Residenztheater Eine göttliche Komödie. Dante < > Pasolini von Federico Bellini
Viel Gewalt, wenig Göttlichkeit
Ort der Handlung ist Ostia, Roms vorgelagerter Strand. Das Geschehen spielt in der Nacht auf den 2. November 1975. Der Dichter und Filmemacher Pier Paolo Pasolini war mit seinem Alfa Romeo an den Strand gefahren und wurde getötet, geradezu abgeschlachtet. Die Leiche fand man in der Früh auf einem Fußballplatz. Schnell war der Täter ausgemacht und festgesetzt: der junge, schmächtige Stricher Pino Pelosi. Er gestand die Tat und wurde verurteilt. Doch die Zweifel an Tathergang und den Mördern werden nie wirklich ausgeräumt. Federico Bellinis Drama, das auf der Bühne des Residenztheaters seine Uraufführung erlebte, beginnt im Augenblick des Sterbens Pasolinis.
Vier mögliche Varianten wurden langatmig durchexerziert. Die erste: Pelosi gerät mit Pasolini, gespielt von Tim Werths mit erstaunlicher Ähnlichkeit zum Dichter, in einen Streit und erschlägt ihn auf bestialische Weise. Dann endete der Vorgang abrupt und wurde zurückgespult. Neben Pasolini und Pelosi entstieg dem Auto nun eine weitere Person, ein Neofaschist, und das Schlachten begann erneut. Auch diese zweite Variante endete und wurde auf Anfang zurück gespult. Jetzt entstiegen dem Auto vier Personen. Hinzu kam ein Mafiosi. The same procedure as… Und in der vierten Variante kommen zwei Polizisten hinzu, die Beweismittel platzieren und, nachdem sie feststellen mussten, dass noch ein Rest Leben in Pasolini ist, die Tat vollendeten. Alle Figuren waren auf dieselbe Weise gekleidet, was wohl bedeutete, dass alle derselben Gesellschaftsschicht entstammten. (Kostüme Graziella Pepe) Annähernd 20 Minuten dauert dieses erste Bild einer Gewaltorgie gegen Pasolini. Erste Unmutsäußerungen im Premierenpublikum wurden laut, denn es begann zu langweilen.
Dabei ging es vornehmlich darum, dass Pasolini, im Augenblick des Hinübergleitens vom Leben in den Tod, seine Reise durch die Dantesche Hölle beginnt. Immerhin war der Dichter ein sehr sündhafter Mensch. Pasolini selbst hatte zwei Adaptionen des wohl bedeutendsten italienischen Textes aus dem 14. Jahrhundert versucht. Selbstredend hatte er die Höllen in die Gegenwart verpflanzt, in das fiebrige Klima des italienischen Neokapitalismus, den er als bekennender Kommunist mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpfte. Stichwortartig finden im Verlauf der Vorstellung immer wieder Anspielungen auf den Mord und die Umstände Eingang. Da werden die 3 Mio. Lire angesprochen, die die Raubmörder unangetastet ließen. Warum? Weil es zu wenig war, um sich damit den Hintern zu …! Nur eine Theorie. Eine andere war, dass Pasolini am Tag seines Todes darauf hoffte, wieder in den Besitz der gestohlenen Filmrollen von „Die 120 Tage von Sodom“ nach dem gleichnamigen Roman von Marquis de Sade zu gelangen. Immerhin, alles deutete oder sollte darauf hindeuten, dass hinter dem vermeintlichen Schwulenmord als Beziehungstat politische Motive und politisch motivierte Täter steckten. Vermutlich stimmt das sogar, denn in solchen Fällen kann man getrost vom Schlimmstmöglichen ausgehen. Doch den Beweis wird man uns wohl schuldig bleiben.
