Kammerspiele John Gabriel Borkmann von Henrik Ibsen
Unter Tage
Wer war die John Gabriel Borkman eigentlich? War er ein Visionär oder nur ein Wolkenschieber? Ibsen gibt darüber nicht mit letzter Bestimmtheit Auskunft. Er lässt Borkman sich selbst erklären: „Ich hatte die Berufung gespürt und ich hatte die Macht, das zu erwecken, was schlafend in den Bergen lag.“ Im Ergebnis seines Handelns hatten viele Menschen, sogar Freunde, ihre Existenz verloren. Borkmann selbst hatte fünf Jahre im Gefängnis und acht Jahre in der von ihm selbst gewählten Isolation im Obergeschoss des Wohnhauses verbracht. Letztlich entlarvte er sich als hypertropher Phantast, denn noch immer glaubt er an ein Comeback. Er glaubte tatsächlich, dass man ihn noch einmal in allerhöchste Position auf den Geldmarkt berufen würde, um sein vermeintlich visionäres Potenzial auszuschöpfen. Dabei war das Leben schon längst über ihn hinweg gegangen. Vermutlich ging es dem romantischen Individualisten Ibsen gar nicht darum, Borkman anzuklagen oder zu entschuldigen. Ibsens eigener Vater, Henrik war sieben Jahre alt, hatte einen desaströsen Bankrott hingelegt, der die ganze Familie in die niedrigste soziale Schicht stürzen ließ. Die Ausgangssituation, das Hinabsteigen in den ungeschönten Urgrund, auf den Nullpunkt, erschien ihm vermutlich als dramaturgischen Dreh- und Angelpunkt reizvoll, um das Thema Bezogenheit und Liebe abzuhandeln.
Ausgelöst wird der Diskurs durch das Auftauchen von Ella, Schwägerin Borkmanns und Zwillingsschwester von dessen Ehefrau Gunhild. Ella möchte Erhard, Sohn der Familie Borkman, mit sich nehmen, denn sie ist todkrank und sehnt sich nach liebvoller Sterbebegleitung. Doch Gunhild Borkman lebt ihre eigene Illusion, die sie zur Mission für Erhart erklärt hat. Erhart soll die Familienehre wieder herstellen. So ist Gunhild nicht gewillt, den Sohn abzutreten. Ellas Anwesenheit stört die acht Jahre andauernde Agonie und eine Entwicklung beginnt. John Gabriel erkennt, dass sein Warten sinnlos ist. Er selbst kann nichts mehr reißen, doch vereint mit Erhart ließe sich noch alles ins Lot bringen. Erhart avanciert zum vermeintlichen Allheilmittel. Allerdings hat niemand auch nur einen Gedanken darauf verschwendet, dass Erhart eigene Vorstellungen von seinem Leben haben könnte, in denen Arbeit auf keinem Fall vorkommt. Er zieht es vor, das Leben zu genießen, vorerst mit der um einiges älteren Frau Fanny Wilton. Zurück bleiben drei vereinsamte, gescheiterte Menschen, denen die Erfüllung ihrer Sehnsüchte nach Liebe und Bezogenheit versagt bleiben.
Armin Petras, der das Ibsensche Stück für seine Inszenierung eigens bearbeitet hatte, setzte dennoch auf den ökonomischen Part im Stück. In seiner Lesart geht es um Ressourcen, denen der Natur und der Liebe. Ressourcen der Liebe? Nun gut, in einer Welt, in der inzwischen alles ausgepreist wird, lässt sich auch schon mal die Liebe in ökonomische Kategorien pressen, und sei es auch nur zum besseren Verständnis. Tatsächlich wird im Stück deutlich, dass der Bankdirektor Borkman, die Liebe seiner Schwägerin als Kapital und Trumpfkarte gegen seinen Widersacher behandelt hatte, wodurch er Ella zutiefst verletzt und aus dem Haus getrieben hatte. Vornehmlich ging es aber um natürliche Ressourcen, von denen Borkman noch immer schwelgerisch träumte: „Ich liebe euch, die ihr da scheintot liegt in euren dunklen Klüften, ihr silbernen Ader, ihr Bäuche voll von rotem Erz.“ Bühnenbildner Olaf Altmann setzte diesen Gedanken eins zu eins um und schuf eine Bühne, die einen Schnitt durch die Erde zeigte, die von Bergwerksstollen durchzogen war. Darin wuselten die Darsteller gebückt oder kriechend auf und ab, gefangen in einer Welt unter Tage. Das Bild beeindruckte. Es war sehr ungewöhnlich, stellte sich aber auch als sehr sinnfällig heraus, innere Zustände zu karikieren und gleichsam zu konterkarieren.
