Residenztheater Robin Hood von Angela Obst
Der Silberstreif am Horizont
Wie groß die Sehnsucht nach Helden sein kann, auf die man seine Wünsche nach Gerechtigkeit, Freiheit und Selbstbestimmung projizieren kann, beweisen das Alter und die Kontinuität der Legenden von Robin Hood. Bereits seit dem 13. Jahrhundert ist der Name Robin Hood ein Synonym für den vogelfreien Gesetzesbrecher und die Geschichten von seinen (Helden-) Taten kursierten derzeit recht häufig im Volk. Der Name des historisch keineswegs verbrieften Gesellen fand immerhin Eingang in schottische Geschichtsbücher, wo seine Erwähnung, gemeinsam mit der seines Gefährten Little John, den Jahren zwischen 1283-85 zugeordnet wurde. Damit schuf der proschottische Chronist Andrew Wyntoun Realitäten, deren Existenz nach Ausschmückung lechzten, zumal der Historienschreiber Robin Hoods gesetzwidriges Treiben durchaus begrüßte, richtete es sich seinen Berichten nach doch gegen englische Beamte.
Robin Hood, mit großer Wahrscheinlichkeit nur eine literarische Figur, war kein Einzelfall. Ähnlich verhielt es sich beispielsweise mit Wilhelm Tell, dessen Existenz ebenfalls nie schlüssig nachgewiesen wurde, der aber dennoch zum Schweizer Volkshelden avancierte. Und noch ein Hinweis zum aktuellen Thema „Lutherjahr“. Der schlug seine Thesen keineswegs an die Tür der Wittenberger Schlosskirche, sondern legte sie einem Brief an den Mainzer Erzbischof Albrecht von Brandenburg bei. Dramaturgisch gibt das natürlich nicht viel her und so hält sich die Mär von den donnernden Hammerschlägen, die die eineinhalbtausend Jahre alte papistische Kirche zum Wanken brachte, unbeirrt. Also, nur wegen der Nebensächlichkeit seiner Nichtexistenz auf Robin Hood verzichten? Wir wären um ein gelungenes Theaterereignis ärmer!
Regisseur Robert Gerloff setzte die von Angela Obst auf das Wesentlichste der 456 vierzeiligen Strophen langen mittelalterlichen Quelle (Gest of Robin Hood) reduzierte Spielfassung im Residenztheater in Szene. Diese Fassung zeichnet sich zuallererst dadurch aus, dass sie beinahe gänzlich unblutig abgeht und dem Publikum der tödliche Aderlass des verratenen Helden und glänzendsten Bogenschützen in der abendländischen Literatur erspart bleibt. Wenn überhaupt etwas auf der Bühne mit Pfeilen perforiert wurde, dann war es leckeres Wildbret oder das Hinterteil der Bösewichter. Ein bisschen weh tun muss es schon! Schließlich handelte es sich bei der Inszenierung um das (seit Martin Kušejs Amtsantritt) obligatorische Familientheater, geeignet für Zuschauer ab 6 Jahren. Und wieder war es ein echtes Theaterfest, bei dem nicht nur die Kinder auf ihre Kosten kamen, und das von Groß und Klein am Ende mit frenetischem Beifall belohnt wurde.
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Max Koch, Pauline Fusban, Thomas Lettow, Alfred Kleinheinz
© Julian Baumann
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Maximilian Lindners atmosphärische (Dreh-) Bühne zeigte beinahe naturalistisch eine dreistöckige mittelalterliche Burg von innen und außen. Beindruckend und überaus gelungen war der Wald von Sherwood, der, ebenfalls sehr naturalistisch gemacht, zudem gut zu Fuß war. Dieser Wald spielte mit, kollaborierte mit den Helden und erwies sich feindlich für deren Gegner. Thomas Lettows heldenhafter Robin Hood war indes nicht der makellose, stets überlegene und treffsichere Held. Er entpuppte sich auch schon mal als komische Figur, beispielsweise, wenn seine Eitelkeit mit ihm durch ging und er enttäuscht feststellen musste, dass ihn nicht jedermann kannte, weder als „Rächer der Enterbten“, noch als „Beschützer der Witwen und Waisen“ oder als „Silberstreif am Horizont“. Für diese Charakteristik wurde ein früher Sketch von Otto Waalkes bemüht.
