Volkstheater Die Präsidentinnen von Werner Schwab


 

 

Maßlos

Ein neuer Farbfernseher ist angeschafft worden. Das ist ein guter Grund zum Feiern und so treffen sich die Putzfrauen Erna, Grete und Mariedl, um das mit einer Pabstmesse zu tun. Das Leben ist nicht zimperlich mit ihnen umgegangen und sie gehen nicht zimperlich mit dem Leben um. Da muss man auch schon mal in den Stuhl der Welt greifen, um in die Realität zu tauchen. Überhaupt ist es der Schmutz, der alles Gute, Reine und Erhabene bedroht und darum ist es auch so wichtig, täglich seinem Mann, resp. Frau zu stehen im Kampf. Auch persönlich gibt es gute Gründe zur Klage. Erna hat einen Sohn, den Hermann, der sich dem Verkehr verweigert, um ihr keine Enkel zu schenken. Zudem ist er ständig betrunken, weil er den Leberkäs nicht mag und nur Schnaps dagegen hilft. Dabei macht der Metzgereiladenbesitzer Wojtyla, zwar ein Pole, aber immerhin, den besten Leberkäs und Dank einem Versprechen hat er den Leberkäs auch lebenslang tiefpreisgesenkt. Der Wojtyla wär‘s. Auch Grete hat ihr „fettes“ Los zu tragen. Die älteste Tochter ist auf und davon nach Australien. Der Vater hatte sie immer bestiegen. Aber das kann Erna verstehen, denn er hat ihr geschworen, dass die Tochter ebenso schön ist, wie die Erna einst war. Wie kann man ihm da böse sein? Und als die Tochter ging, ging auch der Ehemann. Bleibt noch der Dackel. Mariedl indes hat ihre Erfüllung gefunden. Gibt es denn eine wichtigere Person als eine Klofrau, wenn die Muschel verstopft ist und überläuft wie bei der Sintflut. Das ist Mariedls Stunde, dann greift sie an und zu. Handschuh lehnt sie ab. Nur in der Aufopferung zeigt sich wahre Frömmigkeit. Und überhaupt: Blasphemie macht sie wütend.

Und so träumen sich die drei in ein Leben, das ein einziges Fest ist. Mariedl wird vom Pfarrer beschenkt. Eine Dose Goulasch, ein Bier und ein Fläschchen Parfüm, deponiert in verstopften Klos, bringen sie ihrer absoluten Seligkeit sehr nahe. Der Wojtyla erkennt die Werte der Erna und hält um ihre Hand an, um sie zur Metzgereiladenbesitzerin zu machen. Und um Grete hält ein fescher Tubaspieler und Gutsbesitzer an. Das letzte große Hosianna liegt bereits in der Luft, als Streit aufkommt und Mariedl, die von Gier nach Anerkennung Getriebene, rachelüstern die Realität beschwört. Es kommt zum Äußersten.

Dieses vom Autor Werner Schwab, der letzte wirklich böse Bube Österreichs des 20. Jahrhunderts, als Fäkalstück bezeichnete Drama, ist kein Sozialdrama, denn es geht darin  nicht vordergründig um Menschen am Rand oder im Bodensatz der Gesellschaft. Es geht um die philosophische Aufhebung des Monströsen. Die Philosophie der „Putzfrau“ folgt einer eigenen Logik. Aufgeladen mit simplen, z.T. recht blödsinnigen religiösen Inhalten, wird die Welt heruntergerissen auf Gut und Böse. Es gibt für alles einen Schuldigen und es gibt für alles Opfer. Selbstmitleid ist eine Tugend und Schuldbewusstsein das Schmiermittel für Bösartigkeiten, die man anderen Menschen antut. Schwabs Werk ist an Radikalität kaum zu überbieten und Regisseur Abdullah Kenan Karaca wird diesem Anspruch mit seiner Inszenierung am Volkstheater durchaus gerecht.

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Paul Behren, Moritz Kienemann, Max Wagner

© Gabriela Neeb

 

Sita, mit bürgerlichem Namen Sven Schmidt, schuf für das Kaffeekränzchen kein muffiges Wohnzimmer, sondern einen Stall mit drei Boxen, deren Wände verschiebbar waren. Darin waren die drei Frauen gefangen wie Wesen, die man zur Mast oder zur Arbeit hält. Berührungen wie Schläge oder Streicheln waren nur über die hohen Zwischenwände hinweg möglich. Die Kostüme, ebenfalls von Sita, waren von spießig mit Plisseekleid bei Erna bis prollig mit Jeans und rosafarbenem Synthetikkuschel. Im Verlauf der Vorstellung entkleideten sich die Darsteller und übrig blieben die Figuren im Bodysuit: Erna – flach- und hängebrüstig mit ausladendem Becken; Mariedl – proper und wohlproportioniert, ein Körper der von physischem Fleiß zeugte und  Grete – einfach nur fett und unförmig.