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André Jung, Wiebke Puls, Lasse Myhr, Christin König, Hildegard Schmahl
© Julian Röder
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Armin Petras, der gelegentlich auch schon mal zu szenischen Kapricen neigt, konnte in den Münchner Kammerspielen auf Darsteller zurückgreifen, deren bloße Präsenz schon trägt. Allen voran André Jung, dessen Borkman narzisstisch daherkam und der zugleich auf groteske Weise unkritisch gegen sich selbst agierte, selbst dann, wenn er Selbstkritik anmeldete. Jung war die Spiellust anzusehen, insbesondere dann, wenn er mit dem Publikum privatisierte. Derartige Verbrüderungen mit dem Publikum waren einstmals undenkbar und verpönt auf der Bühne. Heute sind sie allemal gut für Lacher, ob sie auch gut sind für das Theater, mag jeder Zuschauer mit sich abmachen. Nicht selten lenken diese Vorgänge ab, reißen den Betrachter emotional aus dem Kontext der Gefühle, die das Stück aufzubauen versucht. Vielleicht begreift es der eine oder andere ja auch als Brechtschen Verfremdungseffekt. Befremdlich war allerdings auch das Sprachtuning in Richtung Alltagssprache. Das hat die Ibsensche Sprache nicht nötig, wohnt ihr doch ausreichend Komik inne. Komisch muss es heutigentags einfach zugehen (hat man so das Gefühl) und auch in der Inszenierung von Armin Petras blödelte man sich allzu häufig kollektiv durch eine große menschlich Tragödie.
Wiebke Puls und Cristin König gaben das Schwesterpaar Ella und Gunhild. Beide bliesen sich, angestachelt zu fast artistischem Spiel, gelegentlich auch zu Karikaturen auf. Die Neigung zum Absurden wäre einleuchtend gewesen, wenn es sich um ein Stück des Absurden handeln würde, dabei war Ibsen jedoch ein Hauptvertreter des Naturalismus. Aber so mag sich erklären, warum es einer eigenen Fassung durch den Regisseur bedurfte. Lasse Myhr fühlte sich sichtlich wohl im grotesken Treiben, dessen Begehren sein Erhart eigentlich war. Weder die verbalen, noch die physischen „Zipfelklatscherein“ bereiteten ihm Probleme.
Ohne Frage war die Komödiantik aller Darsteller sehenswert, wenn man einmal von Hildegard Schmahl absieht, deren zurückhaltende Fanny Wilton mehr einer gespielten Prämisse glich, als einer Kollaboration in der ästhetischen Scheinextase. Fraglich, ob die wohltuende Verweigerung von Frau Schmahl ausging oder Plan der Regie war. Allzu willig fügte sich Michel Tregor als Wilhelm Foldal in das Panoptikum menschlicher Zerrbilder ein. Lustig war er anzuschauen als hingebungsvoller Freund Borkmans, als skurriler Dramendichter und als völlig verblödeter Vater, der seinen Zustand als Krüppel pries. Immerhin hatte seine Tochter in dem Schlitten gesessen, der ihn überfuhr und die Beine zertrümmerte. Bei Hanna Plaß, die Foldals Tochter Frieda spielte, hatte man den Eindruck, sie sein nur sporadisch herbeizitiert, um am Spiel teilzunehmen. Ihre musikalischen Beiträge waren allerdings hörenswert.
