Volkstheater Verstehen Sie den Dschihadismus in acht Schritten! von Sasha Marianna Salzmann
Im Sog der Verzweiflung
Sasha Marianna Salzmann, 1985 in Wolgograd, in der Noch-Sowjetunion geboren, kam Mitte der 90er Jahre nach Deutschland, wo sie Literatur und „Szenisches Schreiben“ an der Berliner UdK studierte. Mit „Verstehen Sie den Dschihadismus in acht Schritten!“ legte sie einen dramatischen Versuch vor, Vorgänge zur Radikalisierung in unserer Gesellschaft sichtbar zu machen. Drei Geschichten werden erzählt.
In der Geschichte um Pawlik, dem Ukrainer, und Rüzgar, dem Türken, geht es um eine homoerotische Beziehung. Pawlik, tief beeindruckt von den „tellergroßen Augen“ und den „Lippen wie Autoreifen“ des Türken, dessen Name übersetzt „Wind“ bedeutet, fühlte sich gleichermaßen angezogen und abgestoßen. Und obgleich Rüzgar ihn nach dem Genuss eines Joints verführt hatte, kam es nicht zum Coming out des Ukrainers, der es letztlich, tief verzweifelt und verstört, vorzog, nach Donezk zu gehen, um „für sein Land“ zu kämpfen.
Eine andere Geschichte handelt von einem Paar, das sich nie begegnet, denn die ganze Beziehung findet im Raum eines Kurznachrichtendienstes statt. Am Ende ist der Mann verschwunden und das Mädchen mit einem Rucksack voller Messer unterwegs. Auch sie ist zutiefst verstört und in ihrer brennenden Verzweiflung an der Schwelle zum Fanal. Die dritte Geschichte handelt von einem Paar aus der gehobenen Mittelschicht, saturiert, erfolgreich und abgehoben. Sie ist Autorin und leidet in ihrem Designerelfenbeinturm unter dem Überdruss der eigenen Saturiertheit ebenso wie am Elend der Welt, dem sie sich mittels Nachrichtenkanälen hingibt. Er gehört in der Arbeitswelt zu denen, die fressen, um nicht gefressen zu werden. Das „Elend dieser Welt“ ist ihm dabei weitestgehend egal, denn alle seine Kapazitäten sind gebunden im Kampf im neoliberalen Haifischbecken. Er steht am Ende mit einem Gewehr auf der Straße, um auf das Bedrohliche, das Fremde zu schießen. Sein Opfer ist eine alte Frau an einer Bushaltestelle.
Nun verspricht der Titel des Stücks Aufklärung über den Dschihadismus. Der Dschihadismus allerdings ist eine militante extremistische Strömung des Islamismus. Doch über Islamismus fällt im Stück kein Wort. Dschihadismus wird hier metaphorisch verwendet und beschreibt sämtliche kriegerischen Ansätze in unserer Gesellschaft, die vor allem von einer umfänglichen Verunsicherung geprägt ist. Diese Verunsicherung ist einer weltweiten Wandlung geschuldet, die vornehmlich durch Flucht und Vertreibung vor einer Vielzahl von (heißen) Kriegen ausgelöst wurden. Tatsächlich ist die Verunsicherung in unserer Gesellschaft durch eine gefühlte und keine tatsächliche Krise ausgelöst. Die harten Fakten belegen, dass die Wirtschaft im Land stabil ist, ja, sie boomt. Der Lebensstandard ist nie so hoch gewesen und niemand braucht unmittelbar einen Zusammenbruch oder eine Rezession zu fürchten. Und dennoch sind diese Ängste allgegenwärtig. Sie werden in den Medien tagtäglich verhandelt und von einer Vielzahl populistischer Politiker (beinahe aller Parteien) angeheizt, um sich selbst nach emotionaler Destabilisierung dem Bürger als Garanten für Sicherheit zu empfehlen.
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Jakob Geßner, Carolin Hartmann
© Daniel Delang
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Der Bürger wird durch diese Verunsicherung in zunehmendem Maße asozialer und unsolidarischer. Diese Ängste sind zuerst einmal Chimären, die allerding durch die Gesellschaft getrieben werden und zu immer weiteren Verunsicherungen führen. Wahrheiten werden durch alternative Wahrheiten ersetzt. Schlussendlich herrscht nur noch Haltlosigkeit und mangelnde Orientierung. In diesem Zustand wird nicht nur der Mensch, sondern jedes Naturwesen aggressiv. Und genau diesen Vorgang beschreibt Sasha Marianna Salzmann in ihrem Werk "Verstehen Sie den Dschihadismus in acht Schritten!", das Abdullah Kenan Karaca jetzt auf die kleine Bühne des Volkstheaters brachte.