Dass Abdullah Kenan Karaca auch Schauspieler zu führen weiß, ist seit „Arabboy“ und „Der große Gatsby“ hinlänglich bekannt. Was er in dieser Inszenierung aus seinen Darstellern Paul Behren (Erna), Moritz Kienemann (Mariedl) und Max Wagner (Grete) heraus kitzelte, war faszinierend. So unterschiedlich die Temperamente der Figuren waren, so gravierend unterschieden sich die drei Darsteller in ihrer Spielweise. Max Wagners Grete ruhte in sich, und mit ruhte ist ein Zustand bezeichnet, in dem selbst die Molekularbewegung zu enden schien. Die größte Herausforderung für diese Grete war das „Auf-die-Beine-kommen“ und das „Sich-zur-unerschütterlichen-Ruhe-betten“. Durch übermäßige Wut aufgebracht, wurde der Körper zu einer tödlichen Bedrohung. Paul Behren gab seine Erna als eine „kultivierte“, spitzlippige, schnippische Frau, die vorgeblich Schmerzen litt, wenn in Fäkalsprache geredet wurde. Dabei war Stuhlgang eines der dominierenden Themen im Stück. Sie fühlte sich unbedingt zu Höherem berufen. Die Mariedl von Moritz Kienemann war wie ein Frettchen auf Speed, ständig in Bewegung, ständig an sich herum zupfend und kauend, wobei sie den vorderen Teil ihres Pullovers bereits ihre Verdauungsorganen überantwortet hatte.

Das Spiel war schlichtweg eine Augenweide und ein Ohrenspaß, denn Schwabs Sprache ist einzigartig, auf eine sehr perverse Weise poetisch und maßlos, so maßlos, wie alles an Werner Schwab war, selbst sein Tode. Als man am 1. Januar 1994 seinen Leichnam in seiner Wohnung fand, wies sein Blut 4.1 Promille Alkohol auf. Er starb an einer Atemlähmung. Das Wunderbarste an dieser Inszenierung war, dass es nicht zur Ekelorgie gerann. Es war ein dramaturgisch gut durchgearbeiteter Theaterabend, der als philosophisch bezeichnet werden darf, - keine platte Vulgata des Schocktheaters. Abdullah Kenan Karacas Inszenierung bewies mit Nachdruck, dass Schwab kein Schmuddeldramatiker war, sondern ein sehr ernstzunehmender Autor, dessen Werk, anders als sein Schöpfer, noch eine Zukunft hat.

 

Wolf Banitzki

 


Die Präsidentinnen

von Werner Schwab

Paul Behren, Moritz Kienemann und Max Wagner

Regie: Abdullah Kenan Karaca

Volkstheater Sein oder Nichtsein von Nick Whitby nach dem Film von Ernst Lubitsch


 

 

Eine Lanze für das Sein

„Sein oder Nichtsein“ von Ernst Lubitsch (1892-1947) hat, abgesehen davon, dass es ein filmischer Geniestreich ist, zweifellos Kultstatus. Das hängt nicht zuletzt mit der Polemik zusammen, die die Uraufführung des Films ausgelöst hatte und die eine Weile anhielt. Meisterlich inszeniert, erzählt der Film von der polnische Widerstandsbewegung. Er wurde in seiner Form als Komödie von vielen Antifaschisten als „geschmacklos“ empfunden. Bosley Crowther ging in seinem Urteil noch ein stückweit darüber hinaus: „Man hat den merkwürdigen Eindruck, Mr. Lubitsch sei Nero, der spielt und singt, während Rom brennt.“ (New York Film Reviews, Volume 3) Lubitsch beteuerte einige Jahre später in einem Brief an Herman G. Weinberg: „Es war nicht meine Absicht, die Polen zu verspotten. Ich wollte lediglich das Schauspielermilieu verhöhnen, aber vor allem die Sitten und Gebräuche der Nazi-Wahnsinnigen und des Nazi-Geistes zeigen, der die deutsche Gesellschaft in seiner Gewalt hatte. Ich glaube, mein Film war wahrhaftiger als die künstlerischen (die literarischen und die anderen) Werke, die den Hitlerfaschismus auf die Tätigkeit eines bestimmten Personenkreises beschränken.“

Niemand würde Lubitschs Komödie heute infrage stellen. Auch Chaplin plagten starke Zweifel bezüglich seines „Der große Diktator“, nachdem er die Wahrheit über die Konzentrationslager erfahren hatte. Wer würde heute „Der große Diktator“ infrage stelle? Woody Allen erklärte das Prinzip historische Komödie in seinem Film „Verbrechen und andere Kleinigkeiten“. Er legte Alan Alda, der einen erfolgreichen Serienproduzenten spielte, den Satz in den Mund: „Komödie ist Tragödie plus Zeit.“ So albern das aus dem Mund des aufgeblasenen, selbstverliebten Machers auch klingen mochte, die Formel entbehrt nicht einer gewissen Logik. Die (Film-) Geschichte gibt Woody Allen Recht.

