Volkstheater  Geschichten aus dem Wiener Wald  von Ödön von Horváth


 

 

 

Misstraue der Idylle

 

Alle Theaterstücke von Ödön von Horváth sind nach eigenem Bekenntnis Tragödien. Sie kommen nur so komisch daher, weil „sie unheimlich sind“. Das Unheimliche rekrutiert sich aus einer scheinbaren Gemütlichkeit, gepaart mit einer Herzlichkeit, die sich letztlich selbst als bestialische Gefühlsrohheit entlarvt. Die Figuren des Horváthschen Theaters sind exemplarische Vertreter unterschiedlicher Gesellschaftsschichten, die unterm Strich stets dieselben menschlichen Schwächen und Stärken repräsentieren. Übrig bleibt stets die Einsicht, dass der Mensch an sich (und durchaus auch im Besonderen) des Menschen schlimmster Feind ist. Damit nimmt Horváth dem Betrachter die Möglichkeit, sich politisch zu positionieren. Horváth erreichte dieselbe politische Wirkungslosigkeit, wie die Dichter, die unmittelbar auf politischen Effekt setzten. Damit offenbarte sich eine bedeutende Schwäche des Naturalismus, dem Horváth zuzurechnen war. Ungeachtet dessen bevölkern seine Stücke die Spielpläne der Theater permanent. Das mag nicht zuletzt auch Ästhetik geschuldet sein, von der Anton Kuh sagte: „Ein amorphes Stück Natur; vulgär wie ein Noch-nicht-Literat, souverän wie ein Nicht-mehr-Literat; aus Elementarem und Dilettantischem gemengt.“

 

In den „Geschichten aus dem Wiener Wald“ erzählt der Dramatiker ungarischer Abstammung vom Schicksal der Halbwaise und Sympathieträgerin Marianne. Sie ist die Tochter des Spielwarenhändlers Zauberkönig und vom Vater, mit Handschlag besiegelt, für die Ehe mit dem Fleischhauer Oskar bestimmt. (Die Berufsbezeichnung steht hier auch für eine Gemütscharakterisierung!) Während der Verlobungsfeier in freier Natur gibt sie sich dem Berufsspieler Alfred hin, empfängt und gebiert nach der üblichen Zeit. Der enttäuschte Oskar ist dennoch erfüllt von Liebe, oder was immer er dafür hält, und verspricht: „Meiner Liebe wirst du nicht entgehen!“ Alfred, der zuvor in einer Mesalliance mit der ältlichen Tabak-Trafikantin Valerie gelebt hatte, muss Verantwortung übernehmen und scheitert. Das Kind wird schließlich zu seiner Mutter in die Wachau gegeben, wo es bald zu Tode gepflegt wird. Für Oskar ist der Weg nun wieder frei, denn der Stein des Anstoßes, das uneheliche Kind, ist aus der Welt und Marianne von Alfred verlassen. Valerie hat sich mit dem zackigen Studenten Erich, eine gelungene Parodie auf den heraufziehenden Nationalsozialismus, aus Kassel eingelassen. Als Erich „heim ins Reich“ kehrt, bekommt Alfred wieder seine Chance. Marianne, die im „Maxim“ nackt als „allegorische Figur“ posieren muss, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, gerät in die Wurstfinger eines in Amerika reich gewordenen Wieners, der mit Geld nur so um sich wirft. Als Marianne sich ihm verweigert, klagt er sie des Diebsstahls an. Aus der Untersuchungshaft entlassen, ist Marianne eine gebrochene Frau und ergibt sich dem Werben Oskars. Damit ist die Fortsetzung der emotionalen Unterdrückung und Ausbeutung sanktioniert. Marianne ist am Ende doch noch mit der "Liebe" Oskars erlegt worden.

 
  WienerWald  
 

© Arno Declair

 

 

„Geschichten aus dem Wiener Wald“ ist eigentlich eine sichere Bank, denn die operettenhaften Elemente, die auf zynische Weise menschliche Brutalität karikieren, sind, setzt man das Ganze komödiantisch um, höchst unterhaltsam. Doch was macht man, wenn man auch eine politische Botschaft in Form einer zeitkritischen Betrachtung  transportieren will? Man verfremdet! So geschehen in der Inszenierung von Christian Stückl am Münchner Volkstheater. Der Regisseur, dessen Stärke klare und wuchtige Bilder sind, ging einer Psychologisierung des Dramas aus dem Weg, straffte die Geschichte und auch die Personage und schuf eine Clowneske mit stark überzeichneten Figuren, die darum nichts an Menschlichkeit einbüßten. Nur war der Betrachter nicht gefangen in einem, das Bewusstsein verwässernde Mitgefühl. Damit gestaltete Stückl bestes episches Theater.

Die Parallelen des Stückes zur heutigen Zeit sah Christian Stückl in der Krisenhaftigkeit der globalisierten Welt, in der hemmungsloser Neoliberalismus massenhafte Armut produziert, in dem große Teile der Menschen nicht mehr am Erwirtschafteten partizipieren, - Tendenz zunehmend, wie die Auswahl der Texte im Programmheft suggerieren. Die Welt befindet sich in einem gewaltigen Bürgerkrieg, bei dem es um Arbeit und Einkommen geht: „Die Arbeit im alten Sinne rentiert sich nicht mehr. Wer heutzutag vorwärtskommen will, muß mit der Arbeit der anderen arbeiten.“ (Alfred) Und wie in jedem Krieg gibt es Gewinner und Verlieren. Zu den Gewinnern gehört beispielsweise Oskar. Sein Geschäft basiert auf Lebensnotwendigkeit, denn Essen muss jeder. Pascal Fliggs Fleischhauer zeichnete sich nicht unbedingt dadurch aus, dass er seinen Beruf als höhere Berufung begriff, allein der ökonomischer Erfolg schien diese zu ersetzen. Hinzu kam die allseits verbreitete Illusion, wer ökonomisch erfolgreich ist, ist immer auch ein gutes Mitglied der Gesellschaft. Erst recht, wenn man ein guter Christ ist. Es ist eben dieser Charakter aus Skrupellosigkeit und Demagogie, der heute wie damals als Held gehandelt wird.

