Kammerspiele Franziska von Frank Wedekind


 

 

Die Wilde und die fetten Haustiere

Frank Wedekind war Moralist. Das mag im Kontext seiner Lebensgeschichte absurd anmuten, denn hinter kaum einem anderen Dichter seiner Zeit war die Zensur wegen seiner sexuellen Freizügigkeiten und Provokationen mit solcher Besessenheit her, wie hinter den Dramatiker, Lyriker und Prosaautor Frank Wedekind. Er war auch und vor allem Moralist, weil er Sinneslust und ihre Schönheit höher schätzte als Bigotterie und Heuchelei. „Franziska“ (1912), in diesem Drama steckt eine gehörige Portion „Lulu“, war eine seiner abenteuerlichen Kolportagen, die dem Theater zugeschlagen werden sollte und nicht dem Leben. Naturalismus war ihm zuwider und er wurde lebenslang nicht müde, den großen Gerhart Hauptmann für seinen Naturalismus „spießbürgerlich“ und „engherzig“ zu schimpfen. Das Animalische, das Wilde, das Ungebändigte hatten es ihm angetan und so lässt er den Zirkusdompteur im Prolog zur „Lulu“ spotten: „Was seht ihr in den Lust- und Trauerspielen?! Haustiere, die so wohlgesittet fühlen (...) Das wahre Tier, das wilde, schöne Tier, das – meine Damen! – sehn sie nur bei mir.“ Tatsächlich haftet Wedekinds Dramen häufig der Manegen-Geruch des Zirkus an.

Nach der Uraufführung 1912 an den Münchner Kammerspielen konnten die Urteile über „Franziska“ unterschiedlicher, ja, konträrer kaum sein. Franziska ist ein weiblicher Faust, im weitesten Sinne, versteht sich, denn ihr geht es nicht darum herauszufinden, „was die Welt im Innersten zusammenhält“. Ihr reichen zwei Jahre Männlichkeit, um alles gelebt zu haben, Frau und Mann. Die Geschichte mutet ein wenig wie ein Roadmovie an. Die Reise geht über Berlin, München nach Rotenburg. Ihre Sehnsüchte herausschreiend, begegnet sie Veit Kunz, einen „Sternenlenker“. Er will aus ihr einen Stern, einen Gesangsstern machen, und mit ihrer Kunst die Welt und satte Gagen erobern. Zwei Jahre soll sie die Genüsse leben, die Männern vorbehalten sind. Dafür soll sie ihm nach Ablauf der Frist "willenlose Sklavin" sein. In Berlin hat Franziska eine Affäre mit einem Straßenmädchen, das von einem eifersüchtigen Geliebten erschossen wird. So ist Berlin, heißt es, was immer das bedeuten mag. Franziska ist als Franz Eberhard mit Sophie verheiratet. Die Geschichte fliegt auf, wird von einem ehemaligen Verlobten Franziskas entdeckt. In Rotenburg sollen sie helfen, ein Herzogtum zu retten. Darin herrscht Aufruhr und der Herzog will sich zudem auch noch scheiden lassen. Franziska tritt als orakelnder Geist auf. Am Ende wird ein vom Herzog verfasstes Drama, das er selbst auf die Bühne bringt, um die Aufständischen zu beschwichtigen, vom Polizeipräsidenten abgebrochen. Zu allem Überfluss wirken Franziska und Veit auch noch in einem antiken Drama mit, in dem Veit den Christus und Franziska die Helena geben. Breitenbach, der Darsteller des Simson, erweckt in Franziska wieder das Instinktwesen und sie kann wieder Blut wittern. Veit Kunz hat sich längst in Franziska verliebt. Er kann sie nicht erringen, denn sie ist nicht beherrschbar, noch berechenbar. Kunz nimmt in seiner Seelenqual menschliche Züge an, fällt aber dann doch der Traurigkeit anheim und will sich erhängen. Er wird allerdings gerettet ...

Mal ehrlich, das klingt nicht wirklich nach einer Faustischen Geschichte. Sie ist es auch nicht. Es ist vielmehr ein Reigen von Szenen, in denen sich Wedekind über seine eigene Existenz als Dichter und den Kunstbetrieb lustig macht und ansonsten die üblichen zwei Themen abarbeitet: Sexus und die bürgerliche Gesellschaft. Immerhin hat die Geschichte einen Ansatz, der sehr modern erscheint: Mephistopheles als Sternenlenker(!) oder, um es anders zu formulieren, ein Medienprofi, der Stars machen kann. Mehr als das, denn Franziska macht keine Metamorphose zum Mann durch. Sie bleibt Frau. Von Kunz gebildet, gelingt ihr die perfekte Suggestion. Das würde wohl die Hälfte des deutschen Privatfernsehens widerspiegeln, wo man ähnliches versucht und nie erreicht.

