Metropoltheater Der goldene Drache von Roland Schimmelpfennig


 

Dokumentation oder  ...

Schwarze Podeste in einem schwarzen Bühnenraum empfingen die Zuschauer im Metropoltheater. Die Ebenen des Hauses mit dem Schnellrestaurant „Zum goldenen Drachen“ waren offen gelegt. Schwarz auf schwarz, das alle Farben enthält und von denen doch nur ein Bruchteil für das menschliche Auge erkennbar ist. Der Fantasie war Hintergrund geboten, vor dem sich Gold ungleich leuchtender ausnahm.

„Somewhere over the rainbow“, sang die Grille Sebastian Griegel und beschwor damit das erste Farbspektrum vor die Augen des Publikums. Dem Takt folgend arbeiteten acht Asiaten in der Küche des Schnellrestaurants, sie rührten im Wok, klappten den Deckel der Mülltonne, schwangen den Besen, füllten die Einwegschalen. Emsig. Eine neue Bestellung wurde in als Nummer in den Raum gerufen, lautstark danach die Speisebezeichnung und die Zutaten verbreitet. „Somewhere over the rainbow“, sang die feinfühlige Grille als die dominante Ameise Svetlana Bielievtsova an der Rampe erschien. Die Fabel von der Grille und der Ameise, von der Lehre „Wer nicht arbeitet ... bekommt nichts zu essen!“ wurde angespielt. Szenenwechsel, die nächste Bestellung und dazu der Takt der Arbeitsgeräte. Szenenwechsel, ein alter Mann erwartete den Besuch seiner Enkelin. Szenenwechsel, ein junger Asiate bekommt in der Küche Zahnschmerzen. Szenenwechsel, die Ameise verdingt die hungernde Grille. Szenenwechsel, eine junge Frau erwartet ein Kind. Szenenwechsel, die nächste Bestellung im Restaurant mit Speisenummer und Zutaten. Turbulenter Alltag in einem Wohnhaus, wie es fast überall stehen könnte. Die kurzen Szenen spiegeln den Takt der Zeit, bereiten dem Gefühl von Gleichzeitigkeit den Weg. Es gibt nur hier und jetzt und alles und eins. Die Rollenverteilung in Geschlechter war ebenso aufgehoben, wie die Einheit von Rollen. Emsiges Multitasking. Vorgebracht wurden die eine Geschichte um den Zahn des Asiaten und die zahlreichen Parallelgeschehen in erzählender Form. Gleich Einträgen in ein virtuelles Forum berichteten die Figuren über die Vorgänge und trugen so, Szene für Szene, Nachricht für Nachricht einen Haufen von Worten zusammen und damit die Schicksale eines jungen Asiaten und seiner Schwester. Dennoch unterschieden sich die, alle in Schwarz gekleideten Darsteller, doch deutlich. Still leidend ertrug Barbara Krzoska den Schmerz um den Zahn. Alkoholisiert ertrug der Mann im gestreiften Hemd, Olga von Luckwald, die Trennung von seiner Frau. Starr ertrug die Kellnerin, Daniel Holzberg, das Lachen des Publikums, die Reaktion auf gekonnte Imitation von Ausspracheproblemen im Deutschen. Cool ertrug der Barbiefucker, Maren Pertiet, die Diskriminierung durch das Objekt seines Interesses. Verzweifelt ertrug die schwangere Enkeltochter, Klaus Steinbacher, die belastende Zukunft. Neugierig ertrug die blonde Flugbegleiterin, Jakob Tögel, den fremden Zahn in der Suppe. Geschunden ertrug eine hungrige Asiatin, Sebastian Griegel, die Schikanen aller sichtbaren und unsichtbaren. In allen Schwarz in Schwarz erspielten Kurzszenen standen universell präsente Schauspieler im Fokus der Scheinwerfer und erstrahlten in persönlichen Farben.

  DergoldDracheTomekWieczor  
 

 

© Tomek Wieczor

 

Was bleibt von der Werkfassung, wenn die lauten Aufzählungen der Speisezutaten entfallen? Was bleibt von der Gesellschaft, wenn die marktschreierische  Produktionspropaganda verstummt? Eine müßige Frage, denn es wird von allen, nicht nur der kunsterfüllt singenden Grille, verlangt sich den Gesetzen der global agierenden aggressiven Ameisen zu unterwerfen. Manipulation über das existentielle Gefühl Hunger treibt ein legitimiertes Unwesen. Die vergangene Erfahrung von Inhalten einer Speise führte bei deren Nennung auf der Bühne über den Pawlow'schen Reflex zu einem Lächeln ...