Die Bühne von Sita Messer war gänzlich mit Kacheln ausgekleidet, die sämtlich mit Kreuzen versehen waren. Das erinnerte durchaus auch an die endlosen Soldatenfriedhöfe von Verdun und erzeugte ein unterschwelliges Unbehagen. Die Szenen der drei Geschichten wurden abwechselnd aneinandergefügt und es entstand eine Art Episodenfilm, in dem das Gesamtbild erst am Ende sichtbar wurde. Salzmanns Texte waren mit Alltagspoesie ebenso aufgeladen wie mit drastischen Bildern. Vier Darsteller realisierten sämtliche Rollen und sie taten dies mit Bravour. Carolin Hartmann war die überdrehte Schriftstellerin und Ehefrau des erfolgreichen Businessmanns, der letztlich mit seinem Gewehr einer vermeintlichen Bedrohung entgegentrat. Sie spielte mit ungebremstem Körpereinsatz, als sie von ihren eigenen Gewaltfantasien, Spiegelbildern des medialen Dauerbeschusses, eingeholt und übermannt wurde. Sie war aber auch naiv und zum Erbarmen hilflos, als sich ihr Chatpartner, den sie nie zu Gesicht bekommen hatte, von ihr abwand.
Den Businessman gab Jakob Geßner mit Anflügen von Neurosen und mit der standesgemäßen Abgehobenheit den Realitäten gegenüber. Physisch bodenständig, kraftstrotzend und auch schalkhaft gab er, den Ukrainer Pawlik mit eindeutiger Absicht im Visier, den Türken Rüzgar. Den gab Jonathan Müller gleichermaßen begehrend wie zerrissen. Müllers Pawlik war sensibel, zerbrechlich und hilflos. Als ihm der Ukrainer Oleg (Jakob Geßner) mit männlichen Machismen den Konflikt in der Ukraine erklärte und ihn an seine Pflicht gemahnte, ging Pawlik in den Krieg. Seine Gefühle konnte er nicht in den Griff bekommen, seine Zweifel nicht überwinden. So blieb ihm nur noch der Tod, seiner, oder den anderer Menschen.
Ihren besten Auftritt hatte Julia Richter am Ende des Stücks, als sie in der Rolle einer Reporterin Flüchtlinge oder Menschen mit Migrationshintergrund interviewte. Als ihre Erwartungen bezüglich ihrer Fragen von den Befragten nicht erfüllt wurden, mutierte sie zur geifernden, ausländerfeindlichen Furie.
Das Stück konnte nur einen kleinen Ausschnitt eines gesellschaftlichen Konfliktes sichtbar machen, der allerdings durchaus repräsentativ für das Problem war. Die neunzig Minuten waren kurzweilig und berührend zugleich, nicht zuletzt, weil es Regisseur Abdullah Kenan Karaca gelang, differenzierte Figuren auf die Bühne zu bringen, deren Charaktere glaubhaft waren. Auch wenn der Abend keine wirklichen Antworten bot, so zeigte er immerhin Wahrheiten auf, die zu hinterfragen oder zu überdenken sich allemal lohnen. Reden, miteinander oder auch über das Problem ist momentan, wie es scheint, kein probates Mittel. Das tun alle und die Welt erstickt in Geschwätz und Geschwafel. Vielleicht sollte erst einmal innegehalten und geschwiegen werden, um sich auf altbewährte humanistische Werte zu besinnen. Die haben noch immer getaugt, wenn es um Orientierung ging. Um zu verdeutlichen, was damit gemeint ist, sei der Niedersächsische Innenminister Boris Pistorius zitiert: „Statt Obergrenzen für Flüchtlinge festzulegen, sollten wir Untergrenzen der Humanität definieren.“ Trotz aller Ängste und Hysterie, wir können uns das leisten!
Wolf Banitzki
Verstehen Sie den Dschihadismus in acht Schritten!
von Sasha Marianna Salzmann
Julia Richter, Carolin Hartmann, Jonathan Müller, Jakob Geßner
Regie: Abdullah Kenan Karaca
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Volkstheater UA Dogtown Munich von Herbert Achternbusch
Wie Alles und Nichts zusammenhängt
im Nabel der Welt, das kann man im Theaterstück von Herbert Achternbusch erfahren. Und, wer könnte besser Bescheid wissen als er, lebt er doch in Hörweite vom Marienplatz, lauscht am Puls der Zeit, sammelt seit Jahrzehnten in seiner bayerischen Seele die Bilder vom Hiersein im Dasein. Das Werk „Dogtown Munich“ (Titel sprachlich angepasst an die Gegenwart) wirkt wie ein Vermächtnis in dem Herbert Achternbusch noch einmal seine Welt, seine Wahrheiten ausbreitet und damit auch offenbart, welch wuida Hund er doch ist. Lebenslang schon streift er durch die Stadt, beobachtet die Leute und die Kehrmaschinen, mit denen eine Ordnung aufrecht erhalten wird, die bisweilen nur vom wirklichen Verhau ablenken soll.