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Max Gindorff, Tim Werths, Nils Strunk, Franz Pätzold
© Matthias Horn
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All das sollte man wissen, um die Inszenierung und ihren Inhalt überhaupt zu verstehen. Ebenso das Auftauchen des Raben aus dem Film “Große Vögel kleine Vögel“ von Pasolini. Dieser Rabe, Franz Petzold mit schwarzer Federboa moderierte dominant, stellt sich im Film mit den Worten vor: „Ich komme von weit her. Mein Land heißt Ideologie. Ich lebe in seiner Hauptstadt, der Stadt der Zukunft. Karl-Marx-Straße Nummer 70 mal 7.“ In diesem Film geht es um einen Vater und einen Sohn, die sich auf den Weg gemacht haben, um Geld bei armen Menschen einzutreiben und damit ihrerseits Schulden bei reichen Leuten zu begleichen. Sie kommen „aus dem Dorf der Not, Straße des Hungers Nummer 23, am Fuß des Berges Dummheit, der in der ganzen Welt berühmt ist wegen des Martyriums der heiligen Analphabeta.“ Auch in Antonio Latellas Inszenierung ist der Vogel ein Kommunist, ein innerlich Roter. (Im Film wird er übrigens am Ende von Vater und Sohn verspeist, was einen konsequenten Realismus nicht leugnen kann.)
Doch damit nicht genug, denn auch das Verhältnis Pasolinis zum trunksüchtigen Vater und zum Bruder, der sich mit neunzehn Jahren den Partisanen anschloss und im Frühjahr 1945 fiel, waren Gegenstand der Handlung. Aus diesem krisenhaften Verhältnis zum Vater, in dem Pasolini den Vergewaltiger der Mutter sah, entwickelte sich das innige Verhältnis zur Mutter. Doch auch die entpuppt sich als Zwitterwesen, als Mutter-Frau und als Hexe-Sirene, die Pier Paolo nicht auf den Läuterungsberg (Teil: Paradies in Dantes „Göttliche Komödie“) folgt. Ein Telefonat aus Pasolinis Jenseits zerstörte diese Hoffnung. Zwischendrin nach etwa einer Stunde noch einmal eine Discochoreografie, in der aus der Gewaltorgie gegen Pasolini ein Tanz gemacht wurde. Die führte in der Premiere zu einem Exodus etlicher Zuschauer, die wohl die Hoffnung aufgegeben hatten, zu verstehen worum es ging und worauf es hinauslaufen sollte. Es sollte nicht der letzte sein. Als Pasolini, also Tim Werth, am Penis durch die Manege geführt wurde, kam noch einmal Bewegung in die Reihen. Dieser Publikumsabwanderung war es wohl zu danken, dass die Buhs bei der Verbeugung von Schauspielern und Regisseur nicht die Überhand gewannen. Ungeachtet dessen waren immer noch einige Zuschauer bereit und willens, das Ereignis frenetisch, vielleicht ein Quäntchen zu frenetisch, zu feiern. Es klang ein wenig nach Trotz.
Antonio Latellas Inszenierung war sehr ambitioniert. Auf der Bühne von Giuseppe Stellato der Lieblings-Alfa von Pasolini, zuletzt sintflutartiger Regen und eine selbstfahrende Telefonzelle, mit der Franz Pätzold mal eben eine Runde drehte. Latella und Autor Federico Bellini wollten dem „bedeutendsten italienischen Literaten des 20. Jahrhunderts“ ein gebührendes Denkmal errichten und auf seine Poesie und seine Sprachgewalt verweisen. Tatsächlich gab es in der von Gewalttätigkeiten dominierten Inszenierung Momente, in denen das „Göttliche“, das im Titel vorkommt, den Raum erfüllte, und zwar immer dann, wenn der Gesang Alighieris erklang. Die berückende Schönheit der Sprache versöhnte zumindest für kurze Augenblicke mit den Gewalttätigkeiten, Nacktexzessen und dem Gefühlschaos, das mehr aus der Verwirrung der Vorgänge heraus entstand, und sich weniger als der Seelenzustand Pasolinis definierte. Die Verheißung, die die Namen Dante und Pasolini in sich tragen und die für kurze Momente über dem inszenatorischen Chaos wie ein poetisches Licht zu strahlen begannen, wurden durch die brachiale Ästhetik schnell eingeholt und eingestampft.
Es ist ohne Frage eine gute Zeit, mehr noch in Italien als in Deutschland, um an Pasolini zu erinnern und sein Werk über das Dante Alighieris mit noch größerer Strahlkraft auszustatten. Allein, Pasolinis Werk hat schon durch seine politische Programmatik nicht das Format und die Allgemeingültigkeit seines mittelalterlichen Kollegen. Zumindest findet Pasolinis Werk deutlich mehr Ablehnung, als das Werk Dantes. In der Inszenierung am Residenztheater drehte es sich zudem mehr um die Person, mehr um den Menschen Pasolini und weniger um seine politisch-weltanschauliche Botschaft. Zumindest konnte man sich des Eindrucks nicht erwehren. Dabei liebte Pasolini klare Botschaften.
