Residenztheater Der Balkon von Jean Genet
B-Movie
Jean Genet (1910-1986), der stolze Prophet des Bösen, wurde zwischen 1937 und 1943 dreizehn Mal zu Gefängnisstrafen verurteilt. Zuvor war er bereits als 15jähriger Dieb ins Gefängnis und anschließend in die berüchtigte Besserungsanstalt Mettray gesteckt worden, aus der er ausbrach und sich zur Fremdenlegion nach Nordafrika durchschlug. Aus der Legion desertierte er bereits nach wenigen Tagen, nicht ohne sich zuvor einige Offizierskoffer unter den Nagel gerissen zu haben. 1943 wurde er erstmals in einem Gerichtsverfahren freigesprochen. Die Begründung lautete: Er sei „krankhaft veranlagt“. Jean Cocteau hatte für ihn ausgesagt und ihn als den „größten lebenden Schriftsteller Frankreichs“ bezeichnet. Ein Treppenwitz der Geschichte ist die Tatsache, dass Genet Nazideutschland angewidert verließ, weil sein kriminelles Treiben, er war stets als Dieb unterwegs, dort kein Verbrechen, sondern die Normalität war. Nach seinem „Tagebuch eines Diebes“ (1949) stellte Genet das Schreiben ein. Als Grund dafür sagte er dem Schriftsteller und Ethnographen Hubert Fichte: „Der Übergang war geschehen.“ Georg Hensel interpretierte die Aussage als „den Übergang von einer lange verzögerten Reifezeit ins Mannesalter“.
Es lässt sich nicht leugnen, dass Genet ein bekennender Böser war, der das Verbrechen heiligsprach und somit sich selbst. Dass Genet heute als Ikone des amoralischen Künstlertums gilt, ist dem fast tausend Seiten langen Werk „Saint Genet“ von Jean Paul Sarte zu danken. Früh aus der Bahn geworfen, Sartre schildert Genets Weg verständnisvoll und minutiös, macht Genet sein Dilemma zu Programmatik: „(Ich habe Beschlossen,) der zu sein, den das Verbrechen aus (mir) gemacht hat.“ Sartre kommentiert dieses Bekenntnis: „Da er dem Verhängnis nicht entkommen kann, wird er sein eigenes Verhängnis sein; da man ihm das Leben unlebbar macht, wird er diese Unmöglichkeit, zu leben, leben“ Jedem Vorwurf der Gesellschaft, die Normen nicht zu respektieren, begegnet er mit Hochmut: „Ja, ich bin böse, und ich bin stolz, es zu sein.“ Es stellt sich angesichts der anhaltenden Popularität, die wohl nicht zuletzt der Gänsehaut geschuldet ist, die Genet und sein Werk jeder Generation aufs Neue bereitet, die Frage nach der gesellschaftlichen Dimension des Werkes von Genet. Diese Frage beantwortet Sartre wie folgt: „Rimbaud wollte das Leben und Marx die Gesellschaft ändern. Genet will gar nichts ändern. Man sollte nicht auf ihn rechnen, wenn man Institutionen kritisieren will: er kann ohne sie nicht leben, genau wie Prometheus ohne seinen Adler nicht denkbar ist … Er tut alles, um die soziale Ordnung, aus der er ausgeschlossen ist, lebensfähig zu erhalten: Genet benötigt die strenge Ausschließlichkeit dieser Ordnung, um seine Perfektion im Bösen erreichen zu können.“ Das sollte man unbedingt wissen, wenn man sich anschickt, in die Inszenierung eines Theaterstückes von Jean Genet zu gehen!