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Pascal Fligg, Jakob Geßner, Christoph Müller, Mara Widmann

© Arno Declair

 

Nick Whitby (Jahrgang 1963) adaptierte den Film für die Bühne. Das Stück kam 2008 am Broadway zur Uraufführung. Inhaltlich blieb Whitby im Rahmen des Films. Die Geschichte spielt im Zeitraum der Besetzung Polens am 1. September 1939 und in dem folgenden Jahr. Polen ist in einem dreiwöchigen „Blitzkrieg“ niedergeworfen und zerstört worden. Der politische und militärische Widerstand, z.T. nach Großbritannien geflohen, z.T. im Land verblieben, formiert sich. Es ist eine Geschichte um eitle Schauspieler, „Seitensprünge“ und enttäuschten Hoffnungen auf den Brettern, die angeblich die Welt bedeuten. Schließlich entwickelt sich eine Spionagegeschichte, die das Ensemble zwingt Farbe zu bekennen. Sie inszenieren eine Farce, in der sie die deutsche Gestapo, in Persona Gruppenführer Erhardt und Sturmführer Schulz, zwei ausgemachte Trottel, an der Nase herumführen. Schließlich können die Darsteller, insbesondre Josef Tura, die versehentlich in die Hände der Gestapo gelangten Informationen über den polnischen Widerstand an sich bringen und anschließend mit einem Flugzeug, gesteuert vom „Fehltritt“ Maria Turas, dem Piloten Leutnant Sobinski nach Schweden entkommen.

Regisseurin Mina Salehpour inszenierte Theater im Theater, bunt, schrill und mit sehenswerten szenischen Lösungen. Dabei konnte sie ganz auf die flüssige, bonmotreiche Komödiensprache Lubitschs vertrauen. Jorge E. Caros Bühne war durchgängig die Bühne des Theaters der Truppe um den Impresario Dowasz, die zugleich auch der Sitz der Gestapo war, die im Nationaltheater ihre Zelte aufgeschlagen hatte. (Kennst du ein Theater, kennst du sie alle!) Ortswechsel wurden glaubhaft und „einleuchtend“ durch Lichteinstellungen realisiert. Die üblichen Insignien der Macht, wie Reichsadler und Hakenkreuz waren gnadenlos karikiert worden. Der Adler war ein muckibudengestählter Vogel mit dickem Bizeps und das Hakenkreuz war durch zwei gekreuzte Hanteln ersetzt worden. Es war eine Diktatur von lächerlichen Kraftmeiern. Im Spiel wurde hemmungslos geknattert, chargiert, antichambriert und kolportiert. Die Regie überraschte indes auch mit „slow motion“ Szenen und kleinen magischen Kabinettstücken. Als Running Gag fungierte die Antwort „Ich heil mich selbst!“ auf „Heil Hitler!“

Mina Salehpour verfuhr, ganz im Sinne von Ernst Lubitsch, hemmungslos beim Entlarven der Schwächen von Schauspielern, deren bedeutendste ganz sicher die Eitelkeit ist. Pascal Fligg trat als Josef Tura jedes Mal zum großen Monolog „Sein oder Nichtsein“ auf, als sei es das letzte Mal. Er gab einfach alles, um die Welt von seinem unfassbaren Genie zu überzeugen. Mara Widmanns Maria Tura indes intrigierte in beinahe jedem Satz. Dem „göttlichen Poltern“ ihres Mannes begegnete sie mit weiblicher List, peinlich durchschaubar und dennoch wirkungsvoll. Christoph Müller, korsettierter Gruppenführer Erhardt und Don Juan für Arme, ließ deutschen Stumpfsinn aufblitzen wie eine durchbrennende Glühbirne. Ihm zur Seite stakste stechschrittartig Jakob Geßner als blödsinniger und willfähriger Homunkulus des Systems und Vollstrecker nationalsozialistischer Gesinnung. Es war eine kurzweilige Veranstaltung, in der dem Zuschauer auch die Möglichkeit geboten wurde, sich seiner altbewährten Vorurteile gegen das Theater und dessen Protagonisten zu versichern und sie genüsslich zu pflegen.

Das „Happy end“ des Films wurde dem Zuschauer im Volkstheater allerdings auf ziemlich brachiale und unerwartete, fast kathartische Weise vorenthalten. Das tat dem Spaß einen deutlichen Abbruch. Regissuerin Mina Salehpour, selbst im Iran geboren, holte Publikum und die Darsteller, man konnte es Oliver Möller in der Premiere (Shylockversessener und Lanze tragender Schauspieler Grünberg und Jude) deutlich ansehen, schlagartig und effektvoll in die Realität zurück. Damit nicht genug, in der letzten Szene vor dem Vorhang musste sich das Publikum zudem noch eine aktuelle und bohrende Frage gefallen lassen. Welche? Das sollte vor Ort herausgefunden werden. Es lohnt sich allemal. Ein gelungener Auftakt in die neue Spielzeit am Münchner Volkstheater!

 

Wolf Banitzki

 


Sein oder Nichtsein

von Nick Whitby nach dem Film von Ernst Lubitsch

Miguel Abrantes Ostrowski, Pascal Fligg, Jakob Geßner, Christoph Müller, Jonathan Müller, Oliver Möller, Leon Pfannenmüller, Mehmet Sözer, Magdalena Wiedenhofer, Mara Widmann

Regie: Mina Salehpour

Volkstheater Jugend ohne Gott nach Ödön von Horváth


 

 

Alles Programm ...?!

