Marstall Begehren von Josep M. Benet i Jornet
Trugbilder
Wir werden in Einsamkeit versinken, prophezeit sie. Er hält dagegen: Wir sind nicht einsam. Es sind nur wenige Menschen da, aber wir sind nicht einsam. Das Paar hat sich ein Wochenendhaus gekauft und ist nun dabei, es zu restaurieren. Während er darin eine sinnvolle Aufgabe und einen willkommenen Ausgleich sieht, bleibt sie auf Distanz, hinterfragt es. Doch dieses Hinterfragen bezieht sich nicht nur auf das Haus, sondern auf ihre ganze Existenz. Die Ehe ist monoton geworden und ihr ist es lieber, er berührt sie nicht. Sie gesteht sich ein, dass ihr die beiden gemeinsamen Töchter egal geworden sind und nun auch noch diese Verlassenheit. Bier, sie bevorzugt Bier, ist letztlich auch kein probates Mittel, dem Dilemma zu entkommen.
Sie erzählt ihm, dass sonderbare Dinge vor sich gehen. Sie wird angerufen, doch niemand spricht mit ihr. Wenn sie in den eine halbe Stunde Wegstrecke entfernten Supermarkt fährt, begegnet ihr immer an der selben Stelle ein Mann, der ihr vom Straßenrand Zeichen gibt, die sie jedoch ignoriert. Warum erzählt sie das ihrem Mann? Vielleicht, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, bevor sie bei der nächsten Fahrt anhalten wird. Doch der Mann geht pragmatisch damit um, findet einfache Erklärungen und schenkt dem keine Beachtung. Bei der nächsten Fahrt hält sie an. Der junge Mann hat eine Panne mit seinem Auto. Das Gespräch mit dem jungen Mann, der vorgibt, noch nie an diesem Ort gewesen zu sein, bleibt für sie unentschlüsselbar. Sie kann sich kein Bild machen, folgt aber seiner Einladung in einen Self-Service, wo sie auf eine Bekannte des jungen Mannes treffen. Eine bedrohliche, jedoch nicht fassbare Situation baut sich auf und die Frau flieht nach Hause. Sie ist sichtlich verändert, positiver gestimmt. Nach kürzester Zeit drängt es sie, zurückzukehren zu dem Mann. Diesmal täuscht sie eine Autopanne vor und lässt sich von ihm helfen.
Der Text, die Geschichte ergeben scheinbar keinen Sinn. Es geht nichts zusammen, alle reden an einander vorbei und mit den Geschichten, die jeder erzählt, ist kaum oder wenig anzufangen. Der katalanische Autor Josep M. Benet i Jornet beruft sich bezüglich seiner literarischen Herkunft auf Autoren wie Samuel Beckett, Heiner Müller und Harold Pinter. Wir sind also, zumindest ein stückweit, beim Theater des Absurden angekommen. Die Geschichte „Begehren“ ließe allerdings mehr Pinter als Beckett vermuten. Sie erscheint indes nicht so absurd wie Becketts Stücke. Zumindest sollte man nicht unbedingt dem Ratschlag folgen, der da in Bezug auf einige von Becketts Geschichten lautet: Versuche gar nicht erst zu verstehen, dann wirst Du verstehen! Wer das Stück von Benet i Jornet in der Inszenierung von Mirjam Loibl im Marstall gesehen hat, der wird zwar die Verwirrung gespürt haben, die der Text, die Geschichte auslöst, aber er wird auch deutlich gespürt haben, dass da etwas drin steckt, was den Zuschauer angeht. Was hat das Auge des Betrachters nun gesehen? Unterschiedliches, davon kann man wohl ausgehen.
So, wie künstlerische Qualität nicht nur im Auge des Betrachters liegt, man kann durchaus rationale Kriterien für die Bewertung von Kunst festmachen, liegt auch die Logik einer Geschichte nicht ausschließlich im Auge des Betrachters, denn es gibt mehr als nur eine Logik in ein und derselben Geschichte. Und so ist es an uns, an unserer psychischen Konstitution, welche Logik wir entdecken und welcher wir folgen. Darum entscheidet häufig auch die Zeitdauer, die wir zur Entschlüsselung eines Werkes brauchen, über die Lebensdauer desselben. Aller guten Kunst wohnt ein Geheimnis inne und solange das Geheimnis nicht gelüftet ist, lebt das Werk fort, fordert heraus und wird nicht vergessen.