Der Balkon ist ein Bordell, ein „Haus der Illusionen“, wie die Betreiberin Madame Irma nicht müde wird zu beteuern. Darin werden allnächtlich sämtliche nur erdenkliche Traumfreuden ausgelebt. Es ist natürlich stets ein sexueller Akt, aber darüber hinaus kann der Kleinbürger stundenweise auch in Rollen schlüpfen, nach denen es ihn schon immer gelüstete. Ein Kunde wird zum Bischof, der durch die Macht seines (geborgten) Amtes schlüpfrige Beichten erzwingt. Ein anderer erreicht mittels (gespielter) Folter als Richter peinliche Geständnisse. Ein dritter reitet auf seiner leichtgeschürzten „Stute“ in die glorreiche Schlacht. Alles ist nur Spiel unter den gestrengen Augen Irmas. Doch im Hintergrund tobt bereits eine (in Genets Text romantisch verklärte) Revolution gegen die Monarchie und der echte Polizeipräsident, Madame Irma ist seine heimliche Geliebte, flüchtet sich in das Bordell, um von dort aus die Fäden zu ziehen und im geeigneten Augenblick die Macht als Alleinherrscher an sich zu reißen.
Um der Revolution die Spitze zu nehmen, lässt der Polizeipräsident die Bordellbesucher in ihren Verkleidungen auf dem Balkon des Palastes aufmarschieren, um dem Volk, das die Prostituierte Chantal zu ihrer Gallionsfigur, zu ihrer Jeanne d'Arc erwählt haben, das Scheitern der Revolution vor Augen zu führen. Der Coup gelingt. Der Schein überwindet das Sein; das Volk hängt mehr an den Symbolen als an der Idee. Der tiefere Sinn der Aktionen des Polizeipräsidenten besteht allerdings darin, ebenfalls zu einem Wunschbild der Kundschaft des Bordells aufzusteigen. Die Revolution ist ein Spiel und er sucht Ewigkeit als Idol. Tatsächlich übernimmt zum Erstaunen des Polizeipräsidenten einer der Anführer der Revolution diese Rolle und die Dinge geraten augenblicklich außer Kontrolle und eine neue Revolution bricht los. Das „Welttheater“, Genet hat sich vom Barocktheater inspirieren lassen, in dem der Schein und weniger die Realität dominieren, muss mit dem verkehrten Vorzeichen, mit dem des Bösen gesehen werden. So wird aus der „Bordellwelt das Weltbordell“. (Georg Hensel)
|
|
|
|
Cynthia Micas, Marko Mandić
© Konrad Fersterer
|
|
Der kroatische Regisseur Ivica Buljan inszenierte nach „Der Schweinestall“ von Pasolini im Marstall diesen Reigen des Bösen in einer fast dreieinhalbstündigen Inszenierung. Als einen Grund für die Länge wurde die Weigerung der Genet-Erben bezüglich Streichungen am Text genannt. Dass das nicht ganz der Wahrheit entspricht, wusste wohl jeder Besucher nach dem kleinen Marathon. Buljan hatte sich für sein furioses Spektakel mit viel Musik von Aleksandar Denić, bekannt durch Frank Castorf- und auch Martin Kušej-Inszenierungen, eine Bühne entwerfen lassen, die aus einer hohen Wand aus Kühl- und anderen Schänken bestand, in der man sehr viel, gelegentlich auch Menschen unterbringen konnte. Es ist leicht vorstellbar, wie diese Bühne nach der Geschichte aussah: ein Schlachtfeld. Es war nicht immer leicht (in der Vorstellung am 3. März 2018) der Handlung zu folgen, denn das grandiose Ensemble folgte der Verve des Regisseurs und überzog hemmungslos, was nicht selten zu akustischen Verständigungsproblemen führte, aber auch die „ganze Kiste an die Grenze zum Bersten“ brachte, um es einmal ganz lax zu formulieren.