 

Noch auf der vermeintlich sicheren Seite sind die Tabak-Trafikantin Valerie, sinnlich und vordergründig von Ursula Maria Burkhart gespielt. Wie im Stück, gestaltete Frau Burkhart diese Rolle als eine der letzten Bastionen menschlichen Mitgefühls. Daran änderte auch die skrupellose Rückbesinnung auf ihren eigenen Egoismus nichts.  Der Rittmeister wähnte sich ebenfalls vor der Spirale des Niedergangs geschützt, denn als Pensionist glaubte er an den Bestand des Staates, der seine Getreuen nicht fallen lässt. Thomas Kylau war kurzfristig für den erkrankten Michael Tschernow eingesprungen und absolvierte seinen Part als Ex-K.u.K.-Offizier mit aller gebotenen Hohltönigkeit. Selbst der Zauberkönig, der sich mit seinem wahrlich schlecht florierenden Spielzeugladen über Wasser hielt, wusste immerhin noch, wohin er gehörte. Jean-Luc Bubert glänzte in dieser Rolle, agierte mit artistischem Geschick und aufwendiger Rhetorik deutlich über seine Rolle hinaus, in dem er zahllose Witze erzählte, die sehr zur Erheiterung des Publikums beitrugen. Immerhin neigte er bereits zum Pessimismus: „Alles wackelt, nichts steht mehr fest. Reif für die Sintflut.“

 

Die eigentlichen Verlierergeneration war, und auch hier zeigte sich eine bedrückende Aktualität, die Jugend. Alfred ist ohne Frage jemand, der mit schnellem Geld, egal wo es herkommt, zufrieden ist. Max Wagner gab einen bezaubernden, anziehenden jungen Mann, dessen Charme sehr schnell zur Makulatur und seine ganze Erbärmlichkeit sichtbar wurde, wenn es ans Eingemachte ging. Lenja Schultzes Marianne war ein verträumtes Mädchen mit idealistischen Vorstellungen vom Glück und vom Menschen. Dass sie am Ende zerbrach, ist auch ihrer schwachen geistigen Konstitution geschuldet. Sie konnte sich ihr Schicksal nicht einmal ansatzweise erklären und kapitulierte. „Mich prügelt er (Gott – Anm. W.B.) wie einen Hund! (...) Jetzt kann ich nicht mehr.“ Havlitschek  ist emotionaler und geistiger Verbündeter von Oskar. Als Angestellter bei dem kaltherzigen Fleischhauer wähnt er sich auf der sicheren Seite. Der Preis, den er zahlen muss, ist bedingungsloser Opportunismus. Sohel Altan G. spielte diesen überzeugend.

 

Auch Christian Stückls Inszenierung transportierte das Operettenhafte, den Kitsch, mit dem man den Bürger einlullt, damit er nicht wirklich zur Besinnung kommt. Die Darsteller sangen gekonnt ihre Schlager, und mancher Song klang wirklich besser als das Original. Michael Gumpinger begleitete die Darsteller und die Handlung am Flügel wie ein Stummfilmpianist und setzt treffliche Akzente. In der heutigen Zeit ist das Spektrum der medialen Verblödung wesentlich größer, damit auch der Wunsch nach Individualismus beim Stimmviehs bedient wird. Nur ein einsamer Indianer ist ein guter Indianer! – So ändern sich die Zeiten. Die Kostüme von Stefan Hageneier waren grandios schrill und zeitlos. Der Verfremdungseffekt war vollkommen und die Darsteller wurden in ihnen zu Charakteren nach Folien, die es zu allen Zeiten gab. Die Texte wurden aber gerade darum um so glaubhafter. Das Stück und die Inszenierung hielt sogar ein Prophetie bereit. Wenn der kleine Nazi Erich abgeht, dann nur mit dem Versprechen, wiederzukommen. Der geistige Kretin wurde von Johannes Meier auch physisch als ein solcher gespielt.

 

Das Bühnenbild von Stefan Hageneier war ein Idylle, ein Waldsee mit Schilf, umrahmt von einem undurchdringlichen Wald. Man ging zumeist auf und ab durchs Wasser. Man kam aus dem Wald und man ging in den Wald. Beschaulichkeit allenthalben. Doch wie bemerkte schon André Heller: „Misstraue der Idylle, sie ist ein Mörderstück. Schlägst du dich auf ihre Seite, schlägt sie dich zurück.“ Grandios!

 

 

Wolf Banitzki



 


Geschichten aus dem Wiener Wald   

von Ödön von Horváth

 

Jean-Luc Bubert, Ursula Maria Burkhart, Pascal Fligg, Sohel Altan G., Ilona Grandke, Thomas Kylau, Johannes Meier, Lenja Schultze, Max Wagner, Constanze Wächter

Regie: Christian Stückl

Volkstheater  Im Wald ist man nicht verabredet von Anne Nather


 

 

 

Frauenpower

 

‚Im Wald ist man nicht verabredet, und wenn man sich im Wald begegnet, dann hat das etwas zu bedeuten!’ Nur was? Elsie schaut bedeutungsschwanger. Elsi ist eine junge Frau und sie ist in die Waldidylle von Simon und Anton eingebrochen, genauer gesagt entstieg sie dem Uhrenschrank. Anton und Simon sind im Wald, weil Simon sich anschickt zu sterben und Anton eine Skulptur schaffen will oder muss, so genau weiß man das nicht. Simon will sich aus der Welt verabschieden und Anton will mit seiner Skulptur in die Welt (Stadt) zurückkehren. Der eine stirbt, mal mehr mal weniger qualvoll vor sich hin, während der andere werkelt, z.B. an einem alten Kotflügel, einem unverzichtbaren Utensil bei der Entstehung moderner Kunst. Doch plötzlich „läuft die Uhr“  - will meinen, der Uhrenschrank hat zu laufen begonnen, denn in ihm steckt Elsie.

