Volkstheater Nathan der Weise von Gotthold Ephraim Lessing
Kein Wort über Terrorismus
„Seine Bedeutung für die Nation liegt in seinem Widerspruch zu ihr. Innerhalb eines Volkes, dessen größte Gefahr der gemachte Charakter ist, war er ein echter Charakter.“ Das schrieb Hugo von Hoffmannsthal über Gotthold Ephraim Lessing. Unter normalen Umständen würde man wohlwollend und zustimmend nicken. Doch unter den gegebenen Umständen sollten wir entsetzt sein. Dank der Inszenierung von Lessings „Nathan der Weise“ durch Christian Stückl am Münchner Volkstheater sind wir auf der nichtalltäglichen Weise (Theater ist das immer noch für mich!) gezwungen, uns mit dem Thema Toleranz auf philosophischer und künstlerischer Ebene zu beschäftigen. Ohne Frage gibt es kaum ein Volk, das so tolerant ist wie unseres. Wir sind so tolerant, dass wir jederzeit unterschreiben würden, absolut und uneingeschränkt tolerant zu sein, denn Toleranz ist eine positive Charaktereigenschaft. Hoppla, da könnte doch der Gedanke aufkommen, dass ein derartiger Charakter ein „gemachter Charakter“ sei. Und Hoppla, plötzlich werden wir damit konfrontiert, dass wir in unserer Begeisterung über uns selbst uns dabei ertappen, dass wir auch tolerant gegenüber der Intoleranz sind.
Dass etwas gewaltig aus dem Ruder läuft in unserem Land, beweist die allumfassende Ratlosigkeit. Das hält uns aber nicht davon ab, zu handeln. Also gehen wir auf die Straße gegen die, die auf die Straße gegangen sind. Das ist emotionale Aufrüstung. Und jeder opponiert gegen den anderen in der tiefen Überzeugung, auf dem rechten Weg und im Besitz der Wahrheit zu sein. Es ist schon erstaunlich, wie man im Zustand der völligen Orientierungslosigkeit und geistiger Irritation Wahrheiten hervorbringen will. Inhalte? Die sind doch schon längst kein Thema mehr. Pogrome finden weltweit statt und Pogromstimmung liegt auch bei uns längst schon wieder in der Luft. Und wenn dann ein hochrangiger Politiker das einzig Richtige in dieser Situation macht und auf die andere Seite des Grabens klettert, um zu reden, ist er ein Verräter und Nestbeschmutzer. Das macht wirklich Angst, mehr, als wenn eine Handvoll krimineller Fanatiker unter Berufung auf eine Religion ein Dutzend Menschen ermorden. Übrigens: „Gott ist das Asyl der Unwissenheit!“ (René Descartes) Und übrigens, es gibt neben den Religionen auch noch den Atheismus. Atheisten sind in zivilisierten Gesellschaften Menschen, die nicht im Namen ihrer Weltanschauung töten. Aber das nur zur Erinnerung.
Es geht wieder um Ideologien, und die sind die guten, die den Bestand der „freien Welt“ und ihrer Apologetik des Wachstums unangetastet lassen. Dumm nur, dass sich nicht mehr verheimlichen lässt, dass eine Handvoll Menschen mehr Vermögen besitzen, als die Hälfte der Erdbevölkerung. Dumm auch, dass man langsam begreift, dass im System des Kapitalismus Reichtum gesetzmäßig an Armut gekoppelt ist. Und dumm erst recht, dass man den Reichen nicht mehr glaubt, dass sie die „Guten“ sind, nur weil sie die Gesetze machen und in den Vorständen der Wirtschaft sitzen. Naturgemäß ist jeder, der tatkräftig dagegen aufbegehrt, weil er sich und seine Familie nicht mehr ernähren kann oder weil er einfach keinen Sinn mehr in dieser Art von asozialer Gesellschaft sieht, der „Böse“. Dumm vor allem, weil uns alles das die Ruhe raubt und unsere „gemachten Charaktere“ auf den Prüfstand stellt.