Wir wissen, was wir wissen und wissen doch, dass eine wunderbare Oberflächlichkeit die Wirklichkeit auf Distanz hält. Kommunikation heißt das Machtwort, aus der sich eine Kraft zu Bewegung gewinnen lässt. Der Redefluss hat längst die klassischen Ausdrucksformen hinweg gerissen und überschwemmt. Auf ihm schwimmen die Skelette der wieder und wieder wiederholten Phrasen, gleich den Szenenschnipseln die Probleme skizzieren ohne auf diese einzugehen. „Am Anfang war das Wort.“, so erzählten die Vorfahren. Doch was, wenn das Wort heute einer leeren Dose gleicht. Das darin gebundene Schicksal, der Schmerz scheint gebannt, doch mit ihm aber auch die Erkenntnis und die Freude.

Eine eindringliche Lebendigkeit trug die Inszenierung des Werkes „Der goldene Drache“ durch Jochen Schölch. Das Vermögen vielfältig darstellenden Ausdrucks junger Schauspieler vermittelte scheinbar verloren gegangene Dimensionen im Sein, die es für umfassende Menschlichkeit anzuregen gilt. Begeisterter Applaus für einen unterhaltsam „grilligen“ Theaterabend.

 

C.M.Meier

 

 


Der goldene Drache

von Roland Schimmelpfennig

Barbara Krzoska, Sebastian Griegel, Svetlana Bielievtsova, Olga von Luckwald, Maren Piertiet, Daniel Holzberg, Klaus Steinbacher, Jakob Tögel

Regie: Jochen Schölch

Metropoltheater Bartleby, der Schreiber von Herman Melville


 

Wenn einer nicht möchte…

Als Bartleby, ein schmächtiger, farbloser Mensch, sich bei einem Wall-Street-Rechtsanwalt als Schreiber bewirbt, konstatiert dieser irritiert, dass Bartleby ein ungewöhnlich auffällig unauffälliger Geselle ist. Doch der Anwalt hegt von der ersten Sekunde an zugleich eine starke Sympathie für den schweigsamen Mann und er wird, was seine Anforderungen an seinen Angestellten anbelangt, nicht enttäuscht. Zumindest am Anfang arbeitet Bartleby, als gäbe es kein Leben neben der Tätigkeit als Kopist. Der anspruchslose Mann arbeitet unauffällig und, weil hinter einem Paravent, unsichtbar vor sich hin. Sorgen bereiten da eher die Macken der Angestellten Turkey und Nippers, der eine dicklich, schlecht gekleidet und zumeist nachmittags verstimmt, der andere mit dubiosen Kontakten zur Unterwelt, vormittags launisch und nicht selten von Verdauungsproblemen geplagt. Zwischendrin wuselt der Laufbursche Ginger Nut, so genannt, weil er täglich das Gebäck gleichen Namens beschaffen muss. Der Anwalt ist gleichwohl ein vom Leben geschulter Mann und nimmt es einigermaßen gelassen.

Doch dann geschieht etwas Unfassbares. Auf eine Anweisung des Dienstherren, eine Arbeit über die des Kopierens hinaus zu erledigen, ertönt hinter dem Paravent der Satz: „Ich möchte lieber nicht.“ (I would prefer not to.) Und da sich Bartleby nicht bewegen lässt, belässt es der Anwalt zunächst dabei. Doch bald schon verweigert Bartleby jegliche Arbeit und als der Arbeitgeber feststellen muss, dass Bartleby seinen Verschlag gleichsam zu seinem Wohnsitz gemacht hat, fordert er den Mann schließlich auf, die Kanzlei gänzlich zu verlassen. Bartlebys Antwort: „Ich möchte lieber nicht.“ Das Maß ist voll und Bartleby ist untragbar geworden. Doch der Anwalt bringt es nicht übers Herz, den Verweigerer mit Gewalt entfernen zu lassen. Schließlich sieht er keinen anderen Ausweg mehr, als die Kanzlei aufzugeben und seinerseits umzuziehen. Bartleby wird vom Nachmieter in das Gefängnis The Tombs (Die Gräber) geschafft, wo er konsequenterweise jede Nahrungsaufnahme und jede Kommunikation verweigert und stirbt. Erst nach dem Tod Bartlebys bringt der Anwalt in Erfahrung, dass der Verstorbene zuvor in einem „Dead Letter Office“, einem Büro für unzustellbare Briefe gearbeitet hat.