Doch diese Idee hätte wohl kaum in den Intentionen Wedekinds gelegen, ebenso wenig wie andere moderne Deutungsversuche. Andreas Kriegenburg blieb also bei Wedekind und machte ein schrilles Panoptikum aus der geilen, fetten bürgerlichen Gesellschaft und das war immerhin für eine gewisse (nicht für die ganze) Zeit unterhaltsam. Wie verwirrend sich das Spiel darstellte, merkten dann sogar die Darsteller an, außer Brigitte Hobmeier sämtlich in Fatsuits gewandet und saukomisch, und man sprach aus, was viele Besucher dachten: Die Geschichte versteht doch niemand. So blieb nur, sich an den Bonmots im Text, den darstellerischen Spitzfindigkeiten und den witzigen Regieeinfällen zu ergötzen, die allerdings nicht für knapp drei Stunden reichten. Andreas Kriegenburg gehört in Deutschland zu den besten Regisseuren und wenn er an diesem Stück so grandios scheiterte, dann könnte das vielleicht daran liegen, dass das Stück nicht sonderlich tauglich ist. Das erklärt vielleicht auch die widersprüchlichen Meinungen zu Uraufführung. Einigen reichte die Provokation, andere, für die die Provokation nicht hinreichend unterhaltsam war, entsetzten sich über die mangelnde Qualität der dramatischen Vorlage. So wenig, wie man dieses Stück heute noch ernst nehmen kann, so wenig Ernst zeigte Kriegenburg bei seiner Inszenierung. Ein- und Auslassungen der Darsteller zeugten davon.

Die Darsteller zu bewerten, fällt schwer, denn ihnen blieben nur wenig Möglichkeiten der Gestaltung und das vornehmlich über die Stimme. In ihren Fatsuits wurden sie in Bewegung und Haltung sehr uniform, wenngleich zum Brüllen komisch. Dennoch gelang es einer Darstellerin, selbst diese Behinderung noch zu überwinden und diffizileres Spiel zu entwickeln: Annette Paulmann. Diese Frau kann in ihrer Gestaltungsvielfalt und in ihrem Gestaltungswillen einfach nichts aufhalten. Grandios! Ebenso grandios war auch der körperliche Einsatz Brigitte Hobmeiers als Franziska. Sie war nur mit einem Hemdchen bekleidet, was signalisierte, dass sie noch zu den Wilden, zu den Ungebärdigen in der Welt zählte, nicht zu den „fetten Haustieren“.

Lobenswert war auch das Bühnenbild von Andreas Kriegenburg. In seinem weißen Guckkasten gab es lediglich eine sehr lange, pralle, rote Schlange, aus der jedes notwendige Bühnenbild durch übereinander stapeln, verwinden oder aufstellen gebaut wurde. Das Eröffnungsbild, auf dem nach hinten angehobenen weißen Bühnenboden saß Brigitte Hobmeier und schrie in die Welt hinaus: „Ich will leben!“, ließ Hoffnungen aufkommen, die letztlich aber nicht erfüllt wurden. Immerhin, die Idee, dieses Stück nach 100 Jahren wieder auf die Bühne zu bringen, um das Jubiläum der Münchner Kammerspiele zu feiern, ist eine gute. Wenn das der vornehmliche Grund für eine Inszenierung ist, und weniger eine reife künstlerische Idee, muss man das Scheitern mit einkalkulieren. Dass Scheitern ganz lustig sein kann, ist eine Erkenntnis aus diesem Abend.

 

Wolf Banitzki



 


Franziska

von Frank Wedekind

Marc Benjamin, Walter Hess, Brigitte Hobmeier, Marie Jung, Christian Löber, Oliver Mallison, Stefan Merki, Annette Paulmann, Wolfgang Pregler, Çigdem Teke, Edmund Telgenkämper

Regie und Bühne: Andreas Kriegenburg

Kammerspiele Die Straße. Die Stadt. Der Überfall. von Elfriede Jelinek


 

 

Die Maximilianstraße ist weg!

Warum gehen so viele Menschen in die Maximilianstraße? Sie wollen einkaufen, shoppen, konsumieren? Nein, viele von ihnen wollen einfach nur endlich sichtbar werden, denn sie sind nichts. Sie existieren nicht. Sie existieren so lange nicht, bis sie sich wanden, in Prada, Gucci, Versace, etc. So gewandet werden sie endlich sichtbar. Doch sind sie jetzt glücklich? Nein, denn der Rock, das Kleid, die Hose sehen an der Frau, an dem Mann auf dem Foto ganz anders aus, besser, anbetungswürdig. An der eigenen Person wird das Kleidungsstück entstellt, entstellt durch das Nichts der Person. Sogar der Spiegel erträgt dieses Bild der Entstellung nicht und wirft es angewidert zurück. Gleichsam bannt der Spiegel das Bild in seinem Rahmen und damit die Schande bis in alle Ewigkeit. ... Langsam bekommen wir eine Vorstellung, von dem unvorstellbaren Leid derer, die erst in der Maximilianstraße zu existieren beginnen. Tiefes Mitleid erfasst uns, oder etwa nicht?