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Pascal Fligg, Sohel Altan G., August Zirner
© Arno Declair
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Das dramatische Gedicht „Nathan der Weise“ gibt es seit 235 Jahren. Es ist beinahe zu allen Zeiten gespielt worden, denn es gibt auf viele Fragen, auch und vor allem der heutigen Zeit, Antworten. Es sind einfache Antworten, die aber nicht populistisch sind und keine Rezepte darstellen für den Umgang mit den Problemen. Vielmehr schaffen sie aufgeklärtes Bewusstsein, beispielsweise darüber, was Religion ist und warum es in der Verantwortung jedes einzelnen Gläubigen liegt, in der Gesellschaft zu bestehen und die Gesellschaft so zu gestalten, dass sie lebenswert ist. Das Stück gemahnt uns an die eigene Verantwortung und verweist auf die Konsequenzen, die das Handeln mit sich bringt. Doch Religion ist mehr als die Huldigung und Anbetung eines Gottes, denn institutionalisiert ist sie auch Macht, ist sie Ökonomie, ist sie auch politisches Führungsinstrument und verfolgt somit sehr weltliche Ziele. Wer immer sich hinreißen lässt, aus seiner religiösen Anschauung eine politische abzuleiten, die weltlichen Zielen folgt, hat seine Religion verraten. Das ist im Koran so angelegt und auch das Alte Testament rekrutiert vorsätzlich Kämpfer für die eine, die wahre Religion. Man muss diese Bücher einmal lesen, bevor man darüber spricht. Es ist auch gar nicht schwer, denn diese Bücher wurden ursprünglich für jedermann geschrieben. Erst die selbsternannten Priester schufen die Kluft zwischen den Gläubigen und „Gottes Wort“, indem sie das Interpretationsmonopol an sich rissen.
Nathan, der reiche Jude aus Jerusalem, soll dem muslimischen Herrscher, dem Sultan Saladin erklären, welche Religion die einzig wahre sei? Die Frage ist erst einmal töricht, wie man an der Reaktion Nathans ablesen kann, denn man ist Jude oder Christ oder Moslem, weil man seine Religion für die richtige hält. Mit der Ringparabel verdeutlicht Nathan/Lessing dem Sultan/uns schließlich, dass es unwichtig ist, wie und nach welchen Regeln die Gläubigen Gott huldigen, sondern wie gottgefällig, also verantwortlich der Schöpfung und also auch uns selbst gegenüber, die Gläubigen leben und handeln. Die Welt dreht sich jedoch anders, denn die Hüter der Religion streben unentwegt nach weltlicher Macht. Im Iran ist die religiöse Macht heute größer als die der „gewählten Volksvertreter“. Diese Macht lässt steinigen, auspeitschen, enthaupten. Auch in „Nathan der Weise“ gibt es ein Beispiel dafür. Als der Patriarch erfährt, dass Nathan achtzehn Jahre lang unter seinem Dach eine getaufte Christin erzogen hat, kann es nach christlichem Verständnis und päpstlichem Gesetz nur ein Strafe geben: „Der Jude wird verbrannt!“ Und schon sind wir wieder in der Realität; nach zweihundertfünfzig Jahren Aufklärung hören wir wieder die Rufe: „Der Ungläubige wird getötet!“ Und was geschieht? Die Welt tut sich nicht zusammen, vergisst für den Augenblick die religiösen Grenzen, um diesen Wahnsinnigen und Kriminellen in den Arm zu fallen? Es wird darüber diskutiert, ob und wie tolerant wir sind? Ob diese Rufe wahrheitsgemäße Interpretationen aus den heiligen Schriften sind? Und das „Abendland“ beginnt sich wieder zu erheben gegen das „Morgenland“.
Christian Stückls Inszenierung blieb im Rahmen des Lessingschen Textes und verzichtete auf inszenatorisches Beiwerk. Jeglicher zusätzlicher Deutungs- oder Interpretationsversuch wäre vermutlich auch kontraproduktiv gewesen, denn es ist kaum vorstellbar, dass irgendwer Einsichten über die von Lessing hinaus formulieren könnte. Es wäre schön, sagen zu können, Religion sei ein Auslaufmodell, der Mensch braucht die von ihm geschaffenen Götter nicht mehr. Doch wir leben in Zeiten der Angst und Angst hat Religiosität und Eiferertum noch immer befeuert. Die Deutlichkeit, mit der der Text auf der Bühne transportiert wurde, ließ die „Wirkungsökonomie“ (Friedrich Luft) bestens funktionieren. Es waren einzelne Wörter, die die Erregung aufkommen ließen: Jude und brennen, Allah und Gewalt oder zurück nach Europa. Herausgelöst aus der Tagesberichterstattung bekamen sie eine tiefere, weniger plakative Semantik und bewegten. Es war unüberhörbar, wie gewaltig dieser Text doch ist.