Im Februar 2013 kam die Geschichte unter dem Titel „A Story of Wallstreet“ in der Regie von Andreas Wiedermann auf die Bühne des Teamtheaters. Wiedermann hatte Bartleby in eine Ratingagentur transplantiert, so dass seine Totalverweigerung auf den neoliberalen Finanzzirkus zielte, der sich am Ende gerechterweise selbst entlarvte. Eine brillante Arbeit! Regisseurin Ulrike Arnold (Co-Regie: Eli Wasserscheid) beließ Bartleby im Kontext der Melvilleschen Erzählung, die 1853 erstmals erschienen war, und benutzte sogar dessen Sprache (Übersetzung von Jürgen Krug). So unterschied sich die Metropoltheaterinszenierung deutlich von der, von Andreas Wiedermann modernisierten und ins Heute transponierten Fassung. Die Verweigerung Bartlebys erklärte sich nicht aus den Verhältnissen, wie sie derzeit an der Wallstreet herrschten, sondern behielt ihren mystischen Charakter bei, wie man ihn auch in den Erzählungen Edgar Allen Poes findet. Die Verhaltensweise des Schreibers ließ sich nicht letztgültig erklären, doch sie wirkte zersetzend auf die gesellschaftliche Ordnung. Der Mensch Bartleby stand im Vordergrund, nicht der Angestellte einer für die Wirtschaft repräsentativen Einrichtung. Das vermied weitestgehend die sozioökonomische Dimension, beschrieb aber die grundsätzliche Fähigkeit des Menschen zum konsequenten eigenen Willen, auch um den Preis der Selbstvernichtung.

Julia Ströders Bühnenbild bestand aus einem großen, hölzernen Paravent, einem Schreibtisch und einigen Stühlen. Gewandet waren die Akteure in grauen (Business-) Anzügen (Kostüme: Katja Kirn). Ulrike Arnold inszenierte die Erzählung, die bei Melville vom Anwalt in der ersten Person zum Besten gegeben wird, ohne grundlegenden Perspektivwechsel. Allerdings übernahmen sämtliche Akteure den Part des Anwalts und erzählten abwechselnd. Die Darsteller illustrierten die Figuren mit ihrem Spiel und trieben die Handlungen vornehmlich erzählerisch voran. So gab Butz Buse einen zögerlichen Anwalt, der sich immer wieder in seinen eigenen Skrupeln verstrickte und zumeist mit der Situation überfordert war. Thomas Wenkes Turkey blieb wegen seiner brachialen Ausbrüche (an den Nachmittagen) in Erinnerung, die einigen Schaden auch am Mobiliar anrichteten. Matthias Rengers Nippers hingegen war von eleganter Natur, wenn da nicht die permanenten Verdauungsstörungen gewesen wären, die sich in unüberhörbaren Rülpsern äußerten. Julia Loibl gab einen agilen Ginger Nut, der hochmotiviert war und auch schon mal leicht mal übers Ziel hinausschoss. Bartleby wurde dem Zuschauer visuell vorenthalten. Er, gesprochen von Georg Stürzer, meldete sich selten, aber umso wirkungsvoller aus dem Off, um mit seinem Satz, „Ich möchte lieber nicht.“, allgemeine Verzweiflung zu erzeugen. Wenn einer nicht möchte, was dann?

Die Inszenierung von Ulrike Arnold transportierte diese wunderbare Geschichte, die in dem tiefschürfenden Ausruf endet: „Ja, Bartleby! Ja, Menschentum!“ in ihrer ureigenen menschlichen Dimension. Dabei gab es einige wunderbare szenischer Lösungen zu belächeln. Überhaupt hatte Ulrike Arnold auf Komik gesetzt und sämtliche Darsteller legten sich tüchtig ins Zeug. Die Inszenierung gefiel dem Premierenpublikum und wurde ausgiebig beklatscht.