 

Elsie ist eine Aussteigerin, die ihr altes (sehr junges) Ego „im Pausenhof“ vergraben hat und nun auf der Suche nach einer neuen Elsie ist. Die junge Frau bringt die Welt und natürlich den Geist und das Vorhaben der beiden Männer durcheinander, zumindest stört sie ihre Kreise, will meinen, sie erweckt sie für eine kurze Zeit aus ihrer Sterbe- und Werkelapathie. Das Sterben Simons kann sie ebenso wenig verhindern, wie sie Anton bewegen kann, in die Welt zurückzukehren, denn die Skulptur, im Keller des Hauses entstanden, ist so ausladend geraten, dass sie nicht auf dem Keller hervorzuholen ist. War das Vorsatz oder hat der Künstler im Schaffensrausch die Realitäten nicht berücksichtigt? Elsie kehrt dem Wald den Rücken und macht sich auf den Weg zum Ball der schlechten Herzen.

 
  ImWald  
 

Oliver Möller, Leon Pfannenmüller, Mara Widmann

© Daniel Delang

 

 

Selbst dem unaufmerksamen Leser müsste an dieser Stelle klar sein, dass es sich hier um ein surreales Dramenkonstrukt handelt, ziemlich stark abstrahiert von der Realität und poetisch verklärt. Märchenhafte Elemente durchqueren einen an sich von der realen Welt abgekoppelten Kosmos wie Sternschnuppen. Und wie ein Kosmos, hat auch diese Welt keinen Anfang und kein Ende. Für eine Stunde und vierzig Minuten öffnet sich das Guckloch in den Schaukasten, der die Welt zeigt, wie Anna Nather (geb. 1985) sie sieht. Dass sie sich dabei vornehmlich im Strudel ihrer eigenen, oder den Befindlichkeiten ihrer Generation dreht, ist nur natürlich. Vom Handwerk versteht sie einiges, denn es gelingt ihr, die Sprache ihrer Generation auf den Level einer Kunstsprache zu heben. Diese lebt allerdings auch von Brüchen, deren Effekte wir in moderner Comedy finden und die auf gänzlich anderer Ebene erheitern. So ist das Drama um Sterben und Selbstverwirklichung, von der wir nicht wissen, ob sie jemals stattfindet, zumindest lustig anzuschauen. Dass sich Anna Nather ihrer Verantwortung der Realität gegenüber verpflichtet fühlt, bewies am Ende, beim Abgang in den Tod oder in die Welt hinaus, eine Aufzählung von Begriffen, die einerseits fester Bestandteil unserer Realität sind, die zugleich aber auch das Dilemma der Realität widerspiegeln. Das Ganze wirkte allerdings wie ein Epilog, der in einer gänzlich fremden Sprache gesprochen wurde. Es unterstreicht schließlich einmal mehr die Brüchigkeit des dramatischen Konstruktes.  Dennoch muss Anna Nather zugestanden werden, dass ihr Talent unverkennbar und sie auf einem wirklich guten Weg ist.

 

Gespielt wurde in einem (von der Decke hängenden) Wald aus grünen Fichtennadelngirlanden und aus Girlanden aus Kunststoffflaschen, die mit großem Aufwand in gestaltete Objekte verwandelt worden waren. Auch hier eine Überhöhung der Realität, die ihre eigene Zerstörung scheinbar akzeptiert und ästhetische zu genießen gelernt hat. Es ist im Text häufig die Rede von Gift. In der Inszenierung wurde das Wort ambivalent und sprengte den Rahmen der Toxikologie. Das Licht von Philipp von Bergmann-Korn verwandelt die Szenen in das vom Text mehrfach beschworene verwunschene Land, in dem alles möglich ist. Der Uhrenschrank war ein Uhrenschrank, ein Schrank mit einer Uhr, der aber auch schon mal zum Haus selbst wurde, von dessen Dach aus der Blick in eine (behauptete) erstaunliche Ferne schweifen konnte, die dem Zuschauer allerdings verborgen blieb und die allenfalls angedeutet wurde. Die Botschaften der Kostüme von Katharina Müller waren gelegentlich deutlicher und verbindlicher als mancher Satz. Sie brachte den Wolf ebenso auf die Bühne wie das Aschenputtel, den Holzfäller ebenso wie das Discogirl.   