Stückl verzichtete darum nicht auf Theaterkunst und Komödiantik. Schon die Besetzung des Nathan mit August Zirner erwies sich als überaus belebend für den Abend. Haben frühere, pathosbeschwerte Inszenierungen Weisheit in Gestalt dicker, in sich ruhender, alter Juden daherkommen lassen, ein probates Mittel, der Jugend die Klassiker zu verleiden, agierte August Zirner als schelmischer, springlebendiger Mann, der in seine Tochter und in das Leben schlechthin vernarrt war. Das war spaßig anzuschauen, doch einer lief ihm dabei den Rang ab: Jakob Geßner in der Rolle des Tempelherrn. Dieser Tempelherr war weniger bewegt von heiligem Edelsinn, sondern vielmehr von soldatischem Gehorsam. Die Rettung Rechas aus dem Feuer ihres Wohnhauses, von Constanze Wächter als liebesduseliges, leicht naives Töchterchen gespielt, war für den Tempelherrn „Dienstpflicht“, Bestandteil des Reglements. Geßner gab einen etwas beschränkten, aber umso impulsiveren Mann, bei dem man sofort befürchtete, dass er Katastrophen heraufbeschwören würde. Er enttäuschte nicht.
Die Katastrophen wurden von der christlichen Erzieherin Rechas, Daja, gespielt von einer vor innerem Drang fast zerberstenden Mara Widmann, eingerührt. Der übermächtige Wunsch, nach Europa zurück zu kehren, verstellte ihr den Blick auf die politischen Realitäten und so brachte sie das Leben Nathans in Gefahr. Die ging vom Patriarchen aus. Thomas Kylau, durch Kostüm und Licht dämonisiert, hätte so auch in „Das Cabinet des Dr. Caligari“ brillieren können. Der deutsche Filmexpressionismus hätte gejubelt. Seinen Handlanger, den Klosterbruder, gestaltete Jean-Luc Bubert als einen bescheidenen, aber von menschlichen Gefühlen beseelter Mann mit komischen Zügen in seiner Bescheidenheit. Pascal Fligg, von Regisseuren gern in das Gewand der Bösewichter gesteckt, oblag der Part des Saladins. Er spielte ihn zerknirscht, denn immerhin hatten ihm die Christen einen Krieg aufgezwungen, den er wegen seiner klammen Kassen und seiner humanistischen Gesinnung nicht führen konnte und auch nicht führen wollte. Er war ein integerer Herrscher, mit ähnlich löblichen Eigenschaften wie Nathan ausgestattet. Sehr ambivalent hatte Christian Stückl die Figur des Melek, Bruder des Saladin, angelegt. Sohel Altan G. gab einen aalglatten, freundlichen Politiker, der jedoch äußerstes Unbehagen erzeugte, wenn er das Wort Gewalt mit zärtlicher Lautmalerei in den Mund nahm. Ihm zur Seite vier Leibwächter mit AK 47, Turbanen und Feldausrüstung. Stückl hatte eine Gebetsszene auf der abgedunkelten, aus einer einzigen großen Welle bestehenden, leeren Bühne (Stefan Hageneier) inszeniert. Spätestens hier wurde der Zuschauer wieder von der Realität eingeholt. Obgleich die Männer nur beteten, drängten sich die Bilder von islamistischem Terrorismus unweigerlich auf. Das war Suggestion vom Feinsten.
Schließlich wurde das Lessingstück schnörkellos zu Ende gebracht, und als Pascal Fligg als Saladin, seine „tiefe Rührung“ beiläufig mit „fast“ abtat, konnte man sicher sein, dass der unselige Schluss, der auf hanebüchenen Verwechselungen basiert, und der in seiner Auflösung ganz große Gefühle freisetzt, dem Publikum so emotional verwässernd erspart blieb. Dafür Dank.
