Metropoltheater Die Opferung von Gorge Mastromas von Dennis Kelly
Die Rache der Zukurzgekommenen
Gorge Mastromas ist kein Held. Er ist ein so durchschnittlicher, fader Junge, dass bereits in der Schulzeit deutlich wurde, dass er weder mit Charisma, noch mit besonderen Fähigkeiten gesegnet ist. Die zwischenmenschlichen Beziehungen wollen nicht funktionieren und so bleibt er an dem ersten Mädchen hängen, das seine pubertäre Zuneigung erwidert. Nebenher erobert er allerdings ein anderes Mädchen, verbringt eine Nacht mit ihr und schwängert sie. Er kann sich nicht entscheiden und an diesem Punkt drängt sich eine Frage auf, die sich durch sein ganzes Leben zieht: Ist es aus Güte oder Feigheit?
Es ist zumeist Feigheit, obgleich es sich manchmal durchaus wie Güte anfühlt. Gorge arbeitete in einer Firma, deren Tage bereits gezählt waren. Es ist ein bekanntes Szenarium: Firmensanierer und Banken ruinieren Unternehmen, um sie zu übernehmen, zu zerschlagen und die Reste meistbietend zu verhökern. Gorge bekam unerwartet ein Angebot, dem er nicht widerstehen konnte. Er wurde Helfershelfer und verlor seine Unschuld. Nachdem er Blut geleckt hatte, erwachte das Raubtier in ihm. Er begriff schnell, dass er alles erreichen könnte, wenn er nur seine Skrupel über Bord werfen würde. Die Lüge wurde sein Verbündeter und der Aufstieg war atemberaubend. Er hatte sich vorher in seiner Rat- und Rückgradlosigkeit eher für das „moralisch Richtige“ entschieden. Doch das war jetzt Geschichte.
Es deutete sich schon früh an, dass Gorge unbedingt von seiner Geschichte eingeholt werden würde und genau das Warten darauf machte die Geschichte, die Jochen Schölch auf das von ihm konzipierte flauschige Bühnenquadrat brachte, so ungemein spannend. Seine Inszenierung war über weite Strecken Erzähltheater. Am Beginn wurden die jugendlichen Stationen von den Darstellern, ausgenommen Matthias Grundig, denn der spielte den Gorge, abwechselnd in sehr lockerer, aber gnadenlos ehrlicher Weise kolportiert. Matthias Grundig begleitete die Erzählungen mit erstaunlicher Mimik und verhaltener Gestik. Das war unbedingt sehenswert und zeigte die Klasse des Schauspielers Matthias Grundig.
Dann glitt die Erzählung unvermittelt in das szenische Spiel hinüber. Judith Toth als knallharte Managerin spulte einen diabolischen Plan zur Sanierung der Firma ab, in der Gorge arbeitete, wobei sie den Firmenchef in Nadelstreifen und mit zu kleiner Blase, gespielt von Michael Tschernow, wie einen hakenschlagenden Hasen vor sich hertrieb. Gorge, der seine Inkompetenz immer wieder betonte, geriet in den Sog des Plans und musste miterleben, wie einfach es ist, Menschen zu manipulieren, zu steuern und in den Ruin zu treiben. In diesem Augenblick begann sein neues Leben, das des Erfolgsmenschen, bewundert und von der Gesellschaft hoch geachtet. Es ist schon seltsam, dass die Menschen gerade die Mitbürger am höchsten schätzen, die sie am übelsten betrügen und verachten.
Jetzt war Gorge Mastromas ein Held, denn er hatte alles, wovon die Menschen träumen und er erreichte alles, was er sich vornahm. Alles? Nicht ganz, denn als er sich aufrichtig in Louisa, eine Mitarbeiterin verliebte, erntete er Ablehnung. Doch Gorge hatte das Verlieren längst verlernt. Also wurden seine Lügen noch perfider und schließlich errang er auch diesen Sieg über eine psychisch angeschlagene und traumatisierte Frau, expressiv von Elisabeth Wasserscheid verkörpert. Doch Gorge konnte sie nicht glücklich machen. Es war nur ein Pyrrhussieg. Güte oder Feigheit? Gorge hatte Louisa zur Güte gezwungen.
Als Butz Buse auf der Szene erschien, sich als Sol vorstellte und sich als der desolate, vom Leben nicht unbedingt freundlich behandelte Bruder Gorges entpuppte, geriet alles ins Wanken. Doch Gorge war nicht mehr der Loser, der klein beigab. Es war letztlich sein Reichtum, der ihn vor dem Urteil der Geschichte und der Gesellschaft verschonte. Doch als ihn Pete, jugendlich frisch gespielt von Philipp Moschitz, heimsuchte, wurde deutlich, dass es eine höhere Macht gibt, als das von Menschengeist gemachte Rechtssystem. Wehe dem, der von seinem eigenen Gewissen zu Höllenqualen verdammt wird.
