Teamtheater Tankstelle Mephisto nach Klaus Mann
Von der Kraft, die vorgibt, stets das Gute zu wollen …
Es ist schon eine erstaunliche Geschichte, die des Romans „Mephisto“ von Klaus Mann, geschrieben und veröffentlicht im Jahr 1936 in Amsterdam. Verleger war der Holländer Querido, der gemeinsam mit seiner Ehefrau im KZ Auschwitz ermordet wurde. Das nur am Rande. Klaus Mann, der sich 1949 das Leben nahm, beschrieb darin den unaufhaltsamen Aufstieg des Schauspielers Hendrik Höfgens. Sein Protektor war kein geringerer als Hermann Göring. Als der Schauspieler Gustaf Gründgens, die Parallelen zu Höfgen sind nur schwer zu übersehen, im Jahr 1963 verstarb, versuchte der Inhaber der Nymphenburger Verlagshandlung Berthold Spangenberg den Roman in Deutschland herauszugeben. Im Ausland war er längst in den Buchläden verfügbar und Gustaf Gründgens hatte nie juristische Schritte gegen das Buch eingeleitet.
Es war der Adoptivsohn Gründgens', der Schauspieler Peter Gorski, der das Erscheinen in Deutschland verhinderte, um die Persönlichkeit seines Vaters zu schützen. Nach der ersten Zurückweisung der Klage konnte der Roman für eine kurze Zeit (Querido-Ausgabe von 1965) erscheinen. Doch der Bundesgerichtshof hob das Urteil in zweiter Instanz auf und stellte damit das Persönlichkeitsrecht einer verstorbenen Person über die künstlerische Freiheit. Die Urteilsbegründung muss aus heutiger Sicht als eine Schande deutscher Rechtsprechung bezeichnet werden. Der Roman erschien ungeachtet des Verbots. Peter Gorski, der zurückgezogen im Ausland lebte, hätte neuerlich gegen den Verlag zu Felde ziehen müssen, unterließ es jedoch.
Klaus Mann hatte seinem Roman folgenden Satz nachgestellt: „Alle Personen dieses Buches stellen Typen dar, nicht Portraits.“ Das hielt die konservative Presse nicht davon ab, Partei für Gründgens, der von Klaus Mann namentlich nicht genannt wurde, zu ergreifen. Noch 1981 war beispielsweise im Westfalen-Blatt zu lesen: „Über zwei Dinge ist man sich bei dem Buch einig: „Daß es ‚munter‘, aber literarisch eher belanglos ist, und daß es über Gründgens die Unwahrheit berichtet.(…) Hier ist interessant, mit welch hechelndem Eifer ein literarisch belangloses, historisch falsches Buch betrieben wird, wo so viel bessere Bücher aus der Emigration längst vergessen sind. (…) Aber die Erinnerung an einen großen Künstler, der vielen geholfen hat – da nimmt das Interesse an der Nichtverfälschung ab, da trompeten die sonst so menschlichkeitsbewußten Feuilletons vorneweg.“ (Westfalen Blatt Nr. 50, 1981) So viel zur Diskurskultur im Umgang mit der Aufarbeitung des „Dritten Reichs“. Das klingt doch sehr nach geiferndem Reflex einer braunen Seele.
Klaus Mann hatte sich unbestritten von der Person Gründgens inspirieren lassen. So funktioniert Kunst nun mal! Aber es gab mehr als einen Höfgen, wie Klaus Mann seinen literarischen Protagonisten nannte, im Deutschland der Nazis, nur waren sie längst nicht so erfolgreich wie Gründgens. Es ist halt dumm gelaufen für Gründgens, wenn Hendrik Höfgen es bis zum Generalintendanten des Berliner Staatstheaters schaffte. Hoppla, Gründgens nahm dieselbe Stellung ein und er wurde zudem noch zum preußischen Staatsrat gekürt. Will nun irgendwer der Welt weismachen, dass der Mime alles dies nur tat, um Widerstand zu leisten und Menschen zu retten? Vermutlich: Ja!
Conny Krause |
Andreas Wiedermann brachte diesen Roman in einer zweistündigen Inszenierung auf die Bühne des Teamtheaters Tankstelle. Er schuf eine Spielfassung, die einen nicht unbeträchtlichen Teil der im Roman auftretenden Figuren auch auf die Bühne brachte. Die Hauptfigur Hendrik Höfgen besetzte er gleich drei Mal: mit Christina Matschoss, Urs Klebe und David Thun. Und das machte Sinn, denn Höfgen ist eigentlich ein „Mann ohne Eigenschaften“, er ist ein Schauspieler, der eloquent auf jeden Menschen und auf jede Situation reagiert. Er ist "multiple" ohne eigentliche Persönlichkeit. So brachte jeder der drei Darsteller einen anderen Höfgen ein. Und genau darin lag der Erfolg der Figur, stets adaptibel zu sein.