Dem Lager der Bösewichter stand König John vor. Manfred Zapatka hatte sichtlich Vergnügen an seiner Rolle, in der er neben der donnernden Majestät auch das kleinlaute Muttersöhnchen spielte. Seinen Handlanger, den Sheriff von Nottingham, gab Gunther Eckes opernhaft (auch singend) pathetisch und blödsinnig augenrollend vor Verliebtheit. Er hatte in Lady Marian keine geringere als die Tochter des Königs im Visier. Die zierliche Mathilde Bundschuh erwies sich als echte Sprungfeder, wenn es darum ging, dem Vater heftigsten Widerstand zu leisten und ihn zur Weißglut zu treiben. Massive Rückendeckung, und das ist durchaus wörtlich zu nehmen, bekam sie dabei von ihrer überdimensionalen Amme. Arthur Klemt schreckte nicht davor zurück, verhasste aber auch geliebte Menschen in seinem üppigen Busen schier zu ersticken. Die komischste Rolle hatte wohl Thomas Gräßle als Guy of Gisbourne, der nicht nur von allen Seiten getreten und malträtiert wurde, sondern der auch echte Skrupel zeigte, weil er inwendig wohl ein Guter war. Ein Zaubertrank der Amme bewirkte, dass das inwendige Gute sich nach außen kehrte. Nebenbei hatte er auch noch sein coming out. Last but not least gab es noch Alfred Kleinheinz, dessen Mönch Bruder Tuck für die profanen Dinge des Lebens, die sinnlichen Genüsse, verantwortlich war und der den gesunden Menschenverstand vertrat.
Regisseur Robert Gerloff erzählte kindgerecht schnörkellos die Geschichte des Rebellen, der gemeinsam mit seiner Bande den Reichen nahm, um den Armen zu geben. Das ist die mittelalterliche Geschichte Robin Hoods. Dabei ließ er sich jedoch nicht abhalten, hemmungslos aktuelle Politik zu verarbeiten. Es war vorher kaum vorstellbar, was sich in dieser Geschichte alles unterbringen ließ. So wurde dem Tod von Leonhard Cohen musikalisch ebenso gedacht wie dem Bischof von Limburg und seiner Verschwendungssucht. Selbst Donald Trump kam vor. Und, und, und … So kamen auch die Erwachsenen auf ihre Kosten. Die spritzige Komödie, die vermutlich auch ein wenig von Mel Brooks (Helden in Strumpfhosen) beeinflusst war, begeisterte nicht zuletzt auch durch die Musik von Cornelius Borgolte, die mit Anspielungen und Zitaten nicht geizte. (Songtexte Josef Parzefall)
Zur Verbeugung erschien auch das Pferd Alteza, das zuletzt den glorreichen Sieger Robin Hood trug. Obgleich Robin Hood der Titelname der Geschichte war, stand am Ende ein Kollektiv Schulter an Schulter an der Rampe, dem Publikum bedeutend, das sie und gleichsam das Publikum, geeint, unüberwindlich und „der Silberstreif am Horizont“ sind. Ein herrliches Spektakel!
Wolf Banitzki
Robin Hood
Spielfassung von Angela Obst nach einem Szenarium von Robert Gerloff und Angela Obst
Thomas Lettow, Gunther Eckes, Mathilde Bundschuh, Manfred Zapatka, Thomas Gräßle, Arthur Klemt, Pauline Fusban, Max Koch, Alfred Kleinheinz
Live-Musiker: Cornelius Borgolte, Florian Burgmayr, Maria Hafner, Salewski
Wald/Turnierzelte/ Bogenschützen: Alexander Breiter, Claudia Ellert, Jasmin Falk, Julien Feuillet, Jenny Krug, Enrico Pollato, Mariabeatrice Scilla-Krapf
Regie: Robert Gerloff
Residenztheater Die Räuber von Friedrich Schiller
Furioser Spielzeitauftakt am Residenztheater
Die Brüder Karl, gesund und stattlich, und Franz, kränklich und hässlich, sind mit einer exorbitanten sozialen Stellung gesegnet. Und obgleich, oder gerade weil sie alle Möglichkeiten der Entwicklung haben, wachsen sie zu sehr ungleichen Antagonisten heran. Als Karl, flügge geworden, zum Studium nach Leipzig aufbricht, lässt er seine Geliebte Amalia zurück und die Verheißung, nach dem Tod des Vaters die gesamten Besitzungen und den Herrscherstatus zu übernehmen. Franz neidet dem Bruder all das und als Karl in Leipzig unbotmäßig Schulden macht und ein tödliches Duell bestreitet, verleumdet ihn der Bruder. Der Vater verstößt ihn, wie von Franz geplant. Karl ist die Rückkehr verwehrt und bevor er in den Schuldturm oder ins Gefängnis einzieht, zieht er es vor, mit einigen Spießgesellen in die böhmischen Wälder zu gehen und eine Räuberbande zu gründen. Er wähnt sich dabei in dem Glauben, für hehre Ziele wie die Freiheit und die individuelle Souveränität zu fechten, während sein Mitgenosse Spiegelberg Raub, Vergewaltigung und Totschlag organisiert und praktiziert. Als Franz dem Vater die fingierte Nachricht vom Tod des Bruders offeriert, fällt dieser in Ohnmacht. Franz sperrt den Vater, der, totgeglaubt, offiziell beerdigt wird, in ein finsteres Gewölbe und überantwortet ihn dem Hungertod. Dann geht er rücksichtslos daran, sich Amalia gefügig zu machen.
