater Odysseus, dem großen starken Helden. Und sogleich äußerte er sich dozierend zur Vaterrolle und den aktuellen Familienverhältnissen. Er sah den alten Mann, sprach ihn an, fragte nach seinem Namen. Nach einer Weile des Überlegens antworte dieser: „Niemand. Niemand ist mein Name.“  Telemach ging weiter nachdem er „Tschüss“ gesagt hatte. Der alte Mann dachte nach, breitete seine Erinnerungen aus. Im Hintergrund tauchte ein Schiff auf, Männer standen an Deck, die Flagge trug die Aufschrift „Hart am Wind“. So begann die Aufführung „Die Irrfahrten des Odysseus“.

Es war ein sich selbst bestätigender Odysseus, den Simon Werdelis verkörperte, ganz im Habitus des modernen jungen Mannes. Sich als Held präsentierend, im gleichen Atemzug mit anderen Helden nennend, stand er am Bug des Schiffes. Während seinen Begleitern Thomas Gräßle, Arnulf Schumacher und Lukas Turtur die still duldenden Rollen, vom Riesen Polyphem fast verspeist und auf der Insel von Kirke in Schweine verwandelt, zukamen. Kirke, gespielt von Katrin Röver, wurde als aktives Model, wie sie aus der Medienszene bekannt ist, umgesetzt. Dabei kann der Bezug, auf reale Personen durchaus als kalkulierter Effekt eingesetzt, gesehen werden. Schönheit, Party und weibliche Macht fanden so ihre Darstellungsform. Und die Wichtigtuerei, bei der „Zicke Circe“ nicht nur um die Unsterblichkeit, ist eine durch und durch moderne. Von Insel zu Insel führte die Reise der Gefahren, wobei dem Spaß durchaus sein Platz zugestanden war und der Wind beispielsweise als Gabe der Götter aus Plastikbeuteln kam. Das Programmheft kündigt „einen seltsamen Halbgott, der Tipps gibt“ als Hilfestellung auf dem Weg an. Morpheus, dem Schlaf, kommt in realiltas eine wichtige Rolle zu. Die Art und die Gestaltung der Rolle war zu bekannt. Valery Tscheplanowa stellte feinfühlig den Schlaf dar, dem es jedoch oft an den rechten und verständlichen Worten fehlte. Die Aufführungsdauer forderte das Publikum unverhältnismäßig, wobei der Schwerpunkt auf den Inselabenteuern lag. Die Ankunft des bejahrten Odysseus am Strand von Ithaka bildete den verhältnismäßig knapp gehaltenen Rahmen. Am Ende erschoss Paul Wolff-Plottegg im Eiltempo die herumrüpelnden Freier in ihren weißen Jogginganzügen, die ihn zuvor als „alt und vertrottelt“ verspottet hatten.

Vom universell nutzbaren Holzschiff bis zu den verschiedenen aufwändig gestalteten Tiermasken der Widder und Schweine, von den Kostümen des silberfischigen Poseidon und der Hippie-Lotophagen bis zum riesigen Riesen Polyphem wurde alles aufgeboten, was von theatraler Wirksamkeit ist. Steffi Wurster (Bühne) und Sabine Blickenstorfer (Kostüme) brachten künstlerisches Geschick und handwerkliches Können in hohem Maße ein. Dadurch entstanden immer wieder wunderbare Bilder, welche die Aufführung weitgehend trugen und vom fantasynahen Gruseleffekt bis zu aus Fernsehshows bekanntem Lifestyle reichten.

 
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Simon Werdelis, Katrin Röver, Ensemble/Statisterie

© Thomas Dashuber

 

Die Odyssee verfasst von Homer ist eine der ältesten antiken Dichtungen. Und warum sollte diese nicht für eine Bühnenhandlung im modernen Stil als Vorlage dienlich sein? Liegt es doch im ureigenen Wesen des Mythos zeitlose Geschichten zu erzählen, die ähnlich den Märchen Lebensweisheit vermitteln und seit jeher adaptiert werden. Und warum sollte man nicht aus dem Erfahrungsbereich eines erwachsenen Mannes eine gewagte Sensation kreieren können? Ein bisschen Gruseln, ein bisschen Abenteuer und Bühnenzauber, ein bisschen Alltägliches zusammengebastelt und schon flopt der Plot ... ääh ... nein, es ist richtig – flopt der Plot. Vor allem dann, wenn es als Theater für Kinder ab 6 Jahren konzipiert wurde, und selbst die 10jährigen mit dem Umfang und dem Inhalt des Mythos deutlich überfordert waren.