John Gabriel Borkmann ist ein „Master of the World“, der die Liebe seinem Machtanspruch und dem Besitz geopfert hat. Seine Frau hasst ihn und seine Geliebte nennt ihn einen „Seelenmörder“. Ungebrochen betrachtet er sich als einen Herrenmenschen, frei von Unrechtsbewusstsein. Am Ende zerbricht er an dem Mangel an Liebe und Zuneigung. Er geht in eine Eislandschaft um ein „tiefes, endloses unerschöpfliches Reich“ zu erschaffen. Georg Hensel schrieb über die Figur des Borkman: „Das Komödiantische in der Rolle des verbitterten alten Mannes ist so stark, dass es mit dem Altern des Stückes die geheime Komödie, die in ihm verborgen ist, zum Vorschein gebracht hat.“
Es drängt sich im Nachhinein die Frage auf, warum es all der Vordergründigkeiten, Gags, Plattitüden, privaten Ein- und Auslassungen und Entblößungen bedurfte, um aus dem Drama, das eigentlich schon eine Komödie ist, eine Komödie zu machen. In der in den Kammerspielen dargebotenen Form blieb eines mit Sicherheit auf der Strecke, das tiefe rationale und emotionale Verständnis für die Figuren und somit auch die Katharsis. Hat Armin Petras die Ibsensche Vorlage transponiert und transportiert oder vielleicht nur ausgebeutet? Und um welchen Preis? Er selbst hatte im Zusammenhang mit dieser Arbeit gesagt: „Man kann nichts ausbeuten, ohne selbst schweren Schaden zu nehmen.“
Wolf Banitzki
John Gabriel Borkmann
von Henrik Ibsen
André Jung, Cristin König, Lasse Myhr, Hanna Plaß, Wiebke Puls, Hildegard Schmahl, Michael Tregor
Regie: Armin Petras |
Kammerspiele Gesäubert / Gier / 4.48 Psychose von Sarah Kane
Requiem für Sarah Kane
Sarah Kane war eine große Begabung; sie war hypersensibel und sie war denkbar ungeeignet, in einer Welt, dessen Grundgesetz heißt: Survival of the Fittest, zu überleben. Mit 28 Jahren nahm sie sich das Leben, fast folgerichtig, möchte man meinen. Ihr Werk ist ebenso eine Anamnese der eigenen Leidensgeschichte, wie ein großartiges literarisches. Die eigene Anamnese fiel dabei so gänzlich anders aus, als die der Ärzte in den Psychiatrien, in denen Sarah Kane wegen Depressionen behandelt wurden. Sie konnte ihren Platz in einer Gesellschaft nicht finden, die ihresgleichen verachtete, wie sie im eigenen Werk immer wieder betonte. Dennoch war die Leidende nicht devot oder leise. Zwischen 1995 und 1999 schuf sie fünf Theaterstücke, die zu Lebzeiten Kanes europaweit gespielt und honoriert wurden. Dabei spielte gewiss auch die Tatsache eine große Rolle, dass ihr erstes Stück „Zerbombt“ (Royal Court Theatre) eine skandalöse Uraufführung erlebte.
Sarah Kane avancierte bereits mit ihrem ersten Stück zu einer wichtigen Vertreterin des „In-Yer-Face Theatre“. Salopp formuliert könnte man sagen, dass dieses Theater das Publikum beim Genick packt und es so lange schüttelt, bis es die Botschaft verstanden hat. Abgeleitet von „in your face“, aus dem amerikanischen Sportjournalismus der 70er Jahre hervorgegangen, definiert das New Oxford Englisch Dictionary diese Art des Theaters als „unverhohlen aggressiv oder provozierend, unmöglich zu ignorieren oder zu vermeiden“. Das Collins English Dictionary fügt dieser Definition noch das Adjektiv „konfrontativ“ hinzu. Dieses Theater will nicht nur frech und provozierend sein, es fordert darüber hinaus, Grenzen zu überschreiten. Das sollte jeder Theaterbesucher schon vorab wissen, wenn er vorhat, sich auf das Wagnis Sarah Kane einzulassen. Und das es ein Wagnis ist, bewies die Inszenierung der drei Dramen Kanes an den Münchner Kammerspielen unter der Federführung von Johan Simons.
Eva Veronica Borns Bühne für alle drei Dramen war dominiert von großen weißen Leuchten, oder besser Lichtsäulen, die gestaffelt aus dem Bühnenboden herabhingen und sich in den Zuschauerraum fortsetzten. Durch diese Anordnung der Leuchtkörper wurde der Zuschauerraum teilweise mitbeleuchtet, was zur Folge hatte, dass der Zuschauer sich nicht dauerhaft in der Dunkelheit zurückziehen konnte. Auf der Bühne ein paar Stühle. Mehr brauchte es auch nicht.