In seinem Film “Große Vögel kleine Vögel“ erteilt Franziskus im Jahr 1200 zwei Mönchen den Auftrag, die Vögel zu bekehren, damit sie einander lieben, wie es Gott verlangt. Als sie nach zwei Jahren zurückkehren und dem heiligen Franziskus ihr Scheitern eingestehen müssen, antwortet der: „Die Welt muss verändert werden, Bruder, das ist es, was ihr nicht verstanden habt. Eines Tages wird ein Mann mit blauen Augen kommen und der wird sagen: ‚Wir wissen, die Gerechtigkeit schreitet fort. Wir wissen das in dem Maße, wie die Gesellschaft fortschreitet und sie sich ihrer unvollkommenen Zusammensetzung bewusst wird und die beklagenswerte Ungleichheit ans Licht kommen wird, die auf der Menschheit wie ein Fluch lastet. Ist nicht eben dieser Hinweis auf die Ungleichheit zwischen den Klassen, zwischen den Nationen, zwischen den Rassen die schwerste Bedrohung für den Frieden auf der Welt? Geht also und beginnt noch einmal von vorn.‘“
Man kann den Tod Pasolinis beklagen, doch das macht heute ebenso viel Sinn, wie den Stand des Monds zu beklagen. Zum Thema Tod entgegnete der Vater in Pasolinis “Große Vögel kleine Vögel“ auf die Bemerkung des Sohnes: „Ich weiß, Papa, das Leben ist nichts, gar nichts.“ „Aber der Tod ist alles. Wenn einer gestorben ist, ist für ihn, was er im Leben getan hat, ein für allemal erledigt.“ Was kann tröstlicher sein?
Wolf Banitzki
Eine göttliche Komödie. Dante < > Pasolini
von Federico Bellini
Mit: Philip Dechamps, Gunther Eckes, Max Gindorff, Franz Pätzold, Nils Strunk, Tim Werths
Regie Antonio Latella
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Residenztheater Der Spieler von Fjodor M. Dostojewskij
Im Bann des Spiels
Man sollte meinen, wenn ein Autor wie Fjodor M. Dostojewskij einen Roman wie „Der Spieler“ geschrieben hat, wäre er mit dem Thema durch und hätte eine derartige Spielleidenschaft als das erkannt, was sie ist, eine Krankheit oder zumindest eine Schwäche des Willens, vielleicht auch des Charakters. Tatsächlich allerdings hatte das Werk für Dostojewskij kaum Folgen für sein Bewusstsein in dem Sinn, dass er sich vom Rouletttisch fernhielt. Ganz im Gegenteil. Gut ein halbes Jahr, nachdem er den Roman fertig gestellt hatte, befand er sich mit seiner frischgebackenen Ehefrau Anna Grigorjewna, sie hatte ihm als Stenografin gedient und war Dostojewskij behilflich gewesen, den Roman fristgerecht zu beenden, in Dresden. Der Lockruf des Rouletttisches wurde für Dostojewskij übermächtig und schließlich „überredete“ ihn seine Frau, dass er für ein paar Tage nach Homburg zum Spielen reisen möge. Der Schriftsteller hatte ihr glaubhaft vermitteln können, dass, „falls es gelänge, in eine Stadt des Glücksspiels zu fahren, dort zwei bis drei Wochen zu wohnen, und falls er eine gewisse Summe in Reserve hätte, dann hätte er bestimmt Erfolg: Ohne den Zwang zur Eile würde er jene ruhige Spielmethode anwenden, bei der er einfach gewinnen müsse – zwar keine riesige Summe, aber immerhin genug, um die Spielverluste zu decken.“ (A.G. Dostojewskaja: Erinnerungen.)