Seit Beginn der Menschheitsgeschichte werden die Gedanken Einzelner aufgegriffen und daraus Ideologien entwickelt. Diese Vorstellungen – der Stein eines Weisen – bilden die Anschauungs- und Handlungsgrundlage für Gemeinschaften. Von zurückhaltend friedvoll bis gewaltsam erfolgt die Verbreitung dieser Weltbilder. Dabei kann es sich immer nur um Eine von Milliarden Möglichkeiten handeln und doch wird die eine Wortfolge einem Gott gleichgesetzt, angebetet. Konfuzius, Moses, Buddha, Heraklit, Jesus, Mohammed, Luther, Marx, Hitler, Keynes ... und naturgemäß viele andere mehr erstellten solche Grundsatzerklärungen. Längst hat die virtuelle Revolution ihre eigenen Programme herausgegeben und diktiert ihren Algorithmen folgend Denken und Handeln. Wer sich unterwirft, erfährt Anerkennung, wer sich eigenständig oder gar kritisch verhält, wird geopfert. Und, es funktioniert, es funktioniert solange, bis eine zunehmende  Kritische Masse über ein Atom mehr verfügt.

„Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit.“, schrieb Ödön von Horvath. Kritisch verfolgte er die Bewegungen der Massen, distanziert. Sein Interesse galt der Einzelfigur, galt deren Arrangements und Reaktionen, galt dem Menschen jenseits von Religion. 1937 schrieb er, in wenigen Wochen, den Roman „Jugend ohne Gott“. Der Nationalsozialismus brannte ihm auf der Seele.
Ein junger Lehrer versucht, mit den Idealen des Humanismus, seine Schüler auf die Rigorosität des Faschismus aufmerksam zu machen. Doch die Schüler und auch die Schulleitung folgen dem Gesetz der Masse. Der Lehrer schließt sich, um seiner Existenz willen, scheinbar der Bewegung an. Zeltlager, Vorbereitung auf militärische Ausbildung ... Ein brandaktueller Stoff also (auch wenn der Militarismus heute kommerzielle Interessen verfolgt und Anzüge statt Uniformen trägt). Die Begegnung des Lehrers mit einem Pfarrer führt zu einer erneuten Auseinandersetzung mit Gott, dem Gewissen. Unausweichlich, aus Schuld erwächst Schuld. Als es zu einem Diebstahl und nachfolgend einem Mord kommt, erinnert sich der Lehrer und übernimmt Verantwortung.

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Paul Behren, Sara Sukarie, Mehmet Sözer

© Gabriela Neeb

 

Die Inszenierung in der Regie von Manuel Braun stellte die zeitlos verbindenden Aspekte des Menschlichen heraus. Schwächen, Stärken und der vergebliche Versuch durch Autorität und Drill eine verbindliche Ordnung herzustellen im umfassenden Chaos. Mit nachhaltigen Bildern, auf der von Aylin Kaip gestalteten Bühne, gelang eine beeindruckende Umsetzung des Romans in Erzähltheater. Schlanke Baumstämme standen verteilt auf der Spielfläche, Wald, dazwischen das Pult des Lehrers, die mit der Lehne dem Publikum zugewandten Stühle der Schüler. Der Lehrer, eindringlich gespielt von Johannes Meier, suchte naturgemäß Erfahrung in der Welt und sich selbst. Unschuldig aufrecht trat er an die Schüler heran, welche ihm mit verbreiteten Vorbehalten begegneten. „Alle Kanaken sind hinterlistig, feig und faul.“ , lautete einer dieser Feststellungen, welche lediglich dazu dienen Selbsterhabenheit vorzugeben. Und dann wurde erkennbar, wie über gleichschaltende Aufgabenstellung und Takt Vereinheitlichung voran gebracht werden kann.  Ursula Maria Burkhart schritt als Feldwebel vor den Jugendlichen auf und ab. Ihrer strenger Stimme folgend wurde Körperertüchtigung erzwungen. So lässt sich Macht konzentrieren. Paul Behren, Mehmet Sözer und Sara Sukarie verkörperten nicht nur die an Bildung desinteressierten Schüler, sondern auch andere Figuren. Paul Behrend gab überaus faktisch den mit der Schuld-Keule um sich schlagenden Pfarrer. Mehmet Sözer, der als Schüler T mit österreichischem Dialekt die Zugehörigkeit dieser Nation zum Reich vorführte, brachte barfuß als Dorfmädchen die Wandlungsfähigkeit ins Spiel. Die Geste mit der Sara Sukarie als Präsidentin die Brille aufsetzte, das Schauspiel für einen Moment stillstehen ließ, war imposant. In kleinen, wie in großen Momenten gelang bravourös ein vielfältiges Psychogramm. Das Geschehen voran bringend und persönliche Reflektionen wiedergebend, folgten die Szenen nahe der Vorgabe des Romans, eine Essenz Horváth sinnfällig gewürzt mit Tagesgeschehen.