Was passiert hier in München eigentlich? Wir sind Gefangene in diesem Glamour, der nur Fassade ist, in diesem Nichts, das nur vom Nichts bewohnt und bevölkert wird. Herz dieser Stadt ist die Maximilianstraße, doch auch die ist Nichts, vom Nichts bevölkert, selbst wenn wir auf den Landtag schauen. Ist das Ganze vielleicht eine große Verschwörung? Organisiert von der Stadt München, die uns nie umsonst einlässt? Die nichts gibt, obwohl sie viel zu geben hätte, sondern nur nimmt. Und das ist gut und richtig so, denn nirgendwo wird einem was geschenkt. Und dabei sollten wir froh sein, dass die Stadt uns nur unser Geld nimmt, denn es gab einmal ein Zeit, da hat sie auch Gliedmaßen und Körper genommen. Aber diese Zeiten sind gottlob vorbei. Nur nicht daran denken, an diese vergangenen Zeiten. Und wo vergisst man leichter, als in der Maximilianstraße, in derem Nichts, wo wir in unserem eigenen Nichts nicht auffällig werden. Das war einmal anders. Da gab es mal einen Italiener, bei dem man gut essen konnte. Da gab es mal einen kleinen Laden mit Büchern und CDs, auch zu laufenden Inszenierungen in der Oper. Diese menschlichen Makel erwiesen sich aber als Sand im Getriebe, auch sie sind weg, gottlob. So bleibt niemand nicht kleben irgendwo in der Maximilianstraße und der Fluss ist gewährleistet, vornehmlich der Geldfluss.

Der Prinzipal der Münchner Kammerspiele, Johan Simons, bat die unsichtbare Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek um ein Theaterstück über die Maximilianstraße. Die große Unsichtbare tat, wie ihr geheißen und machte manches sichtbar. Fast möchte man meinen, sie schuf einen letztgültigen Beitrag zur bürgerlichen Kulturgeschichte, die sich im Exempel Maximilianstraße/München zu erfüllen scheint. Warum lieben alle, ohne wirklich zu wissen warum, diesen Topos, der wie kein anderer das Nichts in Reinkultur verkörpert? Vielleicht, weil die letzte Oase des Unbehelligtseins das Nichts ist, und also begeben wir uns hinein, vorausgesetzt, wir können es uns leisten, denn soviel haben wir bereits gelernt: In München und schon gar nicht in der Maximilianstrasse gibt es nichts umsonst, auch nicht das Nichts.

Jeder müsste wissen, was es bedeutet, wenn sich Elfriede Jellinek eines Gegenstandes, hier einer Straße annimmt. Der Gegenstand, oder wie hier die Straße, wird ausgelöscht. Eigentlich ist sie es längst, nur wurde es bislang nicht bemerkt. Die Maximilianstraße verschwand gemeinsam mit Rudolf Moshammer, der eigentlich nur geliebt werden wollte und den ein Überfall ereilte, wobei ihm auch das Zungenbein gebrochen wurde. Nun konnte Mosi auch nach seinem Ableben nicht mehr sprechen. Frau Jellinek deckte nun auf, dass es sich dabei um eine Verschwörung durch die Stadtoberen handelte und den weiblichen Streiterinnen in „ihrem Walhalla“ am Ende der Maximilianstraße. Warum? Mosi, das einzige verbliebene Lebenszeichen im Nichts, hatte die Götter erzürnt. So waren die letzten Worte des stummen Mosis ein Versprechen an die Zuschauer in den Münchner Kammerspielen: „Sie werden ins Nichts treten, wenn sie rausgehen, ein Jüngstes Gericht für diese Straße, und ich habe es ihr bereitet.“

Frau Jellineks Abrechnung ist gründlich bis zur Auslöschung, dabei höchst vergnüglich und voller nicht zurücknehmbarer Wahrheiten. Das ist ein Vorzug, wenn man Nobelpreisträgerin ist. Schade nur, dass die, die in ihrem Nichts das Nichts bevölkern, nicht anwesend waren. Oder doch? Einige waren sichtlich nicht amüsiert. Dabei waren die Wortkaskaden, die keinerlei Stringenz zu folgen schienen, sich immer wieder neue Wege mäandernd bahnten, die auch keine zwingende Logik erkennen ließen, höchst amüsant. Frau Jellineks Gedanken sprudelten wie feinster Champagner und es war ein intellektueller Hochgenuss.

Eva Veronica Borns Bühne war ein schlichtes quadratisches Areal mit einem U-Bahnschacht in die Tiefe (vielleicht Maximilianstraße / Ecke Wimmer-Ring) und ein teilweise gläsernes Wartehäuschen, in dem die fünf Musiker Platz genommen hatten. Carl Oesterhelts musikalische Begleitung war sowohl strukturell, wie auch ästhetisch ein echter Gewinn für die Inszenierung. Kurz vor Beginn der Vorstellung wurde die Bühne mit kleingehacktem Eis überflutet, das wie eisige Diamanten strahlte. Darüber eine große Leuchtkugel, die das „berühmte Licht (verbreitete), diese sonderbare Helligkeit unter dem Alpenhimmel, die alles zum Strahlen bring und selbst die Fassaden grinsen lässt.“ (Matthias Günther im Programmheft zur Inszenierung)