Es wurde masturbiert, kopuliert, randaliert, zwischendurch musiziert, demoliert und am Ende auch ejakuliert, wenngleich dankenswerter Weise nur aus der Bierbüchse. Man gab alles! Quickte bei den Fetischspielen, grunzte bei der Masturbation, schrie in der revolutionären Ektase und tänzelte splitterfasernackt, das Publikum wie ein Rattenfänger hinter sich herlockend, allerdings nicht die Flöte spielend, sondern lautstakt die „Internationale“ auf Kroatisch (?) schmetternd, um den nächtlichen Marstall herum. Zum Leidwesen einiger Zuschauer gab es keine vierte Wand und so durfte/musste mancher Zuschauer die physische Nacktheit von Marko Mandić hautnah erleben. Bespielt wurde der ganze Zuschauerraum, auch von Tim Werths, der sich auf spektakuläre Weise in einen Gorilla verwandelte und über die Armlehnen hinweg weit auf das Terrain der Zuschauer vorwagte, um mit der einen oder anderen, zumeist blonden Besucherin tierisch zu kommunizieren. Auch wenn der tiefere Sinn dieser Szene sich nicht unbedingt erschloss, absolut sehenswert war sie allemal.
Sehenswert waren auch die Damen des Ensembles. Juliane Köhler bereitete es keine Probleme, eine körperlich attraktive Madame Irma vorzustellen. Diese Figur entpuppte sich als letzte Macht im Stück, die das Ende das Spektakels mit den Worten ausläutet: „Sie müssen nun nach Hause gehen, wo alles noch unwirklicher sein wird als hier…“. Damit eroberte sie die Oberhoheit zurück und schloss das Business bis zum nächsten Spiel der Illusionen, das unweigerlich folgen würde. Cynthia Micas zog mit ihren weiblichen Reizen ebenso wie mit ihrer darstellerischen Präsenz sowohl als Prostituierte Carmen als auch in der Rolle der Revolutionsikone Chantal die Aufmerksamkeit auf sich. Sämtlichen Darstellern konnte und musste für jede Rolle Lob gezollt werden. Allerdings waren die Fliehkräfte des Spiels, insbesondere das von Marko Mandić, so heftig, dass die Ordnung mehrfach auseinanderbrach und die Darsteller der Souffleuse sogar das Textbuch entwenden mussten, um herauszufinden, an welcher Stelle der Geschichte man sich eigentlich befand. Das war umso bedauerlicher, da es mancher durchaus gelungenen Szene die zu erzielende Wirkung nahm. Mit den gelungenen Szenen waren keinesfalls die „provokanten Elemente“ gemeint, wie die Masturbationsszene oder das zähe und zeitaufwendige Basteln eines großen Phallus aus Bierbüchsen, begleitet von den wahnsinnig anmutenden Schreien des Polizeichefdoubles: „Ich kann das! Ich darf das!“ Solche „Provokationen“ langweilen allenfalls. Eine Katharsis bleibt in der Regel aus. Am Ende hatte man das Gefühl, einem B-Movie beigewohnt zu haben. Die Mittel waren unterm Strich zu dilettantisch und die Geschichte verfehlte den Rang eines Blockbusters.
Nach dem Studium des Programmheftes, insbesondere des Textes „Pornographie der Gegenwart“ von Alain Badiou, wurde deutlich, dass die Macher mit ihrer Inszenierung die heutigen Institutionen kritisieren und infrage stellen wollten, also etwas versuchten, was Sartre, wie eingangs zitiert, nicht für möglich hielt. Das Ziel scheint auch deutlich verfehlt worden zu sein. Das Bemühen indes spiegelt einen Zug unserer Zeit wider, nämlich der Gier nach spektakulären Bildern und vermeintlichen Ideen zu oder in den Bildern. Dabei scheinen die Grenzen der Vernunft gelegentlich aufgehoben zu sein. Es erinnert zum Beispiel an die bisweilen lächerlichen Deutungsversuche von Koranversen, die nicht selten völlig unverständlich sind und dennoch mit erstaunlichsten Bedeutungen aufgeladen werden, weil man diese Bedeutungen in der „Heiligen Schrift“ braucht, um Antworten geben zu können. Hier geht es jedoch um Glaubensfragen, in der Philosophie indes um Wissensinhalte. Dieses Bemühen entspringt häufig ideologisiertem Denken.