 

Dass der Abend über weite Strecken sehenswert und unterhaltsam war, verdankte er vornehmlich dem kraftvollen und raumgreifenden Spiel von Mara Widmann als Elsie. Während sich die Regisseurin Mareike Mikat, die ebenso für das Bühnenbild verantwortlich zeichnete, gelegentlich in der Umsetzung besonders witziger Szenen verlor, dabei nicht immer das rechte Maß für besonders dramatische Szenen fand und ein Anfall Simons, exzessiv und physisch sehr aufwendig von Oliver Möller gespielt, eine gefühlte Viertelstunde dauerte, riss Mara Widmann das Spiel immer wieder in die rechten Bahnen und die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf sich. Leon Pfannenmüllers Anton hingegen wirkte sehr introvertiert. Seine Zurückhaltung stellte die These von der geplanten und gewollten Rückkehr in die Welt beizeiten infrage. Mara Widmann hingegen gab abwechselnd und stets zwingend die gute Fee, das überrumpelte Rotkäppchen oder das heutige, selbstbewusste Mädchen auf der Suche nach sich selbst. Ihre Schwärmerei, ihr wundervoll unbedarfter Ausdruck verlieh den Szenen häufig Flügel und ein Abheben fand durchaus statt. Die männlichen Darsteller wurden einige Male von der Regie allein gelassen, weil der Focus hauptsächlich auf Mara Widmanns Elsie gerichtet war. Manche Pose der Herren geriet somit verlegen oder auch unbeholfen. Aber, so der letzte Eindruck, auf die Herren der Schöpfung kam er gar nicht wirklich an. Ihre Geschichten waren nur der Stoff, der Elsie träumen, spielen und entscheiden ließ. Und das tat sie mit Erfolg.

 

 

 

Wolf Banitzki



 


Im Wald ist man nicht verabredet

von Anne Nather

 

Oliver Möller, Leon Pfannenmüller, Mara Widmann

Regie und Bühne: Mareike Mikat

Volkstheater Das Leben ein Traum von Pedro Calderón de la Barca


 

 

Nein, war nur ein Witz!

Schein oder Sein, was ist unsere Welt? Viele Geschichten ranken sich um diese Fragestellung, wohl, weil eine objektive Antwort nicht möglich zu sein scheint. Der katholische Theologe und Theaterautor Calderón de la Barca gab eine Antwort. Er meinte, die Welt sei Schein, ein Traum von der Welt, und der endet mit dem Erwachen im Tod und dem Sein in Gott. Gut zwanzig Jahre vor la Barcas „Das Leben ein Traum“ orakelte schon ein gewisser Shakespeare zum Thema: „Wir sind vom Stoff, / Aus dem die Träume sind; und unser kleines Leben / Beginnt und schließt ein Schlaf.“ (Der Sturm, Prospero, 4. Akt, 1. Szene) Mit einem solchen Weltbild kann in der heutigen Welt kaum noch ein Blumentopf gewonnen werden, nicht, weil zu wenig Religiosität und Glaube in der Welt ist, sondern weil keine Zeit und kein Wille mehr ist, sich auf diese Erlösung vorzubereiten. Dabei haben „Stoffe, aus denen die Träume sind“ Hochkonjunktur wie noch nie! Allerdings wurde auch der Tod noch nie so konsequent ausgeblendet wie heute, und der Verheißung eines Lebens der unsterblichen Seele nach dem physischen Ableben schenken nur noch wenige Zeitgenossen Glauben. Aus dem Glauben an die Scheinhaftigkeit auch noch Tugend zu ziehen, ist eine andere, längst unmoderne Dimension. Heute würde Mephistopheles Triumphe feiern, denn die Mehrheit unserer Mitbürger ist längst bereit, die Seele für eine Bühne, für Besitz, für banale Fetische, für die Liebe oder für eine simple, fühlbare Zweisamkeit zu verkaufen.

Was fängt man nun mit so einem Stück an, in dem der mittelalterliche polnische König Basilius seinen Sohn Sigismund wegen des Orakel, der Sohn werde ein Tyrann,  wegsperrte, wie zuvor Laios seinen Sohn Ödipus. Das Grandiose an den Geschichten ist, dass, in dem das Orakel ernst genommen und darauf reagiert wird, sich die Prophezeiung überhaupt erst erfüllen kann. Warum auch immer, Basilius beschließt, seinem Sohn eine Chance zu geben. Der wird unter Drogen gesetzt, in den Palast gebracht und man erklärt ihm, er sei nun König und seine furchtbare Erinnerung an das Leben zuvor nur ein Traum gewesen. Sigismund folgt der Prophezeiung der Sterne und wird Tyrann. Wie auch nicht, wo er doch sein ganzes bisheriges Leben ein Gefangener war ohne soziale Kontakte und Bildung. Doch um Entwicklungspsychologie ging es dem katholischen Priester Calderón gar nicht. Ihm ging es darum, sich in diesem Schein, welcher sich Leben nennt, sittlich zu bewähren. Sigismund wird wieder weggesperrt und hat nun Zeit, alles zu überdenken. Er kommt zu der Einsicht, dass er den freien Willen besitzt, trotz der Prophezeiung der Sterne sittlich zu handeln. Als ein Aufstand losbricht und das Heer von Basilius geschlagen wird, berufen die Aufständischen Sigismund erneut zum König. Der, sittlich geläutert, beugt demütig das Knie vor dem Vater. Basilius erkennt, dass der Sohn jetzt reif ist für die Königswürde. Georg Hensel sagte über den Dichter Calderón: „Der an die Gnade Gottes glaubende Calderón hat die sittlich befriedigendsten, tiefsten Happy-Ends der Weltliteratur geschrieben.“ Mit Verlaub, Herr Hensel, wohl aber auch die realitätsfremdesten.