Regisseur Simons hatte sich aus dem 129 Seiten breiten Sprachmonstrum die Perlen rausgepickt und sie auf die Schnur des Abends gespannt. Sie schmückten ihre Träger vorzüglich und über weite Strecken war man verzückt vom komödiantischen Spiel und dem Sirenengesang der Sandra Hüller. Steven Scharf, der unter anderem die Stadt spielte, und die muss man (in ihrem Nichts) erst einmal verinnerlichen, gerierte sich von grobschlächtig bajuwarisch, ohne die hochdeutsche Ebene zu verlassen, bis weltgewandt sophisticated. Hans Kremer, seine Abstinenz auf der Kammerspielbühne wurde schon schmerzlich wahrgenommen, spielte zurückgenommen, verletzlich nur in figurschaffendem fleischfarbenen Damenunterhöschen (Kostüme: Teresa Vergho) und war dabei ungeheuer präsent. Stephan Bissmeier wetteiferte mit Kremer um die Eleganz des Spiel und des Wortes. Es war unbestritten eine Augenweide. Marc Benjamin und Maximilian Simonischek komplettierten das wunderbare Ensemblespiel.

Alles schien auf einen grandiosen Abend hinauszulaufen, bis nach der Pause Benny Claessens die Hüllen fallen ließ und Mosi zum Vorschein kam. Auch das erheiterte anfangs noch. Doch als sich der Gemeuchelte von der Bühne des Lebens verabschieden sollte, geriet alles aus dem Lot. Claessens spielte wie eine Furie, um den Preis, dass kaum noch Text zu verstehen war und alles in schier endloser Hysterie versank. So gelang es Regisseur Simons, dem bestens dahingleitenden Vehikel die Achse zu brechen. Zurück blieb ein bedauerlich fader Nachgeschmack. Schade, denn es hätte ein grandioser Abend werden können. Einige Buhs waren unüberhörbar, aber auch einige verstörte Gesichter. Das Einverständnis in den Umgang von Jellinek und Simons mit der allseits beliebten Stadt München war sichtlich gespalten. Doch auch der patriotischste Bürger dieser Stadt wird den einen oder anderen Seitenhieb anerkennen müssen. Amüsant war zum Beispiel die Entlarvung der Spezies Mensch, die von sich glauben, sie seien reich, die aber einfach nur viel Geld haben. Vielleicht waren einige aber auch nur verstört von der Aussicht, aus dem Theater zu treten und festzustellen: Die Maximilianstraße ist weg! Soviel sei verraten, sie ist noch da.

 

Wolf Banitzki


 


Die Straße. Die Stadt. Der Überfall.

von Elfriede Jelinek

Marc Benjamin, Stephan Bissmeier, Benny Claessens, Sandra Hüller, Hans Kremer, Steven Scharf, Maximilian Simonischek

Trompete: Micha Acher
Bassklarinette: Stefan Schreiber
Posaune: Mathias Goetz
Piano: Sachiko Hara
Melotron: Michael Oesterhelt


Regie: Johan Simons

Kammerspiele Böse Buben / Fiese Männer von Ulrich Seidl


 


Im Abgrund nichts Neues

Ein Keller als Refugium des Mannes, in dem sich, so die Ankündigung, heimwerken, Sport treiben oder geselliger Gemeinschaft nachgehen lässt, nahm die Bühne der Kammerspiele ein. Weiß lackierte Metallspinde, einfache Stühle, ein elektrischer Schaltkasten sowie Leitungen und Rohre, ein abgetrennter Waschraum und ein, durch ein Sicherheitssystem gesicherter Kontrollraum schufen eine sogenannte männliche Atmosphäre. Es war ein gesichtsloser universell mechanisierter Ort an dem das Unbewusste ans Licht drängen durfte. Hier waren Männer unter sich.

Nacheinander betraten sie die Bühne. Sechs Männer von unterschiedlichem Charakter stellten sich mit unspektakulären geradezu normalen Lebensläufen vor, nahmen auf den bereit stehenden Stühlen Platz. Der Siebente, konfrontierte die Zuschauer sofort mit seinem Problem, unternahm einen Exkurs in die Geschichte und erzählte von den Königen, denen es vor Jahrhunderten ähnlich ergangen war. Sein Problem: natürlich ein potenzielles. Und er wiederholte und breitete aus und wiederholte und breitete aus, was auch in zwei Sätzen hätte ausgedrückt werden können. Doch an der Wiederholung ließ sich die Größe und Bedeutung des Problems ermessen, welches dieses für Mann darstellte. Und wäre nicht durch einen schrillen Pfiff der Aufruf zu körperlicher Ertüchtigung erklungen, stünde er vermutlich immer noch an der Bühnenrampe. Die Männer legten ihre Straßenkleidung ab, tauschten diese gegen Sporthosen und ebensolche Schuhe. Auf Pfiff bildeten sie eine Reihe, exakt, fast militärisch geschult. Und auf Pfiff begannen sie einige Runden im Kreis zu laufen. Da kamen doch Assoziationen von Rudelverhalten und dem daraus entstandenen Militarismus auf. Mann war ungeniert unter seinesgleichen, sang deutsche Volkslieder, trank Bier, gab grobe Sprüche in volkstümlichstem Wienerisch von sich und gefiel sich in gemeinschaftlicher Improvisation. Mann befand sich im Untergeschoß und wäre dies alles nicht auf einer Bühne geschehen, so hätte man es auch als bloße Versuchsanordnung deuten können. Den Kern jedoch bildeten die Berichte in denen jeder seine Stärken, Tricks und spezifischen Schwierigkeiten artikulierte. Es ist erstaunlich wie viele Probleme ein naturgegebener, daher unperfekter, Sachverhalt hervorrufen kann und welch enorme Bedeutung dem potenziellen Tatbestand zukommt.