„Es macht einen Sinn, einen Strich durch eine Rechnung zu machen.“  ... Denn es sind die Humanistischen Ideale, die den Strich darstellen, die Mensch vom Tier unterscheiden. Ohne Kultivierung dieser Eigenschaften ist Mensch auf die bloße Natur zurückgeworfen. Analyse, oder übersetzt Interesse an Futter, an den Lebensvorgängen ist der universelle Triebfaktor, welcher Einzelne und nachfolgend die Gesellschaft voran bringt. Doch wohin? Jede Zeit verlangt eine eigene Auseinandersetzung mit dem Thema und die angenehmste ist wohl die sehenswert aufschlußreichen Theaters.

 

C.M.Meier

 


Jugend ohne Gott

nach dem Roman von Ödön von Horváth

Johannes Meier, Paul Behren, Ursula Maria Burkhart, Mehmet Sözer, Sara Sukarie

Regie: Manuel Braun

Volkstheater 3000 Euro von Thomas Melle


 

 

Nur Fragen – keine Antworten

Als Zuschauer fühlte man sich nicht unbedingt behaglich im Bühnenbild von Nikolaus Frinke, denn man saß einer den ganzen Raum durchziehenden Spiegelwand gegenüber und war gezwungen sich selbst wahrzunehmen und zu betrachten. Gespielt wurde über weite Strecken im Publikum, was via Spiegel zu verfolgen war. Das meinte, die Geschichte von Anton, der wegen 3000 € Schulden aus der Lebensbahn geraten war, und Denise, alleinerziehende Mutter ohne Mittel und mit vielen Sehnsüchten, geschieht und geschah mitten unter uns, in der Mitte der Gesellschaft. Thomas Melle, der aus seinem Roman eigens für das Volkstheater eine Stückfassung erstellt hatte, thematisierte Armut. Der Betrag von 3000 €, das durchschnittliche Monatseinkommen pro Kopf in Deutschland, war für Anton, der gerade sein Studium beendet und es ein paar Wochen richtig hatte krachen lassen, zur Falle geworden. Die Deutsche Bank, für die 300 Mio. € einmal Peanuts waren, hatte für diesen vergleichsweise nichtigen Betrag den Rechtsweg beschritten. Obgleich sich Freunde, Bekannte und auch Beamte um Anton bemühten, machte dieser keinerlei Anstalten, einen rechtskonformen Weg zu gehen. Er machte „zu“ und ließ sich den Fluss des Lebens hinuntertreiben. Denise schob tagaus, tagein Waren über den Scanner einer Supermarktkasse, erfüllt von Sehnsüchten, deren Inhalt Wohlstand und eine erfüllte Beziehung waren, und geplagt von lähmenden Ängsten, erkannt zu werden, denn sie hatte, um sich aus ihrer finanziellen Misere zu befreien, Pornofilme gedreht. Und da ihr Frust keine andere Projektionsmöglichkeit fand, entlud er sich auf dem noch unschuldigen Haupt ihrer Tochter Linda.

Als sie sich im Supermarkt zum ersten Mal begegneten, registrierten beide eine starke Anziehung. Schüchterne Versuche der Annäherung folgten, doch bald schon stellte sich das ungute Gefühl ein, dass die Beziehung an den äußeren Umständen nur scheitern konnte. So ging jeder seinen Weg der Erniedrigung und der unerfüllten Wünsche.

Thomas Melles Text war episch breit angelegt, erzählte viel von der Geschichte und ihren Protagonisten, und ließ nur begrenzten Raum für dramatisches Spiel. Das war ein vornehmlicher Grund dafür, warum sich die Geschichte ebenso lang anfühlte, wie sie auch war: zwei Stunden. Allerdings zeichnete sich der Text durch einen tiefen, glaubhaft festgehaltenen Wahrheitsgehalt aus, der neben Witz noch eine weitere Qualität besaß: nämlich anrührende Poesie. Melle scheint das Leben zu kennen und er kann überzeugend darüber sprechen. Zumindest taten es die Darsteller. Oliver Möllers Anton war ein verbitterter junger Mann, der kompromisslos gegen die Welt seinen eigenen Niedergang betrieb. Seine Selbstbehauptung erhob ihn über die Zustände und ließ ihn zu einem Outlaw werden, der immer unnahbarer und unantastbarer wurde. Er erweckte den Eindruck, dass die Vorgänge um ihn und seinen Fall nichts mit ihm zu tun hätten - „The Big Lebowski“, wenn auch nur im Westentaschenformat und nur halb so cool. Aber schließlich sind wir nicht in Amerika. In Deutschland nimmt man das Thema Armut noch mit dem naturgemäßen Ernst und verströmt Betroffenheit. Vor allem bleiben wir beim Thema politisch korrekt. Luise Kinners Denise war sichtlich sensibler gestaltet. Während Möller aggressiv und voller Wucht gegenhielt, zermarterte sich Kinners Denise, was ihrer lausigen Lebensqualität den finalen Stoß versetzte. Katastrophen und Erniedrigungen reihten sich wie Perlen auf einer Schnur: die schnelle Nummer mit dem verklemmten Angestellten, die Sauftour mit dem ewig saufenden Vater, die Erpressungen des Pornoproduzenten, die aussichtslose Suche nach einem echten Partner, die „missratene“ Tochter, die bei den medizinischen Tests versagte und wider Erwartung funktionierte, was die Unterstützung gefährdete und schlussendlich die Entdeckung und Bloßstellung als Pornodarstellerin „Nadine“ durch zwei Bauarbeitern im Supermarkt  – Lichtblicke gab es keine.