Acht Tage dauerte der Ausflug, drei Mal musste ihm seine Frau Geld nachsenden. Als er heimkehrte, war alles verspielt und Dostojewskij war unausstehlich und deprimiert. Im Gegensatz zu seiner Frau zog Dostojewskij lange Zeit keine Konsequenzen. Anna Grigorjewna war indes zu der festen Überzeugung gelangt, „dass Fjodor Michaílowitsch nie gewinnen werde, das heißt, vielleicht schon gewinnen, möglicherweise sogar eine große Summe, diese Summe jedoch am selben Tag (oder spätestens am nächsten) verspielt sein wird und keinerlei Bitten, Überzeugungsversuche, Beschwörungen meinerseits, nicht zum Roulett zu gehen, das Spiel nicht fortzusetzen, ihn davon abbringen werden.“ Ihr war bald klar geworden, „dass dies nicht einfach ‚Willensschwäche‘, sondern eine den Menschen verschlingende Leidenschaft war, etwas Elementares, gegen das selbst ein starker Charakter nicht ankämpfen kann. Man musste sich damit abfinden, die Spielsucht als eine Krankheit zu sehen, gegen die es kein Mittel gibt.“
Dostojwskij machte seinerseits keine Anstalten, Mittel gegen seine Sucht zu finden. Er folgte dem Lockruf, wann immer er ihn in seinem Innern vernahm. Er glaubte geradezu besessen an die Möglichkeit vom finalen großen Gewinn. Sein Bekenntnis für die Figur des Hauslehrers Alexej Iwanowitsch, des Spielers im gleichnamigen Roman war unzweifelhaft, wie seine Frau bemerkte: „Fjodor Michailowitsch stand voll und ganz auf seiten des ‚Spielers‘ und sagte, vieles von dessen Gefühlen und Eindrücken habe er an sich selbst erfahren. Er versicherte, man könne sehr wohl einen starken Charakter besitzen, dies mit seinem Leben beweisen und dennoch nicht die Kraft aufbringen, die Leidenschaft für das Roulettspiel zu bezwingen.“ Bei diesem Selbstbildnis ist ein gerüttelt Maß an Eitelkeit im Spiel, denn die Spielsucht Dostojewskijs war nicht seine einzige Charakterschwäche.
Warum diese ausführlichen Einlassungen aus dem Leben des Autors, wird sich der eine oder andere Leser fragen? Nun, um klarzustellen, dass Dostojewskij selbst der „Spieler“ war, dass er dessen Positionen uneingeschränkt befürwortete, dass er keinerlei ehrliche Selbstkritik übte und dass er damit ein „Evangelium“ zum Spiel geschrieben hatte. Es sind die realistischen Beschreibungen des aus dem Spiel oder des aus der Spielsucht resultierenden sozialen und moralischen Elends, das eine kathartische Wirkung hat und somit bei vernünftigen und gesunden Menschen eine aufklärerische oder gar pädagogische Wirkung erzeugt. Dostojewskij verlor in seinem ganzen Roman kein Wort über das Wesen des Glücksspiels, welches in dem spekulativen Versuch besteht, sich über ein Regelwerk und mittels einer Kugel oder des Zufalls in den Besitz des Geldes der anderen Mitspieler zu bringen. Einziger moralischer Rechtfertigungsversuch: Alle nehmen freiwillig daran teil! Und hier gibt es einen hässlichen Haken, denn das trifft lediglich für den Spieler, nicht aber für den Spielsüchtigen zu. Dahinter, handelt es sich nicht gerade um eine Hinterzimmerpokerpartie im Freundeskreis, steckt stets auch ein Organisator, die Bank, und die ist der wahre Gewinner, weil sie immer und dauerhaft gewinnt. Folglich ist das auch nur ein ziemlich dümmliches Geschäftsmodell, das nur so erfolgreich ist, weil es fragwürdige Illusionen und Emotionen nährt.