Weißer giftiger Nebel schlich durch die Türe auf die Bühne. Hut und Überwurf, der Schatten eines Mannes tauchte auf, der sich langsam in den Raum bewegte. Der sagenumwobene Herakles wandelte still, während die Stimme eines Gottes aus dem Off die Geschichte der Stadt Argos erzählte, einem in tausenden Jahren von verschiedenen Kulturen geprägten Ort am Peloponnes. Eine Partnerstadt von München, könnte man meinen, wo Meinung doch heute Alles ist. Doch wäre es ebenfalls möglich, dass Herkules Achternbusch mit Argosaugen den Blick auf den „blühenden Wartesaal auf Nichts“ richtete. Gleich einem Objekt im Fokus - „meine Erwartungshaltung ist gefährdet“ - verharrte die Figur, gestützt auf eine Krücke, unter dem von der Decke hängenden weiß erleuchteten Kranz.
Und, unmittelbar stand die achtjährige Zunge auf dem erlauchten Marienplatz. Zäh zog sie aus ihrem Mund den Kaugummi, wie die immergleichen Worte aus den Mündern der unmündigen Kinder heraus kommen. Sie richtete mit ausgestrecktem Arm den, dünn in der Luft schwingenden Gummifaden auf Zuschauer. Kontaktaufnahme, klebrige. „Duzi … duzi …“, nuschelte dazu der künstlich beleibte Junge und zog seine Runden um die Spielfläche auf der es zu wimmeln begann. Moritz Kienemann überzeugte als netter unbeholfener Junge, bevor er als Gott im grünen Anzug in die Ecke gestellt wurde. Lebendigkeit, unerwünschte. „Da Nichts auf einer Ebene bleibt“, nahm das Stück nun auf verschiedenste Weise an Fahrt auf.
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Julia Richter, Moritz Kienemann, Timocin Ziegler, Leon Pfannenmüller
© Gabriella Leeb
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Regisseurin Pinar Karabulut schuf mit der Inszenierung einen bunten um sich kreisenden Kosmos, der immer deutlicher an Tempo zunahm. Bis schließlich fast atemlos die inspirierten Darsteller die Kleider wie die Rollen wechselten, immer neue andere Bilder erzeugend. Timocin Ziegler wandelte erst als Herakles still, dann als cooler Kerl mit ebenso lässiger Brille wie Haltung über den Marienplatz. Schließlich bewies er Kenntnisse in türkischer Sprache. Vielfalt, modern. Zunge wurde von Julia Richter verkörpert, die als frech ungezwungenes Mädchen hüpfte, tanzte, schlenderte. Doch bald reifte sie zur bildschönen Maria, die im Zentrum des heiligen Scheins erstrahlte. Idol, präsentiert. Als sich die Vergangenheit wichtig machte, ging es richtig rund. Die von der Mariensäule gestiegene Maria erzählte von ihrem Verhältnis mit Adolf, dessen Folgen. Daraufhin gebar sie auf wunderbare Art die Weißwurst und das obwohl „mein Herz ein blutiges Schnitzel ist“. Erstmal auf dem Boden der Tatsache angekommen, landete Maria anschließend ziemlich schnell im hellen Schein des roten Lichts. Und das, während feierlich mit weißem Hut und weißem Anzug Leon Pfannenmüller stolzierte. Abgehoben rezitierte er, der vom lockeren Perückenträger zum Unantastbaren wechselte. Ideologie, ausgesprochene. Der Dunst der Meinungen zog immer wieder wie weißer giftiger Nebel über den schwarzen Platz. Man gehe davon aus, dass Alles und Nichts immer gleichzeitig jetzt und hier ist. So jedenfalls vermittelte es die spektakuläre Inszenierung. Wie soll man als Zuschauer da den Überblick behalten, oder gar Durchblick entwickeln. Selbst Argos käme dabei heutzutage ins Schwitzen, wie die Schauspieler in dem sich immer wieder hochschaukelnden Szenenwerk. Als stünden Bilder und Text in Konkurrenz, ergänzten sich, übertrumpften einander. Das kennt man doch von …
Ist München wirklich so auf den Hund gekommen, wie es der Titel vermuten lässt? Nun, die Zahlen der Zweibeiner und die ihrer Vierbeiner sind zweifelsohne unverhältnismäßig gestiegen in den letzten Tagen. Gestiegen sind damit auch der Ausstoß und die Verbreitung von Geräuschen und berauschenden Gasen. Hektisch highe Betriebsamkeit beherrscht die Plätze, beherrschte die Bühne.
Der Hundehaufen steht symbolisch für so manchen hundsmiserablen Mist, der auch im Nabel der Welt verbreitet wird. Egal, ob verbal oder anal. Herbert Achternbusch konnte an ihnen nicht einfach vorüber gehen, ohne seinen höchsteigenen Humor darüber zu breiten. Es ist die Poesie, die reine Poesie, die den Sieg davon trägt, den Sieg über Alles und Nichts. Und, scheiß der Hund drauf, man muss das Stück gesehen haben!
C.M.Meier
UA Dogtown Munich
von Herbert Achternbusch
Moritz Kienemann, Leon Pfannenmüller, Julia Richter, Timocin Ziegler
Regie: Pinar Karabulut
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