Wann ist ein Mann ein Mann? Zur Beantwortung dieser Frage wurden Texte von David Foster Wallace, einem zur Zeit hochgelobten Autor, welcher aus der männlichen Seele und Denkwelt artikulierte, ausgewählt. David Foster Wallace scheiterte an sich selbst, und nun soll er mit seinen Texten als Inbegriff für männliche Befindlichkeit stehen? Eine Ironie, oder? ... Die Figuren sind erschrieben, nur wie Gegenstände, mit denen künstlerische Experimente angestellt wurden.

Das Projekt von Ulrich Seidl bot einen Einblick in Verhaltensweisen, die der „dunklen“ Seite des Mannes zugeordnet werden. Naivität, Hierarchie- und Formalismenhörigkeit, Ängste, Tricks, Macht- und Potenzfantasien befördern aber auch Potenz per se, und damit die andere Seite, in der Mann menschlich zu „leuchten“ sucht. Und, einem solchen Dilemma Herr zu werden, ist wohl eine Lebensaufgabe. Da hilft bisweilen den Mann, als Ding, als Objekt zu betrachten, „die Hosen runterzulassen“ und genau hinzusehen, es zu studieren, das gepeinigte Objekt Mann. Diese Möglichkeit der Betrachtung bot das Projekt in dem die Darsteller, sachlich weitgehend emotionslos Handlungsweisen und Charaktertypen vorstellten. Es entstand eine auf den Trieb fixierte Nabelschau, die unter diesem Aspekt als gelungen betrachtet werden konnte.
 
  boesebuben  
 

© Peter Rigaud

 

 Im Grunde hat sich fast nichts geändert. Es läuft nach wie vor so einfach wie bei den Hominidae, z.B. den Bonobos: Das Männchen bringt dem Weibchen eine Orange, das Weibchen begutachtet mit einem Auge die Orange und mit dem anderen das Männchen, gefällt ihr was sie sieht, so wechselt die Orange den Besitzer und ...1...2...3.... verspeist das Weibchen die Orange und das Männchen springt aufrechter und mit sattem Grinsen von dannen. Hat ein Männchen erfahren, dass sein Auftritt allein zu wenig überzeugend wirkt, so sucht es eine größere Orange oder schlägt einen Purzelbaum und schon … Nicht umsonst gibt es bis heute ein wohlflorierendes Gewerbe, das als das älteste der Welt bezeichnet wird. Die anderen Weibchen sind heute nicht mehr mit einer Orange zufrieden, sondern wollen in schicken schnellen Sportwagen spazieren gefahren, mit glänzenden Schmuckstücken überhäuft, oder mit interessanten Geschichten unterhalten werden. Denn die Menschen haben durch die Entwicklung von Religion, Kultur und Zivilisation eine Vielfalt von neuen Spielvariationen erfunden, die Mann geordnet und geregelt hat, wohl um sich gegenseitig die Zeit und vielfach auch die Lust zu vertreiben. Je konsequenter der Versuch die Stimme der Natur zu unterdrücken, umso größer wurden die geistigen Entwicklungsschritte, allerdings auch die Ausmaße tierischer Hintertreibungen bis zu deren Pervertierung. Die Zunahme von Gewalt in Kriegen, die mit immer perfideren Mitteln, man denke an die Atombombe, vorangetrieben wird und die mittlerweile eine vielfache Potenz des einfachen Überlebenstriebes erreicht hat, kann als Beispiel dafür dienen, wie die geistige Entwicklung und die tierischen Veranlagungen einander verstärken. Was nützen also die Kultur und die Technik, wenn der Mensch seinen kleinen Triebe nicht beherrscht, sondern von diesen beherrscht wird? Doch wer will das schon wissen.

 
 
C.M.Meier

 

 


Böse Buben / Fiese Männer

Ein Projekt von Ulrich Seidl

Georg Friedrich, Michael Thomas, Wolfgang Pregler, Lars Rudolph, René Rupnik, Nabil Salch, Michael Tregor

Regie: Ulrich Seidl

Kammerspiele Orpheus steigt herab von Tennessee Williams


 

 

Blues über Einzelhaft in der eigenen Haut

Tennessee Williams Dramen atmen die feuchte, satte Schwüle des Südstaatenblues. Dank seiner Stücke und den Werken von William Faulkner avancierten die US amerikanischen Südstaaten zu einer geradezu „mythischen Provinz“ (Georg Hensel). Was kann man sich dramaturgisch besseres wünschen, als einen Spielort, an dem sich stellvertretend für die makrokosmischen Vorgänge, individuelle Katastrophen als natürliche menschliche Seinsform spiegeln. Gerade in der menschlichen Aufrichtigkeit und Wahrhaftigkeit des psychologischen Realismus von Williams liegt seine Stärke und sein Erfolg, auch wenn sich so manche Geschichte in der Geschichte als Neurose und übersteigerte Empfindung entpuppt. Man kann sich ihnen dennoch nicht entziehen.