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Pascal Fligg, Mara Widmann, Oliver Möller

© Gabriela Neeb

 

Die sehenswert spielerischen Dimensionen erreichte die Inszenierung in den Dialogen der Protagonisten mit Mara Widmann und Pascal Fligg, die beeindruckend komödiantisch die Parts von Freunden, Bekannten, zufälligen Begegnungen oder Beamten übernahmen und dabei enorm facetten- und einfallstreich sowohl gestisch-mimisch als auch stimmlich agierten.

Die Inszenierung von Brit Bartkowiak war tadellos, überzeugte durch ein wunderbares Grundkonzept, viele szenische Lösungen und durch gute Führung der Darsteller. Was kann man mehr verlangen. Die Musik von Joe Masi sicherte die ästhetische Ebene perfekt wie ein Seil einen Kletternden. Dennoch gibt es einen nicht unerheblichen Einwand gegen das Werk und der zielt auf den Schluss. Thomas Melle hat mit seinem Text eine verbindliche Sicht auf das Thema Armut geschaffen, die sich allemal als Diskussionsangebot eignen würde. Doch davor war ein märchenhafter Schluss, in dem Denise mit Tochter Linda in New York sitzen und Pizza essen. Plötzlich und unerwartet nimmt  Denise einen Mann wahr, von dem sie glaubt, es sei Anton. In diesem Augenblick fällt eine letzte Last von ihr ab, nämlich Anton nicht mit ihrem Honorar für die Pornofilme geholfen, sondern eine Reise gemacht zu haben, die sie sich schon immer gewünscht hat. Dieser Schluss war kitschig und er setzte einen unweigerlichen Punkt unter das Thema. Es erinnerte fatalerweise an De Sicas neorealistischen Film „Das Wunder von Mailand“ in dem die Obdachlosen, nachdem man ihnen auch noch ihre Favela genommen hatte, mit Fahrrädern unter kitschigen Klängen in den Himmel hinauf fuhren.

Schade. Schade auch, dass das bildreiche und wortgewandte Stück die entscheidenden Fragen nicht gestellt hat und damit auch keine gesellschaftskritische Dimension bekam. Thomas Melle ist sehr sensibel mit dem Thema umgegangen. Befragt, warum er das Wort „Unterschicht“ als diskriminierend betrachte, gab er zu verstehen, dass er sich auch solcher „Euphemismen wie ‚sozial benachteiligter Mitbürger‘“ nicht bedienen würde. Das ist sehr ehrenhaft. Aber macht es Sinn, ein so großes Thema in die Hand zu nehmen und zur Unterhaltung des Publikums damit zu jonglieren? Fragen sind gut – Antworten wären besser!

Wolf Banitzki

 


3000 Euro

von Thomas Melle

Oliver Möller, Luise Kinner, Mara Widmann, Pascal Fligg, Greta Hummel/Martha de Righi

Regie: Brit Bartkowiak

Volkstheater Caligula von Albert Camus


Caligula, der den Mond wollte

Es ist aus der Entwicklungspsychologie hinlänglich bekannt, dass die prägende Persönlichkeitsbildung im familiären Umfeld stattfindet. Ist diese von Liebe, Zuneigung und Verständnis geprägt, wird die Entwicklung positiv verlaufen. Was aber, wenn jemand in einem Umfeld aus Mord, Missgunst, Intrige und ständiger Angst aufwachsen muss? Was für ein Charakter kann sich unter diesen Umständen bilden? Caligula, eigentlich Gaius Caesar Augustus Germanicus (12 – 41 n.Chr.), widerfuhr eben dieses Schicksal. Seinen Vater, Germanicus, hatte der amtierende Kaiser Tiberius beseitigen lassen, wie zahlreiche andere Nebenbuhler auch. Die Historiker sind sich heute ziemlich sicher, dass Tiberius ein Psychopath war, der sich auf die Insel Capri zurückgezogen hatte und dort seinen sadistisch-erotischen Neigungen frönte. Die detaillierten Schilderungen Suetons über die orgiastischen Veranstaltungen lassen jedem normalen Menschen die Haare zu Berge stehen. Als 18jähriger erlebte Caligula die Ausschweifungen des Großonkels mit. Als der 78jährige Tyrann schließlich erkrankte und ins Koma fiel, man Caligula und Tiberius Gemellus, letzte Nachfahren aus dem julisch-claudischen Geschlecht, bereits zur Nachfolge gratulierte, verlangte der Totgeglaubte plötzlich nach einem Getränk. Man erstickte dieses Bedürfnis kurzerhand nachhaltig mit einem Kissen.