Stückls Inszenierung wäre für junge Leute unbedingt ein guter Einstieg in die Dramatik der deutschen Klassiker. Für politisch interessierte Theatergänger sei sie mindestens ebenso empfohlen, denn sie leistet mehr als jede Talkshow, Kundgebung, Demonstration oder politklerikale Beschwörung. In ihr paart sich Humanismus mit gesundem Geist. Das ist das Gegenteil von Ideologie.
Wolf Banitzki
Nathan der Weise
von Gotthold Ephraim Lessing
Pascal Fligg, Sohel Altan G., August Zirner, Constanze Wächter, Mara Widmann, Jakob Geßner, Mehmet Sözer, Thomas Kylau, Jean-Luc Bubert
Regie: Christian Stückl
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Volkstheater Kasimir und Karoline von Ödön von Horváth
Grundsolide und wirkungsvoll
Mit schöner Regelmäßigkeit „Kasimir und Karoline“ von Ödön von Horváth in München: 2009 am Volkstheater in der Regie von Florian Fiedler, 2011 am Residenztheater in der Regie von Frank Castorf und nun erneut am Volkstheater in der Regie von Hakan Savaş Mican. Bei so vielen Wiederholungen kommt schon mal Verdruss auf beim Kritiker. Er läuft nämlich Gefahr, sich selbst zu zitieren. Das passiert schon mal, wird aber peinlich, wenn es der Zuschauer und Kritikleser mitbekommt, insbesondere, wenn die Kritik negativ ausfällt. Aber genau das wird nicht geschehen, denn die geschaute Inszenierung hat den Kritiker und, wie er am Schlussapplaus deutlich hören konnte, auch das Publikum mehr als zufrieden gestellt. Es folgt nun ein Lobgesang.
In einer und einer dreiviertel Stunde erzählte Regisseur Hakan Savaş Mican unprätentiös und gänzlich auf den Text vertrauend die Geschichte des Münchner Paares, das unter dem Druck der Ereignisse und den gesellschaftlichen Umständen an nur einem Tag ihre Liebe aus den Augen verliert. Kasimir, bis zum Vortag noch Chauffeur mit festem Einkommen, ist entlassen worden. Ihm ist nicht nach Feiern zu Mute, doch es ist „Wiesn“ und die fesche Karoline möchte sich ihren Spaß nicht verderben lassen. Sie lernt den Zuschneider Schürzinger kennen, einen gepflegten und scheinbar seriösen Menschen, der sie alsbald mit der These konfrontierte, dass Arbeits- und Einkommenslosigkeit die Liebe zwischen den Menschen sterben lässt. Karoline widerspricht beherzt, denn sie glaubt an die Macht der Liebe, die sich gerade in Zeiten der Not entfaltet. Allein die Begegnung mit Schürzinger lässt sie schon abschweifen und den Verlobten Kasimir in ihrem Bewusstsein verblassen. Die Begegnung mit dem reichen Fabrikbesitzer Kommerzienrat Rauch indes führt sie schließlich auf Abwege. Kasimir wird seinerseits vom Merkel Franz bedrängt, an seinen kriminellen Aktivitäten teilzuhaben. Dessen Freundin Erna sucht das zu verhindern, doch Merkel Franz ist ein brutaler und rücksichtsloser Mensch. Am Ende der Nacht sind alle Verlierer und das Wesen der Gesellschaft hat sich einmal mehr als zutiefst unmenschlich entpuppt.
Für diesen „Wiesn“-Reigen schuf Sylvia Rieger eine ebenso einfache, wie sinnvolle Bühne. Sie bestand aus einer transparenten Revuetreppe, die von der Rampe her anstieg und nach hinten wieder abfiel. Mehr brauchte es nicht. Die Treppe war praktisch, hielt viel Raum für das Spiel vor, erzeugte Dynamik und stand, wenn es das Stück erforderte, gleichsam metaphorisch für die Gesellschaftspyramide. Miriam Martos Kostüme waren dezent historisierend, was z.B. angesichts des Auftauchens des Zeppelins (übrigens ein beeindruckendes und sehenswertes Bühnenereignis) durchaus sinnvoll war, stand aber dem sehr zeitgenössischen Treiben keinesfalls im Wege. Zudem waren die Darsteller darin durchaus vorteilhaft gekleidet und angenehm anzuschauen.