Ort der Handlung ist die fiktive Stadt Two River County. Hier bleibt der Nachtclub-Entertainer Val Xavier in einer Gewitternacht mit seinem Auto liegen. Im Haus von Sheriff Talbot gewährt dessen Ehefrau Vee  dem Mann in der Schlangenhautjacke Unterschlupf. Das Haus ist zugleich das Büro des Sheriffs, und so findet Val sein Nachtquartier in der Gefängniszelle. Das Bild ist bezeichnend, denn die Bewohner der Stadt, organisiert in einer Bürgerwehr, haben einen Bannkreis um ihren beschaulichen Ort gezogen, der alles Fremde fernhalten soll. So wurde Two River County zu einem Totenhaus oder zu einem inneren Kreis der Danteschen Hölle. Darin vegetiert Lady Torrance, die zusammen mit ihrem todkranken, tyrannischen Mann einen Gemischtwarenladen betreiben. Ladys Vater, ein italienischer Schnapsbrenner, war zu Tode gekommen, nachdem er „Niggern“ Schnaps verkauft hatte. In eben diesem Gemischtwarenladen findet Val Xavier Arbeit und Unterkunft. Das Geschäft boomt, denn wie schon der antike Orpheus mit seinem Gesang Steine zum Weinen brachte, wirkt die Andersartigkeit Vals wie ein Magnet, vornehmlich auf die weibliche Bevölkerung. Den Männern der Stadt ist er bald ein Dorn im Auge. Immerhin hat Val drei Verbündete. Da ist die Frau des Sheriffs, Vee Talbot, die vor all der Bigotterie, den Lügen und Brutalitäten in die Malerei geflüchtet ist. Belächelt und verlacht ist sie doch eine, die Zeichen sieht und sie auch deuten kann. Sie fungiert als Barometer für die emotionale Wetterlage im Ort. Und da ist Carol Cutrere, eine entwurzelte Ex-Kommunardin, die ihre Ziele längst gegen eine rauschhafte Apathie eingetauscht hat. Auch sie sieht die Gefahren. Das dritte Licht in der Finsternis ist Lady Torrance, die lebensgierige Süditalienerin, die täglich aufs Neue den Kampf gegen das Sterben aufnimmt. Sie ist eine starke Persönlichkeit, ebenso wie Val, und genau das besiegelt ihr Schicksal in einer Welt von Mittelmäßigkeit, Unterwerfung und Opportunismus.

Sebastian Nübling, dessen Name längst für künstlerische Kontinuität auf hohem Niveau steht, enttäuschte mit seiner nüchternen, unsentimentalen Inszenierung nicht. Er verzichtete auf ästhetisch überflüssiges Beiwerk, schauspielerische Kapricen und setzte ganz auf die drastische, tragische Geschichte. Das Fremde, hier die Figur von Val Xavier, verkörperte der estnische Darsteller Risto Kübar. Nübling entdeckte ihn in seiner Inszenierung von „Three Kingdoms“. Kübar erinnerte ein wenig an David Bowies "Ziggy Stardust", an einen Auf-die-Welt-Gefallenen, einen, der unbehelligt bleiben möchte. Doch alles an ihm reizte auf, seine Jacke aus Schlangenhaut, seine Bewegungen, seine Sprache (Ganze Passagen wurden in estnischer Sprache gesprochen und erzeugten eine musikalische Kryptografie der Sehnsüchte und Begierden.) und nicht zuletzt seine Liebe zu Lady Torrance. Er bildete schließlich die verletzliche Reibefläche für die Zündhölzer, mit denen am Ende der Scheiterhaufen entzündet werden sollte. 
 

Wiebke Puls spielte die Lady Torrance als eine harte Frau und selbstbewusste Frau, unter deren fester Schale Leidenschaften brodelten. Sie schwankte beieindruckend sichtbar zwischen Entsetzen, angesichts der Wahrheiten, die im Verlauf der Handlung sichtbar wurden, und dem Hass gegen den allgegenwärtigen Tod, personifiziert in der Figur des Ehemannes Jabe. Jochen Noch verlieh dieser Figur die Herzlosigkeit eines Mannes, der in seiner eigenen Selbstgerechtigkeit zu jedem Verbrechen in der Lage ist. Er spielte gleichsam die Rolle des örtlichen Sheriffs Talbott, eines ebenso fühllosen wie willigen Gehilfen von Jabe Torrance. Mit großer Wucht und extrem starker physischer Präsenz jagte Sylvana Krappatsch als Carol Cutrere wie ein kreischender Taifun immer wieder durch die Wohlanständigkeit des Ortes. Sie war der latente Störfaktor, zugleich das schlechte Gewissen der Stadt, die auch an ihr gefrevelt hatte.