Die Geschichte von Dostojewskij ist schnell erzählt. Sie spielt in parasitären Kreisen von Spielern in einem Ort namens Roulettenburg. Der eigentliche Spieler, Alexej Iwanowitsch, ist Hauslehrer beim General a.D. und in einer Hassliebe zu dessen Stieftochter Polina Alexandrowna gefangen. Er wartet auf die Gelegenheit, seinen Coup beim Spiel zu landen und sich somit aus allen finanziellen Abhängigkeiten zu befreien, um endlich dem subalternen, für ihn sklavischen Verhältnis zu Polina zu entkommen. Erst dann, so glaubt er, kann er ihr endlich seine Liebe gestehen. Mit der Zeit schwinden beim Spiel die Mittel und neue Abhängigkeiten entstehen. So hat der General, von dem etliche andere Menschen abhängen, längst seine Besitzungen an den fragwürdigen Marquis des Grieux verpfändet. Der einzige Hoffnungsschimmer ist der Tod der Tante des Generals, dessen Nachricht sehnlichst herbeigewünscht wird. Doch anstelle der Nachricht von ihrem Tod reist die Tante Antonida Wassiljewna höchstselbst an. Putzmunter und quietschvergnügt stürzt sie sich, vom Spielfieber gepackt, auf das Roulette und verspielt in kürzester Zeit das heißbegehrte Erbe. Eine der seltenen Gewinnerinnen ist eine gewisse Mademoiselle Blanche, eine suspekte aber anziehende Frau, die mehr mit ihren Identitäten und Lebensläufen als am Rouletttisch spielt und zuletzt Gattin des Generals und Besitzerin seines Restvermögens, das vornehmlich in dem Titel besteht, wird, nachdem sie sich mit den Gewinnen Alexej Iwanowitschs in Paris etabliert hat. Am Ende muss Alexej Iwanowitsch aus dem Schuldgefängnis ausgelöst werden. Von dem Englischen Zuckersieder Mr. Astley erfährt er, dass Polina Alexandrowna, inzwischen in der Schweiz lebend, ihn noch immer liebt. Augenblicklich beginnt das Spiel von neuem und aus dem letzten verbliebenen Gulden macht er im Handumdrehen 170. Also, nur nicht verzagen und mutig setzen.
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Links oben: Thomas Gräßle, Charlotte Schwab, Thomas Lettow am Spieltisch: Hanna Scheibe, Philip Dechamps rechts: Thomas Loibl, Lilith Häßle
© Matthias Horn
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Andreas Kriegenburg inszenierte Dostojewskijs Roman im Residenztheater als dreistündigen Spielreigen. Bühnenbildner Harald B. Thor hatte sich von einem Rouletttisch inspirieren lassen und brachte das ganze Roulettenburger Leben als einen solchen auf die zwei Spielebenen aufweisende Bühne. Mittelpunkt auf dem „Oberdeck“ der sich unentwegt drehenden Bühne war das Kurhaus, der Spieltisch, Ort nimmermüder Zocker, Zentrum und Grund für die Anwesenheit aller gleichermaßen. An der Peripherie befanden sich auf abgespreizten, marode wirkenden Brücken die Hotelzimmer oder Balkone, üppig bestückt mit Champagner, dem reichlich und pausenlos zugesprochen wurde. Darunter, am Grund des Daseins, glich die Bühne einer Müllkippe, geflutet von den Überbleibseln der Konsumgesellschaft. Da sich die Bühne stetig drehte, mussten die agierenden Darsteller permanent in Bewegung sein, um sichtbar, präsent und anwesend zu bleiben. So hasteten die Personen, das Leben, die Beziehungen und auch der Geldverkehr in Atemlosigkeit und stetigem Wandel dahin. Das Lebensroulett ließ keine Atempause zu.
Dostojewskij schrieb seinen Roman in der ersten Person und folglich erzählt Alexej Iwanowitsch unentwegt. Es gibt nur ganz wenige Szenen in denen er nicht präsent ist. Und so wurde die Inszenierung ein darstellerisches Fest für Thomas Lettow, der die Gesellschaft nicht nur rhetorisch dominierte. Lettows Alexej Iwanowitsch besaß unübersehbar eine intellektuelle Überlegenheit. Sein Sarkasmus, auch sein Zynismus verlieh ihm etwas Diabolisches und Thomas Lettow setzte das in höchstem Maße körperlich um. Er leistete, auch was Textbewältigung anbelangte, Titanenarbeit und ließ den Mitstreitern nur begrenzten Raum zur Entfaltung. So bekam der Zuschauer (in der Vorstellung am 3. Januar 2019) von den anderen Figuren höchstens eine Ahnung. So zum Beispiel von dem von Thomas Loibl gestalteten General a.D. Loibl, ohne Frage ein Erzkomödiant, musste sich damit begnügen, die Karikatur eines liebeskranken, dünkelhaften, seine Verzweiflung kaschierenden und am Ende erbärmlichen Patriarchen abzuliefern. Tatsächlich ist er in der Geschichte für einen ganzen Tross parasitärer Geschöpfe der Wirt, der sie am Leben erhält.