„Gesäubert“ erzählt, wie die anderen Stücke übrigens auch, von der Liebe. Ort der Handlung ist eine nicht endgültig definierte Institution, die einer Psychiatrie ähnelte. (In der Regieanweisung von S. Kane ist der Ort eine Universität.) Beherrscht wird diese Institution von Tinker (Psychiater, Folterer, Drogendealer). Die Insassen bilden Paare, einer ist in den anderen verliebt und Tinker testet diese Liebe vermittels Folter und Verstümmelung. Im Verlauf der Handlung verlieren sich die Personen, werden transzendiert, denn sie tragen die Gliedmaßen, Haut, Kleidung oder Genitalien des Geliebten. Die jeweiligen Körper für die Liebe sind Fehlbestzungen, funktionieren nur im Wunsch, nicht in der Realität. Die Selbstaufgabe geht einher mit dem Werden des Anderen, der sich jedoch auch nicht als lebensfähig entpuppt. Zerstörung allenthalben. Dahinter steht neben der gesellschaftlichen Erfahrung Sarah Kanes auch das eigene Scheitern in Beziehung und Liebe. In dieser Phase der Selbsterkundung weist sie dem eigenen Körper alle Schuld zu. In diesem Drama gibt es noch vergleichsweise viele deutliche Realitätsbezüge (Drogensucht, Selbstverstümmelungsrituale, psychischer und physischer Verfall), was naturgemäß in der Umsetzung drastische Bilder erzeugt. Johan Simons ersparte dem Publikum zwar weitestgehend platten Realismus, er entschärfte die schmerzhaften Vorgänge, die am Ende in einem langwierigen Zählen (bis 100) kulminierte, nicht. Die Folge (in der zweiten Vorstellung) war: Einige Besucher verließen, ihren Frust lautstark Ausdruck verleihend, den Zuschauerraum. Schade, bleibt da nur anzumerken, denn wer die drei Stunden und zwanzig Minuten aushielt, wurde belohnt.
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Stefan Merki, Sachiko Hara, Annette Paulmann, Gertrud Schilde, Jörg Widmoser, Juan Sebastian Ruiz, Sandra Hüller, Nancy Sullivan, Jost-H.Hecker, Thomas Schmauser
© Julian Röder
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„Gier“, das in der Entstehungsgeschichte vierte und auf „Gesäubert“ folgende Stück, ist qualitativ ein künstlerischer Quantensprung. Sarah Kane verzichtete darin auf eindeutige Identitäten, nannte die Figuren C., M., B., und A und ließ sie scheinbar ohne erkennbaren Zusammenhang sprechen. Die Adressaten, an die die Fragmente, Sprachbrocken, Gemeinplätze und auch Sottisen gerichtet sind, wechseln. Sprachlich erklomm Sarah Kane mit dieser Arbeite eine hohe Ebene starker Bildhaftigkeit und situativer Poesie. Neben autobiografischen Einlassungen (Figur A) finden sich auch Zitate aus Werken von Beckett, T.S. Eliot und Shakespeare. Die kommunikative Beziehungslosigkeit hinterlässt eine dekonstruierte Sprache, die sich in Sinnentleerung verliert. Alle Figuren streben gierig nach Erlösung. Dabei bleibt immer unentschieden, wodurch die Erlösung eintreten könnte. Die Liebe und der Tod bleiben legitime Alternativen. Am Ende der Inszenierung des Stückes an den Kammerspielen begann es zu regnen. Der Regen zerstörte die Lichtschächte, die tot und nass auf die Bühne fielen. Die Figuren suchten gemeinsam Schutz und drängten sich, Intimität suchend, aneinander. Trotzdem blieb jeder für sich allein. Schlüsselsatz dieses Stückes: „Warum kann keiner mit mir Liebe machen, so wie ich geliebt werden will?“