Das Spiel war eine großartige Ensembleleistung. Dennoch soll eine Darstellerin unbedingt noch zu erwähnt werden: Annette Paulman. Ihren nicht unbeträchtlichen Nebenrollen als städtische Klatschbase Beulah Binnings und als Schwester Porter verdankte die Inszenierung die Leichtigkeit, die dieses düstere Drama, das nicht gänzlich ohne Längen ist,  erträglich machte. Ohne die Figuren zu denunzieren oder zu entschärfen, verlieh sie ihnen auf meisterhafte Weise komische Züge. Sie verhalf dem Publikum mehr als einmal zum Lachen, wenn dem Betrachter zum Heulen zumute war.

Obgleich Williams Dramen einladen zur heimeligen Betrachtung individueller und kleinbürgerlicher Konflikte, wählte Sebastian Nübling die Perspektive der philosophischen Draufsicht. Die Bühne von Eva-Maria Bauer unterstützte diesen Ansatz. Sie war gänzlich leer. Einzig ein Karussell, dass während der Handlung aufgebaut und vervollkommnet wurde, hing vom Bühnenboden herab. Nübling scheute den Symbolismus, der den Williams-Stücken stets innewohnt, nicht. Folglich schuf er, psychologische Spitzfindigkeiten weitestgehend vermeidend, Archetypen. Das Stück und auch seine eigene Inszenierung gaben ihm dabei Recht. Auch wenn das Stück über eine Katharsis nicht hinauskommt, so ist diese doch immerhin sehr gründlich.

Und noch etwas zeichnete diese Inszenierung aus. Sebastian Nübeling hielt sich an eine wesentliche Einsicht des Autors, der 1957 in einem Selbstinterview schrieb: „Für mich gibt es weder Bösewichte noch Helden, sondern nur richtige und falsche Wege, die der Mensch einschlägt – nicht aus freier Entscheidung, sondern aus Notwendigkeit oder unter dem Einfluss gewisser, ihm unverständlicher Faktoren seines eigenen Innern, seiner Lebensumstände und seine Herkunft.“ Nübling verführte bei allen Emotionen, die die Inszenierung freisetzte, den Betrachter nicht zu einem inneren Femegericht. Es ist, als müssten wir erkennen: Das und so ist die Welt. Können wir sie ändern? Selbst der Wankelmütigste würde doch immerhin zu dem Schluss kommen: Egal, ob ich sie ändern kann oder nicht, ich werde sie so nicht akzeptieren! Das ist doch ein guter Anfang. Und was ist falsch daran, wenn Theater, ohne moralinsauer zu werden, eine Moral transportiert? Immerhin wurde es dafür ursprünglich erfunden.

 
 
Wolf Banitzki


 

 


Orpheus steigt herab

von Tennessee Williams

Tim Erny, Sylvana Krappatsch, Angelika Krautzberger, Risto Kübar, Christian Löber, Lasse Myhr, Jochen Noch, Annette Paulmann, Wiebke Puls, Çigdem Teke


Regie: Sebastian Nübling

Kammerspiele Eure ganz großen Themen sind weg! von René Pollesch


 

 

Schall und Rauch ???

„Eure ganz großen Themen sind weg!“ Per se, worüber sprechen wir noch, wenn bereits alles abgehandelt abgearbeitet abgesehen ist. Doch sind die ganz großen Themen wie Leben, Liebe und Tod wirklich beantwortet? Blickt man auf die Gesellschaft, so bleibt nur die Feststellung: Nein. Die Diskrepanz zwischen Wissen und gelebtem Geschehen ist größer denn je, wächst mit jedem Tag. Auf wissenschaftlicher Ebene nehmen die Erkenntnisse täglich zu. Der Alltag wird nach wie vor, oder mehr denn je, von naiven natürlichen nachvollziehenden Impulsen gesteuert. Eine sinnvolle Verbindung von beidem findet sich in dem einen oder anderen, die täglichen Handreichungen erleichternden Gerät. Die Verbindung von Wissen im Menschen findet auch statt, tritt in Einzelnen hervor.

René Pollesch, Jahrgang 1962, gilt als Bühnentheoretiker, als einer der gelebte Philosophie in eine Darstellungsform fasst. Seine Texte und Konzepte sollen dem besseren Verständnis von Mensch und menschlichem Miteinander dienen. Die Liebe und der Tod. Der Tod und die Liebe. Diese großen Themen sind unmittelbar mit dem Leben verbunden, wie kaum andere bestimmen sie die menschliche Gemeinschaft. Immer wieder sieht sich Mensch gezwungen mit ihnen auseinanderzusetzen - jeder auf seine Art. René Pollesch fasste Heute zusammen. Da gingen - ganz wie im wirklichen Leben -  in einem Textbrei manche intelligente interessante innovative Gedanken unter. Und was übrig bleibt, ist die Bestätigung und Betonung bereits integrierter sogenannter Erkenntnisse, welche sich in Wiederholung gefallen und bekräftigen. „ ... ich denke die Welt teilt sich in zwei Lager, die, die sich nehmen was sie wollen, und die ...“, welche Zustimmung und im Publikum breites Echo fanden. Die Wiederholung und Wiederholung der bekannten und akzeptierten Erfahrung führte immer wieder zu Zustimmung, Selbstbestätigung also. Doch ist es der einfache Satz, „Ich will auf das unerreicht Beispielhafte hinaus.“, welcher allem zu Grunde liegt. Er bildete das Innerste des Kerns, den Antrieb. Die Sprache, die Wohnzimmersprache nach Berliner Volksbühnenart, vermischt Erfahrung und Befinden, lässt die Grenzen zwischen Verstand und Gefühl verschwimmen, hebt sie in eine Ebene auf. Doch was wird erreicht dadurch? Die Langeweile die entsteht, gleicht eben jener Langeweile, welche ein Leben in diesem spannungslosen Raum kennzeichnet, in dem eins ins andere übergeht.