 

Wolf Banitzki

 


Bartleby, der Schreiber

von Herman Melville

Butz Buse, Julia Loibl, Matthias Renger, Thomas Wenke und Georg Stürzer

Regie: Ulrike Arnold, Co-Regie: Eli Wasserscheid

Metropoltheater Kinder des Olymp von Andreas Kriegenburg nach einem Drehbuch von Jacques Prévert


 

 

Ein Sommernachtsspektakel der schönsten Art


Im Winter des Jahres 1942 saßen der Pantomime Jean-Lois Barrault, Marcel Carné und Jacques Prévert in Nizza zusammen und Barrault erzählte eine Episode aus dem Leben des berühmten Mimen Jean-Baptiste Deburau, der in den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts als Pierrot im Pariser Theater „Les Fuinambules“ Furore machte. Carné begeisterte sich augenblicklich für die Idee zu einem Filmfresko über das Theaterleben der Hauptstadt während der Zeit der Restauration. Als Hauptfigur der Geschichte sah er Jean-Baptiste Debureau, der natürlich von Jean-Lois Barrault gespielt werden sollte.


Jacques Prévert wurde mit dem Drehbuch beauftragt. Er seinerseits sah in diesem Projekt die Chance, einer anderen Figur, seinen Lieblingshelden in das Fresko einzuarbeiten. Gemeint war der Anarchist, Dichter und Mörder Pierre-François Lacenaire, der am 9. Januar 1836 hingerichtet wurde und der zuvor sein Leben in der faszinierenden Autobiografie „Erinnerungen und Enthüllungen“ beschrieben hatte. Während Prévert das Buch niederschrieb, kamen immer mehr Figuren hinzu, authentische und fiktive: Eine weitere zentrale Figur war der bedeutende dramatische Schauspieler Frédérick Lemaitre. Die weiblichen Hauptfiguren waren die spätere Frau Jean-Baptiste Deburaus, die treue und hingebungsvolle Nathalie, und vor allem die schöne Garance, ein bezauberndes Wesen jenseits von Konventionen und Moral. Im Hintergrund agierten der Aristokrat Graf de Montray und der Trödelhändler und Vagabund Jericho, das personifizierte Fatum, jedermann  und –frau die Hände lesend.


Der Film und auch die von Andreas Kriegenburg erstellte Bühnenfassung lassen in der Geschichte vier Männer um die schöne Garance kreisen, die, verliebt in den Pantomimen Baptiste Debureau, eine Beziehung zu dem Dichter und Mörder Lacenaire unterhält, sich gemeinsam in dem Ruhm des Schauspielers Lemaitre sonnt und sich schließlich dem begüterten und für die lustwandelnde Frau Sicherheit bedeutenden Graf de Montray hingibt. Doch sie kann der Liebe zu Baptiste nicht endgültig abschwören und nach Jahren der Abwesenheit kehrt sie nach Paris zurück, um ihm Abend für Abend bei seinen grandiosen Auftritten zuzuschauen.


Baptiste, inzwischen mit Nathalie verheiratet und Vater eines Sohns, hat nie eine andere Frau geliebt als Garance. In dem Schauspieler Lemaitre weckt sie in einer Begegnung in der Loge, von der aus sie den Geliebten maskiert beobachtet, ganz nebenbei die Eifersucht, der er sich stets enthalten hat, und befähigt ihn dadurch die Rolle des Othello zu spielen. Nach einer Liebesnacht mit Baptiste verlässt sie den unglücklichen Pantomimen, um zum Grafen zurück zu kehren. Doch der ist inzwischen Opfer der Mordlust Lacenaires geworden. Die Liebenden verlieren sich im Trubel des Karnevals. Ein Happy End gibt es nicht.


Jochen Schölch inszenierte den großen filmischen Reigen für die Freilichtbühne im Garten der Mohr-Villa in Freimann und das Haller Globe Theater in Schwäbisch Hall. Schölch gelang es, den beinahe dreistündigen epischen Film zu einem spritzigen und illustren zweistündigen Volkstheater zu destillieren, wobei er das Komödiantische dem Tragischen vorzog. Heraus kam ein unterhaltsamer Theaterabend, der voller Witz und Esprit und mit schauspielerischen Kabinettstückchen und auch grobem Slapstick gespickt war. Thomas Flachs Bühne beschränkte sich auf einen einfachen roten Vorhang, der, je nach Perspektive die Bühne vor oder auch hinter dem Vorhang suggerierte. Das Leben war Theater und Theater war das Leben, zumindest für die meisten Figuren, deren Metier die Kunst war.


