Marstall Die bitteren Tränen der Petra von Kant von Rainer Werner Fassbinder
In Memoriam Rainer Werner Fassbinder
„Parodie? Nein, Kitsch wider Willen. An Drehbuchschwächen und Überforderung der Hauptdarstellerin scheitert der Versuch, Grunderkenntnisse über das Wesen der Frau durch gekünstelte Sprache als künstlerisch wertvoll zu verkaufen.“ So schrieb Der Spiegel 1997 über den von Rainer Werner Fassbinder im Januar 1972 in nur zehn Tagen gedrehten Low-Budget-Film „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“. Wie sehr Kritiken doch auseinander driften können, beweist die Tatsache, dass der Film bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin 1972 für einen Goldenen Bären nominiert war und 1973 drei Bundesfilmpreise erhielt. Sicher, Fassbinder war, auch wegen seiner unkonventionellen Lebensweise und seiner radikalen künstlerischen Ansichten, bereits zu Lebzeiten Kult. Doch das erklärt nicht, warum sein Werk heute, dreißig Jahre nach seinem Tod, noch immer so populär ist. Vielleicht liegt das daran, dass sich Homosexualität als Lebensentwurf trotz aller gesetzlichen Regelungen noch immer auf dem Weg in die Emanzipation befindet.
„Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ war eine Fallstudie, in der Fassbinder, wie in kaum einem anderen Werk, Autobiografisches verarbeitete. Es ging um das Ausloten von Machtverhältnissen in homoerotischen Beziehungen, um die Pole Liebe und Geld. Und obgleich die persönlichen Verstrickungen Fassbinders inzwischen hinlänglich bekannt sind, spiegelte er das Thema und verlagerte die Problematik in den Bereich der weiblichen Homosexualität. Fassbinder wollte damit nicht verschleiern, sondern zum Ausdruck bringen, dass die Unterschiede gering sind. Fassbinder dazu: „Alles in allem finde ich das Verhalten der Frauen genau so schrecklich wie das Verhalten der Männer, und ich versuche, die Gründe dafür zu illustrieren und vor allem zu zeigen, dass wir fehlgeleitet werden durch unsere Erziehung und durch die Gesellschaft, in der wir leben. Meine Beschreibung dieser Verhältnisse ist nicht frauenfeindlich. Sie ist ehrlich...“
Der Film erzählt die Geschichte der erfolgreichen und wohlhabenden Modedesignerin Petra von Kant, die mit ihrer Sekretärin Marlene in einer luxuriösen Bremer Wohnung lebt. Marlene ist ihrer Dienstherrin völlig verfallen, die sie wie eine Sklavin hält und permanent demütigt. Petra hat bereits zwei Ehen hinter sich. Aus einer ging Tochter Gabriele hervor, die sie in ein teures Internat „entsorgt hat“. Petras Mutter, Valerie von Kant, hängt gleichsam am exklusiven Tropf der Tochter. Durch ihre Freundin, Baronin Sidonie von Grasenabb, lernt Petra Karin Thimm, ein Kind mit proletarischer Herkunft, kennen. Sie verliebt sich in Karin und bietet ihr eine Anstellung als Mannequin an. Karin willigt ein und lässt sich von Petra aushalten. Petras Versuche, Karin in ihrer Entwicklung zu befördern, scheitern. Stattdessen nutzt sie ihre Macht, die sie durch die Liebe über Petra hat, schamlos aus. Als sie Petra verlässt, reagiert diese verzweifelt und hysterisch, beschimpft als „kleine, miese Hure“ und ergibt sich dem Alkohol. An ihrem fünfunddreißigsten Geburtstag wird sie von Tochter Gabriele, Mutter Valerie und Freundin Sidonie besucht. In diesem verlogenen Trubel um ihre Person begreift Petra, dass sie allein ist und dass sie Karin nie wirklich geliebt hat, sondern sie besitzen wollte. Ihr Fazit: „Man muss lernen zu lieben, ohne zu fordern“.