Immerhin hatte Andreas Kriegenburg die Chuzpe, Polina Alexandrowna, die Stieftochter des Generals als eine sehr kokette und durchaus berechnende Person darzustellen. Lilith Häßle machte die Figur, die bei Dostojewskij durchaus romantisch-tragische Züge trägt, zu einem selbstbewussten, mit ihren Reizen hemmungslos spielenden Luder. Hanna Scheibe als Mademoiselle Blanche de Cominges oblag es über weite Strecken mehr zu sein, als zu gestalten. Sie gab eine kühle, pragmatisch im Hintergrund agierende Frau, die erst schrillen Lebensgeist entfaltete, als sie ihre Etablierung in Paris betrieb. Einen großen Auftritt hatte indes Charlotte Schwab als Antonida Wassiljewna Tarassewitschewa, Tante des Generals. Es liegt im Wesen der Rolle begründet, dass ihr die Sympathien des Publikums, das das ganze intrigante, geldgeile Geschmeiß längst satt hatte, zuflogen. Mit Furor verballerte sie ihr Vermögen am Roletttisch, als wäre es ein Neujahrsfeuerwerk. Selbst ihr reuevoller Abgang hatte etwas Anrührendes, denn die alte Dame war die einzige, die wieder zu gesundem Verstand kam, nachdem der Rausch des Spiels verpufft war. Philip Dechamps als Marquis des Grieux und Thomas Gräßle in der Rolle des Mr. Astley irrlichterten durch die Geschichte und waren kaum mehr als Stichwortgeber. Zudem konnte man sie in ihrer Farblosigkeit leicht verwechseln.
Das visionär ausladende Bühnenbild und auch die Kostüme von Andrea Schraad verliehen dem Abend einen großen Schauwert. Eine Vielzahl von szenischen Lösungen, die im Hinter- oder Untergrund abliefen, machte die Inszenierung in vielen Situationen auch doppelbödig, allein, so richtig sprang der Funke nicht über und gelegentlich wurden Längen quälend. Regisseur Kriegenburg, unbestritten einer der wichtigen und verlässlichen Regisseure unserer Zeit, setzte zu stark auf Szenen, die den Rausch des Spiels und des Spielers beschrieben. Mehrfach toste Thomas Lettow mit enormer körperlicher Spannung durch die Beschreibungen des Spiels, des maßlosen Gewinnens, des ruinösen Verlierens. Summen wurden ins Publikum geschleudert, als wären sie Offenbarungen. Bei etlichen Zuschauern blieben es einfach nur Summen und so lief sich dieses Prinzip bald tot. Man musste wohl selbst Spieler sein oder aber das Geld abgöttisch lieben, um diesem Reiz zu erliegen. Geld ist ein Zahlungsmittel, ein Versprechen, eine Illusion und die Anbetung des Geldes sollte bei einem gesunden Menschen Unverständnis, schlimmstenfalls Ekel erzeugen, denn Geld, soviel für die Ästheten unter uns, hat auch etwas Ordinäres.
Der wahre Konflikt, nämlich, dass das Geld die gesellschaftlichen Schichten voneinander separiert und folglich Liebende trennt, blieb marginal. Auch solche profunden Einsprengsel wie die Bemerkung Mr. Astleys, dass der Hauslehrer und Spieler Alexej Iwanowitsch längst mehr als nur Geld verloren hatte, gingen unter. „Sie sind stumpf geworden. (…) Sie haben sich nicht nur vom Leben losgesagt, von Ihren eigenen und den Interessen der Allgemeinheit, von der Pflicht des Bürgers und Menschen, von Ihren Freunden (…). Sie haben nicht nur jedes Lebensziel mit Ausnahme des Gewinnens im Spiel aufgegeben, sondern sogar Ihre Erinnerungen.“ Auch unsere heutige Gesellschaft ist ein Roulettspiel und die Jagd nach dem schnellen, meist von Arbeit abgekoppelten Profit ist allgegenwärtig. Astley hat es in der Beschreibung auf den Punkt gebracht, wohin das den einzelnen Menschen und auch die ganze Gesellschaft führen wird. Diese Botschaft war nicht die dominante und das war schade. Zurück blieb ein pathologischer Spieler im Bann des Spiels, ohne Ausweg.
Wolf Banitzki
Der Spieler
von Fjodor M. Dostojewskij
Deutsch von Alexander Nitzberg
Mit: Thomas Lettow, Thomas Loibl, Lilith Häßle, Hanna Scheibe, Charlotte Schwab, Philip Dechamps, Thomas Gräßle, Arnulf Schumacher
Regie: Andreas Kriegenburg
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