Philipp Moschitz gab einen anrührend zerbrechlichen Baptiste Debureau, dessen Pantomimen sehenswert waren. Die zauberhafte Judith Toth überzeugte mit ausgefeiltem, dezent-erotischem, aber auch philosophisch-spitzfindigem Spiel in der Rolle der Garance. Ihre Gegenspielerin Nathalie im Ringen um die Liebe Baptistes wurde von Eli Wasserscheid als stille Dulderin gegeben. In der Rolle des spitzbübischen Gehilfen des Mörders Lacenaires, kalt und berechnend von Marc-Philipp Kochendörfer gestaltet, zeigte Eli Wasserscheid allerdings ihr clowneskes Talent. Hubert Schedlbauer kam der Part des nicht gerade unter Minderwertigkeitskomplexen leidenden Schauspielers Frédérick Lemaitre zu. Diese Rolle hatte im Kontext der Geschichte eine ganz besondere Dynamik, die Schedlbauer bravourös realisierte.


Ulrich Zentner musste sogar auf die Stelzen, um anfangs von oben herab über seinen Sohn Baptiste als einen missratenen, letztendlich aber als einen genialen Künstler zu urteilen. Butz Buse entzückte das Publikum ebenso überzogen komisch in der dankbaren Rolle der Wirtin Madam Hermine mit ganz besonderem Kostüm. Die stammten allesamt von Sanna Dembowski und waren ein gelungene Verschmelzung aus Andeutungen auf das 19. Jahrhundert, des Theaters der Commedia dell'arte und der Abstraktion von Jochen Schölch, der für ein spartanisch ausgestattetes Theater steht.

Den Darstellern muss wieder einmal großes Lob gezollt werden, denn sie hatten insgesamt 23  zum Teil sehr gegensätzliche Rollen zu realisieren. Irritationen kamen dabei nie auf. Begleitet wurden die Akteure unaufdringlich und ausgesprochen atmosphärisch von den Musikern Alessio Zachariades, Daniel Zacher/Zdravko Zivkovic (Klarinette und Zieharmonika). Der ganze Abend (3. Vorstellung) in dem wunderschönen Garten der Mohr-Villa, unter dem Dach großer, uralter Bäume war ein Sommernachtsspektakel der besonderen Art. Das Hehre des Theaterraums war abwesend und so bekam der Theaterabend eine wundervolle Leichtigkeit, in der das Komödiantische blühen und begeistern konnte. Bleibt zu hoffen, dass den Schwäbisch-Hallern ein ebensolcher Genuss beschieden ist.

Wolf Banitzki

 

 


Kinder des Olymp

von Andreas Kriegenburg nach einem Drehbuch von Jacques Prévert

Butz Buse, Marc-Philipp Kochendörfer, Philipp Moschitz, Hubert Schedlbauer, Judith Toth, Eli Wasserscheid, Ulrich Zentner
Musiker: Alessio Zachariades, Daniel Zacher/Zdravko Zivkovic

Regie: Jochen Schölch

Metropoltheater Die Opferung von Gorge Mastromas von Dennis Kelly


 

 

Die Rache der Zukurzgekommenen

Gorge Mastromas ist kein Held. Er ist ein so durchschnittlicher, fader Junge, dass bereits in der Schulzeit deutlich wurde, dass er weder mit Charisma, noch mit besonderen Fähigkeiten gesegnet ist. Die zwischenmenschlichen Beziehungen wollen nicht funktionieren und so bleibt er an dem ersten Mädchen hängen, das seine pubertäre Zuneigung erwidert. Nebenher erobert er allerdings ein anderes Mädchen, verbringt eine Nacht mit ihr und schwängert sie. Er kann sich nicht entscheiden und an diesem Punkt drängt sich eine Frage auf, die sich durch sein ganzes Leben zieht: Ist es aus Güte oder Feigheit?