|
|
|
|
Sophie von Kessel, Bibiana Beglau
© Hans Jörg Michel
|
|
Der Film, er spielte ausschließlich im Appartement der Petra von Kant, machte den arglosen Zuschauer gnadenlos zum Voyeur. Regisseur Martin Kušej folgte der Vorgabe von Fassbinder und bestellte bei der Bühnenbildnerin Annette Murschetz einen Raum, der an eben diesem Ansatz des schamlosen Beobachtens, und nichts anderes ist Voyerismus, keinen Zweifel ließ. Die Darstellerinnen waren gefangen in einem Raum mit einem umlaufenden Fenster, hinter dem die Zuschauer in Zweierreihen verschanzt saßen. Der gesamte Fußboden des weißen Rauminnern war mit identischen Flaschen zugestellt, die sich im gleich bleibenden Abstand von ca. 30/40 Zentimetern in Reih und Glied zueinander befanden und ein Agieren schwer machten. Eingangs staksten die Darstellerinnen, Damen der feinen Gesellschaft, wie noble Tiere durch den Raum, bemüht, so wenig Berührung wie möglich zu haben. Die Situation blieb durchgängig bis zum letzten Akt eine sehr intime, was nicht zuletzt auch die Kostüme von Heidi Hackl betonten. Es wurde viel Unterwäsche und Fleisch gezeigt. Mit dem Auftauchen von Karin Thimm geriet die wohlbehütete Ordnung langsam aber unaufhaltsam durcheinander und ging im wahrsten Sinn des Wortes in die Brüche. Die ekstatischen Hass- oder Liebesausbrüche verursachten Scherben, in denen sich die Darstellerinnen mit blutigen Körpern wälzten.
Das Bühnenbild machte großen Eindruck, obgleich es bis zum Ende hin, selbst als die Bühne mit weißen Matten geflutet wurde, steril und leblos wirkte. Nichts konnte mit dem eigentlichen Leben in Verbindung gebracht werden, außer die Flaschen selbst, da es bei den Protagonistinnen eine starke Neigung zum Alkohol gab. Fassbinders Affinität zu Betäubungsmitteln war ja schon vor seinem Tod hinlänglich bekannt. Die Szenenwechsel im Innern des Raumes fanden im Dunkeln statt. Die Zuschauerräume allerdings waren beleuchtet, so dass sich die Besucher selbst in den Fenster gespiegelt sahen. Das war nicht unbedingt die angenehmste Erfahrung, wurde dem Betrachter doch deutlich, dass er versteckter Beobachter war und sich selbst dabei ertappt sah. Die psychedelischen Klänge von Jan Faszbender schürten diese Verunsicherung zusätzlich.
Der Einsatz, mit denen Bibiana Beglau (Petra von Kant) und Andrea Wenzl (Karin Thimm) jeweils ihren Part absolvierten, nötigte großen Respekt ab. Frau Beglaus Petra war eine schwankende, selbstzweiflerische oder sehnsüchtige, zugleich aber auch gefühlskalte, dominante und herrische Person, der man ihre letzte Einsicht, nicht lieben zu können, sondern besitzen zu wollen, leicht abkaufte. Andrea Wenzls Karin hatte, entsprechend ihrer sozialen Herkunft, vulgäre und ordinäre Züge. Sie konnte allerdings auch, wenn Wünsche offen waren, berückend zauberhaft oder auch fordernd erotisch sein. Michaela Steigers Sidonie schien der Titelseite eines Boulevardblattes entstiegen zu sein. Busen und Hintern waren die schlagendsten ihrer Argumente, ein Klischee, das ohne Zweifel einen hohen Wahrheitsgehalt hat. Elisabeth Schwarz verlieh der parasitären Mutter Valerie ebenso viel Grandezza, wie Elisa Plüss der Tochter Gabriela kindlichen Liebreiz. Bei beiden Rollen war die Ernüchterung am Ende rabiat. Elisa Plüss demonstrierte die innere Verletzung, in dem sie sich mit den Glasscherben blutig ritzte. Eine der schwierigsten Aufgaben hatte Sophie von Kessel zu bewältigen. In der Rolle der Marlene hatte sie weder Text, noch eigene aktive Handlungen. Sie war gezwungen, zu reagieren. Sie, die ihre Brötchengeberin hingebungsvoll liebte, musste die Beschimpfungen Petras über sich ergehen lassen und erniedrigt mit anschauen, wenn Petra und Karin sich liebten. Am Ende baumelt sie im Bühnenboden. Ihre Maske allerdings war mehr Behauptung des Leids und weniger Ausdruck desselben. Sie erinnerte ein wenig an Stummfilm.
Martin Kušejs artifizielle Inszenierung des Fassbinder-Films war in jedem Fall beeindruckend, ebenso wie das Spiel seiner Darstellerinnen. Dennoch fragte man sich in bestimmten Situationen, welchen Wert die Auseinandersetzung mit der an sich schon artifiziellen Geschichte, deren Künstlichkeit den Betrachter geradezu anspringt, für den heutigen Theatergänger haben kann. Der Filmhistoriker und –kritiker Ulrich Gregor nannte den Film "...eine Studie in Dekadenz, gegenseitiger Abhängigkeit, Leidenschaft, Raserei und Verzweiflung, (mit einem – W.B.) Hang zum Exzess“. Über die Alltagstauglichkeit dieser Geschichte kann man sicherlich streiten. Als Hommage an den Ausnahmekünstler und wohl auch Menschen Rainer Werner Fassbinder machte die Inszenierung allemal Sinn. Und das war schließlich der Zweck der Übung.