Autor Dennis Kelly, Jahrgang 1968, stammt nicht gerade aus wohlhabenden Verhältnissen. Ihm ist die Realität der britischen Unterschicht durchaus geläufig. Er kennt die Sehnsüchte des kleinen Mannes, die unerfüllbaren Träume ihrer Frauen. So ist sein Stück eine unmissverständliche Frage zu der Moral unserer Zeit. In „Die Opferung von Gorge Mastromas“ entwickelte Dennis Kelly ein Szenario zur Vergänglichkeit von moralischen Werten in einer Welt der materiellen Werte. Darüber hinaus zeigt er aber auch, dass materielle Werte häufig gar nicht die erste Begehrlichkeit von „Zukurzgekommenen“ wie Gorge Mastromas ist. Dieser Gorge Mastromas gehört einer Spezies an, deren verkorkste Vernunft nicht verhindern kann, dass sie und ihr aufgeblasenes Ego auf zerstörerische Weise Rache an der Welt nehmen. Sie werden Diktatoren, Mörder im Namen von Ideen oder einfach nur CEOs wie Richard Fuld (Lehman Brothers), die Millionen von Menschen ins Unglück stürzen und dabei keinerlei Reue zeigen.
Jochen Schölch ist es erneut gelungen, mit einer minimalistischen Inszenierung Probleme unsrer heutigen, im Strudel der Finanzmärkte taumelnden Welt deutlich zu machen und mit seiner eindeutigen inszenatorischen Haltung Zeichen zu setzen, ohne ideologisch zu werden und die Kunst des Theaters zu verraten. Und wieder konnten die Zuschauer eine sehr geschlossene Ensembleleistung erleben, in der jeder Einzelne absolut überzeugte. Chapeau!
Wolf Banitzki
Die Opferung von Gorge Mastromas
von Dennis Kelly
Butz Buse, Matthias Grundig, Philipp Moschitz, Judith Toth, Michael Tschernow, Eli Wasserscheid
Regie und Bühne: Jochen Schölch
Metropoltheater Benefiz - Jeder rettet einen Afrikaner von Ingrid Lausund
Und ewig kreist der Klingelbeutel
Benefiz - Wohltätigkeit (veraltend: Mildtätigkeit) ist das Wirken Einzelner oder von Organisationen zu Gunsten Bedürftiger durch „milde Gaben“ (Almosen, Geschenke, Spenden). (Zitat: Wikipedia) Zu Benefizveranstaltungen werden in der Regel Prominente geladen, um entsprechend viel zahlungskräftiges Publikum anzuziehen. Prominent sind die fünf Damen und Herren, die eine Benefizveranstaltung zu Gunsten einer Schule in Guinea-Bissau planen, nicht, doch sie sind ambitioniert und bemüht. Das Bemühen um Professionalität verdeutlicht zuallererst einen lächerlichen Dilettantismus. Nebenher werden auch die unterschiedlichsten Motivationen für die Teilnahme deutlich und die verraten nicht selten einen ausgeprägten Egoismus. Vor dem Hintergrund der selbstgestellten Aufgabe werden Eitelkeiten, Vorurteile, ideologische Verblendungen, aber auch kleinbürgerliches Konkurrenzdenken sichtbar.
Das Ziel, eine möglichst hohe Spendenbereitschaft zu erzielen, soll auf informative und unterhaltsame Weise erreicht werden. Wie spricht man unterhaltsam über Not und Elend. Jeder darf eigene Strategien entwickeln und dabei gerät man in peinlich wirkende Verbindlichkeiten, diskutiert über political correctness, verfängt sich in den Fallstricken klammheimlicher Vorurteile und Ethnokitsch. Es wird „spontan geweint“ und darum gestritten, ob und wann man das Monopol auf das „spontane Weinen“ hat. Eitelkeiten werden ausgelebt und Watschen gegen die anderen verteilt, natürlich immer unter dem Vorzeichen, der Sache zu dienen. In verkrampfter Lockerheit möchte man natürlich auch die Kunst nicht zu kurz kommen lassen. Es kommt allerdings auch zu ehrlicher Betroffenheit und die wirkt wie Sand im Getriebe der (Pseudo-) Professionalität.