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Philip Dechamps, Hanna Scheibe
© Thomas Aurin
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Hier nun ein Deutungsversuch, der, ich hoffe, ich finde Zustimmung, durchaus logisch erscheint. Die Frau steckt mit ihrem Lebensgefühl in der Sackgasse. Sie will nicht akzeptieren, dass es das gewesen sein soll, dass das Leben nicht mehr für sie bereithält als ein Wochenendhaus, dessen Renovierung Jahre verschlingen wird. Sie ist erfüllt von einem starken „Begehren“ nach Ausbruch. Folglich schafft ihr Unterbewusstsein die Figur des jungen Mannes, von dem sie sich stark angezogen fühlt, den sie jedoch nicht beherrschen kann. Und genau das macht den Reiz der Situation aus. Es fühlt sich an, als würde er sie entführen, obgleich sie doch freiwillig seiner Einladung folgt. Im Self-Service angekommen, hat sich ihr Äußeres verändert, sie steckt in einem glitzernden Abendkleid, das sie sehr lasziv wirken lässt. Ein starkes erotisches Gefühl schwingt ständig mit, obgleich sich der junge Mann unnahbar gibt. Er ist ja in erster Linie eine Wunschvorstellung, eine Projektion. In dem schmuddeligen Laden begegnen sie einer Bekannten des jungen Mannes. Diese Tatsache straft ihn natürlich Lügen, wenn er behauptet nie zuvor hier gewesen zu sein. Wenn nun die junge Frau auch nur eine Projektion darstellt, dann aus einem einfachen Grund. Sie ist eine Nebenbuhlerin. „Begehren“ ist ein Stück, in dem Verzweiflung und Sehnsüchte Gestalt annehmen, menschliche, aber auch engelhafte Gestalt.
Für ihre Inszenierung ließ sich Mirjam Loibl von Thilo Ullrich das Fragment eines Wochenendhauses, eigentlich nur eine Ecke mit einem jalousienverhangenen Fenster entwerfen. Gedreht war das Innere des Hauses der Self-Service, beliebig austauschbar, ohne einprägsame Charakteristik. Und noch einmal gedreht war das Äußere des Self-Service zu sehen mit einem Telefon an der Wand. Das Gebäude befand sich im linken Drittel der Bühne, die jedoch in Gänze bespielt wurde. Es gab zu keinem Zeitpunkt Tageslicht. Immer wieder wurde der Raum durch Autoscheinwerfer oder aus dem Gebäude dringendes Licht teilweise erhellt, vor allem aber strukturiert. (Licht Uwe Grünewald) Es wurden Kälte, Regen und Wind als Sprachkulisse beschworen. Es waren die Techniken des Film Noir, die hier zur Anwendung kamen und eine ganz besondere Stimmung schufen. Kongenial unterstützt wurde diese durch die Musik von Constantin John.
Arthur Klemt gab einen emsig handwerkelnden Ehemann, der durch und durch Vernunftmensch war und in seiner Aufgabe aufging. Seine Liebenswürdigkeiten der Ehefrau gegenüber waren ehrlich, aber abgenutzt, was ihren Frust erklärte. Hanna Scheibe gab sich sperrig, ging nicht auf den Mann ein und breitete über allem ihren Frust aus, um ihn zugleich zu leugnen. Als jedoch die Figuren ihres Unterbewusstseins die Oberhand gewannen, geriet sie unweigerlich aus der Fassung und kam an die Grenzen der Hysterie, ohne jedoch im Spiel hysterisch zu werden. Barbara Romaner gab die Freundin des unbekannten jungen Mannes, leise, zurückhaltend und ein wenig wie ferngesteuert. Schlussendlich nahm sie gleichmütig hin, dass die Frau ihr mit dem Stemmeisen des Mannes die Pulsader aufschlitzte. Philip Dechamps fremder Mann verhielt sich zur Frau ebenso undurchdringlich, so unnahbar wie die Frau ihrem Ehemann gegenüber. Fast hätte man meinen können, es handle sich um eine Spiegelung. Sein sonderbares Kostüm (Kostüme Anna Maria Schories) bestärkte die Annahme, dass er nicht aus dieser realen Welt stammte, dass er eine Projektion sei. Er kam und ging, ohne jegliche Erklärung für das Wohin oder Woher. Schließlich tauchte er in diffusem Licht wie ein Engel im Hintergrund des Spiels auf.
Als der Vorhang fiel, brauchte das Publikum eine Weile, um sich aus der Erstarrung zu lösen. Erst zur letzten Verbeugung bekamen die Darsteller einen befreiten und herzlichen Applaus. (Zweite Vorstellung) Das ist leicht erklärbar, denn das Publikum rang die ganze Vorstellung über darum, zu verstehen, was es gerade gesehen hatte. Nachdem man sich des Endes bewusst geworden war, fühlte man, dass gerade etwas Unerhörtes, im Sinne von so noch nicht gehört oder gesehen, passiert war. Das ist natürlich eine echte Qualität, zumal man sich durchaus ein Bild davon machen konnte, was alle Beteiligten mit dieser Inszenierung bezweckten. Da sowohl die Inszenierung, wie auch die darstellerischen Leistungen beeindruckend und sehenswert waren, können die Macher für sich getrost reklamieren, einen besonderen Theaterabend kreiert zu haben. Eine Inszenierung, die man so schnell nicht vergisst.