Wolf Banitzki
Die bitteren Tränen der Petra von Kant
von Rainer Werner Fassbinder
Bibiana Beglau, Sophie von Kessel, Elisa Plüss, Elisabeth Schwarz, Michaela Steiger, Andrea Wenzl
Regie: Martin Kušej
|
Marstall Das Interview von Theo van Gogh
Schlacht auf weißem Plüsch
Theo van Gogh war ein Provokateur par exellence. Mit aufreizenden und auch zynischen Äußerungen erboste er immer wieder seine Widersache und auch breite Teile der Bevölkerung. Dabei teilte er in alle Richtungen aus, was sicherlich auch ein Form von Demokratie ist. Naturgemäß ereilte ihn 1984eine Anklage wegen eines Witzes über „zwei kopulierende gelbe Sterne in der Gaskammer“. Dem Schriftsteller Leon de Winter warf er „Vermarktung seines Judentums“ vor. In „Submission“, einem seiner letzten Filme, der in Zusammenarbeit mit der Muslimin Ayan Hirsi Ali entstand, ließ er vier islamische Frauen über ihre Missbrauchserfahrungen sprechen. Islamisten nannte er auch schon mal „Ziegenficker“. In der Folge ergingen Morddrohungen an ihn und an Ayan Hirsi Ali. Sie wurde zeitweise unter Polizeischutz gestellt werden. Theo van Gogh nicht. Er wurde am 2. November 2004 in der der Amsterdamer Linneausstrat von dem islamischen Fundamentalisten Mohammed Bouyeri auf brutale Weise hingerichtet. Nachdem der Täter den Filmemacher niedergeschossen hatte, schnitt er ihm die Kehle durch und heftete mit zwei Messerstichen ein fünfseitiges Bekennerschreiben an dessen Brust.
Van Gogh war kein Provokateur um der Provokation willen. Vielmehr reagierte er auf sehr heftige Weise auf die Unzulänglichkeiten unserer Welt. Seine Themen reichten von christlichen Moralvorstellungen, über islamischen Fundamentalismus bis zu dem profanen Wertekanon der westlichen Welt. „Das Interview“ (2003) zeigt das Auseinanderklaffen der Ansprüche und Wertvorstellungen in Journalismus und Unterhaltung in heutigen Medien. Van Gogh begriff und definierte dieses Feld als ein Schlachtfeld. Auf diesem Terrain geht es ums Überleben, um „Jeder gegen Jeden“. Der Hintergrund der Geschichte ist einerseits das eklatante Versagen der niederländischen Blauhelmtruppen in Srebrenica 1995, als bei einer ethnischen Säuberung 8.000 Muslime in deren Anwesenheit hingerichtet wurden. Andererseits erlebte der Unterhaltungssektor der Medien einen bis dato ungekannten Boom. Die Produktionsfirma „endemol“ entwickelte derzeit mit einem gewaltigen finanziellen Erfolg die heute weltweit gängigen Formate von „Big Brother“ bis hin zur täglichen „Soap“. Für van Gogh kam es dem unaufhaltsamen Sieg der Massenverblödung gleich.
Die Protagonisten vertreten in van Goghs Film „Das Interview“ genau diese beiden Seiten einer konkreten gesellschaftlichen Situation. Am Tag der Handlung tritt die Regierung der Niederlande wegen des „Massakers von Srebrenica“ zurück. Der Kriegsberichterstatter Pierre Peters, er hat unter Einsatz seines Lebens auch vom Balkan berichtet, erhält den Auftrag, die Soap-Darstellerin Katja Schuurman zu interviewen. Dabei sei angemerkt, dass Theo van Gogh die Rollen in seinem Film mit den Schauspielern Pierre Bokma und Katja Schuurman besetzt hatte. Um nicht zu irritieren: Die Geschichte ist ein fiktive. Pierre Peters ist überaus enttäuscht, denn er sah den Rücktritt der Regierung längst kommen, darf aber nicht darüber berichten und muss sich stattdessen mit einem „Männer verschlingenden, sehr blonden Silikonwunder“ herumplagen. Das Interview kann nur daneben gehen, denn Katja sieht sich einem arroganten Reporter gegenüber, der keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen sie und gegen das, was sie repräsentiert, macht. Das Ende ist dennoch sehr überraschend und lässt hinter die Kulissen des Showbizz und des Journalismus gleichermaßen schauen, die sich so unähnlich nicht sind und in denen das Motto gilt: Friss oder werde gefressen!
