Marstall Persona von Ingmar Bergmann


 


Preisgabe

Das Wechselspiel von Privatsphäre und Öffentlichkeit, von Individualität und Gemeinschaftswesen, von Person und empfindsamem Wesen bewegt die umfassende zeitgemäße Mediengesellschaft nicht minder intensiv, wie ihre Vorfahren seit Anbeginn der Zivilisation. Die Entwicklung von Rollen stand am Beginn eines kulturellen Fortschritts der Artgemeinschaft Mensch und dient der Erleichterung des Miteinander ebenso, wie der Entfaltung des einzelnen. Vorbilder, Sterne stehen auf den Bühnen und ihre Habitus, ihre Person regt stets zu Nachahmung an. Ob Königin oder Knecht, keiner kann sich freisprechen. Gewollt und ungewollt leiten diese Bilder.

Während der Darstellung von Elektra unterdrückt die Schauspielerin Elisabet Vogler einen Lachanfall. Eine Erkenntnis streifte sie. Nach dem Ende der Vorstellung beschließt sie fortan zu schweigen, sich durch Schweigen zu entziehen, zu widersetzen. Eine Illusion, wie sich herausstellt, da man ihr eine Betreuung zuteilt, welche für sie sorgen soll – letztlich für sie zu sprechen beginnt und die an sie gerichteten Briefe öffnet und liest. Alma, die Krankenschwester wiederum entwickelt daraus persönliche Nähe zu Elisabet und vertraut dieser berauscht intimste Geheimnisse an. Elisabeth amüsiert sich in einem Brief über die Bekenntnisse der Schwester, verletzt diese. Und dazwischen, auf der Bühne des Marstalls, agiert ein Regisseur – er erarbeitet die Einstellungen zu einem Film und verbindet als Mann. Nach dem Kontakt Almas mit Elisabets Mann beginnt sie sich immer mehr mit Elisabet zu identifizieren, sie erkennt und benennt den Auslöser für das Schweigen. Elisabet hat ein Problem mit der Mutterrolle, mit dem ungeliebten, dem häßlichen Kind.  Nun ist es an Alma sich über Elisabeth zu erheben, die Verletzung zu vergelten.

Wie zwei Spiegelbilder standen sich Evgenia Dodina als Elisabet und Juliane Köhler als Alma auf der Bühne gegenüber. Identität und Schweigen. Götz Schulte verkörperte, sehr zurückgenommen, doch omnipräsent und gestaltend, damit ganz wie es der Rolle entspricht, den Regisseur. Er besprach mit Juliane Köhler die äußeren Erscheinungsmerkmale der Krankenschwester Alma, wobei seine Ausführungen an vielen Stellen durchaus als Komplimente formuliert und vorgebracht waren. Elisabet bewegte sich über die Bühne, nahm auf einem Stuhl inmitten des Geschehens Platz, während Vorbereitungen zum Film zur Sprache kamen. Immer schweigend und doch Gesicht und Körper voll beredeter Gesten, so erfüllte Evgenia Dodina die Rolle. Das Schweigen bildete, angesprochen und unausgesprochen, den Mittelpunkt. Je länger dieses Schweigen anhielt, umso intensiver wurde die Spannung fühlbar, die erst durch einschalten von Medienempfängern und damit Musik und Stimmen auf der Suche nach Wahrheiten ablenkte, später sich in den triumphierenden Minuten entlud. Die Schauspielerinnen brachten die Spannung ans Publikum.
 
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Juliane Köhler, Evgenia Dodina

© Sarah Rubensdörffer

 

 

Die unbedingte Nähe mancher Beziehung führt zur Preisgabe innerster Vorgänge und persönlichster, oft verborgener Eigenschaften. Sie ermöglicht den Zugang zu Erinnerung im Gegenüber. Schon der einfache Rausch entgrenzt – in vino veritas. Begegnet man einander offen, legt für den Höhepunkt der Zweisamkeit, und dauerte dieser auch nur Sekunden, die Maske der Person ab, so gewährte Mensch Einblick in sein Innerstes. Einander im und nach dem Akt der Auslieferung und/oder der bedingungslosen Gemeinsamkeit mit dem mindesten Respekt zu begegnen, wäre der Beginn von Mensch-Sein. Identifikation und Schweigen. Doch bis dahin ist offensichtlich noch ein weiter Weg, und vor allem gälte es die Natur des Wesens zu beherrschen, die sich stets opportun äußernde Natur. Die versucht sich Schwäche zu Nutze zu machen, zu einem Vorteil, zu einer Laune. Vom Beil oder dem Messer, zu dem die Kämpfer greifen, bis zum spitzen denunzierenden Wort der körperlich Unterlegenen reicht eine vielfältige Palette. Und der blanke Opportunismus tobt an den Oberflächen und im Hintergrund.

