Volkstheater Katzelmacher nach dem Film von Rainer Werner Fassbinder
Halbherzig
Eine bleierne Atmosphäre lastet auf der Kleinstadt. Eine Gruppe junger Menschen hangelt sich durch ein Leben aus Inhaltslosigkeit, Langeweile und Dumpfheit. Es wird in einer sehr armen Sprache, die auf das Format von allgemeinverständlichen, undifferenzierten Piktogrammen reduziert ist, über Geld gesprochen, über Sexualität und über Macht, die zumeist von den Männern ausgeht und sich gegen die Frauen richtet, die, wie es scheint, nie etwas anderes erfahren haben. Die Situation in dieser geschlossenen Gesellschaft entwickelt sich zu einer Brutstätte. Darin ein öder Teig, dumpf und ohne intellektuelle Gewandtheit. Elisabeth: „Jeder ist besser wie keiner. Wenn ich so ausschauen tät wie du, tät ich mich vor mir selbst schämen. Und dafür auch noch ein Geld verlangen.“
Dann erscheint Jorgos auf der Bildfläche, ein „Fremdarbeiter“, ein „Katzelmacher“. Er ist von der geschäftstüchtigen Elisabeth in ihrer „Wundertütenfabrik“ angestellt worden. Man vermutet in ihm einen Italiener, doch er entpuppt sich als „Griech von Griechenland“. Seine Anwesenheit wirkt wie ein Treibmittel und der Teig beginnt bedrohlich zu quellen. Weibliche Begehrlichkeiten richten sich auf den Mann, der kaum etwas versteht oder gelegentlich auch vorgibt, nichts zu verstehen. Als Gunda sich ihm unzweideutig nähert und abgewiesen wird, bezichtigt sie ihn der Vergewaltigung. Schließlich bedrängt ihn Marie; Jorgos ergibt sich und schläft mit ihr. Marie erklärt dem Mann, „dass ein Mädchen das braucht“. Das bringt Erich in Harnisch, denn bis dahin hatte er eine sexuelle Beziehung mit ihr. Er stachelt wutschnaubend gegen den ahnungslosen Ausländer auf. Man denkt laut über Kastration nach und darüber, den „Griech“ der Marie in Benzin eingelegt zum Geburtstag zu schenken. Sie schlagen den Mann gemeinschaftlich zusammen. Doch es ist nicht die Gewalt, die den Griechen letztlich aus der Stadt treibt, sondern die Aussicht, mit einem Türken zusammenarbeiten zu müssen. „Türkisch nix gut.“ Soweit die Geschichte des Theaterstücks von Fassbinder, das 1968 am „antitheater“ in München seine Uraufführung erlebte.
Regisseur Abdullah Kenan Karaca wählte für seine Spielfassung den ebenfalls 1968 erschienenen Film von Fassbinder. Er reduzierte die Personage auf sieben Akteure und brachte eine sehr ambitionierte Inszenierung auf die Bühne. Das überwältigende Bühnenbild von Marlene Lockemann erinnerte an ein überdimensionales Glanzbild mit heiterer Landschaftsidylle aus dem 19. Jahrhundert. Darin eingepasst waren die Darsteller in zufälligen Posen und durchweg krampfhaft grinsend. Sie steckten in einheitlichen Latexdirndln (Kostüme: Sita). Die Koteletten der Männer waren zu großen Backenbärten aufgetollt. Die Inspiration dazu lieferte ganz sicher der Film, in dem die auffälligen Koteletten eine peinliche modische Attitüde der späten sechziger Jahre waren. Dann purzelte der knappe Text von Fassbinder wie Gesteinsbrocken aus diesem Bild heraus in den Saal. Wie auch in Fassbinders Film passiert kaum etwas. Man redet, man positionierte, man arrangiert sich.