Als Karl nach 18 Jahren, getarnt als Mecklenburgischer Graf in das väterliche Schloss zurückkehrt, muss er den Betrug erkennen. Sein Weltbild fällt in sich zusammen. Franz entdeckt den Bruder und ordnet seine Ermordung an. Angesichts seiner gescheiterten Pläne begeht der intrigante Zweitgeborene Selbstmord. Karl ermordet Amalia, denn er hatte sie den Räubern versprochen, und übergibt sich selbst der Justiz. Das Kopfgeld von tausend Louisdore für seine Ergreifung vermacht Karl einem Tagelöhner mit elf Kindern: „… dem Mann kann geholfen werden.“
Schillers „Räuber“ gehört zu den bedeutendsten klassischen politischen Stücken, das zu jeder Zeit aufgeführt wurde, um politische Botschaften öffentlich zu machen. Das Verdienst bedeutender Regisseure, die sich an dem großen dramatischen Entwurf versuchten, bestand darin, stets aufs Neue die Zeitbezüge offen zu legen und zu propagieren. Was damit gemeint ist, soll ein Zitat aus einer Friedrich Luft-Kritik zur „Räuber“-Inszenierung von Fritz Kortner am Schiller-Theater Berlin im Jahre 1959 erklären: „Er (Fritz Kortner – W.B.) hat einen genauen, modernen und höchst praktikablen Entwurf von der alten Sache. Er holt das immanent Politische aus diesem Geniestück heraus. Er stößt den Zuschauer immer wieder mit der Nase auf die Gegenwartsbezüglichkeit, von denen das Buch vollsteckt.“ Was bedeutet es nun, wenn Regisseur Ulrich Rasche in einem Interview im Programmheft zur Münchner Inszenierung gesteht: „Beim Lesen verliert man oft den Überblick, auf welcher Seite man sich politisch befindet. Zeitweise wähnt man sich im sicheren Terrain klassischer linker Begrifflichkeiten, dann wieder wird aus der Perspektive einer ‚Gemeinschaft‘ argumentiert, von der nicht klar wird, wer dazugehören soll und, vor allem, wer nicht.“
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Ensemble
© Andreas Pohlmann
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Nun, wenn man nicht weiß, wo man sich politisch selbst befindet, liegt das erst einmal am mangelhaften weltanschaulichen Selbstverständnis. Bislang, und hier sind gut und gerne zweieinhalbtausend Jahre Philosophiegeschichte angesprochen, galten ernsthafte große politische Bestrebungen der Durch- oder Umsetzung weltanschaulicher Utopien. Das mag vielleicht auch eine Vielzahl heutiger Politiker in Erstaunen versetzen, ist aber wahr. Der Mangel an humanistischen Utopien gebiert einen richtungslosen politischen Aktionismus mit höchst absurdem Antlitz, der sich selbst gefällt und am Leben erhält. Selten war Politik so sehr das Problem und so wenig die Lösung. Sie ist schlichtweg zu einem Wirtschaftszweig verkommen, der sich vornehmlich dadurch legitimiert, dass er Futter für die Nachrichtenunterhaltungsindustrie liefert. Die Zahl der Opfer macht fassungslos.
Das soll heißen, die politische Botschaft, oder besser die fehlende (konkrete) politische Botschaft ist es nicht, was die Inszenierung von Ulrich Rasche auszeichnet, die durchaus furios genannt werden kann. Im Programmheft wird viel über das „Politische“ geschrieben, zumeist aber nur in Bezug auf ästhetische Umsetzung.