Auf der Bühne gab es eine sehr ambitionierte Zusammenstellung von Szenen, die zwischen Regieanweisung zu einem Filmset, Erzählung einer Geschichte und Dialogen zum psychologischen Hintergrund hin und her sprang. Handelte diese von der Beziehung des Regisseurs zu zwei Frauen, von denen eine stillschweigend die Anwesenheit und intime Verbindung ihres Mannes zur anderen ertrug, oder handelte diese von der Verbindung einer Krankenschwester zu ihrer Patientin und der Frau des Regisseurs, oder handelte diese von den gefühlten Beziehungen zwischen Menschen, dem alles durchdringenden Feld in welchem das Archimedische Prinzip gilt,  die Gefühle in Aktion und Verdrängung schwanken und einer mit den persönlichsten Eindrücken von einem anderen hausieren geht? Ein permanenter Vorgang, blickt doch jeder auf PartnerIn, FreundIn, auf den Nachbarn und seine Eigenheiten mit denen er sich gelegentlich oder dauerhaft „herumschlägt“. Selbst das Schweigen und der Rückzug bilden keinen sicheren Hort, denn im Leben ist auch der in Vereinzelung Verharrende nie vor solcher Konfrontation gefeit. Die Flucht in den Tod liefert die Seele, welche Bestandteil des Feldes ist, aus in den Nachvollzug chemischer Gesetze in der Atmosphäre – von wegen Erlösung und Himmel. Der Wind pfeift, die Sonne brennt, die Wolken verdüstern, darin treibt die Seele ... eine Konsistenz, ein Sammelsurium von Eindrücken aus dem erdeumspannenden Spiegelkabinett der Eitelkeiten.

Die Inszenierung war offen gehalten, ein Blick auf Chaos und Ebenen, und jeder Zuschauer vermochte darin zu erkennen, was ihm zu erfassen möglich war. Doch reicht die Offenlegung des Vorganges? Im vergangenen Jahrhundert widmeten sich Kunst und Wissenschaft der Analyse, vornehmlich der Analyse. Sigmund Freud und August Strindberg sind herausragende Schaffende dieser Zeit. Ingmar Bergmann wurde wohl von Letzterem stark beeinflusst. Und bis heute blicken wir auf die erkannten Reaktionsmuster. Spielte man früher auf den Bühnen vornehmlich die Rolle, so spielt man heute nicht nur auf den Bühnen vornehmlich das Verdrängte. Ist das nun spannender und menschicher oder einfach nur naturnäher. Mit all dem erworbenen Wissen wird hauptsächlich allgemein zelebrierter Fatalismus, die bequemen „Hauptsache Wohlfühlen“ – Theorie und der Handelswert bewegt. Das Innerste des Menschen, die Natur, zu veräußern wurde auf vielen verschiedenen Ebenen zu einem höchst einträglichen Geschäft.

 
 
C.M.Meier

 

 


Persona

von Ingmar Bergmann

Evgenia Dodina, Juliane Köhler, Götz Schulte, Anouk Barakat

Regie: Amelie Niermeyer

Marstall Katzelmacher von Rainer Werner Fassbinder


 

 

Das Fremde oder Ein Gespenst geht um

In einem Dorf unweit von München hängen 10 Jugendliche ihren verkümmerten, rudimentären Träumen nach. Diese sind angesiedelt zwischen Aufbegehren und dem Wertesystem der Eltern, zwischen Sehnsucht nach einer Ordnung und Anarchie. Angeheizt wird dieser Konflikt, als der Grieche Jorgos als Gastarbeiter in das Dorf kommt. Der Fremde, der gleichsam für das Fremde steht, verunsichert, schürt Abneigung und Selbstzweifel. Die Mädchen finden den Fremden anziehend, und das erst recht, als sich herumspricht, dass er auch unter der Gürtellinie attraktiver ist als die Dorfjungen.

Die Ordnung, oder das, was die Jugendlichen darunter verstehen, ist gestört. „Eine Ordnung muss wieder her“, hetzt Helga, das Mädchen aus dem Nachbardorf. Als Gunda mit dem Versuch, sich Jorgos zu angeln, scheitert, lässt sie lapidar wissen: „Totschlagen solche Leut, glatt totschlagen.“ Besonders leidet Erich unter der Situation, denn er hat Marie an den „Katzelmacher“, wie man die griechischen Gastarbeiter dereinst nannte, verloren. „Niemand hat mir was getan. Einen Zorn hab ich, sonst nichts.“ Die Begehrlichkeiten und Animositäten nach und gegen Jorgos wachsen sich unaufhaltsam aus. Als selbst die junge Unternehmerin Elisabeth ihrem ausländischen Angestellten Avancen macht („Jeder ist besser wie keiner.“), hat sich der Mob bereits formiert und aufgerüstet. Die Spirale der Gewaltbereitschaft hat den „Point of no Return“ erreicht. Das Unausweichliche findet statt.