Odysseus war etwa dreißig Jahre alt, als er sich nach dem Ende des Trojanischen Krieges mit den Männern auf den Heimweg nach Ithaka begab. Ein Held war er fraglos, gelang es doch den Griechen durch seine List die Stadt Troja nach zehn Jahren der Kämpfe und der Belagerung zu erobern. Seine Reise, welche ebenso als innere Lebensreise zu verstehen ist, gestaltete sich zu einer Irrfahrt. Die Stationen von der Insel der Drogen, dem Menschen fressenden Monster-Apparat in seiner Einäugigkeit (den es zu überlisten und blenden gilt), bis zur Gefangenschaft in einem Liebesverhältnis stellen die Gefahren auf dem Weg der Sehnsucht nach Erfahrung und Abwechslung vor. Ein Ausblick in die Zukunft für die Kinder?

Es gab Zeiten in denen Theater einen angemessenen Bildungsanspruch vertrat und es gibt Zeiten in denen Theater einer Unterhaltungsvorstellung genügt. Nicht allein die Geschichte oder der Mythos vermitteln Erfahrungen des Lebens, sondern vor allem die Art der Erzählung und die Darstellung der Protagonisten bleibt im Gedächtnis. Was wird im Gedächtnis der Zuschauer, der Kinder bleiben, die, um sich mit den Protagonisten Odysseus oder Penelope und Kirke identifizieren zu können viel zu jung sind? Von dieser Inszenierung wird mir die Feststellung von Kirke im Gedächtnis bleiben: „Ich heiße Kirke, ich habe Kierkegard gelesen ... (sie zögerte, zupfte an der blonden Mähne) ich muss meine Spitzen schneiden!“  Diese Trivialität, um eines Wortspiels willen, ein Vorgang wie er aus der Werbung bekannt ist, spricht für sich und entlarvt den Ansatz von Dramaturgie und Regie wie es wohl kaum eine andere Aussage vermag. Es ist Zeitgeist pur.

 

C.M.Meier




Die Irrfahrten des Odysseus

nach Homer

Götz Argus, Andreas Bittl, Leo Gmeich, Thomas Gräßle, Katrin Röver, Wolfram Rupperti, Arnulf Schumacher, Dim Sclichter, Valery Tscheplanowa, Lukas Turtur, Simon Werdelis, Manfred Zapatka

Regie: Corinna von Rad

 

Residenztheater Trilogie der Sommerfrische nach Carlo Goldoni


 

 

Fritschs knallbuntes Turbotheater gefiel

Um 1800 urteilte A.W. Schlegel über Goldoni: „Seine Sittengemälde sind wahr, aber zu wenig aus dem Geist des Alltäglichen herausgespielt; er hat das Leben von der Oberfläche abgeschöpft.“ Landsmann Francesco de Sancti ging sogar noch drakonischer vor und meinte: Goldoni „geht immer rasch und direkt vor, nie denkt er längere Zeit nach, er sammelt sich nicht und vertieft nichts; zu seinen Inhalten, die ihm eigentlich gleichgültig sind, verhält er sich gutgelaunt und gedankenlos, immer ganz äußerlich (…); in seinem Bestreben, aller Rhetorik aus dem Wege zu gehen, stürzt er in die Gewöhnlichkeit ab.“ Wen wundern die von der Romantik getragenen und sich an deren Idealen orientierenden Verächter, kann man da nur anmerken. Ein anderer, illusionsloserer Zeitgenosse sah in Goldoni durchaus einen ernstzunehmenden Realisten: Stendhal. Der meinte: „Hätte man einem Komödiendichter verboten, die Welt zu verklären, so wäre dem keiner besser gerecht geworden als Goldoni.“ Darum empfahl er: „Seine Werke kaufen und darin das Natürliche studieren.“