So verwundert es auch nicht, dass Rasches Inszenierungsansatz ein ästhetischer war. Er rhythmisierte den Schillerschen Text und unterlegte ihn frugal mit Musik und Gesang. Um ein geschlossenes Bild zu erreichen, schuf er zwei gewaltige, den gesamten Bühnenraum ausfüllende Laufbänder, insgesamt vierspurig. Die Laufbänder ließen sich in beide Richtungen neigen, im Ganzen heben und senken. Die gesamte Konstruktion konnte mit der Hebebühne sogar in den Bühnenhimmel gehoben werden. Das Konzept war so simpel wie genial: die Zeit oder die Geschichte als ein Weg, eine Straße. Auf diesen Geschichten – oder geschichtlichen Weg schickte Rasche die Darsteller, ließ sie abschüssiges Gelände hinab, Berge hinauf klettern und Ebenen durchwandern. Unterschiedliche Protagonisten oder Gruppen marschierten dabei im Gleichschritt miteinander oder in gegenläufigen Richtungen. Sie marschierten unentwegt. Sie mussten sogar durch Gurte und Leinen gesichert werden, denn sie erklommen schwindelerregende (dramatische) Höhen oder wandelten Abgründen entgegen. Und so wie die Darsteller stetig marschierten, wurden sie beinahe durchgängig musikalisch-rhythmisch begleitet. So bombastisch das Bühnenbild auch war, es stand, und das ist höchst lobenswert, ganz und gar im Dienst der Sprache. Die wurde, elektronisch verstärkt, zelebriert, langsam und überaus deutlich. Die Protagonisten waren nicht über spielerischen Gestus auszumachen, sondern durch ihre sprachliche Gestaltung.
Es war eine wunderbare Erfahrung, Darsteller und Darstellerinnen, wie Franz Pätzold (Karl Moor), Valery Tscheplanowa (Franz Moor), Nora Buzalka (Amalia) Götz Schulte (Graf Maximilian von Moor) oder Thomas Lettow (Spiegelberg) auf diese Weise völlig neu zu entdecken und sich an ihrer gestalterischen Sprechkraft zu erfreuen.
Wenn Ulrich Rasche in seinem Interview dazu feststellt: „In der Verbindung von Musik und Gedanke entfaltet die Sprache erst ihr ganzes Potential“, kann man nur uneingeschränkt zustimmen und gleichsam den Hut ziehen. Rasches Inszenierung bescherte dem Münchner Publikum einen aufsehenerregenden Abend, den man so schnell nicht vergessen wird, der aber auch nicht frei von Gefahren war. So wurde der Zuschauer mit ästhetischen Elementen konfrontiert, wie sie aus Diktaturen hinlänglich bekannt sind. Von der ideologischen (Überzeugungs-) Kraft des Gleichschritts marschierender Massen zeugen eine Menge Werke aus der Nazizeit, der Stalinistischen Sowjetunion und selbst aus vielen Ostblockländern zu Zeiten des Eisernen Vorhangs. Wenn die Räuber, allen voran Karl Moor und Spiegelberg, wortgewaltig und wie Donnerhall gegen die Stadt marschieren, in der man den Mitgenossen Roller gerichtet hat, um die Brandfackel und den Tod hineinzutragen, entsteht Gänsehaut. Da wabert Nebel und Licht (Gerrit Jurda) macht die Szene zu einem mitreißenden Fanal. Das sind auch in der Realität Momente, in denen das Gehirn auf Emotionsmodus umschaltet und es gibt keine Garantie, dass die Situation beherrschbar bleibt, noch, dass der Zuschauer seine Kritikfähigkeit behält. (Das merkt einer an, der vor derartigen kämpferischen Aufmärschen und Kundgebungen in der DDR stets die Flucht ergriffen hat.)
Aber Theater soll vor allem streitbar sein, um das Publikum in den Dialog zu zwingen. Sonst ist es bloße Unterhaltung. Diese Inszenierung verspricht in jedem Fall einen ästhetisch außergewöhnlichen und wirkungstechnisch sinnvollen Zugang zum Schillerstück. Es wird Wort für Wort mit einer solchen Intensität und Klarheit über die Rampe gebracht, dass Neuentdeckungen unvermeidlich sind. Die unbeschreibliche Schönheit der Schillerschen Sprache wird überdeutlich; es wird aber auch hörbar, dass sich zum Erbrechen süßlich-kitschige Passagen im Stück befinden oder Bilder, die aus einem Trash-B-Horrormovie stammen könnten. Der Preis für die fantastische Horizonterweiterung: Vier Stunden inklusive einer Pause.
Wolf Banitzki
Die Räuber
von Friedrich Schiller
Götz Schulte, Valery Tscheplanowa, Franz Pätzold, Nora Buzalka, Thomas Lettow, Max Koch, Leonard Hohm, Marcel Heuperman/Alexander Weise, László Branko Breiding, René Dumont, Moritz Borrmann, Yasin Boynuince, Kjell Brutscheidt, William Cooper, Emery Escher, Toni Jessen, Max Krause, Bekim Latifi, Cyril Manusch,
Sänger/Musiker: Sandro Schmalzl (Tenor), Martin Burgmair (Bassbariton), Gustavo Castillo (Bassbariton), Mariana Beleaeva (Violine), Jenny Scherling (Viola), Heiko Jung (E-Bass) Fabian Löbhard (Percussion)
Regie: Ulrich Rasche