 
  DasLebeneinTraum  
 

Lenja Schultze, Roman Hemetsberger, Max Wagner, Pascal Houdus, Oliver Möller, Xenia Tiling, Johannes Meier

© Arno Declair

 
 
Noch einmal gefragt: Was fängt man nun mit so einem Stück an?  Regisseur Christopher Rüping machte aus dem Schauspiel in drei Akten, oder aus dem, was er davon übrig ließ, eine rasante Action-Komödie. Bühnenbildner Jonathan Merz baute ihm dafür eine Viertel-Pipe, also ein halbe Halfpipe, wie sie Skater oder Biker für Freestylesport-Event nutzen. Damit war klar, hier handelte es sich auch um eine Sportveranstaltung. Die wurde dann auch locker von Oliver Möller anmoderiert, der die Akteure vorstellte, die z.T. noch in der Maske saßen und per Video auf die weiße Fläche übertragen wurden. Zuletzt stellte er sich selbst vor und naseweiste das Publikum, in dem er behauptete, König Lear, Dschingis Kahn oder auch King Arthur zu sein. Nein, war nur ein Witz! Zum Ende der Anmoderation, der Gag war längst überstrapaziert, gab er dann doch zu, König Basilius zu sein. So blödelte man sich langsam in die Geschichte hinein, die mehr und mehr Fahrt aufnahm und leider immer wieder durch den Text von Calderón (Übersetzung von J. D. Gries, 1775-1843) ausgebremst wurde. Schade, denn besser wäre es gelaufen, hätte man den lästigen Calderón nicht immer wieder mal gebraucht, um dem Titel des Abends gerecht zu werden. So radikal, wie Christopher Rüping (Er wurde im Festival „radikal jung“ auffällig!) das Stück auf Rahmen und Räder heruntergebrochen hatte, um das Vehikel am Laufen zu halten, da wäre es ratsam gewesen die Fragmente der barocken Sprache auch noch zu tilgen. Wie lästig Autoren doch manchmal sein können.

Sei’s drum, es war ein tolle Hatz, in der die jungen, durchtrainierten, athletischen Schauspieler die Wände hinauf und hinunterwetzen, als könnten sie die Gesetze der Physik außer Kraft setzen. Schöne Körper waren zu sehen. Der Anblick von Pacal Houdus (Sigismund - Er machte aus dem Stand einen Flickflack!) und Max Wagner (Astolfo) oder Johannes Meier (Clarin) konnten David Backham und seine Unterwäsche vergessen machen. Auch das Studium ihrer Genitalien und ihrer „Knackärsche“ war möglich. Angesicht soviel männlicher Schönheit, verbot sich die Frage nach dem Warum. Radikalität allenthalben. Alles wurde Opfer der sprachlichen oder mimischen Verballhornung, - die Liebe, die Politik und das, was man Persönlichkeit nennt. Und die Darsteller waren willfährig und begeistert mit von der Partie, liefen zu großer Form auf und waren durchweg sehenswert. Das junge Ensemble des Volkstheater ist bekanntermaßen wie Dynamit, wenn man es einmal entzündet, fliegen die Fetzen. Dabei schuf Christopher Rüping große bewegliche, nicht immer bewegende, Bilder, die für sich genommen, durchaus ästhetischen Reiz hatten. Es wären durchaus kurzweilige 100 Minuten gewesen, wenn man nicht immer wieder den moralisch aufgeblasenen Calderón hätte ertragen müssen.

Trotzdem war es unbedingt eine sehenswerte Arbeit. O-Ton einer Besucherin: „Hast du schon mal so was abgefahrenes gesehen?“ Regisseur Christopher Rüping brachte mit einem fast vierhundertjährigen Drama (UA 1635) heutiges Lebensgefühl auf die Bühne, das vornehmlich in verbissener Ausbeutung von Zeit, oder auch Raserei genannt,  besteht, die Tiefe ignoriert. Es war wie Surfen. Man muss nur schnell genug sein, dann holt Einen die Welle auch nicht ein und Adrenalin ist garantiert. Nach dem Sinn gefragt, kann man wohl ganz im heutigen Zeitgeist antworten: Der Sinn besteht in der Sinnsuche. Es ist, als bestünde eine natürliche Scheu vor Erkenntnissen, vor Werten, vor dem Ankommen. Man müsste ja vielleicht mal innehalten. Und Calderón? Den brauchte es, wie bereits angedeutet, eigentlich gar nicht. Aber irgendeinen Namen muss eine Inszenierung ja haben, warum also nicht den von Calderón und seinem Stück. Namen sind ohnehin nur Schall und Rauch.


 
Wolf Banitzki

 

 


Das Leben ein Traum

von Pedro Calderón de la Barca

Johannes Meier, Oliver Möller, Lenja Schultze, Xenia Tiling, Max Wagner, Roman Hemetsberger, Pascal Houdus

Regie: Christopher Rüping

Volkstheater  Die Leiden des jungen Werther nach Johann Wolfgang von Goethe


 

 

Die ewig jungen Wertherleiden

 

Wer kann sich selbst nach fast 240 Jahren dieser Geschichte wirklich entziehen? Mit den „Die Leiden des jungen Werther“ begründete Goethe seinen Ruhm. Wenn diesem Werk Genialität innewohnt, dann die des genialen Sachwalters des künstlerischen Effekts. José Ortega y Gasset schrieb in seiner Festschrift zum 100. Todestag „Um einen Goethe von innen bittend“: „(Goethe) wäre der Fragwürdigste aller Klassiker, weil er ein Klassiker zweiter Ordnung ist, ein Klassiker, der einerseits von den Klassikern gelebt hat, der Prototyp des geistigen Erbens - von welchem Umstand er selbst sich so klare Rechenschaft gab -, kurz, ein Patrizier unter den Klassikern. Er hat sich von den Zinsen der ganzen Vergangenheit genährt. Sein Schaffen hat manches von einer Verwaltung überkommener Reichtümer, und darum fehlt in seinem Werk wie in seinem Leben niemals ein gewisser philiströser Zug, wie er den Verwaltern eigen ist.“ Ortega y Gasset erklärt, warum Goetheverehrung und die Mangelhaftigkeit der Einschätzung seiner Person uns an den Punkt gebracht habe, der Statue Goethe ein wenig überdrüssig zu sein. Er schreibt: „Das Fesselndste ist nicht der Kampf des Menschen mit der Welt, mit seinem äußeren Schicksal, sondern der Kampf mit seiner Berufung. Wie verhält er sich gegenüber seiner unerbittlichen Berufung? Folgt er ihr ganz und gar, oder ist er im Gegenteil fahnenflüchtig und erfüllt sein Dasein mit den Surrogaten dessen, was sein echtes Leben gewesen wäre?“