Es ist zumeist Feigheit, obgleich es sich manchmal durchaus wie Güte anfühlt. Gorge arbeitete in einer Firma, deren Tage bereits gezählt waren. Es ist ein bekanntes Szenarium: Firmensanierer und Banken ruinieren Unternehmen, um sie zu übernehmen, zu zerschlagen und die Reste meistbietend zu verhökern. Gorge bekam unerwartet ein Angebot, dem er nicht widerstehen konnte. Er wurde Helfershelfer und verlor seine Unschuld. Nachdem er Blut geleckt hatte, erwachte das Raubtier in ihm. Er begriff schnell, dass er alles erreichen könnte, wenn er nur seine Skrupel über Bord werfen würde. Die Lüge wurde sein Verbündeter und der Aufstieg war atemberaubend. Er hatte sich vorher in seiner Rat- und Rückgradlosigkeit eher für das „moralisch Richtige“ entschieden. Doch das war jetzt Geschichte.

Es deutete sich schon früh an, dass Gorge unbedingt von seiner Geschichte eingeholt werden würde und genau das Warten darauf machte die Geschichte, die Jochen Schölch auf das von ihm konzipierte flauschige Bühnenquadrat brachte, so ungemein spannend. Seine Inszenierung war über weite Strecken Erzähltheater. Am Beginn wurden die jugendlichen Stationen von den Darstellern, ausgenommen Matthias Grundig, denn der spielte den Gorge, abwechselnd in sehr lockerer, aber gnadenlos ehrlicher Weise kolportiert. Matthias Grundig begleitete die Erzählungen mit erstaunlicher Mimik und verhaltener Gestik. Das war unbedingt sehenswert und zeigte die Klasse des Schauspielers Matthias Grundig.

Dann glitt die Erzählung unvermittelt in das szenische Spiel hinüber. Judith Toth als knallharte Managerin spulte einen diabolischen Plan zur Sanierung der Firma ab, in der Gorge arbeitete, wobei sie den Firmenchef in Nadelstreifen und mit zu kleiner Blase, gespielt von Michael Tschernow, wie einen hakenschlagenden Hasen vor sich hertrieb. Gorge, der seine Inkompetenz immer wieder betonte, geriet in den Sog des Plans und musste miterleben, wie einfach es ist, Menschen zu manipulieren, zu steuern und in den Ruin zu treiben. In diesem Augenblick begann sein neues Leben, das des Erfolgsmenschen, bewundert und von der Gesellschaft hoch geachtet. Es ist schon seltsam, dass die Menschen gerade die Mitbürger am höchsten schätzen, die sie am übelsten betrügen und verachten.

Jetzt war Gorge Mastromas ein Held, denn er hatte alles, wovon die Menschen träumen und er erreichte alles, was er sich vornahm. Alles? Nicht ganz, denn als er sich aufrichtig in Louisa, eine Mitarbeiterin verliebte, erntete er Ablehnung. Doch Gorge hatte das Verlieren längst verlernt. Also wurden seine Lügen noch perfider und schließlich errang er auch diesen Sieg über eine psychisch angeschlagene und traumatisierte Frau, expressiv von Elisabeth Wasserscheid verkörpert. Doch Gorge konnte sie nicht glücklich machen. Es war nur ein Pyrrhussieg. Güte oder Feigheit? Gorge hatte Louisa zur Güte gezwungen.

Als Butz Buse auf der Szene erschien, sich als Sol vorstellte und sich als der desolate, vom Leben nicht unbedingt freundlich behandelte Bruder Gorges entpuppte, geriet alles ins Wanken. Doch Gorge war nicht mehr der Loser, der klein beigab. Es war letztlich sein Reichtum, der ihn vor dem Urteil der Geschichte und der Gesellschaft verschonte. Doch als ihn Pete, jugendlich frisch gespielt von Philipp Moschitz, heimsuchte, wurde deutlich, dass es eine höhere Macht gibt, als das von Menschengeist gemachte Rechtssystem. Wehe dem, der von seinem eigenen Gewissen zu Höllenqualen verdammt wird.