Caligula, benannt nach seinen Militärsandalen (caligae), die er als Kind im Militärlager seines Vaters trug, war eine ausgesprochen unattraktive Erscheinung. Er war groß, sehr blass und hatte spindeldürre Beine. Zudem hatte er schon sehr früh eine Glatze, war aber ansonsten am ganzen Körper stark behaart. Allein die zufällige Erwähnung des Kompositums „haarige Ziege“ konnte tödlich für den Unbedachten enden. Seine Empfindlichkeiten bezüglich seines Haupthaares führten dazu, dass er Menschen mit üppigem Haar nicht selten den Befehl erteilte, sich scheren zu lassen. Dennoch waren seine politischen Amtshandlungen anfangs nicht ohne Erfolg und zeugten von einigem Sachverstand. An seinen sexuellen Eskapaden nahmen die Römer wenig Anstoß. Er war bisexuell und bediente sich nach Gutdünken an beiden Geschlechtern. Zudem etablierte er in seinem Palast ein Bordell, in dem auch Ehefrauen hochstehender Persönlichkeiten ihre Dienste anbieten mussten. Sueton behauptete, er habe seine Ehefrau Caesonia nackt zur Schau stellen lassen. Auch unterhielt er höchstwahrscheinlich eine inzestuöse Beziehung zu seiner Schwester Drusilla. Ihr Tod, so einige, jedoch nicht alle Historiker, warf ihn aus der Bahn und ließ ihn einem Wahn anheimfallen. Er hielt sich bereits zu Lebzeiten für göttlich. Der Kaiser sprach mit Jupiter, drohte ihm bei Gewittern aber auch mit dem Homer-Zitat aus der Ilias: „Zerstöre mich, oder ich werde dich zerstören.“ (Ajax an Odysseus) Caligula scheute sich nicht anzudeuten, dass Jupiter ein Betrüger und er das Original sei. Die Vorstellung implizierte, dass er auf Erden zwar mit Caesonia, als Sonnengott allerdings mit der Mondgöttin Luna liiert wäre. Er sprach mit ihr! Seine Ausschweifungen nahmen indes ungeahnte Züge an und so erließ er, um seine Zügellosigkeit zu finanzieren, kurzerhand den Befehl, dass sämtliche Bürger ihr Vermögen testamentarisch dem Staat vermachen mussten. Jetzt brauchte er bei Bedarf die Bürger nur noch verbleichen lassen…Warum tat Caligula das? Die Antwort ist einfach: Weil er es konnte. Er war der mächtigste Mann der Welt und trat aus den Grenzen des Menschlichen heraus.

1938 schrieb Albert Camus sein erstes Drama: „Caligula“. Ausgangspunkt der Handlung ist der Tod Drusillas, seiner Schwester, und der erschütternden Einsicht, dass der Existenz kein tieferer Sinn innewohnt. Caligula bringt es auf die einfache Formel: „Die Menschen sterben und sie sind nicht glücklich.“ Er kann, er will das nicht akzeptieren und er erklärt mit endgültiger Konsequenz: „Jedenfalls bin ich nicht verrückt, ich war noch nie so vernünftig. Nur hatte ich plötzlich ein Bedürfnis nach dem Unmöglichen. (…) Die Welt in ihrer jetzigen Gestalt ist nicht zu ertragen. Darum habe ich den Mond nötig oder das Glück oder die Unsterblichkeit, etwas, das vielleicht unsinnig ist, aber nicht von dieser Welt.“ Bereits in diesen wenigen Sätzen offenbart sich ein Grundzug der Philosophie des Existentialismus, deren Vollender Camus war: Es gibt keinen ideellen Grund für die Existenz des Menschen. Was also soll er mit seiner Existenz anfangen? Caligula zieht eine Spur der Verheerung durch die letzten vier seines nur neunundzwanzig Jahre währenden Lebens. Er lässt morden und foltern, vergewaltigt, verhöhnt und erniedrigt und lässt sich dabei anbeten. Er entwickelt eine eigene, völlig neue Logik, überschreitet jede nur denkbare Grenze und ist in allem absolut konsequent.

 

 
  caligula  
 

Max Wagner

© Arno Declair

 

 Camus bekennt in Bezug auf sein Stück, dass es ihm keinesfalls darum ging, mit diesem Drama eine Philosophie zu skizzieren oder gar zu etablieren. Es ging ihm um das außerordentliche Maß des Handelns Caligulas: „Das leidenschaftliche Verlangen nach dem Unmöglichen ist für den Dramatiker ein ebenso gültiger Gegenstand der Betrachtung wie etwa die Habsucht oder der Ehebruch.“ Und nicht mehr und nicht weniger beschrieb Camus: „Dieses Verlangen in seiner Maßlosigkeit darzustellen, seine Verheerungen aufzuzeigen, sein Scheitern deutlich an den Tag zu bringen – das war meine Absicht.“ (A. Camus: Vorwort zu Caligula.)