Was als „Junges Resi“ im Marstall offeriert wurde, war in der Sache so neu nicht, denn drei der jungen Laiendarsteller (Michel Kopmann, Loris Kubeng und Tamara Theisen) waren bereits in der überaus bemerkenswerten und gelungenen Inszenierung „Dreck“ von Robert Schneider in der Regie von Manuela Kücükdag im Marstall zu sehen. Die als „Intergroup“ bezeichnete Schauspielformation hat sich nun unter der Leitung der Regisseurin Anja Sczilinski des Szenarios von „Katzelmacher“ von Rainer Werner Fassbinder angenommen, um einerseits das internationale Projekt „POSTPARADISE FASSBINDER NOW“ zum Abschluss zu bringen und andererseits auf ein sehr aktuelles Thema zu reagieren. Die elf Jugendlichen aus fünf Nationen im Alter zwischen 16 und 24 Jahren setzten sich in dieser Arbeit mit Problemen auseinander, die durchaus auch ihre eigenen sein können oder die ihrer Altersgenossen sind. So kann davon ausgegangen werden, dass diese Arbeit zuerst die Protagonisten über die Auseinandersetzung mit ihren Rollen formte und dann das Publikum. Es ist ein lobenswerter Ansatz, der darüber hinaus eine Vielzahl Jugendlicher ins Theater bringt und Berührungsängste abbaut.

  katzelmacher  
 

Carina Wiedemann, Sarah Thonig, Paul Langemann, Michel Kopmann

© Frank Stolle

 

 

Peter N. Schultzes Bühne ist vornehmlich ein praktikabler Spielraum. Zwei bewegliche Wände wurden genutzt, um innere Konstellationen wie Zusammenhalt, Front machen oder Fallen errichten, zu verdeutlichen. Die Kostüme unterstrichen den jugendlichen Drang, Individualismus zu demonstrieren, der nicht selten, wenn innere Einheiten wie gemeinsame Gewaltbereitschaft entstand, uniform werden. Regisseurin Anja Sczilinski nutzte den Spielraum wie eine Arena, aus der die Darsteller heraustreten konnten, um gleichsam zu Zuschauern zu werden. Michael Emanuel Bauer lieferte life musikalische Kommentare, zitierte zeitgenössische Schlager, aber auch klassenkämpferische Attitüden, wenn es um weltanschauliche Ansätze ging. Der Kommunismus wurde (recht platt und ohne Effekt) diskutiert, aber auch die aktuelle Finanzkrise, für die Griechenland wie kaum ein anderes Land steht. Erstaunlich immerhin, wie sich die Vorurteile in Krisensituationen gleich einem Phönix aus der Asche wieder erheben. ‚Die faulen Griechen, die verlogenen Griechen, die Deutsche für Nazis halten, die auf unsere Kosten lebenden Griechen, und, und ...’

Obgleich allen beteiligten jungen Darstellern ein Höchstmaß an Spiellust und auch eine deutliche, von echter Begabung zeugenden, darstellerische Präsenz zugestanden werden kann und muss, fühlten sich die eine Stunde und zehn Minuten deutlich länger an. Zwar war es der Regisseurin gelungen, den Schauspielern zu wirklichen, präzise agierenden Bühnencharakteren zu verhelfen, doch die Geschichte als solche blieb faserig und nicht stringent genug. Das lag vielleicht auch daran, dass das Spiel räumlich nicht selten soweit auseinander driftete und wichtige Zusammenhänge, wie die einzelnen Beziehungen der Rollen untereinander, aus dem Focus gerieten. Dennoch war es eine Lust, dem lustvollen, agilen und engagierten Spiel zu folgen. Verglichen mit den anderen, in München zur Zeit laufenden Fassbinder-Inszenierungen bestach diese Arbeit durch ihre unmittelbare Aktualität. Es bleibt zu hoffen, dass sich dieses Format als eines neben anderen am Staatstheater etablieren kann, denn an solchen Abenden, wie dem hier beschriebenen, fühlt sich der Zuschauer auf angenehmste Weise als Partner des Theaters.

 
Wolf Banitzki

 

 


Katzelmacher

von Rainer Werner Fassbinder

Felix Erbersdobler, Lena Heiß, Michel Kopmann, Loris Kubeng, Paul Langemann, Arber Mucolli, Carlotta Riesser, Tamara Theisen, Sarah Thonig, Carina Wiedemann, Naemi Wolf

Regie: Anja Sczilinski

Marstall The Happy Ending of Franz Kafka`s Castle


 


Theatrale Anarchie und Wohlfühlarena

„Es war spätabends, als K. ankam. Das Dorf lag in tiefem Schnee. Vom Schlossberg war nichts zu sehen, Nebel und Finsternis umgaben ihn, auch nicht der schwächste Lichtschein deutete das große Schloss an. Lange stand K. auf der Holzbrücke, die von der Landstraße zum Dorf führte, und blickte in die scheinbare Leere empor.“ (Franz Kafka: Das Schloss)

Es war Samstag, den 11. Februar 2012, als die Besucher von „The Happy Ending of Franz Kafkas Castle“ gegen 19.55 Uhr aus der Hauptkasse des Bayerischen Staatsschauspiels abgeholt wurden. Ziel war der verschneite Platz vor dem Marstall, wo man von dröhnenden Posauenenklängen aus den Mündern von vier, von Höllenfeuern illuminierten Engeln empfangen wurde. Es klang, als hätte P.P. Pasolini die Heimkehr des Odysseus mit bayerischen Alphörnern hörbar gemacht. In Tonnen brannten wärmende Feuer. Fetischpatrouillen gingen um und reichten Schnaps aus der Flasche. Kostüme wurden angeboten. Es stand dem Besucher frei, in ein höfisches Ornat zu schlüpfen und so „Jemand vom Schloss“ zu werden.  Die Besucher konnten sich abwechselnd in einem mit dicken Federbetten bestückten schmiedeisernen Bett oder in einer Jurte aufwärmen. Immerhin zeigte das Thermometer 13 Grad unter Null an.