Den wundervollen Gegensatz dazu bildeten die verschiedenen farbenfrohen und ausdrucksstarken Bühnenbilder (Bert Neumann), deren Mittelpunkt der übergroße bewohnbare Totenkopf innehatte. Aus seinen Augen glänzte gelb leuchtend die Ewigkeit. Wurde er gewendet, so erhielt der Zuschauer Einblick durch die weitestgehend offene Rückseite, das Innere, welches die Akteure über eine Türe an der Ohröffnung betraten. Der Kopf von Katja Bürkle. Er wurde von allen in Besitz genommen und unverzüglich begann Rauch aus dem Schädel aufzusteigen. „Wir sind in Katja Bürkle drin. Wir sehen aus ihren Augen wenn sie Theater spielt ...“  In der Folge erschien Katja Bürkle an der Rampe, über die Live-Video-Projektion auf den Vorhang erkannte sich das Publikum, blickte also ebenfalls aus Katja Bürkles Augen. Und nach einer Viertelstunde fiel man heraus, landete in einem Graben an der Schnellstraße nach Feldkirchen. Eine Vielzahl konsequent künstlerisch konzipierter Szenen folgte aufeinander, veranschautlichte Text und Wirklichkeit. Pollesch‘s Figuren wechselten wiederholt die Kostüme (Tabea Braun), erschienen äußerlich gewandelt, korrespondierend zu Text und Bild. Bühne und Kostüme boten durchaus poetische Bilder. Die Schauspieler Franz Beil, Katja Bürkle, Benny Claessens, Cigdem Teke bewältigten gleichermaßen die Fülle des angefüllten Textes mit großer Souveränität. Es gab einen Souffleur (Joachim Wörmsdorf), welcher weiß gekleidet, gleich einem unbeschriebenden Blatt, zwischen den Darstellern mitspielte, durchaus als Unterstützung gedacht und genutzt. Wenige Unterbrechungen des Textes trugen zu Erleichterung, Erheiterung bei den Akteuren und im Publikum bei. Das Ende gipfelte in viel Nebel, Dunst und Rederei – ganz wie im wirklichen Leben – dem der Tod die Zunge heraus streckte.
 
  eureganzgrossenthemen  
 

Katja Bürkle, Franz Beil

© LSD/Lenore Blievernicht

 

Die existentielle Botschaft ::: Indem man sich das Wissen anderer Menschen aneignet, „wohnt“ man in ihren Köpfen, blickt durch ihre Augen in die Welt. Man vollzieht ihre Muster nach – Being Katja Bürkle, oder Ghost Samurai, Marx Brother oder Elefantenmensch – mit den Gedanken von Katja Bürkle, Hagakure, Karl Marx oder und oder Adam Smith.

Denn, „I just don´t know what to do with myself“, erklang von den White Stripes dazu .... Die Medien setzen Modelle in die Welt, befördern Ikonen, Schauspieler wie beispielsweise John Malkovic oder Katja Bürkle, um einen Markt zu schaffen, ihn in Bewegung zu halten. Die Neugier, wie die Langeweile, die eigene und die vorgemachte, treiben dazu sich in andere hineinversetzen, oder andere in sich hineinziehen, hineinzulassen. Anregung durch fremde Gedanken, ein fremdes Dasein anzunehmen um das eigene zu vervollständigen, ist dagegen ein befördernder Prozeß. Ein kreatives Ereignis in besten Sinne, bei dem der Freie Wille die Wahl treffen könnte.

Ein eigenes Weltbild entwickeln, statt vorgedachten vorgesetzten vorführenden  Ideologien zu folgen – so kann die Antwort auf die Inszenierung lauten, blickte man gespannt zwischen Verstand und Gefühl durch seine eigenen Augen auf die Bühne und die dargestellte Welt. Und letzterer Vorgang brächte die Menschen wieder an ihre neuen ganz großen Themen. Denn der Satz „Liebe zum Beispiel, das sagt mir gar nichts.“, den René Pollesch Katja Bürkle in den Mund legte,  und, der in eine Fülle von allgemeinen abgenutzten abartigen Vorstellungen mündete, zeugte davon, dass Mensch offensichtlich erst am Anfang steht. Die Leere des Jenseits der Liebe, ein funktioneller grenzenloser Raum wurde vorgeführt - der Blick ins Unbewusste zelebriert. Das Stück ist fraglos .... einfach angesagt !!!

 
 
C.M.Meier

 

 


Eure ganz großen Themen sind weg!

von René Pollesch

Franz Beil, Katja Bürkle, Benny Claessens, Cigdem Teke

Regie: René Pollesch