So soll am Ende noch einmal Jean Genet zu Wort kommen, um zu verdeutlichen, wie egomanisch der Mensch Genet und sein Denken war, dessen System mehr religiösen, als philosophischen Charakter hatte. Ernsthafte Kritik hatte er im Sinn, als er 1948 Dank der Intervention Sartres und Cocteaus vom Staatspräsidenten Vincent Auriol begnadigt wurde. Er war zu lebenslanger Verbannung in einer Strafkolonie verurteilt worden. Er wollte sich am darauffolgenden Tag in einem Radiointerview darüber beschweren, dass man ihn mit dieser überflüssigen Mildtätigkeit um die kommenden Ereignisse und Erlebnisse gebracht hatte. Genet: „Ich war sechzehn … in meinem Herzen behielt ich keine Stelle, wo sich das Gefühl meiner Unschuld ansiedeln konnte. Ich erkannte mich als den Feigling, den Verräter, den Dieb, den Schwulen, den man in mir sah … in mir selbst, mit etwas Geduld, entdeckte ich durch Nachdenken genug Gründe, mit diesen Namen benannt zu werden. Und ich war bestürzt zu wissen, dass ich aus Dreck bestand. Ich wurde verwerflich“ (Tagebuch eines Diebes)
Wolf Banitzki
Der Balkon
von Jean Genet
Aus dem Französischen von Peter Krumme
Christian Erdt, Philip Dechamps, Tim Werths, Nils Strunk, Marko Mandić, Juliane Köhler, Mathilde Bundschuh, Cynthia Micas
Regie Ivica Buljan
|
Residenztheater Für immer schön von Noah Haidle
Der Totentanz um das goldene Kalb
Schönheit ist Pflicht! oder zumindest das, was man heutigentags oder auch anderentags für Schönheit hält. Schließlich wird Schönheit vornehmlich von (im weitesten Sinn) Modeschöpfern definiert. Dabei ist das Wort Modeschöpfer überaus interessant und gleichsam entlarvend. Immerhin war der Akt der Schöpfung bis ins 19. Jahrhundert hinein ausschließlich Gott vorbehalten. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts definierte dann ein Philosoph namens Nietzsche Mode als Massenwahn. Und genau so funktioniert Religion, ein Prophet (Karl Lagerfeld hält sich mit Sicherheit für einen) verkündet Gottes Schönheitsideal und eine Gemeinde fällt in einen Wahn. Folglich wohnt Schönheit ein religiöser Anspruch inne; niemand erreicht sie, zumindest in der Selbstwahrnehmung, und so betreibt die Gesellschaft und das Individuum die Anbetung der wandelbaren Gottheit, Moden lösen einander in rascher Folge ab, bis zum Exzess. Cookie erfuhr im Alter von sechs Jahren aus dem Mund ihrer Mutter, dass Gott den Menschen nach seinem Bild erschaffen hat (tatsächlich war es natürlich andersherum) und, Bäng, Cookie wusste, dass sie die geborene Kosmetikvertreterin ist.
Unermüdlich zieht Cookie, gleich einer Johanna der Lippenstifte, Mascaras und Cremes, ihre Runden durch die Vorstadttristesse, um ihre Garanten für Jugend und Schönheit an den Mann, resp. die Frau zu bringen. Sie ist Dienerin und Königin zugleich, denn Cookie ist eine (Verkaufs-) Legende. Inzwischen selbst in die Jahre gekommen, weiß sie sehr wohl, wovon sie spricht, wenn sie Aging und Schwerkraft erwähnt, was ihrem Enthusiasmus jedoch keinen Abbruch bereitet. Ehrlicherweise geht es gar nicht mehr um Vollkommenheit, soviel Aufrichtigkeit ist immerhin drin, sondern um „permanente Instandsetzung“ und den bloßen Anschein von …was auch immer. Einen Spritzer Parfum an Hals und Handgelenke, die Haare in den Nacken geworfen, das Kinn selbstbewusst nach oben gereckt, das zitronengelbe, eng anliegende Kostüm glattgestrichen, das konspirative Losungswort "It’s showtime!" gesprochen und den Klingelknopf gedrückt. Es ist ein ständiger Kampf, zu dem sich Cookie immer wieder selbst anspornen muss, in dem sie sich selbst die langsam verwelkenden Hinterbacken klatscht, wie einen Arbeitsgaul, der angetrieben werden muss.