Autor Dennis Kelly, Jahrgang 1968, stammt nicht gerade aus wohlhabenden Verhältnissen. Ihm ist die Realität der britischen Unterschicht durchaus geläufig. Er kennt die Sehnsüchte des kleinen Mannes, die unerfüllbaren Träume ihrer Frauen. So ist sein Stück eine unmissverständliche Frage zu der Moral unserer Zeit. In „Die Opferung von Gorge Mastromas“ entwickelte Dennis Kelly ein Szenario zur Vergänglichkeit von moralischen Werten in einer Welt der materiellen Werte. Darüber hinaus zeigt er aber auch, dass materielle Werte häufig gar nicht die erste Begehrlichkeit von „Zukurzgekommenen“ wie Gorge Mastromas ist. Dieser Gorge Mastromas gehört einer Spezies an, deren verkorkste Vernunft nicht verhindern kann, dass sie und ihr aufgeblasenes Ego auf zerstörerische Weise Rache an der Welt nehmen. Sie werden Diktatoren, Mörder im Namen von Ideen oder einfach nur CEOs wie Richard Fuld (Lehman Brothers), die Millionen von Menschen ins Unglück stürzen und dabei keinerlei Reue zeigen.

Jochen Schölch ist es erneut gelungen, mit einer minimalistischen Inszenierung Probleme unsrer heutigen, im Strudel der Finanzmärkte taumelnden Welt deutlich zu machen und mit seiner eindeutigen inszenatorischen Haltung Zeichen zu setzen, ohne ideologisch zu werden und die Kunst des Theaters zu verraten. Und wieder konnten die Zuschauer eine sehr geschlossene Ensembleleistung erleben, in der jeder Einzelne absolut überzeugte. Chapeau!

 

Wolf Banitzki

 


Die Opferung von Gorge Mastromas

von Dennis Kelly

Butz Buse, Matthias Grundig, Philipp Moschitz, Judith Toth, Michael Tschernow, Eli Wasserscheid

Regie und Bühne: Jochen Schölch

Metropoltheater Benefiz - Jeder rettet einen Afrikaner von Ingrid Lausund


 

 

Und ewig kreist der Klingelbeutel


Benefiz - Wohltätigkeit (veraltend: Mildtätigkeit) ist das Wirken Einzelner oder von Organisationen zu Gunsten Bedürftiger durch „milde Gaben“ (Almosen, Geschenke, Spenden). (Zitat: Wikipedia) Zu Benefizveranstaltungen werden in der Regel Prominente geladen, um entsprechend viel zahlungskräftiges Publikum anzuziehen. Prominent sind die fünf Damen und Herren, die eine Benefizveranstaltung zu Gunsten einer Schule in Guinea-Bissau planen, nicht, doch sie sind ambitioniert und bemüht. Das Bemühen um Professionalität verdeutlicht zuallererst einen lächerlichen Dilettantismus. Nebenher werden auch die unterschiedlichsten Motivationen für die Teilnahme deutlich und die verraten nicht selten einen ausgeprägten Egoismus. Vor dem Hintergrund der selbstgestellten Aufgabe werden Eitelkeiten, Vorurteile, ideologische Verblendungen, aber auch kleinbürgerliches Konkurrenzdenken sichtbar.  
Das Ziel, eine möglichst hohe Spendenbereitschaft zu erzielen, soll auf informative und unterhaltsame Weise erreicht werden. Wie spricht man unterhaltsam über Not und Elend. Jeder darf eigene Strategien entwickeln und dabei gerät man in peinlich wirkende Verbindlichkeiten, diskutiert über political correctness, verfängt sich in den Fallstricken klammheimlicher Vorurteile und Ethnokitsch. Es wird „spontan geweint“ und darum gestritten, ob und wann man das Monopol auf das „spontane Weinen“ hat. Eitelkeiten werden ausgelebt und Watschen gegen die anderen verteilt, natürlich immer unter dem Vorzeichen, der Sache zu dienen. In verkrampfter Lockerheit möchte man natürlich auch die Kunst nicht zu kurz kommen lassen. Es kommt allerdings auch zu ehrlicher Betroffenheit und die wirkt wie Sand im Getriebe der (Pseudo-) Professionalität. 