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Carolin Hartmann, Pascal Fligg, Mara Widmann, Jonathan Müller
© Gabriela Neeb
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Das hochartifizielle Bühnenbild und der darauf abgestimmte, mechanische Spielgestus verhinderte eines weitestgehend, nämlich das Entstehen von Figuren aus Fleisch und Blut. Jeder Satz war Behauptung und nicht Ausdruck emotionaler Zustände. Jede Bewegung war Deklaration einer Figur und nicht Handeln aus einer Notwendigkeit heraus. Die Inszenierung erinnerte an ein buntes, niedliches Karussell, das sich drehte, als wäre das Leben ein Fest. Alles war schrill und überzeichnet und ein wenig erinnerte diese Inszenierung an die Arbeiten von Herbert Fritsch. Die Geschichte nahm exemplarischen Charakter an. Der Zwiespalt zum realen Leben blieb gleichwohl nicht außen vor, denn die Posen wurden mit der Zeit beschwerlich und gerieten zu peinlichen Verrenkungen. Das Lächeln gefror zu Grinsen und die hässliche Visage der Brutalität, der Empathielosigkeit, der Selbstgerechtigkeit und Anmaßung hinter der Fassade wurde sichtbar. Regisseur Abdullah Kenan Karaca stieg mit seiner Inszenierung sogar in die Tiefen des Unterbewusstseins, wenn er den verglasten Raum unter der Bühne zum Showroom der geheimsten Wesenszüge und Wünsche der Akteure machte. Die krochen animalisch wie Raupen oder spreizten sich in ihrer Geilheit.
Es war ein grandioser Einfall, dem eine enorme Magie innewohnte, bedeutete dieses Bild in seiner Zeitlosigkeit doch zugleich, dass hier auch deutsche Geschichte am Pranger stand und in der war Fremdenhass, Antisemitismus und nationale Überheblichkeit schon immer fest verankert. Stimmt nicht? Doch, man muss sich nur mal damit beschäftigen. Und zwar mit den kritischen Betrachtungen und nicht mit den Weihnachtsansprachen der Bundespräsidenten. Das würde vielleicht auch verhindern, dass nicht stets aufs Neue mit gespieltem Entsetzen die Frage gestellt würde: Woher kommt das nur? Wir sind doch eigentlich gut! Einfache Antwort: Aus unserem tiefsten Innern!
Leider kam es zu einem gravierenden Bruch als Timocin Ziegler als Katzelmacher die Szene betrat. Groß, offene sympathische Erscheinung, knackig in Leder und legerem Hemd, stellte er vom ersten Augenblick seines Erscheinens an einen ästhetischen Fremdkörper dar. Fremdkörper war sicherlich beabsichtigt, denn als solcher wurde er von der Gesellschaft im Stück begriffen, doch die Gegenüberstellung von Groteskem und Realistischem funktionierte nicht. Der Bruch wurde noch eklatanter, als Jorgos/Katzelmacher, der deutschen Sprache nicht mächtig, Goethe zitierte, von dem die Eingeborenen vermutlich noch nie etwas gehört hatten. Deren Literatur, der Katzelmacher las aus einem Büchlein von Marie, erinnerte an Marquis de Sades „Justine“. Sollte das zutreffend sein, würde das an Missbrauch grenzen, denn de Sade war ein ernstzunehmender philosophischer Kopf, der viele Jahre seines Lebens hinter Gittern verbringen musste, weil er „anders“ war und der einen Freiheitsbegriff definiert hatte, der weit über den Geist seiner Zeit hinausging. Der zitierte Text diente lediglich dazu, Marie ihrer perversen Fantasien zu überführen.
Nein, Jorgos war nicht besser als die Eingeborenen, zumindest sah Fassbinder das so, als er ihm den Satz in den Mund legte: „Türkisch nix gut.“ Es ist nicht nachvollziehbar, warum Regisseur Abdullah Kenan Karaca diesen ästhetischen Bruch beging. Nicht nur, dass er dadurch die Wirkung deutlich verringerte, er verschenkte damit zugleich die Chance, auch den Fremden in seinen Schwächen und Eigenarten zu überzeichnen. Das Bild wäre ein ehrlicheres gewesen, ganz sicher mit durchschlagender Wirkung. So schlug die Inszenierung in die Kerbe der allgegenwärtigen Verklärung, die, und das beweisen die momentanen Zustände und Vorgänge im Land überdeutlich, mit verheerenden Folgen realitätsfremd sind. Dabei hat doch gerade Abdullah Kenan Karaca aufgrund seiner Wurzeln einen echten Vorteil, wenn es darum geht, in jede Richtung Vernunft walten zu lassen. So strandete ein großer ästhetischer Wurf leider in Halbherzigkeit.