|
|
|
|
Birgit Minichmayr, Sebastian Blomberg
© Adrian Ehrat
|
|
Regisseur Martin Kušej brachte seine Produktion des Neumarkt Theater Zürich auf die Bühne des Marstalls. Sebastian Blomberg und Birgit Minichmayr zogen darin gegeneinander zu Felde. Das Feld, oder besser Schlachtfeld, war von Jessica Rockstroh gestaltet worden und beschränkte sich auf einen einzigen Raum mit Blick auf die Tür zum Appartement und einer Gasse in angrenzende unsichtbare Räume. Der Boden war mit hellem Plüsch ausgelegt. In der folgenden verbalen Schlacht der beiden Demagogen wurde auch schon mal Brust an Brust gekämpft, obgleich die Verachtung beider füreinander wirkliche Nähe gar nicht zuließ. Vorgeführt wurde eine der großartigsten Errungenschaften unserer Medienkultur, nämlich die Fähigkeit herzlich zu umarmen beim Tötungsakt. Birgit Minichmayrs Katja Schuurman war laut, schrill und nicht selten ordinär. Sie spielte auf Hochtouren, ein Starlet auf Koks. Dabei gab ihr die Rolle die Freiheit, zu manipulieren, zu verstören oder einfach nur zu verschrecken. Sebastian Blombergs Pierre Peters war eher introvertiert, selbstquälerisch und bei allem scheinbar sehr fragil. Zu fragil, mochte man meinen, denn den harten Kriegsreporter nahm man ihm auf den ersten Blick nicht ab. Erst seine Geständnisse ließen ahnen, was er durchgemacht hatte und dass er Produkt dessen war, was sich unverdaut in ihm angestaut hatte. Am Ende der Geschichte bekam der Zuschauer einen Eindruck davon, was es heißen kann, im täglichen Medienbetrieb zu überleben.
Der Plot kommt mit großer Wucht. Das Ergebnis erzeugt Entsetzen. Es ist unfassbar, wie Menschen mit Menschen umgehen. Und dabei ist es tagtägliche Realität. Ohne Frage erzeugt Martin Kušejs Arbeit eine Katharsis. Aber, bei allem Respekt vor dem Werk, das sich durchaus sehen lassen kann, hätte die Wirkung deutlich größer sein können. Die verknappte Fassung führte häufig dazu, dass Brüche in der Handlung auftraten, Reaktionen, die nicht unbedingt nachvollziehbar waren. Man tolerierte sie, weil hier zwei Diven aufeinander losgingen, deren Reaktionen nicht zwingend logisch erscheinen mussten. Betrachtet man allerdings das Werk von Theo van Gogh, wird deutlich, wie logisch, wie zwingend alles psychologisch miteinander verwoben ist. Misst man die Inszenierung von Martin Kušej zudem am Film von Steve Buscemi, der auf dem Sundance Festival 2007 Premiere hatte, wird der Unterschied deutlich. Was bei Martin Kušej allzu häufig Behauptung und Deklaration war, hatte im Film gute Gründe. Alles entwickelte sich organisch, so dass die Geschichte, so hart sie am Ende auch aufprallte, immer glaubhaft blieb. Dabei wird vielleicht auch deutlich, denn die Rollen sind ja im Film wie im Stück dieselben und verlangen einen bestimmten Typ Schauspieler, dass die Besetzung zumindest mit Frau Minichmayr nicht die ideale war. Sienna Miller verlieh ihrer Katja Schuurman neben der rolleneigenen Vulgarität einen diabolischen Hintersinn, der schaudern machte.
Es war unbedingt ein sehenswerter Abend, der Martin Kušej und den Darstellern viel Applaus einbrachte. Doch wäre es noch schöner gewesen, wenn man mit einer Arbeit, die ohne Wenn und Aber über die Bühne gegangen wäre, den Mut des umstrittenen und schwierigen Künstlers Theo van Gogh honoriert hätte. Immerhin hat er seinen Mut mit dem Leben bezahlt. Es wäre an der Zeit, van Goghs Leumund zu entschlacken vom skandallüsternen Beiwerk der Medien, um seine Kunst in den Fokus der Betrachtung zu stellen. Dabei würden mehr Gesellschaftskritik und weniger Befindlichkeit sichtbar werden.
Wolf Banitzki
Das Interview
von Theo van Gogh
Sebastian Blomberg, Birgit Minichmayr
Regie: Martin Kušej |