Wiedermanns Inszenierung kam mit geringsten Mitteln aus, drei Tische und einige Stühle. Wichtigstes Element auf der Bühne war der rote (Brecht-) Vorhang. (Ausstattung Uta Lederer-Hensel) Vermutlich ist hier aus der Not eine Tugend gemacht worden. Doch wo ein Wille ist, findet sich auch eine Ästhetik, die auf vieles verzichten kann. Was nicht ist, muss halt erspielt werden. Umso raumgreifender waren die Figuren. Es gab einen Conferéncier, nüchtern und präzise von William Newton gespielt, der durch die Geschichte des vierhundert Seiten langen Romans führte. Es ist eine absolute Stärke von Andreas Wiedermann, Romane für die Bühne so aufzuarbeiten, dass das Skelett der Geschichte stets verständlich bleibt und dennoch genug Fleisch geliefert wird, um das Publikum hinreichend zu sättigen.
Das gelang zudem über die Führung der Schauspieler, die extrem gegensätzliche Figuren verkörperten. Christina Matschoss gab beispielsweise einen robusten Höfgen und im nächsten Augenblick eine Dora Martin, hinter der man die fragile, spitzzüngige österreichische Kabarettistin Lisa Eckhart vernahm. Conny Krause verblüffte mit einer blonddauergewellten, matronenhaften Lotte Lindenthal, Ehefrau von Göring, und im nächsten Moment mit der, dem Sohn peinlichen Mutter Höfgens, namens Bella, den guten Ton treffsicher verfehlend. Auch bei Matthias Lettner war es nicht ganz leicht, ihn in der Rolle des dröhnenden Theaterdichters Theophil Marder zu erleben und ihn als Staatsintendanten Cäsar von Muck wiederzuerkennen.
Es war kurzweiliges Theater, denn die Spiellust der Schauspieler nahm ebenso mit, wie die ungeheuerliche Geschichte des Aufstiegs eines Schauspielers, die die deutsche Geschichte gleichsam zu einer ungeheuerlichen macht. Es ist allemal genug Wahrheit darin, um sie zu erzählen. Diese Inszenierung schaut jedoch nicht nur in die Vergangenheit, sondern auch ins Heute, in eine Welt, in der Wahrheit etwas Relatives geworden ist, weil sie von verlogenen, mephistophelischen Gesellen nach Gutdünken entstellt und missbraucht wird. Viele wichtige Politiker auf dieser Welt sind eigentlich Schauspieler, deren Rollenbücher nicht selten andere geschrieben haben, deren Namen nicht auf dem Deckblatt stehen. Erschütternd dabei ist, wie schlecht die Darsteller dabei sind, wie mäßig ihre Rollen und wie groß dennoch der Erfolg ist. Das lässt auf die Verwahrlosung des Publikums schließen. Im ausverkauften Teamtheater (3. Vorstellung) konnte man indes ein wunderbares Publikum erleben, dessen Aufmerksamkeit beinahe fassbar war und das mit dem langen und herzlichen Applaus bekundete, dass die Botschaft angekommen war.
Die Darsteller auf der Weltbühne mögen von unterschiedlichster schauspielerischer Qualität sein, eines allerdings eint sie und daran kann man sie auch erkennen. Das ist der unbedingte Wille zur Macht und zum Ruhm. Sie sind die Kraft, die vorgibt, das Gute zu wollen und die doch das Böse schafft. Bleiben wir bei der Geschichte des Schauspielers Höfgen/Gründgens, denn das Erstaunlichste und Ungeheuerlichste ist die Tatsache, dass dieser Mann, dieser Gustaf Gründgens einfach weitermachte, als sei nichts geschehen, und dass die Gesellschaft mitmachte, ihm neuerlich ein renommiertes Theater gab, das heute auf dem Platz steht, der seinen Namen trägt.
Aber vielleicht ist es ja eine große Naivität, eben darüber zu staunen, denn eine Woche zuvor versuchte das Erste Deutsche Fernsehen der Bevölkerung zu verkaufen, dass der Generalbevollmächtigte von Alfried Krupp von Bohlen und Halbach, Berthold Beitz (1913-2013), eigentlich ein Gutmensch war, ein Engel, der in Polen Juden gerettet hat. Er war Vertreter der Rhenania-Ossag im Einsatz in den kriegswichtigen Erdölfeldern Ostgaliziens. Ist es moralisch gut, Juden vor den Vernichtungslagern zu retten, indem man sie als Sklaven für die Produktion kriegswichtiger Unternehmen reklamierte? Sollte die Frage nicht vielmehr sein, was hatte er überhaupt dort verloren, in Polen?
Wolf Banitzki
Mephisto
nach dem Roman von Klaus Mann
Mit Franz Brandhuber, Simon Brüker, Constanze Fennel, Urs Klebe, Conny Krause, Sönke Küper, Matthias Lettner, Christina Matschoss, William Newton, David Thun und Bernd Vogel Regie: Andreas Wiedermann |