Es mag eine Menge Ansätze geben, das künstlerische Werk Goldoni zu betrachten, zu verreißen oder hoch zu loben. Goldoni selbst liefert vielleicht die sinnvollste Erklärung, denn er hat sich nie mit anderen Maßstäben abgegeben als mit denen der Renaissance und diese Epoche vertrat die Ansicht, dass der Mensch das Maß der Dinge sein sollte. Das ist einfach und plausibel. Hinzu kommt noch etwas anderes, was man bei Künstlern eher selten antrifft. Goldoni war ein unerschütterlicher Optimist und er hatte ein glückliches Naturell. Eben das scheint auch auf Herbert Fritsch zuzutreffen, wenn man seine Inszenierungen sieht. In Bezug auf Goldoni zeichnet sich da unbestreitbar eine Kongenialität ab. Nachdem Fritsch mit „Der Revisor“ sehr vorteilhaft punkten konnte, nun also Goldonis "Trilogia della villeggiatura" von 1761 in der Übersetzung und Bearbeitung von Sabrina Zwach mit dem Titel „Trilogie der Sommerfrische“ auf der Bühne des Residenztheaters.

Die Bürger von Livorno reisen alljährlich nach der Weinlese nach Montenero in die Sommerfrische. Obgleich es sich niemand mehr leisten kann, werden große Roben aufgeboten und mittellose Freunde eingeladen, denn es schickt sich, eine große Gesellschaft um sich zu scharen. Filippo reist mit seiner verwöhnten Tochter Giancita, seiner Schwester Sabina, übrigens die einzige Person, die über ein Vermögen verfügt, und Guglielmo, einem jugendlichen Freund. Leonardo hingegen hat seine Schwester Vittoria und den Schnorrer Ferdinando im Schlepptau. Seine Pläne drohen jedoch an der nicht mehr zu verschleiernden Insolvenz zu scheitern. Erst als die Hochzeit mit Giacinta und deren Mitgift in trockenen Tüchern ist, kann die Party beginnen. Es folgt ein turbulenter Reigen aus Irrungen, Wirrungen und Bäumchen-wechsel-dich-Spielen. Italienische Leidenschaften führen zu Chaos auch in den Gefühlen. Am Ende, und darauf kann man sich bei Goldoni verlassen, geht alles gut aus und jeder bekommt, wonach das Herz begehrt.

Das Bühnenbild von Herbert Fritsch erschöpft sich in einer durchsichtigen Leinwand, auf die vordergründig projiziert und hintergründig Schattenspiele veranstaltet werden können. Es gibt einen guten Grund für das Frugale in der Ausstattung: Die „Faust“ Inszenierung hat auch den Etat für diese Produktion verschlungen. Das war natürlich ein Witz. Die Projektionen bestanden aus knallbunten Barcodes, die auch schon mal einen dreidimensionalen Raum vorstellen konnten. Der Gedanke mit den Barcodes ist naheliegend, denn obgleich unentwegt von Liebe und Geld geredet wird, wird auch an Geld gedacht, wenn nur von Liebe die Rede ist. Fritsch persifliert nicht nur die Urlaubskultur, sondern auch deren Protagonisten. Selbst wenn sich Herbert Fritsch gegen Aktualisierungen sträubt, weil sie ihn langweilen, wie er meint, der Bezug zum Heute lässt sich nicht leugnen. Urlaub, Urlaubsorte, Hotelklassen, Urlaubsgarderobe, all das sind längst Statussymbole geworden, und manch ein Zeitgenosse nimmt auch schon mal einen Kredit auf, um mithalten und –reden zu können.

  Trilogie-der-Sommerfrische  
 

Ensemble

© Thomas Aurin

 

Victoria Behrs Kostüme waren eine wahre Augenweide. Sie waren so grell überdreht, dass sie Gefahr laufen, als (Retro-) Mode schon wieder ernst genommen zu werden. Hinzu kam, dass sämtliche Darsteller so genannte „Kulturstreifen“ aufwiesen, scharfe Ränder in Braun und auch Krebsrot auf käseweißer Haut, wohin die Kleidung nicht reichte. Das erinnerte an die peinliche 50er und 60er Jahreästhetik an der Schwelle zum Aufbruch aus der Prüderie. Es ging nicht nur frivol zu in der Gesellschaft, die Sommerfrische war hochtouriges Relaxen mit viel Krach und Getöse. Sämtliche bekannten Klischees über Italien wurden gnadenlos verbraten – zum unbestrittenen Vergnügen des Publikums und ohne unsere liebenswerten südlichen Nachbarn zu denunzieren. Es war ein Heidenspaß, den exzessiven Wortkaskaden zu lauschen, die mit (Freudschen) Fehlleistungen nur so gespickt waren. Gestik und Mimik, Sprachgebaren und Gesang waren in der Tradition der Commedia dell’arte inszeniert, deren bedeutendster Reformator Goldoni war. Er wollte sie abschaffen, in dem er den Darstellern die Maske vom Gesicht nahm und ihnen so individuelle Charaktere verlieh. Im Ergebnis schenkte er den Italienern ein neues, lebendiges und dennoch sehr traditionsbewusstes Theater, an das Regisseur Fritsch auf schönste Weise erinnert.  