Ingrid Lausunds Text ist ein feines Gewebe aus satirischer Fadenscheinigkeit, so durchsichtig, dass er mehr entlarvt als verpackt. Und auf die Verpackung kommt es doch an, wenn man erfolgreich verkaufen will. Es ist eine intelligente und komödiantische Antwort auf Bigotterie und Dekadenz, die allerdings mehr den Schein ins Visier nimmt und weniger das Wesen. Das Wesen ist, dass es keinen Reichtum ohne Armut gibt. Das ist das wichtigste Grundgesetz des Kapitalismus, zu dem sich die Gesellschaft alternativlos bekennt. Man kann es nachlesen in jedem halbwegs anständigen Werk über politische Ökonomie. Das Geld als Repräsentant von Wert verliert augenblicklich an Wert, wenn genug davon da ist. Armut ist eine notwendige und unvermeidbare Voraussetzung für (unseren) Reichtum. Also ist Benefiz nichts anderes als ein perfides Feigenblatt, mit dem wir uns und andere belügen. Wir alle, ob wir es uns eingestehen wollen oder nicht, sind mehr oder weniger Ursache und Grund für die erbärmlichen Zustände auf diesen Planeten. Leider fällt uns nichts Besseres ein, als ewig den Klingelbeutel kreisen zu lassen. Aber genug der Selbstkasteiung. Der Abend im Metropoltheater war höchstvergnüglich und hat am Gewissen aller Beteiligten gerührt. Man muss sich als Besucher dieser Inszenierung (und man sollte sie unbedingt besuchen) auf eine Prüfung einstellen. Doch das soll eine Überraschung bleiben.


Katharina Dobners Bühne bestand lediglich aus fünf Schulbänken, von denen aus die einzelnen Akteure agierten und in die sie sich wieder zurückzogen. Um eine Schule ging es den Spendensammlern, und zwar um eine Schule in Westafrika. Introduktion war „die Essennummer“. Sie bestand in einer breiten und detaillierten Aufzählung aller Mahlzeiten eines Tages. Es war erstaunlich, wie unterhaltsam ein Speiseplan sein kann. Dabei wurde deutlich, wie tief Afrika im Bewusstsein eines Jeden verankert ist, denn wer hat in seiner Kindheit nicht den Spruch gehört: „Iss deinen Teller leer, in Afrika verhungern Kinder.“


Die musikalische Begleitung besorgte Sam Penderbayne auf der Gitarre oder am Klavier. Ob „Purple Haze“ (eine besonders ergiebige Cannabisvariante) von Jimi Hendrix unbedingt ein geeigneter musikalischer Beitrag für eine Spendengala ist, mag dahingestellt sein. Zumindest erklärt es die sonderbare Interpretation der Nationalhymne von Guinea-Bissau.


Regisseur Ercan Karaçaylı vertraute dem Text und konzentrierte sich darauf, die Charaktere der fünf Protagonisten sicht-, hör- und erlebbar zu machen. Friederike Pasch fiel dabei der Part der unablässig Betroffenen zu. Sie gab eine Frau, die ihre eher mangelhaften Reize durch beinhartes und nerviges Engagement für alle, aber auch wirklich alle geknechteten Wesen dieses Planeten kompensierte. Lilly Forgách plädierte gespreizt, spitzzüngig und penetrant für Professionalität und meldete damit unentwegt einen Führungsanspruch an. Als ihr die Gefolgschaft verweigert wurde, packte sie beleidigt ein: „Das muss ich mir nicht antun.“ Erst das Argument, dass sie doch so sexy sei, bewog sie zur Rückkehr. Martin Dudeck, er gab den stets beleidigten Zeitgenossen, vermochte es, mit seiner statistisch-argumentativen Rede den Zweiflern unter den Spendern geschickt Türen zu öffnen, durch die jeder gehen konnte, ohne sich dabei mies oder unter Zwang zu fühlen. Herbert Schäfer indes entpuppte sich mehr und mehr als jemand, dem jegliches Engagement fremd war und der überdies nicht die geringste Ahnung von dem hatte, was er stammelnd bewarb. Matthias Kupfer war der „Bibelfuzzy“ und hantierte folglich mit christlichen Begriffen wie z.B. Barmherzigkeit. Seiner eindringliche Rede, die beinahe zu Tränen rührte, weil sie vor Leidenschaft strotzte, schickte er dann doch den ernüchternden Satz nach: „War das zu lang?“


Auch diese Inszenierung gereicht dem Metropoltheater und allen Beteiligten wieder einmal zur Ehre. Es ist eine wunderbar witzige Geschichte, die mehr als nur einen Nerv der Zeit trifft und die mit Leichtigkeit und Amüsement zum Nachdenken anregt.

Wolf Banitzki

 


Benefiz – Jeder rettet einen Afrikaner

von Ingrid Lausund

Martin Dudeck, Lilly Forgách, Matthias Kupfer, Friederike Pasch, Herbert Schäfer
Musiker: Sam Penderbayne

Regie:Ercan Karaçaylı