Horváth-Inszenierungen leiden nicht selten darunter, dass sie musikalisch operettenhaft überfrachtet werden, um mit Banalitäten das Grauen hinter der Fratze bürgerlicher Gemütlichkeit und Lebensart zu potenzieren. Enik, das Pseudonym des Dachauer Musikers und Sängers Dominik Schäfer, zeichnete für die musikalische Leitung und die Kompositionen verantwortlich. Seine düsteren Lieder erinnerten an die existenzialistische Melancholie eines Tom Waits, auch der Gesang war dem des diabolischen Propheten nicht ganz unähnlich. Das schuf eine Atmosphäre, die nichts mit der Bierseligkeit des Münchner Oktoberfestes gemein hatte und einen allgemeineren und aufrichtigeren Topos schuf.
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Constanze Wächter, Ursula Maria Burkhart, Oliver Möller, Xenia Tiling
© Arno Declair
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Die Karoline von Xenia Tiling war ein sehr gradliniges und properes Mädel, das ihren Lebensanspruch auf sehr natürliche und damit glaubhafte Weise artikulierte. Ihr Charme war ebenso wenig gekünstelt, wie ihre Naivität, sich in eine „höhere Gesellschaft“ zu träumen. Jean-Luc Bubert spielte, von seinem gelegentlich hemmungslosen körperlichen Einsatz abgesehen, wenn er mehrfach die Treppe hinunterstürzte oder -rollte, einen verzweifelten Kasimir, der wenig draufgängerisch um seine Liebe kämpfte und unterlag, unterliegen musste. Er irrlichterte durch die Szenen wie ein Woyzeck, der keine Hoffnung mehr hatte und dem, wie er meinte, kaum eine Alternative blieb, als sich zu betrinken und hernach aufzuhängen.
Eine ebenso tragische Figur verkörperte Mara Widmann in der Rolle der Erna, „dem Merkel Franz seine Erna“. Ihr, einem sehr sanften Wesen, war nicht die Durchsetzungskraft gegeben, sich gegen den halbseidenen Kriminellen zu wehren, der von Pascal Riedel mit sehr viel böser Energie ausgestattet und darum unüberwindlich war. Ausgesprochen komödiantisch agierte Oliver Möller als Zuschneider Schürzinger. In seiner physischen und mentalen Feigheit, gepaart mit unterschwelliger Lüsternheit, geriet er an sich schon komisch. Als er sich aber seinem Arbeitgeber Kommerzienrat Rauch gegenüber sah, blähte sich in ihm zusätzlich noch der karrieregeile Opportunist auf.
Konterkariert wurde er von Robert Joseph Bartl, der seinen Rauch jovial und großmännisch in das Spiel pflanzte wie ein Naturereignis. Er war ein Kapitalist reinsten Wassers mit Manieren und Ausstrahlung, letztlich aber frei von Empathie für seine Mitmenschen. An seiner Seite „manndelte“ sich Michael Tregor in Krachlederner als der norddeutsche Staatsanwalt Speer auf. Gänzlich zur Karikatur wurde er, nachdem er in eine Rauferei geraten und an Kopf und Armen verbunden war. Ursula Maria Burkhart und Constanze Wächter gaben die ansehnlichen und dekorativen Wiesnmädel Maria und Elli, die für einen Fünfer gern mal mitgingen, wohin auch immer.
Regisseur Hakan Savaş Mican gelang mit dem Volksstück aus dem Jahr 1929 ein, im besten Sinn unspektakuläres, solides und berührendes Stück Theater, frei von Sentimentalitäten oder vordergründiger Ideologie. Er führte die Darsteller zu sehr präzisem, wirkungsvollem und unterhaltsamen Spiel, das gänzlich frei von lästigen inszenatorischen Beigaben war. Es war ein rundum gelungener Abend, zu dem man allen Beteiligten nur gratulieren und sich bedanken kann.
Wolf Banitzki
Kasimir und Karoline
von Ödön von Horváth
Jean-Luc Bubert, Xenia Tiling, Robert Joseph Bartl, Oliver Möller, Pascal Riedel, Mara Widmann, Ursula Maria Burkhart, Constanze Wächter, Michael Tregor
Regie: Hakan Savaş Mican