Doch ganz im Gegensatz zu K., der das Schloss in einer scheinbaren Leere vermutete, erschien es dem Theaterbesucher in voller Pracht. Drei starke Projektoren erleuchteten den Marstall in seiner vollen Größe. Auf den Wänden erschienen Kafka-Fragmente und Kommentare. Das Bild beeindruckte. Dann, nach ca. 20 Minuten, öffnete sich das Tor zum Marstall-Schloss und ließ die vorsorglich dick bemäntelten Besucher ein. Hier begann der Unterschied zu Kafka, dessen Josef K. keinen Zugang zum Schloss erhalten hatte. Wer die Projektionen auf der Fassade des Marstalls aufmerksam durchforschte, konnte ein Zitat aus Kafkas „Vor dem Gesetz“, der berühmten Türhüterparabel, lesen. „Hier konnte niemand sonst Einlass erhalten, denn dieser Eingang war nur für dich bestimmt. Ich gehe jetzt und schließe ihn.“

Nachdem der Einlass gewährt war, erlebte der Zuschauer im Foyer des Marstalls eine kommentierte Filmprojektion. In einem Schattenspiel, vermutlich war das Filmset eine Petrischale (winzige Kaulquappen schwammen durchs Bild), wurde eine sehr vage Geschichte erzählt, in der die Geburt eines Kindes vorkam, eine Sexszene und eine Figur, die von den Kommentatoren K. genannt wurde. Der Kommentar wurde übrigens in einer slawischen Sprache eingesprochen, vielleicht Tschechisch (Kafka wurde in Prag geboren), vielleicht war es aber auch nur die onomatopoetische Illusion dieser Sprache. Verständlich war im Redeschwall das Wort „Landvermesser“, die Berufsbezeichnung des Josef K. Zwischendurch wurde, wie in einer Performance nicht unüblich, auf Deutsch persifliert, karikiert oder auch nur geblödelt. Dann ging es in den Spielraum des Marstalls.

„Ihr wundert Euch wahrscheinlich über die geringe Gastfreundlichkeit, aber Gastfreundlichkeit ist bei uns nicht Sitte, wir brauchen keine Gäste.“ So bei Kafka. Ganz anders im Schloss von Showcase Beat Le Mot, im Folgenden kurz SCBLM genannt. Die Besucher wurden mit einem Büfett empfangen, an dem sich jeder Gast sein Schnittchen schmieren konnte. Dazu gab es frisch gezapftes Bier. Dann konnte man sich einen gemütlichen Platz an den Wänden des Marstalls suchen, und in eine Welt eintauchen, die ein Gegenentwurf zu Kafkas Schloss, quasi sein glückliches Ende sein sollte.

Dieser Gegenentwurf war eine begehbare Installation, in dessen Zentrum ein fantastischer Phonoturm stand, in dem sich mechanische Musikinstrumente befanden. Um den Turm herum befand sich ein Sammelsurium von szenischen Versatzstücken, deren Sinn manchmal recht vordergründig, andererseits aber auch unergründlich war. Im Spielverlauf wurde manches deutlich und einiges nicht. Es drängte sich der Verdacht auf, dass manches auch sinnfrei angedacht war und erst durch das Auge des Betrachters und dessen Interpretation einen Sinn (geschenkt) bekam. Das Ganze war eine Mischung aus theatraler Anarchie und Wohlfühlarena. Letzteres Dank der unerwarteten Speisung und Einrichtungen wie: „Kafkas kathartischer Sauna, einer mystischen Massagebank und ein Resozialisierungs-Rodeo“.

Die Musik von Albrecht Kunze hatte über weite Strecken etwas Zwingendes. Sie donnerte manchmal wie eine biblische Weissagung oder vereinte alle Anwesenden in einem aggressiven, mitreißenden Rhythmus. Zwischendurch komische Momente, z.B. wenn die Darsteller mit Bilderrahmen bewehrt, den Zuschauern Ausschnitte von sich selbst oder aber auch von Allem oder Nichts präsentierten. Geradezu slapstickhaft war die Szene: Wie arrangiert man Menschen für ein Bild. Komisch wurde es, wenn sich kafkaeske Kriterien (Ausschluss von tradierter Logik) einschlichen. Ein Running Gag aus der Filmgeschichte wurde zelebriert. Es handelte sich dabei um zwei Personen hinter und vor einem großen Spiegel, dessen Glas zu Bruch gegangen war. Eine Person, in der Regel völlig betrunken, betrachtet sich im Spiegel und die andere Person, in der Regel die, welche den Spiegel zerbrach, kopiert den Posierenden, gaukelt ihm quasi vor, er sehe sich.