Wolf Banitzki
Begehren
von Josep M. Benet i Jornet
Aus dem Spanischen von Fritz Rudolf Fries unter Einbeziehung der Übersetzung aus dem Katalanischen von Alia Luque und Susanne Meister
Arthur Klemt, Hanna Scheibe, Philip Dechamps, Barbara Romaner
Regie: Mirjam Loibl
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Marstall Der Mieter von Roland Topor
Wenn die Dämonen kommen
Der stille Angestellte Trelkovsky ist auf Wohnungssuche. Als er endlich fündig wird, muss er feststellen, dass die Wohnung noch gar nicht wirklich frei ist. Die eigentliche Mieterin war aus dem Fenster der Wohnung gesprungen und lag nun im Krankhaus. Sie lebte noch. Also musste Trelkovsky warten. Endlich erreichte ihn die Nachricht, dass die Mieterin Simone Choule verstorben sei. Der Vermieter ist ein Mann der häuslichen Ordnung. Er erklärt Trelkovsky die strengen Regeln des Hauses. Trelkovsky ist willig, schließlich weiß er genau, wie schwer es ist, in Paris eine bezahlbare Wohnung zu finden und darum, so der Vermieter sinngemäß, sollte man alles daran setzen, die Wohnung auch zu behalten. Das klang schon mal wie eine Drohung. Trelkovsky stellt bald fest, dass die Nachbarn nicht einfach nur Nachbarn sind, sondern potentielle Feinde, die scheinbar alles daransetzen, Trelkovsky aus der Wohnung zu vertreiben. Das schärft Trelkovskys Sinne und bald macht er sonderbare Beobachtungen, die unerklärlich sind.
Es dauert nicht allzu lange und Trelkovsky ist sich sicher, dass ein Komplott gegen ihn im Gange ist. Seine Ängste steigern sich langsam und unaufhaltsam, bis er eine ausgewachsene Identitätskrise bekommt. Er ist sich sicher, dass man ihn ebenso wie die arme Simone in den Tod treiben will und er beginnt sich immer mehr in die Identität der Leidensgefährtin zu flüchten. Er trägt ihre Wäsche, ihre Kleider, eine Perücke und Lippenrouge. Einzige Verbündete die er hat, ist Stella, die Freundin Simones, mit der er eine Beziehung eingeht. Doch bald schon glaubt Trelkovsky auch in ihr eine Feindin und Beteiligte an dem Komplott gegen ihn auszumachen. Nun, gänzlich von allen verlassen und von der Schar der Verfolger immer mehr bedrängt, stürzt er sich aus dem Fenster und endet, wie zuvor Simone, im Krankenhaus. Dort muss er erleben, wie Stella und er selbst ihn besuchen. Ein entsetzlicher Schrei entringt sich seiner Kehle und hier schließt sich der Kreis, denn als Trelkovsky und Stella sich kennenlernten, geschah das am Krankenbett von Simone. Die, von Verbänden unkenntlich, sah Trelkovsky und schrie ebendenselben markerschütternden Schrei.
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René Dumont, Aurel Manthei
© Armin Smailovic
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So erzählt es, hier in groben Zügen wiedergegeben, der Roman von Roland Topor und die Verfilmung durch Roman Polanski, der in seinem Werk die Rolle Trelkovskys selbst übernahm und eine grandiose Figur gebar. Es ist die Geschichte eines Mannes, der durchaus bereit ist, sich den gesellschaftlichen Regeln unterzuordnen, der aber bald erkennen muss, dass die Mitmenschen ihm nach und nach sein Leben nehmen. Die junge Regisseurin Blanka Rádóczy, inzwischen bekannt für ihre „somnambul aufgeladenen, atmosphärisch dichten Arbeiten“, schickte sich nun an, das Werk auf die Bühne des Marstalls zu bringen. Heraus kam eine Inszenierung, die ohne Zweifel düster anmutete und in der sich das Schicksal des Mieters Trelkovsky, wie von Topor entworfen, auch erfüllte. Dabei brachte Blanka Rádóczy einen gelungenen Einfall in das ebenfalls von ihr selbst entworfene Bühnenbild ein. Eine erhebliche Fläche der Bühne war mit einer großen Folie bedeckt, den Innenhof oder auch das Glasdach beschreibend, auf das sich Simone gestürzt hatte. Die Wohnung, um die es ging, war durch die Größe des Innenhofes (Plane) so dicht an das Publikum herangerückt, dass ein Gesamteindruck eines geschlossenen Bühnenbildes ausblieb. Das Spiel begann mit dem Auftritt des Vermieters Monsieur Zy, gespielt von Joachim Nimtz, der von Anna Graenzer gegebenen Concierge und einem Nachbarn namens Scope, dem René Dumont Gestalt verlieh. Sie glätteten gemeinsam die Plane und tilgten damit die Spuren des Suizides Simones. Mit eben dieser Handlung endete das Stück auch, die Spuren des Selbstmords Trelkovskys beseitigend.