„4.48 Psychose“ war das letzte Stück aus der Feder der todgeweihten Autorin. Der Titel bezeichnet den Moment der größtmöglichen Klarheit, der eintrat, als Sarah Kane jeden Morgen um 4.48 Uhr im Hospital erwachte, und unbeeinflusst von ruhigstellenden Medikamenten war. Was sie in Monologen, Wortreihen, Zahlenketten und Dialogen offenbarte, beschreibt zum Einen den Zustand geistiger Ungetrübtheit, zum Anderen aber auch den Zustand höchster Wahnhaftigkeit. Dabei entsteht das tragische Bild einer Person, nämlich Sarah Kanes selbst, die in einem Netz der „Ordnung“, das von Ärzten geknüpft worden war, gefangen ist. Sie fordert sinngemäß, dass man ihr nicht die Fähigkeit zum Empfinden und Denken nehmen möge, indem man sie „heilt“. Depression ist für sie in diesem Augenblick keine Krankheit, sondern ein legitimer Seinszustand. Das erschütternde an diesem Stück ist die erkennbare Klarheit im Resümee der Autorin bezüglich ihrer eigenen Ausweglosigkeit. Dem Zuschauer in den Kammerspielen wurde ein direkter Einblick in die Psyche einer Frau und Künstlerin gewährt, die zu ihren unumstößlichen und letzten Wahrheiten gelangt war. Johan Simons ließ die Texte größtenteils von einem großartigen Thomas Schmauser sprechen/lesen. Unterlegt wurde die hochverdichtete und poetische Sprache durch die Musik von Carl Oesterhelt, die live von einem aus sechs MusikerInnen bestehenden Orchester eingespielt wurde. Die Wirkung war frappierend, ja, erschütternd. Der Zuschauer erlebte den bewussten Abschied eines Menschen aus dem Leben und Johann Simons machte daraus ein faszinierendes Requiem für die Dichterin.
War Sarah Kane Nihilistin? Sie selbst sah sich anders: „Wahrscheinlich sind alle meine Figuren auf die eine oder andere Art hemmungslos romantisch. Ich glaube, dass Nihilismus die extremste Form von Romantik ist. Und wahrscheinlich ist es dieser Punkt, an dem meine Stücke missverstanden werden. Ich fürchte, ich bin eine hoffnungslose Romantikerin.“ Aber egal, wie sie jeder für sich nach der Lektüre ihrer Werke einzuordnen wird, sie ist der Aufschrei, der nicht überhört werden kann. Leider hat bereits die emotionale Vermarktung begonnen und Sarah Kane ist zu einer Ikone der Nekrophilie geworden, deren Reiz insbesondere darin besteht, dass ihr Tod sich wie ein zauberhafter Schatten über ihre Stücke gelegt hat. Die Inszenierung von Johan Simons wehrt sich gegen solche Tendenzen, bleibt ideologiefrei.
Die Inszenierung polarisiert. Wenn sie am Ende positive Einhelligkeit im Publikum schaffen kann, liegt das nicht zuletzt an der herausragenden Leistung aller Schauspieler, für die die Darstellung ein Gradwanderung gewesen sein muss. Wie schwer und wie gefährlich muss es sein, sich emotional auf diese Texte einzulassen. Das sollte im Publikum vielleicht bedacht werden, ehe man lautstark verkündet, dass man glaubt, vorsätzlich „verarscht“ (Pardon, Zitat mehrer Zuschauer) zu werden. Da fragt man sich doch, woher nehmen einige Theatergänger den Mut zu derartigen Unterstellungen? Zugegeben, vielleicht war der ganze Abend über fast drei und einer halben Stunde eine Überdosis Sarah Kane, und vielleicht waren einige Bilder zu drastisch für manchen Geschmack, doch sollte auch hier nicht vergessen werden, dass es sich um Kunstwerke handelt, die aus der Realität inspiriert waren, einer Realität, vor der wir allzu gern die Augen verschließen, weil es schmerzt. Sarah Kane hat nichts anderes getan, als diesem Schmerz eine Stimme zu verleihen.
Wolf Banitzki
Gesäubert / Gier / 4.48 Psychose
von Sarah Kane
Marc Benjamin, Stefan Hunstein, Sandra Hüller, Sylvana Krappatsch, Stefan Merki, Annette Paulmann, Thomas Schmauser
Regie: Johan Simons |