Die Atmosphäre war locker und bald schon nahmen Zuschauer die Plätze der Darsteller ein, wandelten zwanglos durch das Bühnenbild und tauchten ein in die Welt der Illusion, die sodann eigentlich keine mehr war. Dabei wollen SCBLM alles andere als Mitmachtheater. Der Zuschauer soll sich wohl fühlen, soll sich berühren lassen, doch er soll nicht Akteur werden. Damit folgen die Macher immerhin einem Theatergesetz, das da lautet: Verbrüdere dich nicht mit dem Publikum. Schließlich ging es ja nicht darum, sich näher zu kommen, sondern das glückliche Ende von Franz Kafkas Schloss zu erleben. Und wie sieht das aus? SCBLM’s Vorschlag lautete: „Ein Schloss des guten Ausgangs, eine Wellnessoase für Verzweifelte, ein Amt für geistige Libertinage, in dem die Verwirrung des modernen Daseins sich selbst feiert.“

Bei allen Wohlfühlübungen, SCBLM sind keine ideologischen Weichspüler. Nähere Betrachtungen sollten eigentlich den Verfassungsschutz alarmieren, denn die strategische Stoßrichtung von SCBLM’s Angriffe ist auf den „Partizipationszwang und die Kapitalhölle“ gerichtet. Dafür steht das „Schloss“ von Frank Kafka, Sinnbild einer Gesellschaft, in der sich die durch ungleich verteilten Reichtum (manchmal auch Diebstahl genannt) geschaffenen Kasten voneinander abschotten, um sich und ihren Reichtum vor den Vielen zu schützen.

SCBLM  haben inzwischen so etwas wie Kultstatus erlangt. Das 1997gegründete  internationale Performance- und Theaterkollektiv hat in den Jahren seit seinem Bestehen viele Grenzen niedergerissen und ein Theater geschaffen, in dem Comic, Film, Tanz und auch Sport vorkommen. Ihr Erfolg basiert zum einen auf die überbordenden, fantasievollen Ansätze, zum anderen auf eine erlösende Komik, die den Zuschauer mit der Welt als solche versöhnen kann. Das ist wichtig, denn wer hat schon Lust darauf, eine Welt zu ändern, mit der er nicht versöhnt ist?

Um als Zuschauer die Botschaften von SCBLM bis in die Tiefen ausloten zu können, bedarf es sicherlich noch einiger Übung. Was an diesem Abend kryptisch blieb, war doch immerhin schön anzuschauen. Um Showcase Beat Le Mot auf ihrer Reise durch das fantastische Universum des Chaos begleiten zu können, bedarf es unbedingt und zuallererst der emotionalen Intelligenz. Rationale Erkenntnisse stellen sich später in jedem Fall noch ein.

 
 
Wolf Banitzki


 


The Happy Ending of Franz Kafka`s Castle

Showcase Beat Le Mot

Showcase Beat Le Mot, Gunther Eckes, Arthur Klemt, Robert Niemann, Marie Seiser u.a.
Musik : Albrecht Kunze



Konzept und Regie: Showcase Beat Le Mot

Marstall Die bitteren Tränen der Petra von Kant von Rainer Werner Fassbinder


 


In Memoriam Rainer Werner Fassbinder

„Parodie? Nein, Kitsch wider Willen. An Drehbuchschwächen und Überforderung der Hauptdarstellerin scheitert der Versuch, Grunderkenntnisse über das Wesen der Frau durch gekünstelte Sprache als künstlerisch wertvoll zu verkaufen.“ So schrieb Der Spiegel 1997 über den von Rainer Werner Fassbinder im Januar 1972 in nur zehn Tagen gedrehten Low-Budget-Film „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“. Wie sehr Kritiken doch auseinander driften können, beweist die Tatsache, dass der Film bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin 1972 für einen Goldenen Bären nominiert war und 1973 drei Bundesfilmpreise erhielt. Sicher, Fassbinder war, auch wegen seiner unkonventionellen Lebensweise und seiner radikalen künstlerischen Ansichten, bereits zu Lebzeiten Kult. Doch das erklärt nicht, warum sein Werk heute, dreißig Jahre nach seinem Tod, noch immer so populär ist. Vielleicht liegt das daran, dass sich Homosexualität als Lebensentwurf trotz aller gesetzlichen Regelungen noch immer auf dem Weg in die Emanzipation befindet.
„Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ war eine Fallstudie, in der Fassbinder, wie in kaum einem anderen Werk, Autobiografisches verarbeitete. Es ging um das Ausloten von Machtverhältnissen in homoerotischen Beziehungen, um die Pole Liebe und Geld. Und obgleich die persönlichen Verstrickungen Fassbinders inzwischen hinlänglich bekannt sind, spiegelte er das Thema und verlagerte die Problematik in den Bereich der weiblichen Homosexualität. Fassbinder wollte damit nicht verschleiern, sondern zum Ausdruck bringen, dass die Unterschiede gering sind. Fassbinder dazu: „Alles in allem finde ich das Verhalten der Frauen genau so schrecklich wie das Verhalten der Männer, und ich versuche, die Gründe dafür zu illustrieren und vor allem zu zeigen, dass wir fehlgeleitet werden durch unsere Erziehung und durch die Gesellschaft, in der wir leben. Meine Beschreibung dieser Verhältnisse ist nicht frauenfeindlich. Sie ist ehrlich...“