 

Goethe war in Bezug auf die Kunst ein Fahnenflüchtiger, doch konnte er es sein Leben lang brillant kaschieren. Frühreif (im unangenehmsten Sinn) wie er war, widerstand er selbst beizeiten der Versuchung, sich der Liebe zu ergeben. Das dokumentieren immerhin die Tatsachen. Er lernte am 7. Juni 1772 auf einem Ball in Volpershausen Charlotte S.H. Buff kennen. Lotte war zu seinem Leidwesen mit dem vielbeschäftigten Legationsrat Johann Christin Kestner leiert. Das Zusammensein mit Lotte einen Sommer lang hatte sich „leidenschaftlicher als billig“ entwickelt und „so fasste ich (Goethe –Anm. W.B.) den Entschluss, mich freiwillig zu entfernen, ehe ich durch das Unerträgliche vertrieben würde“. Er reiste am 11. September auf Einladung Sophie La Roches von Wetzlar nach Ehrenbreitstein. Die Dame war Mutter zweier reizender Töchter. Eine, Maximiliane, hatte es ihm mit ihren schwarzen Augen schnell angetan, und er ergab sich der „neuen Leidenschaft, (...) ehe die alte noch ganz verklungen war“. Soviel zum Verhältnis von Autor und Werk. Der Selbstmörder war ebenfalls nicht aus der Luft gegriffen, sondern der junge Karl Wilhelm Jerusalem, ein Legationssekretär, den Goethe bereits aus Leipzig kannte. Der nahm sich Ende Oktober 1772 das Leben.

 

Goethes Geniestreich bestand darin, im Stile einer heutigen Dokusoap eine Geschichte mit schlimmstmöglichen Ausgang (Der erste Suizid in der deutschen Literatur!) zu erzählen, die nur Allzumenschliches beschrieb und die daher völlig zeitlos ist. Der einzige Unterschied zu heute ist die grandiose, exorbitant reiche und daher nicht unbedingt für die damalige und wohl auch heutige bildungsferne Schicht entwickelte Sprache. Goethe war von Anbeginn seiner schriftstellerischen Tätigkeit ein begnadeter Handwerker! - Soviel Theorie muss sein, um heutige Rezeptionen einordnen zu können. Eine neuerliche fand am 26. Februar 2013 am Volkstheater München statt und es war, soviel sein vorab gesagt, eine durchaus sehenswerte Rezeption.

 
  Werther-2  
 

Pascal Riedel, Sohel Altan G., Mara Widmann

© Arno Declair

 

 

Jan Gehlers ästhetisch unspektakuläre und ausgewogene Inszenierung ließ tatsächlich vergessen, dass die Vorlage bereits im Jahr 1774 Schwarz auf Weiß erschienen war. Er setzte ganz auf die Handlung und die Strahlkraft seiner Darsteller. Ohne inszenatorische Mäzchen erzählte er die Geschichte in 1 Stunde und 20 Minuten gradlinig, ohne auf den emotionalen Background zu verzichten. Ein wenig störend im Ablauf waren naturgemäß die reflektorischen Passagen (Die Vorlage ist ein Briefroman.), in denen die Darsteller aus den Dialogen ausstiegen, um den Fortgang der Geschichte oder die innere Befindlichkeit an das Publikum gerichtet zu vermitteln. Auch wurde gelegentlich ein wenig zu schnell gesprochen, was den Zwischentönen den Raum nahm. Ungeachtet dessen blieb die Inszenierung flüssig, da die Geschichte hinreichend zwingend ist. Gehlers Liebe zum Detail wurde deutlich, als dem Abschiedsbrief Werthers ein Laubblatt entfiel, welches Lotte am Anfang des Stücks zwischen ihren Lippen gehalten hatte. Ein berührendes Bild.

 

Sabrina Rox hatte die Bühne zweigeteilt, in dem sie den Raum mit einer großen weißen Treppe von rechts oben nach links unten diagonal zerschnitt. So entstand ein  äußerer Raum für Landschaften und ein innerer Raum für die Wohnstatt Lottes und später auch Alberts. Die gute musikalische Begleitung wurde von den Darstellern von einem Tonpult im Bühnenhintergrund selbst eingespielt. Dorthin zogen sich die Darsteller zurück, die für den Moment nicht an der Handlung beteiligt waren. So behielt die Inszenierung einen offenen Charakter. Es wurde in heutiger Alltagskleidung gespielt (Kostüme: Katja Strohschneider) und in sehr heutigem Gestus. Die jungen Darsteller entwickelten von der ersten Minute an jene jugendliche Energie, deren grundlegende Charakteristik im Unbändigen, im Unkanalisierten bestand.

 

Wenn man Pascal Riedel als Werther erlebt hat, kann man sich schwerlich eine andere Besetzung vorstellen. Sein feinnerviges Spiel entsprach ganz und gar dem, was man während der Klassik gemeinhin unter „überspannt“ verstand. In dieser Zeit wurde Sensibilität unter dem Wort Empfindsamkeit immerhin zum Oberbegriff einer ganzen künstlerischen Epoche. Allein, das gesunde Volksempfinden sah darin eher eine nervliche Überreizung, vornehmlich Künstlern eigen. Sohel Altan G. war Werthers Gegenspieler und Lottes Verlobter/Ehemann Albert. Es war nicht der Albert Goethes, der stets um die Form besorgt war, sondern ein Mann, der trotz der Freundschaft zum  Nebenbuhler um seine Lotte zu kämpfen bereit war. Erstaunlich wirkungsvoll war denn auch der Moment, als Albert Werther plötzlich mit einer Pistole bedrohte und in seine Schranken wies. Das war keinesfalls Goethe, doch dramaturgisch sinnfällig, denn schließlich musste die (Selbstmord-)Waffe ja irgendwann eingeführt werden.