Ingrid Lausunds Text ist ein feines Gewebe aus satirischer Fadenscheinigkeit, so durchsichtig, dass er mehr entlarvt als verpackt. Und auf die Verpackung kommt es doch an, wenn man erfolgreich verkaufen will. Es ist eine intelligente und komödiantische Antwort auf Bigotterie und Dekadenz, die allerdings mehr den Schein ins Visier nimmt und weniger das Wesen. Das Wesen ist, dass es keinen Reichtum ohne Armut gibt. Das ist das wichtigste Grundgesetz des Kapitalismus, zu dem sich die Gesellschaft alternativlos bekennt. Man kann es nachlesen in jedem halbwegs anständigen Werk über politische Ökonomie. Das Geld als Repräsentant von Wert verliert augenblicklich an Wert, wenn genug davon da ist. Armut ist eine notwendige und unvermeidbare Voraussetzung für (unseren) Reichtum. Also ist Benefiz nichts anderes als ein perfides Feigenblatt, mit dem wir uns und andere belügen. Wir alle, ob wir es uns eingestehen wollen oder nicht, sind mehr oder weniger Ursache und Grund für die erbärmlichen Zustände auf diesen Planeten. Leider fällt uns nichts Besseres ein, als ewig den Klingelbeutel kreisen zu lassen. Aber genug der Selbstkasteiung. Der Abend im Metropoltheater war höchstvergnüglich und hat am Gewissen aller Beteiligten gerührt. Man muss sich als Besucher dieser Inszenierung (und man sollte sie unbedingt besuchen) auf eine Prüfung einstellen. Doch das soll eine Überraschung bleiben.
Katharina Dobners Bühne bestand lediglich aus fünf Schulbänken, von denen aus die einzelnen Akteure agierten und in die sie sich wieder zurückzogen. Um eine Schule ging es den Spendensammlern, und zwar um eine Schule in Westafrika. Introduktion war „die Essennummer“. Sie bestand in einer breiten und detaillierten Aufzählung aller Mahlzeiten eines Tages. Es war erstaunlich, wie unterhaltsam ein Speiseplan sein kann. Dabei wurde deutlich, wie tief Afrika im Bewusstsein eines Jeden verankert ist, denn wer hat in seiner Kindheit nicht den Spruch gehört: „Iss deinen Teller leer, in Afrika verhungern Kinder.“
Die musikalische Begleitung besorgte Sam Penderbayne auf der Gitarre oder am Klavier. Ob „Purple Haze“ (eine besonders ergiebige Cannabisvariante) von Jimi Hendrix unbedingt ein geeigneter musikalischer Beitrag für eine Spendengala ist, mag dahingestellt sein. Zumindest erklärt es die sonderbare Interpretation der Nationalhymne von Guinea-Bissau.
Regisseur Ercan Karaçaylı vertraute dem Text und konzentrierte sich darauf, die Charaktere der fünf Protagonisten sicht-, hör- und erlebbar zu machen. Friederike Pasch fiel dabei der Part der unablässig Betroffenen zu. Sie gab eine Frau, die ihre eher mangelhaften Reize durch beinhartes und nerviges Engagement für alle, aber auch wirklich alle geknechteten Wesen dieses Planeten kompensierte. Lilly Forgách plädierte gespreizt, spitzzüngig und penetrant für Professionalität und meldete damit unentwegt einen Führungsanspruch an. Als ihr die Gefolgschaft verweigert wurde, packte sie beleidigt ein: „Das muss ich mir nicht antun.“ Erst das Argument, dass sie doch so sexy sei, bewog sie zur Rückkehr. Martin Dudeck, er gab den stets beleidigten Zeitgenossen, vermochte es, mit seiner statistisch-argumentativen Rede den Zweiflern unter den Spendern geschickt Türen zu öffnen, durch die jeder gehen konnte, ohne sich dabei mies oder unter Zwang zu fühlen. Herbert Schäfer indes entpuppte sich mehr und mehr als jemand, dem jegliches Engagement fremd war und der überdies nicht die geringste Ahnung von dem hatte, was er stammelnd bewarb. Matthias Kupfer war der „Bibelfuzzy“ und hantierte folglich mit christlichen Begriffen wie z.B. Barmherzigkeit. Seiner eindringliche Rede, die beinahe zu Tränen rührte, weil sie vor Leidenschaft strotzte, schickte er dann doch den ernüchternden Satz nach: „War das zu lang?“
Auch diese Inszenierung gereicht dem Metropoltheater und allen Beteiligten wieder einmal zur Ehre. Es ist eine wunderbar witzige Geschichte, die mehr als nur einen Nerv der Zeit trifft und die mit Leichtigkeit und Amüsement zum Nachdenken anregt.
Wolf Banitzki
Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner
von Ingrid Lausund
Martin Dudeck, Lilly Forgách, Matthias Kupfer, Friederike Pasch, Herbert Schäfer Musiker: Sam Penderbayne
Regie:Ercan Karaçaylı
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