Der Film erzählt die Geschichte der erfolgreichen und wohlhabenden Modedesignerin Petra von Kant, die mit ihrer Sekretärin Marlene in einer luxuriösen Bremer Wohnung lebt. Marlene ist ihrer Dienstherrin völlig verfallen, die sie wie eine Sklavin hält und permanent demütigt. Petra hat bereits zwei Ehen hinter sich. Aus einer ging Tochter Gabriele hervor, die sie in ein teures Internat „entsorgt hat“. Petras Mutter, Valerie von Kant, hängt gleichsam am exklusiven Tropf der Tochter. Durch ihre Freundin, Baronin Sidonie von Grasenabb, lernt Petra Karin Thimm, ein Kind mit proletarischer Herkunft, kennen. Sie verliebt sich in Karin und bietet ihr eine Anstellung als Mannequin an. Karin willigt ein und lässt sich von Petra aushalten. Petras Versuche, Karin in ihrer Entwicklung zu befördern, scheitern. Stattdessen nutzt sie ihre Macht, die sie durch die Liebe über Petra hat, schamlos aus. Als sie Petra verlässt, reagiert diese verzweifelt und hysterisch, beschimpft  als „kleine, miese Hure“ und ergibt sich dem Alkohol. An ihrem fünfunddreißigsten Geburtstag wird sie von Tochter Gabriele, Mutter Valerie und Freundin Sidonie besucht. In diesem verlogenen Trubel um ihre Person begreift Petra, dass sie allein ist und dass sie Karin nie wirklich geliebt hat, sondern sie besitzen wollte. Ihr Fazit: „Man muss lernen zu lieben, ohne zu fordern“.
 
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Sophie von Kessel, Bibiana Beglau

© Hans Jörg Michel

 

 

Der Film, er spielte ausschließlich im Appartement der Petra von Kant, machte den arglosen Zuschauer gnadenlos zum Voyeur. Regisseur Martin Kušej folgte der Vorgabe von Fassbinder und bestellte bei der Bühnenbildnerin Annette Murschetz einen Raum, der an eben diesem Ansatz des schamlosen Beobachtens, und nichts anderes ist Voyerismus, keinen Zweifel ließ. Die Darstellerinnen waren gefangen in einem Raum mit einem umlaufenden Fenster, hinter dem die Zuschauer in Zweierreihen verschanzt saßen. Der gesamte Fußboden des weißen Rauminnern war mit identischen Flaschen zugestellt, die sich im gleich bleibenden Abstand von ca. 30/40 Zentimetern in Reih und Glied zueinander befanden und ein Agieren schwer machten. Eingangs staksten die Darstellerinnen, Damen der feinen Gesellschaft, wie noble Tiere durch den Raum, bemüht, so wenig Berührung wie möglich zu haben. Die Situation blieb durchgängig bis zum letzten Akt eine sehr intime, was nicht zuletzt auch die Kostüme von Heidi Hackl betonten. Es wurde viel Unterwäsche und Fleisch gezeigt. Mit dem Auftauchen von Karin Thimm geriet die wohlbehütete Ordnung langsam aber unaufhaltsam durcheinander und ging im wahrsten Sinn des Wortes in die Brüche. Die ekstatischen Hass- oder Liebesausbrüche verursachten Scherben, in denen sich die Darstellerinnen mit blutigen Körpern wälzten.

Das Bühnenbild machte großen Eindruck, obgleich es bis zum Ende hin, selbst als die Bühne mit weißen Matten geflutet wurde, steril und leblos wirkte. Nichts konnte mit dem eigentlichen Leben in Verbindung gebracht werden, außer die Flaschen selbst, da es bei den Protagonistinnen eine starke Neigung zum Alkohol gab. Fassbinders Affinität zu Betäubungsmitteln war ja schon vor seinem Tod hinlänglich bekannt. Die Szenenwechsel im Innern des Raumes fanden im Dunkeln statt. Die Zuschauerräume allerdings waren beleuchtet, so dass sich die Besucher selbst in den Fenster gespiegelt sahen. Das war nicht unbedingt die angenehmste Erfahrung, wurde dem Betrachter doch deutlich, dass er versteckter Beobachter war und sich selbst dabei ertappt sah. Die psychedelischen Klänge von Jan Faszbender schürten diese Verunsicherung zusätzlich.

Der Einsatz, mit denen Bibiana Beglau (Petra von Kant) und Andrea Wenzl (Karin Thimm) jeweils ihren Part absolvierten, nötigte großen Respekt ab. Frau Beglaus Petra war eine schwankende, selbstzweiflerische oder sehnsüchtige, zugleich aber auch gefühlskalte, dominante und herrische Person, der man ihre letzte Einsicht, nicht lieben zu können, sondern besitzen zu wollen, leicht abkaufte. Andrea Wenzls Karin hatte, entsprechend ihrer sozialen Herkunft, vulgäre und ordinäre Züge. Sie konnte allerdings auch, wenn Wünsche offen waren, berückend zauberhaft oder auch fordernd erotisch sein. Michaela Steigers Sidonie schien der Titelseite eines Boulevardblattes entstiegen zu sein. Busen und Hintern waren die schlagendsten ihrer Argumente, ein Klischee, das ohne Zweifel einen hohen Wahrheitsgehalt hat. Elisabeth Schwarz verlieh der parasitären Mutter Valerie ebenso viel Grandezza, wie Elisa Plüss der Tochter Gabriela kindlichen Liebreiz. Bei beiden Rollen war die Ernüchterung am Ende rabiat. Elisa Plüss demonstrierte die innere Verletzung, in dem sie sich mit den Glasscherben blutig ritzte. Eine der schwierigsten Aufgaben hatte Sophie von Kessel zu bewältigen. In der Rolle der Marlene hatte sie weder Text, noch eigene aktive Handlungen. Sie war gezwungen, zu reagieren. Sie, die ihre Brötchengeberin hingebungsvoll liebte, musste die Beschimpfungen Petras über sich ergehen lassen und erniedrigt mit anschauen, wenn Petra und Karin sich liebten. Am Ende baumelt sie im Bühnenboden. Ihre Maske allerdings war mehr Behauptung des Leids und weniger Ausdruck desselben. Sie erinnerte ein wenig an Stummfilm.