Trelkovsky wurde von Aurel Manthei gespielt, der sich in Zurückhaltung und sensibler Reaktion an der von Polanski gestalteten Figur durchaus messen lassen konnte. Obgleich der Ton des von Joachim Nimtz gegebenen Vermieters Monsieur Zy, ob er forcierte oder nur in sich hineinsprach, stets wie drohendes Donnergrollen klang, brachte Aurel Manthei einen Trelkovsky auf die Bühne, der durchaus über Selbstbewusstsein und über ein gehöriges Maß an Freundlichkeit verfügte. Er ließ sich auch nicht aus der Reserve locken, als der von René Dumont gegebene penetrante und Trelkovsky fortwährend auflauernde Nachbar, ihn zum Widerstand gegen das rigide System der lebensunterdrückenden „Wohngemeinschaft“ geradezu aufzuwiegeln versuchte. Marginal blieb indes die Erscheinung der von Cynthia Micas gespielten Stella. Im Grunde war sie die am schwersten einzuordnende und zu verstehende Figur.
Blanka Rádóczy hatte die Geschichte auf gerade einmal eine Stunde eingedampft. Hinzu kam, dass die Inbesitznahme der Wohnung, beschrieben durch zunehmend ritualisierte Vorgänge, beinahe ein Viertel dieser Zeit in Anspruch nahm. Danach erst begann sich der Konflikt aufzubauen. Von der komplexen Geschichte Topors wurden im Wesentlichen nur einige äußere Vorgänge beschrieben, die dennoch nicht zum Verständnis der ganzen Geschichte reichten, wenn man die beiden Vorlagen, Roman und/oder Film, nicht kannte. „Somnambul aufgeladenen“ war die Geschichte bis zu einem gewissen Grad. Zum einen durch das Licht (Martin Jedryas), zum anderen durch gespenstische Figuren, die die Nacht und auch die Fantasie Trelkovskys bevölkerten. Das Attribut „atmosphärisch dichte Arbeit“ kann man dieser Inszenierung nur bedingt zusprechen. Zu karg, zu sporadisch war das, was von der Geschichte übrig geblieben war und zu dünn die Psychologie, die die Vorgänge bis hin zum Suizid Trelkovskys erklärte. So griff die Geschichte nicht hinreichend und die eine Stunde Spieldauer fühlte sich nicht kurzweilig an. An den Leistungen der Schauspieler lag es indes nicht.
Es ist ohne Zweifel ein aktuelles Thema, denn ein Mieter ist, verfügt er nicht über finanzielle Mittel im Übermaß, heute zuallererst ein Bittsteller, der, wenn er nicht genügend Devotheit mitbringt, vielleicht sogar noch Forderungen stellt, ganz schlechte Karten bei einer Wohnungsvergabe hat. Es ist ja auch hinlänglich bekannt, dass Vermieter demütigende Regeln und Forderungen aufmachen und bisweilen sogar bis zu sexueller Nötigung gehen. Doch das ist alles nur der Ausgangspunkt für die Erzählung von Topor. Die Geschichte ist ein großes psychologisches Drama, das auf dem Nährboden der beschriebenen Zustände gedeihen kann. Düstere Bilder allein genügen da nicht. Da braucht es feinfühlige, psychologisch ausgefeilte Szenen und den spielerischen Raum, um das Grauen wachsen zu lassen und vor allem, um die Geschichte zu verstehen, denn Topors Geschichte ist nicht abwegig. Wenn die Dämonen kommen, geschieht Unerhörtes. Leider ist es den Machern nicht gelungen ein ganzheitliches, in sich schlüssiges und logisches Bild von der Auferstehung der Dämonen zu schaffen.
Wolf Banitzki
Der Mieter
von Roland Topor
Deutsch von Wolfram Schäfer
Aurel Manthei, Cynthia Micas, René Dumont, Joachim Nimtz, Anna Graenzer
Regie: Blanka Rádóczy
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