Wolf Banitzki
Katzelmacher
nach dem Film von Rainer Werner Fassbinder
Paul Behren, Pascal Fligg, Carolin Hartmann, Jonathan Müller, Tamara Theisen, Mara Widmann, Timocin Ziegler
Regie: Abdullah Kenan Karaca
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Volkstheater Schuld und Sühne nach dem Roman von Fjodor Dostojewski
Der Weg in die Radikalität
Der junge Rodion Romanowitsch Raskolnikow, bis vor kurzem noch Jurastudent, hatte einen Artikel verfasst, in dem er die Ansicht vertrat, dass es gewöhnliche und ungewöhnliche Menschen gab. Letzteren sprach er das Recht (und bis zu einem gewissen Grad auch die Pflicht) zu, gegen die Gesetze verstoßen zu dürfen, um ihre Ideen umsetzen zu können. Er selbst, inzwischen völlig mittellos, hält sich für einen ungewöhnlichen Menschen. Um sich selbst von seinem Berufensein zu überzeugen, tötet er die skrupellose und von niederen Beweggründen getriebene Pfandleiherin Aljona Iwanowna. Unglücklicherweise wird ihre Schwester Lisaweta Iwanowna, ein harmloses und unscheinbares Geschöpf, Zeugin des Mordes. Raskolnikow entscheidet sich, eher unfreiwillig, auch sie zu töten. Die Tat paralysiert den Täter, denn fortan muss er sich selbst und der Gesellschaft gegenüber verantworten. Der (Selbst-) Erkenntnisprozess gleicht einem fiebrigen Wahn, wobei Raskolnikow an seinen eigenen Anschauungen scheitert. Der Untersuchungsrichter Porfirij hat, dank einiger Indizien und aufgrund seiner hervorragenden Beobachtungsgabe schnell einen Verdacht gegen Raskolnikow; allerdings hat er keinerlei Beweise. Und so entspinnt sich zwischen den Beiden ein subtiles Katz-und-Maus-Spiel auf Weltanschaulich-ethischer Ebene.
Christian Stückl, der eine eigene, höchst bemerkenswerte Spielfassung geschrieben hat, brachte das epochale Drama nun auf die Bühne des Volkstheaters. Im düsteren Grau des Petersburger Elends um 1860, in dieser Zeit hob Zar Alexander II. die Leibeigenschaft in Russland auf, vermittelte Stückl ein Destillat des vierhundertfünfzigseitigen Romans, in dem er die Frage nach der Wertigkeit menschlichen Lebens verhandelt. Überall auf der neoliberalen Welt brechen zurzeit Konflikte auf, die in Gewalt eskalieren. Doch Stückl fragt nicht danach, ob Menschen das Recht haben, für eine „bessere“ Welt auch töten zu dürfen. Mehr als einmal zitiert er die Rolle Napoleons, einer der großen Schlächter der Geschichte, ebenso wie der Prophet Mohamed oder römische Cäsaren. Die Fragestellung nach Wert und Unwert des Lebens, wie sie haarfein im Dostojewskischen Werk erörtert wird, ist sicherlich spannend, doch die Frage, wie Raskolnikow zu seiner Tat, die eines radikalisierten „Moralmenschen“, kommen konnte, ist allemal spannender. Es war ein theoretischer Diskurs, der nur bedingt, doch hinreichend genug auf Ästhetik und schauspielerische Höhenflüge baute. Stefan Hageneiers fachwerkartiges Bühnenbild mit einigen wenigen gestaltlosen Möbeln lenkt dabei nicht ab, war lediglich Ausdruck von materieller Bedürfnislosigkeit. Die wird hier nicht als Elend, sondern als Ausgangspunkt begriffen für Ideen, die nicht auf Besitz basieren.
Mehrmals warf Raskolnikow, mal bissig und schneidend, mal tief in sich versunken und angewidert von Paul Behrens gespielt, seinem Freund Rasumichin vor, die Ideen der Sozialisten zu Unrecht zu verschmähen. Zwar teile er die Auffassung nicht, der Mensch sei ausschließlich Produkt seiner Umwelt, auf seinen eigenen (Gestaltungs-) Willen möchte er keinesfalls verzichten, doch treffe diese Determiniertheit durchaus in hohem Grade zu. Raskolnikow ist ein vom Leben enttäuschter und desillusionierter Mensch, der gegen die Gesellschaft zu opponieren beginnt und sich zunehmend dieser Gesellschaft verweigert. Sein Nihilismus steigert sich bis zu dem Punkt, an dem er zur mörderischen Tat fähig wird. Aus Verdruss über die Gesellschaft und der Abkehr von ihr, erhob er sich über sie und über ihre Moral, die ihm längst als widersinnig und verderbt erschien. So funktioniert Radikalisierung. Die Pervertierung des Geistes ist also nicht Produkt einer Ideologie oder einer Religion, sondern Resultat gesellschaftlicher Sinnlosigkeit und Leere. Raskolnikow entging letztlich dem „Gewissenswurm“ nicht, den ihm der Untersuchungsrichter Porfirij, liebenswert-schrullig und nervig-penetrant von Pascal Fligg gegeben, immer wieder ins Hirn pflanzte, weder im Roman, noch in Stückls Inszenierung.