Martin Kušejs artifizielle Inszenierung des Fassbinder-Films war in jedem Fall beeindruckend, ebenso wie das Spiel seiner Darstellerinnen. Dennoch fragte man sich in bestimmten Situationen, welchen Wert die Auseinandersetzung mit der an sich schon artifiziellen Geschichte, deren Künstlichkeit den Betrachter geradezu anspringt, für den heutigen Theatergänger haben kann. Der Filmhistoriker und –kritiker Ulrich Gregor nannte den Film "...eine Studie in Dekadenz, gegenseitiger Abhängigkeit, Leidenschaft, Raserei und Verzweiflung, (mit einem – W.B.) Hang zum Exzess“. Über die Alltagstauglichkeit dieser Geschichte kann man sicherlich streiten. Als Hommage an den Ausnahmekünstler und wohl auch Menschen Rainer Werner Fassbinder machte die Inszenierung allemal Sinn. Und das war schließlich der Zweck der Übung.

 
 
Wolf Banitzki

 

 


Die bitteren Tränen der Petra von Kant

von Rainer Werner Fassbinder

Bibiana Beglau, Sophie von Kessel, Elisa Plüss, Elisabeth Schwarz, Michaela Steiger, Andrea Wenzl

Regie: Martin Kušej

Marstall Das Interview von Theo van Gogh


 

 

Schlacht auf weißem Plüsch

Theo van Gogh war ein Provokateur par exellence.  Mit aufreizenden und auch zynischen Äußerungen erboste er immer wieder seine Widersache und auch breite Teile der Bevölkerung. Dabei teilte er in alle Richtungen aus, was sicherlich auch ein Form von Demokratie ist. Naturgemäß ereilte ihn 1984eine Anklage wegen eines Witzes über „zwei kopulierende gelbe Sterne in der Gaskammer“. Dem Schriftsteller Leon de Winter warf er „Vermarktung seines Judentums“ vor. In „Submission“, einem seiner letzten Filme, der in Zusammenarbeit mit der Muslimin Ayan Hirsi Ali entstand, ließ er vier islamische Frauen über ihre Missbrauchserfahrungen sprechen. Islamisten nannte er auch schon mal „Ziegenficker“. In der Folge ergingen Morddrohungen an ihn und an Ayan Hirsi Ali. Sie wurde zeitweise unter Polizeischutz gestellt werden. Theo van Gogh nicht. Er wurde am 2. November 2004 in der der Amsterdamer Linneausstrat von dem islamischen Fundamentalisten Mohammed Bouyeri auf brutale Weise hingerichtet. Nachdem der Täter den Filmemacher niedergeschossen hatte, schnitt er ihm die Kehle durch und heftete mit zwei Messerstichen ein fünfseitiges Bekennerschreiben an dessen Brust.

Van Gogh war kein Provokateur um der Provokation willen. Vielmehr reagierte er auf sehr heftige Weise auf die Unzulänglichkeiten unserer Welt. Seine Themen reichten von christlichen Moralvorstellungen, über islamischen Fundamentalismus bis zu dem profanen Wertekanon der westlichen Welt. „Das Interview“ (2003) zeigt das Auseinanderklaffen der Ansprüche und Wertvorstellungen in Journalismus und Unterhaltung in heutigen Medien. Van Gogh begriff und definierte dieses Feld als ein Schlachtfeld. Auf diesem Terrain geht es ums Überleben, um „Jeder gegen Jeden“. Der Hintergrund der Geschichte ist einerseits das eklatante Versagen der niederländischen Blauhelmtruppen in Srebrenica 1995, als bei einer ethnischen Säuberung 8.000 Muslime in deren Anwesenheit hingerichtet wurden. Andererseits erlebte der Unterhaltungssektor der Medien einen bis dato ungekannten Boom. Die Produktionsfirma „endemol“ entwickelte derzeit mit einem gewaltigen finanziellen Erfolg die heute weltweit gängigen Formate von „Big Brother“ bis hin zur täglichen „Soap“. Für van Gogh kam es dem unaufhaltsamen Sieg der Massenverblödung gleich.