Dreißig Jahre trottet sie unter ihrem selbstgewählten Joch und irgendwann beginnt das Blut aus den hochhackigen Schuhen zu quellen. Cookie hat viel verkauft in ihrem Leben, hat, bis auf den „Rosa Cadillac“, den Oscar für Handelsvertreter, alle Preise bekommen, die zu erringen waren. Und sie hat mit unendlich vielen Männern geschlafen, immerhin der Beweis dafür, dass ihre Schönheit, gleichsam ihr Aushängeschild, begehrt war. Sie hat ein Kind namens Dawn zur Welt gebracht, das sie am Ende mit letzter Kraft zu Grabe tragen muss, denn Dawn ist vorzeitig gestrauchelt auf dem ach so verheißungsvollen „American Way of Life“. Für Cookie, die zuletzt blind und abgerissen diesen Weg weiterwankt, hält das Leben bestenfalls noch den Gnadenschuss bereit, um sie von ihrem Leidensweg zu erlösen. Nichts gibt allerdings Anlass, an diese Gnade zu glauben.
|
|
|
|
Mathilde Bundschuh (Dawn), Juliane Köhler (Cookie)
© Julian Baumann
|
|
Es ist ein düsteres Stück ohne die geringste Hoffnung, das Noah Haidle schrieb und das Katrin Plötner auf die Bühne des Marstalls brachte. Es drängte sich nach kürzester Zeit der Vergleich mit Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ auf. Doch bald schon zeichnete sich ab, dass Cookie ganz und gar nicht einer aufrecht gläubigen Priesterschaft zur Verkündigung des Marktes angehörte, wie Willy Loman, sondern sowohl Kanone als auch Futter auf dem Markt war. Kanonenfutter nannte man die Soldaten des 1. Weltkrieges, die ausgehoben und ins Feld geschickt wurden, um sich für Ideen abschlachten zu lassen, die, wie sich letztlich herausstellte, doch nicht die ihren waren. Cookie stirbt nicht an gebrochenem Herzen wie Willy, sondern sie wird zum „Menschen als leerlaufende Maschine“, seelenlos, blind, alles vergessend. Die ursprüngliche Idee verschwindet, wie die von ihrer Mutter in die Schuhsohlen gravierte Lyrik, abgewetzt auf einem Weg ohne Ziel.
Katrin Plötner inszenierte eine realistische Geschichte, die in realistischer Sprache abgehandelt wurde, auf einer völlig abstrakten Bühne. Bildnerin Anneliese Neudecker hatte den Raum bis in den Bühnenhimmel hinein mit einer glänzenden, undurchsichtigen Folie ausschlagen lassen, die überwiegend mit rosafarbenem Licht ausgeleuchtet wurde. (Licht Gerrit Jurda) Lili Wanners Kostüme waren ebenso unverbindlich „schön“ gestaltet und bis auf einen existenzialistischen Schwarztupfer harmonisch ins Gesamtbild integriert. Die Masken waren makellos glatt und scheintödlich perfekt. Auf dem ersten Blick assoziierte das Bild eine „cleane“ Welt. Damit sollte wohl die Aufgeräumtheit und die Unverbindlichkeit der bürgerlichen Mitte als die tragende Konsumentenschicht jeder Gesellschaft versinnbildlicht werden. Das machte anfänglich auch durchaus Eindruck. Doch dieser Eindruck verkehrte sich im Lauf des Spiels, das hauptsächlich von Juliane Köhler als Cookie getragen wurde und der für ihr engagiertes Spiel höchstes Lob gebührte. Juliane Köhler gab ihre Cookie als Frau aus Fleisch und Blut und Sexappeal, also durchaus differenziert realistisch und absolut glaubhaft.