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Jakob Geßner, Paul Behren, Carolin Hartmann
© Gabriela Neeb
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Jakob Geßners Rassumichin radikalisierte sich nicht. Der realitätsnahe Student wusste ebenso um die Schwächen der Gesellschaft und ihrer Institutionen, rang aber verzweifelt um den Freund, der sich ihm und der Gesellschaft in Wort und Tat, hier Tatenlosigkeit, zunehmend entzog. Der Student der Medizin Sossimow, Moritz Kienemanns brachte ein wenig Salonkomödie in den ernsten und ernsthaften Diskurs, konterkarierte die Qualen der um Wahrheit und Anschauungen ringenden Homo Faber mit seiner bourgeoisen Oberflächlichkeit. Carolin Hartmann gab die Sonja, eine durch Elend in der Familie, die den Ernährer durch einen Unfall verloren hatte, zur Prostitution gezwungene Frau. Sie gab eine zur Liebe fähige, in ihrer Existenz zu bemitleidende Kreatur, die sich am Ende als Rettung für Raskolnikow entpuppen sollte. Der von ihr verkörperten ehrlichen menschlichen Regung konnte vertraut werden. Sie ist in der Bedrängnis die letzte Bastion die gebaut werden kann.
Die zweite weibliche Figur war Dunja, Raskolnikows Schwester, gespielt von Magdalena Wiedenhofer. Ihr Part beschränkte sich im Wesentlichen darauf, sich von Luschin, einem Rechtsanwalt, widerwärtig glatt und geschniegelt verkörpert von Oliver Möller, heiraten zu lassen, um dem Elend zu entgehen. Diese Figur nutzte Christian Stückl, um den Urvater der Ökonomie, Adam Smith (1723-1790) zu Wort kommen zu lassen. Der plädierte nämlich dafür, dass jeder ausschließlich seinem eigenen Egoismus frönen sollte, denn der führe in den persönlichen Wohlstand und dieser wiederum bereichere damit den Wohlstand der Gesellschaft. Luschins Statement, über das Ziel und den Weg seines Lebens, ungeachtet der Kollateralschäden und der zersetzenden Tendenzen in und für die Gesellschaft, führte die Zuschauer ins Heute. Videoprojektionen bebilderten dieses Heute schlaglichtartig. Stückl entlarvte damit einen wesentlichen Aspekt der heutigen Gesellschaftskrise: Geld ist keine Idee und Egoismus schafft keine Gesellschaft, vielmehr zerstört sie dieselbe. Und die Radikalisierung resultiert aus der Bindungslosigkeit des Individuums, dem in der Gesellschaft kein Wert mehr zugestanden bekommt, außer dem des materiellen Besitzes. Diese Wahrheit ist einfach und richtig und der Hinweis, sich doch noch einmal kritisch mit den Ideen der Sozialisten zu beschäftigen, um das gesellschaftliche Leben wieder auf den Menschen zurückzuführen und nicht auf die Ökonomie, erscheint sinnvoll.
Stückls Inszenierung war diskursiv und dabei nicht ideologisch, sie war politisch aber kein Polittheater und sie war durchaus anstrengend, obgleich die Ästhetik dezent in den Hintergrund getreten war, um den Argumenten Raum zu geben. Sie war dennoch nicht langatmig oder öde, weil gewichtige Inhalte transportiert wurden. Es war gutes Theater mit einer brandaktuellen Botschaft.
Wolf Banitzki
Schuld und Sühne
von Christian Stückl nach dem Roman von Fjodor Dostojewski
Paul Behren, Pascal Fligg, Jakob Geßner, Carolin Hartmann, Moritz Kienemann, Oliver Möller, Magdalena Wiedenhofer
Regie: Christian Stückl
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