Schon in „Der Revisor“ war ersichtlich, dass Sebastian Blomberg ein von Fritsch favorisierter Darsteller ist. Als Ferdinando, der sich um die ältliche Sabina (Sibylle Canonica) und ihr Vermögen bemühte, brillierte Blomberg über weite Strecken. Sein Gigolo für Arme, mit Glitzermakeup und feistem Hüftschwung begeisterte, wenn er den Bühnenraum nur durchquerte. Markus Hering gab den verschuldetet Leonardo als einen permanent Flüchtigen vor den Gläubigern, aber auch vor seinen eigenen Dämonen. Er spielte exzessiv bis zur Atemlosigkeit, um am Ende als mehrfach begossener Narr dazustehen, wovon auch die ersten fünf Zuschauerreihen etwas hatten. Der Filippo von Aurel Manthei verblüffte mit italienischem Akzent. Das mutete angesichts der Tatsache, dass es allesamt Italiener in Italien waren, recht seltsam an. Aber so genau sollte man die Dinge nicht hinterfragen. Auch der vordergründige Genuss ist ein Genuss. Michele Cuciuffo, zwar in Deutschland geboren, konnten seine italienischen Gene in der Rolle des Fulgenzio nicht leugnen. Die braucht man vermutlich, um die ausgefeilte Kunst der Commedia dell’arte, die rasante Einheit von Wort und Geste dergestalt zu zelebrieren, dass es wie  Zauberei erscheint. Die Damen agierten alle gleichermaßen schrill, was man nach einer kurzen Gewöhnungsphase durchaus genießen konnte. Nora Buzalkas Giacinta und Friederike Otts Vittoria lagen lautstark im Dauerclinch, beide darauf bedacht, die andere als nicht up to date dastehen zu lassen oder sie mit schmeichlerischen Galanterien zu ermorden.

Fritsch hatte, wie es bekanntermaßen seine Art ist, extrem temporeich, ausladend körperlich und sehr rhythmisch inszeniert. Traumhafte Gesangseinlagen, die Texte waren sämtlich von Gino Paoli, komplettierten ein ästhetisch in sich geschlossene Inszenierung. Carsten "Erobique" Meyer im gestreiften (Schlaf-) Anzug war der Mann am Klavier. Wie ein abgekämpfter Barpianist, er rauchte, trank sein Bier, kommentierte er nicht nur musikalisch. Und um dem ganzen Spektakel noch das I-Tüpfelchen aufzusetzen, inszenierte und choreografierte Herbert Fritsch auch noch die Verbeugung. Das war mutig angesichts der denkbaren Möglichkeit, dass die Inszenierung beim Publikum durchfällt? Das hätte einen unangenehmen Nachgeschmack hinterlassen. Doch das ist nur müßige Spekulation, denn unterm Strich gab es eine furiose Inszenierung zu sehen, die kurzweilig, weil amüsant war, die Goldoni zur Ehre gereicht hätte und den großen Dramatiker nach langer Absenz wieder ins Bewusstsein des Münchner Publikum gerückt hat. Danke für einen wunderbaren Abend.

 

Wolf Banitzki

 


Trilogie der Sommerfrische               
Oder: Frivole Sommerfrische in möglicherweise drei Liebes-Akten
nach Carlo Goldoni, übersetzt und bearbeitet von Sabrina Zwach

Aurel Manthei, Nora Buzalka, Sibylle Canonica, Markus Hering, Friederike Ott, Sebastian Blomberg, Gunther Eckes, Michele Cuciuffo, Paul Wolff-Plottegg, Alfred Kleinheinz, Barbara Melzl

Regie: Herbert Fritsch