 

Lotte ist sowohl bei Goethe, wie auch in Gehlers Inszenierung das Subjekt der Begierde. Mara Widmann erfüllte diese Aufgabe geschickt und verlieh der Figur etwas Flüchtiges. Sie kokettierte nicht, sondern blieb die Freundin, die sich von Albert nie abwandte. Justin Mühlenhardt gab die andere tragische Männerfigur. Auch er liebte unerhört, nur tötete er nicht sich, sondern das geliebte Wesen. Im Angesicht der Tat zeigte Mühlenhardt glaubhaft einen zerstörten und bedauernswerten Menschen. Lenja Schultze blieb der Part der personifizierten Vernunft. Ihr selbst wurde keine Liebe zuteil und so agierte sie nüchtern und pragmatisch, um zu retten, was nicht zu retten war.

 

Das Volkstheater verfügt mit dieser Arbeit über eine brauchbare Inszenierung, mit der man insbesondere die Jugend für das Theater begeistern kann. Viele junge Menschen werden sich in dieser Geschichte und in deren Umsetzung wiederfinden können. Auch wenn gerade diese Geschichte keine brauchbare Lösung anbietet, so lässt sie doch zumindest erkennen, dass tragische Liebe kein individuelles Problem ist. Und das kann helfen, einen Weg aus einem möglichen Dilemma und ins Leben zu finden. Den Versuch sollte es unbedingt wert sein. Oder, um es mit Ortega y Gasset, auch mit Blick auf den fahnenflüchtigen Goethe, zu sagen: „Jeder ist, was er werden muss, wenn er es auch vielleicht niemals wird.“

 

Wolf Banitzki



 


Die Leiden des jungen Werther

nach Johann Wolfgang von Goethe

Sohel Altan G., Justin Mühlenhardt, Pascal Riedel, Lenja Schultze, Mara Widmann

Regie: Jan Gehler

Volkstheater Dantons Tod  von Georg Büchner


 

 


Danton und der Messiaseffekt

 

„Die Unterdrücker der Menschheit bestrafen ist Gnade, ihnen verzeihen ist Barbarei.“ Dieser Satz ist, man lese und staune, längst in den deutschen Zitatenschatz aufgenommen worden. Dabei ist er Bestandteil einer Rede Robespierres im 1. Akt, 3. Szene des Dramas „Dantons Tod“ von Georg Büchner, mit der der große Revolutionär, der Unbestechliche, wie ihn seine Jakobinische Anhängerschar hieß,  das Abschlachten tausender Menschen rechtfertigte. Ihm voran ging, ganz nebenbei bemerkt, der Satz: „In einer Republik sind nur Republikaner Bürger; Royalisten und Fremde sind Feinde.“ Mitleid nannte er falsche Empfindsamkeit, die er als Verrat begriff. Robespierre setzte seine Worte in die grausige Tat um, so lange, bis das Volk Frankreichs seiner Schlächterei überdrüssig war und ihn selbst 1794 auf das Schafott schickte.

 

Robespierres Weltsicht fußte auf den Thesen des Aufklärers Jean-Jacques Rousseau. Nach dessen Vorstellungen münden die Bemühungen der Gemeinschaft über die freiwillige Übereinkunft in einen Gemeinwillen (volonté générale). Der Gemeinwille folgt den Erfordernissen des Gemeinwohls und, hier pervertierten die Vorstellung Rosseaus, hat dabei immer Recht. Damit war das Individuum bedeutungslos geworden. Robespierres Forderungen konnten radikaler und menschenverachtender nicht sein: Gegner der Republik hatten nur die Wahl zwischen Änderung ihrer Überzeugungen oder den Tod. Die Terrorherrschaft, ein notwendiges Übel dieser Zeit, diente nach Robespierre Vorstellungen dazu, das Volk für den Rosseauschen Gesellschaftsvertrag vorzubereiten. Derselben Mechanismen, der „Säuberungaktionen“ bedienten sich die russischen Revolution und auch die SED in der ehemaligen DDR. Feinde des Sozialismus, der höchste Errungenschaft des Volkes, (Es gab den Sozialismus, wie ihn die Klassiker beschrieben hatten, nie!) wurden mit denselben Argumenten getötet oder weggesperrt.

 

Hérault, ein Mitstreiter Dantons widerspricht Robespierre: „Wir alle sind Narren, es hat keiner das Recht, einem andern seine eigentümliche Narrheit aufzudrängen.“ Damit hat er das Todesurteil über die gemäßigten Revolutionäre um Danton gesprochen. Sie wurden am 31. März 1794 vor das Revolutionstribunal gestellt und am 5. April hingerichtet. Büchners Drama, geschrieben um die eigene Flucht aus Hessen vor politischer Verfolgung zu finanzieren, ist die nüchterne Abrechnung mit der Französischen Revolution. Er, der die revolutionären Ideale feurig verteidigte, war desillusioniert. Jeglicher Idealismus war im suspekt. Der Philosoph Ludwig Marcuse brachte es auf den Punkt: „Büchner dachte: ‚Alles was ist, ist um seiner selbst willen da.’“ Büchner leugnete, dass sich hinter den Dingen ein Schicksal oder eine höhere Idee verbarg. Auch verlor er den Glauben an die revolutionäre Kraft der Masse, wie in seiner Komödie „Leonce und Lena“ deutlich wurde. Die einzige Kraft, der er fortan revolutionäres Potenzial zuschrieb, ist der Hunger: „Das Verhältnis zwischen Armen und Reichen ist das einzige revolutionäre Element in der Welt; der Hunger allein kann die Freiheitsgöttin ... werden.“