Sehr guten Schauspielern, und sämtliche Darsteller des Abends qualifizierten sich für dieses Prädikat, gelingt eine Entfaltung ihrer Aura, so dass sie den Raum nach und nach ausfüllen und ihn dergestalt beherrschen, dass sie auch während ihrer physischen Abwesenheit auf der Bühne präsent sind. Frau Neudeckers Bühne wirkte indes wie ein teflonbeschichteter Raum, in dem sich nichts generalisieren und festsetzen konnte. Mit jedem Abgang verlor sich augenblicklich die Spur der Figur. Besonders auffällig wurde das am Ende, als Juliane Köhler mit bloßen Händen ein Grab aushob und echte Muttererde sichtbar wurde. Das hatte beinahe Erlösungscharakter.
So lagerte über der ganzen Geschichte eine permanente existenzielle Befremdlichkeit, die es dem Zuschauer nicht unbedingt leichter machte, den Realismus in der Geschichte auch in ihren komischen Momenten umfänglich zu rezipieren. Das bremste ebenso die Wucht der Tragik so mancher Figur aus. Mathilde Bundschuhs Dawn als Säugling (Cookies Tochter) suggerierte ein Wesen, das einen starken Willen besaß, der aber unter den Prüfungen des Lebens, und Dawn ging durch etliche, unweigerlich zerbrach, denn sie war für dieses System nicht gemacht. Pauline Fusbans Heather trat in die Fußstapfen Cookies und konnte eine Weile die Illusion von einer begabten Verkäuferin aufrecht erhalten. Doch sie besaß nicht die Zähigkeit, die es für diesen Job brauchte und zog es vor, ihren sozialen und ökonomischen Status über Ehen zu sichern. Zwei ihrer Ehemänner verkörperte Nils Strunk auf denkbar unterschiedlichste Weise. Katharina Pichler fiel die Rolle der durch Cookie betrogenen Ehefrau Vera zu. Sowohl Heather als auch Vera waren die typischen „Vorstadtweiber“, die Dank hinlänglich bekannter Fernsehserien zu einem neuen Klischee aufgebaut wurden.
Es war eine starke Geschichte, von exzellenten Schauspielern engagiert erzählt. Das Programmheft verwies schließlich noch auf die systemkritischen Ansätze, die der Geschichte innewohnen und die von Regisseurin Katrin Plötner auch zur Diskussion gestellt wurden. Indes, es fehlte das letzte Quäntchen Übergriffigkeit auf das Publikum, um die ganze Wucht des Themas zu entfalten. Immerhin unterstellte eine Zuschauerin nach der Premiere von „Tod eines Handlungsreisenden“ im Februar 1949 in New York, „Das (Stück – Anm. W.B.) ist eine Zeitbombe unter dem amerikanischen Kapitalismus.“ (Programmheft zur Inszenierung) Miller hoffte, dass es so sei. Hochgegangen ist sie mit „Für immer schön“ allerdings auch nicht. Und so totentanzt die Welt weiter um das goldene Kalb und konsumiert auf Gedeih und Verderb – wohl mehr auf letzteres.
Der Konsumismus als letzte weltumspannende Religion ist wieder nur eine Krücke für den unvollkommenen Menschen, der nicht in der Lage ist, eine Gesellschaft auf immaterielle Werte (Vernunft wäre so ein Wert!) zu begründen, auch wenn er unentwegt vorgibt, genau dies zu tun. Kaufen und Verkaufen, um nichts mehr geht es und alle Entwicklung scheint sich dem unterzuordnen und dabei zu versanden. Heiner Müller bemerkte nach dem Fall des Ostblock und mit den damit verbundenen Ideen von nicht auf Besitz basierenden Gesellschaften sinngemäß: Hier endet die Geschichte und der reine Geldverkehr beginnt.
Wolf Banitzki
Für immer schön
von Noah Haidle
Juliane Köhler, Pauline Fusban, Katharina Pichler, Nils Strunk, Mathilde Bundschuh
Regie: Katrin Plötner
|