Genau das gelang Regisseurin Lilja Rupprecht auf der Bühne des Volkstheaters und obgleich sie „großes Kino“ veranstaltete, blieb sie den Intentionen von Albert Camus treu. Die Bühne von Anne Ehrlich folgte weitgehend den textlichen Vorgaben des Autors. Eine breite Raumfront mit drei großen Türen, die die Erhabenheit eines Palastes suggerierte, aber zugleich die Patina der Antike atmete, ließ sich durch Verschieben in eine große Spiegelfront verwandeln. Wenn Caligula am Ende seine Ehefrau tötet und selbst getötet wird, schaut er sich in Camus´ Stück selbst dabei zu. So auch im Volkstheater, wo sich der gutgebaute und ansehnliche Caligula-Darsteller Max Wagner, physisch das völlige Gegenteil des historischen Caligula, nachdem er sämtliche Höflinge niedergestreckt hatte, selbst die Kugel gab, indem er sein Speigelbild erschoss. Wagners Caligula war kalt, bestechend in seiner Logik und stets die Verkörperung der Unberechenbarkeit. Die ihn umgebenden Adlaten entlarvten sich in ihrer Sucht, im Glanz des selbsternannten Gottes zu wandeln, in ihrer Feigheit, die sie zu absurden Opportunisten machte. Ausgenommen Helicon. Jean-Luc Bubert spielte den einzigen Vertrauten des Kaisers als einen blind Folgenden, wissend, dass alles in der Katastrophe enden würde. Das machte ihn frei, den Tanz auf dem Vulkan mitzutanzen.  Constanze Wächter Caesonia indes war überrascht, als es ans Sterben ging. „Ist das denn Glück, diese entsetzliche Freiheit?“ fragt sie fassungslos. Und Caligula antwortet: „Ohne sie wäre ich ein satter Mensch gewesen. Dank ihr habe ich die göttliche Klarsicht des Einsamen gewonnen.“

Einen nach dem anderen richtet er hin, nachdem er sie in einen Dichterwettstreit zum Thema Tod gezwungen hatte. Die Jury: Caligula. Sie fielen durch, die Männer die er gedemütigt hatte, in dem er sie öffentlich Windeln tragen ließ wie den von Alexander Duda verkörperten Senectus. Nur einer wiederstand, Cherea, gespielt von einem emotionalen und selbstquälerischen Leon Pfannenmüller. Der historische Cassius Cherea war Präfekt der Prätorianergarde und Anführer des Attentates auf Caligula während der palatinischen Spiele. Auf der Bühne des Volkstheaters war er der letzte Überlebende, der das Unaussprechliche nur noch mit einem hilflosen Achselzucken kommentieren konnte.

Regisseurin Lilja Rupprecht fuhr auf, was das Theater hergab. Videoinstallationen von Moritz Grewenig schufen emotional aufgeladene Subtexte; hämmernde Bässe betonten apokalyptische Stimmungen. In leiseren Szenen begleitete Sophia Pfisterer die Bewegungen, aber auch die Gedanken der Protagonisten mit ihrer elektrisch verstärkten Violine. Die Flut an Bildern, Tönen, auch ekstatischen Tänzen überwucherten trotz der Wucht der Ästhetik das Drama dennoch nicht, wofür allen Beteiligten Lob gezollt werden muss. Der Effekt ordnete sich weitestgehend unter. Das ist wichtig, denn Camus betonte in oben zitiertem Vorwort explizit: „Ich jedoch schätze eine Kunst gering, die zu schockieren bestrebt ist, weil sie nicht zu überzeugen vermag.“

Es mag auf den ersten Blick nicht sichtbar sein, doch das Stück und somit auch die gelungene Inszenierung ist brandaktuell. Es beantwortet z.B. auch die Frage, wie es kommt, dass europäische Jugendliche, auch Minderjährige aus Bayern und Thüringen, sich dem IS anschließen und mordend ihrem eigenen Tod entgegengehen. Parole: „Jeder muss Sterben, warum nicht auf dem Weg Allahs!“ Hier entgrenzen sich Menschen, denen nie wirklich Werte und Überzeugungen vermittelt worden sind. „Geld ist keine Überzeugung“, sagte am Abend zuvor ein gewisser Hamad auf der Bühne der Kammerspiele in Arnon Grünbergs Uraufführung von „Hoppla wir sterben!“ Und um was geht es denn in unserer neoliberalen Konsumgesellschaft noch, außer um Geld?

Die Gewalt ist der Zweck geworden, sie ist kein Mittel mehr. Und wir begehen einen fatalen Fehler, wenn wir es uns so leicht machen und dieses Phänomen dem Islam in die Schuhe schieben wollen. Aus dieser Religion kommen lediglich die Rattenfänger, die leichtes Spiel haben bei jungen Menschen, denen die Hatz nach Geld gehörig „stinkt“, weil sie Werte, Liebe und Gemeinschaft suchen und nicht finden können. Diese Gemeinschaft finden sie in den mordenden Horden, in denen sie all ihren aufgestauten Frust und (so furchtbar frühen) Lebensüberdruss in echtem Blut ertränken können. Und ein Leitsymbol wird ihnen gleich mitgeliefert. „Allah ist groß!“ Caligula ist nicht mehr exemplarisch. Wehe uns, wenn er virulent wird, und zwar hier unter uns.

Wolf Banitzki


Caligula

von Albert Camus

Max Wagner, Constanze Wächter, Jean-Luc Bubert, Johannes Schäfer, Leon Pfannenmüller, Alexander Duda, Sohel Altan G., Justin Mühlenhardt / Violine Sophia Pfisterer

Regie: Lilja Rupprecht

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