Die Protagonisten vertreten in van Goghs Film „Das Interview“ genau diese beiden Seiten einer konkreten gesellschaftlichen Situation. Am Tag der Handlung tritt die Regierung der Niederlande wegen des „Massakers von Srebrenica“ zurück. Der  Kriegsberichterstatter Pierre Peters, er hat unter Einsatz seines Lebens auch vom Balkan berichtet, erhält den Auftrag, die Soap-Darstellerin Katja Schuurman zu interviewen. Dabei sei angemerkt, dass Theo van Gogh die Rollen in seinem Film mit den Schauspielern Pierre Bokma und Katja Schuurman besetzt hatte. Um nicht zu irritieren: Die Geschichte ist ein fiktive. Pierre Peters ist überaus enttäuscht, denn er sah den Rücktritt der Regierung längst kommen, darf aber nicht darüber berichten und muss sich stattdessen mit einem „Männer verschlingenden, sehr blonden Silikonwunder“ herumplagen. Das Interview kann nur daneben gehen, denn Katja sieht sich einem arroganten Reporter gegenüber, der keinen Hehl aus seiner Abneigung gegen sie und gegen das, was sie repräsentiert, macht. Das Ende ist dennoch sehr überraschend und lässt hinter die Kulissen des Showbizz und des Journalismus gleichermaßen schauen, die sich so unähnlich nicht sind und in denen das Motto gilt: Friss oder werde gefressen!
 
  dasinterview  
 

Birgit Minichmayr, Sebastian Blomberg

© Adrian Ehrat

 

Regisseur Martin Kušej brachte seine Produktion des Neumarkt Theater Zürich auf die Bühne des Marstalls. Sebastian Blomberg und Birgit Minichmayr zogen darin gegeneinander zu Felde. Das Feld, oder besser Schlachtfeld, war von Jessica Rockstroh gestaltet worden und beschränkte sich auf einen einzigen Raum mit Blick auf die Tür zum Appartement und einer Gasse in angrenzende unsichtbare Räume. Der Boden war mit hellem Plüsch ausgelegt. In der folgenden verbalen Schlacht der beiden Demagogen wurde auch schon mal Brust an Brust gekämpft, obgleich die Verachtung beider füreinander wirkliche Nähe gar nicht zuließ. Vorgeführt wurde eine der großartigsten Errungenschaften unserer Medienkultur, nämlich die Fähigkeit herzlich zu umarmen beim Tötungsakt. Birgit Minichmayrs Katja Schuurman war laut, schrill und nicht selten ordinär. Sie spielte auf Hochtouren, ein Starlet auf Koks. Dabei gab ihr die Rolle die Freiheit, zu manipulieren, zu verstören oder einfach nur zu verschrecken. Sebastian Blombergs Pierre Peters war eher introvertiert, selbstquälerisch und bei allem scheinbar sehr fragil. Zu fragil, mochte man meinen, denn den harten Kriegsreporter nahm man ihm auf den ersten Blick nicht ab. Erst seine Geständnisse ließen ahnen, was er durchgemacht hatte und dass er Produkt dessen war, was sich unverdaut in ihm angestaut hatte. Am Ende der Geschichte bekam der Zuschauer einen Eindruck davon, was es heißen kann, im täglichen Medienbetrieb zu überleben.

Der Plot kommt mit großer Wucht. Das Ergebnis erzeugt Entsetzen. Es ist unfassbar, wie Menschen mit Menschen umgehen. Und dabei ist es tagtägliche Realität. Ohne Frage erzeugt Martin Kušejs Arbeit eine Katharsis. Aber, bei allem Respekt vor dem Werk, das sich durchaus sehen lassen kann, hätte die Wirkung deutlich größer sein können. Die verknappte Fassung führte häufig dazu, dass Brüche in der Handlung auftraten, Reaktionen, die nicht unbedingt nachvollziehbar waren. Man tolerierte sie, weil hier zwei Diven aufeinander losgingen, deren Reaktionen nicht zwingend logisch erscheinen mussten. Betrachtet man allerdings das Werk von Theo van Gogh, wird deutlich, wie logisch, wie zwingend alles psychologisch miteinander verwoben ist. Misst man die Inszenierung von Martin Kušej zudem am Film von Steve Buscemi, der auf dem Sundance Festival 2007 Premiere hatte, wird der Unterschied deutlich. Was bei Martin Kušej allzu häufig Behauptung und Deklaration war, hatte im Film gute Gründe. Alles entwickelte sich organisch, so dass die Geschichte, so hart sie am Ende auch aufprallte, immer glaubhaft blieb. Dabei wird vielleicht auch deutlich, denn die Rollen sind ja im Film wie im Stück dieselben und verlangen einen bestimmten Typ Schauspieler, dass die Besetzung zumindest mit Frau Minichmayr nicht die ideale war. Sienna Miller verlieh ihrer Katja Schuurman neben der rolleneigenen Vulgarität einen diabolischen Hintersinn, der schaudern machte.

Es war unbedingt ein sehenswerter Abend, der Martin Kušej und den Darstellern viel Applaus einbrachte. Doch wäre es noch schöner gewesen, wenn man mit einer Arbeit, die ohne Wenn und Aber über die Bühne gegangen wäre, den Mut des umstrittenen und schwierigen Künstlers Theo van Gogh honoriert hätte. Immerhin hat er seinen Mut mit dem Leben bezahlt. Es wäre an der Zeit, van Goghs Leumund zu entschlacken vom skandallüsternen Beiwerk der Medien, um seine Kunst in den Fokus der Betrachtung zu stellen. Dabei würden mehr Gesellschaftskritik und weniger Befindlichkeit sichtbar werden.

 

Wolf Banitzki

 

 


Das Interview

von Theo van Gogh

Sebastian Blomberg, Birgit Minichmayr

Regie: Martin Kušej