 
DantonsTod

Jean-Luc Bubert, Pascal Fligg

© Arno Declair

 

Stefan Hageneier schuf für die Inszenierung von „Dantons Tod“ in der Regie von Christian Stückl ein Bühnenbild, das an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. Er hatte das „Haus Frankreich“ auf die Bühne gebracht, entkernt und ohne Wände. Der Raum war auf ein Minimum reduziert, Schutt des vergangenen Abrisses lag herum, die Dielen waren löchrig. Es war das Haus, in dem die Republik errichtet werden sollte, doch genau das fand nicht statt. Die Kinder der Revolution debattierten, stritten und fraßen sich gegenseitig. Es ist ein seltsames Bild, dass die Revolution ihre Kinder frisst, wie einst Saturn in der römischen Mythologie. Es sind doch vielmehr die Protagonisten selbst, die sich „zerfleischen und fressen“. Allen voran Robespierre. Jean-Luc Bubert spielt ihn unnahbar, kalt, berechnend und scheinbar bar jeglicher Sinnlichkeit. Sein Gegenspieler Danton konnte gegensätzlicher nicht sein. Pascal Fligg gab einen Sinnesmenschen, dem nichts menschliches fremd ist. Er konnte vor Begeisterung oder Erregung schäumen, sich im nächste Augenblick in die tiefsten Tiefen seines Ichs zurückziehen. Gleichrangig schienen die beide einzig im Ausmaß ihres Egos zu sein. Allein, Danton war derjenige, der sich überschätzte. Sein Kalkül war tödlich.
 

Er konnte sich letztlich auch nicht von der Verantwortung freisprechen, die er für seine Mitstreiter trug. Leon Pfannenmüller gab einen eindringlichen, fordernden Phillippeau. Seine flehentlichen bis fordernden Mahnung an Danton verhallen kaum beachtet. Sohel Altan G. war der dritte im Bund, Camille Desmoulins. Sein sichtbarer Schmerz war nicht der Angst vor dem Tod geschuldet, sondern der Liebe zu seiner Frau Lucile und ihren Verlust. Mara Widman spielt eine unbeugsame Frau, die glaubhaft zu kämpfen vermochte. Pascal Riedels Lacroix, er sollte der Erste sein, der in den Tod geht, zeigte panische Angst vor dem Tod und Verzweifelung über die Sinnlosigkeit. Riedel schaffte es dennoch, diese Figur nicht auf schmähliche Weise den Gefühlen der Schwäche zu opfern. Kristina Pauls vermochte es als standhafte hinterbliebene Gattin Dantons den Widersacher Robespierre für einen kurzen Moment zu rühren. Bleibt noch Stefan Ruppe zu erwähnen, der den Part des St. Just als beamtenhaften, eiskalten und unberührbaren Bluthund Robespierres spielte. Er verkörperte den Typus, ohne den keine Diktatur funktioniert und der sich am besten mit dem Namen Eichmann umschreiben lässt.

 

Christian Stückl hat das Drama für seine Inszenierung kräftig gerupft. Von der Personage blieb nur ein Bruchteil übrig und viele Szenen verschwanden gänzlich. Auch vertauschte er die Texte gegeneinander. Heraus kam eine Spielfassung, die die wesentlichen Vorgänge in den Vordergrund schob. Zwar büßte das Stück viel ein, was atmosphärisch gewesen wäre, doch wurde einiges auch verständlicher. Es reichte immerhin noch für zwei und eine halbe Stunde (eine Pause), die sich eingangs etwas quälend gestalteten. Es fehlte der Rhythmus, der sich allerdings gegen Ende des 1. Teils einstellte. Nach der Pause stimmte dann alles und das schnörkellose Spiel wurde mitreißend und löste Emotionen aus. Stückl hatte das breit angelegte Stück herunter gebrochen auf die wesentlichen Fragen. Das waren nicht die Fragen nach Strategie und Taktik von Revolutionen, sondern einzig nach Menschlichkeit. Am Ende stand dann doch die große Frage nach dem Sinn von gesellschaftlichen Veränderungen. Ein wenig Pathos schwang schon mit, als die vier Männer aufrechten Hauptes in den Tod gingen. Und, befragt man die Geschichte nach dem Sinn solcher (Selbst-)Opferungen, so bleibt doch unterm Strich immerhin der Messiaseffekt und der funktioniert schon seit Jahrtausenden. In ihm ist das Prinzip Hoffnung verankert.

 

In Zeiten von Politikverdrossenheit  und mangelnder Geschichtskenntnisse ist es wohl schwer, einen Stoff wie „Dantons Tod“, in dem es in einem historischen Bilderbogen um Politik, Philosophie und Psychologie geht, an den Mann, resp. an die Frau zu bringen. Allein, der genialische Büchner schrieb das Stück einundzwanzigjährig, und er brannte für die Ideale der Freiheit und der Menschlichkeit. So etwas blieb nicht ohne literarische Folgen. So sei noch eine Nachbemerkung zu Büchner erlaubt. Das Wort hat Robert Musil: „Schöngeistigkeit liebte er nicht, sondern Tatsachen: nur das sind die Menschen, welche imstande sind, den schönen Geist zur Tatsache zu machen.“

 

 

 

Wolf Banitzki



 

 


Dantons Tod

von Georg Büchner

 

Sohel Altan G., Jean-Luc Bubert, Pascal Fligg, Kristina Pauls, Pascal Riedel, Stefan Ruppe, Mara Widmann, Leon Pfannenmüller

Regie: Christian Stückl